Höllen-Lärm

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Ledermacho Rob Halford von Judas Priest und Peter „Biff“ Byford von Saxon folgten Angus Young auf das Cover von Kerrang! – Sänger, die dafür sorg­ten, dass es ab sofort zur Rolle eines Heavy-Metal-Frontmanns gehörte, geschickt die Massen zu beherrschen und mit den Stimmbändern Kristall bers­ten zu lassen. Wie auf der herausragenden Live-Veröffentlichung von 1982, The Eagle Has Landed, zu hören ist, konnte Byford ein Konzert ohne weiteres in eine interaktive Mitsingveranstaltung verwandeln, die er mit seinem charakteristi­schen Pfeifen dirigierte. Mit dem Frage-Antwort-Muster, das er von englischen Fußballgesängen übernahm, ließ er dabei Loge gegen Parkett antreten. Er schien sich in glänzenden weißen Stretchhosen und mit dem Mikrofon in der Hand auf der Bühne ebenso zuhause zu fühlen, als säße er noch immer in seinem eigenen Garten bei einer Tasse Tee und erzählte Kriegsgeschichten.

Die schnellen Saxon-Songs „Strong Arm Of The Law“ und „Wheels Of Steel“ waren melodisch und aufrüttelnd, ein bisschen wie unbeschwertere Ableger von Motörhead-Nummern. Härtere Saxon-Tracks wie „Machine Gun“ basierten auf den unablässig stampfenden Rhythmen zweier Gitarren, die das Grundmuster des Speed Metal bereits vorwegnahmen. Ein ungewöhnlicher Song im Saxon-Repertoire war das aufwühlende „Dallas 1 PM“ auf Strong Arm Of The Law, auf dem original Radiomitschnitte von der Ermordung John F. Kennedys zu hören waren. Typischerweise aber drückten Saxons Texte einfach die Lebenseinstellung eines gewöhnlichen Headbangers aus – einer Figur, die in „Denim And Leather“ verewigt wurde, der großartigen Metalhead-Hymne der Band: „Where were you in ’79 when the dam began to burst? Did you check us out down at the local show? Were you wearing denim, wearing leather? Did you run down to the front? Did you queue for your ticket through the ice and snow? – Wo wart ihr 1979, als der Damm zu brechen begann? Wart ihr damals beim Konzert, als wir bei euch um die Ecke gespielt haben? Hattet ihr Jeans und Leder an? Seid ihr gleich nach vorn an die Bühne gerannt? Habt ihr bei Schnee und Eis um Karten angestanden?“

NWOBHM

Obwohl die „alte Welle“ des britischen Heavy Metal größtenteils nur in der Fantasie der Hardrockfans existierte, war der sperrige Begriff „New Wave of British Heavy Metal“ trotzdem so einprägsam, dass er sich dauerhaft durchsetzte. Musikalisch verarbeitete die NWOBHM den Hardrock der Siebzigerjahre zu Häppchen von Punkformat mit hoch konzentrierter Form von Gitarrenenergie. Angeregt durch den Do-it-yourself-Geist des Punk erschienen die ersten Erzeugnisse von Iron Maiden und Diamond Head in Eigenregie oder bei Schlafzimmerlabels wie Neat und Heavy Metal Records. Überall in England und Europa tummelten sich Fans und trugen mit den Aufnähern und Ansteckern ihrer Lieblingsbands verzierte Jeanswesten über schwarzen Lederjacken. 1980 stand die Bewegung in voller Blüte, hunderte von Singles und eine Hand voll wegweisender Langspielplatten von Motörhead, Saxon, Iron Maiden und Judas Priest befanden sich in Umlauf. Obwohl es sich hauptsächlich um aufstrebende Londoner Bands handelte, dominierten sie mit ihren überzeugenden Liveauftritten den Heavy Metal des kommenden Jahrzehnts.

Diskografie:

AC/DC, Highway To Hell (1979)

Angel Witch, Angel Witch (1981)

Def Leppard, On Through The Night (1980)

Diamond Head, Lightning To The Nations (1980)

Girlschool, Hit And Run (1981)

Iron Maiden, Iron Maiden (1980)

Iron Maiden, Killers (1981)

Judas Priest, British Steel (1980)

Motörhead, Ace Of Spades (1980)

Motörhead, Overkill (1979)

Raven, Wiped Out (1982)

Saxon, Wheels Of Steel (1980)

diverse Interpreten, Metal For Muthas (1980)

Tank, Filth Hounds Of Hades (1982)

