Nächte von Fondi

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Und die Armut seine Braut, schaltete Isabella trocken ein.

Aber jener ließ sich nicht stören, sondern fuhr in seinen mutwilligen Paradoxen fort, um zu beweisen, was sich selber widersprach, indem er Unvereinbares verknüpfte und phantastische Gedankenbrücken schlug, auf denen er unbekümmert über die Abgründe der Logik wegeilte. Dieser späte Mediceer hatte von seinen hochberühmten Ahnen, wenn auch nicht die Macht und Tiefe, so doch die Feinheit und Schnelligkeit des Geistes geerbt, die er zu zeigen liebte wie eine funkelnde Klinge, mit der der Fechter bald rechts, bald links springt, um jetzt einen Hieb abzufangen, jetzt eine bloße Stelle des Gegners zu treffen. Und da er schon in zartester Jugend am Hofe Leos X. seine Schulung genossen hatte, war es schwer, ihm zu stehen, zumal wenn er dann und wann die Künsteleien der höfischen Rhetorik mit einem plötzlichen Einfall gesunder Vernunft durchschlug, der geistreich und überraschend wirkte, bloß weil er natürlich war. Er hatte am Ende den Bischof so in die Enge getrieben, daß dieser einen scherzhaften Rückzug antrat:

Eure Herrlichkeit hat uns also bewiesen, daß alles, was ist, vollkommen ist und daß es nichts Schiefes noch Mißlungenes geben kann.

Insofern Gott die Vollkommenheit ist, – wollte der Kardinal beginnen. Da erhob sich am untersten Ende der Tafel eine krächzende Stimme, und eine zwergenhafte Gestalt, die einen großen Buckel wie einen Pack auf dem Rücken trug, kletterte plötzlich affenartig auf einen Stuhl, um sich in ihrer ganzen abenteuerlichen und schreckenerregenden Häßlichkeit vor der Gesellschaft bloßzustellen. Es war der Hofzwerg, der nach einem bekannten Riesen aus dem komischen Epos gewöhnlich der Margutte genannt wurde, ein herabgekommener Florentiner aus guter Familie, der in Fondi das bittere Brot des Spaßmachers aß, und der von den Hausgenossen, die er mit bissigen Reden verfolgte, seinerseits aufs grausamste gehänselt ward, mit einziger Ausnahme der gütigen Julia, die ihn in Schutz nahm, wo sie konnte. Das kleine Ungeheuer, das durch eine aufdringliche Kleidung noch abstoßender erschien, als Stiefmutter Natur es gemacht hatte, verbeugte sich von seinem Stuhl herunter und drehte sich in grausamer Selbstverhöhnung rundum, damit kein Bruchteil seiner Häßlichkeit verloren gehe, und rief mit einer Stimme, die an Dohlengekreisch erinnerte:

Betrachten Eure hochwürdigsten Gnaden dieses Werk des Schöpfers und sagen Sie uns, ob es wirklich nichts Mißlungenes gibt und ob Sie auch hier die Spur der göttlichen Vollkommenheit wiederfinden.

Der schöne Kardinal betrachtete den Kleinen aufmerksam, als ob er ihn noch nie gesehen hätte, und ohne eine Miene zu verziehen, von allen Seiten.

In der Tat, Meister Margutte, entschied er dann in anerkennendem Ton, für einen Zwerg bist du recht gut geraten.

Wieder erscholl das vielstimmige Glockenspiel des hellen Frauenlachens, vom Baß der Männer unterstützt.

Der Zwerg sprang zu Boden und schwang sich blitzschnell wieder auf den Sitzplatz, der für ihn durch mehrere Polster erhöht war, so daß seine kleinen Hände bequem den Teller erreichen konnten.

So will ich denn die göttliche Güte preisen, daß sie auch mich nach dem Ideal der Vollkommenheit – will sagen: der vollkommenen Krüppelhaftigkeit – gebildet hat. Aber, hochwürdigster Herr Kardinal, wie steht es um die göttliche Güte, wenn eine solche Vollkommenheit wie die meine zu grauen Haaren kommen muß und ein Liebling der Natur wie der göttliche Raphael in der Blüte sterben?

Ach, Raphael! seufzte eine ältliche Hofdame, die ihre Jugend in Rom verlebt hatte und es nicht vergessen konnte, daß der Unsterbliche ihr einmal bei der Messe in Sankt Peter mit einem bewundernden Blick das Weihwasser gereicht hatte. Raphael! wer ihn nicht gesehen hat, der hat das Glück nicht gesehen und nicht die göttliche Harmonie der Dinge, die einmal und nicht wieder herabstieg, sich in einem Menschenleibe zu verkörpern.

