Stirb, Iblis..!!

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Mehmet nickte.

„Ist doch auch wahr. Glaubst du, ich weiß nicht, wie oft das Wort ‚Kanake‘ fällt oder gedacht wird, wenn wir an Deutschen vorbeigehen? Gerade Papa mit seinem Schnurrbart und du mit deinem Kopftuch – ihr fallt doch besonders unter diese Rubrik. Dass man mich nicht mehr bedroht und auch ansonsten in Ruhe lässt, hat andere Gründe, wie ihr wohl wisst.“

„Mehmet“, erwiderte der Vater, „welche Gründe das auch immer hat, ob es wirklich an deinem Training liegt oder nicht; fest steht, dass wir uns nicht abgrenzen sollten. Trotz meines Schnurrbarts, wie du es nennst, respektieren mich meine Arbeitskollegen in der BASF und sind höflich und freundlich.“

„Ja,ja; die Arbeitskollegen – für die du so gerne einspringst und jeden Gefallen tust. Ob sie privat auch so denken…?“

Die Mutter mischte sich wieder ein und schimpfte:

„Hört auf; alle Beide! Wir kennen alle die Verhältnisse und es geht jetzt auch nicht um dieses Thema. Es geht darum, dass ein solcher Job als Rausschmeißer gefährlich sein kann und auch nicht gerade dazu beiträgt, dass du dich beliebt machst.“

„Ana, ich werde dort nicht Rausschmeißer, sondern Türsteher sein – das ist ein Unterschied!“

Seufzend lehnte sich Mehmets Mutter zurück und schwieg. Sie wusste sehr wohl, worum es ihrem Sohn ging und innerlich musste sie ihm zustimmen. Sie wurden als Türken nicht gleichermaßen respektiert und angesehen, wie sie es als Deutsche oder auch Italiener oder Jugoslawen wären. Man warf ihnen ständig vor, sich nicht integrieren zu wollen, übersah dabei aber, dass es gewisse kulturelle Dinge gab, die man nicht so einfach ignorieren konnte oder auch wollte. Warum sollte man freiwillig Dinge verschlechtern und die eigene Kultur und Moral gegen ein Nichts eintauschen? Merkten die Deutschen wirklich nicht, dass sie sich an die US-Amerikaner versklavten auf Teufel komm raus und all ihre ehemaligen Werte auf der Strecke blieben?

Mehmet ahnte wohl die Gedanken der Mutter und fuhr fort:

„Nein, wir sollten nicht streiten, aber ich möchte mich wirklich gerne verändern. In der BASF werde ich immer nur der kleine Arbeiter sein, dem man eines Tages kündigt, wenn der Arbeitsprozess automatisiert werden kann. Jetzt habe ich die Chance, gutes Geld zu verdienen, um in einigen Jahren vielleicht ein eigenes Geschäft mit dem Ersparten eröffnen zu können. Denkt doch auch einmal daran. - Zudem werdet ihr auch nicht jünger und könnt vielleicht einmal gut eine Unterstützung von mir gebrauchen.“

Die Eltern wussten, dass Mehmet nicht ganz falsch lag in seinen Ausführungen, wollten aber dennoch den einzigen Sohn nicht schon in so jungen Jahren das Elternhaus verlassen sehen, noch dazu für einen Job mit recht negativer Reputation. Es gab also noch weitere Argumente und Gegenargumente an diesem Tag bis spät in den Abend hinein, bis Mehmet endlich – wie auch nicht anders erwartet – als ‚Sieger auf der ganzen Linie‘ aus dieser Diskussion hervorging.

„Es ist doch im Grunde ein Katzensprung, so dass es sich wohl noch nicht einmal lohnt, das Auto aus der Garage zu holen. Selbst mit der Straßenbahn bin ich innerhalb einer halben Stunde bei euch.“

Sein Vater lachte.

