Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

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2.6.4 Leidenschaft

Die Leidenschaft ist ein starker Antrieb, der als übermäßiges Begehren das Fühlen und Handeln eines Menschen unabhängig von seiner Vernunft bestimmt. Sie umfasst beispielsweise Formen der Liebe – wie z. B. sexuelle Leidenschaft206 – und des Hasses. „Hass ist der Bumerang unter den Gefühlen“ (L. Peppel). In der Antike war die Beherrschung der Leidenschaft ein ganz besonderes Lebensziel. „Leidenschaften finden sich z. B. bei Liebenden, Musikern (R. Wagner: „Die Musik ist die Sprache der Leidenschaft“), Sammlern, Kunstliebhabern, Fußballfans und bei Tierfreunden: „Motivation ist der Zündschlüssel zum Erfolg. Leidenschaft ist der beste Treibstoff“ (K. Karius). Einstein sieht die Leidenschaft bescheiden im Sinne der wissenschaftlichen Neugier: „Ich habe keine besondere Begabung, sondern ich bin nur leidenschaftlich neugierig.“ Deshalb: „Den Leidenschaften verdanken die Wissenschaften und Künste ihre Entdeckungen“ (C.A. Helvetius). Auch Leidenschaften sind dialektisch betrachtbar: „Leidenschaften sind Fahrstühle zwischen Himmel und Hölle“ (A. Tenzer). Das bedeutet: Leidenschaften können zum Glück führen, aber auch sehr leidvoll sein: *207

► Leidenschaften können einen Menschen glücklich machen: „Ohne Leidenschaft gibt es keine Genialität“ (T. Mommsen). Oder anders ausgedrückt: „Was man aber gern macht, macht man gut“ (P. Mulfort). N. Chamfort bezieht die Vernunft mit ein: „Durch die Leidenschaften lebt der Mensch; durch die Vernunft existiert er bloß.“ Folgender Vergleich mit der Tierwelt ist möglich: „Wenn alte Gäule in Gang kommen, sind sie nicht mehr zu halten“ (Ch. Lehmann). Ähnlich dynamisch argumentiert L. Hirn: „Es gibt keinen Gipfel, den die Leidenschaft nicht erstürmen kann.“ Unterschiedliche Menschentypen interpretieren den Sinn der Leidenschaft abweichend: „König ist nur, wer seine eigenen Leidenschaften beherrscht“ (Sokrates). Andererseits: „Die einzige Möglichkeit, eine Versuchung zu überwinden ist, sich ihr hinzugeben“ (O. Wilde). Begründung: „Die Natur ist stärker als die Vorsätze“ (Th. Fontane). In eine ähnliche Richtung geht La Rochefoucauld: „Unter allen Leidenschaften steht den Frauen die Liebe noch am besten.“ Allerdings: „Es sind nicht die schönsten Frauen, die die großen Leidenschaften erregen“ (aus Frankreich). Zum Schluss der wahre Satz: „Packe die Menschen bei ihren Leidenschaften und dazu kann’st sie nehmen, wohin du willst“ (aus Frankreich).

► „Die Leidenschaft hat aber auch eine negative Seite, je nachdem wie sich ein Mensch verhält bzw. welche Erfahrungen er mit ihr macht.“* Die Folgen können ganz unterschiedlich sein, wie kluge Köpfe wissen:

▪ „Alle Leidenschaft führt zu Fehltritten“ (H. de Balzac).

▪ „Es reißt einen jeden seine Leidenschaft hin“ (Vergil).

▪ „Vernunft kennt Gnade, Leidenschaft nicht“ (St. Radulian).

▪ „Leidenschaft verleidet dazu, im Kreis zu denken“ (O. Wilde).

▪ „Die Anwendungen der Leidenschaft sind das Glatteis der Klugheit“ (W. Busch).

▪ „Leidenschaften misshandeln die Lebenskraft“ (F. von Schiller).