Ich habe ihn gesehen, versetzte der Kardinal. Er spielte mit mir, als ich noch um die Füße meines Oheims Leo kroch, und hat mich auch so gemalt. Später nahm der heilige Vater mich oftmals in seine Werkstatt mit. Gestalt und Stimme des Einzigen sind mir wie die eines Sonnengottes in der Erinnerung geblieben. Als ich dann hörte, Raphael sei tot, und den heiligen Vater weinen sah, da begriff ich es nicht, denn ich meinte, Raphael könne niemals sterben, wie die Sonne niemals auslöschen. Und hatte ich nicht Recht gehabt? Raphael ist nicht tot und von uns gegangen. Er lebt mitten unter uns, ich meine nicht nur in seinen Werken, die unsre Herrin ja nicht so abgöttisch liebt wie wir andern, weil sie sagt, er habe den Schmerz nicht gekannt. Sondern mit der ganzen bestrickenden Anmut einer Persönlichkeit, wie es keine vor ihm und keine nach ihm gegeben hat, die jetzt aber alle fühlen können, auch wenn sie nie in seine bezaubernden Augen geblickt haben, weil sein Wesen ringsum im Raume ausgegossen ist wie der Eindruck eines neuen, einzigen Wohlgeruches, der erst jetzt in der Welt ist und den man zuvor nicht kannte.

Und damit wäre nun auch das letzte Übel aus der Welt geschafft, der Tod, sagte der Bischof, indem er sich erhob. Nun bitte ich die Schloßherrin und Eure hochwürdigsten Gnaden um Verzeihung, wenn ich als der erste nach diesem schönen Abend aufbreche. Wie hoch man auch die Vorteile des Alters anschlage, so steht doch fest, daß ein Mann in meinen Jahren mit seinen Kräften haushalten muß.

Wie, Ihr wollt uns verlassen, Herr Bischof, bevor ich Euch noch ganz von Euren Ketzereien bekehren konnte? fragte der Medici.

Der Bischof wehrte lächelnd ab.

Entlasse Eure Herrlichkeit mich in Gnaden. Es ist schon so spät, daß es, wenn ich noch länger bliebe, früh sein würde. Ihr habt heute abend die drei schlimmsten Feinde des Menschengeschlechts, den Kummer, das Alter und den Tod, unschädlich gemacht, Ihr habt der Sünde die Tugend zur Tochter gegeben, was wollt Ihr noch mehr? Was Ihr auch ferner vorbrächtet, ich müßte zu allem Ja sagen, denn ich bin nicht Sokrates genug für einen solchen Alkibiades. Und somit verneige ich mich vor dieser erlauchten Gesellschaft, spreche der Herrin meinen Dank aus und wünsche allen eine angenehme Ruhe.

Auf dem Nachhauseweg sagte der alte Welt- und Seelenkenner zu sich selber:

Dieser junge Mann birgt unter der leichtfertigen Maske weitausschauende Pläne. Ob sie ihm gelingen werden? Er wäre eine Zierde für jeden ererbten Thron. Aber um Kronen zu gewinnen, muß man, fürchte ich, aus gröberem Stoffe sein. So darf man wohl einigermaßen für ihn bangen. Aber köstlich ist es doch, jung und sorglos sein und nach den höchsten Dingen greifen, auch wenn man darüber ins Unheil rennt. Alter Mann, geh schlafen.

Nach dem Abgang des Bischofs wurden auch die Pferde des Kardinals im Hofe vorgeführt.

Da sagte der Molza rasch zu diesem:

Meint Ihr nicht, gnädigster Herr, daß wir heute abend eine schlechte Rolle gespielt haben, indem wir vor diesem Kranz von Jugend und Schönheit nichts Besseres zu tun wußten als das Alter zu preisen? Sollen wir nicht diese Sünde am heiligen Geist schnell noch gut machen, indem zum Abschied jeder der Herren eine Rede auf die Schönheit hält?

Der Kardinal hatte längst bemerkt, daß der Dichter noch etwas auf dem Herzen hatte, womit er vor den Damen prunken wollte.

Geht nur voran, wenn es die Herrin gestattet, sagte er lächelnd, wir andern folgen Euch.