1981 hatte sich der Heavy Metal bereits eine Art kleineres Vermächtnis geschaf­fen, das er für sich arbeiten lassen konnte. Für echte Fanatiker aber gab es keine Ruhepause. Punk war als Modeerscheinung in den Hintergrund getreten, und Hardrock schleppte sich als routiniertes Alltagsgeschäft dahin, doch Heavy Metal bot ständig neue Anreize und bediente sich gierig anderer Stile. Neben den bekannteren harten Riffproduzenten rückten nun die Boogie-Woogie­beeinflussten Spider, die dreisten Sabbath-Nachahmer Witchfinder General und die frechen Angel Witch nach, die den schamlosen Metal-Gesang mit manischen Punkrhythmen verschmolzen und dabei ein besonderes Interesse an einem zeitgemäßen Thema wie der Gleichberechtigung der Frau zeigten.

In einer so vielfältigen Szene wie der NWOBHM musste es jemanden geben, der als Sammelbecken für den ganzen verachteten Schmutz und Dreck fungierte, der andernorts verabscheut wurde. Das waren Venom, die Lieblinge des Kerrang!, die mit militantem Satanismus und einer „Sie wollen Böses? Wir geben ihnen Böses!“-Philosophie vor allem aggressivere Gelüste bedienten. Dabei hatten sie sich von Kiss inspirieren lassen, sich bezüglich der Umsetzung des Ganzen allerdings auch am perversen römischen Kaiser Caligula orientiert. Venom spielten schnelles, dreckiges Zeug, bei dem es nur um die Geschwin­digkeit ging, und garnierten es mit okkulter Bildlichkeit, um die Kritiker zu ver­schrecken. Venoms Debüt von 1981, Welcome To Hell, und der 1982 erschie­nene Nachfolger Black Metal waren mit gold- und silberfarbenen Pentagram­men, Ziegenköpfen und satanistischem Unsinn übersät. Zudem waren Bassist und Sänger Conrad Lant alias Cronos, Gitarrist Jeff Dunn alias Mantas und Schlagzeuger Tony Bray alias Abaddon darauf abgebildet, wie sie Waffen schwangen und schleimig wie neugeborene Teufel aussahen. Neben ihnen wirk­ten Motörhead zivilisiert und die Sex Pistols wie eine freundliche Kinderbande.

Obwohl dies zu jener Zeit kaum zu erahnen war, wurden Venom zu einer der einflussreichsten Bands der NWOBHM. Zwar wurde ihr albernes Auftreten in der Regel von Journalisten und anderen Musikern ignoriert, aber die Fans waren fasziniert. Venom konnten kein stimmiges Tempo halten und mischten ihren Sound mit überzogenem Einsatz von Hall und Verzerrern ab, damit ihr Unvermögen verborgen blieb; Songs wie „Poison“ und „Live Like An Angel, Die Like A Devil“ lösten sich gegen Ende in heulendem Lärm auf. Mit anderen Wor­ten: Venom brachen mit den Vorstellungen von Sorgfalt und künstlerischer Raf­finesse und ersetzten sie durch einen aufregenden chaotischen Strudel.

Wie Cronos in einem Interview mit The 7 Gates of Hell erzählte, begann das Chaos in einer malerischen englischen Kapelle: „Wir haben in Newcastle in einer Methodistenkirche geprobt, die wir für fünf Pfund jeden Samstag gemie­tet hatten. Und jedes Mal nahm Abaddon kleine Sprengkörper mit, die er wäh­rend der Proben zündete. Wir haben geprobt, und er hat diese Scheiß-Feuer­werkskörper abgeschossen! Einmal hat ein Nachbar die verdammte Feuerwehr gerufen, weil überall aus der Kirche riesige rote Rauchwolken aufstiegen. Das war ein idealer Probenraum, und ich glaube, es war auch genau die richtige Atmosphäre, um Liebeslieder an den Satan zu schreiben!“

Zwischen Venom und ihren ebenfalls aus Newcastle stammenden Label­kollegen Raven bestand eine kaum freundlich zu nennende Rivalität. „Wir mögen Raven nicht“, sagt Venom-Schlagzeuger Abaddon. „Es ist so: Wir sind nicht auf die harte Tour nach oben gekommen, von wegen ‚erst mal zwanzig Jahre lang in den Clubs spielen, und dann darf man seinen Durchbruch haben‘. Neat Records haben uns wirklich übers Ohr gehauen. Wir haben denen berge­weise Geld eingebracht, aber sie haben es benutzt, um Raven und Tygers of Pan Tang zu promoten. Wir mögen sie als Bands, aber irgendwie ist alles schief gelaufen.“ Venom wurden allgemein als Witz betrachtet, aber sie trotzten der Herablassung mit Arroganz. Durch sie entstand schließlich eine Kluft zwischen dem ambitionierten, traditionellen Heavy Metal und dem unheiligen Black Metal, wie er Jahre später aus Venoms feurigem Atem geformt werden sollte.