▪ „Ein aus Leidenschaft Verlorener ist blinder als ein Bildgeborener“ (J. Jacoby).

▪ „Nichts verdunkelt unsere Erkenntnis mehr als Leidenschaften“ (G.E. Lessing).

▪ „Die gefährlichsten Taschendiebe sind unsere Liebhabereien“ (P. Sirius).

► Wir lernen daraus: „Die Fähigkeit zur Leidenschaft ist sowohl grausam als auch göttlich“ (G. Sand). Hinzu kommt: „Einerseits sind Menschen ohne Leidenschaft langweilig und öde. Andererseits können überzogene Leidenschaften zur Hölle werden.“* „Leidenschaft macht häufig einen fähigen Mann zum Dummkopf, aber auch die Dümmsten fähig“ (La Rochefoucauld). Hölderlin sieht das ganz anders: „Es ist nichts so klein und wenig, woran man sich nicht begeistern könnte.“ Der preußische General von Scharnhorst betont den militärischen Aspekt: „Die Gewalt von Leidenschaften lässt sich ohne Hilfe der Gesetze nicht beschränken.“ Dazu der Rat: „Züchtige deine Leidenschaften, damit du nicht von ihnen gezüchtigt wirst“ (Epiktet). Wie lassen sich überzogene Leidenschaften bekämpfen? „Man heilt die Leidenschaften nicht durch den Verstand, sondern durch andere Leidenschaften“ (C.L. Börne). J.W. von Goethe rät: „Fang heute an, kühn zu handeln! Im Moment, wo du dich einer Sache wirklich verschreibst, rückt der Himmel in deine Reichweite.“ „Hinsichtlich des Ergebnisses kommt es immer darauf an, in welcher Art und Weise die Leidenschaft gelebt wird.“*

2.6.5 Ehrgeiz

Ehrgeiz ist das Streben des Menschen, andere an Geltung, Ehre oder Macht zu übertreffen. Ein normaler Ehrgeiz ist meistens mit einem Bedürfnis nach Anerkennung verbunden und wird als Antrieb in pädagogischer Sicht überwiegend positiv beurteilt. Es gibt aber auch den krankhaften Ehrgeiz: „In gruppenpsychologischer Sicht sind Ehrgeizlinge Streber, die mit ihrem extremen Ehrgeiz der Gruppe schaden können.“* „Das große Wunschpotenzial des Ehrgeizlings ist seine Karriere.“* Dazu passt die Feststellung: „Karriere: Der Ehrgeiz auf der Leiter“ (M. Hinrich). Oder anders gesehen: „Ehrgeiz ist die Unbescheidenheit des Geistes“ (W. Davenant). Wenn die Hierarchie neue Möglichkeiten des Aufstiegs eröffnet, dann strebt er sein Weiterkommen mit oft nicht mehr vertretbaren Mitteln an. Er neigt auch zum Perfektionismus. Der Ehrgeizling merkt mitunter nicht mehr, dass sein Verhalten im Team als abstoßend empfunden wird.208 Auch Ehrgeiz hat zwei Seiten.

► Ein normaler Ehrgeiz gehört als Triebkraft209 zum Leben: „Wer aufhört, besser werden zu wollen, hört auf, gut zu sein“ (M. von Ebner-Eschenbach). Aber Achtung: „Nur Ehrgeiz, durch den keine Eitelkeit schimmert, hat Zukunft“ (S. Prudhomme). Wir wissen: „Ehrgeiz kann man nicht trainieren“ (E. Zabel). Er muss dem Menschen gegeben sein. Und zum Nachdenken: „Chancen kennen keine Regeln“ (C.K. Rath). Den ehrgeizigen Menschen erkennt man relativ schnell: „Ehrgeiz kann sich nicht verbergen“ (Deutsches Sprichwort). Es gibt nach W. Shakespeare auch einen Bezug des Ehrgeizes zum Stolz: „Stolz ging voraus, der Ehrgeiz folgt ihm nach.“ Auch mit Sieg und Niederlage wird der Ehrgeiz konfrontiert: „Eine Niederlage, die deinen Ehrgeiz weckt, nutzt dir mehr als ein Sieg, der dich überheblich macht“ (K.H. Karius).

