Humanbiologie

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Das Problem des Missverständnisses ist in Abb. 3.3 dargestellt. „Adam“ und „Eva“ sind nur zwei von vielen gemeinsamen Vorfahren. Wir tragen auch Gene von anderen Vorfahren, und je nachdem welches Gen (Allel) wir zurückverfolgen, kommen wir zu einem anderen Vorfahren. Verschiedene Gene erzählen verschiedene Geschichten. Die Hypothese der „Eva der Mitochondrien“ unterstützt die schon von Charles Darwin postulierte afrikanische Herkunft des Homo sapiens (Box 2.2).


Abb. 3.4: Die Vererbung von Familiennamen in der männlichen Linie ist analog zur Vererbung des Y-Chromosoms und verdeutlicht die zufällige Substitution des Familiennamens (des Y-Chromosoms) ohne größere Unterschiede in der Fitness der berücksichtigten Personen; rote Ovale = weiblich, blaue Vierecke = männlich.

3.4 „Out-of-Africa“ oder Multiregionalismus?

Die gesamte Diversität menschlicher DNA finden wir in Afrika, und die außerafrikanischen Populationen stellen nur eine kleine Gruppe innerhalb der afrikanischen Diversität dar, üblicherweise eine monophyletische Gruppe; darüber hinaus sinkt die genetische Variabilität linear mit der Entfernung von Afrika.

Diese Erkenntnisse führten zu einer Hypothese des rezenten Austausches, der sogenannten „Out-of-Africa“ Hypothese. Sie besagt, dass moderne Menschen in Ostafrika entstanden und später in einer oder (weniger wahrscheinlich) in zwei Kolonisierungswellen die ganze Welt besiedelten. Dabei hätten sie die älteren Formen von Menschen, denen sie unterwegs begegneten, auf irgendeine Art und Weise ersetzt (vielleicht auch ausgerottet), ohne dass deren archaische Gene in das Genom des H.sapiens eingegangen wären (Abb. 3.5).


Abb. 3.5: Schematische Darstellung der Modelle der Besiedlung der Welt und der genetischen Evolution von Homo sapiens; grau: H.ergaster, schwarz: H.heidelbergensis, rot: H.erectus (bzw. auch H.neanderthalensis), blau: H.sapiens (nach Hodgson und Disotell 2008).

Diese Hypothese über die Geschichte der Menschen hat die ältere multiregionale Hypothese verdrängt, die annahm, dass H.sapiens aus den genetisch miteinander verbundenen Populationen im ganzen afroeurasiatischen Raum entstand. Hier ist es notwendig, den modernen Multiregionalismus klar vom alten „Polygenismus“ zu unterscheiden: Nach dem Multiregionalismus entstanden menschliche „Rassen“, egal was wir uns unter diesem Begriff vorstellen, nicht in einer Isolation auf den einzelnen Kontinenten aus unterschiedlichen lokalen Vorfahren, sondern durch eine intensive lange Vermischung von einzelnen, miteinander verbundenen Populationen (Abb. 3.5).

Die Frage einer möglichen Hybridisierung moderner Menschen mit Neandertalern bezog sich damit nicht nur auf die Frage des Untergangs der Neandertaler (sind sie ausgestorben, wurden sie ausgerottet oder sind sie mit uns verschmolzen?), sondern auch auf die Frage der genetischen Struktur der heutigen menschlichen Population. Morphologische Beweise für die Hybridisierung waren eher schwach – beide Arten lebten Tausende Jahre nebeneinander, wobei die unterschiedliche Morphologie jeweils behalten wurde. Angeblich hybride Individuen (aus Fundorten in Portugal, Tschechien und Rumänien) sind fraglich. Die Unterschiede in der Ontogenese zwischen den beiden Menschenformen machten die Hybridisierung auch eher unwahrscheinlich und auch der Vergleich der mtDNA beider Arten lieferte keine Indizien für die Hybridisierung.

Darauf, dass unsere Vorfahren tatsächlich mit Neandertalern in Kontakt kamen, könnten auch kulturelle Übereinstimmungen hinweisen: Die paläolithische Châtelperronien-Kultur, die in einigen europäischen Regionen die ursprüngliche Moustérien-Kultur ersetzt hat, wird von einigen Archäologen für eine Neandertalerkultur gehalten, die durch die Kultur moderner Menschen (H.sapiens) inspiriert wurde.

