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Fünftes Kapitel

Lawretzky begegnete auf dem Nachhausewege Panschin; sie grüßten sich sehr kalt. Lawretzky kam in seine Wohnung und schloß sich ein. Wohl nie hatte er das gefühlt, was er jetzt fühlte. Ist’s lange, daß er sich im Zustande »friedlicher Erstarrung« befand? Ist’s lange, als er sich, wie er sich ausdrückte, »auf des Flusses tiefstem Grunde« fühlte? Was hatte seine Lage geändert? Was hatte ihn wieder auf die Oberfläche gebracht? Der gewöhnlichste, unvermeidliche, obgleich immer unerwartete Zufall, der Tod. – Ja; doch dachte sowohl er nicht an den Tod seiner Frau, an seine Freiheit, als daran, was für eine Antwort Liese wohl Panschin geben würde. Er fühlte, daß er sie seit den drei letzten Tagen mit andern Augen betrachtete; er erinnerte sich, wie er als er nach Hause zurückkehrte und an sie in nächtlicher Stille dachte, zu sich selbst gesagt hatte: »Wenn!« . . . Dieses »Wenn» das er auf Vergangenes, auf Unmögliches bezog, war zur Wirklichkeit geworden, obgleich nicht so, wie er sich gedacht hatte: – seine Freiheit allein genügte ihm aber nicht. »Sie wird ihrer Mutter gehorchen,« dachte er, »wird Panschin heirathen; wenn sie ihm aber auch einen Korb giebt,-ist es nicht für mich einerlei!« Zufällig vor dem Spiegel vorübergehend, warf er einen Blick hinein, und zuckte die Achseln. In diesen Gedanken eilte schnell der Tag dahin; der Abend brach an. Lawretzky ging zu den Kalitins. Er ging schnell, doch als er sich dem Hause näherte, wurden seine Schritte langsamer. Vor der Treppe stand die Equipage Panschin’s. »Nun» dachte Lawretzky, ich will kein Egoist sein,« – und ging ins Haus. Im Hause begegnete er Niemanden, im Saale war es stille; er öffnete die Thüre und sah Maria Dmitriewna mit Panschin Piquet spielen. Panschin grüßte ihn schweigend, Maria Dmitriewna aber rief: »Nun das kommt ja ganz unerwartet!« und runzelte etwas die Stirn. Lawretzky setzte sich neben sie und sah in ihre Karten.

»Spielen Sie denn Piquet?« fragte sie mit unterdrücktem Aerger und bemerkte sofort, daß sie eine falsche Karte gespielt hätte.

Panschin rechnete neunzig und begann mit großer Artigkeit und Ruhe, und mit strengem und würdigem Ausdrucke im Gesichte ihre Karten zu stechen. So müssen Diplomaten spielen. Wahrscheinlich spielte auch er so in Petersburg mit irgend einem hohen Würdenträger, dem er eine günstige Meinung von seiner Solidität und Reife einzuflößen wünschte. »Einhunderteins, Einhundertzwei, cour, Einhundertdrei,« klang seine Stimme gemessen, und Lawretzky konnte nicht begreifen, welchen Ausdruck sie eigentlich hatte: ob Vorwurf oder Zufriedenheit.

»Kann ich Martha Timotheewna sehen?« sagte er, als er sah, daß Panuschin die Karten mit noch würdevollerem Ausdrucke zu mischen begann. Auch nicht der Schatten eines Künstlers war mehr in letzterem zu sehen.

»Ich glaube es; sie ist in ihrem Zimmer oben,« erwiderte Maria Dmitriewna: – »erkundigen Sie sich.«

Lawretzky ging hinauf. Auch Martha Timotheewna fand er bei den Karten: sie spielte Schafkopf mit Nastasia Karpowna. Roska bellte ihn an; beide Alten empfingen ihn aber sehr freundlich; Martha Timotheewna besonders schien sehr bei Laune.

»Ach, Fedia! es ist sehr schön, daß Du kommst,« sagte sie; – setze Dich. Gleich ist unser Spiel zu Ende. Willst Du Eingemachtes? Schurotschka, hole ihm die eingemachten Erdbeeren. Willst Du nicht? Nun, wie Du willst; rauche aber nicht, ich kann Euren Tabak nicht leiden, auch niest mein Matrose bei Deinem Qualm.«

Lawretzky beeilte sich zu sagen, daß er nicht die geringste Lust zu rauchen hätte.

