Zu viel riskiert

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Z serii: Leo Schwartz #34
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6.

„Halt endlich den Mund!“, schrie Wolfgang, der sich kaum konzentrieren konnte. Anitas Handy hatte er noch in Gars einfach aus dem Fenster geworfen. Er versuchte, den Wagen so ruhig wie möglich durch den Verkehr zu lenken. Mehrere Polizeifahrzeuge kamen mit Blaulicht und Sirene entgegen. Dass die wegen ihm gerufen wurden, konnte er sich denken. Die Schüsse, die er auf Anitas Begleiter abgegeben hatte, waren zu laut gewesen. Er fluchte und schrie nun, was Anita erschreckte, denn Wolfgangs Stimme klang angsteinflößend. Also blieb sie lieber still. Sie war immer noch erschrocken darüber, als Wolfgang plötzlich vor ihr stand. Ja, sie hatte geahnt, mit wem sie es zu tun hatte, wollte es aber nicht wahrhaben. Noch dachte sie an einen Zufall. Als sie Wolfgang aber dann in die Augen sah, versetzte es ihr einen Schlag. Wie war er in diese Sache reingeraten? War er der Drahtzieher oder nur ein Mitläufer? Sie hatte jetzt keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Jetzt galt es, bei der nächstbesten Gelegenheit zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Wie es Hans ging? Sie hatte gesehen, dass er sich hinter einem Lieferwagen verschanzt hatte, wusste aber nicht, ob er unverletzt war. Die vielen Polizeifahrzeuge waren sicher auf dem Weg nach Gars – und somit auch zu Hans. Um ihn würde man sich kümmern. Sie betete, dass es ihm gut ginge. Sie starrte auf ihre gefesselten Hände, die Wolfgang mit einem Kabelbinder fixiert hatte. Sie war erschrocken gewesen, als sie mit ansehen musste, dass Wolfgang wie selbstverständlich Kabelbinder im Handschuhfach seines Wagens hatte. Mit gefesselten Händen war sie eingeschränkt, aber sie hatte noch ihre Beine. Sie könnte fliehen - aber wie?

Wolfgang Lastin konnte spüren, was in Anitas Kopf vorging. Nachdem er Dampf abgelassen hatte, musste er jetzt schmunzeln, dass die Frau tatsächlich glaubte, fliehen zu können. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert. Sie war zwar älter geworden, war aber immer noch sehr hübsch und hatte immer noch den gleichen Dickschädel wie früher. Wie stolz sie ihren Kopf hielt und bemüht war, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, beeindruckte ihn und erinnerte ihn an die gemeinsame Mutter. Wolfgang war jünger als Anita, beide hatten andere Väter. Während Anitas Vater sehr früh verstarb, lebte sein Vater heute immer noch und er pflegte regelmäßigen Kontakt zu ihm.

„Wie geht es unserer Mutter?“

„Sie ist tot.“

Wolfgang war erschrocken, das wusste er nicht.

„Wann ist sie gestorben?“

„Vor über fünf Jahren. Was interessiert dich das?“

„Sie war meine Mutter.“

„Das fällt dir aber sehr früh ein! Warum hast du sie nicht ein einziges Mal besucht? Sie hat dir regelmäßig geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten.“

„Ich hatte immer viel zu tun. Willst du nicht wissen, wie es Papa geht?“

Schon allein dieses Wort ließ sie erschaudern.

„Mein Vater ist schon lange tot“, sagte sie trotzig.

„Du weißt, dass ich meinen Vater meine, den du besser kanntest als deinen eigenen. Ihm geht es übrigens sehr gut.“

„Das interessiert mich nicht! Er soll von mir aus in der Hölle verrotten! Er hat unsere Mutter schlecht behandelt - und uns auch. Hast du schon vergessen, wie oft er uns verprügelt hat, wenn er getrunken hatte?“

„Nein, das habe ich nicht vergessen. Ich habe mich mit ihm ausgesprochen und habe ihm vergeben. Es tut ihm alles aufrichtig leid, das kannst du mir glauben. Papa trinkt schon lange nicht mehr, er hat den Absprung vom Alkohol geschafft. Willst du nicht mit ihm sprechen und deinen Frieden mit ihm machen?“

„Eher friert die Hölle zu!“

„Du bist sehr hart, Anita.“

„Das hat dein Vater aus mir gemacht.“

Wolfgang musste bremsen. Auf der B12 gab es eine Baustelle, die mit einer Ampel versehen war. Anita nutzte die Gelegenheit und versuchte, die Tür zu öffnen.