„Noch hast du nicht einmal deinen Führerschein abgeholt, geschweige denn, dass du eine Garage hast, in die du dein zukünftiges Auto stellen könntest. Also geh die Dinge ein wenig gemütlicher an. Unseren Segen hast du ja nun und Allahs doch hoffentlich auch.“

Mehmet wusste, dass hiermit das letzte Wort gesprochen war und seinem Auszug aus dem Elternhaus und der Antritt der neuen Arbeitsstelle nichts mehr im Wege stand. Er hatte seinen Führerschein bereits mit siebzehn Jahren gemacht und brauchte diesen, nun, da er das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, nur noch abzuholen. Am Montag würde er in der BASF die Kündigung einreichen und nach Einhaltung der Kündigungsfrist in den Mannheimer Quadraten im ‚Klein Istanbul‘, wie es im Volksmund bereits genannt wurde, wohnen und auch arbeiten.

März 2011, Mannheim. Mehmet Coscun hatte sich gut eingelebt, sowohl an seinem neuen Wohnort im Quadrat H 2, als auch am neuen Arbeitsplatz als Türsteher. Man kannte Mehmet als ausgezeichneten Karate-Kämpfer und respektierte sein Können, was wohl mit ein Grund war, dass es relativ wenig Ärger gab in seinem Beisein.

Mehmet war eine sympathische Erscheinung mit braunen Augen in einem Gesicht mit fast mädchenhaft weichen Zügen. Er war schlank, 1,76 Meter groß und trug das gewellte, schwarze Haar halblang.

Die Arbeitszeit war für ihn von 23°° bis 4°° Uhr in der Frühe, da in den zwei Stunden bis zum Schließen des Clubs um 6°° Uhr am Morgen nicht mehr so viel los war, als dass er noch unbedingt gebraucht würde. Er war dann sozusagen auf ‚Bereitschaft‘ und konnte schnell vor Ort sein, sollte einmal Not am Mann sein, was ihm per SMS oder Anruf mitgeteilt werden konnte. Mehmet war zufrieden mit diesem Arrangement; ließ es ihm doch am Tag ausreichend freie Zeit. Neben seinem Training in der Karate-Schule joggte er und sah sich ein wenig in Sozialen Netzwerken um. Hin und wieder wollte er sich einen türkischen oder indischen Film aus einer Videothek ausleihen; ansonsten stellte er gerne Überlegungen über seine Zukunft an. Einen eigenen Wagen hatte sich Mehmet noch nicht zugelegt, beabsichtigte jedoch, dies in ein oder zwei Monaten nachzuholen, obwohl er bisher mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ganz gut über die Runden gekommen war.

Dienstag, 1. Mai 2012, Mannheim. Mehmet war unterwegs zu seinem Job. Für heute wurde aufgrund des Feiertags wieder einmal ein volles Haus erwartet, weshalb sich Mehmet schon um 22.30 Uhr auf den Weg gemacht hatte. Als er sich dem Club näherte, sah er schon die bereits Wartenden in Schlange vor der Eingangstür stehen. Volles Haus bedeutete mehr Arbeit, verbunden mit eventuell auch mehr Ärger, wenn Gäste partout nicht verstehen wollten, dass die Räumlichkeit voll war und nun gewartet werden musste, bis einige Personen von drinnen die Lokalität wieder verließen und so Platz für die Nachrückenden schufen.

Mehmet betrat durch eine Seitentür das Gebäude, kleidete sich um und betrat sodann die Bar. Es waren noch zehn Minuten und der Barkeeper hantierte mit einigen Gläsern; die Bedienungen saßen bereit und der Disc-Jockey stand an seinem Platz. Mehmet ließ sich einen kleinen Orangensaft reichen, trank diesen in drei Schlucken aus, warf noch einen Blick auf die Uhr und ging zur Eingangstür.

- Es war kurz nach 1.00 Uhr und gerade hatte Mehmet die Tür wegen Überfüllung der Disco wieder geschlossen, als ein etwa Dreißigjähriger mit kurzem, schwarzem Haar und gerötetem Gesicht eiligen Schrittes auf den Türsteher zukam.

