America´s next Magician

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Z serii: Magician-Dilogie #2
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Der Kampf der Magicians


Ich drehte meinen Kopf weg. Lanahaas Lächeln sagte mir trotz meines Vertrauens in Rayn alles, was ich wissen musste. Rayn würde als Nächster vom Himmel fallen. Mein Herz verbat mir daraufhin, noch länger zum Wolkenthron zu starren. Mein Geist gaukelte mir bereits Visionen von Rayns Scheitern und Lanahaas Triumph über ihn vor. Wie sollte er sie auch besiegen, wenn es Ivan nicht gelungen war?

Aber was war die Mission meiner Mutter? Wenn sie alle besiegen wollte, konnte sie das schneller und einfacher haben – oder? Wozu diese Aufführung?

Mein Brustkorb fühlte sich ausgehöhlt an. Gleichzeitig schmerzte mein Magen. Ich konnte Rayn nicht allein kämpfen lassen – genauso wenig, wie ich Ivan hier unten ungeschützt ablegen konnte. Nicht in diesem Zustand, oder? Das Gefühl des Zwiespalts mischte sich mit dem Brennen in meinen Armen, mit denen ich weiterhin Ivans Körper umklammerte, als hinge sein Leben davon ab. Die Verantwortung, ihn zu beschützen und sei es nur mit meinen Gliedern als Schild, lastete schwer auf mir.

Ein anschwellendes Sirren, das nun so laut wurde, dass ich es unmöglich ignorieren konnte, machte mir auf einen Schlag bewusst, dass uns bald noch andere Gefahren drohten als Lanahaa. Hatte sie darauf gewartet? Alarmiert suchte ich die Luft nach der Ursache des Geräusches ab.

Ich fühlte mich in der Pflicht, etwas zu unternehmen. Wieso war ich so furchtbar schwach? Nach Schritt 1: Befreiung von der grünen Magie musste ich dringend zu Schritt 2: Kraft schöpfen übergehen, um danach Schritt 3: Kick their asses verwirklichen zu können.

Drohnen flogen in Massen in mein Blickfeld, über die Häuserdächer, auf uns zu. Sie verursachten das Sirren! Noch bestand der Schwarm aus gerade identifizierbaren Punkten am Horizont. Doch beging ich nicht den Fehler, die Bedrohung zu unterschätzen. Es war eine Armada aus geflügelten Maschinen, die stetig näher kam.

Wunderschön. Tödlich? Gehörten sie den Rebellen oder vielleicht doch Eterny?! Dem Kaiser?

Es klackte ein Mal laut.

Zu laut, um weit entfernt zu sein. Ich riss den Kopf herum.

Die Robobots vor der Bühne richteten gerade unisono ihre Gewehre mit der Laser-Zielvorrichtung auf etwas aus. Sie hatten soeben die Waffen entsichert, wurde mir klar.

Klack-Klack-Klack, schickten sie auch schon Geschosse nach oben, in Lanahaas und Rayns Richtung.

Sie verteidigten keineswegs die Bühne vor den Menschen – sondern vielmehr die Menschen vor der Gefahr aus der Luft. Ich hatte mich geirrt. Angst und Hoffnung pulsierten ungeahnt heftig durch meine Adern. Angst um Rayn. Hoffnung darauf, dass das Spektakel schnell ein Ende fand. Zivile Opfer und Schäden an zivilen Einrichtungen hatten meine Mutter bisher nicht interessiert. Die Notwendigkeit eines Gegenangriffs war damit längst gegeben. Die Robobots waren stark, aber wie sollten sie entscheiden, wann welche Form und Intensität von Gewalt angemessen war, um den Angriff von Lanahaa zu stoppen?

Ich nahm an, dass die Robobots eigens dafür geschaffen worden waren, in Konflikten mit dem eigenen Volk zu intervenieren. Es waren vermutlich nicht die wahren Kampfmodelle, die Tekre Indus­tries herstellte. Ihr Algorithmus sollte die Anwendung von Schusswaffen außer zur Verteidigung von Zielpersonen oder Bauwerken nicht wählbar machen. Und sie sollten keine Gewalt im eigentlichen Sinn gegen Menschen anwenden dürfen, auch wenn ihre Waffen tödlich sein konnten und ich gerade jetzt hoffte, dass sie etwas ausrichten würden – ohne Rayn zu treffen.