Das Entschlüsseln der kompletten Kerngenome vom Neandertaler und „Denisovaner“ (siehe auch Box 3.3) brachte jedoch eine große Überraschung mit sich. Man hat festgestellt, dass 1–4% (nach den neuen, genaueren Berechnungen 1,5–2,1%) des Genoms aller nichtafrikanischen Populationen von H.sapiens Spuren des H.neanderthalensis tragen (Abb. 3.6). Die einfachste Vorstellung wäre, dass Menschen des modernen Typs Afrika verlassen haben, im Nahen Osten den Neandertalern begegneten, die dort damals schon gelebt hatten, und sich mit ihnen kreuzten. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Neandertaler, deren Gene in unser Genom eingegangen sind, mit den Neandertalern aus der kaukasischen Lokalität Mezmaiskaya (also der dem Nahen Osten am nächsten liegenden Lokalität) näher verwandt sind als mit den europäischen oder altaischen Neandertalern. Die nahöstliche Hybridisierung hätte sich allerdings in einem außerordentlich kurzen Zeitraum abspielen müssen, noch bevor sich die modernen Menschen auf unterschiedliche Populationen aufgespalten haben, die dann unterschiedliche Regionen Eurasiens, Australien und Amerika besiedelten (Abb. 1.1; Box 1.1).


Abb. 3.6: Darstellung der genetischen Verwandtschaft der untersuchten Völker und des Genflusses von Neandertalern zu den Nichtafrikanern (nach Green et al. 2010).

Box 3.3

Paläogenetik

Die Paläogenetik untersucht die Geschichte und Evolution durch die Analyse vom genetischen Material, das aus fossilen, subfossilen und prähistorischen Überresten (Knochen, Mumien etc.) von Organismen gewonnen (extrahiert, mittels Polymerasekettenreaktion kloniert und sequenziert) wurde. Der Begriff wurde von Emile Zuckerkandl und Linus Carl Pauling bereits 1963 geprägt. Als Begründer gelten allerdings der in den USA tätige Neuseeländer Allan Wilson (1934–1991) (siehe auch Box 3.2), der mit seinem Team 1984 über die erste Sequenzierung von DNA des ausgestorbenen Zebras Quagga berichtete und der Schwede Svante Pääbo (geb. 1955), der 1985 erstmals DNA einer ägyptischen Mumie klonierte. Pääbo leitet seit 1997 als Direktor die Abteilung Evolutionäre Genetik des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Pääbo und sein Team publizierten wichtige Arbeiten zu genetischen Unterschieden (besser gesagt: zu den Ähnlichkeiten) zwischen Menschen und Schimpansen. 2002 sorgte die aus seinem Labor stammende Arbeit zur Evolution und zum Alter des „Sprachgens“ (FOXP2, dessen Fehlen oder Defekt zu Sprachunvermögen führt) für große Aufregung. Pääbo ist für seine Erfolge, DNA von alten Fossilien, darunter auch Neandertalern, gewonnen, sequenziert und analysiert zu haben, bekannt. Pääbo und seine Mitarbeiter haben unter anderem die Genome von Neandertaler, Denisova-Mensch und Bonobo sequenziert. 2007 zählte Pääbo dem Nachrichtenmagazin Time zufolge zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

Die Paläogenetik hilft nicht nur, genealogische, phylogenetische und phylogeografische Fragen zu klären, sondern auch phänotypische (morphologische, physiologische und ethologische) wie auch kulturelle (z.B. Diätpräferenzen) sowie die Geschichte und Evolution von Krankheiten wie auch die Populationsökologie zu rekonstruieren.