Nachdem jener sich von Donna Julia die Erlaubnis geholt hatte, verharrte er eine Weile mit geschlossenen Augen wie in tiefer Sammlung. Dann richtete er begeistert den Blick nach der Decke und sagte ein Sonett auf die Schönheit her, das für Stegreifdichtung gelten sollte, sich aber durch seine große Spitzfindigkeit als längst vorbereitet verriet. Es war so verschraubt und dunkel, daß niemand es ohne weiteres verstehen konnte, was indes dem Beifall keinen Abbruch tat. Als nächster kam der junge Porrino mit einer längeren Rede, für die er alle Blumenpracht der mythologischen Gärten plünderte und die im übrigen ihre Herkunft von der Platonischen Philosophie deutlich an der Stirne trug. Da nun die Reihe an den Podestà kommen sollte, entschuldigte sich dieser, daß er kein Redner sei und daß ihm schon die Bewunderung für das Genie der Vorredner den Mut benehmen würde, über einen Gegenstand noch etwas Neues zu sagen, den seit Jahrtausenden die Dichter aller Zungen gefeiert hätten. Dieses Amt müsse er dem fürstlichen Gast überlassen, der gewandter sei als er und jeder Aufgabe, die man ihm stellen könne, gewachsen.

Worauf der Kardinal schnell begann:

Wenn denn auch ich so spät noch ein Wort zum Ruhme der Schönheit sagen soll, deren irrender Ritter ich bin, so muß es mir vor allem gestattet sein, sie aus dem Empyreum, in das Freund Gandolfo sie erhoben hat, wieder herabzuholen und sie mitten hineinzustellen in unsere freudige Gotteswelt. Denn die Schönheit ist die Sprache, durch die der Schöpfer seine liebevollen Gedanken uns immerzu mitteilt, darum ist sie durch die ganze Schöpfung ausgegossen. Wie aber die Sprache nicht aus einem Laute besteht, sondern aus einer Reihenfolge von Lauten, so kann sich die Macht der Schönheit am besten in der Folge ihrer Erscheinungen, ich meine in der Bewegung, mitteilen. Alle Dichter Italiens haben die Schönheit Julia Gonzagas besungen. Sie haben uns ein ganzes Inventar ihrer Reize für die Nachwelt aufgesetzt. (Hier errötete der Porrino, denn er war der Schuldige.) Aber wird nun in hundert Jahren noch ein Mensch wissen, wie das war, wenn Donna Julia durch die Gärten von Fondi hinwandelte wie der Mond durchs Gewölke, oder wie sie den Nacken bog, um einen Hund zu streicheln? Homer sagt uns nicht einmal, welche Farbe die Augen Helenas hatten, aber sie hüllt ihr Haupt in den Silberschleier und steigt mit gerafftem Gewand leichtfüßig die Stufen zum skäischen Turm empor, daß die Greise ihr bewundernd nachschauen, und unsere eigenen Herzen fliegen mit und finden wie jene, daß das um sie vergossene Blut nicht zu kostbar war. Die Bewegung ist das innerste Geheimnis der Schönheit, sie ist die zehnte Muse, sie ist, was vor Gott und Menschen angenehm macht. Wie der Jäger keinen sitzenden Vogel vom Aste schießt, so soll mir der Dichter keine unbewegte, gefrorene Schönheit singen. Er singe mir den Falken im Flug, das Roß im Rennen, den Mann im Gefecht, die Frau im Hinschweben wie Donna Julia und die griechische Helena, er singe den Tanz der Sphären, die Welle, die sich bricht, den Baum, der sich im Winde biegt, die Flüchtigkeit des Zentauren, den Wasserfall, der in Farben zerstäubt –

 

Das alles hatte er in wachsender Geschwindigkeit gesprochen, daß die Worte nur so um ihn stoben, bis er notgedrungen Halt machte, um Atem zu schöpfen. Die kleine Pause benützend sagte Isabella schnell:

Um Gottes Willen, Herr Kardinal, wenn Ihr so fort macht, müssen wir fürchten, daß Ihr uns selbst wie der Wasserfall in Farben zerstäubet.

Geduld, schöne Frau, ich bin schon am Ende, antwortete er, indem er zugleich den Herren seines Gefolges mit den Augen winkte. – Da es nunmehr feststeht, daß es die Bewegung ist, was angenehm macht, so wollen wir die Erkenntnis alsbald in die Tat umsetzen, indem wir durch unsere Fortbewegung den Damen Gelegenheit geben, die Ruhe aufzusuchen, nach der sie sich schon lange sehnen.

