Das kleine Paradies

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Kevin war darauf gefasst. Schließlich kannte er Adam gut genug um das vorauszusehen. Er holte tief Luft und sagte lächelnd: »Oh man Adam, ich kenne sie wirklich erst seit zwei Stunden. Ich habe nur Jack einen Gefallen getan und sie vom Flughafen abgeholt. Sie wird für eine Woche für Jack arbeiten. Dass sich das so entwickelt hat, ist reiner Zufall.«

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sprach weiter.

»Es ist so einfach mit ihr zu reden. Sie sieht mich als Mensch. Sie bringt mich zum Lachen. Und... sie bringt mich total aus der Fassung, wenn sie mich so ansieht wie sie mich ansieht.«

Es bildeten sich wieder die Falten auf seiner Stirn. Verlegen blickte er zu Adam. Der legte wieder väterlich die Hand auf seine Schulter und sagte ohne Umschweife: »Sie ist eine reizende Person. Ich mag sie schon deshalb, weil ich dich schon lange nicht mehr so unbeschwert habe lachen hören. Sie vermag etwas, was uns allen bis jetzt nicht gelungen ist. Ich bin froh, dass du es zulässt.«

»Hmmm. Ich bin selber überrascht, dass es mir bei ihr so leicht fällt. Ich dachte nämlich am Anfang, dass sie wieder eine von diesen Frauen ist, die ich Jack zu verdanken habe. Aber gleich von der ersten Sekunde an, spürte ich, dass sie anders war.«

Kevin sah von der Seite, dass Julia auf den Tisch zusteuerte. Schnell sagte er zu Adam: »Bitte lass dir nichts anmerken. Ich möchte nicht, dass sie ihre Natürlichkeit ablegt. Denn gerade das ist es, was ich so faszinierend an ihr finde.«

Bevor er ging flüsterte er Kevin zu: »Versprochen!«

Sie setzte sich und Kevin beugte sich wieder nach vorne, um ihr näher zu sein.

Aufgeregt erzählte sie: »Von dem Toilettenfenster aus, hat man einen sagenhaften Ausblick. Hast du ihn schon mal gesehen?«

Kevin musste kichern. Sie blickte ihn düster an.

Er hob zur Entschuldigung die Hände.

»Hey, ich kann nichts dafür. Du bringst mich immer wieder zum Lachen.«

»Was hab ich denn jetzt schon wieder lustiges gesagt?«

»Na ja, ich war natürlich noch nie auf der Damentoilette. Aber wenn du es unbedingt möchtest, dann....«

Sein kichern war unerträglich, fand sie. Aber sie musste ihm Recht geben. Die Frage war blöd und musste deshalb ebenfalls lachen.

»Herrje, du musst denken, ich habe sie nicht mehr alle. Aber weißt du, diese Landschaft bringt mich noch um den Verstand. Überall ist es hier so wunderschön.«

Er konnte sie gut verstehen, auch er liebte Schottland für die Schönheit, die es hervorbrachte.

»Ich verstehe dich. Nach dem Essen, gehen wir raus. Von dort aus kannst du alles überblicken... siehst du den kleinen Felsen dort rechts?«

Er zeigte mit der Hand zum Fenster. Erst jetzt viel ihr auf, dass es eine Terrassentür gab.

»Ja.«

»In diesem Felsen sind zwei Namen eingemeißelt. Sophie und Ryan.«

»Was bedeuten sie?«

»Sie waren zwei junge Menschen, die sich sehr geliebt haben, aber es nicht durften.«

»Irgendwie hört sich das traurig an, obwohl es doch etwas Schönes ist, wenn sich zwei Menschen lieben.«

»Ja, es ist eine traurige Geschichte. Möchtest du sie hören?«

»Wenn es dich nicht stört, dass ich heule? Ich bin nämlich eine Heulsuse.«

Er schüttelte mit dem Kopf.

»Dann ist es besser, wenn ich sie dir nicht erzähle. Adam würde wütend werden, wenn er sieht, dass ich dich zum Weinen bringe.«

Bevor sie antworten konnte, kam Adam mit dem Essen und es roch appetitlich. Er stellte die Teller ab und sagte zufrieden: »Lasst es euch schmecken!«

Beide bedankten sich und Julia fügte hinzu: »Das sieht ja köstlich aus.«

Grinsend ließ er die beiden wieder alleine. Sie aßen eine Weile schweigend. Doch Kevin hatte noch so viele Fragen. Er befürchtete, dass er später keine Zeit mehr dafür haben würde, um sie zu stellen. Also stellte er sie jetzt.

