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Z serii: Leo Schwartz #21
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„Ich schicke dir einen Umschlag zu, den du bitte sicher verwahrst. Bitte sieh nicht hinein. Kann ich mich auf dich verlassen, Conny?“

„Selbstverständlich, du kennst mich doch. Bist du in Schwierigkeiten?“

„Das weiß ich noch nicht. Wenn ich dich darum bitte, schickst du mir den Umschlag einfach wieder zu. Sollte mir etwas zustoßen, übergibst du den Umschlag der Polizei. Machst du das für mich?“

„Klar. Muss ich mir Sorgen machen?“

„Nein. Ich möchte mich nur absichern. Vielen Dank, Conny.“

„Gerne. Tue mir den Gefallen und pass bitte auf dich auf.“ Conny Mahnstein lehnte sich mit einem Seufzer zurück. Auf was hatte sich ihre alte Freundin Brigitte eingelassen?

Nach einem weiteren Glas Whiskey brachte Brigitte Dickmann den Umschlag persönlich zur Post. Jetzt ging es ihr besser. Kilian konnte sich in der Sache nicht mehr aus der Affäre ziehen. Sollte ihnen die Polizei auf die Spur kommen, würde sie nicht allein alles auf sich nehmen. Dass die ganze Geschichte völlig schief lief, war ihr nach dem Gespräch mit Josef klargeworden. Inständig hoffte sie darauf, dass doch noch alles gutgehen würde. Warum auch nicht? Bis jetzt war sie immer mit Glück gesegnet gewesen und sie hoffte weiterhin darauf.

„Wo bleibt dieser Sekretär?“, maulte Hans, der immer wieder aus dem Fenster sah. Er hatte für heute Abend eine Verabredung und dachte überhaupt nicht daran, diese sausen zu lassen.

„Keine Ahnung. Er hätte schon vor Stunden hier sein müssen“, murmelte Viktoria, die sich nach anfänglichem Ärger langsam Sorgen machte.

„Ich habe auch noch ein Privatleben. Wenn ihr erlaubt, würde ich mich gerne für heute verabschieden.“

Viktoria lehnte ab, worüber Hans sauer war. Er rief seine Verabredung an und vertröstete sie auf später. Vielleicht tauchte dieser Mohr doch noch auf. Werner war längst nach Hause gegangen. Er war der Einzige mit Familie und wurde zuhause gebraucht. Außerdem mussten sie nicht alle wegen Tobias Mohr Überstunden machen.

Das Klingeln des Telefons durchbrach die eingetretene Stille. Leo ging ran. Das, was ihm mitgeteilt wurde, verschlug ihm die Sprache. Erschrocken legte er auf und sah seine Kollegen an.

„Das war München. Tobias Mohr wurde in seinem Wagen tot aufgefunden. Er wurde erschossen.“

5.

Hans hatte darauf verzichtet, zum Tatort nach München zu fahren. Zwischen ihm und Leo gab es deshalb einen erbitterten Streit, denn der wollte ebenfalls nicht. Nicht, weil es ihn nicht interessierte, ganz im Gegenteil, sondern weil er dann schon wieder mit Viktoria allein wäre. Hans war das gleichgültig.

„Das ist kein Wunschkonzert und kein Kindergarten.“, maulte Hans und nahm seine Jacke. „Bereinigt endlich eure Unstimmigkeiten.“, sagte er an beide gerichtet. „Solltet ihr das nicht zeitnah hinbekommen, werde ich mich versetzen lassen. Seit Wochen macht es mir keinen Spaß mehr, zur Arbeit zu gehen, weil ihr beide das Klima versaut.“

„Jetzt übertreib bitte nicht“, beschwichtigte Viktoria, die Hans noch nie so wütend gesehen hatte.

„Ich übertreibe? Frag doch Werner und alle anderen Kollegen. Uns geht euer Verhalten tierisch auf die Nerven. Klärt das endlich wie Erwachsene!“ Hans nahm seine Jacke und ging einfach. Ob die Standpauke etwas nützte? Er glaubte nicht daran, denn Viktoria und Leo hatten beide einen fürchterlichen Dickschädel.

Minutenlang war es still im Büro. Viktoria wusste nicht, was sie sagen sollte. Leo ging es ähnlich. Aber keiner von ihnen wollte nachgeben.

