Höllen-Lärm

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Das Erscheinungsbild von Metallica, ohne Make-up oder explodierende Hosenlätze, verweigerte sich einem bestimmten Image. Sie blieben bei Leder­jacken, Jeanswesten, T-Shirts und dem einen oder anderen Nietengürtel. Metal­lica sahen aus wie die Headbanger in der ersten Reihe eines Iron-Maiden- oder Judas-Priest-Konzerts. Ihre Anstecker und Aufnäher entsprachen dem klassi­schen Image des Metal-Fans, nicht dem des extravaganten Rockstars. Plötzlich gab es in L. A. eine aufregende Metal-Szene – Mötley Crüe, Ratt, Quiet Riot und Dokken sicherten sich alle bis Ende 1982 Plattenverträge bei Majorfirmen. Die Ironie war, dass Metallica, welche die Werbetrommel dafür gerührt hatten, nicht in die neue Umgebung passten.

Der entscheidende Faktor für den Weggang von Metallica aus Los Angeles war jedoch der Wunsch, Ron McGovney durch den drahtigen und kraftvollen Bassisten Cliff Burton zu ersetzen. Burton, ein in den Siebzigerjahren hängen gebliebener Typ mit langen glatten Haaren und Schlaghosen, spielte bei Trauma, einer Band aus San Francisco, die auf Metal Massacre II vertreten gewe­sen war. „Trauma machten ziemlich astreinen Hardrock“, sagt Ron Quintana, „und sie hatten einen merkwürdig aussehenden Bassisten [Burton], der echt gut war. Sie trugen passende Outfits und hatten sich bei Judas Priest Gesten wie dieses Gitarrenschwingen abgeschaut. Das Gitarristenpaar und der Sänger tru­gen handgefertigte Blitze auf ihrem Leder. Cliffs Outfit wirkte stets, als käme er gerade von der Haight Street, aber die anderen drei sahen einer wie der andere aus. Wir fanden sie cool, wenigstens war das kein Pop-Glam-Scheiß.“

Burton mochte den bodenständigen, aggressiven Ansatz von Metallica. Nach monatelangem Überreden erklärte er sich am 28. Dezember 1982 bereit, von Trauma zu Metallica zu wechseln, jedoch unter der Bedingung, dass er sich nicht von Familie und Freunden in der Bay Area würde trennen müssen. Sechs Wochen später kam der Berg bereitwillig zum Propheten. Ulrich, Hetfield und Mustaine schleppten ihren Kram in den Norden Kaliforniens und verstauten ihre Marshall-Verstärker und Cassettensammlungen in einem schon bald sehr ramponierten Haus in El Cerrito, das sie sofort mit Postern von Michael Schen­ker, UFO und Motörhead sowie Werbetransparenten für verschiedene Billig­biersorten dekorierten.

Auch für eine so ehrgeizige Band wie Metallica war es wagemutig, der Musikindustrie von Los Angeles den Rücken zu kehren, aber in San Francisco waren die Fans, und Metallica investierten in ihre Beziehung zu Letzteren. Wäh­rend im Hintergrund die Lobeshymnen auf den von Amerika neu entdeckten Heavy Metal immer deutlicher zu vernehmen waren, konzentrierten sich Metal­lica auf ihr Publikum und ihr Handwerk. Promoter und Anwälte aus dem Musikbusiness konnten sie auch später noch kennen lernen.


Ozzy Osbourne: der Madman des Metal (Jet Records)


Das Fanzine Metal Mania


James Hetfield – noch vor den Zeiten von Leather Charm


Metal Massacre


Demo-Hülle von „No Life ’Til Leather“

IV: Heavy Metal America: bunte Bühnen, bunte Bilder

18. Mai 1983: Screaming For Vengeance von Judas Priest erhält Platin in den Vereinigten Staaten

29. Mai 1983: Sechshunderttausend Fans besuchen das U.S. Festival ’83 mit Judas Priest, den Scorpions, Van Halen und Ozzy Osbourne

26. November 1983: Metal Health von Quiet Riot erreicht Platz eins in den Billboard-Charts

12. Oktober 1984: Pyromania von Def Leppard erhält in den Vereinigten Staaten Sechsfach-Platin

In Amerika war Heavy Metal 1983 dank der Luftbrücke aus Europa nicht mehr ausschließlich die Spielwiese der hartgesottenen Ultrafans, sondern wurde durch größere und regelmäßigere Konzerttourneen immer beliebter. Fans, die bereits durch AC/DC eine andere Vorstellung von packender Musik erhalten hatten, waren angesichts von Judas Priest, Iron Maiden, Black Sabbath und anderen britischen Invasoren völlig von den Socken. Schon bald sollten diese Bands durch ihre Videoclips ihren Bekanntheitsgrad enorm vergrößern, aber die Grundlage bildeten jahrelange Tourneen, die ein wachsendes und unglaub­lich loyales Publikum pflegten.