In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass Menschen unseres Typs Afrika möglicherweise zweimal verlassen haben (siehe auch Kapitel 2.6.4). Die erste Auswanderung des modernen Menschen aus Afrika 115–135 tya hinterließ fossile Funde in breiten Regionen des Nahen Ostens, später (zumindest in den israelischen Gebieten Qafzeh und Skhul) wurden moderne Menschen wieder durch Neandertaler ersetzt. Dieser Austausch korreliert offensichtlich mit dem Austausch der afrotropischen Fauna (Rennmäuse, Kusuratten, Kuhantilopen, Warzenschweine, Esel, H.sapiens) durch die paläarktische Fauna (Maulwürfe, Hamster, Bilche, Rehwild, Pferde, H.neanderthalensis) – es handelte sich also eher um klimatische Effekte als um einen brudermörderischen Krieg. Damals hätten wir dennoch die Neandertalergene gewinnen können, mit ihnen nach Ostafrika zurückkehren und sie von dort aus bei der zweiten „Out-of-Africa“-Invasion 85 tya über die ganze Welt verbreiten können. (Sowohl die ursprünglichen Bewohner Nordafrikas als auch die ostafrikanischen Populationen, die aus Nordostafrika stammen, wie z.B. die Massai, tragen tatsächlich Neandertalergene in sich.) Das Problem ist, dass die Europäer, die mit den Neandertalern langfristig zusammengelebt haben, weniger und nicht etwa mehr Neandertalergene haben als Chinesen, Inder oder sogar Papuaner, die mit ihnen nie zusammengelebt haben. Dies weist auf eine einzigartige (aber trotzdem erfolgreiche) Hybridisierung unserer Populationen im Nahen Osten ca. 100 tya oder eher auf mindestens zwei Hybridisierungsereignisse hin – eine „nahöstliche“ und eine (geografisch unklare: wann?, wo?) „ostasiatische“, aber merkwürdigerweise keine weitere Hybridisierung in Europa. Als vor ca. 40000 Jahren unsere Vorfahren europäischen Neandertalern begegneten, war es bereits unter ganz anderen Umständen: Damals waren die Neandertaler schon nahe am Aussterben und man kann spekulieren, dass die Kreuzung mit diesen späteren, glazialen Formen nicht mehr möglich war. (Obwohl dies eine reine Spekulation wäre, wenn wir auf der anderen Seite zugeben, dass Kreuzungen mit Schimpansen theoretisch nicht auszuschließen sind; siehe Box 2.1.)

Eine alternative Erklärung des Vorkommens von „Neandertalgenen“ in den heutigen außerafrikanischen Populationen wäre wieder die unvollständige Linientrennung (Abb. 3.7, Kapitel 2.1.1). Wenn wir uns die kompliziert strukturierte afroeuropäische Population des gemeinsamen Vorfahren der Arten H.sapiens und H.neanderthalensis vorstellen, ist es wahrscheinlich, dass die benachbarten Populationen (z.B. europäische und ostafrikanische) einige Allele teilen, die bei der südafrikanischen Population fehlen. Wenn es dann zur Speziation kommt, welche die neue europäische (H.neanderthalensis) von der afrikanischen Art (H.sapiens) abtrennt, finden wir in einigen Populationen der afrikanischen Art Gene, die sonst zur europäischen Art gehören, ohne dass eine Hybridisierung zwischen beiden neuen Arten stattgefunden hat.

 

Abb. 3.7: Ein Modell der unvollständigen Linientrennung zur Erklärung des Vorkommens von Neandertalergenen in einigen Populationen von Homo sapiens. Zwei verwandte Arten können Gene haben, die nur ihnen gehören, falls die Entstehung neuer Allele und die Speziation „in richtiger Folge“ verlaufen sind (oben Entstehung von zwei Allelen eines Gens, „gelbes“ und „blaues“ Allel war mehr oder weniger synchron mit der Entstehung von zwei Arten von Menschen und die Allele haben sich folglich in die Tochterarten getrennt). Aber es muss nicht immer so enden, weil die Evolution der Gene auch komplizierter sein kann, und es muss nicht immer mit dem Verlauf der Artbildung übereinstimmen (unten: beim Neandertaler finden wir das „gelbe Allel“, das sonst typisch für den modernen Menschen ist, wobei es sich aber nicht um die Folge einer zwischenartlichen Hybridisierung handelt, sondern um die unvollständige Trennung genetischer Linien in die Tochterarten).

Der Unterschied zwischen dem vererbten anzestralen Polymorphismus und der Hybridisierung beruht insbesondere in der Datierung der geteilten Allele. Gegenwärtige Evolutionsmodelle bestätigen, dass die geteilten Allele eher jung sind (ca. 35–85 tya), also tatsächlich für eine Hybridiserungsherkunft sprechen. Auch der Anteil archaischer Gene in den gegenwärtigen afrikanischen Populationen korreliert gut mit dem Anteil der Gene nichtafrikanischer Herkunft. Es handelt sich also eher um Neandertalergene, die nach Afrika zurück eingeschleppt wurden, als um die Folgen der Vermischung mit alten, „vor-modernen“ afrikanischen Populationen. Trotzdem ist es sinnvoll, eine langfristige Koexistenz verschiedener Populationen von Menschen in Afrika (z.B. Lokalität Iwo Eleru in Nigeria) und Teilmischung zwischen ihnen anzunehmen. Evolutionsgenetische Modelle weisen auf eine wahrscheinliche Existenz archaischer „vor-khoisaner“ DNA-Abschnitte in heutigen afrikanischen Genomen hin, insbesondere bei den süd- und ostafrikanischen Khoisan und den zentralafrikanischen Pygmäen. Dabei handelt es sich um DNA-Abschnitte, die wirklich sehr alt sind (mindestens 750 tya, aus der Zeit, die am ehestens dem H.antecessor und den Vorfahren von H.heidelbergensis entspricht). Direkte Beweise vermissen wir jedoch, da es bis jetzt nicht gelungen ist, aus den afrikanischen Fossilien DNA zu gewinnen (vergleiche Box 3.4).