„Die Tür ist zu, du kommst hier nicht raus“, machte er ihr klar.

Wolfgang fuhr weiter, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wohin er mit seiner Schwester wollte. Vorerst wollte er nur weg.

„Warum nimmst du einen kranken Begleiter mit? Laufen deine Geschäfte so schlecht, dass du dir kein vernünftiges Personal leisten kannst?“, fragte er und wusste, dass er Anita damit provozierte. Lastin war klar, dass es sich um den Mann handelte, für dessen Unfall und somit auch für die Verletzung er verantwortlich war. Ob er ihr das sagen sollte?

„Mein Geschäft geht dich einen Dreck an!“, maulte Anita. Sie dachte nicht daran, sich mit Wolfgang zu unterhalten und ihm damit Informationen zu geben, die ihn nichts angingen. Dass sie mit Hans verheiratet war, behielt sie für sich. Dieser Scheißkerl hatte nicht nur auf ihren Mann geschossen, sondern sie einfach gekidnappt. Sie musste den Spieß umdrehen. „Was hast du vor? Wo bringst du mich hin? Willst du mich töten? Das hättest du auch einfacher haben können. Warum hast du mich vorhin nicht einfach erschossen? Wenn Mutter wüsste, was aus dir geworden ist, würde sie sich im Grab umdrehen! Du bist deinem Vater sehr ähnlich. Er war auch ein Kotzbrocken, du stehst ihm in nichts nach.“

„Weißt du was? Sei einfach still, Schwesterlein! Wenn nicht, werde ich dir deinen vorlauten Mund zukleben müssen, und das willst du sicher nicht.“

Nein, das wollte Anita auf keinen Fall. Sie könnte um Hilfe schreien und im Notfall auch zubeißen, was ihr dann nicht mehr möglich wäre. Also blieb sie ruhig. Wie es ihrem Hans ging?

„Ein Geheimnis kann ich dir noch verraten. Schon allein damit du erkennst, mit wem du es zu tun hast: Ich bin für den Unfall deines Kollegen verantwortlich.“ Lastin lachte, als er ihr erschrockenes Gesicht sah. „Das hättest du mir nicht zugetraut, stimmt’s? Ich wollte eigentlich dich treffen, damit ich dich nicht mehr überall sehen muss. Du kamst mir zu nahe, was ich nicht länger gutheißen konnte. Hättet ihr beide nicht dasselbe Outfit angehabt, wärest du jetzt verletzt oder bestenfalls tot.“

„Du bist echt krank!“, zischte Anita fassungslos.

„Was sollte der Scheiß mit demselben Outfit? Gab es das im Doppelpack günstiger?“

„Du kannst mich mal!“

Leo und Toni waren am Tatort angekommen, Tatjana und der Chef kamen nur zwei Minuten später. Ein Uniformierter kam auf die Kriminalbeamten zu und informierte sie über das, was geschehen war.

„Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Die Zeugen übertreiben schamlos. Wir haben es ganz sicher nicht mit einer wilden Schießerei zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass es sich nur um Fehlzündungen eines Wagens handelt oder um irgendein vergleichbares Geräusch. Gestern Abend kam ein Krimi, in dem es um eine ähnliche Schießerei ging. Ein schlechter Film, völlig realitätsfremd gemacht, wenn Sie mich fragen.“

Die Kriminalbeamten sahen sich an.

„Bis wir wissen, womit wir es tatsächlich zu tun haben, gehen wir von einem Schusswechsel aus“, sagte Krohmer genervt, der kein Freund von vorschnellen Meinungen war, die hier nicht angebracht waren. „Der Schütze ist flüchtig?“

„Laut Zeugenaussagen fuhr mindestens ein Wagen mit hohem Tempo in diese Richtung. Einige behaupten, dass es zwei Fahrzeuge waren. Sehr viel mehr wissen wir noch nicht.“

„Kennzeichen?“

„Leider nicht. Über Fahrzeugmarke und Farbe gibt es widersprüchliche Aussagen. Sicher ist nur, dass ein Wagen in diese Richtung fuhr. Straßensperren wurden bereits errichtet.“