Schließlich nahm Leo die Ermittlungsunterlagen.

„Gehen wir?“

Viktoria nickte und stöhnte auf. Es war ihr klar, dass die bevorstehende Fahrt schrecklich werden würde.

Erst im Wagen bemerkte Leo, dass er seine Jacke vergessen hatte. Sollte er nochmals zurückgehen? Nein, das hätte er Viktoria erklären müssen und darauf hatte er keine Lust. Auch heute war es wieder sehr warm gewesen, was alle nach dem furchtbar langen und kalten Winter sehr genossen. Leo verzichtete großzügig auf seine Jacke, im Wagen brauchte er sowieso keine. Schweigend fuhren die beiden nach München. Irgendwann schaltete Leo das Radio an und drehte den Lautstärkeregler hoch. So war die Fahrt einigermaßen zu ertragen – für beide. In München musste Leo das Radio leiser drehen, sonst hätte er das Navi nicht verstanden. In dem Gewusel der Innenstadt, in der auch zu der späten Stunde immer noch sehr viel Verkehr herrschte, fand er sich bald nicht mehr zurecht. Er wurde nervös und fuhr lieber langsam, was andere Verkehrsteilnehmer nervte. Sie begannen zu hupen, was Leo nur noch unruhiger machte. Natürlich bemerkte Viktoria seine Unsicherheit, was ihn kräftig wurmte. Dann standen sie plötzlich vor dem kleinen Parkplatz in der Marienstraße. Leo wunderte sich. Wie hatte er das geschafft? Als er ausstieg, schlug ihm die Kälte entgegen. Die Sonne war längst weg und jetzt war es, nur mit einem T-Shirt bekleidet, empfindlich kalt. Leo konnte daran nun auch nichts mehr ändern und riss sich zusammen. Vor Viktoria durfte er keine Schwäche zeigen.

Mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei parkten kreuz und quer, der Tatort war weiträumig abgesperrt. Leo stellte seinen Wagen einfach dazu. Sie wiesen sich aus und gelangten schließlich bis zur Leiche von Tobias Mohr, die immer noch im Wagen lag. Keiner hatte es für nötig erachtet, die Leiche abzudecken. Der komplette Parkplatz war hell ausgeleuchtet, was den Toten noch schrecklicher aussehen ließ.

„Mein Name ist Wattenberger, Kripo München“, kam ein Mann auf sie zu. „Sie sind die Kollegen aus Mühldorf?“

„Richtig. Mein Name ist Untermaier, das ist der Kollege Schwartz.“

„Wir haben auf Sie gewartet und alles so belassen, damit Sie einen persönlichen Eindruck bekommen. Der Schuss wurde aus unmittelbarer Nähe abgefeuert, das Geschoss ist ausgetreten und landete in der Türverkleidung der Beifahrertür. Die Ballistiker sind bereits dabei, es zu untersuchen. Es gibt keine Zeugen und nicht den kleinsten Hinweis auf den Täter oder die Täterin. Wir haben die Nachbarn und alle greifbaren Passanten bereits befragt.“

Viktoria hielt die Ermittlungsakte Esterbauer in Händen und wollte den Kollegen Wattenberger informieren. Der aber lehnte dankend ab.

„Sie sind dafür zuständig, die Leiche und der Fall gehören Ihnen. Ich bin nicht böse darüber, einen Fall weniger bearbeiten zu dürfen. Wir sind krankheitsbedingt unterbesetzt und ersticken in Arbeit.“, fügte er erklärend hinzu. Dass er von Fällen, die auch nur im Entferntesten mit Politik zu tun hatten, lieber die Finger ließ, behielt er für sich. Solche Fälle brachten nur unnötigen Ärger mit sich, auf den er gerne verzichten konnte.

„Darf ich?“, fragte Leo und zeigte auf den Wagen des Toten.

„Bitte gern, die Spurensicherung ist fertig.“

Obwohl sich Leo vor der Leiche grauste, riss er sich zusammen und durchsuchte den Wagen. Natürlich nicht, ohne vorher Handschuhe angezogen zu haben. Peinlich genau sah er in jeden Winkel des Mittelklassewagens. Dann ging er wieder zu Wattenberger.

„Hatte der Tote etwas Persönliches bei sich? Handy? Geldbeutel? Aktentasche? Laptop?“

Wattenberger hielt ihm einen Beutel vor die Nase.

