DRECKSPACK

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Z serii: Leo Schwartz #31
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„Wenn Sie möchten, kann ich die Anzeige sofort aufnehmen. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?“

„Ich würde mir das gerne nochmal überlegen“, flüsterte Regina. Sie schämte sich für ihre Feigheit und wagte es nicht, die beiden Polizisten anzusehen.

Leo wollte protestieren, aber Hans hielt ihn zurück. Er gab ihr seine Karte.

„Überlegen Sie in Ruhe. Wir werden die Tabletten konfiszieren, um einen unsachgemäßen Umgang damit zu verhindern. Sind Sie einverstanden?“

Regina nickte. Die Tabletten waren ihr im Moment egal.

„Melden Sie sich einfach, wenn Sie sich entschieden haben, okay?“ Hans lächelte und stieg ein.

Regina Liebers murmelte einen unverständlichen Gruß und lief davon. Sie wollte nur noch weg und in Ruhe darüber nachdenken, was eben passiert war.

Waldemar Liebers war aufgestanden. Er war nicht ganz so gebrechlich, wie er vorgab. Für ihn war es praktisch, dass sich seine Nichte um ihn kümmerte und ihm lästige Arbeiten abnahm. Ja, das war moralisch verwerflich, aber so war er nun mal. Warum sollte er sich nach einem harten Leben in seinem hohen Alter mit Arbeiten belasten, die ihm nicht lagen? Regina war gutmütig und einfältig, darin kam sie ganz nach ihrer Mutter. Nach deren Tod hatte sich Regina angeboten und er hatte sich nicht dagegen gewehrt. Warum hätte er das tun sollen?

Regina hatte ihm die Polizei ins Haus gebracht. Es war das eingetreten, was er seit vielen Jahren erfolgreich vermeiden konnte. Er nahm das Telefon und wählte eine Nummer, die er lange nicht gewählt hatte.

„Waldi? Was ist los?“

„Die Polizei war hier.“

„Warum? Du bist schon lange im Ruhestand und bist seit Jahren nicht mehr aktiv. Wie lange ist es her, dass du untergetaucht bist? Das müssen gut und gerne dreißig Jahre her sein.“

„Es sind genau dreiunddreißig Jahre und vier Monate. Danach haben mich die Bullen gekriegt. Du kannst dich doch noch an meine Flucht erinnern, oder etwa nicht?“.

„Klar kann ich mich erinnern. Was wollte die Polizei?“

„Sie war wegen meiner Nichte hier, nicht wegen mir. Die dumme Gans hat jede Menge Schlaftabletten besorgt. Du kennst mich lange genug und weißt, dass ich manchmal Blödsinn rede. Ich plappere einfach vor mich hin.“

„Ja, ich erinnere mich gut.“

„Sie hat mich ernst genommen, da sie meinte, dass ich mich umbringen wolle.“

„Du bist ein Idiot!“

„Ja, ich rede manchmal dummes Zeug, das weiß ich selbst. Wie hätte ich wissen sollen, dass mich die naive Kuh ernst nimmt? Die Göre hat sich so ungeschickt angestellt, dass die Polizei auf sie aufmerksam wurde. Ich habe alles von mir gewiesen und meine Nichte als dumm dastehen lassen. Ich glaube, dass mir das nicht wirklich gelungen ist. Vor allem einer der Polizisten war mir gegenüber sehr feindselig eingestellt. Trotzdem war die Polizei bei mir, was mir überhaupt nicht gefällt. Was soll ich tun?“

„Vor allem müssen wir ruhig bleiben und dürfen nichts überstürzen. Dass die Polizei bei dir war, ist zwar nicht gut, aber auch keine Katastrophe. Es ging um deine Nichte, nicht um dich. Verhalte dich ruhig und warte ab. Ich garantiere dir, dass nichts mehr passieren wird. Und wenn doch, unternimmst du nichts, ohne vorher mit mir zu sprechen. Hast du verstanden?“

„Ja.“

Es entstand eine längere Pause.