„Die werden vermutlich nichts bringen“, sagte Leo. „Noch etwas?“

„Es gibt einen Zeugen, der von zwei Schützen spricht. Er beharrt darauf, dass seine Frau von einem der Schützen entführt wurde. Außerdem behauptet er, dass auf ihn geschossen wurde. Er hält sich für einen Kriminalbeamten, aber er kann sich nicht ausweisen, was mich nicht überrascht. Vielleicht erkennen Sie den Mann, was ich allerdings bezweifle. Ich halte ihn für ziemlich verwirrt. Außerdem riecht er sehr stark nach Alkohol.“

„Warum glauben Sie ihm nicht?“, wollte Leo wissen.

„Wir sind hier in Gars und nicht im Wilden Westen. Außerdem kann ich es förmlich riechen, wenn ich angelogen werde, das bringt der Beruf mit sich, das wissen Sie ja selbst. In meinen Augen haben wir es mit einem Betrunkenen zu tun, der sich nur wichtigmachen will. Wieder nur einer, der unsere Arbeit behindert, das kennen wir ja.“

„Und wie erklären Sie sich die anderen Zeugenaussagen?“, bohrte Krohmer nach.

„Wie gesagt gab es gestern einen Krimi….“

„Das ist alles? Darauf stützen Sie Ihre Vermutungen? Wie ist Ihr Name?“ Krohmer wies sich aus. Erst jetzt erkannte der Polizist, mit wem er es zu tun hatte. Verdammt! Der Mühldorfer Polizeichef und somit auch seiner! Warum hatte er ihn nicht erkannt?

„Kevin Mohnhaupt.“

„Ihren Namen werde ich mir merken. Wo finden wir den Betrunkenen, von dem Sie vorhin sprachen?“

„Er sitzt in dem Bus dort hinten.“

Mohnhaupt sah den Kriminalbeamten hinterher, dann folgte er ihnen. Ihm wurde schlecht. Ob er ihnen hätte sagen sollen, dass er dem Betrunkenen Handschellen anlegte, da der sich nicht beruhigen wollte? Mohnhaupt konnte spüren, dass das noch Ärger gab.

7.

Lastin spürte die Vibration seines Handys, das in seiner Brusttasche steckte. Er konnte sich denken, dass es Mitterhuber war. Um ihn musste er sich später kümmern. Erst war Anita dran, die für seine Begriffe viel zu ruhig war. Er kannte seine Schwester, auch wenn er sie viele Jahre nicht gesehen hatte. Sie war nicht dumm und wusste sich zu helfen, was sie früher oft bewiesen hatte, wenn sie in der Klemme steckte. Dabei hatte sie sich auch um ihn gekümmert, was er ihr niemals vergessen würde. Trotzdem war sie jetzt auf der anderen Seite und versuchte, ihn und seine Geschäfte zu boykottieren, was er nicht dulden konnte.

 

„Warum hat du den Job angenommen? Wusstest du nicht, dass ich deine Zielperson bin?“

„Ich wusste es nicht, habe es aber geahnt. Der Name Lastin ist schließlich kein Allerweltsname. Trotzdem habe ich gehofft, dass du es nicht bist. Bis vorhin wollte ich noch an eine Namensähnlichkeit glauben. Wer möchte schon einen kriminellen Bruder haben? Wie konntest du nur so sehr abrutschen?“

„Ich bin nicht abgerutscht, sondern habe ein Business aufgezogen, das echt viel Kohle bringt.“

„Dein Geschäft ist menschenverachtend! Tu jetzt nicht so als wüsstest du nicht, unter welchen Bedingungen Kobalt im Kongo abgebaut wird.“

„Kobalt? Wie kommst du darauf? Ich handle mit Weihrauch!“

„Verkauf mich nicht für dumm, Wolfgang! Du kannst vielleicht diejenigen täuschen, die du schmierst, aber andere nicht. Es ist bekannt, dass du mit Kobalt handelst. Für dich arbeiten Menschen unter schlimmsten Bedingungen, darunter auch viele Kinder! Du solltest dich schämen, Wolfgang!“

Lastin war erschrocken, was Anita wusste. Wenn ihr das bekannt war, dann wussten es vermutlich auch andere. Er verstand sofort, dass er bereits ins Visier der Polizei geraten war. Es war höchste Zeit, aus dem Geschäft auszusteigen oder es zumindest für einige Zeit ruhen zu lassen.