»Hast du ein Haustier?«

»Nein! ...Geht das Verhör weiter?«

Er nickte.

»Magst du keine Tiere?«

»Doch. Aber ich habe keine Zeit für Tiere. Hast du ein Tier?«

»Ja, einen Hund und er heißt Max.«

Diesmal schob sie beide Augenbrauen zusammen. Auch das sah süß aus, fand er.

»Max? Nicht Mäx ausgesprochen?«

»Ähm, ich fand Max schon immer lustiger als Mäx.«

»Aber das ist ein deutscher Name. Wieso?«

Verdammt, dachte er. Sollte er ihr jetzt gestehen, dass er einen deutschen Großvater hatte, der ihm Deutsch beibrachte? Dass sein Großvater früher einen Schäferhund hatte, der ebenfalls Max hieß? Nein. Das war nicht der richtige Augenblick. Er befürchtete, dass er dann doch noch die Ohrfeige bekam und dass sie verschwand.

»Irgendwie passt das zu meinem Hund«, versuchte er zu erklären.

»Hmm. Was für eine Rasse?«

»Labrador. Er hat kurzes, dunkelbraunes Fell und hellbraune Augen. Er ist wirklich sehr süß. Du wirst ihn mögen.«

»Wieso, ist er auch hier?«

»Er bleibt immer bei Jack... ich habe, wie du weißt, auch kaum Zeit. Er ist hier bestens aufgehoben. Er hat hier viel Auslauf und ist gleichzeitig ein Wachhund für Jack.«

»Woher kennst du eigentlich Mr. John?«

»Wir haben zusammen in Harvard studiert.«

Sie schaute ihn mit großen Augen an und legte ihre Hand an die Stirn.

»Was?«, fragte er erschrocken.

»Harvard? ....Respekt! Oh Gott, und da gibst du dich mit mir ab? Wie peinlich ist das denn? Und ich dachte, es gibt heute keine Steigerung an Peinlichkeiten mehr.«

Er nahm ihre Hand (es war wieder eine Gelegenheit danach zu greifen) und drückte sie sanft auf den Tisch.

»Bitte hör auf damit! Es ist weder peinlich noch möchte ich deinen Respekt haben.«

Sie vernahm das erste Mal einen ernsten Ton in seiner Stimme. Schaute er jetzt etwa wütend? Nein, seine Augen waren viel zu warm dafür, entschied sie.

Adam musste einen siebten Sinn dafür haben, dass er immer im richtigen Moment auftauchte.

»Na, hat es euch geschmeckt?«

Julia, diesmal sichtlich erleichtert über seine Anwesenheit, nickte eifrig und sagte: »Oh ja. Bitte sagen sie ihrem Koch, dass es mir sehr gut geschmeckt hat.«

Jetzt grinste Kevin wieder und sie atmete tief aus. Puh, irgendwie konnte sie nicht ertragen, ihn sauer oder verärgert zu sehen. Komischer Tag... Rose wird mir nichts davon glauben.

»Adam, dem kann ich mich nur anschließen. Richte bitte Tom aus, dass es ein Hochgenuss war.«

Lächelnd und fast schwebend entfernte sich Adam.

»Jetzt wieder zu dir.«

»Oh, dein Verhör! ...hätte ich beinahe vergessen.«

»Ich nicht. Also... wer passt jetzt auf dich auf? Ich meine, wo doch dein Onkel nicht mehr bei dir ist?«

»Rose und ... und Edgar.«

»Edgar?«, fragte er skeptisch. Seine Stimme klang ernst und sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Ja Edgar. Er ist mein Nachbar und wird von Rose ständig instruiert, wann er wo und wie auf mich aufpassen soll. Das ist wirklich manchmal lästig.«

»So, so... du hast also einen Aufpasser.«

»Jaaaa und er ist sehr nett.«

Er runzelte die Stirn. Unbewusst drückte er ihre Hand stärker und sein Lächeln verringerte sich. Es ärgerte ihn maßlos, wie sie es sagte. Was war bloß los mit ihm?

»Okay! Er ist also nett. Gut!«

»Verhör beendet?«

»Ganz bestimmt nicht!«

»Uff. Und ich dachte schon, du hast genug.«

»Hey, ich fange gerade erst an.«

»Warum?«

»Warum was?«

»Na diese vielen Fragen?«

»Ich... ich möchte dich... na ja, ich möchte dich einfach besser kennen lernen.«

»Warum?«

»Warum was?«

»... mich besser kennen lernen?«

Er schluckte. Was sollte er jetzt sagen? Verdammt, ich bin doch selten sprachlos. Er hatte eine Eingebung.