Auf die Situation, in der wir steckten, war weder Mensch noch Maschine vorbereitet. Außer jemand steuerte die Robobots, die nun zum Leben erwacht waren. Griff der Kaiser durch? Übernahm Verantwortung?

Die Aussicht darauf begann in mir zu arbeiten, wandelte sich in Erleichterung, die zunahm wie die Intensität von Strahlen bei einem Sonnenaufgang. Sie kroch bis zu meinem Gesicht und den Fingerspitzen und wärmte mich von innen.

Langsam begannen meine klammen Hände von Ivans steifen Gliedern abzurutschen. Ich konnte ihn nicht mehr lange halten. Was sollte ich tun?

Schüsse hallten ohrenbetäubend über den ganzen Platz. So laut, dass sie mich aus der Überforderung rissen. Sanft ließ ich den schlanken Körper an mir herabgleiten. Spürte dabei den Atem, der ihm entwich. Er atmete, das war gut, auch wenn seine Gesichtsfarbe bedenklich blass wirkte.

Voll Bedauern legte ich seine Gestalt auf dem Marmor ab. Da ich wusste, dass man Blitzen wenig Angriffsfläche bieten und die Füße zusammenstellen sollte, sodass diese sich berührten und den Boden nur an einer Stelle, platzierte ich Ivans Körper in einer dement­sprechend abgewandelten Version der stabilen Seitenlage. Vielleicht würde das auch bei magischen Energieladungen helfen. Im Moment konnte ich nichts mehr für ihn tun.

Als ich mich unsicher erhob, wurde mir die vorhergehende Hoffnung allerdings auf einen Schlag genommen. Die Schüsse der Robobots verhallten in der Luft, ohne etwas auszurichten. Die noch anwesenden Menschen drängten sich im hinteren Teil des Platzes zusammen. Dort lagen die verstopften Ausgänge. Jegliche Schreie waren verstummt. Die Geräuschvielfalt war durch das Stakkato der Gewehre ersetzt worden.

Klack-Klack-Klack!

Ich blickte nach oben.

In der Luft vollführte Rayn weit ausholende Armbewegungen. Unsichtbare Ströme schienen wie Seile zwischen ihm und meiner Mutter zu verlaufen. Ihre Bewegungen spiegelten sich auf eine eigenartige Weise wie bei einem Paartanz.

Momentan fiel das Ergebnis des Seilziehens, das sie veranstalteten, zu Lanahaas Gunsten aus. Meter für Meter zog sie Rayn näher zu sich. Was würde sie mit ihm machen, wenn sie ihn hatte?

Zutiefst beunruhigt biss ich mir auf die Unterlippe. Sah der Drohnen­armada entgegen, die schon fast die umliegenden Häuser­dächer erreicht hatte. Was würde diese tun, wenn sie bei uns angekommen war? Würde sie feuern? Auf wen?!

Noch einmal blickte ich zu Ivans exponierter Gestalt am Boden. Die Gegend um mein Herz fühlte sich seltsam flüssig an, als ich Bedauern spürte. Alle Gefühle, die die Leere in mir zuvor verschluckt hatte, vermischten sich, während meine inneren Barrieren fielen.

Ich brach fast in die Knie, war nicht darauf gefasst gewesen, dass es sich so anfühlte, wenn das eigene Herz glaubte, das Wichtigste auf­geben zu müssen. Unabsichtlich biss ich mir auf die Zunge und keuchte vor Schmerz. Indes ich den metallischen Geschmack von Blut zusammen mit all dem mentalen Ballast zu verdrängen versuchte, krampfte mein Körper und schüttelte sich, als hätte er plötzlich ein krankhaftes Eigenleben entwickelt. Ekel ließ mich innehalten und wieder einen Fokus finden.

Gefasst hob ich mein Kinn und erstarrte.

Die vier Kugeln, die von Lanahaa zu Beginn erschaffen worden waren, hatten sich durch Lichtschnüre in den Farben der Gilden verbunden. An jeder der Schnüre bildete sich nun, ähnlich eines sich von oben ausrollenden Vorhangstoffs, ein schillernder Schutzschild. Über Häuserdächer, -wände und den betonierten Untergrund ergoss sich die Magie in einer Kaskade aus Energie und schnitt jegliche Fluchtwege ab. An den Ecken vereinte sie sich und umschloss den Platz, die Bühne sowie den Luftraum darüber wie eine kubistische Glocke. Selbst oben hatte sich, ähnlich eines Daches, ein hell glühendes Flicken­werk aus Magie gebildet.