Box 3.4

Der Haplotyp A00

Im Jahr 2012 hat ein afroamerikanischer Mann seine DNA-Probe für eine kommerzielle genealogische Untersuchung an die Gesellschaft Family Tree DNA geschickt. Das Ergebnis war sehr überraschend. Auf diesem Weg ist es gelungen, einen ganz neuen Typ des Y-Chromosoms zu entdecken. Der als A00 bezeichnete neue Haplotyp stellt eine Schwestersequenz von allen anderen bisher bekannten Y-Chromosom-Haplotypen dar, welcher sich vor mehr als 300000 Jahren abgespaltet hat. Die Fahndung nach dem Ursprung dieser Sequenz führte nach Kamerun, wo sie in der landwirtschaftlichen Bantu-Ethnie entdeckt wurde. Und so hat sich wieder gezeigt, dass die Diversität der afrikanischen Menschheit sehr tiefreichend ist. Wenn sich die Datierung des Haplotyps A00 bestätigt, würde es sich um eine Sequenz handeln, die älter ist als der anatomisch moderne Mensch und in die heutigen Bantus wahrscheinlich durch eine Introgression* gelangt ist. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass unweit der heutigen Heimat des Bantu-Stammes Mbo noch vor 13000 Jahren archaische Menschen (Iwo Eleru, Nigeria) lebten, deren Erbe dieser Haplotyp sein könnte.

*Introgression, introgressive Hybridisierung, Bewegung eines Gens (Genfluss) von einer Spezies in den Genpool einer anderen Spezies durch wiederholte Rückkreuzung des Hybrids mit einem der Elternspezies.

Eine weitere Hybridisierung fand in Ostasien ca. 40 tya statt – Melanesier, Papuaner und Australier tragen 3–6% Gene „denisovaner“ Herkunft. Dies bedeutet zumindest, dass der rätselhafte „Denisovaner“ keine lokale Erscheinung war und nicht nur in Sibirien vorkam. Von Afrika nach Melanesien wanderte man bestimmt nicht über den entfernten und unwirtlichen Altai (nichtsdestoweniger wurden im Genom eines 40000 Jahre alten modernen Menschen aus der Tianyuan-Höhle in der Nähe von Peking zwar Neandertaler- aber keine Denisova-Gene gefunden).

Kürzlich zeigte sich, dass wir die Denisova-Gene auch in heutigen Populationen aus Südchina und bei „Negriten“ auf den Philippinen, nicht jedoch in Südostasien, auf der malaysischen Halbinsel, den Großen Sunda-Inseln und nicht auf den Andamanen, und nicht einmal bei den dort ansässigen „Negriten-Stämmen“ finden. Es sieht also nach mindestens zwei Hybridisierungsereignissen aus: ein chinesisches und australo-melanesisches (wobei die Denisova-Gene vom Osten her auf die Philippinen gekommen sind, respektierend die sogenannte Wallace-Linie, d.h. die Grenze zwischen der asiatischen und australischen Fauna). Die Verbreitung von Denisova-Menschen in Asien hatte daher sehr weit sein müssen. Möglicherweise gehören einige uns gut bekannte Skelettreste sogar zu den Denisova-Menschen – und wir wissen nur nicht, dass diese Skelette eigentlich den Denisova-Menschen zugeordnet werden müssen.

Heute kennen wir zwei deutlich unterschiedliche „Populationen“ von Denisova-Menschen: diejenigen aus Altai und diejenigen unbekannter Herkunft, präsent im Genom heutiger Menschen. Alle „Denisovaner“ zeigen Zeichen der Hybridisierung mit unbekannten archaischen Menschen (wahrscheinlich asiatischer H.erectus), „Denisovaner“ aus Altai hatten darüber hinaus ca. 0,5% Gene von Altai-Neandertalern (Abb. 3.8).