„Handy und Geldbeutel hatte er in der inneren Brusttasche seines Jacketts, den Schlüsselbund fanden wir im Fußraum der Beifahrerseite. Eine Aktentasche oder einen Laptop haben wir nicht gefunden. Vielleicht ist beides noch bei ihm zuhause? Laut dem Personalausweis ist er in Mühldorf gemeldet.“

„Das wissen wir. Trotzdem ist es seltsam, dass er keine Unterlagen oder eine Tasche bei sich hatte. Er war beruflich in München.“

„Vielleicht ist der Tote einer, der alles in seinem Handy speichert.“ Wattenberger drängte darauf, dass Leo den Beutel an sich nahm. Für ihn war der Fall hiermit abgegeben und er hatte endlich Feierabend. „Den Bericht der Ballistik schicke ich Ihnen zu. Ich habe veranlasst, dass die Leiche in die Pathologie gebracht wird. Es ist hinterlegt, dass Sie für den Fall verantwortlich sind. Ich wünsche Ihnen viel Glück.“

Viktoria und Leo sahen dem Mann hinterher. Als er davonfuhr, wurde die Leiche abtransportiert und der Wagen sichergestellt. Einer der Polizisten drückte Leo einen Lieferschein in die Hand.

„Sie finden den Wagen an dieser Adresse“, sagte er und verschwand.

Es dauerte nicht lange, und nur noch Leo und Viktoria waren vor Ort, alle anderen waren verschwunden, auch die Schaulustigen. Leo hatte immer noch Handschuhe an und nahm den Personalausweis des Toten aus der Brieftasche.

„Und? Wo ist er geboren?“

„München. Durch Mohrs Tod haben wir jetzt wenigstens die Erlaubnis, in seinem Leben wühlen zu dürfen. Ich bin gespannt, was wir finden werden.“ Leo zitterte, er fror entsetzlich. Inzwischen hatte er es längst bereut, seine Jacke doch nicht mitgenommen zu haben.

„Fahren wir nach Mühldorf zurück. Wenn du erlaubst, möchte ich für heute Schluss machen. Mohrs Leben können wir auch morgen noch zerpflücken.“, sagte Viktoria und stieg in den Wagen. Sie konnte es kaum erwarten, ihren Kollegen endlich loszuwerden. Die Polizei war darüber informiert, dass Mohr unverheiratet war. Zumindest wurde ihnen wenigstens die Überbringung der Todesnachricht erspart.

Leo stimmte sofort zu und startete den Wagen. Er war sehr froh darüber, als die Heizung ansprang und die wohlige Wärme sich langsam ausbreitete. Viktoria zog irgendwann demonstrativ ihre Jacke aus, aber das war ihm egal. Hauptsache, ihm war nicht mehr kalt.

Die Kripobeamten waren bei ihrer Arbeit aus sicherer Entfernung beobachtet worden. Josef hatte nach Mohr gesucht, den entscheidenden Hinweis bekam er von einer geschwätzigen Mitarbeiterin des Mühldorfer Parteibüros. Sie hatte ausgeplaudert, wo Mohr einen Termin hatte. Er fuhr zu der genannten Adresse und brauchte nur zu warten. Als Mohr auftauchte, ging der schnurstracks zu seinem Wagen, den er hier geparkt hatte. Mohr war stur geblieben und hatte sich geweigert, auch nur ein einziges Wort über seinen Arbeitgeber Esterbauer oder die Unterlagen zu sagen. Er wiederholte ständig, dass er von nichts wusste, aber Josef sah ihm an, dass er log. Ja, der Mann wusste Bescheid, er konnte ihm nichts vormachen. Die Situation geriet völlig außer Kontrolle. Es gab ein kurzes Handgemenge, bei dem sich ein Schuss löste. Das war nicht beabsichtigt gewesen, denn tot nutzte ihm der Mann nichts. Aber an dieser Situation konnte man nichts mehr ändern. Mohr war tot und er hatte keine Ahnung, wo er nach Esterbauer und den Unterlagen suchen sollte. Josef nahm die Aktentasche an sich. Dann platzierte er den Toten auf dem Fahrersitz. Den Schlüsselbund, der auf den Boden gefallen war, warf er achtlos in den Wagen. Gerade, als er den Wagen durchsuchen wollte, tauchten schwatzende Passanten auf. Er zog sich zurück und wartete. Es dauerte nicht lange, bis die Leiche entdeckt wurde. Verdammt! Er hätte sich zu gerne den Wagen noch vorgenommen. Dafür war es zu spät, die Polizei tauchte nach wenigen Minuten auf. So ein verdammter Mist!