„Wenn ich den Job nicht mache, macht ihn ein anderer“, sagte er so ruhig wie möglich, obwohl er innerlich völlig aufgewühlt war. „Ich bin für den Abbau und die Gewinnung nicht verantwortlich, ich handle nur damit. Außerdem musst du mir keine Vorwürfe machen! Du gehörst sicher auch zu denjenigen, die sehr gerne Auto fahren und es unterstützen, dass die Zukunft den Elektroautos gehört. Wo glaubst du kommen die Rohstoffe für die Batterien her? Die wachsen nicht auf Bäumen! Noch müssen dafür Kobalt und Lithium abgebaut und gewonnen werden! Mach die Augen auf, Anita! Es ist nun mal so, dass diese ach so sauberen Elektroautos nicht ganz so sauber sind, wie man der Bevölkerung weismachen möchte.“

„Noch nicht! Es wird bereits an Wasserstoffzellen gearbeitet. Nicht mehr lange, und man wird Kobalt und Lithium nicht mehr brauchen.“

„Aha, du hast dich informiert, das hätte ich mir denken können. Weißt du denn auch, was in diesen Wasserstoffzellen drin ist? Wie reagierst du, wenn dafür ebenfalls fragwürdige Stoffe gebraucht werden? Du machst es dir sehr einfach, Anita! Du möchtest eine Alternative zum Verbrennungsmotor – aber bitteschön alles sauber und anständig. So funktioniert das nicht!“

„Es wird sicher irgendeine Lösung geben, die für alle gut ist. Es gibt weltweit sehr viele kluge Köpfe, von denen einer oder mehrere etwas erfinden werden, das human, günstig und sauber ist, da bin ich mir ganz sicher.“

„Träum weiter! Wenn es eine solche Lösung geben würde, gibt es ganz sicher Stellen, die dagegen wären. Es herrschen nun mal Geld und Macht – und beides ist mit einer humanen, günstigen und sauberen Lösung nicht vereinbar! So ist das Leben nun mal, damit musst du dich abfinden.“

„Lass doch dein dummes Gelaber! Wir wissen beide, dass du unschlagbare Preise und Konditionen anbietest, wobei dein Gewinn immer noch immens sein dürfte. Bei den Ärmsten der Armen bleibt wie immer nichts hängen. Du stopfst dir die Taschen voll, während andere unter erbärmlichsten Bedingungen für dich und deine Geschäftspartner schuften müssen. Weißt du eigentlich, wie viele Kinder für dich arbeiten? Wie viele Leben hast du auf dem Gewissen? Es geht um Kinder, Wolfi, um Kinder! Wie kannst du nachts ruhig schlafen?“

Wolfgang Lastin war erschrocken. Noch nie hatte ihm jemand die Wahrheit so deutlich ins Gesicht gesagt. Das tat weh. Trotzdem wollte er nicht daran glauben, dass er für die Arbeitsbedingungen verantwortlich war. Es waren zwar seine Firmen, aber Einheimische waren für die Arbeiter und die Arbeitsbedingungen verantwortlich. War es nicht eher so, dass er den armen Menschen Arbeit gab?

„Diese Menschen sind mir dankbar“, lachte Lastin verächtlich. „Ich gebe ihnen Arbeit und sichere ihnen ihr Auskommen.“

„Das ist doch lächerlich! Sieh dir doch an, wie sehr diese Menschen für ein paar Cent pro Stunde leiden! DU bist ein Traumtänzer und willst die Realität nicht sehen, so sieht es aus!“

„Wenn einem die Arbeit nicht schmeckt, kann er jederzeit kündigen.“

„Kündigen? Diese armen Menschen haben keine Alternative! Entweder schuften sie unter unwürdigsten Bedingungen für einen erbärmlichen Lohn, oder sie verhungern. Warum gibst du deinen Leuten nicht einen Teil deines Gewinnes ab, damit sie menschenwürdig leben können, wenn sie schon diese Drecksarbeit machen müssen? Aber so weit denkst du nicht. Bevor du etwas von deinem Geld abgibst, lässt du diese armen Menschen lieber sterben.“

„Du bist einer der Gutmenschen, die alles besser wissen und selber nichts tun. Halt einfach den Mund!“

„Du bist einfach nur erbärmlich, Wolfgang. Du willst die Wahrheit nicht hören, weil du dann nicht mehr den großen Geschäftsmann raushängen lassen kannst, der du in Wahrheit nicht bist.“

Wolfang Lastin war wütend und wollte sich das nicht länger anhören. Es war an der Zeit, das Thema zu beenden, denn diese unverschämten Vorhaltungen musste er sich nicht länger anhören.