Die seltenen Auftritte von Iron Maiden und Judas Priest im Radio und die wenigen Berichte in den amerikanischen Rockzeitschriften entsprachen nicht einmal annähernd dem Status, den diese Bands in den Herzen der Headbanger einnahmen.„Manche Leute kaufen Songs“,bemerkt der Manager von Iron Mai­den, Rod Smallwood, „und andere Leute kaufen Bands.“ Nachdem sie jahre­lang am Rand der Musikindustrie verharrt hatten, bekamen Judas Priest für Screaming For Vengeance im April 1983 ihre erste Platin-Schallplatte in den Ver­einigten Staaten. Number Of The Beast und Piece Of Mind von Iron Maiden wurden im selben Jahr vergoldet, und die Anzeichen mehrten sich, dass Pyro­mania von Def Leppard bald nachziehen würde. Die besten britischen Heavy-Metal-Bands hatten in Amerika, dem größten und lukrativsten Markt der Welt, endlich Erfolg – und zwar unter ihren eigenen Bedingungen.

Für amerikanische Teenager wurde Heavy Metal zum Soundtrack einer Kulturrevolution, zu der auch Kabelfernsehen und die ersten Heimcomputer und Videospiele gehörten. Während Judas Priest in „Electric Eye“ von hoch technisierten Satelliten sangen, stöpselten sich die Fans ihre Kopfhörer in ein neues tragbares Cassettenabspielgerät, den Sony-Walkman, ein und knallten dann bei elektronischen Spielereien wie Vanguard, Robotron, Asteroids, Battle­zone und Defender reihenweise Aliens ab. Eine Nation von Adrenalinabhängi­gen, die ständig das Universum rettete und im Hintergrund hoch energetische Musik laufen ließ, fand erneut Hoffnung in der Zukunft. Die Spiele wurden immer schneller und raffinierter – der Heavy Metal schließlich auch.

Das Land hungerte nach Abenteuerszenarien und alternativen Wirklich­keiten. Das beliebte Rollenspiel Dungeons & Dragons orientierte sich an einem klassischen Thema der Fantasy-Literatur, der Abenteuerfahrt zur Lösung einer großen Aufgabe, wie sie sich beispielsweise in J. R. R. Tolkiens Romantrilogie Der Herr der Ringe fand – Tolkien stammte übrigens auch aus dem englischen Birmingham. In dem vielschichtigen eskapistischen Universum von D & D übernahmen die Spieler die Rollen von Wesen aus verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen, wie Elfen, Krieger, Zauberer und Barden. Die Handlung dieser Spiele basierte hauptsächlich darauf, auf dem Weg zur Erfüllung eines großen heroischen Ziels eine Reihe von Monstern aus dem Weg zu räumen und Schätze zu sammeln. Ein Großteil des Heavy Metal bewegte sich in demselben Fahrwasser, einem Reich der dunklen Türme und der undurchdringlichen Wildnis, voller Schlachten und Elend. „Man muss über harte Themen schrei­ben, darauf fahren die Metaller ab“, sagte Dan Beehler von Exciter in der kana­dischen Fernsehshow The New Music. „Nicht so ein Zeug wie ‚Neulich kam ich die Straße runter, da da da‘, verstehst du? Die Zeiten im Mittelalter waren hart, die meisten Menschen fanden früh den sicheren Tod. Darum geht’s im Metal

– es ist ein Kampf.“

Black Sabbath stießen mit einem neuen Frontmann, Ronnie James Dio, wieder zum Heavy-Metal-Feldzug, und Dio veränderte und erneuerte ehr­furchtsvoll die majestätisch verhängnisvolle Aura der Band durch grandiose Konzepte. Auf den beiden Sabbath-Studioalben Heaven And Hell und Mob Rules, auf denen er mitwirkte, fand Dio einen fruchtbaren Fantasy-Rahmen für die großen Sabbath-Themen Wahnsinn und Trostlosigkeit – sein „Children Of The Sea“ beklagte die Zerstörung der Umwelt aus der Sicht eines sterbenden Ozeanplaneten.