»Bist Du unten gewesen?« fuhr die Alte fort; – »wen hast Du dort gesehen? Steckt Panschin noch immer dort? Hast Du Liese gesehen? Nein? Sie wollte herkommen. Aber, da ist sie ja auch.«

Liese trat in‘s Zimmer und erröthete, als sie Lawretzky erblickte.

»Ich komme auf einen Augenblick zu Ihnen, Martha Timotheewna, – begann sie . . .

»Warum denn auf einen Augenblick?« entgegnete die Alte. »Was seid Ihr alle für unruhige Wesen, Ihr jungen Mädchen? Du siehst, ich habe einen Gast; plaudere mit ihm, unterhalte ihn.«

Liese setzte sich auf den Rand des Stuhles und blickte Lawretzky an – sie fühlte, daß es ihr unmöglich sei, ihm nicht wissen zu lassen, wie ihre Unterhaltung mit Panschin geendigt sei. Wie sollte sie es aber anfangen? Sie schämte sich und war verlegen. War sie denn lange mit diesem Manne, der die Kirche selten besucht und gleichgültig beim Tode seiner Frau bleibt, bekannt – und jetzt theilt sie ihm ihre Geheimnisse mit . . . Freilich nimmt er Antheil an ihr; auch sie glaubt ihm und fühlt sich zu ihm hingezogen; und doch schämt sie sich so, als sei ein Fremder in ihre reine Mädchenkammer getreten.

Martha Timotheewna kam ihr zu Hilfe.

»Wenn Du ihn nicht unterhalten willst,« meinte sie, »sage wer soll dann den Aermsten unterhalten? Ich bin zu alt für ihn, für mich ist er zu klug; für Nastasia ist er zu alt; sie will nur junge Leute um sich haben,«

»Womit kann ich Feodor Iwanitsch unterhalten?« sagte Liese. »Wenn er will, werde ich ihm lieber auf dem Claviere etwas vorspielen,« fügte sie unentschlossen hinzu,

»Das ist wunderschön, Du bist ein artiges Mädchen!« entgegnete Martha Timotheewna. – Geht hinunter, Kinder, und kommt, wenn ihr fertig seid, wieder herauf; ich habe meinen Schafkopf verloren, das ärgert mich und ich muß meine Revanche haben.«

Liese stand auf, Lawretzky folgte ihr. Auf der Treppe blieb Liese stehen.

»Man sagt die Wahrheit,« begann sie, »wenn man behauptet, daß die Frauen voller Widersprüche sind. Ihr Beispiel hätte mich abschrecken, mich mißtrauisch gegen die Ehen aus Liebe machen müssen, und doch . . . «

»Sie haben ihm einen Korb gegeben?« unterbrach sie Lawretzky.

»Nein; aber auch nicht mein Jawort. Ich habe ihm Alles gesagt, Alles was ich fühlte, und habe ihn gebeten zu warten. Sind Sie zufrieden?« fügte sie mit einem flüchtigen Lächeln hinzu und eilte, mit der Hand auf dem Geländer hinabruschend, die Treppe hinunter.

»Was soll ich Ihnen vorspielen?« fragte sie, indem sie das Clavier öffnete.

»Was Sie wollen» antwortete Lawretzky und setzte sich so, daß er ihr in’s Gesicht blicken konnte.

Liese spielte lange, ohne von ihren Händen aufzusehen; endlich blickte sie auf Lawretzky und hielt inne, so sonderbar schien ihr der Ausdruck seines Gesichts.

»Was haben Sie nur?« fragte sie.

»Nichts!« erwiderte er: – »ich fühle mich wohl; ich freue mich für Sie, bin froh« Sie zu sehen, – fahren Sie fort.«

»Mir scheint es,« fuhr Liese nach einigen Augenblicken fort, »daß er, wenn er mich wirklich liebte, mir nicht diesen Brief geschrieben haben würde; er hätte fühlen müssen, daß ich ihm jetzt nicht antworten konnte.«

»Das ist nicht wichtig,« meinte Lawretzky, »wichtig ist das, daß Sie ihn nicht lieben.«

»Hören Sie auf, was ist das für ein Gespräch! Ich sehe immer Ihre todte Frau vor meinen Augen und fürchte mich vor Ihnen.«

»Ist es nicht wahr, Woldemar, daß meine Lisette hübsch spielt?« sagte in diesem Augenblicke Maria Dmitriewna zu Panschin.