»Ich habe nur eine Woche Zeit. Wenn überhaupt. Vielleicht muss ich ja morgen schon abreisen.«

»Warum?«

»Hey, diese Warums erinnern mich an meine Nichte. Sie ist allerdings erst 4!«

Julia kicherte.

»T´schuldigung! Du musst also wieder zurück in die Staaten?«

»Vielleicht. Aber egal. Wie ist deine Freundin Rose so? Ähnelt sie dir?«

»Oh Gott nein! Sie ist das ganze Gegenteil von mir. Deshalb ergänzen wir uns ja auch so gut.«

Eine Frage brannte in seinem Hirn, doch er wusste nicht, wie er sie verpacken sollte.

»Ist... also ist Edgar nur dein Nachbar?«

Pah, die Frage habe ich ja super umschrieben... direkter ging es wirklich nicht, dachte er.

»Ja.«

Die Antwort genügte ihm nicht.

»Ich meine, er passt wirklich nur auf dich auf? Er hat keine anderen Absichten?«

Sie verstand die Frage nicht.

»Ja doch. Er passt nur auf mich auf«, sagte sie verwundert. »Wieso sollte er andere Absichten haben?«

»Also das kann nur eine Frau fragen!«, sagte er leise.

Er lehnte sich nach hinten und durchwühlte mit seinen Händen sein kurzes Haar. Sein Herz raste und er hätte es am liebsten abgestellt, damit sie es nicht hörte. Er wurde verrückt... ja es konnte nicht anders sein. Er war so lange nicht mehr an einer Frau interessiert, dass er jetzt den Verstand verlor. Und diese Frau raubte ihm den Verstand. Und das nach wenigen Stunden. Wie würde es erst nach einer Woche sein? Diese Frage wollte er sich lieber nicht beantworten.

»Entschuldige. Ich habe nicht das Recht dich so etwas zu fragen.«

»Oh, ist schon okay.«

Er war einen Moment lang still.

Julia versuchte es zu erklären.

»Weißt du, viele denken, eine Freundschaft zwischen Mann und Frau gibt es nicht. Aber sie gibt es doch. Es darf nur keiner von beiden mehr als Freundschaft empfinden.«

 

»Da stimme ich dir zu. Aber ich glaube einfach nicht, dass man von dir nur Freundschaft will? Verstehe mich jetzt bitte nicht falsch.«

Nun lächelte sie ihr herzallerliebstes Lächeln und stieß gegen seine Hand.

»Hey, du übertreibst.«

Sie rümpfte die Nase und sprach weiter: »Er ist mit meiner Freundschaft wirklich zufrieden, da er nämlich in Rose verknallt ist. Er gibt es nur nicht zu. Er ist dafür viel zu schüchtern. Und Rose... meine Güte Rose... sie checkt es nicht oder will es einfach nicht wahrhaben. Nur deshalb lässt er sich so viel von ihr gefallen.«

Er atmete tief ein und stieß die Luft pfeifend wieder aus. Das Glück stand doch auf seiner Seite und er fand, dass er allen Grund dazu hatte, sich auf die kommende Woche zu freuen.

Adam kam langsam an den Tisch und räusperte sich. Diesmal zuckte sie nicht zusammen. Er hatte ein Telefon in der Hand und reichte es Kevin.

»Es ist Jack. Er möchte wissen wo ihr bleibt.«

Julia schaute ängstlich zu Kevin. Er zwinkerte ihr zu und nahm den Hörer: »Hallo Jack, woher weißt du wo wir sind?«

Sie beobachtete ihn genau und bemerkte die Stirnfalte.

»Oh man Jack... später!«, stöhnte er genervt.

Es entstand eine lange Pause und Kevin schaute auf die Armbanduhr.

»Okay, wir sind in einer Stunde da.«

Er gab den Hörer an Adam zurück und lächelte sie an.

»Okay Julia, wo waren wir stehen geblieben!«

Schwupp... und ihre Augenbraue war oben.

Wenn sie das noch einmal macht, dachte er, dann muss ich sie küssen.

»Bitte lass uns sofort gehen. Du vergisst, dass ich mit ihm nicht befreundet bin, sondern für ihn arbeiten soll.«

Flehend schaute sie ihn an. Kann man(n) bei so einem Blick ablehnen? Nein... konnte er nicht!