Dio hatte bereits mit seiner Band Elf in den frühen Siebzigern im Wesent­lichen Fantasy-Texte geschrieben. Bei Rainbow gehörten dazu auch „Man On The Silver Mountain“ und die Parabel „Stargazer“ – über einen Zauberer, der die Zivilisation durch den Versuch zerstört, einen Turm aus Stein bis zu den Sternen zu bauen. „Ich bin mit Sir Walter Scott und der Sage von König Artus aufgewachsen“, sagt Dio. „Dann bin ich echt auf Sciencefiction abgefahren, wo viele Figuren mit mittelalterlicher Redeweise und mittelalterlichen Kostümen ausgestattet werden. Mir ging auf, dass das Leute waren, die mir was über die Zukunft erzählten. Wenn man ein Buch von Arthur Clarke oder von Isaac Asimov las und die einem sagten, irgendetwas würde in zehn Jahren passieren, dann behielten sie Recht. Sie waren einfach genial, und sie ließen mir die Frei­heit, meine Fantasie zu benutzen. Als ich anfing, Songs zu schreiben, was hätte da besser sein können, als das zu tun, was sonst niemand tut, nämlich Fantasy-Märchen zu erzählen? Das Klügste, was ich je gemacht habe.“

Nachdem er Sabbath verlassen und seine Solokarriere gestartet hatte, ver­einfachte Dio seine Geschichten für ein jüngeres Heavy-Metal-Publikum. Das Debüt seiner Band Dio, Holy Diver von 1983, reduzierte gehaltvolle moralische Geschichten auf einfache Gut-gegen-Böse-Konflikte, bei denen die lyrischen Gegensätze von „Rainbow In The Dark“ und „Holy Diver“ benutzt wurden, um Fragen über Betrug und Heuchelei in der Liebe und in der Religion aufzuwer­fen. In den scharfen Gegensätzen von Dios Bildlichkeit gab es immer einen ein­gebauten Widerspruch, der jugendliche Rebellion schürte: Jedes helle Licht hatte eine dunkle Seite, und jede lautstarke Verkündigung von Wahrheit enthielt ein verborgenes Geheimnis. Auf ganz ähnliche Weise brachte auch Dios Musik Aus­brüche von Raserei durch kurze akustische Passagen ins Gleichgewicht.

 

Selbst als Judas Priest und Iron Maiden zu ihrem Pionierzug in den ame­rikanischen Westen ansetzten, blieben ihre Botschaften noch immer sehr viel bissiger als der Durchschnittsfraß, den man im kommerziellen Radio vorgesetzt bekam. Iron Maidens „Run To The Hills“ von Number Of The Beast verurteilte in kreischendem Sound die Eroberung eines wilden und freien Amerika durch die Europäer: „White man came across the sea / Brought us pain and misery – Der weiße Mann kam übers Meer / Brachte uns Schmerz und Elend.“ Das exakt gleiche Thema behandelten Judas Priest auf Stained Class 1978, wo sie mit „Savage“ die europäischen Kolonialisten abstraften: „You poisoned my tribe with civilized progress / Baptizing our blood with disease / You christened our bodies with sadness and suffering / Saying then that your god is well pleased – Ihr vergiftetet meinen Stamm mit zivilisiertem Fortschritt / Brachtet Seuchen in unser Blut / Ihr tauftet unsere Körper mit Trauer und Leid / Und sagtet dann, euer Gott sei zufrieden.“

Diese anklagenden Geschichtslektionen waren keine typischen Rock­themen, aber das Publikum schien die beeindruckenden Erzählungen dank­bar aufzunehmen.„Ich war noch nie ein Titten-und-Ärsche-Texter“,meint Rob Halford. „ Ich habe noch nie so etwas wie ‚The Thong Song‘ schreiben können

– ‚Breakin’ The Law‘ dagegen schon. Letztlich geht es bei Musik natürlich darum, verdammt viel Spaß zu haben, aber wenn man da noch ein bisschen mehr rausholen kann, dann ist das einfach befriedigender. Ich bin auf keinen Fall ein Typ mit einer Botschaft, aber ich hätte gern das Gefühl, dass das, wor­über ich schreibe, wichtige Themen sind, die nicht nur mich was angehen, son­dern alle anderen auch.“