Ich blinzelte einmal und schon schlossen sich die letzten Lücken restlos. Wir waren in einer Art magischer Büchse der Pandora gefangen, aus der es keinen Ausweg gab. Die vier bunten Energiekugeln an den oberen Ecken leuchteten mit jedem verstrichenen Augenblick heller.

Ein seltsames Geräusch ließ mich eine Seite des Schildes genauer betrachten. Ratter, ratter, ratter. Es wurde immer lauter.

Der beachtliche Drohnenschwarm hatte Sekunden zu spät den Schild erreicht und offensichtlich sofort das Feuer von außen eröffnet. Ich konnte nicht genau sehen, mit was geschossen wurde, erkannte nur einzelne Blitze und die Einbuchtungen, die die Geschosse bei ihrem Aufprall am Schild verursachten.

Was, wenn der Schild irgendwann in sich zusammenbrechen würde und das Schussstakkato auf die Menschen niedergehen würde, die nicht mehr hatten fliehen können?

Ein paar wenige magisch Begabte versuchten direkt mutig an den Rändern des Schildes einen Durchgang zu schaffen, schlussfolgerte ich aus ihren Versuchen, es von innen zu attackieren. Soweit ich sehen konnte, erfolglos. Vielleicht schafften wir es aber gemeinsam. Voll Tatendrang sah ich mich auf der Bühne um.

Sir Isaacs schmale Gestalt in blauen Kniebundhosen mit blauem Leinenhemd und einem ebenfalls blauen Barett, seines Zeichens Oberhaupt der Gilde der Gulet, stand noch immer ganz auf der rechten Seite. Sein Blick fixierte voll grimmiger Entschlossenheit die blaue Kugel, die hoch oben fast in direkter Linie über ihm schwebte. Seine Lippen bewegten sich im stillen Klang unausgesprochener Worte, die er wohl schon eine Weile murmelte da er mitten im Singsang war. Seine blau glühenden Hände malten komplizierte Muster in die Luft.

Er versuchte die Kugel zu zerstören, wurde mir klar. Und diese wirkte bei genauerem Hinsehen tatsächlich, als würde ein fein­maschiges Netz aus helleren Energiefäden um sie wachsen. Vielleicht wollte er sein Magiegebilde am Ende zuziehen und die Kugel so zerstören? In Teile schneiden – implodieren lassen?

 

Der Gedanke an Zerstörung fühlte sich gut an. In meinem Bauch regte sich Wut. Besonders, da ich von den ehemals vier Gildenoberhäuptern, die auf dem Marmor gestanden hatten, nur noch ein weiteres entdeckte. Zwei der vier mächtigsten Vertreter der magischen Begabungen des Kaiserreiches waren übrig, wenn es hart auf hart kam. Die anderen beiden hatten sich heimlich aus dem Staub gemacht; hatten lieber ihre eigene Haut gerettet als die der Menschen, die ihnen ihre Position ermöglichten – ganz wie der Kaiser.

Bitterkeit stieg in mir auf. Missy Verovena, das weibliche Oberhaupt der Gestaltwandler, eigentlich leicht zu erkennen unter den Männern, sowie das Oberhaupt der Veritas, Meister Lemary, mit seinem beachtlichen Wanst und dem großen Schädel, fehlten. Zweiauge, das Oberhaupt der Gilde der Mensay, stand hingegen weiterhin an der Seite von Sir Isaac.

Ich sah, wie das nebelige Weiß der Iriden seine Pupillen fast vollkommen verschluckt hatte. Er sandte noch immer nebelartige Wellen aus und versuchte die übrigen Menschen zu beruhigen. In dem Moment begann seine Gestalt zu schwanken, wohl weil es ihm bereits einiges abverlangte, so viele so lange gleichzeitig zu beeinflussen.

Sir Isaac, ein Mann weniger Worte, hakte ihn unter, ohne in dem innezuhalten, was er tat. Zweiauge zu stabilisieren kostete ihn kurz­zeitig die Bewegungsfreiheit seiner Hände, doch seine Lippen bewegten sich weiter.

Mein Blick schnellte nun ganz nach rechts, wo ich Sinessa vermutete. Wenn er sich nicht auch aus dem Staub gemacht hatte.