„Hat dich deine Nichte angezeigt?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Deine Nichte ist ein Risiko, Waldi. Wenn sie Anzeige erstattet, kann dich das in Schwierigkeiten bringen. Dann taucht dein Name auf, was wir nicht brauchen können. Schaff das Problem aus der Welt. Wenn deine Nichte nicht mehr ist, wird einer möglichen Anzeige auch nicht mehr nachgegangen.“

Waldemar Liebers verstand sofort, was sein Kontaktmann von ihm verlangte.

„Ich kümmere mich darum.“

„Gut. Sollte sich die Polizei nochmal melden, gib mir Bescheid. Wenn nicht, dann ruf nicht mehr an.“

Leo stieg umständlich ein. Dann zog er seine Schmerzmittel aus der Hosentasche und nahm eine weitere Tablette.

„Wie viele von den Dingern hast du schon genommen?“

„Zwei, warum?“

„Übertreib es nicht, hörst du? Das sind keine Bonbons, die man massenweise in sich hineinstopfen kann. Was bist du nur für eine Mimose? Man muss Schmerzen auch aushalten können. Du hast bereits Spritzen bekommen, die müssten eigentlich ausreichen. Versprich mir, dass du erst wieder heute Abend eine Tablette nimmst.“

„Wer bist du? Meine Mutter? Behalte deine klugen Ratschläge gefälligst für dich! Wie ist der Ermittlungsstand im Mordfall Tilly-Gruft?“

Während Hans ausführlich berichtete, hatten Tatjana und Diana endlich den Bruder der Toten gefunden. Nachdem sie ihn im Hotel nicht angetroffen hatten, hatten sie ihn auf Hinweis einer Hotelangestellten in einem Café ausfindig gemacht, wo der Mann fröhlich plaudernd mit einer hübschen Frau saß.

„Wenn das die Arbeitsweise eines Versicherungsmaklers im Geschäftsaufbau ist, habe ich mir den falschen Beruf ausgesucht“, sagte Tatjana und steuerte auf den Tisch am Fenster zu. Schon beim ersten Blick war ihr klar, dass sie den Mann nicht mochte.

„Sind Sie Norbert Bückler?“

„Ja, der bin ich. Bitte entschuldigen Sie, aber ich habe gerade einen Geschäftstermin.“ Er gab ihr seine Karte. „Rufen Sie mich an, dann können wir gerne einen Termin vereinbaren. Momentan habe ich leider keine Zeit und bitte um Ihr Verständnis.“

Diana war beeindruckt. Nicht nur von der Höflichkeit des Mannes, sondern auch von seiner charmanten Art. Tatjana war beides egal. Sie machte ein Foto des Mannes, der das nicht merkte.

„Struck, Kripo Mühldorf. Das ist meine Kollegin Nußbaumer. Bitte brechen Sie das hier ab, was immer das auch sein soll.“ Tatjana glaubte keine Sekunde an einen Geschäftstermin. Das war ein Date und sonst nichts.

„Kriminalpolizei? Habe ich etwas angestellt?“ Norbert Bückler lächelte gequält. Er hatte die hübsche Frau erst vor zwanzig Minuten angesprochen und das Gespräch verlief sehr gut. Dieser unfreundliche Trampel von einer Kriminalbeamtin bestand darauf, mit ihm zu sprechen, das merkte er an der Art ihres Auftretens. Deren Kollegin war ganz hübsch, vielleicht war das Gespräch mit den beiden Polizistinnen doch nicht so übel. Er verabschiedete sich charmant von der Frau und bat Tatjana und Diana, sich zu ihm zu setzen.

„Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Kaffee oder Tee? Gerne auch ein Glas Champagner?“, sagte er lächelnd und sah dabei Diana an.

„Wir sind dienstlich hier“, kam Tatjana auf den Punkt zurück.

„Wie Sie wollen. Legen Sie los, ich bin gespannt.“

„Sie haben eine Schwester mit Namen Hildegard?“

„Ja. Wir sind nicht so eng miteinander, haben unterschiedliche Lebensauffassungen. Aber das ist normal unter Geschwistern, aber deshalb sind Sie sicher nicht hier.“ Das Lachen war aus dem Gesicht des Mannes verschwunden. Er sah Tatjana ernst an.