► Demgegenüber ist krankhafter Ehrgeiz dem Menschen abträglich: „Eifersucht, Wollust und Ehrgeiz richten den Menschen zugrunde“ (Talmud). Und: „Das schändlichste Laster ist der Ehrgeiz“ (M. Luther). Der Ehrgeizling geht voran und versucht mitunter, mit Ellenbogen sein Ziel zu erreichen: „Ehrgeiz schaut nicht zurück“ (B. Jonson). Das Geltungsbedürfnis des Ehrgeizlings beflügelt ihn: „Geltungssucht treibt den Ehrgeiz auf den höchsten Gipfel (M.M. Jung). Ähnlich sieht es B. de Spinoza: „Ehrgeiz ist unmäßige Begierde nach Ehre.“ Mitunter entsteht er auch durch Niederlagen: „Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Misserfolgs“ (O. Wilde). Er hat auch etwas mit Misstrauen bzw. mit Neid zu tun: „Die Ehrgeizigen haben mehr Neigung zum Neid, als die, welche vom Ehrgeiz frei sind“ (Aristoteles). Und: „Heftigen Ehrgeiz und Misstrauen habe ich noch allemal beisammen gesehen“ (G.C. Lichtenberg). Die Folgen des Ehrgeizes sind offensichtlich: „Ach, du unseliger Ehrgeiz, er ist ein Gift für alle Freuden“ (H. von Kleist). Krankhafter Ehrgeiz kann sogar zu Burnout-Falle werden: Mit einem Selbsterforschungsfragebogen lässt sich die Ausprägung des persönliche Ehrgeizes ermitteln.210 Manche Menschen haben zu wenig Ehrgeiz, trauen sich zu wenig zu und scheitern im Leben. Sie sollten beachten: „Wenn du meinst zu klein zu sein, um etwas zu bewegen, dann hattest du noch nie eine Mücke im Bett“ (aus Indien).

► Wie bewerten wir den Ehrgeiz? „Wer alle seine Ziele erreicht hat, hat sie sich als zu niedrig ausgewählt“ (H. von Karajan). „Ganz ohne Ehrgeiz schaffen wir das Leben nicht.“* Welcher Mensch ist eher anfällig für den Ehrgeiz? „Der Ehrgeiz befällt kleine Seelen leichter als große, wie Strohhütten leichter Feuer fangen als Paläste“ (N. Chamfort). Auch gilt: „Wer Großes versucht, ist bewundernswert, auch wenn er fällt“ (Seneca). Und: Ehrgeiz ja, aber nicht um jeden Preis: „Profilneurose kann eine schlimme Krankheit sein“ (H. Lahm).

„Mit falschem Ehrgeiz lässt sich das Schicksal auf die Dauer nicht befriedigen“

(W. Vogel)

Krankhafter Ehrgeiz ist vor allem für Kleingeister schädlich: „Das schlimmste Übel ist, wenn das Schicksal einem mit geringem Talent und großem Ehrgeiz ausstattet“ (L. de Vauvenargues). „Man sollte Ehrgeiz besitzen, ohne von ihm besessen zu sein“ (J. Huston). „Es scheint, dass der Ehrgeiz immer erst dort beginnt, wo er enden wollte“ (E. Wertheimer). „Die Freude beginnt dort, wo der Ehrgeiz endet“ (aus England). Vor allem gilt: „Wenn man glücklich ist, soll man nicht noch glücklicher sein wollen“ (Th. Fontane). Und zum Schluss: „Wer sich selbst erhöht, wird von Gott erniedrigt werden, wer sich gering achtet, wird erhöht werden“ (Bibel: Matthäus 23,12).