Mit großer Überraschung registrierte ich, dass er noch auf der gleichen Position wie zu Beginn der missglückten Zeremonie stand und sein Blick sowie der von Sir Isaac auf eine der Kugeln über uns gerichtet war. Er fixierte die gelbe und schickte Feuerbälle nach oben. Schweiß lief ihm über die Stirn und die Wangen. Er arbeitete wohl auch schon eine Weile daran. Sein Körper flackerte im Gelb seiner Gildenmagie und doch musste er auch mindestens doppelt begabt sein.

Feuer – meine Gabe. Die Entdeckung verband uns enger, als mir lieb war. »Habe ich das von ihm geerbt?«, flüsterte ich unwillkürlich. Dass Sinessa auch nur einen Finger krümmte, geschweige denn für etwas schwitzte, brachte ich nicht mit meinem Bild von ihm in Einklang. Er kämpfte gerade auf der richtigen Seite. Das erste und einzige Mal, so vermutete ich. Eine Macht, die alles zu zerstören drohte, verbündete sogar Todfeinde.

Ich schöpfte aus meiner wiedererwachten Kraft und macht es wie bei der letzten Aufgabe der Wahl. Meine Gedanken schufen ein Bild, das so echt, so lebendig wurde, dass ich es nicht nur vor meinem inneren Auge, sondern schließlich auch in der Realität sah: Mit bloßen Händen formte ich zwei immer größer werdende und heller brennende Feuerbälle.

Ich schleuderte je einen in Richtung der weißen und der grünen Kugel.

Mein Feuer erreichte die Kugeln jedoch nicht. Es war nicht heiß genug und erlosch auf dem Weg. Wenigstens hatte ich es probiert. Aber ich brauchte eine effektivere Kraftquelle. Mein Körper regenerierte sich viel zu langsam. Oder … Vielleicht musste ich einfach üben und besser werden?

Ein Funkeln im Augenwinkel zeigte mir, zusammen mit dem unablässigen Klack-Klack-Klack!, dass die Robobots noch immer feuerten. Doch war in einer Luft, die aus gelenkten Luftströmen und magischen Energieladungen bestand, wohl kein normales Verlaufen jeglicher Flugbahnen möglich.

Meine Mutter und Rayn grillten sich indes hoch oben wie Zitter­aale, die durch einen magischen Faden verbunden waren. Ich sah, wie Schmerz ihrer beider Gesichter verzerrte, als Rayn wieder und wieder seine Elementarkraft, die sein Haar schon bei unserer ersten Begegnung hatte leuchten lassen, entfesselte. Plötzlich verstand ich, dass er das Tauziehen nur mitgespielt hatte, um näher an sie heranzu­kommen. Um sie in dem Glauben zu wiegen, dass sie gewann, während er sich einen Vorsprung verschaffte, sie immer näher an sich band, um die beste Chance zu erhalten, seine Energie ohne Verlust in sie fließen zu lassen. Sie von innen heraus auseinanderzureißen oder etwas in der Art. Nun hieß es: mitgefangen, mitgehangen und sie litten beide.

Während ich neue Feuerbälle formte – dieses Mal war es einfacher, wohl weil ich den Dreh raushatte –, stieg eine Erinnerung in mir auf. Ich hatte einmal in meinem ersten Semester halbautonome Robobots mit Elektroschockpfeilen bei einer Kundgebung an meiner Uni beobachtet. Sie waren zusätzlich mit Tränengas ausgerüstet gewesen und hatten beides eingesetzt, als sich ein paar meiner Kommilitonen nicht mit Worten davon hatten abbringen lassen, die ungenehmigte Kundgebung zu beenden. Jeder Pfeil, der sein Ziel getroffen hatte und das daraufhin zitternde Häufchen Mensch hatte ein Bild des Grauens vor meine Augen gezeichnet.

Aber das hier – das war weit schlimmer.

Ich schickte meine Feuerbälle in die Senkrechte, ohne ihre Flugbahn zu verfolgen.

Taumelte leicht, bevor ich mich auf meinen Stand und mein Wissen konzentrierte. Wenn ich mich nicht irrte, begann dort oben bei meiner Mutter und Rayn bereits die Phase der Muskelver­krampfungen. Ich wusste, dass fast alle menschlichen Organe aufgrund elektrischer Impulse, die vom Gehirn ausgehen, funktionieren. Dass diese Impulse unsere Bewegungen steuern, dass sie für unsere Sauerstoffversorgung und dadurch indirekt unsere Hirntätigkeit verantwortlich sind. Denn ich hatte unmittelbar nach der Kundgebung einiges nachgelesen.