„Wir haben keine guten Nachrichten für Sie. Ihre Schwester wurde heute tot aufgefunden, sie wurde erschlagen.“

Norbert Bückler sah Tatjana mit weit aufgerissenen Augen an. Er schien sie nicht verstanden zu haben.

„Meine Schwester ist tot? Aber…“

„Es tut uns leid, Herr Bückler. Wir wissen, dass Ihre Schwester in Erding lebte. Warum war sie hier?“

„Das weiß ich nicht! Hildegard war in Burghausen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie mich jemals aufgesucht hat, sie hat eher den Kontakt zu mir vermieden. Wer hat sie getötet?“

„Das versuchen wir, herauszufinden. Um es gleich richtig zu stellen: Ihre Schwester wurde nicht in Burghausen ermordet, sondern in Altötting.“

„In Altötting? Was wollte sie dort?“

„Auch das werden wir herausfinden.“ Tatjana hielt ihm ihr Handy vor. „Ist das Ihre Schwester?“

Norbert Bückler starrte erschrocken auf das Display und nickte.

„Ja, das ist sie. Wie ist sie ums Leben gekommen? Wer hat ihr das angetan?“

„Sie wurde erschlagen. Die genaueren Umstände sind noch nicht klar, daran arbeiten wir noch. Hatte Ihre Schwester Feinde? Wurde sie bedroht?“

„Nein, davon weiß ich nichts. Hildegard war eine selbstbewusste und selbständige Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand. Sie wusste genau, was sie wollte und was sie nicht wollte. Aber deshalb bringt man doch niemanden um!“

„Was hat sie beruflich gemacht?“

„Genau weiß ich das nicht. Vor einem halben Jahr hat sie ihren Job in einem Münchner Pharmakonzern gekündigt und wollte sich selbständig machen. Was genau sie vorhatte, weiß ich nicht. Sie hat es mir sicher erzählt, aber ich habe ihr nicht zugehört. Verurteilen Sie mich bitte nicht, aber vor einem halben Jahr war sehr viel los. Der Tod unserer Eltern und später auch noch die Pläne der Selbständigkeit in einer fremden Umgebung haben mich voll und ganz in Beschlag genommen. Da konnte ich mich nicht auch noch um die Belange meiner Schwester kümmern, die mich mit dem Erbe übers Ohr gehauen hat.“

„Hat sie das?“

„Ja, und zwar ordentlich. Das Haus meiner Eltern war sehr viel mehr wert, als sie mir durch ein Gutachten Glauben machen wollte. Ich habe ein weiteres Gutachten angefordert, das ähnlich gering ausfiel. Obwohl ich immer noch Zweifel hatte, habe ich ihr Angebot akzeptiert, mit dem sie mich auszahlte. Wenn ich ehrlich bin, bin ich immer noch sauer auf sie.“

„Und trotzdem haben Sie sie zu der bevorstehenden Geburtstagsfeier eingeladen?“

„Woher wissen Sie das?“

„Beantworten Sie bitte meine Frage.“

„Ja, ich habe Hildegard eingeladen. Ein Freund befand, dass es an der Zeit sei, die Wogen zu glätten.“

„Ist dieser Freund Bruder Clemens?“

 

„Ja, woher…“

„Wir kriegen alles raus, das müssen Sie sich merken“, sagte Tatjana, die an dem Mann nichts Sympathisches fand. Sie hatte immer noch die schmachtenden Blicke vor Augen, wie er die fremde Frau und dann auch noch Diana angesehen hatte. So etwas war in ihren Augen einfach nur widerlich. „Wo waren Sie gestern Abend zwischen einundzwanzig Uhr und Mitternacht?“

„Sie verdächtigen mich?“, schrie Bückler.

„Reine Routine, das müssen wir fragen“, sagte Diana, die den Mann verstehen konnte.