„Ich weiß genau, was du vorhast. Du willst mich provozieren und dadurch Information aus mir rauskitzeln. Vergiss es! Von meinen Geschäften werde ich dir nichts erzählen, von mir erfährst du kein Wort, das kann ich dir garantieren. Wer hat dich engagiert? In wessen Auftrag gehst du mir auf die Eier?“

„Denkst du, dass ich Dir das auf die Nase binde? Vergiss es! Warum machst du solche Geschäfte? Früher warst du umgänglich und verständnisvoll, jetzt bist du nur noch gierig. Ich verstehe das nicht!“

„Ich sage es dir noch einmal: Ich bin nicht für die Arbeitsbedingungen verantwortlich. Ich kümmere mich nur um Angebot und Nachfrage.“

„Du vergisst, dass dir die Firmen gehören. Du bist sehr viel mehr als nur ein Zwischenhändler!“

„Das stimmt, die Firmen gehören mir und du solltest stolz auf mich sein. Ich habe das alles selbst aufgebaut und bin damit ein hohes Risiko eingegangen. Warum kannst du das nicht honorieren? Für Kobalt gibt es einen Markt und ich habe entschieden, mich daran zu beteiligen. Das nennt man freie Marktwirtschaft, Anita, das brauche ich dir doch nicht erklären.“

„Und warum dann diese Geheimniskrämerei um den Weihrauch, den es überhaupt nicht gibt? Wenn du ein ehrlicher Geschäftsmann wärst, würdest du alles auf den Tisch legen und diese krummen Geschäfte nicht machen!“

„In dem Punkt muss ich dir zustimmen, Schwesterlein. Ich habe mich für diesen Trick entschieden, um keine Abgaben leisten zu müssen. Auf meine Art ist der Verdienst sehr viel höher, als wenn alles offen ablaufen würde. Und zwar so hoch, dass du dir die Summen nicht einmal vorstellen kannst.“

„Es geht dir also tatsächlich nur ums Geld? Das kann nicht dein Ernst sein! Ich bin wahnsinnig enttäuscht.“

Lastin lachte nur. Ja, es ging ihm ums Geld, aber noch um sehr viel mehr. Je mehr er verdiente, desto angesehener war er. Er wurde hofiert und bevorzugt behandelt, wo es nur ging. Und das gefiel ihm wahnsinnig gut. Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, als es ihm so dreckig ging, dass er sich noch nicht einmal etwas zu essen kaufen konnte. Er war darauf angewiesen, in Mülltonnen nach Nahrung zu suchen. Nein, das durfte nicht mehr passieren. Seit er mit vollem Risiko in dieses Geschäft eingestiegen war, gehörte er zu den ganz Großen dazu. Das wollte er sich nicht kaputt machen lassen, auch nicht von seiner Schwester. Eigentlich lag ihm nichts an ihr, die letzten Jahre konnte er sehr gut ohne sie leben. Er hätte sie einfach nur beseitigen können und alles würde weiterlaufen wie vorher. Aber jetzt, wo er direkt mit ihr zu tun hatte, spürte er die Verbundenheit. Er konnte ihr nichts antun, noch nicht. Bis er wusste, was er mit ihr machen sollte, musste er sie sicher unterbringen. Aber wo?