„He, Türke – ich muss da rein!“
Mehmet zuckte die Schultern.

„Tut mir leid - alles voll. Die Anderen hier warten auch. Musst dich ein wenig gedulden.“

Der Fremde stand nun dem Türsteher auf etwa zwei Meter gegenüber, da er die anderen Wartenden zur Seite gestoßen und sich durchgedrängt hatte.

„Ich habe es eilig. Also, lass mich durch!“

Mehmet schüttelte den Kopf und machte keinerlei Anstalten, dem neu Hinzugekommenen seinen Wunsch zu erfüllen. Dieser griff in seine blitzschnell geöffnete Jacke und zog einen Revolver, mit welchem er nun begann, herumzufuchteln. Die Umstehenden stoben schreiend auseinander, Mehmet zuckte zusammen und stellte sich dann in Position. Er verlagerte das Gewicht auf das vordere, linke Bein, schnellte blitzschnell das rechte nach vorne und nach oben und traf im gleichen Moment, als der Schuss sich löste, mit der Fußsohle die Waffe, die in hohem Bogen zur Seite flog. Ein brennender Schmerz durchzuckte Mehmets linken Oberarm und er wusste, dass die Kugel ihn gestreift hatte; doch ließ er den Schützen, der nun zwei Schritte zurückgetreten war, nicht aus den Augen. Der zögerte noch zwei, drei Sekunden und machte sich dann eilig, ohne noch seine Schusswaffe aufzuheben, aus dem Staub.

Es waren noch keine zwanzig Minuten vergangen, als ein Rettungswagen und mit diesem fast zeitgleich, ein Streifenwagen erschien. Mehmet wurde verbunden und es stellte sich heraus, dass es tatsächlich lediglich ein Streifschuss war, der den brennenden Schmerz im linken Oberarm verursacht hatte.

Weitere Streifenwagen waren unterdessen eingetroffen und Beamte befragten die anwesenden Zeugen des Vorfalls. Übereinstimmung herrschte über den Ablauf des Vorfalls und es konnte darauf verzichtet werden, Mehmet zwecks genauerer Befragung auf die Polizei-Station zu laden, zumal seine Adresse und Arbeitsplatz bekannt waren und sein Name noch niemals in den Polizeiakten aufgetaucht war.

Donnerstag, 3. Mai 2012, Mannheim. Die Lokalzeitungen hatten bereits gestern von dem Vorfall vor der Nobel-Disco berichtet; heute war es nun von der überregionalen Presse übernommen worden. - Von einer Schießerei und Albaner- und Türkenbanden handelten die Schlagzeilen, wenn auch mit Fragezeichen dahinter. Mehmet wusste, dass zwei oder drei der anwesenden Zeugen des Vorfalls an dem Abend ausgesagt hatten, bei dem Angreifer würde es sich um einen Albaner handeln, doch von einer Bande hatten weder Zeugen noch die Polizei gesprochen.

„Na, wunderbar,“ murmelte Mehmet, seine Zeitung nieder legend, „mal wieder gefundenes Fressen für bestimmte Leute.“

Es war kurz vor 15.00 Uhr und Mehmet machte sich bereit, um sich mit dem Besitzer seines Clubs zu treffen. Man hatte sich telefonisch in der Disco-Bar verabredet, um Ruhe zu haben, da um diese Zeit für den Publikumsverkehr noch geschlossen war. Mehmets Chef hatte sich eingehend nach dem Zustand seiner Verletzung erkundigt und dem Türsteher einige Tage Ruhe nahegelegt; doch nach dieser Presse waren natürlich einige Dinge zu besprechen.

 

Zu Fuß erreichte der Nachdenkliche die Nobel-Diskothek und sah, dass der Sportwagen des Eigentümers bereits an der Rückseite parkte. Mehmet öffnete die unverschlossene Eingangstür, trat ein und sperrte mit dem von innen steckenden Schlüssel wieder zu.