„Um neunzehn Uhr traf ich mich mit meinem zukünftigen Geschäftspartner. Wir trennten uns etwa gegen zwanzig Uhr dreißig. Danach ging ich ins Hotel und sah fern.“

„Kann das jemand bestätigen?“

„Nein. Ich wohne seit etwa zwölf Wochen im Hotel Eichenhof und habe meinen Schlüssel immer bei mir. Also gibt es keine Rezeptionistin, mit der ich gesprochen habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemanden gesehen zu haben, der meine Anwesenheit bestätigen könnte. Sie sollten sich die Mühe machen und die Angestellten befragen, vielleicht findet sich doch jemand, der mich gesehen hat und mein Alibi bestätigen kann.“

„Wie können Sie sich eine solch lange Dauer in einem Hotel leisten? Das kostet doch sicher ein Vermögen.“

„Eine Wohnung zu mieten ist auch nicht günstig, das können Sie mir glauben. Ich habe mich dazu entschlossen, mich erst um die Geschäftsräume der Firma zu kümmern, danach werde ich mich um eine Wohnung oder ein Haus bemühen. Das Hotelzimmer hat sich als sehr praktisch erwiesen. Ich brauche mir weder um die Sauberkeit des Zimmers noch um das Frühstück Sorgen zu machen. Darüber hinaus ergeben sich oft interessante Gespräche mit anderen Gästen oder dem Personal, die ich als sehr angenehm empfinde. Ja, das Hotel ist nicht billig, aber ich bin nicht mittellos und kann mir das durchaus leisten, machen Sie sich um meine Finanzen keine Sorgen. Sie können meine finanziellen Verhältnisse gerne überprüfen, allerdings nur mit einem richterlichen Beschluss, von mir aus werde ich nichts preisgeben.“ Norbert Bückler lehnte sich zurück und lächelte. Dieser Angeber hatte offenbar schon vergessen, dass seine Schwester ermordet wurde.

„Name und Anschrift Ihres künftigen Geschäftspartners“, forderte Tatjana den Mann auf, der daraufhin sofort das Gewünschte notierte. „Das war es vorerst. Ich möchte Sie bitten, die Leiche persönlich zu identifizieren. Wenn es soweit ist, melden wir uns bei Ihnen.“

„Ihnen reicht es nicht, dass ich sie auf dem Foto erkannt habe?“, rief Bückler abermals viel zu laut. „Sie muten mir zu, dass ich mir die Leiche auch noch persönlich ansehen muss?“

„Reine Routine“, antwortete Tatjana und stand auf. „Ihre Schwester befindet sich auf dem Weg in die Gerichtsmedizin. Sobald sie zurück ist, melden wir uns.“

„Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, meine Schwester anzusehen. Auf den Fotos sah sie schrecklich aus.“

„Wir werden veranlassen, dass Ihre Schwester für eine Identifizierung entsprechend vorbereitet wird“, mischte sich Diana ein, die mit der plumpen Art ihrer Chefin nur sehr schwer zurechtkam. Warum konnte Tatjana nicht etwas sensibler mit Menschen umgehen? „Sie bleiben bitte vorerst in Burghausen.“

„Was soll das heißen? Ich darf nicht verreisen und mich nicht frei bewegen?“

„Sie haben sicher Verständnis, dass wir Sie als Angehörigen jederzeit befragen müssen. Ist eine Reise geplant?“ Tatjana hatte genug. Es war an der Zeit, endlich zu gehen.

„Nein, ich wollte nur Klarheit.“

Tatjana nickte und ging davon.

„Ich habe noch eine Frage“, sagte Diana. „Was haben Sie sich gestern angesehen?“

„Ich verstehe nicht…“

„Im Fernsehen. Welche Sendung haben Sie sich angesehen?“

„Das weiß ich nicht mehr. Irgendeine Tiersendung.“

„Auf welchem Programm?“

„Keine Ahnung, ich kann mich nicht erinnern.“

„Um welche Tiere ging es? Daran können Sie sich sicher erinnern.“

„Löwen, es ging um Löwen. Sind Sie jetzt zufrieden?“

Diana lächelte. Dass das gelogen war, war ihr sofort klar.

Tatjana wartete ungeduldig am Wagen. Sie rauchte eine Zigarette, was sie aber nicht beruhigte. Sie hatte sich sehr über Bückler aufgeregt. Zwei Männer kurz hintereinander, die sie zur Weißglut brachten. Was war das heute nur für ein beschissener Tag!