2.7 Verhalten des Menschen

Das Verhalten ist die äußerlich beobachtbare und entsprechend beschreibbare Aktivität des Menschen211 und steht im Gegensatz zu dessen innerer Haltung, zu dessen innerem Antrieb oder zu dessen Gesinnung. Es ist außer dem Erleben ein Betrachtungsgegenstand der Verhaltensforschung bzw. der Psychologie. Nach Kurt Lewin ist das Verhalten eine Funktion von Anlage und Umwelt des Menschen.212 Es zeigt sich z. B. im Lachen, Weinen, Rennen, Schlagen, Sprechen, Bewegen und Berühren. Übrigens: „Wenn zwei das Gleiche tun, so ist das nicht dasselbe“ (Terenz). Und für die Menschenführung gilt: „Das beobachtbare Verhalten einer Führungskraft äußert sich in ihrem Führungs- bzw. Erziehungsstil.“*213 Das Verhalten ist auch durch Introspektion feststellbar (In-sich-selbst-Hineinsehen), das sich aus Neugier, Angst und Begierden ergibt und zu bestimmten Reaktionen führt, z. B. zu gestörtem, auffälligen Verhalten. Wir können in dialektischer Sicht positives und negatives Verhalten unterscheiden.

 

► Thesen: Als Grundsatz positiven Handelns kann man – ähnlich wie es der kategorische Imperativ von E. Kant aufzeigt – folgendes Anliegen sehen: „Man muss den Nächsten so behandeln, wie man von ihm behandelt sein will“ (A. Nobel). Oder frech gesagt: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg doch einfach andern zu“ (Graffito). Auch gilt: „Das menschlichste Verhalten ist immer noch, Mensch für einen anderen Menschen zu sein“ (G. Kropp).

Von Christen wird ein besonders positives Verhalten erwartet: „Die wahre Religiosität zeigt sich im gesamten Verhalten des Menschen“ (Kaiser Wilhelm I.). Vor allem für den Christen ist jeder Mensch zu respektieren. Aber: „Der Glaube allein ist kein Garant für heilsames Verhalten“ (Dalai Lama). Vor allem ist das keine Frage der Bildung: „Die Bildung eines Menschen zeigt sich am deutlichsten in seinem Verhalten gegenüber Ungebildeten“ (P. Sirius). Und: „Wenn du ein großer Mensch werden willst, verhalte dich wie einer“ (Sprichwort). Was zeigt am besten den Charakter eines Mannes? „Nichts zeigt besser den Charakter eines Mannes als die Art und Weise, wie er sich den Frauen gegenüber verhält“ (Voltaire). Auch: „Wer das Verhalten eines Menschen einschätzen möchte, sollte sein Auftreten gegenüber Kindern prüfen: „Es gibt kaum ein besseres Erkennungszeichen für Menschen, als ihr Verhalten zu Kindern“ (H. Lhotzky). Vor allen für Kinder gilt: „Nichts fällt so sehr auf, wie das, was man verbergen will“ (A. Jarosch). Wie wird man erwachsen? „Erwachsen wird man nicht dadurch, dass man wie ein Erwachsener aussieht, sondern dadurch, dass man sich wie einer verhält (J. Seifert). Und: „Erwachsen wird man, wenn man damit aufhört, sich für den Nabel der Welt zu halten (A. Rahn).“

► Antithesen: Bei dem Streben nach positivem Verhalten sollten wir aber nicht vergessen: „Gute Absichten entschuldigen nicht böses Verhalten“ (Sprichwort). „Leider gibt es in unserer Welt viel zu viel Böses.“* Das gilt nicht nur für den Morast in unserer Gesellschaft ganz unten: „In je höhere Kreise man kommt, umso affiger verhalten sich die Leute“ (S. Latzel). Dazu passt: „Ihre Einbildung beeinflusst das Verhalten viel stärker als ihre Ausbildung (Querulix). Und zum Schluss: „Die Argumente, mit denen wir unser Verhalten rechtfertigen, sind normalerweise dümmer als unser Verhalten selbst (N.G. Davila).