Anita änderte ihre Taktik und begann, ihrem Bruder Vorwürfe zu machen, die immer heftiger wurden. Anfangs versuchte er sich noch zu verteidigen, gab aber irgendwann auf. Er kam gegen Anita verbal nicht an, das war früher schon so gewesen und in diesem Punkt hatte sie sich auch nicht verändert. Ihn ärgerte, dass sie sich offenbar für etwas Besseres hielt. Er beschloss, sie einfach reden zu lassen und lieber darüber nachzudenken, wo er sie unterbringen wollte. Er ging gedanklich alle Freunde durch, von denen er nicht viele hatte. Als er bettelarm war, hatten sich viele von ihm abgewendet. Auf die, die er seit seinem Reichtum gewonnen hatte, konnte er sich nicht verlassen. Er wusste genau, dass die ihm schnell den Rücken kehren würden, wenn er kein Geld mehr hätte. Er konnte es drehen und wenden wie er wollte, es fiel ihm nur Klaus-Peter ein, der zuverlässige Freund aus Kinder- und Jugendtagen, den er schon lange nicht mehr gesehen hatte. Trotzdem war er der einzige, auf den er sich in der momentanen Situation verlassen konnte. Er fuhr rechts ran und stellte den Motor ab.

„Was hast du vor? Warum hältst du hier?“ Anita sah sich um. Längst hatte sie keine Ahnung mehr, wo sie waren. Sie hatte den Eindruck, dass Wolfgang selbst nicht wusste, wohin er wollte und das war auch gut so. Und jetzt?

Ohne eine Erklärung stieg Lastin aus, verschloss den Wagen und nahm sein Handy. Neunzehn verpasste Anrufe, um die musste er sich später kümmern. Jetzt rief er Klaus-Peter an.

„Hallo Klausi, hier ist Wolfgang. Hast du noch deine Hütte in Österreich?“

„Wolfgang? Wie schön, dass du dich meldest. Du meinst die alte Jagdhütte am Mondsee?“

„Welche sonst!“ Lastin war genervt. Klaus-Peter war noch nie der Hellste gewesen, hatte aber von Haus aus Kohle ohne Ende. Die Welt war ungerecht!

„Ja, die Hütte gehört mir immer noch. Eigentlich hätte ich sie längst verkaufen sollen, aber ich hänge an dem alten Ding. Zu viele Erinnerungen an eine behütete und glückliche Kindheit. Kannst du dich noch daran erinnern, als wir im Sommer 2003 dort waren? Mein Gott, wie heiß dieser Sommer war und wie viele Stunden wir am Mondsee verbracht haben. Das waren tolle Zeiten.“

„Ja, das waren großartige Zeiten.“ Lastin hatte dort eine sehr schöne Zeit verbracht, an die er lange nicht gedacht hatte. Er konnte sich auch noch sehr gut daran erinnern, wie neidisch er auf Klaus-Peter gewesen war, was vor allem den liebevollen Eltern galt, die den Jungs alle Wünsche erfüllten. Aber jetzt war keine Zeit, in alten Erinnerungen zu schwelgen. „Könnte ich ein paar Tage in der Hütte bleiben?“

„Klar, das ist doch kein Problem. Ich war lange nicht mehr dort, putzen musst du sie schon selbst. Und ob alles funktioniert, weiß ich nicht.“

„Ich komme schon klar. Wo ist der Schlüssel?“

„Wenn ihn keiner geklaut hat, steckt er im Geweih über der Tür, so wie früher.“

„Vielen Dank.“

„Soll ich vorbeikommen und dir Gesellschaft leisten? Ich hätte Zeit. Es wäre doch super, wenn wir beide mal wieder Zeit miteinander verbringen könnten. Wir hätten uns viel zu erzählen.“

„Nein, lieber nicht. Sei mir bitte nicht böse. Ich möchte einfach nur ein paar Tage ausspannen und meine Ruhe haben.“

„Das verstehe ich doch. Ich habe schon gehört, dass du zum Geschäftsmann mutiert bist. Vor einigen Wochen fuhrst du mit deiner Protzkarre an mir vorbei. Ich habe dir zugewunken, aber du hast mich nicht gesehen. Ich dachte schon, dass du mich nicht sehen wolltest.“ Klaus-Peter lachte, auch wenn er genau ins Schwarze getroffen hatte. Lastin wollte mit den Leuten von früher nichts mehr zu tun haben. Er gehörte jetzt anderen Kreisen an, für die auch Klaus-Peter und seine vermögenden Eltern nicht gut genug waren. Aber das behielt Lastin lieber für sich. Er brauchte jetzt Klaus-Peters Hütte.