Die Gefahr des Herzkammerflimmerns war nun bei Lanahaa und Rayn allgegenwärtig. Und würde es zu Herzrhythmusstörungen kommen, könnte als Folge davon die Herztätigkeit ausfallen. Es käme höchstwahrscheinlich zum Kreislaufstillstand. Aufgrund des Sauerstoffmangels würde dies schon nach kurzer Zeit zu einer Schädigung des Gehirns führen. Spätestens dann würden sie abstürzen und mit ihnen die vier Kugeln, die meine Mutter zu Beginn geschaffen hatte und bestimmt noch immer kontrollierte.

Der Schild, der die Projektile der Drohnen von uns trennte, würde seiner Magiequelle beraubt, im Bruchteil einer Sekunde erlöschen. Und wir würden sterben – genau wie Lanahaa und Rayn. Die Drohnen würden uns erwischen, sie würde entweder der Sauerstoffentzug, der Aufprall ihrer Körper am Boden oder einer der Robobots mit seinem Gewehr töten.

Kalte Schauer liefen mir den Rücken hinunter.

Ich hatte die Erinnerung an den Tag in der Uni bis heute verdrängt, da so etwas Rovenna sei Dank nie wieder vorgekommen war. Jetzt stieg sie weiter in mir auf, ohne dass ich es verhindern konnte.

»Hast du diese Monster entwickelt?«, hatte ich meine Mutter damals, zurück zu Hause, tränenüberströmt gefragt. »Hast du Maschinen und Waffen geschaffen, gegen die sich die Mehrzahl von uns nicht verteidigen kann?«

Meine Mutter hatte lange geschwiegen. Hatte meine Fassungs­losigkeit, meine Angst und Panik in sich aufgenommen und die Lippen geschürzt.

»Hast du?«, hatte ich sie zu einer Antwort drängen wollen. Undamenhaft hatte ich in der anhaltenden Stille zwischen uns meine Nase hochgezogen. Mein Benehmen war mir egal gewesen. Vielleicht hatte ich sie damit sogar ein klein wenig strafen wollen.

Sie hatte mich nur ausdruckslos angesehen. »Nicht dafür«, hatte sie schließlich geflüstert. »Nicht dafür.«

Nun schien es, als sei sie das größte Monster von allen. Durch ihre Magie sozusagen immun gegen zumindest einige ihrer eigenen Waffen. Imstande, die Munition der Robobots abzuwehren, die die übrigen Menschen auf dem Platz innerhalb eines einzigen Herz­schlages massakrieren könnte. Aber vermutlich könnten die Robobots die Menschen auch mit ebenjenen elektrischen Schilden schützen, mit denen sie den Kaiser geschützt hatten. Oder? Oder nicht? Waren das andere Modelle gewesen?

Ich ballte die Hände ungewollt an meinen Seiten zu Fäusten, spürte erneut, wie das Kribbeln meiner Emotionen und Magie in mir aufstieg, wie es meine Haut besetzte. Wie endlich der Großteil meiner Kraft zurückkehrte.

All diese Menschen, die wehrlos auf weitere Energiebälle, oder was immer auf sie herabregnen würde, ausharrten. All diese Leben, die das hier kosten würde. Die Ungerechtigkeit darüber stieg in einem Gefühl des Betrugs in mir auf. Ich fühlte mich verraten, von allen. Der verdrängte Schmerz darüber kam zurück, besetzte meine Venen, meine Adern und jedes noch so kleine Blutgefäß. Ich wollte nicht wehrlos hier herumstehen, ich wollte mich nicht weiter wie ein Bauer in einem Schachspiel fühlen, der nach Belieben herumgeschoben wurde.

Vielleicht war ich nur Josi, die dumme Gans, mit der Ivan es nicht ernst meinte. Vielleicht war ich nur Phinchen, die erst von Rayn hatte gerettet werden müssen, um die Wahl zu gewinnen. Und ja, vielleicht war ich nur Josephine Streisand, ein Dorn im Auge meines Vaters. Aber ich war auch eine Sphinx! Mir waren Sama und Neves untertan, weil ich etwas in ihnen erweckt hatte – also musste es auch etwas in mir geben, das für sie wert war, ihr Leben in meinen Dienst zu stellen. Eine Macht, eine Kraft!

Etwas, das die Frau da oben – meine Mutter – aufhalten konnte.