KLASSISCHER HEAVY METAL

Dies ist die Definition von Heavy Metal im eigentlichen Sinn – die Crème der NWOBHM plus Bands, die in der Lage waren, Melodien von der Größe eines Bergmassivs rüberzubringen. Riesige wogende Wellen schwappten in Form von Tourbussen über Amerika, brachten gewagte Aussagen mit und bestimmten von nun an das Leben unzähliger Teenager. Sie hatten Computer, sie hatten Videospiele, und sie hatten stapelweise explosive Audiocassetten in ihren Walkmen, die futuristische Sounds in Warp-Geschwindigkeit wiedergaben. Während AC/DC und Black Sabbath urwüchsig, dunkel und brillant blieben, verwandelten Def Leppard, Iron Maiden und Judas Priest doppelte Gitarrenharmonien in eine echte Wissenschaft und schufen so das gigantische neue Vokabular des Heavy Metal. Die Songs handelten von den erschreckenden Tatsachen des wahren Lebens, und die Musiker machten richtig Ernst, warfen ihre fransigen Lederjacken in die Ecke und trugen nun elegante, maßgeschneiderte, synthetische Kostüme mit Nieten. Irgendwo unter der Oberfläche lauerten noch ein paar Rockriffs, aber spätestens ab 1984 war Heavy Metal nicht mehr aufzuhalten.

Wer noch nicht headbangt, hat verpennt:

AC/DC, Back In Black (1981)

AC/DC, For Those About To Rock, We Salute You (1981)

Black Sabbath, Heaven And Hell (1980)

Black Sabbath, Mob Rules (1981)

Def Leppard, High ’n’ Dry (1982)

Dio, Holy Diver (1983)

Iron Maiden, Number Of The Beast (1982)

Iron Maiden, Piece Of Mind (1983)

Judas Priest, Screaming For Vengeance (1982)

Judas Priest, Defenders Of The Faith (1984)

Queensryche, Queensryche EP (1983)

Saxon, Power & The Glory (1983)

Scorpions, Blackout (1982)

Während im Radio nur der Diätrock von toupierten Gestalten wie Journey, Foreigner und Asia gespielt wurde, ignorierten Heavy-Metal-Bands die Playlists und gediehen in einer abgeschiedenen Sphäre, der Konzerthalle. Ronnie James Dio, der inzwischen in den USA zum Publikumsmagneten geworden war, insze­nierte die Dramatik seiner neuzeitlichen Madrigale auf den geräumigen Büh­nen der Sportarenen. „Ich begann in den Dimensionen großer Bühnen zu den­ken, nachdem ich das erste Alice-Cooper-Konzert gesehen hatte“, sagt Dio. „Ich sah die erste Show, wo sie ihn gehenkt haben. Bei der nächsten Show kam Alice auf den elektrischen Stuhl. Bei der nächsten hackten sie ihm den Kopf ab. Ich war im Publikum ungeheuer beeindruckt davon, dass ich sehr viel mehr bekam, als ich erwartet hatte – nicht nur die Musik, sondern auch so eine Art Disneyland.“

Das visuelle Flair und das Geprotze passten zu den großen Arenen, und Heavy-Metal-Bands bildeten Gewinnerteams an den Konzertkassen. Als sie 1981 das erste Mal mit Judas Priest durch Amerika tourten, spielten Iron Maiden bereits in größeren Hallen vor achttausend Zuschauern. Im Sommer 1983 kehr­ten sie als Headliner mit der gigantischen Piece Of Mind-Show zurück, zu der Filme aus dem Zweiten Weltkrieg und eine nachgestellte Gehirnoperation an einem knapp zwei Meter großen Zombie gehörten. Zwei Veteranen der NWOBHM folgten im Schlepptau: Fastway, gegründet von ehemaligen Motör­head- und UFO-Mitgliedern, und Saxon, deren neue, millionenfach verkaufte LP Power & The Glory den Höhepunkt ihrer Karriere markierte. Für Iron Mai­den ging es währenddessen immer weiter aufwärts – ihre Powerslave-Tour führte 1985 durch ganze fünfundzwanzig Länder. Dabei hatten sie ein ägyptisch gestal­tetes, riesiges Bühnenbild von Broadway-Ausmaßen im Gepäck, für das sie eine Beleuchtungsanlage mit über siebenhundert Scheinwerfern benötigten. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität, während seiner Sacred Heart-Tour 1986, ver­

wendete Ronnie James Dio eine Burgenkulisse. Die Konzerte begannen damit, dass ein Bild von Dio auf eine gigantische, über der Menge schwebende Kris­tallkugel projiziert wurde. Gegen Ende der Show kämpfte der Sänger mit leuchtendem Laserschwert gegen einen Drachen. Dafür waren sechs Sattel­schlepper, eine ganze Flotte von Bussen und eine kleine Armee von fünfzig Crewmitgliedern nötig – darunter vier Lasertechni­ker und ein Drachendompteur – die sich alle auf eine zweijährige Expedition rund um den Globus begaben. „Das war ein ziemlicher Wanderzirkus“, meint Dio.„Aber so konnten wir den Kids etwas mehr bieten.Sie bekamen einen Dra­chen, sie konnten zwei Stunden in eine Fantasy-Welt eintauchen und hatten eine Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen. Wir fanden das wichtig.“