Julia, mit der Raschheit seines Kommens und Gehens vertraut, reicht ihm die Hand, auf die er seine Lippen drückt, und mit allseitigem Dank für die Freuden dieses Abends verabschiedet er sich leicht im Kreise, dann sitzt er nach einer Sekunde schon als lebendes Beispiel der von ihm gepriesenen Beweglichkeit im Sattel, um dem drei Stunden entlegenen Bergstädtchen Itri zuzureiten, wo er für die Zeit seiner Jagdbesuche in dem dortigen Franziskanerkloster Wohnung zu nehmen pflegte. Wie der Hufschlag auf dem Straßenpflaster widerhallt, erhebt sich zugleich ein lautes Lebehochgeschrei in der Ferne: das sind die kleinen Leute von Fondi, die die halbe Nacht hindurch die Hauptstraße, durch die er kommen muß, belagert halten, um den freigebigen Herrn, von dessen Großmut für jeden etwas abfiel, zu ehren.

Müssen die Herren wirklich heute nacht noch bis nach Itri reiten? fragte eine der blonden Zwillingsschwestern, die selber kaum noch die Augen offen hielt, den aufbrechenden Podestà.

Man sieht, daß Ihr Seine hochwürdigsten Gnaden erst seit heute kennt, war die Antwort. Er ist imstande, zu Haus nur Kleid und Pferd zu wechseln und sein bedauernswertes Gefolge gleich mit auf die Jagd zu schleppen. Darum heißt es auch, daß es ebenso bequem wäre, dem Wirbelwind zu dienen, wie dem Kardinal Medici.

Und doch wird jeder, der in seinem Dienste war, immer gerne zu ihm zurückkehren, bemerkte der junge Porrino, dem auf einmal das Herz schwer wurde nach all den bunten Abenteuern, die er zu Rom im Palaste Medici zurückgelassen hatte.

*

Ihr Mauern von Fondi, zerfallende Türme der alten Feste, die ihr heute nur noch Strafgefangene beherbergt, vernehmt ihr nicht, wenn der Jahresring sich wieder schließt, zuweilen noch die Saitenklänge, das Lachen und Plaudern und Singen jener Wundernächte, in denen die holde Julia Gonzaga die Zügel der Freude in reinen Händen hielt und wo von Gaeta und Formia, von Trajetto und von noch weiter her alles, was an Adel, Geist und Schönheit Anspruch erhob, um den mächtigen Nepoten zusammenströmte, dessen Gunst nirgends leichter zu gewinnen war als in Donna Julias Nähe. Es gibt ja Klänge, die niemals ganz verwehen, immer kommt im Lauf der Jahrhunderte wieder einmal ihr Echo zurück und wird von Geistesohren aufgefangen. Die Nächte von Fondi haben solche Klänge geboren, die unvergeßlichen Nächte, wo die Dichter ihre Verse lasen, die Musiker ihre Lieder sangen, der Hof kleine Lustspiele aufführte und das Popolino in seiner genügsamen Weise an den Festen der Herrschaft teilnahm, indem es außen auf den gepflasterten Straßen nach der Musik, die aus dem Schlosse drang, im Sternenschein tanzte. Bis die Flügel des großen Portals aufgingen, den Blick in ein Meer von Licht eröffnend, Hufschlag erdröhnte und der Gefeierte auf seinem Berberhengst erschien, von Fackeln hinausbegleitet und gefolgt von Pagen und Kavalieren, die sein Geld unter die jubelnde Menge streuten. So lange er in Itri weilte, lebte das kleine Fondi in steter Erwartung, denn immer gab es etwas zu sehen, und wenn es nur die farbigen Diener waren, die den besten Teil der Jagdbeute, Fasanen, Schnepfen, Wildenten aus dem Sumpfsee, in die Schloßküche trugen. Der Medici war der Herr der Stunde und alle, hoch und niedrig, wollten eine Weile fröhlich sein in seinem Licht. Wo er nur hereintrat mit der freudigen Musik seines Wesens, da wuchsen den mattesten Geistern die Flügel. Auch solche, die ihm abgünstig waren oder aus strengeren Grundsätzen heraus seine wenig kanonische Lebensführung verurteilten, mochten doch gerne Eine Luft mit ihm atmen, als ob sie da dem Brennpunkt des Lebens näher wären. Bis auf die unmündige Kindheit und das vernunftlose Getier erstreckte sich seine Anziehungskraft.