»Schon gut! Ich zahle nur noch, dann gehen wir.«

In derselben Sekunde stand Adam wieder am Tisch. Kevin wollte bezahlen, aber Adam hob die Hände, als wenn er ihn im Kampf abwehren würde. Empört sagte er: »Kevin, willst du mich beleidigen? Ihr ward selbstverständlich meine Gäste.«

Kevin lächelte, er war es gewöhnt und nahm es dankend an. Julia jedoch fand das gar nicht so selbstverständlich.

»Oh nein, das kann ich nicht annehmen.... Kevin...?«

Nun hob Kevin abwehrend die Hände hoch. »Oh nein. Gegen Adam komme ich nicht an. Du hast ihn noch nicht wütend gesehen.«

»Aber...«, begann sie wieder.

Adam versuchte böse zu schauen, es gelang ihm aber nicht.

»Julia, bitte beschämen Sie mich nicht. Ich habe mich so gefreut, dass Kevin mich mal wieder besucht hat. Sie sind immer ein willkommener Gast. Und glauben sie mir, sie müssen etwas Besonderes sein, ansonsten hätte er sie nicht hierher gebracht.«

Verschmitzt schaute er zu Kevin. Kevin verdrehte die Augen und schnaubte: »Super Adam! Genau das hat mir gefehlt.«

Adam drehte sich um und lief eilig davon. Er bereute nichts! Er freute sich viel zu sehr darüber, dass Kevin endlich wieder mit einer Frau lachen konnte.

Julia kicherte und fragte: »Hey was hast du? Das war doch nett von Adam.«

Er überlegte kurz und sagte dann sanft: »Stimmt! Du bist wirklich etwas Besonders! ...und sehr natürlich!«

Nun war sie verlegen.

»Oh, ich bin natürlich?«

»Ja, das ist sehr angenehm und etwas Besonderes für mich.«

»Hmmm. Leider ist die Natürlichkeit verflogen, wenn ich mich verliebe«, platze sie heraus und bereute es auch gleich. Sie nahm die Hände vors Gesicht. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade gesagt hatte.

Er grinste.

»Du bist auch sehr ehrlich«, fügte er leise hinzu.

Sie behielt die Hände dort wo sie waren und nuschelte: »Ja, das verfluche ich oft!«

»Du kannst sie jetzt wieder runter nehmen. Ich verstehe dich sonst nicht.«

Sie schüttelte den Kopf.

Lachend sagte er: »Das wird aber ein wenig eigenartig aussehen, wenn du so durchs Restaurant läufst.«

Sie schlug die Hände sanft auf dem Tisch und sagte entrüstet: »Mein Gott, deine Ehrlichkeit ist fast noch schlimmer als meine. Wie kannst du nur so hart sein?«

Er nahm ihre Hand, schon aus Gewohnheit, und zog Julia sachte hoch.

Immer noch lachend schlug er vor: »Lass eine Hand vor deinem Gesicht und ich führe dich hinaus, okay?«

Sie entzog ihm die Hand und zischte leise, während sie hinter ihm herlief: »Ich verstehe gar nicht, warum ich dir so viel erzähle. Ich kenn dich kaum. Wie machst du das? Hast du eine Gehirnwäsche bei mir durchgeführt?«

»Nein. Jedoch musst du mit mir irgendetwas angestellt haben. So gut wie heute habe ich mich schon lange nicht mehr amüsiert.«

»Na, da bin ich ja froh, dass ich zu deiner Belustigung beitragen konnte«, zischte sie wieder.

Sie liefen zur Tür, wo bereits Adam für die innige Verabschiedung bereit stand.

Er umarmte Kevin und sagte freundlich: »Grüße bitte deine Eltern von mir. Es war schön, dass du hier warst.«

Er wandte sich zu Julia und drückte sie herzlich.

»Bitte kommen sie bald wieder.«

Er zeigte auf Kevin. »Und ihn können sie gerne wieder mitbringen.«

Sie musste lachen und schaute zu Kevin, der Adam gegen die Schulter buffte.

»Vielen Dank! Es hat mich auch sehr gefreut, sie kennen gelernt zu haben. ...und wenn er nicht mehr so frech ist, dann bringe ich ihn vielleicht mit, versprochen!«

Adam grinste und schloss sie nochmals in die Arme.