Etwas, das all dem hier ein Ende setzen würde.

Ich sah auf meine Hände hinunter, spürte das Prickeln so stark wie nie. Und da! Sie leuchteten! Zuerst schwach, dann immer stärker. Allerdings nicht durch mein Elementarfeuer oder wie zuvor Ivan, Lamentos oder Rayn im Schein blauer Magie – nein, meine ganze Gestalt leuchtete nun in allen Prismenfarben. Den Farben der vier Gilden.

Und ich würde jede einzelne meiner Begabungen nutzen, um Lanahaa zu Fall zu bringen! Um sie vom Himmel zu holen, auf dass sie sich nie wieder über irgendwem erheben würde.

Flügel


Von meiner Wut beherrscht, starrte ich nach oben. Fixierte die Frau, die mich verraten hatte. Das Gefühl des Hasses auf die Situation, das mich auf einmal überkam, war unglaublich intensiv und es schwoll immer weiter an; wurde von mehr geschürt als nur von Enttäuschung, bloßem Zorn oder Rachegelüsten. Es wurde von der vorhergegangenen Hilflosigkeit geprägt und der noch immer andauernden Fassungslosigkeit, die ich nicht abzuschütteln vermochte.

Der Verrat an sich war eine vergangene Handlung, aber meine Mutter würde nun immer das Ebenbild dessen sein, die Inkarnation ihres Verrats, den sie an mir begangen hatte. Das, was sie mir angetan hatte – im Bruchteil eines Satzes –, war zu einem eigenen und vor allem eigenartigen Gefühl in mir geworden.

Ich hatte sie geliebt, hatte mich um sie gesorgt, hatte alles getan, was sie von mir gewollt hatte, inklusive die ihrer Meinung nach angemessene Kleidung zu tragen, die mir zuwider gewesen war und nicht zu vergessen die Teilnahme an der Regentschaftswahl.

Ich hatte für sie gekämpft! Und sie hatte mich die ganze Zeit über gelenkt. Wohin hatte uns das geführt – wohin würde es uns noch führen? In die gegenseitige Zerstörung?! Die Bitterkeit in mir, das Gefühl des Verlorenseins – würden sie je wieder schwinden? Würde ich je wieder irgendwem vertrauen können? Jemanden vorbehaltlos lieben können?

Ich hatte so viel verloren und die Leere, die dies zurückgelassen hatte, schmerzte in meinem Innersten schlimmer, als es jede physische Wunde meines Körpers je vermocht hätte. Misstrauen gegen alles und jeden war längst in mein Herz gekrochen – schon während der Wahl. Nun richtete es sich auch gegen all diejenigen, denen ich zuvor noch Vertrauen entgegengebracht hatte. Gegen den kleinen Kreis meiner Freunde und Familie, der nun noch mehr zusammenschrumpfte, weil ich keine Familie mehr hatte.

Wie oft hatte ich während der Wahl gedacht: »Das muss doch jetzt endlich vorbei sein!« Doch es war stets anders gekommen, als ich es mir gewünscht hatte. Aber es musste endlich vorbei sein! Und heute würde es das auch.

Ein krächzendes Lachen entwich meiner Kehle auf die Erkenntnis hin, dass ich mein Schicksal in der Hand hatte, nun stark genug war. Die Zeit des Handelns war gekommen, wenn ich sie besiegen wollte. Und das wollte ich mehr als alles andere!

Rayns Körper zuckte in der Luft über dem Platz. Weißer Schaum hatte sich vor seinem Mund gebildet, weil Spucke aufschäumte. Seine Gesichtsfarbe wirkte auf die Entfernung weiß wie Kreide. Gelbe Blitze sprangen über die letzten Funken des blauen Leuchtens, das seinen Körper immer schwächer glühen ließ. Der magische Faden zwischen ihm und meiner Mutter existierte nicht mehr.

 

Was immer Lanahaa da oben mit ihm machte, er wirkte wie von einer unsichtbaren Hand – ich nahm an, dem Wind – in der Luft gehalten, während sie ihn folterte. Und es würde noch absurder werden, bevor es besser werden würde, dessen war ich mir gewiss.

Meine Haut leuchtete inzwischen so hell, dass es mich blendete. Ich hatte keine Ahnung, was mein Körper da tat, aber ich fühlte die anwachsende, fast riesige Magiequelle in mir, von der ich immer vermutet hatte, dass jeder Magician sie in sich tragen musste.