Die Arbeit mit ausgetüftelten Bühnenbildern war teuer und das Reisen anstrengend, aber Radiopromotion war auch nicht billig, und kostenlose Sen­dezeit fiel für Heavy Metal selten ab. Auf Tour fingen die Bands die Kosten für Licht und Laser mit dem Umsatz aus dem Verkauf ihrer umfangreichen Mer-chandise-Produkte auf, mit Tourprogrammen, Schals und dem offiziellen schwarzen Pflicht-Konzert-T-Shirt, dessen Rückenteil die Daten der jeweiligen Tour zierten. Im Vergleich mit den Einnahmen aus Plattenverkäufen nahmen die Bands hier einen größeren Anteil an den Profiten mit nachhause – und die authentische Aura, die diese Konzertsouvenirs ausstrahlten, machte sie zu einer Art Metal-Uniform für die Fans. Larry Lalonde von Possessed erinnert sich an die Junior High School in einer kalifornischen Vorstadt: „Ich musste unbedingt am ersten Tag in der siebten Klasse mein Iron-Maiden-T-Shirt anziehen.“

Prächtig bedruckte Tour-T-Shirts waren fantastische Promotion, welche die Bildwelt des Heavy Metal aus den Plattenläden hinaus auf die Straßen trug. Iron Maiden, die im Bereich Produktdesign federführend waren, gehörten 1982 bereits zu den größten drei Merchandise-Kräften in Amerika. Im selben Jahr gründete der Grafikdesign-Student Carlton Ridenhour alias Chuck D die ein­flussreiche Rapgruppe Public Enemy. Er erinnert sich, dass er die Illustrationen von Iron Maiden beeindruckend fand. „Dass Public Enemy Konzepte für ihre Alben entwickelten, war eigentlich eine Idee von mir und dem Produ­zenten Hank Shocklee – wir waren fasziniert davon, wie Gruppen wie Iron Maiden mit ihren Album­covers eine ganze Reihe von Kon­zepten transportierten, die zeigten, wie wichtig Grafik für sie war.“

Das Iron-Maiden-Logo an sich hatte der Bassist Steve Harris ent­worfen, ein ausgebildeter Zeichner, und es zierte hunderte von LPs, Singles und T-Shirts. Beinahe alle waren gleichzeitig mit Bildern des bekannten Iron-Maiden-Maskott­chens „Eddie“ (ein Kosewort für „Headbanger“) geschmückt, einer Kreation des Künstlers Derek Riggs. „Eddie habe ich ungefähr einein­halb Jahre, bevor ich Iron Maiden kennen lernte, entworfen, noch bevor die überhaupt einen Platten­vertrag hatten“, erinnert sich Riggs. „Das war während der englischen

Punkbewegung der späten Siebziger und frühen Achtziger. Ich experimentierte mit Symbolen, die ich in Bilder einbaute, damit man sie wie eine Erzählung lesen konnte. Ich habe über die Philosophie der Zeit nachgedacht und über die Vorstellung, dass die damalige Jugend von der Gesellschaft auf den Hund gebracht wird. Ich habe diese Idee der ‚verschwendeten Jugend‘ genommen und in Eddie personifiziert.“

Eddie, diese schaurige Ikone des Verfalls, starrte die Fans zum ersten Mal 1980 aus lidlosen Augen vom Cover von Iron Maiden an, auf dem er als jugend­licher Messerstecher unter einer elektrischen Straßenlaterne stand. „Eddie war ursprünglich für ein Punkalbumcover entworfen worden, deshalb waren seine Haare kurz,orange und standen ab“,sagt Riggs.„Bei seinem Aussehen hatte ich mich von einem Foto inspirieren lassen, das einen vertrockneten und verwesen­den Kopf zeigte, den man auf einen Panzer gesteckt hatte, ein Bild, das sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im Vietnamkrieg zu Propagandazwecken benutzt wurde. Ich gab meiner Figur diesen Kopf, zog ihr ein T-Shirt an und platzierte sie dann in einer städtischen Kulisse – man sollte ihr jederzeit ganz normal auf der Straße begegnen können, so, als lebte sie um die Ecke, nicht Millionen von Meilen entfernt. Die Band bat mich, der Gestalt ein bisschen mehr Haare zu geben, damit sie besser in die Metal-Szene passte, und dieses Bild wurde dann das erste Iron-Maiden-Cover.“