„Wo bleibst du denn!“, empfing sie Diana, als die endlich auftauchte. „Du hast dich hoffentlich nicht von diesem schmierigen Typen bequatschen lassen. Pass ja auf! Solche Männer haben es faustdick hinter den Ohren.“

„Das weiß ich, trotzdem Danke. Ich habe Bückler nach dem gestrigen Fernsehprogramm gefragt und ich bin mir sicher, dass er mich angelogen hat. Er behauptet, einen Tierfilm über Löwen gesehen zu haben und das nehme ich ihm nicht ab.“ Tatjana setzte sich hinters Steuer, während Diana wild auf ihrem Handy herumwischte. „Wusste ich es doch!“, rief sie nach wenigen Minuten. „Gestern gab es keinen Tierfilm über Löwen. Wir müssen Bückler im Auge behalten.“

„Nicht schlecht, Diana. Ich halte diese vermeintliche Selbständigkeit für glattweg gelogen. Warum sollte jemand in Erding alle Zelte abbrechen und hier in der Provinz ein neues Leben als selbständiger Versicherungsmakler beginnen wollen?“

„Burghausen ist doch keine Provinz!“, rief Diana beleidigt. Sie liebte Burghausen. Sie war hier geboren und aufgewachsen. Außerdem lebten sie und ihre Familie immer noch hier und sie hatte nicht vor, Burghausen den Rücken zu kehren.

„Sei nicht so empfindlich. Du weißt genau, was ich meine“, sagte Tatjana.

„Ja, ich weiß, was du meinst. Nehmen wir uns diesen Kompagnon vor. Wie ist sein Name?“

„Michael Brodschelm. Er wohnt….“

„Ich kenne den Mann und weiß, wo er wohnt.“

„Du kennst ihn? Woher?“

„Michael und mein Bruder gingen in dieselbe Klasse. Sie waren nicht die besten Freunde, aber sie waren befreundet. Es ist lange her, dass ich ihn sah. Komisch. Ich hätte nie gedacht, dass aus ihm ein Versicherungsfachmann wird. Fahren wir gleich zu ihm?“

„Gerne.“

Diana leitete Tatjana, die den Wagen fuhr, geschickt zur Wackerstraße, wo Michael Brodschelm wohnte. Dass er damals das Haus seiner Großeltern übernahm, war vor einigen Jahren Gesprächsthema bei Tisch der Familie Nußbaumer, die fast immer gemeinsam aßen. Das waren Diana selbst, ihr Bruder nebst Schwägerin, ihre Eltern und auch die Großeltern, die im Nachbarhaus wohnten. Diana liebte es, wenn alle beisammen waren. Nicht mehr lange, dann wurde die Familie um ein weiteres Mitglied erweitert, denn ihr Bruder wurde Vater. Diana und auch alle anderen konnten es kaum erwarten, den kleinen Wurm in der Familie willkommen zu heißen.

Diana stand vor dem Haus in der Wackerstraße. Es sah immer noch genau so aus wie damals, als sie Kinder waren und die Kirschen klauten, die Michaels Großvater wie seinen Augapfel hütete. Wehmütig sah sie den Kirschbaum, der auch dieses Jahr wieder voller Früchte war. Wie gerne wäre sie einfach hingegangen und hätte sich einige gemopst, schon allein wegen der schönen Erinnerungen an eine wundervolle Kindheit. Aber dafür waren sie nicht hier. Sie war jetzt erwachsen und Kriminalbeamtin. Sie klingelte und einen Moment später stand sie vor Michael, von dem sie wusste, dass er früher für sie geschwärmt hatte. Er war ihr damals zu flatterhaft gewesen. Außerdem war er ziemlich schlecht in der Schule und wäre ohne die Hilfe ihres Bruders aufgeschmissen gewesen. Michael war immer sehr cool und hatte sich als einer der ersten diese großen Ohrlöcher machen lassen, die ihr auch heute noch eine Gänsehaut bereiteten, wenn sie sie sah. Damals war er gammelig angezogen und hatte ungekämmte, oft fettige Haare. Außerdem konnte sie sich noch sehr gut an die vielen Pickel erinnern. Der Mann, der jetzt vor ihr stand, hatte absolut nichts mit dem Michael von früher gemeinsam.