Abb. 3.8: Ein wahrscheinliches Modell der Genflussereignisse im Spätpleistozän. Gezeigt sind die Richtung und geschätzte Größe des Genflusses. Die Länge der Äste, Position der Gabelungen und damit auch die Zeitmessung ist nicht proportional dargestellt. Die gestrichelte Linie indiziert, dass es unsicher ist, ob der „Denisovaner“-Genfluss zu Homo sapiens in Festlandasien direkt oder via Ozeanien stattgefunden hat. D.I. bezeichnet die Intregression bei Denisova-Menschen, N.I. Introgression der Neandertaler. Das Alter der archaischen Genome schließt die Detektion des Genflusses von modernen Menschen zu archaischen Menschen aus (nach Prüfer et al. 2014).

Die Entdeckung einer von anderen Menschenarten (Arten?) stammenden DNA in unseren Genomen ermöglicht einen ganz neuen Blick auf uns. Wir tragen in uns Stücke lange ausgestorbener Wesen. (In dieser Hinsicht sind wir aber keine Ausnahme. Der europäische Wisent ist wahrscheinlich ein Hybrid vom Auerochsen, also dem wilden Vorfahren unserer Kühe und irgendeinem ausgestorbenen Bison aus der Eiszeit. Dass Wisente in sich Gene von Auerochsen tragen, ist nicht so einzigartig, jeder Kuhstall ist voll von Auerochsgenen, aber Gene glazialer Bisons sind bis heute in keiner anderen Form als im Genom der Wisente erhalten geblieben. In letzter Zeit scheint es, dass sehr viele Arten eigentlich zwischenartliche Hybriden sind, und Homo sapiens gehört einfach in diese Kategorie.) Die einzelnen heutigen Menschen tragen in sich unterschiedliche Mengen (und Sequenzen) an Neandertaler-DNA, aber durch den Vergleich mehrerer Hundert gegenwärtiger europäischer und asiatischer Genome ist es gelungen, ca. 20% des ursprünglichen Neandertaler-Genoms zu rekonstruieren. Die Verteilung seiner Fragmente in unserem Genom ist uneben und wir finden hier sowohl extrem ausgeweitete „Wüsten“ ohne Neandertaler-Sequenzen wie auch Orte, wo 60–70% der Mitglieder einiger gegenwärtiger Populationen Eurasiens die Neandertaler-Version tragen. Wir haben weder Neandertaler-Mitochondrien-DNA noch Neandertaler-Chromosom Y. Das Fehlen des Neandertaler-Y-Chromosoms ist wahrscheinlich das Ergebnis intensiver Selektion gegen einige Neandertalergene. Die biologische Inkompatibilität zwischen unseren Spezies hat somit die Entstehung von Hybriden nicht verhindert, aber wahrscheinlich hat sie die Fruchtbarkeit der männlichen Hybriden sehr eingeschränkt.

Obwohl die Hybridisierung zwischen den Neandertalern und modernen Menschen nicht sehr erfolgreich war, wurde ein erheblicher Anteil der Neandertalergene in Genomabschnitten gefunden, die die Bildung von Keratin steuern und somit die Eigenschaften der Haut und ihrer Derivate (Haare), was sicherlich die Vielfalt und Anpassungen der außerafrikanischen Menschheit beeinflusst hat. Von Neandertalern haben wir wahrscheinlich auch einen Teil von Chromosom 3 erworben, der unter anderem ein spezifisches Allel des Gens HYAL2 enthält, das die zelluläre Antwort auf UV-Strahlung beeinflusst. Dieser Abschnitt kommt vor allem in Ostasien vor, wo er offensichtlich positiv selektiert wird, wobei das Ausmaß der Selektion mit der geografischen Breite korreliert. Gene neandertaler Herkunft haben dort möglicherweise die Besiedlung arktischer Gebiete ermöglicht. Aber es gibt nicht nur positive Nachrichten: Auch einige Allele, die das Risiko von Diabetes Typ 2, Morbus Crohn (entzündliche Darmerkrankung) sowie einiger Autoimmunerkrankungen erhöhen, sind wahrscheinlich neandertaler Herkunft.