Eddie war so oft zu sehen, dass er sich zu einem Allzweckmaskottchen ent­wickelte, einem unsterblichen Glücksbringer für die langlebigen Iron Maiden. Auf späteren Bildern verließ er die Straße und stieg in die Handlung von Songs ein, zum Beispiel als fahneschwenkender englischer Rotrock in „The Trooper“, als Pilot der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg in „Aces High“ und als ägyptisches sphinxartiges Gebilde in „Powerslave“. Die Kraft von Eddies Image rief ein gan­zes Bataillon anderer Heavy-Metal-Maskottchen auf den Plan, darunter den Raumfahrer von Y&T, den Voivod von Voivod, Sergeant D. von S.O.D. oder auch Sacred Reichs Mutanten mit der Gasmaske, Flossie, das Meerungeheuer von Flotsam & Jetsam, und Vic Rattlehead von Megadeth. Der Band ein Alter Ego zu geben war einer der wenigen Kunstgriffe, die Metallica nicht von den sonst sehr ergiebigen Iron-Maiden-Mustern übernahmen.

Als bei Iron Maiden später überladene, wilde Instrumentals die kurzen Heavy-Metal-Ausbrüche ersetzten, prangten auf ihren Albumcovers Szenen, die an die psychedelischen Traumlandschaften des Art-Rock der Siebziger erinner­ten. Eddies beruhigende Anwesenheit half Iron Maiden zweifelsohne, den Hörern diesen Wandel nahe zu bringen. Wie die Verkaufszahlen der Merchan­dise-Produkte und die Verbreitung von Imitationen belegten, gehörte Eddie zur Volkskultur – wie eine Art untote Mickymaus.„In England sägte jemand einen riesigen Eddie aus einer Holzplatte aus und befestigte ihn so am Hausdach, dass er mit ausgebreiteten Armen hoch über den First ragte. Es war der Eddie von Number Of The Beast, und er war ungefähr fünfzehn Meter groß. Ich habe ihn auf Kühlerhauben gesehen, als Tätowierung oder als Geisterbahnfigur, und es gab eine spanische Rockband, die einfach das Number Of The Beast-Cover kopiert und für ihr eigenes Album benutzt hat. Die bekamen eine Menge Ärger mit Maiden.“

Neben den T-Shirts der Bands gab es noch einige andere Schmuckstücke für den alltäglichen Gebrauch, die für die Fans zum Metal-Abenteuer dazugehörten. „Man muss einen Nietengürtel haben – das hat mit der Seele des Metal zu tun“, meint der schlaksige Metal-Bassist Dan Lilker. „Ich schätze mal, so um 1982 habe ich plötzlich eine Menge Bilder von Iron Maiden, Priest und Venom gesehen. Dar­aufhin ging ich zu Butterfly auf der Achten Straße West [in New York] und habe mir für die stolze Summe von fünfunddreißig Dollar einen Nietengürtel gekauft. Mann, war ich stolz darauf. Eigentlich wollte man ja sein T-Shirt nie in die Hose stecken, aber ich kam schon in Versuchung – nur, um damit anzugeben.“

 

Während sich Heavy Metal in den Randbereichen der öffentlichen Aufmerk­samkeit allmählich ein wenig durchsetzen konnte, waren Heavy-Metal-Klamot­ten und -Accessoires nützliche Utensilien, an denen Metalheads andere echte Fans erkannten. Celtic Frost machten zum Beispiel in der Schweiz von den Züricher Randbezirken aus auf sich aufmerksam.„Das waren ein paar recht kleine Bauern­dörfer“, sagt der Gründer Tom Warrior. „Man kannte eigentlich nur die Teenager aus den anderen Dörfern. Es gab da nur recht wenige Heavy-Metal-Fans, und wir fielen natürlich auf wie bunte Hunde. Man schloss sich sofort zusammen, weil wir ganz allein gegen tausende von Leuten standen, die uns auslachten.“