 

Während die Polizei vor Ort war, durchsuchte er die Aktentasche des Toten. Hierin war nichts, was ihm nutzte. Einen Laptop fand er nicht, auch von einem Handy war nichts zu sehen. Verdammter Mist! Er hätte mehr Zeit gebraucht. Ihm blieb nur, sich in Mohrs Privaträumen und in den Büros von Esterbauer und Mohr umzusehen. Seine Auftraggeberin hatte bereits in deren Schreibtische danach gesucht und versichert, dass dort nichts zu finden sei, aber er wollte sich lieber persönlich davon überzeugen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel. Er hatte von Frau Dickmann zwar eine stattliche Summe kassiert, aber die war für seinen Lebensstil einfach zu gering. Er war auf die Restzahlung nach Auftragsabschluss angewiesen.

Er beobachtete aus sicherer Entfernung und im Schutze der Schaulustigen die Arbeit der Polizei. Wer würde den Fall übernehmen? Er war überrascht, als er die Kripo-Beamten der Mühldorfer Polizei erkannte. Der lange, dünne war derjenige, in dessen Armen die Esterbauer starb. Sie haben sich also des Falls angenommen, auch wenn der Mord in München geschah - interessant. Das war für Josef geradezu ideal, denn er hielt nicht viel von der Mühldorfer Polizei, da diese in seinen Augen nicht viel taugte. Seit einigen Jahren wurde nach ihm gesucht und doch lebte und arbeitete er direkt vor deren Nase völlig unbehelligt.

Die Mühldorfer Kripobeamten fuhren los, nachdem sich die Münchner Kollegen schon längst verabschiedet hatten. Josef zögerte. Sollte er sofort nach Mühldorf fahren und sich dort umsehen? Nein, dafür war noch die ganze Nacht Zeit. Er wartete, bis die Mühldorfer Polizisten außer Sichtweite waren, und folgte dem Lastwagen, auf dem Mohrs Wagen aufgeladen wurde. Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit, sich darin in Ruhe umzusehen.

Josef fluchte, als er sah, dass der Wagen in die Halle einer Polizeistation gebracht wurde, in der auch zu dieser Stunde noch jede Menge Betrieb herrschte. Verdammt! Den Wagen konnte er vergessen. Er gab Gas und fuhr nach Mühldorf.

Als Viktoria nach einer abermals schweigsamen Rückfahrt endlich erleichtert vor ihrem Wagen auf dem Parkplatz der Polizeiinspektion stand, dachte sie nicht daran, in ihre Pension zu fahren, wo sie während ihres Aufenthalts in Mühldorf untergekommen war. Sie fuhr zu Mohrs Adresse und wollte sich dort in Ruhe umsehen. Vielleicht fand sie etwas aus seinem Vorleben oder einen Hinweis auf seinen Mörder.

Viktoria kannte das Haus, in dem Mohr gewohnt hatte. Eine hübsche Wohngegend, in der die Polizei nicht viel zu tun hatte. Sie blickte an dem viergeschossigen Gebäude nach oben. Dort oben links musste Mohrs Wohnung sein. Sie lag im Dunkeln, wie die anderen Wohnungen auch. Das war insofern nicht verwunderlich, weil es schon weit nach Mitternacht war. Leo hatte den Hausschlüssel, also musste sie sich irgendwie Zugang zum Haus und zur Wohnung verschaffen. Die Haustür war eine Kleinigkeit, die hatte sie mit Hilfe einer ihrer vielen Rabattkarten rasch auf. Die Wohnungstür war ein anderes Kaliber, hierzu brauchte sie einen Dietrich und viel Zeit. Die Beleuchtung des Treppenhauses schaltete sehr kurz, was zusätzlich Zeit kostete. Endlich war die Wohnungstür offen. Noch während sie eintrat, hoffte sie darauf, dass Mohr alleine lebte. Sie wusste, dass er unverheiratet war, aber nicht, ob er in einer Partnerschaft lebte. Sie musste vorsichtig sein, denn sie konnte nicht wissen, was sie erwartete. Jetzt bereute sie es, dass sie ohne Begleitung hergekommen war. Mit einem Partner an ihrer Seite hätte sie sich sehr viel sicherer gefühlt. Aber was sollte schon passieren? Sie war schließlich bewaffnet.