„Vielen Dank, Klausi. Ich rufe dich an. Dann treffen wir uns auf ein Bier, so wie früher.“

„Ich freue mich.“ Klaus-Peter Straub legte auf. Wolfgang hatte sich tatsächlich bei ihm gemeldet, was ihn wahnsinnig freute. Schon lange bewunderte er den früheren Freund und beobachtete, was aus ihm geworden war. Klaus-Peter war in behüteten Verhältnissen aufgewachsen. Längst war das Vermögen seiner Eltern, das er vor einigen Jahren nach deren Tod geerbt hatte, sehr geschrumpft. Zum einen musste er hohe Erbschaftssteuern bezahlen, außerdem musste er seinen Bruder auszahlen. Als seine Ehe auch noch in die Brüche ging, hatte seine Exfrau den besseren Anwalt, der ihn ordentlich ausnahm. Seine Exfrau hatte sich das gemeinsame Haus, so wie alles andere auch, unter den Nagel gerissen. Zum Glück gab es keine Kinder, die unter dem hässlichen Scheidungskrieg zu leiden hatten. Klaus-Peter lebte in seinem Elternhaus und hatte sein bescheidenes Auskommen, mit dem er aber keine großen Sprünge machen konnte. Seit Monaten kursierten in der Firma, in der er als Sachbearbeiter beschäftigt war, Gerüchte über einen möglichen Konkurs. Wolfgang ging es dagegen sehr gut. Er hatte sich zu einem Geschäftsmann gemausert, auch wenn Klaus-Peter nicht wusste, was er eigentlich machte. Durch Wolfgang bekam er vielleicht eine Chance, einen neuen Job zu ergattert. Dass sein alter Freund gerade jetzt auf ihn zukam und seine Hilfe brauchte, war ein Wink des Schicksals. Er wollte ihm zwei Tage Ruhe gönnen, dann würde er ihn am Mondsee besuchen. Warum auch nicht?

 

Anita versuchte alles, um irgendwie aus dem Wagen zu kommen. Dann suchte sie nach einem Gegenstand, um die Fesseln durchzuschneiden. Sie fand nichts. Sie musste sich damit abfinden, noch nicht fliehen zu können. Argwöhnisch beobachtete sie ihren Bruder, wie der telefonierte. Mit wem sprach er so lange?

Lastin rief seinen Geschäftspartner an, den er in Gars zurücklassen musste. Dass ihn eine Standpauke erwartete, war ihm klar.

„Was war los in Gars? Warum hast du mich nicht gewarnt? Ich wäre den Bullen fast in die Hände gelaufen!“

Das Wort fast beruhigte Lastin.

„Sorry, aber ich musste weg“, begann Lastin das Gespräch. „Ich bin dir noch eine Antwort schuldig, über die ich lange nachgedacht habe: Ich kann keine höheren Liefermengen garantieren. Wenn ihr mit den bisherigen Mengen nicht zufrieden seid, muss ich mir neue Abnehmer suchen.“

„Ich verstehe“, sagte Mitterhuber, der mit einer solchen Antwort gerechnet hatte. Ob Wolfgang wusste, was das für ihn bedeutete?

„Bist du noch dran?“ Wolfgang wurde nervös. Wie würde Mitterhuber auf seine Ablehnung reagieren?

„Wo bist du?“

„Unterwegs. Ich bin in Gars auf meine Verfolgerin gestoßen.“

„Erzähl doch keinen Blödsinn! Diese ominöse Frau gibt es doch überhaupt nicht! Die hast du doch jetzt nur erfunden, um dein Gewissen zu erleichtern und zu rechtfertigen, warum du einfach abgehauen bist!“

„Doch, die Frau gibt es, sie ist bei mir.“

Jetzt war Martin Mitterhuber baff.

„Was erzählst du denn da? Was hat das zu bedeuten?“

„Ich habe die Frau in meiner Gewalt und bringe sie in Sicherheit.“

„Warum? Was soll der Scheiß?“

„Es ist wie es ist“, sagte Lastin, der keine Lust hatte, sich Mitterhuber gegenüber zu erklären. Die Geschäftsbeziehung stand auf der Kippe, da gab es Wichtigeres zu besprechen. „Wie lange nehmt ihr mein Kobalt noch ab?“

„Das muss ich erst besprechen. Ich melde mich wieder.“

„Einverstanden. Ich warte auf deinen Rückruf.“

„Lastin ist nicht dabei, den können wir abschreiben. Er möchte nicht und verzichtet auf eine weitere Zusammenarbeit. Außerdem hat er eine Frau in seiner Gewalt.“

