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Bobbie oder die Liebe eines Knaben

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XVI. Kapitel. Troll plagt sich vergeblich

Zunächst begaben sich die beiden, Bob und Troll, nach dem Park, wo der Wächter den Hund gebührend bewunderte, dem Gedanken aber, mit Trolls Hilfe eine Spur von dem kleinen Mädchen zu finden, ein wenig kühl und zweifelnd gegenübertrat. Dann besuchte der Knabe mit seinem Hunde Frau Sehring. Gerties Mutter saß in einem Lehnstuhl in der Sonne bei offenem Fenster und sah zu, wie die Pflegerin einer großen, robusten Frau behilflich war, ganze Berge von Wäschestücken in Bündel zu schnüren, in ein großes und in ein kleineres.

Kaum erblickte Frau Sehring den Knaben, als ihr auch schon wieder die Tränen über die eingefallenen schneeweißen Wangen liefen. Zaghaft, verlegen, verzweifelt trat Bob, den Hund am Halsbande führend, zu ihr und sagte: »Dies ist Troll, mein Hund, den ich kaufen durfte. Er ist ein vorzüglicher Polizeihund, und ich will mit ihm Gertie suchen.«

Frau Sehring lächelte unter Tränen.

»Ach, Bobbie, das ist wohl alles vergeblich! Wenn uns Gott im Stiche läßt, so wird uns ein Hund nicht helfen können!«

Inzwischen schwang die robuste Frau das große Bündel auf den Rücken, nahm das kleinere in eine Hand und wollte gehen. Ein schrecklicher Gedanke schoß durch Bobs Kopf. Aufgeregt rief er:

»Was ist in dem Bündel, Frau Sehring?«

»Die schmutzige Wäsche,« erwiderte Frau Sehring.

»Auch die Wäsche Gerties?« schrie Bob ängstlich. Und als Frau Sehring verwirrt »Ja doch, Bobbie, warum schreist du denn so?« erwiderte, sprang er auf die Wäscherin zu, die schon unter der Türe stand, und rief:

»Halt, Sie dürfen noch nicht gehen!« und zu Frau Sehring: »Ich brauche ja Wäschestücke, die Gertie getragen hat; wie soll sonst Troll die Witterung bekommen können?«

Seine Aufregung wirkte ansteckend. Lebhaft, wenn auch mühsam, erhob sich Frau Sehring.

»Hier in diesem kleinen Bündel ist die ganze Wäsche, die Gertie in den zwei oder drei Wochen vor dem Unglück getragen hat. Welches Stück könntest du brauchen?«

Bob überlegte. Sie hatten vor dem verhängnisvollen Tage täglich in glühender Sonne im Park Diabolo gespielt, da mußten naturgemäß die Strümpfe Gerties von dem Hautschweiß am stärksten imprägniert sein. Und richtig – dies waren die weißen Strümpfe, die Gertie erst am Tage vor ihrem Verschwinden getragen hatte, er erkannte sie an dem Loch in Kniehöhe, das einen rostroten Rand aufwies. Sie war gefallen und hatte sich ein wenig das Knie aufgeschunden, so daß der eine Strumpf ein Loch davongetragen hatte. Er nahm also diesen Strumpf und noch ein Taschentuch und ein Hemdchen. Bevor er mit diesen Stücken und Troll abzog, bat er aber noch Frau Sehring und die Pflegerin, seiner Mutter nichts von seinen Plänen zu erzählen. Rasch begab er sich mit dem Hund auf sein Zimmer, legte die Wäschestücke auf den Fußboden und drückte Trolls Schnauze darauf.

»Troll,« sagte er, »mein lieber guter Troll, riech‘ ordentlich daran und dann such‘, such‘, was du nur suchen kannst!«

Es bedurfte aber gar nicht solch inniger Zusprache. Der glänzend dressierte, mit ererbten Instinkten ausgestattete Hund schien sofort zu verstehen, um was es sich handelte; er geriet in Aufregung, stellte die Ohren auf, knurrte unruhig, wühlte ordentlich mit der feuchten Schnauze in den Sachen und sah dann seinen Herrn tatenbereit und erwartungsvoll an. Bob steckte den Strumpf in die Tasche und verließ mit dem Hunde das Haus. Kaum waren sie auf der Straße, als Troll nervös zu suchen begann. Zwei-, dreimal rannte er vor dem Haustor auf und ab, dann senkte er den Kopf und lief geradeaus hinüber in das Miethaus hinein, in dem Gertie gewohnt hatte, und Bob mußte ihn am Halsbande zurückziehen, sonst wäre er die Treppen hinaufgelaufen.

Der Knabe war verzagt und das Weinen war ihm nahe. Was nun? Der Hund hatte die Spur gefunden, wunderbar genug, aber doch nur die Spur, die von Gerties Wohnung zu seinem Hause hinführte! Und damit war nichts gewonnen und nichts getan.

»Troll, komm‘, das heißt nichts!«

Und wieder schien der Hund zu verstehen, und auch er war enttäuscht und ließ die Ohren hängen.

Sie gingen durch den Park über den Spielplatz. Troll aber nahm keine Spur auf, sondern schnupperte heftig in die Luft und gab nur einen wehklagenden Laut von sich. Erst als sie wieder in der Straße zwischen den beiden Häusern angelangt waren, begann er zitternd zu dem Haustor und hinüber zu dem anderen zu laufen.

Der Tag verging und die Nacht, und der zehnte Tag war gekommen. Bob war nach gründlicher Überlegung und Rücksprache mit Frau Sibylle zu dem Entschlusse gelangt, wieder seine Streifzüge durch die Gärten der Stadt aufzunehmen. Vielleicht weilte Gertie in einem Hause mit anderen Kindern; vielleicht kam eines von diesen in einen Garten; vielleicht witterte Troll die Berührung dieses Kindes mit Gertie. Oder aber es kam ein Kind, das Sachen trug, die Gertie gehörten, was auch im Bereiche der Möglichkeit lag.

»Viele Vielleicht, wenig klare Hoffnungen – aber wir dürfen nichts unterlassen, was auch die geringsten Möglichkeiten bieten kann,« hatte Frau Krikl gesagt. Auch bei ihr war Troll auf volle Sympathie gestoßen, die nach einigem Mißtrauen erwidert wurde. Den frechen Papagei allerdings hatte Troll zuerst furchtbar verbellt, um ihn dann mit Verachtung zu strafen und auf die reichlichen Beschimpfungen und die vielen »Halt‘s Maul«, die ihm Joko zubrüllte, nicht zu reagieren.

Als Bob eines Tages todmüde, hungrig und ergebnislos mit dem ebenfalls mißgelaunten Hunde heimkam, fand er das Abendblatt mit einem Artikel vor, der die fetten Überschriften trug:

 
Das Geheimnis der Gertie Sehring.
Verhaftung eines Ehepaares vor
der Einschiffung nach Brasilien.
 

Am ganzen Körper zitternd, las Bob:

»Es sind volle zehn Tage vergangen, seitdem die zehnjährige Gertie Sehring, ein Kind von auffallender Schönheit, spurlos am hellichten Tage verschwunden ist, und noch immer hat die Polizei die verabscheuungswürdigen Menschenräuber nicht entdecken können. Es muß aber zugegeben werden, daß die Polizei sich alle erdenkliche Mühe gegeben hat, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Sie hat sich mit den Polizeibehörden aller Länder in Verbindung gesetzt, in Tausenden von Exemplaren wurden die Bilder des Mädchens verschickt, so daß heute kein Kriminalbeamter ohne dieses Bild in der Tasche ist. Sie hatte die große Belohnung verdoppelt, die der Fabriksbesitzer Herr Holgerman aussetzte – der Vater des Knaben, in dessen Gesellschaft sich Klein-Gertie zuletzt befand – sie hat alle Schlupfwinkel und Verbrecherspelunken der Stadt durchstöbert. Wurde aber auch Gertie Sehring leider bisher nicht gefunden, so hat die Suche nach ihr der Polizei doch zu einem guten Fange verholfen. Im Hafen zu Liverpool nahm die dortige Polizei ein Ehepaar fest, das gerade im Begriffe war, mit fünf Kindern den Dampfer ›Salvator‹ zu besteigen, der nach Rio de Janeiro bestimmt war. Einem der aufpassenden Kriminalbeamten war es aufgefallen, daß sich die fünf Mädchen, die im Passagebureau, in dem die Karten gelöst worden waren, als Kinder des Ehepaares Avorescu angegeben waren, im nahezu gleichen Alter befanden, woraus hervorging, daß es sich nicht um Geschwister handeln konnte. Das Ehepaar wurde verhaftet, und die fünf Mädchen, alles bildhübsche Dinger zwischen zwölf und, vierzehn Jahren, getrennt einem Verhör unterzogen. Anfangs wollten die eingeschüchterten Mädchen, deren Körper Spuren von Schlägen aufwiesen, nicht mit der Sprache heraus; schließlich als sie sahen, daß man ihnen nichts Böses anhaben wollte, erzählten sie weinend, daß die Avorescus nicht ihre Eltern seien, sondern sie einfach gekauft hätten. Die weitere Untersuchung förderte grauenhafte Einzelheiten zutage. Die Kinder, die teils aus Ungarn, teils aus Slawonien stammten, wurden tatsächlich für einen Schandlohn an die Avorescus verschachert, die die hübschen Mädchen nach Brasilien verfrachten wollten, um sie dort in verrufenen Nachtlokalen als Blumenverkäuferinnen und Tänzerinnen zu verdingen. Wer die Lokal in Rio de Janeiro kennt, weiß aber, daß es sich in Wirklichkeit um viel Ärgeres als um Blumenverkaufen und Tanzen gehandelt hätte. Es wurde festgestellt, daß sich unter den fünf Mädchen Gertie Sehring nicht befindet. Die Kinder wurden von der Kinderschutzgesellschaft übernommen, das elende Ehepaar Avorescu bleibt in Haft und sieht schwerer Bestrafung entgegen.«

Soweit der Zeitungsbericht, den Bob verschlang, ohne ihn in seinen äußersten Andeutungen zu verstehen. Aber er dachte: Dieses Ehepaar hat man nun verhaftet, wer weiß, wieviele andere solche es gibt und wo Gertie heute klagt und jammert!

Immer unruhiger, zerfahrener und bekümmerter wurde Bob. Die Tage kamen und gingen, es war nun schon genau zwei Wochen her, seit mit Gertie die knabenhafte Lebensfreude aus seinem Dasein geschwunden war, und die Hoffnungen, die er an Troll geknüpft hatte, erfüllten sich auch nicht. Vormittags von acht bis gegen ein Uhr, nachmittags von drei bis zum Abend durchstreifte er die Straßen, Gärten und Anlagen mit Troll, immer wieder ließ er ihn den Strumpf und die anderen Wäschestücke Gerties beschnuppern, aber Troll konnte nichts finden. Er wollte, das sah man ganz deutlich, er quälte sich geradezu ab, er schnupperte verzweifelt zwischen Haustor und Haustor umher, aber sobald sie um die Ecke gebogen waren, hatte er keine Witterung mehr und heulte kurz und jämmerlich auf.

Bob begann an Appetitlosigkeit zu leiden, dunkle Ringe lagerten sich um seine schönen braunen Augen, die jetzt streng wie die eines Erwachsenen dreinblickten. Er hatte fast täglich Kopfschmerzen und begann Spuren einer nervösen Gereiztheit zu zeigen, die seine Eltern mit Schrecken und Angst erfüllten, bis das eintrat, an das Bob nur mit Grauen denken konnte. Herr Holgerman bestimmte endgültig den Tag der Abfahrt nach der See. Am fünfzehnten Tage seit dem Verschwinden Gerties sah er seinen Sohn beim Abendessen scharf an, schlug mit der Hand auf den Tisch und sagte:

 

»Nun wird es mir zu bunt! Bob sieht einfach jämmerlich aus, nicht wie ein gepflegtes Kind aus gutem Bürgerhause, sondern wie ein unterernährtes Arbeiterkind! In acht Tagen fahren wir an die See, und dort wird sich der Junge hoffentlich erholen und sich die unmöglichen Wünsche aus dem Kopf schlagen.«

Mit einem besorgten Blick auf Bob stimmte Frau Holgermann eifrig zu: »Ich bin mit allen Vorbereitungen fertig, und was Bobbie noch an Matrosenanzügen braucht, bestelle ich morgen.«

Bob aber sagte gar nichts, sah tief schweigend auf seinen Teller nieder, den er hätte leeren sollen, und dachte:

»Es ist ganz merkwürdig! Eltern machen ihren Kindern zum Vorwurf, wenn sie schlecht aussehen. Als wenn man zum Vergnügen blaß wäre und die dummen Kopfschmerzen hätte! Wenn wir aber fortgefahren sind, dann werde ich mich leider nicht erholen, sondern erst recht ganz verzweifelt sein, weil ich dann jede Hoffnung aufgeben muß, Gertie nochmals im Leben wiederzusehen.«

Und er beugte sich über den Teller und führte den Löffel hastig und rasch zum Munde, damit man nicht sehen möge, wie salzige Tropfen aus seinen Augen in die Suppe flossen – –

Am anderen Morgen ging er sehr zeitig, gleich nach dem Frühstück, zu Frau Krikl und jammerte sich bei ihr aus.

»Ich gebe es auf, Tante Sibylle, ich bin zu schwach dazu, nie werde ich Gertie finden, und ich kann auch gar nicht mehr suchen, weil mich meine Füße schon sehr schmerzen und ich immer Kopfweh habe und so müde bin, daß ich mich am liebsten ins Bett legen möchte!«

Frau Krikl erschrak und begann bitterlich zu weinen. Sollte denn des Unglücks kein Ende sein? Das süße, kleine Mädchen, wahrscheinlich längst tot, ihre arme Mutter dahinsiechend, und nun noch dieser mutige, kluge Junge, der dem Jammer seines jungen Herzens zu erliegen drohte!

»Bobbie,« sagte sie, die Tränen trocknend, »laß uns nebeneinander niederknien und beten. Ich bete fast nie, weil ich der Meinung bin, man soll den lieben Herrgott nicht zu viel belästigen, sondern sich das Gebet für die ganz großen Sachen aufheben. Aber ich glaube, daß dies eine Sache ist, für die man beten soll und muß.«

Und die alte Frau, die die Leute eine »Hexe« nannten, und Bob knieten nebeneinander nieder und flehten stumm ihren Herrgott an, jeder auf seine Weise. Frau Krikl mit inbrünstiger Hingebung an den Heiland, Bob verwirrt und durch hundert Nebengedanken abgelenkt, dem lieben Gott tausenderlei Versprechungen machend für den Fall, daß er ihn Gertie finden lassen würde.

XVII. Kapitel. Troll nimmt eine Spur auf

Bob ging langsam und ein wenig schleppend, da er wirklich sehr müde war, mit dem Hunde von Frau Krikls Haus nach dem Volksgarten und von da quer durch das Stadtinnere weiter in der Richtung nach dem Stadtpark. Trotz des Hochsommers herrschte lebhaftes Treiben in den Straßen, die Automobile flogen mit ihren bunt geputzten Insassinnen wie die Schmetterlinge dahin, vor den Auslagen der Mode- und Luxusgeschäfte drängten die Menschen, und immer wieder verlor Bob den Hund von seiner Seite, so daß er die Leine aus der Hosentasche zog und sie an Trolls Halsband befestigte. Gerade als er mit dieser Verrichtung beschäftigt war und über den Hund gebückt dastand, rannte ihn ein riesengroßer, hastig vorwärtsstrebender Mann fast nieder, wobei er einen abscheulichen Fluch statt einer Entschuldigung ausstieß. Und in diesem Augenblick knurrte Troll dumpf auf. Seine Haare schienen sich zu sträuben, die Ohren stellten sich senkrecht auf, und er riß so heftig an der Leine, daß Bob fast umgefallen wäre.

»Troll, benimm dich!« rief der Knabe ärgerlich. Aber gegen seine Gewohnheit folgte der Hund nicht, sondern riß weiter, knurrte dumpf und schleifte seinen jungen Herrn an der Schnur hinter sich her.

Bob war verdutzt. Was fiel Troll denn ein? Warum raste er förmlich dahin, was sollte die Aufregung des Tieres bedeuten? Einer instinktiven Eingebung folgend, widerstrebte Bob nicht länger, sondern beschleunigte seine Schritte nach dem Wunsche des Hundes, folgte ihm durch das Gewühl der Menschen, folgte ihm auch, als der Hund in eine Seitengasse einbog, und nun sah er zu seiner Überraschung, daß Troll einfach den Spuren des Mannes nacheilte, der ihn vorhin beinahe umgerannt hätte. Das Gesicht des Mannes sah Bob nicht, hatte es auch bei dem Zusammenstoße nicht gesehen, aber er erkannte den riesigen Kerl sofort an der Gestalt.

Und so gingen sie weiter, etwa zwanzig Schritte hinter dem Unbekannten her. Troll knurrte nicht mehr, aber er hielt die Schnauze dicht an das Straßenpflaster, und als der Verfolgte die Straße querte, ging auch der Hund auf die andere Seite. Jetzt machte der Mann halt und betrat einen Tabakladen. Sofort blieb Troll stehen, wandte sich nach seinem Herrn um und begann dessen linke Rocktasche, ausgiebig niesend, schnaubend zu beschnuppern. Was sollte das wieder? Bob griff unwillkürlich in die Tasche. Richtig, da hatte er ja den Strumpf Gerties, den er immer mit sich herumtrug. Der Hund stürzte sich förmlich mit der Schnauze in den Strumpf hinein, dann tänzelte er vergnügt umher, und schon zog er wieder an. Der Mann hatte den Laden verlassen, ging weiter seines Weges und Troll folgte ihm mit gesenktem Kopf.

Ein eiskalter Schauer streifte den Rücken Bobs. Sein Herz begann bis in den Hals hinein zu schlagen, es sauste in seinen Ohren. Kein Zweifel! Troll nahm die Strumpfspur auf – Troll hatte einen Zusammenhang zwischen dem Riesen und dem Strumpfe gewittert, Troll war auf der Fährte. In wirbelnder Eile schossen die Gedanken im Kopfe des Knaben durcheinander. War das wirklich eine Spur? War es ein Irrtum des Hundes, vielleicht eine Laune nur, hervorgerufen durch den Zusammenstoß vorhin? Aber wie immer dem auch sein mochte, es war zum erstenmal, daß Troll eine Spur aufnahm, und es galt nun dieser Spur zu folgen – schlau, vorsichtig, auf Tod und Leben. Denn unwillkürlich sagte sich Bob, daß es gerade kein Genuß wäre, mit dem Riesenkerl irgendwie in einen Streit zu geraten. Also vorwärts, weiter, dem Manne nach! Die ruhige Straße mündete wieder in eine breite, durch die der Verkehr wogte. Und jetzt geschah etwas, worauf Bob und Troll nicht gefaßt waren. Der Mann vor ihnen sprang mit einem Satz auf einen mächtigen Autobus, der eben seine Fahrgeschwindigkeit verringert hatte. Was tun? Nur einen Augenblick zögerte Bob, dann machte er mit einem Rucke die Leine los, schrie: »Komm‘, Troll!«, sprang mit Windeseile dem Autobus nach und schwang sich, nachdem er sich glücklich vor dem Überfahrenwerden durch eine Autodroschke gerettet hatte, auf die Plattform des Autobus. Und nun ging die Fahrt in sausendem Tempo vorwärts. Und Troll folgte getreulich mit lang herausgestreckter Zunge.

Auf der Plattform war Bob einen Augenblick stehengeblieben, um die Sachlage zu überblicken. Der Mann war die Treppe hinaufgegangen, um einen Sitzplatz auf dem Verdeck zu ergattern. Das war ganz gut so. Vom Innern des Wagens aus, der in Anbetracht der Hitze fast ganz leer war, konnte er seinerseits den Hund im Auge behalten, anderseits unauffällig hinter dem Manne her sein, falls dieser wieder aussteigen wollte. Je weiter sich der Autobus aus dem Herzen der Stadt entfernte, desto größer wurde seine Fahrgeschwindigkeit, und Bob begann für die Gesundheit Trolls ernstliche Befürchtungen zu hegen. Aber der Hund blieb dicht bei seinem Herrn und sah ihn mit einem Blicke an, der zu sagen schien:

»Nur keine Angst, ich komm‘ schon mit!«

Glücklicherweise hielt der Autobus nun auch sehr oft, um Fahrgäste aussteigen zu lassen oder aufzunehmen, so daß Troll verschnaufen konnte. Der Autobus verließ das Weichbild der Stadt, flog durch ein stark bevölkertes Wohnviertel, kam dann in eine Gegend, in der man links und rechts nichts als Fabriken und Speicher sah, um schließlich durch eine mit Ahornbäumen bepflanzte Allee in eines der vornehmsten Villenviertel der Stadt zu rollen. Die Fahrt hatte schon zwanzig Minuten gedauert und der Wagen war fast leer geworden, als Bob, der mit glühenden Wangen in dem dumpfen Kasten saß und ununterbrochen nach der Treppe, die zum Oberdeck führte, stierte, endlich wieder den großen Mann mit den plumpen, gelben Schuhen und dem blauen Anzug heruntersteigen sah. Der Knabe duckte sich ganz zusammen, um nicht bemerkt zu werden. Jetzt hatte der Riese die Plattform erreicht, er drehte sich dem Trittbrett zu, und Bob sah ihm, ohne selbst gesehen zu werden, voll ins Gesicht. Blitzschnell zog der Gedanke durch sein Gehirn: »Den Mann kenne ich.« Aber er hatte keine Zeit zum Nachdenken, denn es galt nun, ebenfalls auszusteigen, ohne die Aufmerksamkeit des Verfolgten auf sich zu lenken. Dieser war bei halber Fahrt abgesprungen, stieß mit dem Fuße nach dem Hunde, der sich dicht an ihn herandrängte, und bog sofort in die die Fahrstraße schneidende Querstraße ein. Bob fuhr noch etwa hundert Schritte weiter, dann sprang er geschickt in voller Fahrt ab. Schon war der keuchende Troll an seiner Seite, rasch befestigte Bob die Leine und ließ sich von seinem Hunde dem Manne nachziehen.

Sie hatten nicht lange im glühenden Sonnenbrande zu gehen. Hundert Schritte vor ihnen blieb der Mann stehen, zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, öffnete eine Gittertüre, die in einen Garten führte, und verschwand hinter ihr, ohne sich umzusehen.

XVIII. Kapitel. Blumenstraße 12

Bob wartete eine Minute, dann schlenderte er mit seinem Begleiter, der wieder die Nase auf den Boden hielt, an der Stelle, an der der Mann verschwunden war, vorbei. Er hatte sich überzeugt, daß die Straße Blumenstraße hieß, und über dem Gittertor war die Hausnummer 12 angebracht. Die Blumenstraße ist voll der herrlichsten, oft palastähnlichen Villen, von denen jede mit einem großen, gepflegten Garten umgeben ist. Bob erinnerte sich, daß er einmal mit seinen Eltern in dieser Straße einen Besuch gemacht hatte und daß die Familie, zu der sie geladen waren, zu den reichsten des ganzen Landes gehörte. Ein schloßartiges Gebäude grenzte an das andere, jedes lag tief in seinem Garten und jeder Garten war von mannshohen Gittern mit spießartigen Spitzen umgeben. Nur gerade gegenüber dem Hause Nr. 12 befand sich noch ein leerer, von Holzplanken eingezäunter Bauplatz, an dem eine Tafel mit der Inschrift stand:

 
Dieses Grundstück ist zu verkaufen.
Nähere Auskunft im Geschäft,
Gartenstraße Nr. 8.
 

Bob hatte das Empfinden, daß sein Verweilen vor dem Hause in dieser stillen, menschenleeren Straße auffallen könnte und trotz des Einspruches Trolls, der hinüber zum Hause Nr. 12 strebte, ging er bis zum Ende der Holzplanke und zurück. Troll wurde wieder losgelassen, ein Wink und gehorsam sprang der Hund über die Planken und im Nu hatte sich Bob ebenfalls hinübergeschwungen, um nun jenseits der Planken zwischen verdorrten Grasbüscheln, leeren Flaschen, Tiegeln und Konservenbüchsen zu landen. Einige Schritte weiter aufwärts klafften die Bretter ordentlich auseinander, und der Knabe konnte nun in aller Ruhe durch die Lücke das Haus Nr. 12 in der Blumenstraße betrachten. Ohne viel von der Kunst der modernen Architektur zu verstehen, war er doch durch die gediegene Pracht der Villa überrascht. Sie war ganz aus getöntem Sandstein erbaut, ohne Ornamentik, ohne Erker und Balkons, aber in der Linienführung von köstlicher Harmonie und edler Einfachheit. Außer dem hohen Erdgeschoß besaß sie nur noch ein Stockwerk und alle Fenster, die trotz der Hitze geschlossen waren, fielen durch ihre Höhe, aber auch durch ihre Schmalheit auf. Die Umrahmung der Fenster bestand aus schwer vergoldeter Bronze und bildete den einzigen Schmuck des Hauses, das in der Front ziemlich schmal war, aber ersichtlich tief ging. Eine steinerne Freitreppe führte an der Vorderseite auf eine Terrasse, von der eine große, oben abgerundete Holztür mit reichem Kupferbeschlag den Eingang in das Innere des Hauses bildete. Von der Straße aus links, unterhalb und neben der Treppe, befand sich ein anderes mächtiges Portal, über dessen Bestimmung Bob nicht im unklaren war. Hinter diesem Portal befand sich ein Automobilschuppen, und Bob, der ähnliche Einrichtungen oft gesehen hatte, war überzeugt davon, daß man vom Inneren des Hauses aus ebenfalls die Garage betreten konnte. Reiche und vornehme Leute lieben das so, weil sie dann vom Volke ungesehen in ihr Auto steigen können.

Bob wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn und beschattete die von der Sonnenglut und dem angestrengten Starren schmerzenden Augen. War es möglich, daß in diesem vornehmen, nach Ruhe und Frieden aussehenden Hause Gertie gefangen gehalten wurde? »Nein«, sagte er sich, indem er versuchte, die Gedanken zu ordnen und aneinanderzureihen. »Nein« – eigentlich war das so gut wie ausgeschlossen; denn Millionäre rauben nicht kleine Kinder! Sollte Troll geirrt, sollte er falsche Witterung genommen haben?

 

Es mußte wohl so sein. Aber Bob schrie jetzt leise auf. Die Kette der Ereignisse, die er fast vergessen hatte, fiel ihm wieder ein. Troll hatte ja nicht dieses Haus gefunden, sondern war der Spur eines Mannes gefolgt, eines großen, entsetzlich häßlichen Mannes, dessen Gesicht er eben noch gesehen und – erkannt hatte! Woher aber kannte er es, wo war ihm dieser Mann mit dem bräunlichgelben Teint, mit den Blatternnarben, mit der leeren Augenhöhle schon begegnet? Wo, wo? Er hatte ihn schon gesehen, ganz sicher, er kannte dieses Gesicht, aber woher?

Der Knabe preßte den schmerzenden Kopf an die Bretterwand und dachte mit geschlossenen Augen nach. Und wieder löste sich ein Aufschrei von seinen trockenen Lippen, und mit einem Male war es ihm klar, daß er den Mann, der ein Negermischling sein mochte, im Traume gesehen hatte. Ja, in einer der Nächte nach dem Verschwinden Gerties war ihm das häßliche Gesicht erschienen – ganz deutlich sah er das Traumbild vor sich. Aber Bob war ein kluger Junge, der nie an Ammenmärchen, nie an den schwarzen Mann und an Geister geglaubt hatte, und so sagte er sich, daß er den Mann, der ihm im Traum erschienen war, unbedingt vorher einmal im Leben gesehen haben mußte. Und schon hatte er die tatsächliche Wirklichkeit erfaßt! Ja, damals, wenige Minuten, bevor er mit Gertie zum letztenmal heimwärts gegangen war, damals auf dem Spielplatz, als sie Diabolo gespielt hatten, hatte ja plötzlich dieser häßliche Mensch dicht vor Gertie gestanden und hatte sie aus seinem blutunterlaufenen Auge so durchdringend angestiert, daß sie erschrocken war. Und Gertie, das liebe, gute Mädchen, das niemandem auch nur in Gedanken etwas zuleide tun konnte, hatte den abscheulichen Kerl auch noch bemitleidet und Worte des Bedauerns über Menschen gesprochen, die von Natur aus häßlich sind!

War das nur Zufall, ein grotesker, alberner Zufall, daß Troll gerade hinter diesem Manne, der vielleicht der letzte Mensch gewesen, den Gertie vor ihrem Verschwinden gesehen hatte, hergelaufen war? Der Mulatte, der sich vor Gertie hingepflanzt, der Traum, die beharrliche Witterung Trolls, das große, geheimnisvolle Haus mit den verschlossenen Fenstern, hinter denen der Mann verschwunden war – nein, das alles konnte kein Zufall sein! Wie eine Erleuchtung, wie ein sicheres, helles Erkennen kam es über Bob.

Dieses Haus mußte das Geheimnis Gerties bergen. Was nun? Bob sah auf seine Taschenuhr. Himmel! Fast ein Uhr war es geworden! Rasch nach Hause, sonst würde er zu spät zu Tisch kommen, und sein Vater, der besonders in diesem Punkte keinen Spaß kannte, wäre imstande, ihn schon morgen mit Eduard aufs Land zu schicken! Flink über die Planken. Troll beim Halsbande packend, weil der Hund winselnd wieder zum Hause Nr. 12 strebte, ging es mit ein paar Sätzen zur großen Allee; richtig, da kam ein Autobus, und so gelang es, gerade als die Suppe aus der Küche ins Speisezimmer getragen wurde, zu Hause zu sein. Und diesmal fielen den Eltern nicht einmal die Verstörtheit Bobs, die Schweißtropfen in seinen Stirnlocken auf, da Herr Holgerman eben mit seiner Frau den Plan zur Errichtung einer neuen Fabriksanlage besprach.

Bob zählte nach Tisch genau seine Barschaft nach. Er besaß, da ja Frau Krikl den ganzen Preis für Troll bezahlt hatte und ihm so der von seinem Vater bewilligte Kaufschilling verblieben war, noch eine beträchtliche Geldsumme, und er beschloß, in kluger Erkenntnis, daß es nun galt, alle Kräfte zu sparen und zu schonen, mit einer Autodroschke in die Nähe der Blumenstraße zu fahren. So konnte er Troll mitnehmen, der sonst wieder in der zunehmenden Nachmittagshitze hinter dem Autobus hätte herlaufen müssen. Troll war über die Fahrt im offenen Auto ersichtlich vergnügt, wurde aber, als sie ganz nahe der Blumenstraße angelangt waren, unruhig, blähte die Nasenflügel, schnupperte, kurzum, er nahm wieder die Witterung auf.

Bob hatte dem Chauffeur als Ziel das Haus Nr. 4 der Gartenstraße angegeben. Die Tafel auf dem Bauplatz gegenüber dem geheimnisvollen Haus in der Blumenstraße besagte, daß im Geschäft Gartenstraße 8 nähere Auskunft wegen der Verkaufsbedingungen erteilt würde; bis genau vor dieses Geschäft wollte Bob nicht fahren, da der kleine Detektiv ganz richtig die Kunst des Nichtauffallens als wichtigste aller Detektivkünste erkannt hatte, und so hielt denn das Auto zwei Häuser vor dem Geschäft.

Es erwies sich, daß die Gartenstraße in gleicher Richtung mit der Blumenstraße lief und von dieser nur durch einen Häuserblock getrennt war. Während sich in der Blumenstraße und in allen Nebenstraßen nur Villen und ganz vereinzelt auch villenähnliche Miethäuser befanden, machte die Gartenstraße einen weitaus weniger vornehmen Eindruck; sie wurde ausschließlich von hohen Miethäusern gebildet, die fast alle irgendwelche Geschäfte im Erdgeschoß beherbergten. Das Geschäft im Hause Nr. 8 war eine Konditorei, in der auch Kaffee und Tee ausgeschenkt wurden. Vorne diente das auf die Straße mündende Lokal nur zum Verkauf von Backwaren aller Art, hinter dem Verkaufsraum aber lag nach rückwärts ein mittelgroßes Zimmer mit mehreren Tischen – einem idealen Treffpunkt für Liebespaare. Bob freute sich jedenfalls, daß dieses Geschäft Süßigkeiten und nicht etwa Terpentin und Benzin führte; Troll schloß sich ganz seiner Meinung an, und beide verzehrten mit Behagen etliche Apfelkuchen und Schlagsahne.

Der schöne Junge mit den braunen Locken um das feine, mädchenhaft zarte Gesicht und der prachtvolle Hund – beide hatten die Aufmerksamkeit der Ladenbesitzerin und des bedienenden Mädchens erregt, die denn auch immer wieder in dem Zimmer auftauchten, bald, um Kuchen zu bringen, dann, um abzuräumen, um ein Glas Wasser hinzustellen, um den Hund zu streicheln, um mit den Schürzen die Kuchenkrümmel vom Tische zu kehren, kurzum, um die unbekannten Gäste gründlich zu beschnuppern. Schließlich blieb die rundliche Frau stehen, um abermals den Hund hinter den Ohren zu krauen, und sagte dabei:

»Der junge Herr ist sicher nicht aus der Gegend hier, sonst hätte ich Sie schon einmal vorher gesehen.«

Hocherfreut über diese Ansprache erwiderte Bob:

»Nein, bin zum erstenmal hier. Papa hat gehört, daß hier Auskunft über ein Grundstück in der Blumenstraße gegeben wird, und hat mich hergeschickt.«

Die Frau, sie hieß Angerlein, schmolz vor Wonne, rückte einen Stuhl zu Bob heran und rief zur Verkäuferin, die ihre Nichte war:

»Mary, bring‘ mal die Papiere vom Hause Nr. 8 in der Blumenstraße!« und zu Bob: »Gleich hab‘ ich mir‘s gedacht, daß Sie nicht aus der Gegend hier sind, junger Herr, denn unsereins kennt ja alle Leute, die hier wohnen. Bin schon fünfundzwanzig Jahre am Platz und hab‘ hier schon mein Geschäft gehabt, als es nur wenige Häuser in der Gegend gab.«

Bob gab sich kühl, gleichgültig, überlegen. Er nahm Einsicht in den Plan des Grundstückes, den Mary gebracht hatte und der mit Ziffern bedeckt war, studierte ihn scheinbar genau und sagte dann:

»Gute Frau, in dem Hause gegenüber wohnt wohl Herr Ludwig Miller mit seiner Frau und den Kindern, nicht wahr? Papa glaubt, daß er ihn kennt.«

»Nein, junger Herr, keine Spur von einem Herrn Miller mit Frau und Kindern. In dem Hause gegenüber, das die Nummer 12 hat, wohnt ganz allein für sich der Doktor Frederic Morton. Hat keine Frau und keine Kinder, sondern nur einen häßlichen Mulatten als Diener und dessen auch nicht viel schönere Schwester als Wirtschafterin.«