Isabella, die eine Reise ins Mantuanische zu ihrem Schwiegervater vorhatte, weil dieser seinen kleinen Enkel kennen zu lernen wünschte, verschob ihren Aufbruch immer aufs neue. Wenn sie sich auch wenig mit dem Kardinal verstand, mochte sie doch Tage eines so gesteigerten Daseins nicht versäumen, Tage, von denen der Porrino spät noch in der Erinnerung sang:

Ja diese Zeit war heilig und vollkommen

Und dieses war das wahre Goldene Alter,

Glückselig wart ihr, Fondi und Trajetto.

Auch Julia wurde von der sanft wogenden Strömung fortgetragen, deren Rauschen sie einlullte. Sie ließ sich leise treiben und vergaß im Zauber des Augenblicks, was sie geängstet hatte. Von des Gastes gefährlichen Planen war nicht mehr zwischen ihnen die Rede. Wollte sie mit einem warnenden Worte darauf zurückkommen, so küßte er ihr dankbar die Hand und wendete sogleich das Gespräch. Solange er da ist, kann man sich auch nicht denken, daß er einmal nicht mehr sein könnte. Und wie er um seine Person die Enden der bekannten Erde zusammengebracht hat, die Steppe des alten Asiens und den neuen von Columbus entdeckten Weltteil, so scheint es, während man ihn sieht und hört, als könnte dem Liebling der Menschen und Götter nichts unerreichbar bleiben.

Die beiden beisammen zu sehen, war eine königliche Augenweide, denn nie blühte Julias Schönheit geheimnisvoller und verwirrender als in seiner Gegenwart, die alle Quellen ihres Inneren erschloß. Der Kardinal aber strömte mit jeder Bewegung das unwiderstehliche Etwas aus, mit dem er schon als Kind alles für sich gewann und das ihm jetzt die römische Jugend vergeblich abzulernen suchte, weil es angeboren sein muß, um zu wirken. An Abenden, wo die junge Welt im großen Festsaal neue Tänze einübt, sitzt die Witwe Vespasians mit ihrem hohen Gast in der Fensternische beim Schachbrett, und er berät sie, weil die Kräfte ungleich sind, mit seiner großen Liebenswürdigkeit, wie sie ihn schlagen kann. Wenn im Gobelinsaal die Kerzen angezündet und die Instrumente gebracht werden, singt er ihr Madrigale, die er für sie gedichtet und selber in Musik gesetzt hat. Für jeden Dienst, den er ihr erweisen darf, dankt er, als ob er selbst der Empfangende wäre, und jedes fremde Anliegen, das durch ihre Hände geht, ist im voraus gewährt. Nur dadurch, daß er seine Gefühle gar so offen zur Schau trägt, kann er ihre Stärke einigermaßen vor der Welt verschleiern, denn in der vornehmen Gesellschaft gelten noch die Reste der alten Rittersitte, und es gibt noch Voraussetzungen, die die üble Nachrede ausschließen. Eine solche hat der junge Kardinal geschaffen, indem er seine unbelohnte Liebe der schönsten Frau als einen Strahlenkranz um die Stirn legte, mit dem sie durch die Jahrhunderte geht.