Mit der Taschenlampe und ihrer Waffe in der Hand durchsuchte sie die Zweiraumwohnung, die sehr geschmackvoll eingerichtet war. Die Wohnung war sauber, hier war niemand. Sie steckte ihre Waffe wieder ein und schaltete das Licht ein. Sie stand im Wohnzimmer – und bekam einen heftigen Schlag auf den Kopf.

6.

Ganz langsam kam Viktoria zu sich. Sie blickte Leo direkt in die Augen, der ihr mit dem Gesicht sehr nahe gekommen war. Sie lächelte. War das nur ein Traum? Dann spürte sie den feuchten, kalten Lappen im Gesicht und es wurde immer klarer um sie herum. Ihr Kopf tat schrecklich weh.

„Was ist passiert?“, murmelte sie immer noch benommen.

„Du wurdest niedergeschlagen. Als ich kam, stand die Wohnungstür offen. Mitten in dem Chaos habe ich dich gefunden. Bleib liegen, der Krankenwagen ist unterwegs.“

Täuschte sie sich, oder sprach Leo gerade nicht ganz so abweisend wie sonst mit ihr? Hatte er sich etwa Sorgen gemacht?

„Warum bist du hier?“, fragte sie ihn und versuchte entgegen seinem Rat, sich langsam aufzusetzen.

„Dasselbe könnte ich dich fragen. Wolltest du nicht Feierabend machen? Stattdessen brichst du hier ein – allein. Das ist unverantwortlich!“

„Du kannst mich mal! Du bist doch auch alleine hier, oder täusche ich mich?“

Der Notarzt war endlich vor Ort und unterbrach den sich anbahnenden Streit. Leo tat so, als würde er sich umsehen, hatte dabei den Notarzt immer im Blick. Er war erleichtert, als der grünes Licht gab. Viktorias Verletzung war zum Glück nicht so schwer, was vorhin, als er sie fand, ganz anders aussah. Als er Viktorias Wagen vor der Polizeiinspektion hinterher sah, hatte er beschlossen, doch noch seine Jacke zu holen. Bei der Gelegenheit konnte er Mohrs persönliche Dinge in seinen Schreibtisch legen. Der Chef sah es ohnehin nicht gerne, wenn Beweismaterial mit nach Hause genommen wurde. Als er den Wohnungsschlüssel des Opfers in Händen hielt, zögerte er. Konnte er es wagen? Warum nicht! Er wollte sich in dessen Wohnung nur einen Überblick verschaffen, mehr nicht. Die Neugier war einfach zu groß. Außerdem war er nicht müde, sein Bett konnte noch warten. Also fuhr er zu dem Haus, in dem Mohr eine Wohnung gemietet hatte. Vor dem Haus sah er, dass Licht in der Wohnung brannte. Er hatte sich fast zu Tode erschreckt, als er Viktoria fand, deren Wagen er vor dem Haus nicht bemerkt hatte. Für einen kurzen Moment hatte er Angst bekommen, denn so wie sie dalag, vermutete er das Schlimmste. Zum Glück kam sie rasch zu sich. Täuschte er sich, oder lächelte sie ihn an?

„Mir fehlt nichts.“, hörte Leo Viktoria sagen. „Sie können gehen, Doc. Danke für Ihre Hilfe.“

Dann waren der Notarzt und sein Kollege verschwunden. Die Kriminalbeamten waren wieder allein.

„Diese Unordnung war vorhin noch nicht“, sagte Viktoria, die sich wegen der Kopfschmerzen zusammenreißen musste. Sie rappelte sich auf und begann, sich in der Wohnung umzusehen, während ihr Kopf zu platzen drohte. Sie war kurz davor, sich zu übergeben, was Leo sehr wohl bemerkte.

„Setz dich“, sagte er deshalb.

