Nächte von Fondi

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Die Zeiten meiner Vorfahren waren andere, göttliche Donna Julia. Heute gibt es keine Gleichheit mehr, nur ein Oben und Unten, und wer sich zur Taube macht, den holt der Falk. Auch handelt es sich nicht um mich allein. Das große Rom ist nur ein großes Dorf, schlecht gepflastert und schmutzig, eine Höhle für Räuber und Kurtisanen. In Florenz wurde die neue Gesittung geboren, von meinen Ahnen empfing sie Taufe und Prägung. Das schließt für den Enkel eine Verpflichtung ein. Ich will die Götter zurückführen, die der rohe Neger vertrieben hat.

Waren sie nicht zuvor schon ausgewandert? Ich fürchte, Ihr würdet auch dort die Dinge nicht finden, wie Ihr sie Euch ausmalt.

Warum nicht, meine strenge Herrin?

Weil die großen Menschen fehlen, die wie Halme um Eure Vorfahren wuchsen, und weil Einer allein, auch mit Euren Gaben, kein neues Zeitalter schaffen kann.

Der Genius eines Volkes ist immer gegenwärtig, man darf ihm nur die Flügel stärken. In der Anarchie verkommt er und im Despotismus auch. Unter meinen Händen wird er wieder erwachen, Florenz wird wieder die frohste und geistreichste aller Städte werden, wie sie es unter meinem Ahnherrn Lorenzo war. Dann wird Eine, die mich jetzt voll Schrecken anblickt, an meiner Seite lächeln.

Die junge Frau schließt die Augen wie von einem inneren Schwindel erfaßt. Herzogin von Florenz an seiner Seite! O, ihr Sirenenstimmen des Glücks! Aber sie darf ihn nicht träumen, diesen betörenden Traum, nicht eine Minute lang, wenn sie sich nicht selber verlieren soll. Zum Thron gibt es für eine Frau nur zwei Wege: den der fürstlichen Erbtochter und den der großen Kurtisane. Für eine Julia Gonzaga führt keiner da hinauf. Deshalb geht sie über seine Worte hin, als ob sie ihn nicht verstanden habe.

Denkt Ihr denn, daß Euch der andere jemals gutwillig den Platz räumen werde?

Ippolito zuckt die Achseln.

Unser Haß ist so alt wie wir selber. Als wir gemeinsam unter Leos Augen im Borgo erzogen wurden, verging kein Tag ohne eine Schlacht. Schon damals war mir die Mohrenfratze in den Tod zuwider. Einmal muß es zwischen uns zum Austrag kommen.

Und die Späher des Herzogs, sind sie nicht jetzt schon am Werk? Seid Ihr vor seinen Nachstellungen sicher?

Der Kardinal schüttelt den Kopf zu ihren Besorgnissen.

Er hält mich für einen Weichling, weil ich Kunst und Wissenschaft liebe, die der Tölpel verachtet. Und das ist gut. Er ahnt nicht, welche Lasten von Waffen bei mir im Hause aufgehäuft sind und wie viele noch immerzu unter Ballen von Goldstoff und Gobelins hereingeschafft werden. Genug, um das ganze unglückliche Florenz, dem er sogar die Küchenmesser genommen hat, neu zu bewaffnen bis an die Zähne, nicht nur einmal, nein zweimal, dreimal.

So denkt Ihr ihn gewaltsam zu beseitigen?

Keineswegs. Wir wollen dem Kaiser die Mißstände vorstellen und seine friedliche Entfernung fordern. Das müssen die Verbannten übernehmen. Seine Majestät wird begreifen, daß den Florentinern, wenn man sie zur Verzweiflung bringt, nichts übrig bleibt, als sich dem König von Frankreich in die Arme zu werfen, und Schlimmeres könnte Karl nicht widerfahren. Ist er so vorbereitet, so werde ich ihm beweisen, daß ich in Florenz keinen Feind habe, ausgenommen den, der der Feind aller ist.

Wozu dann die vielen Waffen in Eurem Hause?

Die braucht jeder, der etwas Großes vorhat, antwortet er obenhin.

Ich fürchte, Ihr habt Euch in tödliche Dinge eingelassen, und Ihr vermehrt die Gefahr, indem Ihr sie so sorglos aussprecht.

Er blickt sie lange und lächelnd an:

Wenn ich Eurer Freundschaft nicht sicher wäre, Donna Julia, was gäbe es da für mich noch zu verlieren? Aber jetzt laßt mir Euren holden Mund keine böse Vorbedeutung mehr reden. Versprecht mir, zu vergessen, womit ich Euch erschreckt habe, bis ich Euch meinen Sieg melden kann.