Beim Hinausgehen, Kevin hielt ihr natürlich wieder die Tür auf, flüsterte Adam ihm zu: »Sie ist eine Perle, verliere sie nicht.«

Mit faltiger Stirn verließ er das Restaurant. Wenn er nur wüsste wie, dachte er. Am liebsten hätte er sie in eine Schatulle gepackt und in den Safe geschlossen. Er schaute sie an und verwarf den Plan.

Es hatte angefangen zu regnen und sie rannten zum Auto. Er hielt ihr die Tür auf.

»Das kann ich alleine.«

»Da bin ich mir sicher!«

Kopfschüttelnd setzte sie sich hinein.

Schmunzelnd ging er um das Auto herum. Er fuhr langsam an und Julia fragte sich wieder, ob dieses Auto überhaupt einen Motor hatte. Sie schwiegen. Dabei wollte er noch so viel über sie wissen. Außerdem wusste er nicht, ob er wirklich die ganze Woche noch in Schottland bleiben konnte. Das war gleich das erste, was er klären würde. Bevor Jack ihn in die Mangel nehmen konnte und ihn bis zur Besinnungslosigkeit ausfragen würde. Es graulte ihm davor.

»Woher kannst du so gut Englisch?«

»Ich war in meinen Schulferien immer bei einer Pflegefamilie in London.«

»Hast du noch Kontakt zu ihnen?«

»Nur zu meiner Pflegeschwester Kelly. Allerdings lebt sie jetzt in Alaska. Sie ist ein Jahr älter als ich. Leider sind ihre Eltern geschieden. Es wurde für mich immer schwerer, die Besuche gerecht aufzuteilen.«

»Scheidungen sind immer schlimm.«

»Sind deine Eltern noch zusammen?«

»Ja und ich bin überzeugt, dass sie sich auch noch lieben.«

Bei dem Wort Liebe blickte er zu ihr hinüber. Sie sah sehr ernst aus.

»Was ist?«

»Ich glaube, meine Eltern... na ja, meine Eltern würden sich auch bestimmt noch lieben, wenn sie noch leben würden.«

Ihre Stimme klang traurig.

»Hey«, sagte er fast zärtlich, »das wäre auch so. Glaube fest daran.«

Sie blickte verstohlen zu ihm und traf auf seinen sanftmütigen Blick. Es war ein seltsamer Moment. Er hätte sie jetzt gerne in die Arme genommen, doch er traute sich nicht. Er verkrampfte seine linke Hand um das Lenkrad und lehnte sich mit der rechten Schulter gegen die Tür. Der Abstand zwischen ihnen wurde größer. Er verfluchte seine Unsicherheit. Trotzdem schossen ihm tausend Fragen durch den Kopf und er wollte schon mit dem Sortieren anfangen, da stellte sie eine.

»Glaubst du an Gott?«

Das wäre auf seiner Liste die 987. gewesen. Er überlegte kurz.

»Na ja, ich glaube zumindest, dass da noch etwas Anderes, etwas Mächtiges und etwas Großes ist.«

»Du glaubst an Außerirdische?«, fragte sie erschrocken.

Er musste schon wieder grinsen. Sie schaffte es immer wieder, dachte er. Seine Hand entspannte sich und er setzte sich wieder aufrecht. Der Abstand verringerte sich.

Vorsichtig fragte er: »Wäre das schlimm?«

»Nein, aber das würde so gar nicht zu dir passen.«

Und da war sie, ihre Ehrlichkeit. Sein schmunzeln nahm kein Ende.

»Du hast Recht. Ich meine ja auch eine göttliche Macht.«

»Oh ja, das passt besser«, gestand sie und lächelte ihn an.

Und da war auch ihre Natürlichkeit wieder. Er überlegte kurz, ob er diese opfern würde. Wäre es nicht viel besser, wenn sie sich in ihn verlieben würde?

Kevin, reiß dich zusammen! Deine Phantasie geht gerade mit dir durch.

Er schüttelte kurz mit dem Kopf, als wenn er so seine Gedanken sortieren könnte. Doch es klappte nicht. Denn in seinen Gedanken näherte er sich ihr gerade, um sie zu küssen. Sie stieß ihn kurz gegen die Schulter.

»Spock an Erde! Du bist gerade weit weg?«

»Nein... ich bin ganz nah bei dir.«

Das war noch nicht mal gelogen, dachte er und grinste dabei über das ganze Gesicht.

»Glaubst du an Gott?«, gab er die Frage zurück.