Ich hatte die Begabungen aller vier Elemente. Ich hatte gesehen, was sich mit meiner Vorstellungskraft schaffen ließ. Nun würde ich sie gegen meine Mutter einsetzen.

Mein glühender Hass gegen ihren Pragmatismus.

Feuer gegen Eis.

Möge die Stärkere gewinnen!

Ich presste die Lippen aufeinander. Meine Kiefer knirschten leise, als Zahnreihe auf Zahnreihe traf. Meine Augenbrauen senkten sich, meine Nasenflügel erzitterten.

Rayn hing wie eine Vodoopuppe in der Luft. Je länger ich hinsah, desto weniger war ich Herrin meiner Sinne. Die Ablehnung hatte mich in ihrem Würgegriff und meine Sicht verschwamm vor Wut. Dann spürte ich einen Windzug an meinen Ohren, drehte unversehens den Kopf … und begriff, dass ich zu meiner Sphinxsicht nun auch Flügel hatte. Ich stockte in der Bewegung.

ICH HATTE FLÜGEL!

Wieder einmal – allerdings zum ersten Mal, während ich noch immer in meinem Menschenkörper steckte.

Ganz von allein hob ich die Hände an, verdrängte alles außer den runden Kuppen meiner Finger. Und sah prompt, wie die leuchtenden Spitzen in Flammen aufgingen.

Ich steckte jedes Quäntchen Energie, das ich in mir zu fassen bekam, in das Feuer. Nährte es, bis es eine tödliche Hitze erreicht hatte.

Als ich meinen Blick fokussierte, verließ mich der geballte Schwall Kraft. Kurz blinzelte ich, rang um Gleichgewicht aufgrund des Rückstoßes. Nachdem ich wieder sicher stand, war die Anspannung jedoch nicht mit aus meinen Knochen gewichen und das Ergebnis meiner Bemühung auch nicht das gewünschte. Statt dass ich Feuer bis zu Lanahaa geschickt hatte, war die Flammensäule wohl trotz meiner wiedererlangten Kraft in der Luft vor mir verpufft.

Allerdings befand sich Rayn im unkontrollierten Sturzflug; vielleicht weil Lanahaa auf mich aufmerksam geworden war und ihn losgelassen hatte.

Fieberhaft begann mein Geist zu arbeiten. Er sah nicht gerade lebendig aus – genau wie Ivan zuvor. Noch wenige Sekunden, dann würde sein Körper am Boden zerbersten, sagte mir mein Verstand. Er würde sich nicht selbst retten können. Ich hatte Flügel, aber ich war noch nie geflogen. Konnte ich es?

Das war der Punkt, ab dem ich jegliche Gedanken sein ließ und nur noch reagierte. Ich ging leicht in die Hocke, wie ich es zuvor bei Rayn gesehen hatte, registrierte Ivans noch immer bewusstlose Gestalt, die unverändert neben mir auf dem Marmor lag, dann stieß ich mich mit aller Entschlossenheit vom Boden ab.

Meine Flügel entfalteten sich in der Luft von ganz allein zu ihrer vollen Spannweite und ich katapultierte meinen Körper mit großen Flügelschlägen in Richtung der Mitte des Platzes. Meine Bewegungen waren noch unbeholfen, aber es fühlte sich natürlich an und dort vermutete ich, dass sich Rayns Körper in den Boden rammen würde – wenn ich es nicht verhinderte.

Ich flog und flog.

Einige Herzschläge später war ich auf der anvisierten Position, nutzte intuitiv meine Beine als Luftwiderstand und drehte mich damit, wie mit einem Steuerruder, von der Bauchlage in die Senkrechte, um einen besseren Blick auf den Himmel zu erhaschen.

Während Rayn noch immer wie ein Stein fiel, hatte Lanahaa sich neu geordnet. Sie strebte ihrem Wolkenthron entgegen, formte bereits neue gelbe Energiekugeln und zielte damit …

Schwebend verfolgte ich mit den Augen deren Kurs … auf die Bühne!

Ich fauchte unmutig.

Noch hatte ich Zeit, etwas dagegen zu unternehmen und dort gab es keine Unbeteiligten, die sie töten würde. Dafür aber vier Magicians, von denen inzwischen drei die bunten Kugeln, die den Schild hielten, vom Himmel zu holen versuchten.