„Bitte? Was kann ich für Sie tun?“ Michael Brodschelm starrte Diana an. „Wir kennen uns doch, oder nicht? Diana Nußbaumer!“ Er grinste übers ganze Gesicht. „Du siehst ja klasse aus. Kann es sein, dass du noch hübscher geworden bist?“

„Grüß dich, Michael.“

„Wie lange ist das her? Zehn, zwölf Jahre oder länger?“

„So ungefähr.“

„Ich habe gehört, dass du bei der Polizei bist. Stimmt das?“

„Ja, das ist richtig. Ich arbeite bei der Kriminalpolizei Mühldorf und bin beruflich hier. Das ist meine Kollegin Struck, die auch meine Chefin ist.“

„Kriminalpolizei? Kommt rein. Es muss ja nicht gleich die ganze Nachbarschaft mitkriegen, dass die Polizei bei mir ist. Seit meine Frau mit den Kindern weg ist, wurde schon genug über mich getuschelt. Ich bin froh, dass sich die Wogen geglättet haben und ich meine Ruhe habe. Kommt endlich rein!“

Die Einrichtung war hübsch und alles war sauber. Auch das überraschte Diana.

„Schön hast du es hier.“

„Danke, aber deshalb seid ihr sicher nicht hier. Was kann ich für die Polizei tun? Habe ich etwas angestellt?“

„Das wird sich herausstellen. Du kennst Norbert Bückler?“

„Es geht um Norbert?“

„Was hast du mit ihm zu tun?“

„Wir lernten uns auf einer Fortbildung kennen und waren uns sofort sympathisch, das muss etwa ein halbes Jahr her sein. Einige Wochen später stand er einfach vor meiner Tür und hat mich zu einer gemeinsamen Selbständigkeit überredet. Da ich als Angestellter eines Versicherungsunternehmens nicht wirklich glücklich war, war ich sofort Feuer und Flamme. Anfangs lief alles sehr schnell. Wir schmiedeten Pläne und hatten die Verträge mit diversen Versicherungskonzernen rasch unter Dach und Fach. Ich kündigte meinen Job. Norbert kam vor drei Monaten nach Burghausen und eigentlich sollte das Geschäft längst laufen, aber es gibt Schwierigkeiten mit den Geschäftsräumen. Norbert hat an allem etwas auszusetzen, was mich ehrlich gesagt langsam nervt. Egal, was ich ihm vorlege – nichts ist gut genug. Er ist nun mal ein Perfektionist, was in unserem Beruf ja keine schlechte Eigenschaft ist. Aber die Zeit drängt und es wird Zeit, dass wir die Pläne endlich in die Tat umsetzen, schließlich bin ich auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen. Du kannst dir vielleicht vorstellen, was eine geschiedene Frau und zwei Kinder an Unterhalt kosten.“

Diana nickte nur. Sie konnte sich Michael nur sehr schwer als Ehemann und Vater vorstellen. Vor ihr stand eigentlich ein völlig Fremder.

„Geeignete Ladenlokale aufzutreiben ist in Burghausen nicht so leicht, wie man sich das vorstellt. Trotzdem ist es mir gelungen, nochmals etwas aufzutun, was hoffentlich diesmal Norberts Ansprüchen genügt. In einer knappen Stunde haben wir einen Besichtigungstermin, drückt mir die Daumen.“

„Wie würdest du Norbert Bückler beschreiben?“

„Er ist charmant, witzig, zielstrebig und verdammt gut in seinem Job. Außerdem ist er wohlhabend, davon konnte ich mich überzeugen. Ich habe sein Haus in Erding gesehen, außerdem waren wir auf seinem Boot am Starnberger See. Er ist Mitglied im Erdinger Golfclub, zu dem er mich einladen wollte. Das habe ich abgelehnt, das ist mir dann doch zu viel. Norbert ist eine ehrliche Haut. Glaubst du, ich hätte mich für eine Zusammenarbeit entschieden, wenn ich ihn nicht gut finden würde? Was ist mit Norbert? Was hat er angestellt?“

„Kennst du seine Schwester?“

„Nein, nicht persönlich. Ich habe Fotos gesehen, mehr nicht. Eine rothaarige Schönheit, die nicht ganz meine Kragenweite ist. Außerdem lasse ich von Frauen vorerst die Finger.“

Tatjana hatte auch von Brodschelm ein Foto gemacht. Es war gut, zu den jeweiligen Namen in der Akte ein Gesicht zu haben. Dann bemerkte sie auf dem Tisch ein Glas. Konnte sie es wagen? Warum nicht. Fingerabdrücke konnte man immer brauchen und Brodschelm konnte das Glas sicher entbehren. Rasch steckte sie es ein.