► Synthese: „Jeder hat seine Gründe für sein Verhalten“ (Voltaire). Auch gilt: „Unsere Aufgabe in dieser Welt ist es nicht, alle Dinge zu wissen, wohl aber diejenigen, die unser Verhalten betreffen“ (J. Locke). Und G. Uhlenbruck ergänzt: „Nicht jeder, der tut, was er kann, kann, was er tut.“ „Das Verhalten eines Menschen ist auch von seiner Bildung abhängig. Menschen, welche primär durch die Naturwissenschaften geprägt sind, verhalten sich anders als solche, die eine geisteswissenschaftliche Basis haben.“* „Nicht wenige Naturwissenschaftler haben Probleme mit der Menschenführung; viele primär geisteswissenschaftlich geprägte Menschen haben zu wenig Ahnung von Physik und Chemie.“* Aber: „Das Verhalten wird nicht von Bedingungen diktiert, die der Mensch antrifft, sondern von Entscheidungen, die er selber trifft“ (V.E. Frankl).

Manchmal müssen wir unser Verhalten ändern: „Es ist äußere Wachsamkeit und Aufmerksamkeit, die es uns ermöglicht, unser Verhalten zu ändern“ (K. Rinpoche). Und: „Menschliches Verhalten ist in der Regel ein gutes Erkennungszeichen.“* Aber: „Man kann es nicht allen Leuten recht machen“ (J. de la Fontaine). Wer beispielsweise mit seinem Finger argwöhnisch auf einen anderen Menschen zeigt, sollte er folgendes nicht ignorieren: „Der Fingerzeig ist eine Stichwaffe“ (A.M. Meneghin). Auch: „Wer mit dem Zeigefinger auf andere Leute zeigt, der zeigt mit drei Fingern auf sich selbst“ (G. Heinemann). Abschließend: „Mit voreiligen Beschuldigungen sollten wir sowieso vorsichtig sein.“* „Achtsam müssen wird dann sein, wenn man uns hereinlegen will. Unser Verhalten sollte nicht aus dem Misstrauen heraus erfolgen, aber auch nicht aus Blauäugigkeit.“*

„Gegen Schurken ist Schurkerei keine unbrauchbare Waffe“

(Epicharmos)

„Jedes Verhalten wird allein durch die Absicht gut oder böse“ (G. Beck). Und wir sollten niemals vergessen: „Alles, was wir tun, hat eine Folge“ (J.P. Eckermann): „Das Böse bringt negatives Verhalten und das Gute positives Verhalten mit sich. Anstrebenswert ist, dass man nach dem Guten bzw. nach Zufriedenheit strebt, geradlinig handelt und auch im Erfolg immer auf dem Boden bleibt.“*

2.7.1 Aggression

Eine Aggression ist ein affektbedingtes Angriffsverhalten des Menschen gegen Mitmenschen, Tiere, Organismen oder Gegenstände. Sie geschieht in vielen Fällen in der Absicht, anderen Menschen zu schaden, z. B. als verbale Diffamierung, Ausgrenzung oder als tätlicher Angriff, z. B. in Form von Gewalt. Sie dient der Durchsetzung eigener Interessen, z. B. im Alltag, aber auch sehr häufig im Sport. Beispielsweise im heutigen Spitzenfußball werden Aggressionen zum Teil in nicht mehr vertretbarer Weise ausgelebt, wie die langen Verletztenlisten belegen. Dagegen tut aber niemand etwas, vor allem nicht die Schiedsrichter. Hauptmotivation für die Aggressionen manchen Spieler ist wohl das viele Geld, das im Spitzenfußball verdient wird.