Darüber hinaus, geht es nicht nur um die Neandertaler: Auch durch eine Kreuzung mit „Denisovanern“ sind auffällig archaische Allele der Gene des humanen Leukozytenantigen-System (HLA) in den Genpool der eurasiatischen Populationen gelangt. Dies wäre ein ziemlich besonderes Beispiel, dass wir durch die Kreuzung mit archaischen Populationen nutzvolle Allele bekommen haben. Auf dem Weg aus Afrika sind wir Leuten begegnet, die bereits 200000 Jahre in Eurasien gelebt und sich an die hiesigen Pathogene angepasst hatten.

Man kann also zusammenfassen, dass die Theorie „Out-of-Africa“ in ihrer klassischen (und extremen) Form tot ist. H.sapiens ist wahrscheinlich in Afrika entstanden, aber zusätzlich hat er einige Gene auch außerhalb von Afrika gewonnen. Die genetische Zusammensetzung des gegenwärtigen Menschen entpuppt sich als zunehmend komplexer und man kann nicht ausschließen, dass es zur Wiederbelebung der multiregionalen Hypothese kommt, allerdings in einer modifizierten Form, als eine Hypothese einer langfristigen, kontinuierlichen Vermischung, die nicht isoliert und punktuell, aber entlang der ganzen Route der Ausbreitung von Afrika nach Eurasien stattgefunden hat.

3.5 Genetische Differenzierung in Afrika

Die Ergebnisse aller genetischen Analysen stimmen darin überein, dass die tiefste Differenzierung der menschlichen Populationen auf dem afrikanischen Kontinent stattgefunden hat (dort, wo auch die größte gegenwärtige genetische Diversität vorliegt). Die gegenwärtige Menschheit teilt sich genetisch primär in eine afrikanische und außerafrikanische Großgruppe auf, wobei Nordafrika genetisch zum westlichen Eurasien gehört. Weiterhin kann man im Bereich des Subsahara-Afrikas mehrere genetische Grundtypen unterscheiden:

 Jäger und Sammler in Süd- und Ostafrika, die insbesondere mit den Sprachen der Khoisan-Familie sprechen.

 Bantu und ihnen verwandte landwirtschaftliche und Hirtengruppen aus Westafrika (niger-kordofanische Sprachfamilie), die sich durch die Bantu-Invasion ost- und südwärts bis zur Südspitze Afrikas erweitert haben.

 Ostafrikanischer Typ, vor allem die Hirtenlinie, die mit den nilosaharanischen Sprachen und zum Teil mit afroasiatischen Sprachen spricht.

Die Korrelation zwischen den sprachlichen, genetischen und ökonomischen Typen afrikanischer Populationen ist außerordentlich hoch. Die auffälligste Ausnahme bilden Pygmäen, zentralafrikanische Urwaldjäger und Sammler, die mit Bantu-Sprachen sprechen, aber anthropologisch, genetisch und kulturell eine eigenständige Linie repräsentieren. Phylogenetisch sind sie entweder nah mit der Khoisan-Familie verwandt oder eine Schwestergruppe aller anderen afrikanischen, Nichtkhoisan Populationen. Die Situation wird weiter verkompliziert durch die tiefe Differenzierung der westlichen (Baka) und östlichen (Mbuti und Twa) Pygmäen, die bestimmt älter zu datieren ist als die Ankunft der Bantu-Landwirte in dieser Region und damit eher ökologisch und klimatisch determiniert ist.

 

Die grundlegende Einteilung der afrikanischen Menschheit auf die Khoisan- (oder Khoisan-Pygmäen) Linie und die restlichen Afrikaner ist sehr alt – heute schätzt man ihre Divergenz auf 250–300 tya (vergleichen wir dies mit der 500 tya alten Divergenz Neandertaler – moderner Mensch!). Auch die sonstigen grundlegenden genetischen Divergenzen in Afrika sind wahrscheinlich dem Wegzug einer Linie moderner Menschen aus Afrika nach Eurasien vorausgegangen. Denn die Afrikaner bilden keine einheitliche Evolutionsgruppe, die man als Schwestergruppe der Nichtafrikaner betrachten könnte, sondern einen „Kamm“ eigenständiger Linien, die der nichtafrikanischen Menschheit unterschiedlich nahestehen.