Zweiauge hatte sich der weißen Kugel zugewandt. Milchige Nebelschwaden verbanden ihn mit ihr und ich hatte das Gefühl, dass sie bereits schwächer leuchtete als zuvor. Er richtete etwas aus, das wertete ich als gutes Zeichen.

Ungeduldig justierte ich meine Haltung, sank zu Boden und stellte mich breitbeinig hin, um Rayns Körper aufzufangen. Ich hatte zu viel Angst davor, ihn in der Luft zu verfehlen, hoffte nur, dass er uns nicht beide durch die Geschwindigkeit seines Falls in die Erde rammen würde.

Tief einatmend streckte ich die Arme aus.

3 – 2 – …

Die Wucht seines Aufpralls war ernorm. Mein Kehlkopf wurde von seinem Ellenbogen getroffen und ich würgte augenblicklich. Tränen­flüssigkeit schoss mir in die Augen und machte mich blind, doch ich ließ ihn nicht los. Umschloss seinen großen Körper störrisch mit meinen Armen und begann meine Flügel zu bewegen, um uns zu stabilisieren.

Sekunden später hatte ich alles einigermaßen unter Kontrolle. Wir schwebten nun circa zwanzig Zentimeter über dem Boden. Rayns Körper fühlte sich seltsam steif an. Angst keimte in mir auf. Vorsichtig schüttelte ich ihn. »Rayn!« Meine Stimme klang piepsig. Er bewegte sich nicht. »Rayn!«

Hatte sie ihn etwa …?

»Rayn!« Mein panischer Schrei gellte über den Platz. Er sollte ihn hören. Er sollte aufwachen! Jetzt.

Doch es passierte nichts.

Meine Kehle war wie zugeschnürt, als sich mein furchtbarer Verdacht erhärtete. Unglaublich schnell, fast in Zeitraffertempo flog ich mit Rayns starrem Körper in den Armen los, in Richtung der Bühne und zu Ivans Gestalt. Ich musste vor den Energiekugeln ankommen. Musste ihrer beider Leibe beschützen.

Rayns zusätzliches Gewicht zwang mich bereits nach drei Flügel­schlägen die Geschwindigkeit zu reduzieren. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg zwischen meinen Wimpern hindurch, rann über meine Wange.

Mein Vater wollte mich töten.

Meine Mutter wollte meine Freunde töten.

Und alle wollten meine Mutter töten.

Wenn jeder sein Ziel erreichen würde und das ein Ausblick auf meine Zukunft war, wollte ich in dieser Zukunft nicht leben. Wobei ich dann, genau betrachtet, sowieso nicht mehr leben würde. Und falls das, was meine Mutter da oben bot, ihr großer Masterplan war, hätte sie mich besser gleich von Sinessa flambieren lassen sollen.

Je näher ich der Bühne kam, desto wütender wurde ich wieder. Die Anstrengung und die ungewohnten Muskelbewegungen auf meinem Rücken taten das ihre, um jedes bisschen emotionaler Lethargie abzuschütteln und meine ganze Konzentration zu fordern.

Der wieder aufflammende Hass löste die Angst in mir voll­kommen ab und übernahm das Ruder. Dieses Mal hieß ich ihn willkommen. Ich würde ihn schüren, bis er so groß war, dass er die Kraft in mir noch weiter befeuerte.

Da meinte ich ein Zucken an meinen Armen zu spüren. Schnell sah ich nach unten, brachte Rayns Oberkörper in eine aufrechte Lage. Fast waren wir bei der Bühne angelangt. Nur noch wenige Flügelschläge, dann hatten wir es geschafft.

Dann konnte ich ihn zu Ivan legen.

Schmerz riss mein Herz für eine Nanosekunde entzwei, als ich mir vorstellte, wie ihre leblosen Körper nebeneinander auf dem weißen Marmor liegen würden. Wie aufgebahrt. Schnell verbot ich mir die aufkeimende Traurigkeit. Und siehe da, da war er wieder: Hass, mein bekannter Hass! Oh, brenne hell!

Meine Flügelschläge wurden ausgreifender, als die Dunkelheit in mir wuchs. Ich wollte endlich ankommen. Sah den Schmutz der Arena noch immer auf Rayns Wangen. Hatte er wirklich gezuckt oder hatte ich es mir eingebildet? Ich brachte meine Nase näher an seine. Befand sich das, was Rayn ausmachte, noch in diesem Körper? Ein leichter Luftzug von seinen Lippen ließ mich zurückzucken.