Während sich Heavy Metal zu einem festen Bestandteil der englischen Musik­kultur entwickelte, gab es ein neues, gemeinsames Ziel: die Eroberung hun­derter anderer Städte von der Größe Londons. Nach der Auf­nahmeflut von 1980 stürzten sich Judas Priest, Iron Maiden, Def Leppard und Motörhead auf ausgiebige Tourneen im Ausland. Raven, die Veteranen der NWOBHM, mieteten einen Laster und machten sich süd­wärts über Belgien auf eine lange Europatournee, um einem aufgeschlossenen Publi­kum zuvor ungehörte Musik nahe zu bringen. „Das war ein echter Kulturschock“, sagt John Gallagher. „Das letzte Mal waren wir als Kinder in Spanien gewesen. Das war kaum zu glauben. Die Leute haben total durchgedreht. In einem Club in Mailand haben sie eine Trenn­wand platt gemacht – so einen Raumteiler, wie es ihn in Schulkantinen gibt. Nach der Show wurden wir von Leuten überrannt, die alle Autogramme wollten, und von Frauen, die uns verständlich machten, dass sie was ganz Bestimmtes vorhatten. Das war uns noch nie vorher passiert. Wir fanden das toll.“

Durch den internationalen Export von Kerrang! wurde England zum Orientierungspunkt für Heerscharen von ausländischen Metalheads, von denen jeder Einzelne eigene Verbesserungen zur NWOBHM-Formel beitrug. Accept aus Deutschland bedienten einen wachsenden Metal-Markt mit knackigen, stampfenden Rhythmen. Loudness aus Japan, Riot und Manowar aus New York sowie Anvil aus Kanada hatten dichtere Riffs und elegantere Kostüme zu bie­ten als beispielsweise britische Kombos mit dubiosen Namen wie Split Beaver und Bitches Sin. Gleichzeitig fühlten sich die Londoner Headbanger von den zunehmend „amerikanisierten“ Def Leppard im Stich gelassen und zeigten sich bereit, Importe zu kaufen.

Um die NWOBHM zu überleben, brauchte eine Band neben musikali­schen Fähigkeiten und gestreiften Hosen auch reichlich Hartnäckigkeit und Glück. „Da gab es zweitklassige und drittklassige Bands, die auf den Zug auf­zuspringen versuchten“, sagt John Gallagher von Raven und meint Bands wie Brooklyn, Crucifixion, Fist und Tytan. „Alle Bands waren unterschiedlich, was man eigentlich nicht so oft hat. Die Szene war nicht homogen. Wie immer war es so: Ein oder zwei Bands hatten die richtigen Beziehungen, sahen gut aus oder trafen die richtigen Leute, aber eine Menge anderer blieben auf der Strecke. Wir hatten wirklich Glück, und wir taten, was wir konnten, damit sich die Leute für uns interessierten.“

 

Von den Bands der NWOBHM-Ära schrammten Diamond Head beson­ders knapp am Erfolg vorbei. Lightning To The Nations, ihr bestes Album, wurde 1980 aufgenommen und in einer einfachen weißen Hülle mit den Autogram­men der vier Bandmitglieder veröffentlicht. Auch ihre Songs waren sauber und modern, voll schneller, antiseptischer Härte, die Iron Maidens dunkle Gassen verließ und sich an den glänzenden Hochhäusern und Lebensmittelgeschäf­ten eines neuen, noch unbekannten Großbritannien orientierte. Obwohl sie mit ihren kraftvollen Akkorden und ihrem Optimismus dazu beitrugen, die NWOBHM zu definieren, wurden sie zu geisterhaften Beobachtern ihrer eige­nen, zum Scheitern verurteilten Karriere. Diamond Head ähnelten einem äthe­rischen Gespenst, das die Vergleiche mit Led Zeppelin in eine Verdammnis geschickt hatte, aus der es keinen Weg zur Erlösung fand.