„Hallo, Jürgen!“

Mehmet erreichte die Bar und ließ sich neben dem bereits Sitzenden auf einem Barhocker nieder. Jürgen nickte und hob fragend die Schultern.

„Nichts zu trinken für dich?“
Mehmet winkte ab.
„Danke, im Moment nicht. - Ein schöner Müll, wie?“

Er wies auf die auf dem Bartresen liegende Zeitung. Der hochaufgeschossene, blonde Deutsche mit dem dünnen Kinnbärtchen nickte grimmig.

„Ich habe bereits telefoniert und in den Redaktionen nachgefragt. Ich hab denen gedroht, die Sache meinen Anwälten zu übergeben, falls sie den Müll nicht zügig widerrufen – aber wir wissen ja Beide, dass die deutsche Presse neuerdings Narrenfreiheit genießt. Was Wunder bei der Narren-Regierung in Berlin!“

Mehmet musste im Stillen in sich hinein grinsen. Der 32-jährige Jürgen war nicht gut auf die deutsche Politik zu sprechen – wie so viele Andere auch.

„Mehmet, abgesehen von deinem Arm, wäre es vielleicht ohnehin besser – habe ich mir überlegt – wenn du…, falls du….,“ druckste Jürgen, dann riss er sich zusammen:

„Ich habe mir überlegt, dass es besser wäre, wenn du eine Weile nicht sichtbar wärst. Auch wenn das eine reine Spinnerei dieses angeblichen Albaners war und nichts Ernsteres dahintersteckt, ist die Sache an sich doch schon ernst genug, dich aus der Schusslinie zu nehmen, zumindest, bis man diesen Idioten erwischt hat. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass er kommen könnte und noch einmal Unsinn anrichten wollte. Außerdem ist es auch wegen dieser idiotischen Presse angebracht, etwas Gras über, äh, deine Person in der Öffentlichkeit, äh, wachsen zu lassen. - Du verstehst, was ich damit sagen will. Bleib eine Weile Zuhause, bis wir sicher sein können, dass dir keine Gefahr droht. Geld kannst du trotzdem verdienen – darüber möchte ich mich jetzt mit dir unterhalten, sobald du mir sagst, dass du die Sache ebenso siehst, wie ich sie sehe.“

Mehmet nickte, während er grübelnd auf die aufgeschlagene Zeitung blickte. Dann erwiderte er ruhig:

„Ich finde, dass du recht hast, auch wenn ich mir dabei ein wenig wie ein Drückeberger vorkomme, doch hast du recht, was die Öffentlichkeit und mich betrifft. Es sollte etwas Gras über den Unsinn betreffs der ‚Banden‘ wachsen.“

Jürgen erhob sich und begab sich hinter die Bar.

„Du solltest jetzt doch etwas trinken. Kaffee oder Cappuccino?“

Mehmet wählte Letzteres und wartete gespannt auf das, was nun kommen sollte.

Zunächst kam der gewünschte Cappuccino, danach nahm Jürgen wieder vor seinem Pils Platz und blickte dem neugierigen Gast ins Gesicht.

„Wie weit würdest du mir trauen, Mehmet?“

Dies war eine eigenartige Frage; Mehmet schüttelte verwundert den Kopf und forderte den Bar-Besitzer auf:

„Sprich offen. Ich gehe davon aus, dass es sich um etwas Illegales handelt, doch ob ich nun einverstanden bin oder nicht, du kannst dich darauf verlassen, dass es unter uns bleiben wird. Das ist dann auch die Antwort auf deine Frage, denn auch ich werde mich darauf verlassen, dass du ehrlich sein wirst. - Es hat doch nichts mit diesem Albaner zu tun, sondern mit dem Geldverdienen, das du vorhin erwähntest?“