Die Musiker unterstrichen ihr lebendiges visuelles Erscheinungsbild durch aggressive Kleidung. Rob Halford, Sänger von Judas Priest und ein wandelnder Schrein aus Nieten und Leder, erweiterte sein Metal-Outfit 1978 um eine Peit­sche, die er gern auf die Schultern der Fans in der ersten Reihe niedersausen ließ

– was der Band einmal ein Auftrittsverbot bei der Fernsehsendung Top of the Pops eintrug. Während Judas Priest immer beliebter wurden, vervollständigte Halford sein Image des harten Burschen und fuhr allabendlich mit dem Motor­rad auf die Bühne. Seine Kleidung wurde oftmals kopiert und auf wildeste Art übertrieben – nicht nur von schmeichlerischen Metal-Extremisten wie Venom und Exciter. In dem Versuch, im neuen Zeitalter konkurrenzfähig zu bleiben, trugen viele Rocker aus den Siebzigern nun plötzlich schwarzes Leder, weil sie im Metal-Chic absahnen wollten. Ted Nugent, einst berühmt dafür, sich nur mit einem Lendenschurz zu bekleiden, tauchte auf seinem Soloalbum Nugent von 1981 in schwarzem Leder auf. Selbst Thin Lizzy, die alternden Idole von Iron Maiden und Motörhead, trugen auf einem Pressefoto von 1983 Nieten­handschuhe aus schwarzem Leder.

Außenstehende fanden die Kleiderwahl merkwürdig, faszinierend oder sogar bedrohlich. Für die meisten Metal-Fans stand und fiel die Bedeutung der Kleidung mit der energiegeladenen Musik, gleichzeitig aber stellte sie auch eine aggressive Schutzschicht gegen Selbstgefälligkeit dar. Eugene Klein alias Gene Simmons, der Feuer speiende Dämon von Kiss, trug in den frühen Siebziger­jahren Leder und Nieten und behauptet, keine Ahnung davon gehabt zu haben, dass diese Kleidung allgemein mit Bondage-Sex in Verbindung gebracht wurde. „Wir lebten in New York, aber auf gewisse Weise waren wir sehr behütet“, sagt er.„Wir beschlossen,Nieten auf Leder zu tragen,im Schritt oder auf dem Gitar­rengurt, weil wir das cool fanden. Wir haben nicht damit angefangen, weil es ein Underground-SM-Ding war.“

Merkwürdig geformte Gitarren spielten im visuellen Lexikon des Heavy Metal ebenfalls eine große Rolle. Die Gibson Flying V symbolisierte die ultra­modernen Stile von Gitarristen wie Michael Schenker, K. K. Downing von Judas Priest und später Kirk Hammett und James Hetfield von Metallica. Obwohl die Raumschiffform sehr dem Achtziger-Zeitgeist zu entsprechen schien, stammte die Flying V bereits aus dem Jahr 1957, als der Präsident von Gibson, Ted McCarty, als Reaktion auf Sticheleien seines Rivalen Leo Fender über das ver­meintlich veraltete Design seiner Gitarren neben der im Metal ebenfalls sehr beliebten Gibson Explorer ein weiteres unkonventionelles Instrument herstel­len ließ. Obwohl sie 1983 schon einige Jahre auf dem Buckel hatten, wurden diese eckigen Gitarren – im Englischen allgemein gern „axe“, also „Axt“, genannt – zu den bevorzugten Waffen des Heavy Metal, zu aerodynamischen Requisi­ten neu choreografierter Bühnenbewegungen, wie Zauberstäbe zur Entfesse­lung der Macht einer mächtigen Wand aus Marshall-Verstärkern.

Ums Überleben kämpfende neue Bands, die nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügten, hatten zwar ähnlich ausgefallene Vorstellungen, konnten sich aber oft nicht mehr als ein bisschen Make-up leisten, um eine Show auf die Beine zu stellen. Das schwermetallische Quartett Manowar versuchte sich bei den hartgesottenen Metal-Fans mit Tierfellkleidung nach Conan-Manier einen Namen zu machen. Raven, die bereits dafür bekannt waren, auf der Bühne wie ver­rückt gegeneinander zu rennen, trugen Knieschoner, und nachdem Schlagzeu­ger „Wacko“ Hunter sich 1982 ange­wöhnte, zum Schutz seines Kopfs einen Hockeyhelm zu tragen, wenn er auf die Becken eindrosch, bekamen sie das Eti­kett „Sportler-Rock“ verpasst. „Wir waren in New York, und Rob ging in einen Laden und sah den Eishockey­helm“, sagt John Gallagher von Raven. „Er hat ihn benutzt, um eine bestimmte Figur zu erschaffen, wie beim Wrestling. Allerdings sah er eher aus wie irgend­etwas aus dem Film Tron.“