„Mir geht es gut.“

„Du sollst dich setzen! Spiel hier nicht die Heldin! So, wie du aussiehst, wirst du dich gleich übergeben. Fuchs und seine Leute sind unterwegs. Wie willst du denen dein Erbrochenes erklären?“

„Mir geht es gut!“, protestierte Viktoria erneut und setzte sich dennoch. Leo hatte Recht. Wie sah es aus, wenn sie sich hier übergeben würde? Das würde bei den Kollegen schnell die Runde machen. Sie lehnte sich zurück und war sauer, dass sie sich so stümperhaft übertölpeln lassen hatte. Sie hatte ihren Angreifer nicht bemerkt, sie war einfach zu unvorsichtig gewesen.

„Hast du niemanden gesehen?“, fragte sie Leo, der ununterbrochen auf und ab ging und Viktoria damit fast wahnsinnig machte.

„Nein“, war die knappe Antwort. Leo hatte tatsächlich niemanden gesehen und das ärgerte ihn. Wäre er nur einige Minuten schneller gewesen, hätte er den Täter sicher geschnappt.

Leo durchsuchte die Wohnung nur oberflächlich. Er fand spontan nichts, was auf Mohrs Vergangenheit hindeutete. Er hätte sich gerne genauer umgesehen, aber Fuchs würde darauf nicht erfreut reagieren. Er würde sich von ihm eine Standpauke anhören müssen, auf die er nicht scharf war. Ungeduldig wartete er auf Fuchs, während er immer wieder aus dem Fenster sah. Was hätte er sonst tun sollen? Sich neben Viktoria setzen? Auf keinen Fall!

„Weißt du, was mich stört? Derjenige, der mich niederschlug, muss von Mohrs Tod gewusst haben. Meinst du, das war Mohrs Mörder?“ Viktoria nahm noch zwei von den Tabletten, die der Notarzt ihr überlassen hatte.

„Mag sein“, antwortete Leo, der bei dem Gedanken eine Gänsehaut bekam. Wenn das so wäre, dann war Viktoria nur knapp davongekommen. Warum belastete ihn das so sehr?

Josef war überrascht gewesen, als er beim Betreten von Mohrs Wohnung die Polizistin vorfand. Aber noch überraschter war er, dass sie allein hier war. Wie unvorsichtig war das denn! Warum die Polizistin so vorging, war ihm gleichgültig, ihm kam das zugute. Mit einem heftigen Schlag setzte er die Frau außer Gefecht, noch bevor sie realisieren konnte, was geschah. Ob er zu fest zugeschlagen hatte und wie es ihr ging, war ihm egal. Polizisten kannten schließlich das Risiko, dem sie täglich ausgesetzt waren. Josef durchwühlte die Wohnung, aber von den Unterlagen, auf die seine Auftraggeberin scharf war, war weit und breit nichts zu finden. Verdammt! Er war sich sicher gewesen, dass er hier genau richtig war. Warum sonst hatte ihn Mohr so komisch angesehen, als er ihn nach den Unterlagen fragte? Josef suchte weiter. Er fand in einem der Aktenordner eine Spur, der er unbedingt nachgehen musste und die recht vielversprechend aussah. Den Ordner nahm er mit. Aber bevor er dieser Spur nachging, musste er sich die Büros Esterbauers und Mohrs vornehmen. Josef beschloss, wieder zu gehen. Dass die Polizistin sich nicht ein einziges Mal bewegt hatte, war gut für ihn.

Im Treppenhaus vernahm Josef Geräusche. Gerade noch rechtzeitig, bevor er nach unten ging. Er blieb für einen kurzen Moment stehen. Dann ging die Treppenbeleuchtung an. Schnell ging er so leise wie möglich die Treppe nach oben, wobei er vorsichtshalber die Waffe in der Hand hielt. Sollte jemand vor ihm auftauchen, musste er sofort schießen, er durfte kein Risiko eingehen.

Die Sekunden vergingen sehr langsam. Was würde jetzt geschehen? Josef hielt den Griff der Waffe fest umklammert. Die Schritte kamen näher. Vorsichtig streckte Josef den Kopf übers Geländer und beobachtete, wie ein Mann die Wohnung von Mohr betrat und dabei ebenfalls eine Waffe in der Hand hielt. War das nicht der Polizist, der auch schon in München war? War nicht auch er es, an den sich die verblödete Esterbauer klammerte, bevor er sie erschießen musste? Wenn er es nicht besser wüsste, würde er annehmen, dass es außer diesem großen, dünnen Bullen keine anderen gab. Josef hörte, wie der Polizist den Namen Viktoria rief. Das war der richtige Moment für ihn, abzuhauen. So schnell wie möglich rannte er die Treppe nach unten, wobei er darauf bedacht war, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Rasch stieg er in seinen Wagen und fuhr davon. Ob ihn jemand gesehen hatte? Nein, dafür ging alles viel zu schnell.