Und doch war diese Frau, die sie wie eine Göttin feierten, weniger glücklich als die letzte ihrer Dienerinnen. Vom Ruhme ihrer Schönheit wurde ja ihr Herz nicht satt, sie war seiner von frühsten Jahren her gewohnt und teilte ihn mit allen Gliedern ihres Hauses, nur daß in ihr die höchste Blüte erreicht war. Wie alle tieferen Naturen hatte sie eine leise Vorahnung ihrer Geschicke wie die Erinnerung an ein vorausgewußtes und wieder vergessenes Künftiges, zur Welt gebracht, und frühe Prüfungen hatten sie lange vor der Zeit gereift. Als ihr Gatte starb, wurde sie samt Isabellen von seinen habgierigen Verwandten mit Waffengewalt aus ihrem Erbe getrieben, ihre Wiedereinsetzung kostete das Leben des Rodomonte. Und schon im ersten Jahr ihrer Witwenschaft war ihr der Mann begegnet, dessen bloßes Dasein ihr jeden Gedanken an eine neue Ehe unmöglich machte. Auf eine rechtmäßige Verbindung mit ihm durfte sie ja nicht hoffen, denn wenn er den Purpur ablegte und sie die Witwenschaft, so waren beide arm, ein Medici aber brauchte unermeßliche Mittel, besonders dieser. Wurde er Herzog, so war er ihr erst recht verloren, denn dann mußte er sein Herz, ob er wollte oder nicht, der Staatskunst opfern. Ihre Schwerblütigkeit, die ein Erbteil ihrer deutschen Blutmischung war, – in den Adern der Gonzaga floß Hohenzollernblut – zwang sie, den Geschicken auf den Grund zu denken, wo sie nicht einmal dem Wunsch erlauben durfte zu blühen. Frömmigkeit und Frauenwürde verboten ihr, den Fürsten der Kirche anders als mit entsagender Neigung zu umfassen, auch vergaß sie nie, daß sie eine Gonzaga war; der abgöttische Familienstolz dieses Geschlechtes hatte auch in dem Busen der sanften Julia einen Sitz. So zahlte sie das Wenige, was das Glück ihr geben konnte, mit dem teuersten Verzicht. Dieses Schicksal ihrer jungen Schönheit mit hoher Stirn und lächelndem Munde zu tragen, erforderte eine Seele, die stärker war als ihre ganze Umgebung, auch stärker als der Mann, um den sie die heimliche Marterkrone trug. Dieser war wohl fein genug, die Süße des ernsten Spieles auszukosten, hinter dem sich seine lange Erwartung barg, aber er vermochte nicht ihr in die Tiefe zu folgen, wo ihr stummes Leid wohnte. Sie mußte lächeln und spielen, mußte ihr Herz zusammenpressen, durfte nicht erröten noch erblassen, wenn sie den Abstand wahren wollte, innerhalb dessen er ihr gehören konnte. Daß ihr das gelang, verdankte sie einer besonderen Schamhaftigkeit des Herzens, die ihr verwehrte, von ihrem Leid, das doch immer gegenwärtig war, zu wissen. Das machte die Lieblichkeit ihres Lächelns so rätselhaft und ließ sie unter den leichten Freuden des Lebens, die wie Wellen um sie zerrannen, immer gleich unberührt und gleich begehrenswert.

*

Jetzt sehe ich die ganze Gesellschaft im Waldesschatten gelagert, mit solchem Glanze, wie die stillen Baumnymphen des Monte Passegnano noch keinen gesehen haben. Denn diesmal war der Medici der Veranstalter, er wollte die Gastfreundschaft des Schlosses mit einem seiner berühmten Waldfeste erwidern, über die sich die Römer, die noch gar nicht zur Naturfreude erzogen waren, als über die größte seiner Seltsamkeiten auf den Kopf zu stellen pflegten. Im Halbrund war eine Lichtung ausgehauen und mit kostbaren Tüchern umspannt, die alle das flammende Liebeswappen des Festgebers trugen: einen Kometen inmitten kleiner Sterne, der lange Strahlen wirft, und den Wahlspruch: »Sic micat inter omnes«, Ippolitos Huldigung an das alles überstrahlende Gestirn seines Lebens. Auch seinem seidenen Wams war er eingestickt und er wiederholte sich in einer Meistermedaille des Caradosso auf dem roten Barett, das neben ihm im Grase lag.

Die Gräfin hatte für dies eine Mal ihre Witwentrauer durchbrochen, sie trug ein weißes, golddurchwirktes Seidengewand und über den kunstreichen Flechten einen spinnwebdünnen Schleier aus Goldfäden wie den Goldgrund eines Heiligenbildes. Dieser Glanz vermochte ihre Schönheit nicht zu erhöhen, aber er schenkte sie dem Leben. Der Kardinal war heute nicht der einzige, der kein Auge von ihr wenden konnte. Seit zwei Tagen befand sich ein durchreisender spanischer Herr als Gast in Fondi, den sie Don Filippo und Fürsten von Sulmona nannten. Es hieß, daß er um Donna Isabella gekommen sei, als er aber Donna Julia erblickte, wurde seine abgemessene Förmlichkeit zur ehrfurchtsvollen Erstarrung und er kam nur wieder zu sich, um der Herrin von Fondi zum stillen Ergötzen des Hofes wie ihr Schatten nachzugleiten. Aus Höflichkeit hatte der Kardinal ihn mit eingeladen, doch ohne an seiner Anwesenheit Geschmack zu finden.