Doch in dem unvollendeten Vermächtnis von Diamond Head entdeckten jüngere Musiker eine Art von Metal, der abseits dessen lag, was Judas Priest und Iron Maiden bisher vorgegeben hatten. Die ehrgeizigen Diamond-Head-Anhänger bei Metallica nahmen später vier der sieben Songs von Lightning To The Nations als Coverversionen auf (neben anderen ausgewählten NWOBHM-Titeln von Savage, Holocaust, Sweet Savage und Blitzkrieg). Dave Mustaine, der entscheidende vierzehn Monate bei Metallica spielte, bevor er Megadeth grün­dete, sagt: „Ich komme immer wieder auf Diamond Head zurück. Als ich mit [dem Metallica-Gitarristen] James Hetfield gesoffen und rumgehangen habe, haben wir immer Venom, Motörhead und Raven, Tank und Mercyful Fate, Dia­mond Head, Angel Witch, Witchfinder General und so ein Zeug gehört.“

Wollte eine Band aber internationalen Erfolg, musste sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Trotz der Rockstarträume auf „It’s Electric“ von Diamond Head – „I’m gonna be a rock and roll star, gotta groove from night to day“ – waren rückblickend wohl das wesentlich besser gestaltete Songmaterial und das überlegene Arbeitsethos von Iron Maiden dafür verantwortlich, dass Platten wie Lightning To The Nations letztlich nie vom Startblock der NWOBHM los­kamen. Iron Maiden setzten das kreative Potenzial der Bewegung vollständig um, verschmolzen ihr raffiniertes Image mit dem Konzept der Horrortexte und hoch entwickelten dualen Gitarren – und arbeiteten unermüdlich mit ihrem ebenso ehrgeizigen Management, um jedwede Hindernisse zu überwinden.

Iron Maidens großartiges zweites Album, Killers, knackte die amerikanischen Billboard-Charts auf Platz sechzig und verkaufte sich allein 1981 zweihundert­tausendmal. Die steigende Popularität führte auf der darauf folgenden Welt­tournee zu Problemen mit dem Sänger. Paul Di’Anno hatte sein Handwerk in den Clubs gelernt, aber Iron Maiden waren keine Clubband mehr. Man entschied sich dafür, Di’Anno zu feuern, bevor sein Verhalten den professionellen Bemühungen der Band in die Quere kam. Im September 1981 rasierte sich der Sänger Bruce Dickinson alias Bruce Bruce den Schnurrbart ab und trennte sich von Samson, um Frontmann bei Iron Maiden zu werden – der Beginn einer energiegelade­nen zehnjährigen Partnerschaft. Der physisch sehr präsente und theatralische Dickinson, ein begeisterter Fechter, stieß genau zu dem Zeitpunkt zur Band, als Iron Maiden zum ersten Mal versuchsweise in Stadien spielten und sie über­lebensgroße Armbewegungen und Sirenenstimmen entwarfen, die wie in der Oper Menschen bis zu den billigen Plätzen ganz hinten beeindrucken sollten.

Dickinsons Debüt bei Iron Maiden, The Number Of The Beast, das im April 1982 veröffentlicht wurde,war ein Meisterwerk.„Diese Platte bewies,dass Mai­den auch nach der New Wave of British Heavy Metal eine Weltmacht sein wür­den“, sagt Rob Halford von Judas Priest. „Der Titel ist toll, und die Platte zeigte eine andere Seite des Metal, der zu der Zeit in Großbritannien entstand. Es gibt Nischen im Metal – wie in vielen anderen musikalischen Bereichen –, die wich­tig sind, und die hier war ganz besonders wichtig.“

Obwohl sie der Kansas City Star wegen ihrer US-Auftritte mit Kiss 1978 spöt­tisch als „humorlose“ Spaßmetaller bezeichnete, füllten Judas Priest inzwischen kleinere Stadien in Texas und Pennsylvania und nahmen Iron Maiden mit, die dort einen ersten Vorgeschmack auf größere Veranstaltungsorte bekamen. „Damals waren die Kommunikationswege wirklich noch lang“, sagt Rob Halford. „Man musste einfach auf Tour gehen, und das für eine lange Zeit. Die ganzen Jahre, die ich bei Priest gespielt habe, waren buchstäblich zwanzig Jahre auf Tour mit nur sehr wenigen Unterbrechungen. Es ging ununterbrochen so. Man hatte kein MTV, es gab kein Internet, es gab keine Zeitschriften für die breite Masse. Es war einfach alles sehr primitiv und steckte noch in den Kinderschuhen.“