„Richtig,“ bestätigte Jürgen, „ich hätte einen Job für dich, bei dem du hier aus den Füßen wärst, du zudem nicht schlecht verdienen könntest und bei welchem das Risiko für dich auch noch überschaubar bleiben könnte, wenn du dich nicht wirklich blöde anstellst.“

Er nahm einen Schluck und fuhr fort, noch bevor Mehmet eine Frage stellen konnte:

„Nein, nein, es geht nicht um Drogen. Dass dieses Thema bei dir tabu ist, weiß ich. Es geht zwar um Schmuggel, doch nicht um Drogen.“

Jürgen machte eine Kunstpause und beobachtete den an seiner Tasse nippenden Mehmet, um sodann fortzufahren:

„Es geht darum, nach Salzburg zu fahren, dein neues Auto an einem bestimmten Platz über Nacht zu parken, den Schlüssel zu deponieren und am nächsten Tag das Auto wieder zu holen. - Nicht schwierig, oder?“

Mehmet wiegte grinsend den Kopf.
„Ich habe also ein neues Auto?“

„Ja, du wirst eines haben. Du wirst deine ‚Schrottkiste‘ verscherbeln und dir ein anderes Auto zulegen; eines, das auch nicht gerade ein Luxusmodell sein wird, doch immer noch besser als dein jetziges Gefährt.“

Wieder nahm Jürgen einen Schluck aus seinem Glas und bequemte sich endlich, mit der ganzen Sache heraus zu kommen:

„Es geht um Falschgeld, Blüten also. Du wirst dir ein bestimmtes Auto kaufen, ganz offiziell, um dann im Notfall eine letzte Ausrede haben zu können. Das Auto wird präpariert sein, will heißen, eine Verkleidung im Inneren wird sich entfernen lassen, so dass das Falschgeld untergebracht werden kann, ohne bei Augenschein aufzufallen. Du bekommst jeweils Bescheid, wann du nach Salzburg fahren sollst und wie lange du höchstens bleiben kannst. Es wird stets ein genügend großer Zeitrahmen sein, so dass du nicht auffallen wirst, da du erstaunlich kurze Zeit dort verbringst bei solch langer Anreise. Gründe, warum du nach Salzburg fährst, solltest du dir selbst überlegen, doch wird dir auch dabei nach Möglichkeit geholfen werden. Wie ich bereits sagte, stellst du das Auto ab, Jemand wird im Laufe des Abends oder der Nacht den Wagen holen und ihn präparieren, um ihn danach wieder an seinem Platz abzustellen. Zurück in Mannheim, geschieht hier dasselbe mit dem Wagen. Du stellst ihn ab und die Ware wird entnommen, ‚ohne dass du es bemerkst.‘ Wie findest du den Gedanken? Einzig Geschädigter bei der ganzen Sache wird das ‚geliebte‘ deutsche Regime sein.“

Mehmet trank den letzten Schluck aus seiner Tasse.
„Du willst gleich jetzt eine Antwort?“

„Nein, natürlich nicht. Überlege es dir und gib Bescheid. Sagen wir, bis in einer Woche? - Ach ja, falls du zustimmst, mache dir auch einmal Gedanken über deinen Nachfolger.“

„Holger Schwan; er wäre geeignet, finde ich,“ erwiderte Mehmet und erhob sich von seinem Platz.

Die Beiden gingen gemeinsam zum Ausgang, wo sie sich voneinander mit Handschlag verabschiedeten.

Dienstag, 8. Mai 2012, Mannheim. Mehmet Coscun hatte gerade mit dem Besitzer der Diskothek gesprochen und seine Zustimmung zu dem Vorschlag vom 3. Mai gegeben. Jetzt war er unterwegs zur Wohnung seiner Eltern. Es war nach 19.00 Uhr und der Vater musste längst von der Arbeit zurück und zu Hause sein.