Die Mahlzeit war schon abgetragen und hatte keine Spuren im Grase gelassen. Negerknaben reichten das Handwasser umher und brachten Schalen mit eisgekühltem Getränk, dann verschwanden sie ehrerbietig hinter den Tüchern, die alle Zurüstungen des Festes den Augen entzogen. Die Gäste blickten erwartungsvoll, denn eine Pantomime war angekündigt, und was konnte es anderes sein als die Vermählung des Bacchus, die seit den Tagen des mediceischen Karnevals in Florenz Lieblingsgegenstand der höfischen Darbietungen geblieben war? Die Damen saßen auf straffen Polstern erhöht, die Herren auf Teppichen am Boden, und hinter der Gesellschaft bildete die türkische Leibwache in ihrer bunten Tracht einen Halbkreis von wundervoller Farbenwirkung, alle unbeweglich wie Bildsäulen.

 

Den besten Platz unmittelbar zu Julias Füßen nahm wie billig der Herr des Festes selber ein. Die andern hatten sich nach Wahl und Gutdünken gesetzt, denn hier außen gab es keine Etikette. Nur hatten sich's alle bei ihrer Ankunft gefallen lassen müssen, daß die Pagen des Kardinals sie mit leichten Waldkränzen schmückten, was dem nackten Schädel des Molza gar spaßig ließ und die gelbfahle Haut des Spaniers noch fahler machte. Dieser saß zerstreut und unaufmerksam bei Isabella und schien den Zweck seines Kommens gänzlich vergessen zu haben. Er hatte sich bei Molza um den Sinn des überall angebrachten Wahlspruchs erkundigt, in dem er eine Beziehung auf Donna Julia ahnte. Als Molza ihm sagte, die Worte seien einer Horazischen Ode auf den überhellen Kometen entnommen, der bei dem Tode Julius Cäsars schien, bemerkte Don Filippo mit großer Höflichkeit, der Herr Kardinal erweise sich durch diese Wahl in der Tat als der überlegene Geist, für den ihn die Allgemeinheit erkläre.

Wie meint Ihr das? fragte der Molza, der selber aus dem Schatze seiner klassischen Studien dem Gebieter diesen Spruch geliefert hatte.

Weil man starken Sinnes sein muß, um ein Himmelszeichen nicht zu scheuen, das einem so schreckensvollen Ereignis geleuchtet hat, antwortete der Fürst von Sulmona verbindlich.

Molza, der die Empfindungen des Gastes durchschaute, entgegnete lächelnd:

Das Wunderzeichen, das wir meinen, hat solche Segenskraft, daß alle böse Bedeutung von seinen Strahlen aufgezehrt wird.

Der Spanier preßte seine schmalen Lippen zusammen und blickte auf Julia, die in diesem Augenblick ihr schönes Haupt zu Ippolito herunterbeugte, und er beschloß mißlaunig, des anderen Tages abzureisen.

Jetzt hörte man aus der Ferne die ersten Paukenschläge, Gesang wie von hundert Kehlen kam den Berghang herunter, in Kehren sich nähernd und wieder entfernend. Man vernahm zerflatternde Fetzen des alten Bacchusliedes Lorenzos des Erlauchten. Dazwischen schwere und leichte Tritte, rollende Räder, Gelächter und dumpfes Brüllen, Gerassel von Becken und Schellen, den Lärm einer unbestimmten, aufgeregten Vielheit.

Da kommt der Gott der Freude, erklärte der Festgeber, zu seiner Dame hinaufblickend. Er kommt mit seinem Gefolge vom Indus her. Hört Ihr seine Panther brüllen? Er hat auf dem Gebirge gerastet, jetzt steigt er herab, um die Erde dem Glück zu erobern.

Als wir das Spiel zum erstenmal aufführten, flüsterte einer der Kavaliere in Isabellens Ohr, da spannte unser hochwürdigster Herr die lebenden Panther aus dem eigenen Zwinger vor. Das Landvolk am Nemisee erzählt noch heute davon. Aber Seine Heiligkeit wurde ungehalten, als Sie es erfuhr, und verbot das freie Umherführen wilder Tiere. Darum brüllen sie heute nur noch durch die Instrumente.

Jetzt ertönte der Lärm unmittelbar in ihrem Rücken. Man unterschied Faunengelächter, kleine Nymphenschreie und Gekicher und den lallenden Brummbaß des Silen, alles getragen von der Jubelmelodie des Bacchusliedes. Das berauschte Durcheinander klang so orgiastisch, daß Julia befremdet blickte. Wollte der Enkel das Ärgernis erneuen, das einst die Zornesblitze des Bruders Girolamo auf die mediceische Weltlust herabbeschwor?

Ihr habt uns, wie es scheint, eine recht unheilige Gesellschaft zugedacht.

Seid ganz ruhig, lächelte der Kardinal zu ihr hinauf. Es ist das lustige Gesindel der Naturwesen, das dem niederen Sinnenleben angehört. Sie ziehen ins Tal hinunter, wo ihr Platz ist, Ihr werdet nichts von ihnen zu sehen bekommen. In Donna Julias Nähe wagt sich nur, was göttlich ist.

Das Bacchuslied verhallte und es wurde einen Augenblick stille.

Dann setzte ganz in der Nähe unsichtbar eine Violine wie mit Menschenstimme ein, es klang wie ein Rufen und Suchen, ein schmelzendes und feuriges Werben, und nun kam auf sanft geneigtem Waldweg der Gott herab. Nicht als Griechengott angetan, sondern in reichen asiatischen Gewändern, nur an den vollen Traubengewinden und dem Stab mit dem Pinienapfel als Bacchus kenntlich. Kein Mann, ein Jünglingsknabe: er hat sich von seinem lärmenden Gefolge getrennt und geht abseits, von einer höheren Sehnsucht gezogen. In schönem, schwebendem Schritt, den die Musik regiert, kommt er heran; ein kleiner geflügelter Liebesgott mit verbundenen Augen führt den Sehenden, zwei Hinduknaben, die braune Haut mit Gold behängt, eilen ihm als Wegbereiter voran. Erst beim Näherkommen erkannten ihn die Gäste: es war des Kardinals Lieblingspage, der immer hinter seinem Stuhl zu stehen pflegte.

Ascanio! flüsterte Julia überrascht. Ich hatte noch nie bemerkt, wie schön er ist. Er darf es wohl wagen, den Freudengott zu verkörpern.

Gebt acht, flüsterte ihr Ritter zurück, gleich wird der Unterjocher finden, was ihn unterjocht.

Aus dem Waldgebüsch gegenüber erhob sich nachtigallengleich der Sang einer Flöte und antwortete der Geige mit ihrer schmelzenden Klage. Die Hinduknaben rissen ein Geflecht von Zweigen auseinander, das einen ins Dickicht gehauenen Zugang verhüllte, und am Ende des schmalen Weges auf einem natürlichen Felsenthron wurde die schlafende Ariadne sichtbar. Aber es war nicht die verlassene Geliebte des Theseus, sondern eine unberührte, heilige Menschenknospe von entzückendem Liebreiz. Die Flöte sang ihren ersten Liebestraum. Bei ihrem Anblick bleibt der Gott gefesselt stehen, er streckt die Arme gen Himmel, wie um dem Schöpfer dieses Wunderbildes zu danken und kann nicht vor- noch rückwärts. Da erhebt sich die Holdselige wie von unsichtbarem Magneten gezogen; mit allen Gliedern an die Flötentöne gebunden, bewegt sie sich leise dem Gott entgegen, doch ohne den Platz zu verlassen, nur wie eine Wasserlilie, die von der Strömung getragen wird, aber im Grunde haftet. Sie schläft im Tanzen und sie tanzt ihren Traum. Nun setzt die Geige wieder ein und führt mit der Flöte melodische Zwiesprach, bis sie vermählt zusammenklingen und die zwei Schönen sich mit einem Male umschlungen halten. Doch das Mädchen schreckt erwachend auf und reißt sich los, er folgt ihr, umfaßt kniend ihre Knie, sie strebt hinweg und eine Zeitlang scheinen sie sich trotzig zu meiden, bis sie sich zaghaft wieder zu ihm kehrt. Sie nähern ihre Gesichter einander, ein erster Kuß, noch schüchtern und ungeschickt, denn auch der Götterjüngling zeigt sich als Neuling in der Liebe, aber schnell folgt ein zweiter feuriger, der vielen der männlichen Gäste zu lang dauerte, denn sie riefen in einer Anwandlung von Eifersucht: Genug! Genug! Während ein Wonnesturm durch alle Blas- und Saiteninstrumente raste, hob der Gott die Geliebte auf, die ihr Gesicht an seiner Wange verbarg, und entführte sie durch das Gezweige wie in ein verborgenes Brautgemach.

Jubelnder und ergriffener Beifall folgte ihnen; auch das hartgesottenste Herz war vor der Reinheit und feurigen Innigkeit dieses Spieles zerschmolzen, und in manchem Auge glänzte eine Träne. Da hörte man Donna Isabellas schneidende Stimme fragen:

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