»Ja und Nein. Nicht so, wie es die Kirche uns lehrt. Ich glaube an ein Leben nach dem Tod. Jeder wird wiedergeboren und ist dann ein etwas besserer Mensch, als er es im alten Leben war. Ohne es zu wissen, nimmt man die Erfahrungen, die Weisheit, die Güte, die Menschlichkeit und vor allem die Liebe ins neue Leben mit.«

Er war verwundert, dass sie eine so klare Meinung dazu hatte.

»Dann müssten es ja nur gute Menschen geben?«

»Nein. Man fängt bei Null an und muss sich durch viele Leben hocharbeiten. Es gibt Menschen, die lernen langsam und andere eben schnell. Einige nehmen das Erlernte komplett mit, andere nur einen Teil. In jedem Menschen steckt etwas Gutes. Wichtig ist aber, dass jeder Mensch eine Chance bekommt, es im nächsten Leben besser zu machen. Und die Menschen, die ihre Fehler nicht nur während des Daseins erkennen, sondern auch in der Todesstunde bereuen, die können sogar ein Leben überspringen. Sie werden schneller zu besseren Menschen.«

»Deine Sichtweise ist beneidenswert... Glaubst du wirklich daran?«

Sie verdrehte die Augen und sagte schelmisch: »Nö, das ist doch eine viel zu abgedrehte Theorie!«

Er pfiff leise durch die Zähne.

»Okayyyyyy, jetzt bin ich dir auf den Leim gegangen. Wir sind Quitt!«

Sie schlug sich selber auf die Schulter und jauchzte vor Vergnügen.

»Du bist verrückt!«, stellte er fest. »Aber ich habe trotzdem noch eine Frage zu deiner abgedrehten Theorie. Was wären denn deiner Meinung nach GUTE MENSCHEN?«

»Naja.... Menschen, die Liebe geben und annehmen können. Menschen, die das andere Leben respektieren. Vielleicht sogar Menschen, die nach den 10 Geboten leben. Obwohl diese zum Teil mal überholt werden sollten.«

Sie kräuselte ihre Nase. Er schaute sie vergnügt an und stellte fest, dass nicht nur die Augenbrauen-Bewegung süß aussah. Die gekräuselte Nase bekam den 2. Platz.

Um das Gespräch am Laufen zu halten fragte er: »Ach ja? Und welche?«

Wenn sie ein interessantes Thema hatte, sprach sie nicht nur mit dem Mund. Man hätte denken können, sie ergänzt alles durch die Gebärdensprache. Sein Grinsen ging bis Anschlag!

»Oh, ich glaube, du sollst nicht Ehebrechen, kann heute wohl kaum einer einhalten. Und wenn ja, dann sollte dieser Mensch gleich fünf Leben überspringen dürfen!«

Etwas verbittert klang das und er hakte nach.

»Du glaubst nicht an Treue?«

Gespannt wartete er auf ihre Antwort. Endlich verlief das Gespräch so, dass er mindestens fünf seiner wichtigsten Fragen stellen konnte. Ohne aufzufallen.

»Ich schon! Aber was nützt das, wenn sie einseitig ist?«

»Verstehe! Erfahrungswerte, oder?«

»Hmmm.«

Er spürte, dass sie nicht darüber reden wollte.

»Hey, schon gut. Wir wechseln das Thema.«

»Danke! Erzähl mir etwas von deiner Kindheit«, bat sie.

Er fing an zu erzählen und seine Stimme klang so sanft und tief, dass sie Gänsehaut bekam. Sie schloss die Augen und hörte ihm zu. Ganz auf seine Stimme konzentriert.

»Das Haus, was du ‚kleines Paradies‘ nennst, gehörte meinem Großvater. In den Ferien war ich oft dort und obwohl ich liebevolle Eltern und ein behütetes Zuhause hatte, genoss ich die Zeit mit meinen Großvater und es war für mich etwas Besonderes. Es war für mich ein kleines Stückchen Erde, dass nur ihm und mir gehörte.«

 

Er verstummte und Julia schlug die Augen auf. Sie schaute ihn an und bemerkte ein kleines Lächeln.

»Warum hörst du auf?«

»Oh, ich dachte du schläfst. Ich wollte dich nicht stören.«

Lächelnd erklärte sie: »Nein, ich habe nicht geschlafen. Ich schloss die Augen und stellte mir gerade einen kleinen frechen Jungen vor, der übermütig mit seinem Großvater auf der Wiese spielt. Sein Großvater ist bereits aus der Puste und der kleine Junge, also der freche Junge«, betonte sie laut, »der wollte immer weiter spielen.... Tja... weiter weiß ich nicht. Du hast meine Phantasie auf brutalste Weise unterbrochen.«

Er grinste in sich hinein und dankte Gott und auch den Außerirdischen dafür, dass genau diese Frau heute auf dem Flughafen in seine Arme fiel. Wenn es ein Schicksal gab, dann hatte es ihn endlich gefunden.