„Das war es auch schon. Vielen Dank, Michael. Hier ist meine Karte. Wenn dir noch etwas einfallen sollte, ruf mich an.“

„Ich verstehe zwar immer noch nicht, was die Polizei von mir oder Norbert will, aber gut. Ihr macht euren Job und das habe ich zu akzeptieren. Wohnst du immer noch zuhause?“

„Selbstverständlich.“

„Wie geht es deinem Bruder?“

„Sehr gut. Er wird demnächst Vater und freut sich schon sehr darauf.“

„Grüß ihn von mir. Es wäre schön, wenn wir uns alle irgendwann mal wieder treffen könnten.“

„Was ist los mit dir, Diana?“, fragte Tatjana die schweigsame Kollegin, nachdem sie im Wagen saßen.

„Ich weiß nicht. Dieser Michael von eben hat überhaupt nichts mehr mit dem von früher zu tun. Das finde ich sehr schade.“

 

„Wir haben uns doch alle verändert und das ist auch gut so. Wirst du dich mit ihm treffen?“

„Nein, das werde ich nicht tun. Es ist viel Zeit vergangen und ich halte nichts davon, alte Geschichten aufzuwärmen. Wir haben nichts gemeinsam und könnten uns nur über die Vergangenheit unterhalten, die für mich vorbei ist.“

„Sehr gute Einstellung!“

„Fahren wir nicht ins Büro?“

„Machen wir einen kleinen Umweg zum Hotel des lieben Herrn Bückler. Ich möchte mich in seinem Zimmer nur ganz kurz umsehen.“

„Und wenn Bückler dort ist?“

„Dann werden wir ihn freundlich um Erlaubnis bitten.“

„Und wenn nicht, dann willst du einfach ins sein Zimmer marschieren? Ohne Beschluss?“

„Ja, das habe ich vor. Mit Bückler stimmt etwas nicht, das spüre ich. Jetzt beruhige dich mal wieder, Diana. Ich sehe mich nur ganz kurz um, mehr habe ich nicht vor. Wenn du Schiss hast, kannst du gerne im Wagen warten. Allerdings wäre es hilfreich, wenn du Schmiere stehst.“

„Meinetwegen. Aber nur ganz kurz, verstanden?“

Die Zimmernummer herauszufinden war sehr einfach. An der Rezeption war niemand und Tatjana brauchte nur einen kurzen Blick auf die Anmeldungen werfen, die offen auf dem Tisch lagen. Bücklers Zimmer war im ersten Stock am Ende des Ganges.

„Du bleibst hier. Wenn jemand kommt, pfeifst du laut, okay? Du kannst doch pfeifen?“

„Klar kann ich das. Los, beeile dich!“

Das Zimmer war hell und freundlich. Das Bett war gemacht und alles war sauber. Verdammt! Tatjana hatte auf ein benutztes Glas oder Besteck gehofft, aber davon war nichts zu sehen. Sie nahm die Fernbedienung des Fernsehers und drehte sie im Licht. Super! Jede Menge Fingerabdrücke. Sie steckte sie ein und verließ das Zimmer. Gerade noch rechtzeitig, denn Diana war gerade dabei, sich mit einem Angestellten des Hauses zu unterhalten. Sie gab vor, ein neuer Gast zu sein und fragte nach einer Broschüre über die Burghauser Burg.

Tatjana grüßte und ging an ihnen vorbei. Sie musste nicht lange am Wagen warten, bis Diana mit einem Prospekt in der Hand auf sie zukam.

„Warum hast du denn nicht gepfiffen?“

„Ich war zu aufgeregt und habe das nicht hinbekommen. Hast du etwas gefunden?“

Tatjana zeigte ihr die Fernbedienung.