Wie soll ich die Gefahr vergessen, die Ihr im Begriffe seid, heraufzubeschwören?

Indem Ihr meinem Stern vertraut, er hat schon durch manches Wetter geleuchtet. – Ihr wißt, Donna Julia, daß ich einem ungesetzlichen Bund entstamme. Aber das wißt Ihr nicht, daß meine Mutter, um von ihrem erlauchten Hause den Makel zu wenden, mich nach der Geburt mit verbundenem Mund einem Diener gab, daß er mich ins Wasser werfe, wie man junge Katzen ersäuft. Der Mann floh heimlich aus Urbino und brachte mich nach Florenz an meines Vaters Hof, der mich mit Freuden anerkannte. Als dann später beim Sturz meines Hauses die Signoria dem unmündigen Knaben auf die Reise ins Exil ihre Meuchelmörder mitgab, um ihn unterwegs zu beseitigen, da rettete der unmündige Knabe sich selbst und seine Begleitung. Und die Lucchesen, die ihn aufnahmen, gewann er so für sich, daß sie den Mördern seine Herausgabe verweigerten. Seitdem hat mich der Tod so oft gestreift, daß wir gute alte Bekannte sind. Ihr seht wohl ein, daß das Schicksal mit keinem soviel Umstände macht, den es nicht für etwas Großes aufspart. – Julia, unter den Verbannten war ein alter Mann mit schneeweißem Haar, ein ehemaliger Gesandter der Republik; er sollte ihr Sprecher sein. Aber er konnte nur beginnen: Florenz – dann versagte ihm die Rede, und er lehnte sich weinend gegen den Tisch. Wenig fehlte, so hätte ich mitgeweint.

So sehr liebt Ihr, was Euch nur Übles tat?

Es ist mein Los zu lieben, was mir Übles tut. Zwei Frauennamen brennen mir immerdar in der Seele: Fiorenza, meine erste Braut, die mich einst verstieß und die dann ein wildes Tier vor meinen Augen wegschleppte, und Julia, die sich mit einem dreifachen Wall gegen mich umgürtet. Der Tag wird kommen, wo ich mir die eine mit der anderen gewinne. Sollte es aber anders ausgehen, so gibt es Hände, die mich rächen werden.

Soll das ein Trost für Eure Freunde sein? will Julia erwidern, doch die Bewegung reißt ihr die Worte vom Mund.

Wenn Donna Julia in diesem Tone mit mir spricht, so könnte sie die Memme aus mir machen, als die sie mich haben will. Wenn ich ängstlich sein muß, so bin ich schon so gut wie tot. Doch hier kommt zum Glück Euer Haushofmeister, um Euch anzukündigen, daß ein Schwarm von Besuchern eingetroffen ist.

Es war Gandolfo Porrino, ein Poet von beginnendem Rufe, blutjung und blauäugig, der vor kurzem aus dem Dienste des Kardinals Medici in den Julia Gonzagas überging und der nun in Fondi das doppelte Amt eines Sekretärs und Haushofmeisters versah. Er vor allem gibt dem kleinen Hof das literarische Ansehen, um das ihn manche größeren Höfe beneiden, und mit seiner Abtretung hat der Kardinal, der zuerst sein Talent entdeckte, kein geringes Freundschaftsopfer gebracht.

Während Julia ihren Gästen entgegengeht, noch blaß von dem Gehörten, küßt Porrino seinem bewährten Gönner die Hand, der ihn mit gewinnender Güte begrüßt:

Freund Gandolfo, ich wußte schon, daß die Sonne von Fondi deine Poesie zum Blühen gebracht hat, jetzt sehe ich mit Vergnügen, daß sie auch dem Poeten selber zugute gekommen ist.

Eure Herrlichkeit irrt sich, erwidert der Porrino, der auf seine Dichterrechte pochend aus seiner Vergötterung für die schöne Herrin kein Hehl macht. Die Sonne von Fondi hat eine zwiefach verderbliche Kraft, sie trocknet die Gehirne aus wie sie die Herzen in Brand setzt.

Wem sagst du das? Wir Gäste von Fondi leiden alle am gleichen Sonnenstich, lächelt der Kardinal und wendet sich an Donna Isabella, die in diesem Augenblick in einem Kranz von Damen den Garten betritt.