»Ja,« antwortete Panschin: – »sehr hübsch.«

Maria Dmitriewna blickte sehr zärtlich auf ihren jungen Partner; dieser aber machte ein noch ernsteres und sorgenvolleres Gesicht und meldete vierzehn Könige.

Sechstes Kapitel

Lawretzky war kein junger Mann mehr; er konnte sich nicht lange über die Gefühle, die ihm Liese eingeflößt hatte, täuschen. Er überzeugte sich heute, daß er sie liebe. Doch diese Ueberzeugung brachte ihm wenig Freude. »Ist es möglich,« dachte er, »daß ich in meinem 36. Jahre nichts Besseres thun kann, als mein Herz aufs Neue in eine Frauenhand zu geben? Liese steht aber nicht aus derselben Stufe mit Jener! sie hätte von mir keine erniedrigenden Opfer gefordert, sie hätte mich nicht von meinen Beschäftigungen losgerissen, sie hätte mich zu einer ehrlichen, ernsten Arbeit begeistert, und wir wären Beide vorwärts gegangen zu einem schönen Ziele. Ja, so schlossen seine Gedanken – dies Alles ist gut und schön; das Unangenehme dabei ist nur, daß sie mit mir gar nicht wird gehen wollen. Sie hat mir ja gesagt, ich erschrecke sie; und daß sie Panschin nicht liebt, ist ein schwacher Trost!

Lawretzky fuhr nach Wasiliewskoie, doch keine vier Tage hielt er dort aus, so langweilig schien es ihm. Ihn quälte auch die Erwartung: die von Mr. Jules mitgetheilte Nachricht bedurfte der Bestätigung, und er erhielt keine Briefe. Er kehrte in die Stadt zurück und blieb einen ganzen Abend bei den Kalitins. Es war ihm leicht zu bemerken, daß Jemand Maria Dmitriewna gegen ihn aufgehetzt hatte, doch es gelang ihm, sie etwas günstiger für ihn zu stimmen, indem er an sie im Planet 15 Rubel verspielte, – und er verbrachte ungefähr eine halbe Stunde fast ganz allein mit Liese, obgleich ihr noch den Tag vorher ihre Mutter gerathen hatte, mit einem Mann: »qui a un si grant ridicule,« vorsichtiger zu sein. Er fand sie verändert; sie schien gedankenvoller geworden zu sein, warf ihm seine lange Abwesenheit vor und fragte ihn – ob er den folgenden Tag nicht in die Messe gehen würde? Der folgende Tag war ein Sonntag. »Gehen Sie,« sagte sie, bevor er Zeit hatte zu antworten: – »wir werden Beiden beten, daß ihre Seele droben Ruhe finde.« – Dann fügte sie hinzu, sie wisse nicht, was sie thun solle, – sie wisse nicht, ob sie das Recht hätte, Panschin lange auf ihren Entschluß warten zu lassen.

»Und warum das?« fragte Lawretzky.

»Weil ich schon jetzt zu wissen glaube, wie dieser Entschluß ausfallen wird.«

Sie sagte, sie habe Kopfschmerzen und ging in ihr Zimmer hinauf, Lawretzky unentschlossen ihre Fingerspitzen reichend.

Den folgenden Tag ging Lawretzky in die Messe. Als er hinkam, war Liese schon in der Kirche, sie bemerkte ihn, obgleich sie sich nicht zu ihm umwandte. Sie betete andächtig; sanft glühten ihre Augen, sanft neigte sich und hob sich ihr Kopf. Er fühlte, daß sie auch für ihn bete, und eine sonderbare Wonne durchbebte sein Herz. Ihm war so wohl und doch fühlte er eine kleine Schaam. Das ernst dastehende Volk, lauter heimische Gesichter, der laute Chorgesang, der Weihrauchduft, die hellen Sonnenstrahlen, die durch die Kirchenfenster brachen, die dunkeln Wände und Gewölbe, – Alles sprach zu seinem Herzen. Lange war er in keiner Kirche gewesen, lange hatte er sich nicht zu Gott gewendet, auch jetzt sprach er keine Gebete aus. Er betete nicht einmal wortlos, doch sank er, wenn auch nicht mit dem Körper, doch in seinen Gedanken einen Augenblick nieder und kniete demüthig auf der Erde.