Nach der nächsten Kurve verlangsamte sich sein Puls wieder, er hatte es geschafft. Was jetzt? Die Polizei war ihm noch nie so nah gekommen wie eben. Sollte er nicht besser sofort abhauen? Sicherer wäre es, die Spur Mohrs zu verfolgen, die ihn wieder zurück nach München führte. Sollte er die Büros in Mühldorf sausen lassen? Nein. Frau Dickmann würde nicht begeistert sein, wenn dort die Unterlagen doch noch auftauchen würden. Er musste sich selbst überzeugen und fuhr direkt zu den Büros der Bürgerpartei, die ihm persönlich völlig egal war. Für Politik und so einen Mist hatte er nichts übrig. Das waren in seinen Augen alles nur Profilneurotiker, die sich wichtig machten. Politiker war eigentlich kein schlechter Job. Nur den ganzen Tag labern, wobei es völlig egal zu sein schien, was man von sich gab. Er hatte oft beobachtet, wie schnell Politiker ihre Meinung von einem auf den anderen Tag änderten; nach dem Motto: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ Und dafür kassierten die Damen und Herren ordentliche Gehälter, die die dummen Steuerzahler fleißig bezahlten. Obendrein gab es Sondervergünstigungen und Vorteile, in deren Genuss ein Normalsterblicher niemals kommen würde. Darüber regte sich niemand auf. Josef zählte sich nicht zu den Normalbürgern. Erstens hatte er sich schon immer nur für sich selbst und sein eigenes Schicksal interessiert. Und zweitens bezahlte er schon seit vielen Jahren keine Steuern mehr und musste sich somit auch nicht über Steuerverschwendungen und unnötige Ausgaben, zu denen er auch die völlig überhöhen Gehälter der Politiker zählte, aufregen. Seine eigenen Einnahmen waren alles Nettoeinnahmen, von denen außer seinen Auftraggebern niemand wusste und die ihm ein sehr angenehmes Leben ermöglichten.

 

Josef war an dem Gebäude angekommen, in dem die Partei ihre Büros angemietet hatte. Er sah auf die Uhr und musste warten. Erst, wenn der Wachdienst seine Kontrolle durchgeführt hatte, konnte er dort einbrechen, diese Angaben hatte er von seiner Auftraggeberin bekommen. Ob sich die Frau Anwältin inzwischen wieder beruhigt hatte? Er hatte ihr schon bei der ersten Begegnung angesehen, dass sie keine starken Nerven hatte. Sie war eine biedere Frau in den Fünfzigern, die äußerlich nicht besonders auffiel. Normalerweise mochte er keine Frauen als Auftraggeber, mit denen gab es oft Ärger. Aber sein Mittelsmann Neuberger hatte ihm den Auftrag zugeschanzt und ihm hatte er viel zu verdanken. Natürlich hieß er nicht Josef, diesen Namen hatte er sich nur für die Anwältin zugelegt. Für jeden Auftrag gab es einen neuen Namen. Niemand brauchte wissen, dass er Peter Farkas war, der schon seit Jahren auf den Fahndungslisten der Polizei ganz oben stand. Auf ihn war sogar ein sehr hohes Kopfgeld ausgesetzt, worüber er sich sehr gefreut hatte. Die Polizei würde ihm niemals auf die Spur kommen. Seit über vier Jahren lebte er sogar in Mühldorf am Inn, nur wenige hundert Meter von der Polizeiinspektion entfernt. Wenn er besonders gute Laune hatte, fuhr er direkt an der Polizei vorbei und grüßte die Uniformierten stets freundlich. Keiner der Trottel hatte ihn jemals erkannt.

Es dauerte über eine Stunde, bis es endlich so weit war. Lächelnd musste Josef zusehen, dass der Wachdienst lediglich an der Tür rüttelte und dann an zweien der Fester mit einer Taschenlampe reinleuchtete. Das war alles. Was für eine Stümperarbeit!