3.6 Auswanderung aus Afrika

Wie bereits erwähnt, wurde das klassische Modell einer nichtafrikanischen Menschheit, die von einer einzigen kleinen (ost)afrikanischen Population abstammt und keine Gene sonstiger nichtafrikanischer menschlicher Arten trägt, in den letzten Jahren widerlegt. Es ist aber klar, dass die meisten unserer „nichtafrikanischen“ Gene letztendlich auch afrikanischer Herkunft sind. Die Wege aus Afrika waren mindestens zwei:

 Die alte (vor mehr als 100 tya) Migration führte über den nördlichen Weg über den Sinai in das heutige Levante und wurde für einen isolierten und erfolglosen „Versuch“ gehalten, bis kürzlich gleichaltrige Reste einer „nubischen“ (also nordostafrikanischen) Industrie im Süden der Arabischen Halbinsel gefunden wurden. Diese Funde weisen auf die Existenz einer umfangreichen außerafrikanischen Population hin, deren Beziehung zur heutigen Menschheit allerdings unklar ist (Abb. 3.9). (Alte DNA weist darauf hin, dass wir die Spuren dieser Population im Genom heutiger Südeuropäer finden können, wohin sie über alte europäische Landwirte nahöstlicher Herkunft gelangt sind.)

 Eine neue (ca. 80–90 tya) Migration über den südlichen Weg von Ostafrika über Bab al-Mandab in den Süden der Arabischen Halbinsel und von dort aus weiter über die „Strandroute“ an den Küsten des Indischen Ozeans entlang nach Indien, China und Australien (Abb. 3.9). (Man muss darauf aufmerksam machen, dass sich die Form der Kontinente damals deutlich von der heutigen unterschied, denn in den Glazialzeiten war ein großer Teil des Wassers in Gletschern gebunden, was einen bedeutenden Teil des Kontinentalschelfs enthüllt hat – der Küstenweg von Indien nach China führte damals unter anderem über Borneo, Abb. 3.10).


Abb. 3.9: Die Auswanderung des modernen Menschen aus Afrika und die Ausbreitung über die Welt. Bezeichnet sind die Wanderrouten, die Orte der wichtigen archäologischen Funde und ihre Datierung. 1. Blonbos Caves, (RSA, 75–65 tya); 2. Klasies River (RSA, 90–65 tya); 3. Singa (Sudan, 155 tya); 4. Omo Kibish (Äthiopien, 195 tya); 5. Herto (Äthiopien, 160 tya); 6. Taforalt (Marokko, 82 tya); 7. Oued Djebbana (Algerien, 35 tya); 8. „Lagar Velho boy” (Portugal, 35 tya); 9. Skhul und Qafzeh (Israel, 120–90 tya); 10. Pestera cu Oase (Rumänien, 40 tya); 11. Fa Hien Cave und Batadomba Lena Cave (Sri Lanka, 35 tya); 12. Niah Caves (Sarawak, 45 tya); 13. Tianyuan (China, 40 tya); 14. Lake Mungo (Australien, 46 tya); 15. Wally’s Beach (USA, 13 tya); 16. Arlington Springs (USA, 13 tya); 17. Cactus Hill (USA, 20–17 tya); 18. Quebrada Jaguay (Peru, 13 tya); 19. Monte Verde (Chile, 15 tya). Die Zahlen in orange Kreisen (65k etc.) sind die geschätzten Zeiten (in tya), wann die jeweiligen „Wanderetappen“ stattfanden.

Genomische Studien zeigen, dass die außerafrikanische Menschheit in drei Evolutionslinien eingeteilt werden kann: „Europide“ (Europa, Naher Osten, Nordafrika, Indien), „Mongolide“ (Ostasien, Amerika) und „Australide“ (Neuguinea, Melanesien, Australien) (Abb. 3.9 und 3.10). Evolutionäre Beziehungen untereinander sind unklar. Der Geografie der Südroute entspricht die grundlegende West-Ost-Einteilung am besten (d.h. „Europide“ versus „Australide“ + „Mongolide“), aber die neu publizierten Genome der Papuaner und australischer Aborigines zeigen, dass es sich bei beiden um eine basale und seit Langem isolierte Linie der nichtafrikanischen Menschheit handelt.


Abb. 3.10: Weltkarte während der Glazialzeiten. Weiße Flächen stellen die Ausbreitung des Festlands im Vergleich zu den heutigen Konturen der Kontinente dar.