 

Er gedachte, wie er in seiner Kindheit so lange betete, bis es ihm schien, als ob ein kühler Hauch ihn berühre: »das ist?« – dachte er damals, »mein Schutzengel, der mich aufnimmt, der auf mich das Siegel der Erwählung drückt.« Er blickte ans Liese . . . »Du brachtest mich her,« dachte er, »Du hast mich berührt, berühre denn auch mein Herz.« Und sie betete immer noch leise, ihr Gesicht schien in Freude verklärt, und er fühlte eine neue Andacht; er flehte um ein anderes Herz, – um Ruhe, – um Vergebung . . .

Sie trafen sich auf der Kirchenschwelle; sie grüßte ihn mit einem freudigen, freundlichen Ernste. Hell beschien die Sonne das junge Gras auf dem Kirchhofe, die bunten Kleider und Tücher der Frauen. Die Glocken der benachbarten Kirchen tönten durch die Lüfte; auf den Mauern saßen und zwitscherten die Sperlinge.

Unbedeckten Hauptes stand Lawretzky da und lächelte; ein leichter Wind spielte mit seinen Haaren und mit den Bändern auf dem Hute Liese’s; er half Liese und Lenchen, die mit ihr war, in den Wagen, vertheilte all‘ das Geld, daß er bei sich hatte, unter die Bettler und ging langsam nach Hause.

Siebentes Kapitel

Eine trübe Zeit brach für Lawretzky an, er befand sich in einem fortwährenden Fieber. Jeden Morgen ging er auf die Post, erbrach mit zitternder Hand Briefe und Zeitungen und nirgends fand er etwas, was das, für ihn so inhaltsschwere, Gerücht bestätigte oder widerrief. Einige Male ward er sich selbst zum Ekel. »Was thue ich da?« dachte er, »ich harre, wie ein Rabe auf Blut, auf die Nachricht vom Tode meiner Frau.«

Die Kalitins besuchte er täglich, doch auch dort fühlte er keine Erleichterung; offenbar war ihm die Hausfrau gram, empfing ihn aus Herablassung; Panschin behandelte ihn mit gezwungener Artigkeit; Lemm war misanthropisch geworden und grüßte ihn kaum – und, was die Hauptsache war, Liese schien ihn zu fliehen. Wenn sie auch zuweilen mit ihm allein blieb, so war an ihr, statt der früheren Zutraulichkeit, eine gewisse Verlegenheit sichtbar; sie wußte nicht, was sie ihm sagen sollte, und auch er fühlte sich verlegen. Liese war seit einigen Tagen nicht mehr dieselbe, die er früher kannte; in ihren Bewegungen, ihrer Stimme« selbst in ihrem Lachen war geheimes Bangen, eine früher nie dagewesene Reizbarkeit zu sehen. Marie Dmitriewna bemerkte, als eingefleischte Egoistin nichts, Martha Timotheewna aber begann ihren Liebling schärfer zu beobachten.

Lawretzky warf sich oft vor, daß er Liese jenes Zeitungsblatt gezeigt hatte; er mußte sich gestehen, daß in seinem Seelenzustande etwas, ein reines Gefühl, Empörendes lag. Er dachte auch, daß die Veränderung, die er an Liese bemerkte, von ihrem Kampf mit sich selbst, von ihren Zweifeln, welche Antwort sie geben sollte, herrühre. Einst gab sie ihm ein Buch, einen Roman Walter Scott‘s, das sie sich selbst von ihm erbeten hatte, zurück.

»Haben Sie dieses Buch gelesen?« fragte er.

»Nein, ich habe jetzt andere Dinge im Kopfe, als Bücher!« war ihre Antwort, und sie wollte gehen.

»Warten Sie einen Augenblick; es ist so lange her, daß ich nicht mit Ihnen allein gewesen bin. – Sie scheinen mich zu fürchten!«

»Ja!«

»Woher das aber?«

»Ich weiß es nicht.«

Lawretzky schwieg einige Augenblicke.

»Sagen Sie mir,« begann er auf’s Neue, »haben Sie sich schon entschlossen?«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte sie ohne die Augen zu erheben.

»Sie verstehen mich . . .«

Liese wurde plötzlich blutroth.