Im Ausgleich dazu war aber auch die Loyalität, die Judas Priest bei beein­flussbaren neuen Bands im Ausland erweckten, so groß, dass sich nach beinahe jedem Song vom großartigen, 1979 erschienenen Livealbum Unleashed In The East eine Band benannte – Exciter, Running Wild, Sinner, Ripper, Green Mana­lishi, Victim of Changes, Genocide und Tyrant. Nur das Joan-Baez-Cover „Dia­monds And Rust“ wurde nicht als Bandname erwählt. Für diese junge Armada von Bands und die hunderten weiteren, noch unbenannten Gruppen waren die ersten zehn Jahre Heavy Metal noch immer gerade einmal der Anfang. Groß­britannien hatte den klassischen Heavy Metal hervorgebracht – aber in Europa, Asien und Amerika war die Zukunft noch zu haben.


Wendy O. Williams und Richie Stotts von den Plasmatics (John Michaels)


Die erste Single von Raven, 1980 erschienen


Paul Di’Anno von Iron Maiden (EMI Records)


Kerrang! Nr. 1: Die Geburt der Headbanger-Bibel


Motörhead/Girlschool-Single


Aardschok


Steve Harris, der Mastermind von Iron Maiden (Todd Nakamine)

III: 1980: Die amerikanische Einöde wartet

13. Oktober 1980: Back In Black von AC/DC erhält Platin in den USA

Januar 1982: Ozzy Osbourne beißt einer Fledermaus, die ihm in Iowa auf die Bühne geworfen wird, den Kopf ab

März 1982: Der Gitarrist Randy Rhoads kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben

14. Juni 1982: Metal Blade Records veröffentlichen Metal Massacre

20. August 1982: Too Fast For Love von Mötley Crüe wird von Elektra wiederveröffentlicht und steigt auf Platz einhundertsiebenundfünfzig in die Billboard-Charts ein

Während in den englischen Heavy-Metal-Schmieden eifrig weitergearbei­tet wurde, erwachte Amerika 1980 aus einem Disco-Traum. Nachdem sie die Sorgen der vorangegangenen zehn Jahre weggetanzt hatten, kannten nur sehr wenige amerikanische Rockfans Iron Maiden, Motörhead und Judas Priest – weniger bekannte Bands wie Diamond Head oder Angel Witch schon gar nicht. „Disco hat Leute, die auf Hardrock standen, fünf Jahre lang in die Ecke gedrängt“, meint Ron Quintana, ein DJ und Plattensammler aus San Francisco. „Man kam sich vor wie eine der Ratten, die um anderer Leute Füße herum­wuseln – man versuchte sich gegenseitig zu finden und sich von diesen neuen Metal-Bands zu erzählen, die plötzlich auftauchten.“

Dabei hatten Heavy Metal und die Disco-Musik durchaus Gemeinsam­keiten: In beiden Bereichen gab es divenhafte Sänger, und beide boten ener­giegeladene Gemeinschaftserlebnisse. Aber für Kids, die zu jung waren, um das Tanzbein zu schwingen, war das Disco-Nachtleben wieder nur ein ausschwei­fender Luxus für die von sich selbst eingenommene „Ich“-Generation. Twisted Sister, eine in den New-Yorker Vorstädten beliebte Clubband, mobilisierten die Abweichler mit dem majestätischen „Rock And Roll Saviors“, dessen Text unver­blümt „Disco is dead! – Disco ist tot!“ verkündete.„Darauf konnte sich jugend­licher Hass konzentrieren“,meint der Sänger der Band,Dee Snider.„Disco war so dominant, dass es Rockbands schwer hatten, Arbeit zu finden. Disco war ungeheuer ausgeufert. Rückblickend war es eine Frage des Lebensstils. Die Musik war nicht nur ein Sound, den wir nicht mochten – sie stand für einen bestimmten Teil der Bevölkerung. Die Disco-Kids waren eine Gruppe und die Heavy-Metal-Kids eine andere.“

Vielerorts in Amerika wollte man dem Disco-Taumel ein hässliches Ende bereiten. Die Plasmatics, eine apokalyptische Punkrock-Freakshow, die in der zwielichtigen Gegend um den New-Yorker Times Square entstand, waren absto­ßend, dreist und bereit, den Niedergang des einundzwanzigsten Jahrhunderts einzuleiten. Sie liebten einen Sound, der wie eine Barrikade aus Stacheldraht klang. Sängerin Wendy O. Williams, die sich auf der Bühne in Rasierschaum und strategisch angebrachte schwarze Klebebandstreifen kleidete, zersägte Gitarren mit der Kettensäge und bearbeitete Schrottautos mit dem Vorschlag­hammer. Sie wirkten, als seien sie einem völlig überzeichneten Comic ent­sprungen, und feierten sensationslüstern die Zerstörung amerikanischer Iko­nen. „Wir produzierten Chaos und Durcheinander“, meint Gitarrist Richie Stotts. „Manchmal war es gefährlich, aber uns hat es Spaß gemacht. Ein paar Leute haben sich auf uns gestürzt, aber die haben es nicht kapiert. Die haben uns danach beurteilt, was sie sich unter einer Band vorstellten. Wir haben ja nicht mal behauptet, dass wir überhaupt eine Band sind!“