Im Country Club in Los Angeles – der in einer Einkaufsstraße in Reseda lag und zuvor in der Fernsehserie CHiPs einmal als Schauplatz der Begegnung von Motorradpolizisten und Punks gedient hatte – traten oft Entdeckungen von Metal Blade Records auf, Armored Saint beispielsweise oder die verrufenen Bitch. Selbst auf Amateurebene wusste man um die Bedeutung und Überzeu­gungskraft der Heavy-Metal-Bildsprache – Armored Saint spielten in überzeu­gender selbst gemachter Kampfaufmachung, während die Sängerin von Bitch, Betsy, wie eine Domina gekleidet war und eine Peitsche schwang. Solche Ver­suche umfangreicher Kostümierung kollidierten jedoch mit der Realität der ein­fachen Verhältnisse.„Es hat tierisch genervt,dieses ganze Zeug anzuziehen“,sagt der Sänger von Armored Saint, John Bush. „Unser Kleiderkoffer hat so schlimm gestunken. Im Winter war es noch grässlicher. Man musste diesen riesigen Anzug anziehen, und er war kalt und noch immer nass, und er stank. Rück­blickend könnte ich mich darüber kaputtlachen, aber damals war es cool. Heute wirkt es, als ob man sich Fotos von früher ansieht, auf denen man als kleiner Junge mit einer richtig blöden Frisur zu sehen ist.“

Wie dominant Heavy Metal innerhalb der Musikszene inzwischen geworden war, zeigte sich am sengend heißen letzten Wochenende des Mai 1983 beim U.S. Festival, einem im Fernsehen übertragenen viertägigen Openair im kaliforni­schen San Bernardino, das der Erfinder des Apple-Computers, Steve Wozniak, uneigennützig finanziert hatte. Fast dreihunderttausend Zuschauer sahen am Samstag die New-Waver INXS, A Flock of Seagulls, Men at Work und The Clash, und ein ähnlich großes Publikum versammelte sich am Montag bei den Auftritten von U2, den Pretenders und David Bowie. Diese Künstler waren die Lieblinge der Radiosender und größtenteils von der Industrie unterstützte Punk-Abkömmlinge – doch das Metal-Programm am Sonntag zog über­raschend eine Menschenmenge von sechshunderttausend an und stahl der tra­ditionellen Rockgarde die Schau.

Den Anfang machte Sonntagmittag die Clubband Quiet Riot, darauf folgten die kaum bekannten Mötley Crüe, die trotz der drückenden Hitze schwarzes Leder und Nieten trugen. Am frühen Nachmittag kam Ozzy Osbourne mit einem kunstvoll mit Federn verzierten Kopfschmuck eines Medizinmanns auf die Bühne und spielte unterstützt von seinem neuen Gitarristen Jake E. Lee eine Mischung aus Black-Sabbath-Material und den Hits seiner Solozeit. Dann spielten die unbeugsamen Judas Priest, deren Sänger zu Beginn des Auf­tritts auf einem Motorrad durch eine Wand aus Marshall-Verstärkern gefahren kam. „Der Tag war ein Highlight“, sagt Rob Halford. „Es war der Höhepunkt der sensationellen Screaming For Vengeance-Tour, die 1981 begonnen hatte. Das Album hatte Platin erhalten, und das U.S. Festival war absolut unglaublich. Es war einfach eine echte Bestätigung, mit dieser Show am Ende die Platte und die Tour abzuschließen. Natürlich bedeutete das auch Stress. Wir dachten danach: ‚O Gott, jetzt müssen wir das überbieten!‘“

Nachdem das kanadische Powertrio Triumph für etwas nachlassende Span­nung gesorgt hatte, überflog bei Anbruch der Dunkelheit eine Staffel von vier deutschen Kampfflugzeugen die unvermindert große Menge und kündigte die Scorpions an. Die tourneeerfahrene Band lieferte ein langes, kraftvolles Set, das in einer fünfminütigen Orgie ekstatischen Lärms und Gitarrenfeedbacks kul­minierte. Und schließlich beschlossen die Headliner, Van Halen, ihre härteste Phase und diesen Tag mit metallischem Glanz, der von dem lallenden Vortrag ihres Sängers David Lee Roth kein bisschen beeinträchtigt wurde.