»Fragen Sie mich nicht,« sagte sie lebhaft, – »ich weiß nichts; ich kenne mich selbst nicht . . .« und sie eilte fort.«

Den folgenden Tag kam Lawretzky Nachmittags zu den Kalitins, und fand bei ihnen alle Vorbereitungen zu einer Abendmesse. In einem Winkel des Speisesaales, auf einem viereckigen Tische, der mit einem reinen Tischtuche bedeckt war, befanden sich, an die Wand gelehnt, kleine Gottesbilder, in vergoldeten Rahmen, mit trüben Diamanten im Heiligenschein. Ein alter Diener, in einem grauen Frack und in Schuhen, ging langsam und geräuschlos durch’s Zimmer, stellte zwei Wachslichter in dünnen Leuchtern vor die Gottesbilder, schlug ein Kreuz, verneigte sich und entfernte sich leise. Der dunkle Saal war leer. Lawretzky ging im Saale auf und ab, endlich fragte er: »Ist nicht irgend ein Namenstag?« Man antwortete ihm leise, es sei kein Namenstag, die Abendmesse sei aber auf den Wunsch Lisawetha Michailowna‘s und Martha Timotheewna‘s bestellt worden. Man hätte das wunderthätige Bild der Stadt bringen wollen, dieses sei aber dreißig Werst von der Stadt zu einem Kranken gebracht worden. Bald kam auch der Priester mit seinen Kirchendienern, ein kahlköpfiger, nicht mehr junger Mann und hustete im Vorhaus; sofort kamen die Damen, eine nach der andern, aus dem Cabinet, und baten den Priester um seinen Segen; Lawretzky grüßte sie schweigend und auch sie erwiderten seinen Gruß ebenso. Der Priester stand eine Zeit lang – dann fragte er leise, aber im tiefen Baß:

»Soll ich beginnen?«

»Beginnen Sie, ehrwürdiger Vater!«

Er begann seine Meßkleider anzulegen; ein Kirchendiener mit dem Chorhemd angethan, bat demüthig um Kohlen; ein Weihrauchdampf verbreitete sich rings umher. Aus dem Vorzimmer kamen die Kammermädchen und Bedienten und stellten sich als dichte Masse an der Thüre auf, Roska, die niemals die obere Etage verließ, erschien plötzlich im Saale; man wollte den Hund fortjagen, er erschrak aber, setzte sich nieder und fing an zu heulen. Ein Diener ergriff ihn und trug ihn fort. Die Abendmesse begann; Lawretzky drückte sich in einen Winkel; sonderbar waren seine Gefühle, sie waren fast traurig. Er selbst konnte nicht zergliedern, was er fühlte. Vor Allen stand Marie Dmitriewna neben einem Lehnstuhle, schmachtend und nachlässig schlug sie das Zeichen des Kreuzes, ganz nach der Art großer Damen. Bald sah sie um sich, bald erhob sie die Augen zur Decke, mit einem Worte: sie langweilte sich. Martha Timotheewna schien bekümmert; Nastasia Karpowna kniete bald auf die Erde, bald stand sie mit bescheidenem und leisem Geräusch auf; Liese verließ, sobald sie ihren Platz eingenommen hatte, ihn nicht mehr und machte keine einzige Bewegung. An dem, gleichsam in sich gelehrten Ausdruck ihres Gesichtes sah man, daß sie innig und heiß betete.

Als sie das Kreuz küßte, küßte sie auch die große rothe Hand des Priesters. Marie Dmitriewna lud ihn zu einer Tasse Thee ein; er nahm seine Stola ab, ein etwas weltliches Aeußere an – und ging mit den Damen in den Salon. Es entspann sich eine, nicht sehr belebte Unterhaltung. Der Priester trank vier Tassen Thee aus; trocknete fortwährend seine Glatze mit seinem Schnupftuche ab, erzählte unter Anderem, daß der Kaufmann Awoschnikoff 700 Rubel Silber geschenkt hätte, um die Kirchenkuppel zu vergolden, und theilte ein sicheres Mittel gegen Sommersprossen mit.

Lawretzky hatte sich neben Liese gesetzt, doch sie hielt sich ernst, fast streng, und blickte ihn kein einziges Mal an. Sie schien ihn mit Willen nicht bemerken zu wollen. Ein kalter, ernster Enthusiasmus war über sie gekommen.