Er drehte sich wieder zu ihr um und stellte fest: »Du bist unglaublich, weißt du das?«

Um ihre Verlegenheit zu überspielen, bettelte sie: »Bitte erzähle weiter! Ich schließe auch nicht mehr meine Augen. Ich werde dich die ganze Zeit anschauen, aber bitte erzähle weiter.«

Er gab sich geschlagen; nach 2 Sekunden.

»Okay. Als mein Großvater starb, ich war gerade 20 Jahre alt, vererbte er mir das Haus mit Grundstück. Ich war leider zu dieser Zeit in Amerika und konnte ihn nicht mehr vor seinem Tod besuchen.«

Für einen Moment schwieg er. Er holte tief Luft und redete weiter.

»Er wusste, ich würde nichts verändern. Am Anfang, durfte es keiner betreten. Es war mein Heiligtum und unser kleines Paradies. So hatte es mein Großvater immer genannt.«

Sie berührte mit ihrer Hand seinen Arm und schaute ihn mit großen Augen an.

Mit viel Mitgefühl in ihrer Stimme flüsterte sie: »Bitte verzeih, dass ich es das kleine Paradies nannte. Ich hatte nicht das Recht dazu. Dieser Name sollte nur von dir und deinem Großvater benutzt werden. Wenn ich das gewusst hätte, glaube mir, ich hät...«

Er nahm ihre Hand (zum x-ten Mal), drückte sie zärtlich und legte behutsam seine Finger auf ihren Mund.

»Schsch... was redest du da. Ich war angenehm überrascht, dass du die gleichen Worte benutzt hast, um diesen Ort zu beschreiben.«

Sie merkte nicht, dass er angehalten hatte. Sie merkte auch nicht, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.

Erschrocken fragte er: »Julia, du weinst? ...warum?«

Verstohlen wischte sie sie weg. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck erklärte sie: »Weil ich eine Heulsuse bin. Das habe ich dir doch erzählt. Ich kann nichts dafür.«

Bockig, wie ein kleines Kind, fügte sie hinzu: »Du bist Schuld. Wie kannst du mir nur so etwas Rührendes erzählen?«

Er hielt sein Schmunzeln zurück. Sie sah so süß aus und auch so verletzlich. Was sollte er tun? Es folgte ein Monolog.

Ich küsse ihre Tränen weg.

Gute Idee! …Nein, doch nicht!

Herrgott, warum tu ich es nicht einfach?

Weil ich ein Idiot bin!

Kevin? Wie alt bist du, hä?

Du schaffst es nicht, mit deinen 37 Jahren, eine Frau einfach zu küssen?

Du bist ein Loser!

Er war mit seinen Gedanken so beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie er sie bereits angrinste. Sie zog an ihrer Hand, doch er ließ sie nicht los. Sie sah sein Lächeln und musste es erwidern.

Empört fragte sie: »Wie schaffst du es nur, dass ich nicht lange auf dich sauer sein kann? ... und ... warum muss ich immer um meine Hand kämpfen. Lass sie bitte los!«

Widerwillig ließ er sie frei. Er stieg aus und sagte gequält: »Wir sind da! Leider! Ich gebe nur ungern deine Hand wieder her.«

Sie stieg schnell aus, da sie befürchtete, dass er um den Wagen herumlief um ihr die Tür zu öffnen. Kaum hatte sie den Gedanken beendet, stand er schon vor ihr.

»Und… ich werde sie vermissen?«

»Wen?«, fragte sie verblüfft. Sie konnte ihm gedanklich nicht folgen.

»Deine Hand! Sie wird mir fehlen!«

Sie stieß ihn leicht gegen den Bauch und versuchte an ihm vorbei zu kommen. Nicht einen Millimeter bewegte er sich. Er würde nicht nur ihre Hand vermissen, entschied er.

»Kevin, lass mich vorbei!«, bat sie lächelnd. »Was ist nur los mit dir?«

Er hob die Schultern.