Donna Isabella ist Julias gleichaltrige Stieftochter und Schwägerin, die den Witwensitz in Fondi teilt, denn sie hat wie jene schon früh den Gatten verloren. Sie gilt gleichfalls für schön, wenn sich auch in ihren etwas harten Zügen schon die Ähnlichkeit mit dem Vater ankündigt, der ein sehr häßlicher Mann gewesen. Auch hat sie eine rauhe männliche Stimme, die noch zudem bei den hohen Tönen ins Schneidende fällt. Aber ihr Witz und ihre Munterkeit, womit sie Julias natürliche Schwermut überfunkelt, sorgen dafür, daß sie neben der großen Schönheit nicht allzusehr im Schatten steht.

Zwischen ihr und dem Kardinal Medici herrscht ein eigenes, von ihrer Seite etwas gespanntes Verhältnis. Vespasiano Colonna hatte in seinem Testament eine Verbindung seiner einzigen schwerreichen Tochter mit dem Neffen des Papstes vorgesehen, und nur für den Fall, daß diese Heirat sich zerschlüge, sie einem der Brüder Juliens zugedacht. Julia aber wußte, die erste Bestimmung umgehend, die Augen des jungen Mädchens auf ihren vielgeliebten ältesten Bruder Alvise hinzulenken, der, für die Rechte beider Frauen gegen die Habgier der Colonnesen stritt und den die Zeitgenossen seiner unbezähmbaren Tapferkeit wegen den Rodomonte nannten, ein Name, der damals noch nicht den schlimmen Beigeschmack hatte wie später. Die Liebenden vermählten sich insgeheim, aber der Papst ergrimmte tödlich, als er es erfuhr, er wollte die Ehe umstoßen und bedrohte alle Beteiligten mit seiner Rache. Mittelbar hatte Isabella dadurch auch das Geschick Ippolitos, den sie noch gar nicht kannte, entschieden. Denn nach Entgang der Riesenmitgift wußte sich Clemens, der schwerkrank darniederlag und zu sterben fürchtete, bevor der Neffe versorgt war, keinen Rat, als diesen schnell auch gegen seinen Willen durch den Kardinalshut mit unermeßlichen Einkünften zu entschädigen. Isabella hatte ihre Wahl nicht zu bereuen, der liebenswürdige Rodomonte trug sie auf Händen, bis ihn im ersten Vaterglück vor Vicovaro die verräterische Kugel seines Erzfeindes Orsini traf. Erst nachträglich ging es ihr auf, welche Rolle sie an der Seite des glänzenden Nepoten als die erste Dame Roms gespielt hätte. Allgemein aber hieß es, der junge Medici – weit entfernt, die Benachteiligung zu verübeln – habe selber die Heirat seines vorgezogenen Rivalen begünstigt und den Papst mit dem geschehenen Schritte ausgesöhnt, weil er sich aus Isabella samt ihrer Mitgift nichts machte, den Rodomonte aber hoch und wert hielt. Und wer, der das Schöne liebte, hätte den Rodomonte nicht lieben müssen, den Sängerhelden, den Freund Ariosts, der so unbändig focht und so zarte Lieder sang? Von diesem Dienste aber blieb in Isabellas Seele ein Stachel zurück, der sie auch dann noch reizte, als jener längst schon Kardinal von Santa Prassede, apostolischer Legat und Vizekanzler hieß und somit kein Gegenstand für Heiratspläne mehr war. So oft nun sie und der Kardinal beisammen sind, entspinnt sich nach kurzem ein kleines Geplänkel, das von seiner Seite mit heiterer Anmut, von der ihrigen nicht ohne eine gewisse Herbheit geführt wird. Schon in der übertriebenen Ehrfurcht, mit der sie den jungen, so ganz unkirchlichen Kirchenfürsten begrüßt, als ob er von lauter Heiligkeit umweht wäre, liegt eine ganz leise Bosheit, die von ihm mit ebenso überschraubter Beflissenheit beantwortet wird.