Feodor Iwanitsch hätte gern gelächelt, etwas Spaßhaftes gesagt, er wußte selbst nicht warum; doch fühlte er eine geheime Verwirrung und ging in einem, ihm selbst unbegreiflichen Zweifel fort . . . Er fühlte, es läge Etwas auf Liese‘s Herzen, was es aber sei, das konnte er sich nicht erklären.

Ein anderes Mal saß Lawretzky im Salon und hörte den einschmeichelnden, aber schwerfälligen Redensarten Gedeonowsky’s zu; plötzlich aber wandte er sich, ohne selbst zu wissen: warum, zu Liese und überraschte einen tiefen, aufmerksamen, forschenden Blick derselben . . .Er war auf ihn geheftet, dieser räthselhafte Blick. Die ganze folgende Nacht dachte Lawretzky an ihn. Er liebte nicht, wie Knaben lieben, zu seinen Jahren paßte es sich nicht, zu seufzen und sich zu härmen; aber auch Liese flößte nicht solche Gefühle ein; in jedem Alter aber hat die Liebe ihre Qualen, und er fühlte diese im reichlichen Maaße.

Achtes Kapitel

Einst saß Lawretzky, nach seiner Gewohnheit, bei den Kalitins; nach einem schwülen Tage war ein so schöner Abend gefolgt, daß selbst Maria Dmitriewna, obgleich die größte Angst vor Zugwind hegend, alle Fenster und Thüren, die in den Garten gingen, zu öffnen befahl, und verkündete, sie wolle nicht Karten spielen, bei solch’ einem Wetter sei es eine Sünde, Karten zu spielen, und man müsse die Natur genießen. Von Gästen war Panschin allein da.

Auch auf ihn übte der Abend seinen Einfluß, und da er vor Lawretzky nicht singen wollte, aber dennoch einen Andrang von Künstlergefühlen hatte, so wandte er sich zur Poesie: er las gut, aber mit zu vielem Nachdruck und zu unnöthigen Intonationen, einige Gedichte von Lermontoff (Puschkin war es noch nicht gelungen, der Modedichter zu werden) vor, – mit einem Male aber begann er, sich an die bekannte »Duma« klammernd, das junge Geschlecht zu tadeln und ihm Vorwürfe zu machen, und versäumte bei dieser Gelegenheit nicht, auseinanderzusetzen, wie er nach seiner Art Alles umdrehen würde, wenn die Gewalt in seine Hände gegeben wäre.

«Rußland,« sagte er, »ist hinter dem übrigen Europa zurückgeblieben; man muß es aber vorwärtstreiben; es wird versichert, daß wir jung sind, – reiner Unsinn; ja, es fehlt uns auch an Erfindungsgabe; Chomiakoff selbst gesteht, daß wir nicht einmal eine Mausefalle erfunden haben. Unwillkürlich müssen wir also zu Andern unsere Zuflucht nehmen. »Wir sind krank,« spricht Lermontoff, – ich bin mit ihm einverstanden; doch wir sind krank, weil wir nur zur Hälfte Europäer geworden sind. Homöopathie ist uns nothwendig («la cadastre,« dachte Lawretzky). Bei uns,« fuhr er fort, »sind die besten Köpfe, – les meilleures têtes« – längst davon überzeugt. Alle Völker sind eigentlich gleich, matt führe nur eine gute Verfassung ein – und Alles ist gesagt. Man kann sich freilich an das schon existirende Volkswesen anschmiegen; das ist unsere Sache, die Sache (bald hätte er gesagt, der Staatsmänner) – der Beamten; doch seien Sie ruhig, die Einrichtungen werden bei uns das Volk schon umgestalten.«

Maria Dmitriewna gab ihm, ihn bewundernd, Recht; »was für ein kluger Mann,« dachte sie, »spricht bei mir!« Liese lehnte sich aufs Fenster und schwieg; Lawretzky schwieg ebenfalls. Martha Timotheewna, die in einem Winkel mit ihrer Freundin Karten spielte, brummte etwas vor sich hin. Panschin ging im Zimmer auf und ab, sprach in gewählten Ausdrücken, aber mit einer versteckten Erbitterung; er schimpfte, wie es schien, nicht über das ganze Geschlecht, sondern über einige ihm bekannte Persönlichkeiten. Im Garten der Kalitins, in einen Hollunderbusch, hatte eine Nachtigall ihr Nest gebaut. Ihre ersten Klänge schallten in den Pausen der begeisterten Rede, die ersten Sterne blinkten am rosenfarbenen Himmel, über den unbeweglichen Wipfeln der Linden.