„Welche Frau?“

„Das ist nicht wichtig. Lastin ist nicht mehr dabei. Ich würde vorschlagen, dass wir ihn beseitigen.“

„Das ist ein guter Vorschlag, Martin. Wenn er redet, kann er uns gefährlich werden, das Risiko können wir nicht eingehen. Er kennt mich zwar nicht, trotzdem ist die Gefahr zu hoch. Schaff ihn weg. Und zwar so, dass ihn keiner findet. Wir müssen einen neuen Mann finden, der sich um Lastins Firmen kümmert. Du musst nach jemandem suchen, der gierig genug ist, den Job zu übernehmen und dumm genug, das zu tun, was wir von ihm verlangen.“

„Darum kümmere ich mich gerne, Chef. Was mir bei Lastin gelungen ist, wird mir nochmal gelingen, du kannst dich auf mich verlassen, wie immer. Was mache ich mit der Frau?“

„Das darfst du entscheiden, das überlasse ich ganz dir.“

Mitterhuber war sehr stolz, wie der Chef mit ihm umging. Der behandelte ihn nicht wie einen Trottel, sondern war wie immer sehr höflich zu ihm. Außerdem war Rolf Felbinger in einer Zeit für ihn da, in der ihm jeder aus dem Weg ging. Das würde er ihm niemals vergessen. Dazu kam das uneingeschränkte Vertrauen, das ihm vorher noch nie jemand entgegengebracht hatte. Das Telefongespräch war ganz nach Mitterhubers Geschmack. Er hatte diesen aufgeblasenen Lastin noch nie gemocht. Er hatte einen Mann im Hinterkopf, der für den neuen Job genau richtig war. Aber noch konnte er sich nicht darum kümmern, erst war Lastin dran. Mitterhuber hatte nichts gegen die fremde Frau, um die sollte sich der Trottel Lastin selbst kümmern. Ja, das war die perfekte Lösung. Er rief Lastin an, der am Wagen auf den Rückruf gewartet hatte.

„Bis wir eine adäquate Lösung für die Mehrmengen gefunden haben, werden wir weiterhin mit dir zusammenarbeiten.“

„Das höre ich sehr gerne.“ Lastin lächelte, er war weiterhin im Geschäft.

„Wir sind der Meinung, dass du die Frau beseitigen musst, Wolfgang. Sie weiß zu viel und könnte uns gefährlich werden. Bring sie um und dann verscharrst du sie irgendwo - und zwar so schnell wie möglich!“

„Das kann ich nicht machen.“

„Warum nicht? Hast du auf einmal dein Gewissen entdeckt? Wenn du das nicht kannst, übernehme ich das! Wo bist du?“

„Das werde ich dir nicht auf die Nase binden. Ich melde mich wieder.“

„Nein, das...“ Weiter kam Mitterhuber nicht, Lastin hatte aufgelegt. Was war nur mit dem Mann los? Bisher hatte er nicht den Eindruck gehabt, dass er besonders zart besaitet war. Und jetzt das! Das musste an dieser Frau liegen. Wer war sie? Er rief einen seiner Kontakte an und gab ihm die Handynummer von Wolfgang Lastin durch.

„Melde dich, wenn du das Handy geortet hast. Ich warte auf deinen Rückruf.“

Lastin setzte sich hinters Steuer und startete den Wagen.

„Was hast du vor? Wo fahren wir hin?“

„Wir beide machen jetzt einen kleinen Ausflug. Es ist lange her, dass wir etwas gemeinsam unternommen haben.“ Lastin lachte. So beschissen die Situation auch war, musste er seiner Schwester klarmachen, dass er alles im Griff hatte und sie keine Angst zu haben brauchte. Es lag eine Strecke von gut eineinhalb Stunden vor ihnen, in denen er nicht gedachte, sich mit Anita zu unterhalten. Deshalb drehte er die Musik lauter. Deep Purple war jetzt genau die richtige Musik, bei der er entspannen konnte. Die Aussicht darauf, dass die Kobalt-Geschäfte vorerst weiterliefen, gefiel ihm. Das würde ihm genug Zeit geben, sich neue Abnehmer zu suchen.

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