Die Eltern hatten freilich von dem Vorfall vor der Diskothek gelesen und sich – trotz der Versicherungen Mehmets, der sich unverzüglich telefonisch bei ihnen gemeldet und Bescheid gegeben hatte, dass alles in Ordnung sei – übermäßige Sorgen um ihren Sohn gemacht. Heute konnte Dieser ihnen versichern, dass ihre Sorgen überflüssig waren und er einen neuen Job angetreten habe. Letzteres hatte Mehmet Kopfzerbrechen bereitet, da er die Eltern ungern anlügen mochte und darum eine unverfängliche Formulierung benötigte, um den Sachverhalt zu erläutern, ohne den tatsächlichen Stand der Dinge preisgeben zu müssen.

Mehmet stand vor der Wohnungstür und drückte den Klingelknopf. Die Mutter öffnete und sah ihm erwartungsvoll und fast ein klein wenig ängstlich ins Gesicht. Mehmet lächelte und nahm sie zärtlich in den Arm.

„Es ist alles in Ordnung,“ versicherte er und ließ die zierliche Frau wieder los, um weiter in das Wohnzimmer zu gelangen.

„Mehmet, das wurde aber auch Zeit,“ begrüßte ihn der Vater und blickte ihn ebenso erwartungsvoll an, wie es eben die Mutter noch getan hatte, die in die Küche verschwunden war, um für ihre beiden Männer Tee zu bereiten.

Rücksichtsvoll hatten Vater und Sohn gewartet; als der Tee in den kleinen, schlanken Gläsern auf dem Tisch stand und auch die Mutter Platz genommen hatte, begann Mehmet:

„Also, damit ihr endgültig beruhigt seid, teile ich euch höchst offiziell mit, dass ich bis auf weiteres nicht mehr als Türsteher jobben werde. Mein Chef hat mir einen Job als Fahrer für kleine, wichtige Transporte angeboten. Das bedeutet, dass ich mit dem Auto auch einmal längere Strecken unterwegs sein werde, um von irgendwo irgendetwas Wichtiges zu holen und bei der Diskothek abzuliefern. Dies werde ich voraussichtlich mindestens so lange machen, bis endgültig geklärt ist, dass keine Gefahr für mich mehr beim Türstehen vorhanden ist.“

Genüsslich schlürfte Mehmet seinen gezuckerten Tee, während er sich in dem bequemen Sessel zurücklehnte. Auch die Eltern tranken und waren sichtlich beruhigt aufgrund des Berichts ihres Sohnes. - Dieser blieb bis Viertel nach 20.00 Uhr und verabschiedete sich dann, auf dass seine Eltern ihren gewohnten Film im Fernsehen nicht versäumten.

Mittwoch, 9. Mai 2012, Mannheim. Mehmet hatte soeben seinen Morgen-Kaffee getrunken und war im Begriff, sich am Kiosk eine Zeitung zu holen. Er hatte die Hand bereits an der Türklinke, um die Wohnungstür zu öffnen, als die Türklingel ertönte.

„Wer mag denn das schon sein,“ brummte der Erstaunte und betätigte den Türöffner.

Mehmet wohnte im zweiten Stock und er hörte, nachdem er die Wohnungstür geöffnet hatte, die Schritte des Kommenden auf der Treppe. - Ein Mittdreißiger war nun am Treppenabsatz zu erkennen und Mehmet hatte das Gefühl, dieses Gesicht sei ihm nicht fremd, obwohl er sicher war, den Mann nicht zu kennen. Dieser schien etwas verlegen und trat zögernd vor den wartenden Mehmet.

„Hallo, ich bin Adnan; der Bruder von Afrim - der dich angeschossen hat,“ vollendete er den Satz und sah noch etwas verlegener aus als zuvor.

Verblüfft blickte Mehmet den Besucher an und verstand jetzt, warum ihm dies Gesicht so familiär erschienen war. Fragend zog der Hausherr die Augenbrauen nach oben und wollte wissen: