Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

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2.4.6 Ehrlichkeit

Die Ehrlichkeit ist eine sittliche Eigenschaft des Menschen, die sich beispielsweise in der Aufrichtigkeit, Redlichkeit, Offenheit und Wahrhaftigkeit äußert. „Ehrlichkeit ist das erste Kapitel im Buch der Weisheit“ (T. Jefferson). Ehrlich zu sein ist eine besondere Charaktereigenschaft des Menschen: Wer ehrlich ist, der täuscht oder belügt andere nicht. Ich habe Menschen kennen gelernt, die das vorgelebt haben, aber auch andere, die das Wesen der Ehrlichkeit nicht antizipiert haben. Beispielsweise dann, wenn anderen Menschen – mitunter verletzend – ehrlich die Meinung gesagt wird. Damit provozieren wir Konflikte. Auch: „Ehrlichkeit ist keine Kategorie der Rhetorik“ (G. Beck). Das Gegenteil von Ehrlichkeit ist die Unehrlichkeit, also die Lüge, die heute leider weit verbreitet ist. Betrug gehört leider zum alltäglichen Leben: „Der Ehrliche ist leider oft der Dumme.“139 Trotzdem bleiben nicht wenige Menschen bei der Ehrlichkeit, weil sie innerlich stark sind. „Die Verabscheuung der Lüge ist sowohl ein Anliegen der Theologie als auch der Pädagogik.“* Das Ergebnis der Ehrlichkeit ist die Ehrenhaftigkeit. Sie sucht dabei den direkten Bezug zum Menschen.

► Das bedeutendste pro-Argument ist für mich: „Ehrlich währt am längsten“ (Sprichwort). Und: „Jede Ehrlichkeit beginnt mit der Ehrlichkeit zu sich selbst“ (D. Gropp). Hier können wir viel von den meisten Kindern lernen: „Ehrlichkeit ist die Weisheit der Kinder“ (M. Richter). Warum gilt das nicht ebenso für die Erwachsenen? Weil das geradlinige Leben mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird? Dabei gilt: „Ehrlichkeit ist anstrengend“ (H. Stendhal). Dabei ist es doch gar nicht so schwierig: „Alle Meinungen sind achtenswert, wenn sie aufrichtig sind“ (J.P. Sartre). Und es gilt: „Eine schmerzliche Wahrheit ist besser als eine Lüge“ (Th. Mann). Vor allem für die Liebe gilt: „Ehrlichkeit und Offenheit sind Bestandteile einer dauerhaften Partnerschaft.“* „Wir haben die Pflicht, unseren Partner darüber zu informieren, was auch für ihn wichtig ist. Auch dann, wenn der Partner vielleicht verärgert reagiert.“* „Ehrlichkeit schafft Vertrauen und Unehrlichkeit wirkt sich früher oder später negativ aus!“* Ehrlichkeit in diesem Sinne bedeutet auch, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

► Demgegenüber haben nicht wenige Menschen mit der Ehrlichkeit keine guten Erfahrungen gemacht: „Mit der Ehrlichkeit fängt auch die Dummheit an“ (aus Japan). Folge: „Wo Ehrlichkeit das Dümmste ist, wird Ehrlichkeit auch nicht vermisst“ (E.H. Bellermann). Oder karrieremäßig interpretiert: „Ehrlichkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“ (Sprichwort). Auch wurde in Erfahrung gebracht: „Ehrlichkeit öffnet nicht jede Tür“ (V. Frank). Oder: „Mit Offenheit verschließt man sich alle Türen“ (G.W. Heyse). Vorsicht vor der „ehrlichen“ Meinung: „Was dem einen leicht von der Zunge geht, liegt dem anderen schwer im Magen“ (G.W. Heyse). Manchmal macht sie einsam: „Ehrlich sein: einsam sein“ (Max Frisch). Oder sie trifft uns innerlich: „Ehrlichsein tut mitunter weh.“*140 Aber: „Lieber ehrlich und einsam als unehrlich und angriffslustig.“* Stimmt das Folgende? „Die Ehrlichkeit dient mehr dem Selbstzweck als der Nächstenliebe“ (D. Mühlemann). Und: „Ehrlichkeit wär’ eine schöne Bürde, wenn sie nicht so drücken würde“ (E. Blanck). Ganz anders ist folgende Erfahrung: „Spontane Ehrlichkeit geht meistens mit der Lüge schwanger“ (V. Frank). Und: „Auf die Dauer kriegt auch die Ehrlichkeit Probleme mit dem Gleichgewicht“ (Art v. Rheyn). Für die Geschäftswelt gilt: „Wenn man einem Menschen trauen kann, erübrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Vertrag nutzlos“ (J.P. Getty). Zum Schluss: „Das Tragische ist, dass man mit Lüge und Falschheit im Leben weiter kommt als mit Offenheit und Ehrlichkeit“ (P.E. Schulberg). Ich bezweifle das!

► Was ist nun richtig? Ehrlichkeit erfordert gerade in der heutigen Zeit viel Mut: „Sie ist die … die Mutprobe unserer Zeit“ (R. Karius). Und: „Ehrlichkeit wiegt mehr als Erfolg des Augenblicks“ (unbekannt). Ich stehe persönlich dazu: „Ehrlichkeit währt am längsten.“ Zum Nachdenken: „Wer Geradlinigkeit krumm nimmt, liegt schief“ (W. Lörzer). Etwas eigen interpretiert: „Sieh zu, dass du ein ehrlicher Mensch wirst, denn dann sorgst du dafür, dass es einen Schurken weniger auf der Welt gibt“ (T. Carlyle). „Ehrlichkeit ohne Offenheit ist wie ein Haus ohne Tür“ (A. Brie). Zur Entwicklung der Ehrlichkeit: „Manche sind nur ehrlich geworden, nachdem sie entdeckt haben, dass auch das sich lohnen kann“ (Ch. Chaplin).

Heute sind viele Menschen nicht mehr ehrlich, sondern sie lügen, um sich vermeintliche Vorteile zu verschaffen. Der Trieb, seinen eigenen Vorteil zu suchen ist so stark, dass er den Trieb zur Wahrhaftigkeit ständig gefährdet.141 Wir sind heute schon so weit, dass sich nicht wenige Kinder und Jugendliche die Lügen von Erwachsenen zum Vorbild nehmen. Damit muss Schluss sein: „Wir sollten wieder zu den alten Werten zurückkehren, beispielsweise zu Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit.“* „Ohne Ehrlichkeit kein Vertrauen, ohne Vertrauen keine Zusammenarbeit“ (V. Frank). „Ich behaupte: Es geht auch ohne Lügen.“* Und diese Erkenntnis zeigt uns: „Die Wahrheit der Dialektik liegt nicht immer in der Mitte.“* Das Motto sollte sein:

„Sei immer redlich, wenn du auch betrogen wirst, denn das ist der Probierstein des Wackeren, dass er selten auf redliche Menschen trifft und doch sich selber gleich bleibt“

(Ludwig Tieck)

Manche machen sich über die Ehrlichkeit von Menschen sogar lustig: „Wie kann man so dumm sein, ich bin doch nicht blöd!“ (unbekannt). Die Antwort von G. Klopstock: „Wer redliche Arme verachtet, Weh dem!“. Zum Schluss sagt ein indischer Weiser sehr treffend: „Ehrlichkeit ist eine einzigartige Tugend, auf der der Einzelne und das Leben des Volkes sicher ruhen kann. Die Gesellschaft kann nur fortdauern, wenn sie mit angelassenem Mörtel der Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit gebaut ist“ (Swami Sivananda).

2.4.7 Besonnenheit

Die Besonnenheit142 ist die Haltung der Gelassenheit eines Menschen, insbesondere in schwierigen Situationen selbstbeherrscht, vernünftig, abwägend bzw. distanziert zu handeln und die Vernunft walten zu lassen. Dabei gilt es, Geduld zu zeigen und vorschnelle bzw. unüberlegte Handlungen zu vermeiden. Die Besonnenheit zählt zu den Kardinaltugenden wie Weisheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit. Im Gegensatz zur Besonnenheit steht die menschliche Impulsivität, bei dem der Mensch spontan und ohne jeden Einbezug von Konsequenzen reagiert. Dazu ein Beispiel:

Der Philosoph Ludwig Feuerbach hatte sich mit Berta Löw verheiratet und suchte im Wald seine Ruhe auf einer Holzbank. Da stand plötzlich der Förster vor ihm: „Angermaier ist mein Name, ich bin der Oberforstrat des hiesigen Reviers. Mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Das weiß ich nicht, ich kenne ihre näheren Lebensumstände nicht“ sagte Feuerbach. „Mein Herr, sagte der Forstrat Angermeier ungehalten“. Er sah Feuerbach streng an: „Sie sind recht unhöflich und seltsam dazu. Sie sollten wissen, dass ich ein namhafter Gelehrter bin, der schon zwei Bücher geschrieben hat. Meine Werke sind im hiesigen Revier von durchschlagender Wirkung, wenn Sie verstehen, was ich meine!“ Feuerbach antwortete besonnen: „Ich denke schon, Sie sehen mich zutiefst beeindruckt. Neben einem Mann wie Ihnen, Herr Angermeier, kann ein schlichter Waldläufer wie ich, sich nur klein vorkommen, wenn auch nicht unbedingt hässlich!“143

Sophokles sagt zur Gelassenheit würdigend: „Aller Güter höchstes sei Besonnenheit.“ Und es gilt: „Besonnenheit ist eine Tugend, die mit dem Alter wächst“ (F. Schmidberger). Auch Politiker sollten sie beherzigen, denn: „Besonnenheit ist die Vernunft der Politik“ (L. Genbetta). Grundsätzlich zählt das deutsche Sprichwort: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“ In ganz anderer Interpretation sieht es N.G. Dávila: „Die Gelassenheit ist die Folge akzeptierter Unsicherheit.“ Auch in kriegerischen Zeiten hat sie ihre Bedeutung: „Die höchste Krone des Helden ist die Besonnenheit mitten in Stürmen der Gegenwart“ (J. Paul). Außerdem: „Mut und Besonnenheit paarten sich, ihr geliebtes Kind nannten sie Tapferkeit“ (Sprichwort). Wir können in aller Gelassenheit feststellen: „Wer mit Bedacht handelt, erreicht, was er erstrebt“ (aus Arabien). Oder auch: „Kommt Zeit, kommt Rat“ (Sprichwort). Zum Schluss: „..zu dem, der warten kann, kommt alles mit der Zeit“ (aus Frankreich).

► Dem wird entgegengehalten: „Niemand ist mehr Fehlern ausgesetzt, als der Mensch, der nur aus Überlegung handelt“ (Vauvenargues). Oder deftiger: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz“ (M. Luther). „Die Besonnenheit bedeutet Gelassenheit und Selbstbeherrschung, zu langes Zaudern kann aber auch schaden. Deshalb mein Rat: „Sei besonnen, aber warte nicht, bis es zu spät ist.“* Und es gilt: Einseitige, unkritische Besonnenheit gleitet in die Tatenlosigkeit ab.“* Dazu passt: „Zu dem der immer wartet, kommt gewöhnlich alles zu spät“ (E. Oesch). Außerdem gilt in unserer hektischen Zeit: „Der Mensch hat das Warten verlernt. Darin liegt das Grundübel unserer Zeit“ (W.S. Maugham). Zum Schluss: „Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten“ (F. von Schiller).

 

► Was ist nun für unsere Lebensbewältigung wichtig? „Il faut faire le pas selon la jambe“, d. h. den Schritt muss man dem Bein anpassen (aus Frankreich). Und zu beachten ist auch: „Wirf deine alten Schuhe nicht weg, ehe du neue hast“ (aus Flandern). Zu viel Besonnenheit ist auch nicht gut: „Habe Geduld, aber nicht zu viel“ (unbekannt). Und: „Man darf Zurückhaltung nicht mit Schwäche verwechseln“ (R. Plümer). Die Besonnenheit zählt bei Konfuzius zu den zentralen Idealen und ist eine Geisteshaltung, die nicht mit Ängstlichkeit verwechselt werden darf:

„Der Ängstliche besinnt sich so lange,

bis seine Besonnenheit keinen Sinn mehr macht“

(A. Brie)

Insbesondere edle Menschen gelten als besonnen: „Mittleren Menschen mag man den Mut loben, edlen die Besonnenheit“ (W. Rathenau). Der heilige Franz von Sales sagt: „Die Besonnenheit steht in Verbindung mit der Tugend des Stillschweigens, was allzeit besser sei, als eine lieblose Wahrheit zu verkünden.“ „Zur Besonnenheit gehört auch, die rechten Pläne zu fassen, das Gute und Schlechte und alles, was im Leben zu erstreben und zu meistern ist, beurteilen zu können, alle wirksamen Güter recht zu benutzen, den nötigen Umgang zu pflegen, überall den rechten Zeitpunkt zu erkennen, geistesgegenwärtig zu sein in Wort und Tat, in allen nützlichen Dingen erfahren zu sein“ (Aristoteles). Aber: „Hüte Dich, alles zu begehren, was Du siehst, alles zu glauben, was Du hörst, alles zu sagen, was Du weißt, und alles zu tun, was Du kannst“ (Inschrift an einem Kloster in Lyon). Vor allem, wenn man etwas von Anderen verlangt, sollte man sehr vorsichtig sein: „Überlege einmal, bevor du gibst, zweimal bevor zu annimmst, und tausendmal, bevor du verlangst“ (M. von Ebner-Eschenbach).

2.4.8 Hilfsbereitschaft

Die Hilfsbereitschaft ist die Bereitwilligkeit zur Hilfe durch einen Menschen für einen anderen. Der Hilfe geht beispielsweise eine Bitte des Hilfsbedürftigen voraus oder eine davon unabhängige Entscheidung durch hilfsbereite Menschen. In den zwischenmenschlichen Beziehungen ist die Hilfsbereitschaft ein besonderer Bestandteil der Kooperation: Menschen handeln unter spezifischen Bedingungen mehr oder weniger altruistisch.144 Echt gläubige Menschen betrachten Hilfe als eine natürliche Pflicht, die sich als Aufgabe aus ihrem Glauben ergibt. Viele nicht gläubige Menschen folgen ihrem Gewissen und sehen die Hilfsbereitschaft ebenfalls als eine vorrangige Aufgabe. Nicht wenige Personen denken im Leben nur an sich selbst und helfen anderen kaum. Eine funktionsfähige Gesellschaft kommt aber ohne Hilfsbereitschaft nicht aus. Man kann vorsorgende Hilfe (z. B. Vorsorgeuntersuchungen, Nutzung von Versicherungen), nachsorgende Hilfe (z. B. Rehabilitation), Soforthilfe (z. B. Erste Hilfe) und humanitäre Hilfe unterscheiden, z. B. Beistand in Not. Auch die Hilfsbereitschaft hat zwei Seiten.

► Thesen zur Hilfsbereitschaft: „Man muss sich gegenseitig helfen, das ist ein Naturgesetz“ (J. de la Fontaine). Auch: „Es kennt der edle Mann nicht eine schönere Pflicht, als die zu helfen, mit allem, was er hat und was er kann“ (Sophokles). Oder ermutigend: „Wer einen Blinden vierzig Schritte führt, dem werden seine früheren Sünden vergeben“ (Mohammed). Oder: „Dem Mann kann geholfen werden“ (F. von Schiller). Das Genie J.W. von Goethe fordert überzeugend: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Der österreichische Schriftsteller F. Grillparzer stellt unumwunden fest: „Es ist so schön, für andere zu leben.“ Dazu passt: „Nach „lieben“ ist „helfen“ das schönste Zeitwort der Welt“ (B. von Suttner). Grundsätzlich gilt: „Anderen Menschen helfen zu können erfüllt mit höchster Zufriedenheit.“*

► Es gibt auch Antithesen zur Hilfsbereitschaft: „Jeder überschätzt seinen Wohltätigkeitssinn“ (E. Wertheimer). Oder anders: „Es gibt eine Art Hilfsbereitschaft, die einfach nur widerlich berührt, weil sie nichts so sehr wie der Eitelkeit des Helfenden dient“ (P. Rudi). Nicht immer endet Hilfsbereitschaft positiv: „Elende Helfer, … die nicht helfen können, ohne zugleich zu schaden“ (G.E. Lessing). Oder: „Wer nicht im Augenblick hilft, scheint mir nie zu helfen“ (J.W. von Goethe). Nachdenklich macht: „Ein Wohltäter hat immer etwas von einem Gläubiger“ (C.F. Hebbel). Auf der Autobahn ist leider folgendes nicht selten: „Auf einen Helfer kommen fünf Dutzend Gaffer“ (aus Italien).

► Meine Synthese zur Hilfsbereitschaft: „Hilfsbereitschaft ist für jede intakte Gesellschaft ein unabdingbare Tugend.“* Grundsätzlich gilt: „Um Almosen geben zu können, muss man nicht reich sein“ (Don Bosco). Wer nicht von innen heraus dazu bereit ist: Hilfreiches Verhalten lässt sich durchaus lernen.145 Die Hilfsbereitschaft hat Folgen: „Mein Herz freut sich, dass du so gern hilfst“ (Bibel: Psalm 13,6). Ob mit positiven oder negativen Folgen: „Hilfsbereitschaft spricht sich schnell herum“ (A. van Rheyn). Und Hilfe hat ihre Begründungen: „Unglück hat mich gelehrt, Unglücklichen Hilfe zu leisten“ (Vergil). Irgendwie erstaunlich ist: „Menschen helfen lieber dem, der ihrer Hilfe nicht bedarf, als dem, welcher sie nötig hat“ (C.F. Hebbel). Eigentlich haben wir alle Hilfe nötig:

„Wenn jeder dem anderen helfen wollte,

wäre allen geholfen“

(Marie von Ebner-Eschenbach)

Zum Nachdenken: „Wir sollten alle hilfsbereit sein, aber aufpassen, dass dabei niemand zu Schaden kommt.“* Im Einzelfall trifft Hilfe auf unterschiedliche Personen: „Dem Hungrigen ist leichter geholfen als dem Übersättigten“ (M. von Ebner-Eschenbach). Im Rahmen der Entwicklungsländer ist vielen Hungernden weniger leicht zu helfen. Das ist ein ganz schwieriges Thema! Auch sollte man nicht immer nur Hilfe von außen erwarten: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ (Deutsches Sprichwort). Und zum Schluss das sehr wahre Wort: „Wer seine Ohren verstopft vor den Schreien des Armen, der wird selbst nicht erhört werden, wenn er um Hilfe ruft“ (Bibel: Sprüche Salomos 21.13).

2.4.9 Barmherzigkeit

Die Barmherzigkeit ist die Tugend, das Leid anderer Menschen gewahr zu werden und sich seiner durch Hilfe anzunehmen. „Barmherzigkeit ist damit die Quelle der sozialen Gerechtigkeit.“ Deshalb gilt: „Gnade ist die Stütze der Gerechtigkeit“ (aus Russland). In den Religionen hat die Barmherzigkeit einen hohen Stellenwert. Im Christentum und Judentum ist sie eine herausragende Eigenschaft Gottes (z. B. 2. Mose 34, 6). Aus Barmherzigkeit rettet Gott die Menschen aus ihrer Verstrickung in ihre Schuld. Die von Gott erfahrene Barmherzigkeit wird für gläubige Menschen zur Motivation und steht in enger Verbindung zu Nächstenliebe, Menschenliebe, Hilfsbereitschaft und Humanität: „Selig sind die Barmherzigen, den sie werden Barmherzigkeit erlangen“ (Matthäus 5,7).

► Wie zeigt sich Barmherzigkeit in der Praxis? „Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt“ (Bibel: Psalm 41, 2). Für Thomas von Aquin hat die Barmherzigkeit einen besonders hohen Stellenwert: „An sich ist die Barmherzigkeit die größte der Tugenden.“ Und: „Barmherzigkeit beginnt im eigenen Haus – aber sie sollte dort nicht enden“ (Sprichwort). Interessant ist: „Großherzigkeit ist der Klugheit keine Rechenschaft über Motive schuldig“ (L. de. Vauvenargues). Die Barmherzigkeit hat Folgen: „Wer andere in Not aufrichtet, richtet sich selber auf“ (unbekannt). Auch: „Selig, die barmherzig sind, denn sie werden Erbarmen finden“ (Bibel: Matthäus 5,7). Und: „Gott wird sich niemandem erbarmen, der sich der Menschen nicht erbarmt“ (Mohammed). Auch der heutige Papst äußert sich treffend dazu: „Die Barmherzigkeit Gottes kommt von oben. Es ist an uns, als Amtsinhaber der Kirche, diese Botschaft lebendig zu halten …“ (Papst Franziskus).

► Die Barmherzigkeit wird aber auch kritisch gesehen: „Barmherzigkeit ist eine überholte und eine unzeitgemäße Tugend“ (unbekannt). Typisch: „Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem Mitleiden. Zu sehr gebricht es ihnen an Scham“(F.W. Nietzsche). Mancher hat Probleme damit: „Das Tor der Barmherzigkeit ist schwer zu öffnen und schwer zu schließen“ (aus China). Und: „Man erlaubt gern der Wohltätigkeit eine wunderliche Außenseite“ (J.W. von Goethe). Alles ist relativ: „Barmherzigkeit gegen die Wölfe ist Unrecht gegen die Schafe“ (aus Holland). Noch schlimmer: „Wenn Gnade Mörder schont, verübt sie Mord“ (W. Shakespeare). Barmherzigkeit hat Folgen: „Mitleid und Erbarmen verderben das Geschäft“ (aus Indien). Auch: „Eine allzu reichliche Gabe lockt Bettler herbei, ohne sie abzufertigen“ (J.W. von Goethe). Zu Ende gedacht: „Wird der Reiche wahrhaft barmherzig, so hört er bald auf, reich zu sein“ (L. Tolstoi).

► Was lernen wir daraus? Die Barmherzigkeit ist keinesfalls eine unzeitgemäße oder überholte Tugend.146 Als Schlüssel zum Leben ist sie in unserer Gesellschaft allerdings ein sträflich vernachlässigtes Thema.147 Wir stellen zumindest für die Christenwelt fest: „Wer andern gegenüber nicht hilfreich ist, der kann nicht sein ein guter Christ.“* In dem Apostolischen Schreiben vom 26. 11. 2013 weist Papst Franziskus insbesondere auf die Bedeutung der Barmherzigkeit hin.

Die sieben leiblichen Werte der Barmherzigkeit sind: Die Hungrigen speisen, den Dürstenden zu trinken geben, die Nackten bekleiden, die Fremden aufnehmen, die Kranken besuchen, die Gefangenen besuchen und die Toten begraben. Die sieben geistigen Werke sind: die Unwissenden lehren, den Zweifelnden recht raten, die Betrübten trösten, die Sünder zurechtweisen und die Lästigen geduldig ertragen. Denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen, für die Lebenden und die Toten beten. Ist das alles für uns Menschen zu hoch gegriffen und nicht erfüllbar? Tun wir selbst genug für andere Menschen?

„Wir sprechen zwar ernsthaft über Barmherzigkeit,

aber wir tun in unserer Bequemlichkeit zu wenig“

(Horst-Joachim Rahn)

Alle gläubigen Menschen sind zur Barmherzigkeit verpflichtet: „Liebe, Almosen, Hingabe und Geduld sind die vier Dinge, die aus einem Menschen einen Heiligen machen“ (aus Italien). So weit gehe ich allerdings nicht. Aber: „Almosen geben macht nicht arm, Stehlen nicht reich und Reichtum nicht weise“ (aus England). „Da die Barmherzigkeit eine Eigenschaft Gottes ist, ist sie in ihrer Gesamtheit für uns Menschen wohl niemals erreichbar.“*

2. 4. 10 Hoffnung

Die Hoffnung ist die Erwartungshaltung des Menschen, dass in der Zukunft etwas Wünschenswertes eintritt, ohne dass bei ihm darüber Gewissheit besteht. Es kann das Hoffen auf ein bestimmtes Ereignis oder auf einen Zustand sein, z. B. Gesundheit oder finanzielle Sicherheit. Die Hoffnung kann von Angst und Sorge begleitet sein, dass das Erwünschte nicht eintritt. In der Theologie ist die Hoffnung außer dem Glauben und der Liebe eine der drei Kardinaltugenden. Dabei ist Gott selbst die Quelle und Grundlage der christlichen Hoffnung. Wenn ausgedrückt werden soll, dass die Hoffnung nicht berechtigt ist, dann wird von der Illusion oder einem Wunschtraum gesprochen. Ihr Gegenteil ist die Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit bzw. Resignation. Hoffnung ist auch ein philosophisches Prinzip.148 Was ist Hoffnung?

▪ „Die Hoffnung ist eine Anleihe auf das Glück“ (J. Joubert).

▪ „Hoffnung ist die Verquickung von Wunsch und Erwartung“ (A. Bierce).

▪ „Hoffnung ist eine Flamme, die ständig flackert, aber nie erlischt“ (aus Ungarn).

Und zum Schluss: „Hoffnungen sind die Wünsche an die Zukunft“ (P.O. Pirron). Das Gegenteil ist ein Leben ohne Hoffnung: „Hoffnungslosigkeit ist schon die vorweggenommene Niederlage“ (K. Jaspers).

 

► Pro-Argumente zur Hoffnung: „Hoffnungen sind Schwerkräfte, die uns nach oben ziehen“ (E. Ferstl). B. Stramke sagt es so: „Die Hoffnung ist das Ausbringen von Saat auf kargem Boden.“ Insbesondere gilt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ (Sprichwort). Wir sollten die Hoffnung nie zu schnell aufgeben: „Die Hoffnung stirbt erst, wenn man sie aufgibt“ (J. Weger). Vor allem gilt grundsätzlich: „Der Lebende soll hoffen“ (J.W. von Goethe). Denn: „Hoffnung ist der Anker der Welt“ (Weisheit der Bantu). Hoffnung bezieht sich vor allem auf die Zukunft: „Hoffnung auf einen kommenden, besseren Tag lässt Unglück leichter ertragen“ (B. Ramlow). Denn: „Was wäre ein Leben ohne Hoffnung“ (J.C.F. Hölderlin). Es gibt auch heute noch Menschen, die sich für das Schicksal interessieren und anderen Hoffnung machen: „Die größten Menschen sind jene, die anderen Hoffnung geben können“ (J. Jaurès). Zwei kluge Köpfe äußern sich ebenfalls dazu: „Wer nichts waget, der darf nichts hoffen (F. von Schiller). Und zum Schluss: „Die Hoffnung hilft uns leben“ (J.W. von Goethe).

► Dazu gibt es contra-Argumente: Wenn die Hoffnungen nicht immer erfüllt werden, gibt es negative Folgen: „Hoffnung ist der erste Schritt auf der Straße der Enttäuschung“ (Sprichwort). Und: „Hoffnung macht mehr Betrogene als Schlauheit“ (Vauvenargues). Im schlimmsten Falle gilt: „Hoffnung ist das Winseln um Gnade“ (H. Krausser). Sie kann uns auch in die Irre führen: „Hoffnung macht blind“ (St. Radulian). Oder: „Hoffnung ist der krankhafte Glaube an das Unmögliche“ (H.L. Mencken). Manchmal bringt die Hoffnung viel verschwendete Zeit: „Hoffnung bedeutet ausharren, aber nicht erfüllen“ (K. Peltzer). Ähnlich wirkungsarm: „Hoffnung ist oft ein Jagdhund ohne Spur“ (W. Shakespeare).

► Conclusio zur Hoffnung: Der kranke Friedrich Hölderlin fragte: „Was wären wir Menschen ohne Hoffnung?“ Seine tiefgründigen Gedichte bildeten einen Höhepunkt der deutschen Lyrik. Wir Menschen brauchen die Hoffnung, vor allem, wenn uns die Erfüllung eines Vorgangs oder das Eintreten eines Ereignisses wichtig ist. Vor allem kranke und einsame Menschen brauchen Zuwendung und Hoffnung.149 Und es gilt weltweit auch folgende traurige Feststellung: „Hoffnung ist das Brot der Armen“ (Thales von Milet). Und: „Der Traum macht die Welt der Armen reich“ (E.R. Hauschka). Nietzsche meint dazu: „Die Hoffnung ist der Regenbogen über dem herabstürzen Bach des Lebens.“ Und Francis Bacon sagt dazu: „Die Hoffnung ist ein gutes Frühstück, aber ein schlechtes Abendbrot.“ Über den Tag hinaus gedacht: „Die kurze Lebenszeit verbietet, eine lange Hoffnung zu beginnen“ (Horaz). „Im Leben kommt vieles anders als man denkt, aber die Hoffnung sollte man vor allem dort nicht aufgeben, wo zumindest noch kleine Chancen bestehen.“*

E. Kant fragte: „Was dürfen wir hoffen?“ Antwort: „Träume deine Träume, aber erwarte nicht, dass sie in Erfüllung gehen“ (P.O. Pirron). „Für den Fall, dass die Hoffnungen nicht erfüllt werden, sollten wir nicht resignieren, sondern nach neuen Wegen suchen.“* „Es wär’ so schön gewesen, es hat nicht sollen sein“ (J.V. von Scheffel). Zu beachten ist auch: „Wer nichts erwartet, wird nie enttäuscht“ (U. Erckenbrecht). Ein guter Rat eines klugen Menschen ist hier hilfreich:

„Drei Dinge helfen, die Mühseligkeit des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen“

(Emmanuel Kant)

„Manchmal treibt uns die Hoffnung auch an.“* Eine Hoffnung kann sein: „Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her“ (Sprichwort). „Die Hoffnung, so trügerisch sie ist, dient wenigstens dazu, uns auf angenehmem Weg an das Ende des Lebens zu führen“ (La Rochefoucauld). Und es gilt auch: „Wenn eine über lange Zeit gehegte Hoffnung plötzlich vom Erfolg umarmt wird, dann ist das die größte Befriedigung auf dieser Welt.“* „Fast die Hälfte seines Lebens hofft der Mensch beinah vergebens. Würd’ die Hoffnung gänzlich fehlen, wär’s ein hoffnungsloses Leben.“ (H. Fleitmann). Und Jim Henson meint zum Schluss: „Ich hoffe immer noch, dass ich die Welt ein wenig besser verlasse, als ich sie vorgefunden habe.“