Als die Wahl Ronald Reagans 1980 die lockeren Siebzigerjahre mit einem nachhallenden konservativen Donnerschlag beendete, war der Einfluss des Punk auf Amerikas Mainstream bereits verpufft. Wie beim Zusammenbruch des Londoner Punk war auch die Szene in Los Angeles, die X und die Germs aus der Taufe gehoben hatten, durch Drogen und Zerstörung ausgebrannt, und die Musikindustrie formte aus ihrer Gefährlichkeit und Schärfe wenig später die discobeeinflusste New Wave. Als der Anblick des Germs-Sängers Darby Crash, der sich in dem Dokumentarfilm The Decline of Western Civilization die Haut aufritzt, die großen Kinokomplexe der vorstädtischen Einkaufszentren erreichte, blieb seine antiautoritäre Haltung im Gedächtnis, nicht aber der scharfkantige Sound. Seines Protestpotenzials entkleidet, wurde Punk kom­merzialisiert und in Form seichter Kost von Wall of Voodoo, Oingo Boingo oder The Knack als Soundtrack für Teeniefilme wieder aufgekocht. Wie der Außenseiter Slash in der Highschool-Fernsehsitcom Square Pegs richtig stellte: „Ich bin kein Punk, ich bin New Wave – das ist ’ne ganz andere Frisur.“ Lachen vom Band.

Aus dem Glitzer des Disco und den Ruinen des Punk erhob sich die Metal­Revolution.„In Hollywood gab es auf dem Parkplatz von Capitol Records regel­mäßig einen Flohmarkt“, sagt Brian Slagel, der Gründer von Metal Blade Records. „Da gab es nur Musik, und es wurde von seltenen Platten bis zu alten Singles alles gehandelt, darunter auch jede Menge Bootlegs. Ich habe da immer eingekauft, und als ich mich erst mal mit Leuten angefreundet hatte, die in Plat­tenläden arbeiteten und die auch wussten, dass ich auf Metal wie Kiss und AC/DC stand, sagten die: ‚Hey, du, hier ist ’ne Cassette von einer Band, die du dir mal anhören solltest. Die sind auch cool.‘“

 

Andernorts bildeten Heavy-Metal-Fans Cliquen innerhalb der Hardrock­szene. Die „Ratten, die um anderer Leute Füße herumwuselten“, schickten ein­ander über Kleinanzeigen in Sammlerzeitschriften wie Goldmine und Record Trader Signale oder erkannten einander bei den wichtigen Rockveranstaltun­gen. „Wir sahen den Sänger von Exodus, Paul Baloff, immer bei den Konzer­ten von Yesterday and Today [den späteren Y&T]“, erinnert sich Ron Quintana an die Szene in San Francisco.„Die waren damals das Härteste,was bei uns lief. Bei den coolen Shows traf man immer wieder die gleichen Leute, und Baloff war einer davon. Y&T führten eine Menge Leute aus der Bay Area an den Hard­rock heran; das war echt gut.“

Während sich die Metalfans wie Bienenschwärme zusammenfanden, lie­ferten selbst aufgenommene Cassetten sozusagen den Blütenstaub, mit dem sie ihre genetischen Codes zur Vergrößerung des Bienenstocks übertrugen. „Ab 1979 stand ich auf die ganze NWOBHM-Szene“, sagt Brian Slagel. „Ich habe Livecassetten und Demotapes mit Leuten auf der ganzen Welt getauscht. Der britische Heavy Metal begann mich zu interessieren, weil ein paar meiner euro­päischen Freunde sagten: ‚Hey, hier gibt’s eine Band, die heißt Iron Maiden.‘ Sie packten mir ein paar von deren Songs ans Ende einer Cassette. Wenn man jemanden traf, dann empfahl der einem gleich eine neue Band, und so kam der Ball ins Rollen.“

In Amerika lief es genauso. Ein paar erklärte Gläubige predigten die Frohe Botschaft der NWOBHM und sammelten mit viel Elan Nachrichten über neue Bands und Konzertaktivitäten. Die heiligen Themen der Headbanger verbrei­teten sich über zerlesene Ausgaben des Kerrang! und hielten die Glaubens­gemeinde zusammen. „Wir stritten die ganze Zeit über Fachfragen. Wir waren eine informierte Geheimgesellschaft“, sagt Ron Quintana. „Wenn man jeman­den aus England oder Europa kennen lernte, wie zum Beispiel Lars Ulrich, frag­ten wir denjenigen über jede einzelne Band aus: ‚Wie klingen Dragster? Wer steckt hinter Wrathchild?‘ Die meisten waren Scheiße, so wie Dragster, aber man war in einer Zeitung auf den Namen gestoßen und hatte gedacht, die wären heavy.“ Als Metalhead musste man außergewöhnlich engagiert sein, um an neue Musik zu kommen. „Nicht mal die Punks haben die englischen Zei­tungen gelesen“,sagt Quintana,„weil die Szene hier bei uns groß genug war.Die Metaller aber mussten sich anderswo umsehen, um harte Sachen zu finden.“

Da es in Amerika kein echtes Pendant gab, war es an der Londoner Presse, nordamerikanische Bands in ihrer eigenen Heimat vorzustellen, so zum Beispiel die druckvollen Anvil aus Toronto und die hartgesottenen Twisted Sister aus New York. „Nur weil wir ziemlich oft in Kerrang! waren, wurden wir mit der NWOBHM in Verbindung gebracht“, sagt Dee Snider. „Dann hatten wir den Durchbruch in England, und als wir wieder nachhause kamen, wurden wir stän­dig gefragt: ‚Wieso habt ihr denn keinen britischen Akzent?‘ Wie Hendrix, Joan Jett und die Stray Cats vor uns sind wir nach England gegangen, um zu Ruhm und Reichtum zu gelangen, und erst von dort aus starteten wir weltweit durch.“

Nachdem Kerrang! positiv über Twisted Sister berichtet hatte, reiste ihr geschäftstüchtiger Gitarrist Jay Jay French nach England, um der Gruppe einen Plattenvertrag in Europa zu sichern. Diese unkonventionelle, aber notwendige Reise war ein Erfolg und führte dazu, dass auf You Can’t Stop Rock ’N’ Roll von 1982 ein stärkerer britischer Einfluss spürbar wurde. „Jay kam mit einer Cas­sette von Iron Maidens Killers zurück nach New York“, erinnert sich Dee Snider, „und er hat sie mir gegeben, weil der Bassist Mark Mendoza und ich die Metal­heads waren. Ich habe sie eingelegt und war sofort total hin und weg. Und dann wurde ich auch noch ein großer Fan von Saxon.“

Spielte man 1980 in Los Angeles etwas, das auch nur entfernt nach Heavy Metal klang, ohne Van Halen zu sein … galt man als Idiot. Obwohl sie unab­lässig die Vorzüge von Bikinis und Sportwagen priesen, lagen die Ursprünge selbst dieser Band, die als so archetypisch kalifornisch galt, in Europa. Eddie Van Halen und sein Bruder Alex waren aus Holland eingewandert und 1962 als holländisch sprechende Grundschüler nach Pasadena gezogen. Vielleicht ent­sprang die einfallsreiche musikalische Herangehensweise der beiden der Erfah­rung, von einer Kultur in eine andere gewechselt zu sein.

In vielerlei Hinsicht stellten Van Halen das sportliche amerikanische Gegenstück zu Led Zeppelin dar und waren als Band eigentlich zu großspurig, um wahr zu sein. Mit ihren ersten vier Alben verbreiteten sie erfolgreich kali­fornischen Sonnenschein und verkauften den wilden Hollywood-Lebensstil mit einer ausgelassenen Partystimmung, die ihr offensichtlich vorhandenes Talent nicht schmälerte. Das Maskottchen der Band, der akrobatische, löwenmähnige Sänger David Lee Roth, verband die unglaublichen Schreie eines Ian Gillan von Deep Purple mit dem lüsternen, unverblümten Gehabe eines Jim Dandy Mangrum von Black Oak Arkansas. Obwohl Van Halen unschlagbar waren, hatten sie gewöhnliche Bedürfnisse, aßen weiterhin Hamburger und tranken kaltes Bier wie ganz nor­male Leute.