»Keine Ahnung! ... Aber ich weiß, wenn wir jetzt dort reingehen«, er zeigte mit dem Finger in Richtung Haus, »dann sind wir umgeben von vielen Leuten. Dann können wir uns nie wieder so ungestört unterhalten. Und ich fand unsere Gespräche so angenehm. Ging es dir denn nicht genauso?«

Die letzten Worte flüsterte er und schaute ihr dabei tief in die Augen. Sie schaute verlegen auf ihre Hände. Sie fand ihn aufregend, interessant, liebenswert und auch sie hätte gerne den restlichen Tag mit ihm verbracht.

»Ja«, sagte sie zaghaft. Er berührte ihr Kinn, hob es an und zwang sie, ihn anzuschauen.

»Versprich mir etwas.«

»Was?«

»Versprich mir, dass du dich nicht änderst!«

Sie hatte das Gefühl, dass er nervös wurde. Sein Blick wechselte zwischen dem Haus und ihr. Anstatt die Frage zu beantworten, stellte sie ebenfalls eine.

»Aber warum denkst du nur, dass ich mich ändere?«

Er kam etwas näher an Julia heran und stemmte seine Hände rechts und links von ihr gegen das Auto. Seine Arme waren so dicht an ihren Schultern, dass es aussah, als wenn er sie umarmte.

Sie hielt den Atem an.

»Ich kenne die Leute, mit denen du arbeiten wirst. ...und ich habe DICH kennen gelernt. Das Geschäft ist knallhart und ich kann mir dich nur schwer unter all den Hyänen vorstellen. Bitte! Versprich mir, dass du so bleibst, wie ich dich kennen gelernt habe.«

Sie dachte wieder an das Atmen.

»Du machst mir Angst. Warum sollte ich mich ändern?«

Ungeduldig sagte er: »Versprich es mir einfach, ja?«

Sein Blick war so durchdringend, dass sie rot wurde.

Sie stotterte: »Aber... aber weißt du... ich bin... na ja, ich bin, wenn ich arbeite sowieso ganz anders. Ich... ich bin ein Profi, verstehst du? Du hast mich privat kennen gelernt. Das ist... ehrlich... das ist was ganz anderes, als wenn du mit mir beruflich zu tun hast.«

»Julia, bitte!«, stöhnte er.

»Ich verstehe dich zwar nicht, aber gut... ich verspreche es dir!«

»Gut!«

Sie hatte es kaum ausgesprochen, nahm er die Hände runter. Und während sie noch überlegte, dass sie noch ewig mit ihm so hätte stehen können, überlegte er, ob er sie jetzt küssen sollte. Er beugte sich langsam zu ihr vor und sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Ihr Herz raste. Sie bewegte sich nicht, dachte sie zumindest. Sie bemerkte es nicht, aber er. Sie zog die Augenbraue nur ein Klitzekleines bisschen hoch. Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Er schaute kurz zur Seite und gleich wieder in ihre Augen.

Unsicher fragte sie: »Was?«

Lachend sagte er: »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du süß aussiehst, wenn du deine Augenbraue hochziehst?«

Sie faste sich an die Stirn und war wütend über sich selber, dass sie diesen traumhaften Moment mit einer blöden Angewohnheit vernichtet hatte.

»Oh Gott, ich glaub das nicht, dass ich das getan habe!«

»Hey, wie gesagt... es sah süß aus.«

Wieder versuchte er sich zu nähern. Er wollte nicht so leicht aufgeben. Er berührte ihre Wange, ganz leicht nur. Sie bekam eine Gänsehaut und konzentrierte sich darauf, ihr Augenbrauen unter Kontrolle zu halten. Sie wollte schon ihre Augen schließen und seinen Kuss genießen, da hörte sie von weitem jemanden rufen. Erst leise und dann immer lauter. Es kam jemand, stellte sie erschreckend fest. Sofort schoss es ihr durch den Kopf, wie diese Situation wohl auf andere wirken musste. Sie ließ sich von einem fremden Mann küssen, der sie gerade vor ein paar Stunden vom Flughafen abgeholt hatte. Das macht sich besonders gut, wenn man vom neuen Boss gesehen wird. Sie stieß ihn sachte von sich. Er verdrehte die Augen, als er die Stimme von Jack vernahm. Einen blöderen Moment hätte er sich nicht aussuchen können, dachte er verärgert.

Kevin nahm schnell ihre Hand und sagte leise: »Schade!«

Sie zog ihre Hand zurück.

»Ich glaube, es ist besser so.«

Er nahm wieder ihre Hand und fragte enttäuscht: »Wieso sagst du das?«

Lächelnd zog sie die Hand ein zweites Mal aus der seinen und verschränkte sie zum Schutz hinter ihrem Rücken, so dass er nicht gleich wieder danach greifen konnte.