Lawretzky stand auf und antwortete Panuschin; es entstand ein Streit. Lawretzky vertheidigte Rußlands Jugend und Selbstständigkeit; gab sich und seine Altersgenossen zum Opfer hin, – sprach aber das Wort der Jugend, ihren Ueberzeugungen und Wünschen. Die Antworten Panschin‘s waren gereizt und scharf, er sagte, die klugen Leute müßten Alles umschaffen, und ging so weit, daß er sein Kammerjunkerthum und seine Beamtencarrière vergaß und Lawretzky einen retrograden Conservativen nannte, ja sogar, obgleich sehr entfernt, auf seine zweideutige Stellung in der Welt anspielte.

Lawretzky ärgerte sich nicht, erhob nicht seine Stimme, (er erinnerte sich, daß auch Michalewitsch ihn hinter der Welt zurückgeblieben, aber Voltairianer genannt hatte) – und schlug ganz ruhig Panschin auf allen Punkten. Er bewies ihm die Unmöglichkeit, Sprünge zu machen, die Unmöglichkeit stolzer Umwandlungen, von der Höhe des Beamtenselbstbewußtseins herab, – der Umwandlungen, die weder durch Kenntniß der Heimath, noch eines wirklichen, obgleich negativen Glaubens an ein Ideal entschuldigt werden konnten; stellte als Beispiel seine eigene Erziehung hin, stellte vor Allem die Anerkennung dessen hin, was das Volk selbst fordere, und forderte Demuth, jene Demuth, ohne die das kühne Entgegentreten gegen Lug und Trug unmöglich sei; endlich entschuldigte er sich nicht vor dem seiner Meinung nach verdienten Vorwurfe, leichtsinnig Zeit und Kraft zu vergeuden.

 

»Das ist Alles wunderschön,« rief endlich Panschin mit Aerger aus: – »jetzt sind Sie nach Rußland zurückgekehrt, was beabsichtigen Sie zu thun?«

»Zu ackern,« erwiderte Lawretzky, »und mir Mühe zu geben, so gut als möglich zu ackern.«

»Das ist ohne Zweifel sehr lobenswerth,« erwiderte Panschin, »und man hat mir sogar gesagt, daß Sie darin große Fortschritte gemacht haben; gestehen Sie aber auch, daß nicht Jeder zu derartigen Beschäftigungen befähigt ist.«

»Une nature poétique,« sagte Maria Dmitriewna, »kann freilich nicht ackern . . . et puis, Ihr Beruf, Wladimir Nikolaitsch, ist Alles en grand zu thun.«

Das war selbst für Panschin zu arg; er wurde verlegen und gab der Unterhaltung eine andere Wendung. Er suchte das Gespräch auf die Schönheit des Sternenhimmels, auf Schuber‘s Musik zu lenken – doch es wollte nicht recht gehen. Er endigte damit, daß er Maria Dmitriewna vorschlug, mit ihr eine Parthie Piquet zu spielen.

»Wie! an einem so schönen Abende?« erwiderte sie mit schwacher Stimme, ließ aber doch Karten bringen.

Geräuschvoll erbrach Panschin ein Paket, Liese aber und Lawretzky standen, als ob sie sich verabredet hätten, auf und setzten sich neben Martha Timotheewna. Sie fühlten sich Beide mit einem Male so wohl, daß die Verwirrung, die sie die letzten Tage gefühlt, verschwand, um nie wieder zurückzukehren. Heimlich kniff die Alte Lawretzky in die Wange, zog schelmisch die Augen zusammen und schüttelte einige Male den Kopf, indem sie ihm leise zuraunte: »Ich denke, Du hast es dem Allweisen sehr gut gesagt.«

Alles im Zimmer ward ruhig; man hörte nur das schwache Knistern der Wachslichter und zuweilen, wie eine Hand auf den Tisch schlug, oder einen Ausruf, oder wie die Stiche gezählt wurden, – und als breite Welle ergoß sich, mit der Kühle des Thaues zugleich, durch das Fenster das mächtige, bis zur Kühnheit laute Lied der Nachtigall.