Die Tür war ein Kinderspiel, die brach er mit roher Gewalt und mit Hilfe eines Brecheisens auf. Er hatte bereits genug Zeit vertrödelt. Außerdem würde ihn niemand in den umliegenden Gebäuden hören, denn das Haus befand sich mitten in einem Industriegebiet, in dem um diese Zeit nichts los war. Er zog sich eine Maske über, schließlich könnten überall Überwachungskameras hängen, darüber konnte Frau Dickmann keine Aussage machen.

Während Josef die beiden Büros durchwühlte, waren Fuchs und seine Leute in Mohrs Wohnung angekommen, was mitten in der Nacht nun auch von den anderen Bewohnern nach und nach bemerkt wurde. Sie waren über das Großaufgebot der Polizei erschrocken und antworteten bereitwillig auf die Fragen der Polizei.

Fuchs und seine Leute sicherten alle Spuren und brauchten dafür Stunden. Was fehlte? Konnten sie das überhaupt beurteilen? Leo hatte weder einen Laptop noch eine Aktentasche gesehen. Auch Fuchs nicht. Ging es dem oder den Tätern darum? Hatten sie gefunden, wonach sie suchten?

Leo fuhr Viktoria in ihre Pension, schließlich konnte sie in ihrem Zustand nicht mehr selbst fahren. Er wollte sie zu ihrem Zimmer begleiten, aber Viktoria lehnte dankend ab. So weit käme es noch, dass sie sich von ihm wie ein kleines Kind behandeln lassen musste. Ja, sie hatte schreckliche Kopfschmerzen und sie war auch wacklig auf den Beinen. Aber sollte sie das Leo gegenüber zugeben? Nie und nimmer!

Leo wusste über ihren Zustand Bescheid, schließlich hatte er jedes Wort, das zwischen Viktoria und dem Notarzt gewechselt wurde, mitbekommen. Dieses sture Weib! Nachdem sie seine Hilfe - in seinen Augen viel zu schroff - abgewiesen hatte, fuhr er wütend nach Hause. Ob er jetzt endlich müde genug war, um ein paar Stunden am Stück schlafen zu können? Er glaubte nicht daran, verzichtete heute aber auf den Rotwein, denn davon hatte er in letzter Zeit viel zu viel getrunken. In der Küche fand er auf dem Herd einen Topf vor, den Tante Gerda, seine Vermieterin und Ersatzmutter, dort hingestellt hatte. Er lupfte den Deckel und roch daran. Gulasch mit Kartoffeln – herrlich. Noch während er das Gulasch erhitzte, löffelte er immer wieder daraus, er hatte tierischen Kohldampf. Was war Tante Gerda doch für ein Engel!

Dass sich Tante Gerda große Sorgen um ihn machte, wusste er nicht. Schweren Herzens musste sie beobachten, wie Leo immer dünner wurde und viel zu viel trank. Er war traurig und quälte sich, das sah sie ihm an. Und das tat ihr sehr weh. Sie mochte Leo wie einen eigenen Sohn und wünschte ihm nur das Beste. Ja, Viktoria hatte sich im letzten Jahr für ihre Karriere entschieden und war nach Berlin gezogen, was sie ihr nicht übelnahm. Jeder musste für sich entscheiden, was gut für ihn war. Leo hatte sehr gelitten und war endlich über sie hinweg, als sie jetzt plötzlich wieder hier aufgekreuzt war. Warum kam sie zurück? Das Mädl sah unglücklich aus, das sah ihr Tante Gerda sofort an. Ob sie ihre letztjährige Entscheidung bereute? Um Viktoria machte sie sich keine Sorgen, das Mädl war stark und kam zurecht. Aber Leo nicht. Wenn sich die beiden nicht endlich aussprachen, würde das noch ein schlimmes Ende nehmen. Eigentlich wollte sie sich aus den Privatangelegenheiten der beiden raushalten, schließlich mochte sie es selbst nicht, wenn sich jemand in ihr Leben einmischte. Aber damit war jetzt Schluss. Tante Gerda nahm sich vor, in den nächsten Tagen mit Viktoria und Leo zu sprechen. Sie konnte dem Elend nicht länger zusehen.

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