3.7 Indien und der Weg nach Australien

Die genetische Diversität in Südasien ist prinzipiell vergleichbar mit der afrikanischen; außer der Tatsache, dass es sich um eine der ältesten durch den Menschen besiedelten Regionen handelt, hatte wahrscheinlich auch die Explosion des Supervulkans Toba auf Sumatra 74 tya bedeutende Auswirkungen (vergleiche Box 1.4). Sie hatte einen wesentlichen Einfluss auf das Aussterben der alten menschlichen Populationen westlich von Sumatra, also insbesondere in Indien. Dies ist bezogen auf die indische Bevölkerungsstruktur bis heute sichtbar: Die Ethnien in Nordostindien stehen den Tibetern u.ä. sehr nahe, während der überwiegende Teil Nordindiens eine gewisse genetische Nähe zu Bewohnern des westlichen Eurasiens, also auch zu den Europäern zeigt. Darüber hinaus zeigt sich, dass die indische Bevölkerung einen nord-südlichen genomischen Gradienten ausbildet, wobei die südliche genetische Komponente („ancestral southern Indians“) den rätselhaften Bewohnern der Andamanen, den indomalaischen Negriten und vielleicht auch den australischen Aborigines nahesteht.

Die Geschichte der indischen Populationen ist weiter durch das Kastensystem geprägt, einer einzigartigen sozioökonomischen Hierarchie, die mit dem Hinduismus und der Ausbreitung indoeuropäischer Sprachen verbunden ist (3,5 tya; die erwähnte nord-südliche genetische Dichotomie ist allerdings viel älter). Haplotypen aus Europa und Westasien überwiegen in höheren Kasten, während die niederen Kasten genetisch häufig den Populationen ähnlich sind, die außerhalb des Kastensystems in „Stämmen“ leben. Wir begegnen hier also einem sehr komplizierten mehrschichtigen Mosaik unterschiedlich alter genetischer Komponenten von sowohl autochthoner als auch europäisch-westasiatischer oder ostasiatischer Herkunft. Aus Nordwestindien stammen die europäischen Roma; ihre heutigen Genome sind allerdings zum großen Teil von europäischen, wahrscheinlich osteuropäischen Quellen abgeleitet – zur Vermischung kam es vor ca. 900 Jahren, was den historischen Angaben über die Ankunft von Roma nach Europa vor 1000–1500 Jahren entspricht.

Die Bevölkerung von Neuguinea, Melanesien und Australien stellt eine einheitliche und gleichzeitig tief isolierte Linie dar, die den Superkontinent Sahul (heutiges Neuguinea, Australien und Tasmanien) vor mehr als 40 tya zur einmal vom Westen, aus Südasien, besiedelt hat (Abb. 3.9 und 3.10). Der Weg nach Sahul führte über Süd- und Südostasien und sollte daher in der Genetik heutiger Populationen Spuren hinterlassen haben. Ein Relikt der ursprünglichen Bevölkerung Südasiens könnten die heutigen Bewohner der Andamanen im Indischen Ozean sein. Es handelt sich um Jäger und Sammler des „australoiden“ Typs, mit isolierten Sprachen (möglicherweise entfernt verwandt mit den neuguineischen Sprachen) und sehr isolierten mitochondrialen Haplotypen. Auch die genomischen Analysen deuten sowohl auf eine Nähe zu den Andamanern als auch neuguineischen und australischen Einheimischen hin. Der gemeinsame Vorfahre der heutigen andamanischen Haplotypen ist allerdings sehr jung (weniger als 10 tya), was sich auch mit den sehr jungen archäologischen Aufzeichnungen auf den Inseln deckt. Es scheint sich also um Nachkommen einer Reliktpopulation aus dem indisch-birmanischen Raum zu handeln, die die Andamanen vor relativ junger Zeit besiedelt haben. Ähnliche Reste von „australoiden“ Populationen findet man in Süd- und Südostasien als sogenannte Negriten (z.B. Semang in Malaysia oder Agta, Aeta und Mamanwa auf den Philippinen). Auch genomische Untersuchungen legen nahe, dass sie als voneinander isolierte, zwischen der australisch-neuguineischen und der ostasiatischen Gruppe verteilte Linien zu sehen sind. Einige Ethnien aus Südindien (z.B. Soliga) haben eine enge phylogenetische Beziehung zu (nord)australischen Aborigines. Im Genom dieser australischen Einheimischen kann man einen bedeutenden Anteil (ca. 11%) der indischen (und „andamanischen“) Herkunft finden, der dagegen im Genom der nah verwandten Papuaner fehlt. Die geschätzte Zeit der Vermischung (mehr als 4 tya) entspricht einigen Änderungen durch neue australische archäologische Befunde (Steinspitzen der Pfeile, Bearbeitung der Pflanzen), der Expansion der Pama-Nyunga-Sprachen über große Teile Australiens, sowie der Ankunft des Dingo (obgleich die DNA der Dingos eher für eine südostasiatische als indische Herkunft spricht).