 

*

Im Schlosse findet heute großer Empfang aus dem Stegreif statt. Mit dem Bischof von Fondi, der zu den nächsten Hausfreunden gehört, sind noch andere geistliche Würdenträger erschienen, um dem Neffen des Papstes ihre Aufwartung zu machen, dessen Ankunft blitzschnell in Stadt und Umgebung bekannt geworden ist. Sie haben bei der Begrüßung den Vortritt, dann kommt der Hofstaat der beiden Fürstinnen an die Reihe. Der nachlässig gekleidete ältere Herr mit der Glatze und dem geistreichen Gesicht ist der berühmte Gelehrte und Dichter Francesco Maria Molza, in Diensten des Kardinals, aber seit einigen Wochen als Gast nach Fondi beurlaubt. Er verdient, daß wir ihn etwas näher betrachten, denn er trägt einen der ruhmreichsten Namen seiner Jahrhunderthälfte und ist ein Unikum unter den Literaten seiner Zeit, weil er von allen geliebt wird. Sein Zauber als Mensch und Dichter liegt in einer liebenswürdigen humoristischen Ader, mit der er gerne sich selber und die Dinge zum besten hat, aber niemals andere schädigt. Jedoch nicht ihr verdankt er das literarische Ansehen, sondern seinen überkünstlichen, ernsthaften Sonetten, worin die Geschwollenheit und gewollte Dunkelheit der Zeitmode ihren Gipfel erreicht hat. An dem jungen Medici hängt er mit ebensolcher Verzückung, wie vordem der größere Dichter Polizian an dessen größerem Ahnherrn Lorenzo. Darum ist er von allen Schmeichlern des ehrgeizigen Jünglings der gefährlichste; er schmeichelt weniger um seines Vorteils willen als aus blinder, abgöttischer Liebe und geht vor ihm her wie die lebendige Posaune seines Ruhms. Gleichwohl können die zwei sich nie auf die Dauer vertragen, weil die vielen Liebeshändel und Herzensunruhen, für die der angejahrte Herr von Zeit zu Zeit seinen jugendlichen Gebieter um Nachsicht angehen muß, ihn immer wieder aus dem Geleise werfen. Und wie verständnisvoll dieser auch den zarten Punkt behandelt, die Geduld gehört nicht zu den Tugenden Ippolitos, der, was er anordnet, zugleich schon getan sehen möchte. Auch tut des Dichters ständige Geldnot der Freigebigkeit des Kardinals Unrecht und läßt sich auf keine Weise beheben, weil ihm alles, was er einnimmt, unter den Fingern zerrinnt. Trotz seiner Zerfahrenheit ist er aber doch der verhätschelte Liebling der Gesellschaft; auch die sittenstrenge Julia Gonzaga sieht ihm seines goldenen Herzens wegen seine Schwächen nach. Natürlich glüht er nicht minder als der Porrino für die schöne Schloßherrin und feiert sie in Sonetten, neben deren Gesuchtheit die des Medici noch einfach und natürlich genannt werden müssen. Der Lieblingsgegenstand seiner Muse aber bleibt der hohe Freund und Gönner selbst. Er läßt es sich auch nicht nehmen, ihn gleich mit einer überschwenglichen Ansprache zu begrüßen. Denn obschon die Beurlaubung nach Fondi eine gnädige Form der Ungnade war, so freuen sich doch beide Teile beim Wiedersehen. Ippolitos kirchliche Würden beiseite lassend, feiert er ihn als Heerführer und Besieger des Halbmonds, als Hort der Wissenschaft, als Dichter und Musiker und feinsten Kenner aller musischen Künste. Er nennt ihn die letzte Blüte des Rittertums, den Arbiter elegantiarum, den Fürsten der Jugend, die Synthese des Hauses Medici, und in den Kugeln seines Wappens erkennt er die Abkömmlinge der Hesperidenäpfel.

Der Kardinal nimmt den Schwall mit gewohnter Huld entgegen, und man setzt sich auf der Terrasse, über die der Meerwind streicht.

Währenddessen haben sich zwei junge Mädchen, Zwillingsschwestern, die zur höfischen Erziehung in Fondi weilen, mit dem Hunde geneckt, bis dieser zu bellen anfängt und von seinem Herrn an seine Seite gerufen werden muß.

Wie kommt der Hund zu dem poetischen Namen? fragt Isabella spöttisch, das gutmütige Tier, das schon wieder zutraulich zu den Füßen der Damen liegt, an den Ohren zausend.

Weil er ein tapferer Heide ist, gnädigste Frau, wie der Held des Ariost. Aber vor Wien verließ er die Sache des Propheten und seinen ungläubigen Herrn und schloß sich mir an. Seitdem sind wir Ein Leib und jede Huld, die Eure Herrlichkeit ihm erweist, werde ich als mir selber widerfahren betrachten.

Isabella zieht ihre liebkosende Hand so schnell zurück, daß alle lachen.

Pfui, ein Überläufer. Aber sagt uns, Herr Kardinal, die vielen Türken und Mohren, mit denen Ihr zum Erstaunen der Christenheit Eure hochwürdigste Person umgebt, haben die sich auch von der Sache des Propheten losgesagt?

Das nicht, gnädigste Frau. In die Gewissensangelegenheiten meiner Leute mische ich mich nicht. Ich halte von allen Völkerschaften der Erde Musterproben in meinem Hause. Diese habe ich als die treusten und tapfersten erfunden. Ich würde fürchten, daß sie mit ihrem Glauben auch ihre Gesinnung wechseln könnten.

Darum heißt es auch, Ihr seid schon selber ein Muselmann geworden. Nicht umsonst träumte ich neulich, ich sähe Euch im Turban durch die Tür treten.

Wenn ich die Ehre haben darf, durch Donna Isabellas Träume zu gehen, so will ich auch für eine Nacht den Turban in Kauf nehmen.

Donna Isabella wechselt unter seinem Blick die Farbe und ärgert sich über diese Schwäche, daher sie mit einiger Schärfe entgegnet:

Ich bitte Eure Hochwürden, den Fall nicht zu erweitern. Es geschah nur das einemal und vielleicht war es eine Verwechslung.

Neue Gäste unterbrechen das Scharmützel. Einem anderen würde der Andrang zur Last, aber dem Medici ist solcher Mondhof zur Gewohnheit geworden, ja er würde ihn vermissen, wenn er fehlte, da er seit frühester Jugend im Mittelpunkt der Gesellschaft gestanden und immer nur Verpflichtete um sich gesehen hat, darunter viele von den ersten Namen seiner Zeit.

An der Mahlzeit aber, die in dem kühlen, hochgewölbten Saale der Arazzi stattfindet, nehmen außer dem Hofstaat nur noch der Podestà und der Bischof, sowie die beiden diensttuenden Edelleute des Kardinals teil. Dem prachtliebenden Gaste zu Ehren ist der kostbarste Tafelschmuck des Hauses Colonna aufgestellt und alles mit späten Blumen bestreut. Isabella prangt überreich in dem berühmten Familienschmuck der Colonna, den Julias Güte ihr überlassen hat. Diese selbst, die kein Juwel noch schöner machen kann, trägt nur eine frischerschlossene Rose auf der Brust. Ihren herrlich blühenden Nacken, der jeden Schmucks entbehrt, kann der verschwenderische Ippolito nicht ansehen, ohne den Wunsch, ihn mit preislosen Perlenschnüren behängen zu dürfen. Er möchte am liebsten alle Schätze des Orients über die angebetete Frau ausschütten und ihre Fußstapfen in Gold fassen, während es doch nur Erzeugnisse des Geistes sind, was er ihr zu Füßen legen darf.

An der hufeisenförmigen Tafel sitzen nach einem von Donna Julia eingeführten Brauche die Kavaliere an der äußeren, die weniger zahlreichen Damen an der inneren Seite, daß hinüber und herüber sich nur die Geister berühren und das Gespräch zu einem höheren Ganzen zusammenklingt. Die Gegenwart des Medici wirkt wie Schaumwein auf die Gesellschaft. Ein Redefeuerwerk sprüht auf und zuckt von der einen Seite der Tafel zur anderen hinüber, von der zungenschnellen Isabella immer frisch genährt. Tolle Geschichten werden erzählt, bei denen auch kleine Anzüglichkeiten mit unterlaufen, aber in eine so blumenreiche Sprache verhüllt, daß die Damen in die Heiterkeit mit einstimmen können, ohne zu erröten. Das Lachen läuft wie ein reingestimmtes Glockenspiel die Reihe der Damen hinab, von dem männlichen Baß Isabellas über Julias klangschöne Mittellage bis zu den Silberglöcklein der beiden Zwillingsschwestern, die mitlachen, ohne zu verstehen. Molza, wieder zu Gnaden angenommen, gibt seine komischen Abenteuer, ohne sich selbst zu schonen, preis, doch ist er zu sehr Hofmann, um nicht in Gegenwart des Herrn das eigene Licht ein wenig zu dämpfen. Auch der Podestà, der der Herrin die erzwungene Begnadigung des Verurteilten ein wenig nachtrug, taut heute abend auf. Nur der Bischof bleibt in der feinen Zurückhaltung, die Jahre und geistliches Ornat ihm auferlegen, und unterstützt das Bestreben der Schloßfrau, die überschäumende Fröhlichkeit in ihren Ufern zu halten. Er hat sich mit dem Molza in eine Streitfrage über den Wert des Jahrhunderts, in dem sie leben, verwickelt, und nun beteiligen sich alle leidenschaftlich an dem Für und Wider. Jener hat es als das herrlichste von allen gepriesen, noch herrlicher als die Blütentage von Hellas, da es gleichzeitig deren Werke zurückgewonnen und sie durch eigene Werke übertroffen habe, und er läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, eine Huldigung für das Haus Medici einzuflechten.

Sind wir nicht glücklicher, die wir die Tage Leos X. und Clemens' VII. gesehen haben, als die Zeitgenossen des Perikles, der doch nur einer war und nicht über seine Lebenstage hinauswirken konnte, während in diesem glorwürdigsten Geschlecht der Vater dem Sohn und Enkel, der Oheim dem Neffen die Fackel des Genius herunterreicht?

Der Bischof aber entgegnete seufzend, so glänzend von vorne gesehen die Medaille, so häßlich und trostlos sei die Kehrseite. Und er gab zur Bekräftigung seiner Worte unterschiedliche Proben von der Verworfenheit der Zeit, besonders des Klerus, zum besten, die von dem Molza für komische Erfindungen im Stil des Aretino erklärt wurden.

Der Aretino braucht nichts zu erfinden, bemerkte hier lächelnd der Kardinal. Es ist alles, was seine Darstellung reizt, in Vollkommenheit vorhanden, daß er nur zugreifen darf. Aber soll man daraus schließen, daß die früheren, vielgepriesenen Zeiten so viel besser gewesen wären als die unsrige oder nicht vielmehr, daß wir aufrichtiger sind als jene? Und wenn es wahr ist, daß die Aufrichtigkeit eine Tugend ist, wie doch allgemein behauptet wird, so wäre unser Jahrhundert vermöge seiner Lasterhaftigkeit tugendhafter als alle früheren. Worin wir die Güte Gottes nicht genug bewundern können, die auch aus dem Schlechten das Gute schafft.

Auch wollen wir nicht vergessen, fügte Molza hinzu, daß die Menschen von jeher die Zeit, in der sie gerade lebten, als die allerschlechteste bezeichnet haben. Zu Dantes Zeit ging die florentinische Jugend noch im altväterischen Lucco und hatte noch kein spanisches Wams gesehen. Die Schlacht von Pavia hatte noch nicht die greuelvollste aller Seuchen, die das Schandmal der Liebe ist, in unserem Vaterlande eingeschleppt und schon klagte er über Schamlosigkeit und tiefsten Verfall und drohte mit der Rute Gottes.

Worin man ihm nicht ganz unrecht geben wird, wenn man an die Erzählungen des Dekamerone denkt, warf der Podestà ein.

Uns aber erscheinen Vater Dantes ferne Tage als ein schlichtes und strenges Patriarchentum. Und so ist es zu allen Zeiten gewesen: je mehr wir uns von der Vergangenheit entfernen, um so mehr rückt sie uns in ein sittlich reines Licht.

Was lernen wir daraus, seufzte der Bischof, als daß die Welt zu allen Zeiten schlecht gewesen und daß vielleicht jener große Athener recht hatte, der sagt, Nichtgeborensein wäre das beste, das zweitbeste aber früh zu sterben.

Nun aber ergreift der Kardinal das Wort:

Was mich betrifft, so habe ich das Geborensein stets für die vorzüglichste aller Einrichtungen angesehen. Ich halte dafür, daß das Leben zu allen Zeiten herrlich gewesen ist und daß es zu verachten eine Verirrung wäre, deren ich einen erleuchteten Geist wie unsern Herrn Bischof nicht im Ernste fähig glaube. Sonst wäre er in meinen Augen ein schlimmerer Ketzer als der deutsche Mönch Martinus, der Papst und Kaiser schwitzen macht. Denn wenn es schon für ein Anzeichen schlechter Erziehung gilt, ein wohlgemeintes Geschenk mit saurer Miene zu empfangen, um wie viel schlimmer müßte es sein, dem Schöpfer keine Freude zu bezeugen für das höchste Geschenk, das Leben, ohne das es ein anderes Geschenk überhaupt nicht geben könnte. Und alle die schönen herrlichen Dinge, die er für uns erschaffen hat, daß wir sie uns zueignen sollen mittelst unserer Sinne, durch Augen und Ohren, durch Geruch und Tastsinn, machen sie nicht das Leben zu einem fortwährenden Gottesdienst und uns gewissermaßen selbst zu Göttern?

 

Aber die Götterstunden gehen vorüber, Herr Kardinal, entgegnete ihm Donna Julia, und all die schönen, herrlichen Dinge, von denen Ihr sprecht, sind inwendig voller Tränen.

Und die Tränen, göttliche Donna Julia, sind sie nicht selber auch eine Lust? Machen nicht gerade sie mich zum Besitzer des Gegenstandes, um den ich weine? Arm ist nur, wer nicht empfindet.

Demnach wäre auch unglückliche Liebe eine Seligkeit? fragt Gandolfo Porrino.

Die größte, die ich weiß, nach der glücklichen. Ihr sagt, Donna Julia, alle Lust sei mit Leid durchtränkt? Ich sage umgekehrt, jedem Leid liege eine geheime, tiefe Lust zugrunde.

So gäbe es nach Euer Herrlichkeit Ansicht überhaupt kein Übel auf der Welt? fragt der junge Poet.

Das Übel geht vorüber, das Gute dauert. Wir haben die Plünderung Roms durch Spanier und Deutsche erlebt, der wüste Blutstrom ist verronnen. Aber der Bau St. Peters wächst in die Lüfte und wird ewig über der ewigen Stadt ragen. Was ein jedes von uns auch an Schmerz und Kränkung erlitten hat, es ist verweht. Aber alles Schöne, das wir lieben, die großen Gesänge der Alten, die Wunderwerke der Neuen, es umsteht uns, es begleitet uns überall hin als unwandelbare Gegenwart und wird noch unsere letzte Stunde reich und glücklich machen.

Wenn ich dreiundzwanzig Jahre alt wäre, würde ich ebenso denken wie Eure Gnaden, antwortete der Bischof. Aber anders sieht sich das Leben an, wenn wir beim Abendschein langsam von der erklommenen Höhe niedersteigen ins Tal, wo die Schatten liegen.

Scheltet mir nicht das Alter, Herr Bischof. Ist nicht das Alter schön? Ist es nicht der Stunde ähnlich, wo der Glutball in Gold und Purpur und Violett zersprüht und nicht mehr sengt? Wenn die Begierden, die uns durchs Leben gehetzt haben, sich wie müde Jagdhunde zum Schlafe legen und nun die große Stille der Seele kommt, wo die Erinnerungen sich zum Bildwerk an den Wänden ordnen, fein gestimmt und ohne aufdringliche Farben so wie dieses hier? Und wir nun zwischen diesem Bildwerk umhergehen, es betrachtend, es genießend: alle vergangenen Kämpfe, alle Freuden und alle Schmerzen, die jetzt eine andere Form der Freude geworden sind, – gleicht nicht ein solcher Zustand dem der Seligen in den elysischen Gefilden? Ihr könnt von einer kühnen Tat hören und es zersprengt Euch nicht das Herz, daß ein anderer sie vollbrachte. Ist das nicht an sich schon Glück? Das Alter gibt Euch Zeit und Sammlung, alle Schönheiten der alten Dichter noch einmal durchzukosten, ohne die Qual des Schulknaben, der erst die Vokabeln erlernen muß, und Ihr wollt Euch beklagen? Ihr könnt den Göttinnen des Olymps gegenübersitzen, ohne daß ihre Nähe Euch den Schlaf kostet, und Ihr wollt Euch beklagen?

Es ist wohl das erstemal, bemerkte Molza, daß die Jugend dem Alter ein so feuriges Loblied singt. Wer das Glück hat, Euch zu vernehmen, gnädigster Herr, der wird der gefürchteten Zeit getrösteter entgegengehen. Und gewiß habt Ihr Recht. Das Alter würde ja nicht das allgemeine Los sein, wenn es nicht auch Wohltaten für uns bereit hielte.

Lassen wir es herankommen, antwortete der Medici, und sorgen wir nur, daß wir ihm eine Mitgift an Erinnerungen zubringen, um die es sich verlohnt, das Buch des Lebens rückwärts zu blättern. Denn jede Stunde ist herrlich und wir müssen danken, daß sie uns, gerade uns zuteil wird.

So habt Ihr nie eine Stunde erlebt, wo sich alle Süße der Welt in Herzensangst und Bitternis wandelte? fragte Julia.

Der Kardinal besann sich.

Ich lag einmal unter meinem gestürzten Pferd, das einen Hellebardenstich durch den Leib erhalten hatte und im Todeskampf mit allen Vieren um sich schlug. Die türkische Reiterei setzte über den Graben weg, in dem ich lag, und es war unmöglich, unter dem Tier hervorzukommen, ich konnte mich nur abwartend und leidend verhalten, was der häßlichste aller Zustände ist. Da wehte von der Böschung des Grabens ein wildfrischer Hauch von Thymian herunter. Durch all den Dunst von Schweiß und Blut und feuchtem Lederzeug drang der schmeichlerische Gruß und ich sog ihn mit solcher Dankbarkeit ein, daß ich für den Augenblick ganz in dem Duft lebte und der Gefahr entrückt schien.

Wie, Ihr dachtet nicht an Gott und an das Sterben? fragte Isabella.

Ich dachte an Gott und an das Leben, gnädigste Frau, antwortete der Kardinal.

Nun sehen wir Euch immer noch unter dem gestürzten Pferde, sagte die weichherzige Schloßfrau. Wollt Ihr uns nicht wenigstens sagen, wie Ihr wieder hervorkamt?

Ja, und wie Eure Freuden wieder eine dem gemeinen Verstand faßlichere Gestalt annahmen, warf Isabella ein.

Daß ich das Glück habe, den Damen hier gegenüber zu sitzen, wäre an sich schon die Antwort. Allein ich will gerne noch sagen, daß es ein Scharfschütze von den Spaniern des Marchese del Vasto war, der Zaumzeug und Abzeichen auf der Schabracke erkannte und mir auf die Beine half, indem er die Stute so sicher durch den Kopf schoß, daß sie ohne Zucken verendete. Nie denke ich an jenen widrigen Moment zurück, daß mir nicht auch der köstliche Thymianduft in den Sinn kommt, mit dem das Leben mich noch einmal zu grüßen schien.

Ich dachte stets, daß Ihr mehr Tore haben müßtet ins Land des Glücks und der Schönheit als wir andern Sterblichen, die wir der Dichter und der Künstler bedürfen, uns da hinein zu führen, sagte Julia. Ihr dichtet Euch selbst die Gesänge Eurer Lebensepopöe mit soviel anziehenden Episoden, als es Euch beliebt. Aber verzeiht, ich habe Euch unterbrochen. Gewiß hattet Ihr uns noch vieles Schöne zum Lob des Alters zu sagen.

Zum Lobe des Alters habe ich vor allem das Eine zu sagen, daß es das einzige Mittel ist, das Leben zu verlängern, durch welches wir allein imstande sind, die Wunder, womit der Schöpfer seine Erde geschmückt hat, zu genießen und ihm durch unser Genießen den Dank für so große Wohltaten darzubringen.

In Wahrheit, versetzte nun der Bischof mit Lächeln, es läßt sich nicht bestreiten, daß Euer Erlaucht Folgerungen gut und treffend sind. Nur kann ich nicht umhin, zu finden, daß wir auf diese Weise zu dem Schluß kommen müssen, jenes Schandmaul, der Aretin, dem alle Großen für ihre Ehre zahlen müssen, damit er sie nicht besudelt, und der nur deshalb nicht auch Gott den Herrn lästert, weil er sagt, er kenne ihn nicht, jener Schlemmer und Prasser, sage ich, der mit goldenen Ketten behängt in seinem Harem stolziert wie ein Hahn mit bunten Federn, und der in allen Genüssen der oberste Meister ist, wäre frömmer und gottesfürchtiger als unser Seraphischer Vater von Assisi, der in zerlumpter Kutte ging und sich von den Wurzeln der Vernia nährte.

Nachdem die Gesellschaft eine Weile auf seine Kosten gelacht hat und er selber mit, ergreift der Kardinal wieder das Wort.

Ihr habt es nun einmal mit dem Aretin, sagt er mit einem feinen Lächeln, denn er allein weiß, was jener Schröpfkopf ihn selber kostet, wenn er ihm auch nicht einen öffentlichen Jahrestribut bezahlt wie der Del Vasto und andere Große, ja die geheiligte Majestät Karls V. selbst. – Aber es scheint mir, Herr Bischof, wir haben uns nicht ganz verstanden. Ich meinte mit dem Genießen der Wunder Gottes nicht das Geschäft der gröbsten Sinne, sondern jenes feinere von geistig-sinnlicher Art, bei dem die Fühlfäden unserer Seele, durch die Sinne hindurchgeleitet, aber sie weit hinter sich lassend, von dem Besitz ergreifen, was nur den Auserwählten zukommt. Und so dürfen wir wohl sagen, daß gerade niemand Gottes Gaben besser zu würdigen wußte, als unser heiliger Vater Franz, der den Sonnenball seinen Bruder nannte und die Wasserflut seine Schwester –