„Warum hast du die mitgenommen?“

„Wegen der Fingerabdrücke, warum sonst? Das ganze Zimmer war bereits geputzt worden, eine andere Quelle hatte ich nicht.“

„Wir hätten auch von Brodschelm Fingerabdrücke nehmen sollen“, sagte Diana. „Der kommt mir auch irgendwie komisch vor.“

„Wenn du mich nicht hättest“, sagte Tatjana und holte mit einem Taschentuch das Glas aus ihrer Jackentasche.

„Sag jetzt nicht, dass du das aus Brodschelms Haus mitgenommen hast.“

Tatjana grinste nur.

„Du bist ein Luder, Tatjana. Dich sollte man nie unterschätzen.“

„Meine Rede.“

Norbert Bückler ärgerte sich. Auf die Frage der hübschen Kriminalbeamtin war er nicht vorbereitet gewesen, was er aber hätte sein müssen. Sein vermeintlicher Geschäftskollege Michael Brodschelm war kein Problem. Der würde genau das aussagen, was er ausgesagt hatte. Das mit dem Tierfilm war beschissen. Wie sollte er aus der Nummer wieder rauskommen? Er trank zwei Ramazotti, aber danach ging es ihm auch nicht besser. Er suchte nach Ablenkung. Zwei Tische entfernt hatte eine hübsche Frau Platz genommen. Es dauerte nicht lange, bis er begriff, dass sie allein war. Ob er sie ansprechen sollte? Warum nicht? Hübsche Frauen waren seine Leidenschaft. Er konnte nicht anders, ging zu ihr und sprach sie an. Er hatte Glück, die Frau war nicht abgeneigt und zeigte sich sehr zugänglich, was ihn zwar freute, aber nicht herausforderte. Er liebte es, Frauen zu erobern und um sie zu kämpfen, aber diese machte es ihm sehr leicht. Trotzdem lenkte ihn die Unterhaltung mit der Fremden ab, auch wenn sich die Frau als sehr einfältig entpuppte. Einige Scherze verstand sie nicht und bald war er mit den Gesprächsthemen, denen sie folgen konnte, durch. Die schrille Stimme würde er nicht lange ertragen können, außerdem wirkte ihr Lachen aufgesetzt und war viel zu laut. Da er für heute Abend noch keine Begleitung hatte, lud er die Frau trotzdem ein, die sofort zusagte. Er war zufrieden, auch wenn er wusste, dass er sich nicht wirklich mit ihr amüsieren würde. Da er es hasste, am Abend allein zu essen, war diese Frau allemal besser als gar keine. Sollte sich im Laufe des Tages keine bessere Begleitung ergeben, musste er sich mit dieser hohlen Nuss zufriedengeben. Er zahlte und ging vor die Tür. Wenn nochmals die Sprache auf das gestrige Fernsehprogramm von Seiten der Polizei auftauchen sollte, dann hatte er sich eben geirrt. Wo war das Problem? Er besorgte sich am nächsten Kiosk eine Fernsehzeitung und überflog das gestrige Programm. Gut, es gab keine Doku über Löwen, dafür aber über Hyänen. Wo war da der große Unterschied?

Gut gelaunt ging er zu seinem Termin mit Michael Brodschelm, der sicher wieder irgendwelche Ladenlokale aufgetan hatte. Gut, dass er Michael für diese Arbeiten hatte, denn er selbst hatte keine Lust dazu.

Tatjana übergab Fuchs die Fernbedienung und das Glas.

„Was soll ich damit?“

„Fingerspuren sichern.“

„Gibt es eine Fallnummer?“

„Wenn Sie das ausnahmsweise ohne machen würde, wäre ich Ihnen dankbar.“

„Soll das heißen, dass ich Ihnen einen Gefallen tun soll?“

„Ja.“

„Ihnen ist klar, dass Sie damit in meiner Schuld stehen?“

„Ja, das weiß ich. Bei Gelegenheit dürfen Sie mir das gerne um die Ohren hauen.“

„Das werde ich machen, darauf können Sie sich verlassen.“

„Das ist mir durchaus bewusst, Herr Fuchs. Wir sehen uns im Besprechungszimmer. Sie sind doch so weit, oder nicht?“

„Ich bin quasi unterwegs.“

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