Es war der wunderbar fingerfertige Gitarrist Eddie Van Halen, der die Band über die Maßen aufregend machte. Seine technisch versierten, protzigen Soli, wie er sie beispielsweise bei „Eruption“ zeigte, mach­ten aus der Heavy-Metal-Gitarre eine äußerst kom­plizierte Wissenschaft. Anstatt nur Bluestonleitern das Griffbrett rauf und runter zu jagen, griffen Van Halen aus allen Richtungen an. „Ich war ein großer Fan von Van Halen, Judas Priest, Jimi Hendrix und Michael Schenker von UFO – Gitarristen mit einem ganz besonderen Gefühl“, sagt George Emmanuel alias Trey Azagthoth, später Gitarrenheld bei Morbid Angel. „Damals war es angesagt, ziemlich extrem zu spielen. Eddie Van Halen hatte solche Wucht und so viel Gefühl – sein Sound und seine Art des Ausdrucks hatten etwas Elektrisierendes.“

Die wenigen anderen Heavy-Metal-Bands in Los Angeles versuchten eben­falls, bodenständigem Heavy Metal hausgemachtes Showbusiness-Flair zu ver­leihen. Emsige kleine Fische wie Quiet Riot, Snow und Xciter ahmten die mark­erschütternden Hymnen von Judas Priests British Steel nach und verbeugten sich in Richtung Van Halen, wenn sie ihre eigenen Gitarrenhelden antreten lie­ßen. Quiet Riot beschäftigten den geschmeidigen Solisten Randy Rhoads, Snow den hyperaktiven Carlos Cavazo, der Rhoads später bei Quiet Riot ablöste. Das Aushängeschild von Xciter war die faszinierende, melodische Leadgitarre von George Lynch, der später Dokken gründete.

Ozzy Osbourne, der in Los Angeles wohnte, seit er mit Black Sabbath 1976 dorthin übersiedelt war, schaffte den Brückenschlag zwischen den europäischen und amerikanischen Einflüssen. Nach seinem Abschied von Sabbath gelang ihm mit seinem Soloalbum Blizzard Of Ozz nach beinahe völliger Selbstzerstörung der Wiedereinstieg. Nach einer Reihe von ungünstigen Geschäftsabschlüssen pleite, rettete ihn die Beziehung zu Sharon Arden, der Tochter von Sabbath­Manager Don Arden. Sharon brach mit ihrem Vater, um den alkoholkranken Rockstar zu managen, kaufte Osbourne von seinen vertraglichen Verpflichtun­gen frei, und das Paar fing bei null neu an.

Auf ihrer letzten Tour waren Black Sabbath von Van Halen in den Schatten gestellt worden – das hatte Ozzy offenbar tief beeindruckt. Auf Blizzard Of Ozz ahmte er Van Halens metallischen Rock mit dem grandiosen Gitarristen Randy Rhoads und den Studiomusikern Bob Daisley und Lee Kerslake nach. Ozzys Band steckte den rifflastigen Black-Sabbath-Stil ins Gewand eines melodischen, radiofreundlichen Kalifornien-Sounds, den sie 1980 auf zwei Alben verewigte, Blizzard Of Ozz und Diary Of A Madman, Letzteres nach einer Kurzgeschichte des russischen Schriftstellers Nikolai Gogol benannt. Viele frühere Black­Sabbath-Fans hörten nicht mehr hin, aber es gab eine neue Generation, die auf einen Neuanfang und eine ordentliche Ladung Härte wartete.

FRÜHER AMERIKANISCHER METAL

In den Achtzigerjahren entstand in Los Angeles eine lokale Hardrockszene, die sich im Namen von Van Halen gegen Disco zur Wehr setzte. Einige Bands legten ein sonderbares Bühnengebaren an den Tag, um die Monotonie zu durchbrechen – die meisten brutzelten in der Sonne, färbten sich die Haare blond und stürzten sich in Erwartung des großen Loses in ein Meer geklonter Clubgänger. In New York konnte niemand etwas mit Bands wie Riot oder Twisted Sister anfangen. Trotzdem war es wichtig, dass diese Bands mit der Welle aus England konkurrierten. Von ihrer ganzen Ausrichtung her war Ozzy Osbournes neue Band amerikanisch. Zusammen mit Van Halen trug er dazu bei, Aerosmith, Heart und dem Rest der Hardrock- Mitläufer Anfang der Achtzigerjahre den Hahn abzudrehen. Schon bald führten Mötley Crüe, Ratt und die Metal Massacre-Gang den Heavy Metal in eine vollkommen neue Richtung.