Aggression hat viele Ursachen. Sie kann auch eine Reaktion auf die Bedrohung der eigenen Machtsphäre sein. Zum Teil ist sie auf Frustrationen oder auch auf milieubedingte Verhaltensprägungen zurückzuführen, z. B. auch auf Alkoholeinfluss. Bei Tieren ist die Angriffsbereitschaft gegen Rivalen weit verbreitet, z. B. im direkten Wettbewerb um Ressourcen, um Nahrungsaufnahme oder wenn es um die Fortpflanzung geht. Aggressionen können auch mit Angriffshandlungen eines Staates gegen einen andern Staat verbunden sein. Die Bewertung von Aggression ist heute sehr unterschiedlich, zum Teil sogar ärgerlich.

► Nach Meinung des dänischen Therapeuten Juul kann Aggression nach durchaus konstruktiv sein:214Aggressionen bei Kindern sind normal. Seine Meinung: „Kinder sind, Opfer’! Eltern als, Rabauken’!“ Die Wut des Kindes ist zu respektieren. Aggressionen bei Kindern dürfen nicht unterdrückt werden! Unterdrückte Wut macht krank!“ Und er geht noch weiter: „Die Gewalt der Freundlichkeit kann mehr Schaden anrichten als ein Wutausbruch“ (J. Juul).

Der deutsche Aphoristiker P. Rudi sagt es vorsichtiger: „Leidenschaft ist der besser Teil der Aggression und mitunter ihre „bessere Hälfte.“ Wir müssen uns manchmal nicht wundern: „Wo keine Gerechtigkeit herrscht, da entsteht mit der Zeit Aggression“ (O. Demir). Denn: „Wenn wir Angst haben, werden wir gewalttätig“ (J. Krishnamurti).

► Mit der obigen Argumentation von Juul bin ich zum großen Teil nicht einverstanden. Eltern als Rabauken zu bezeichnen ist eine Unverschämtheit. Viele Kinder werden aber falsch erzogen, weil die Eltern zu viel durchgehen lassen und in ihrer Erziehung nicht konsequent sind. Ich fordere seit Jahren, dass wir für eine bessere und konsequentere Erziehung kämpfen müssen.215 Denn viele Eltern wissen nicht mehr, was es heißt, Eltern zu sein.216 Nicht die totale Selbstverwirklichung und das Ausleben der Kinder kann das Ziel sein, sondern konsequente Erziehung zu Nächstenliebe, Fleiß und Disziplin. Konservative Werte werden heute zum Teil mit Füßen getreten. Statt Pflichterfüllung werden nur die Rechte wahrgenommen. Wir müssen uns also nicht wundern, wenn sich aus unseren Kindern zum Teil kleine Tyrannen herausbilden.217

Auch für Erwachsene gilt: „Aggressives Verhalten macht Menschen krank und ist nicht zu tolerieren, sondern zu bekämpfen!“* Frechheiten, Rotznasigkeiten und Respektlosigkeiten müssen nicht sein: „Respektlosigkeit ist der erste Schritt in Richtung Revolte“ (F.F. Kovacs). Und: „Aggressive Worte tun anderen Menschen weh und verletzten sie“ (K. Rinpoche). „Aggressive Menschen befinden sich vor allem im Krieg mit sich selbst“ (R. Schützbach). Deshalb brauchen sie gute psychologische Betreuung. Überraschend ist die Spannbreite der Aggression bei P. Rudi: „Aggression ist eine beunruhigende Dimension, die vom skrupellosen Massenmord bis zuweilen gutem Sex reicht.“ Zum Schluss: „Jede Aggression sucht sich zu rechtfertigen. Angefangen hat doch immer der andere“ (F. Hacker).

► Was lernen wir daraus? Bevor wir über Menschen negativ urteilen, sollten wir immer prüfen, warum jemand aggressiv ist. So sieht es auch Autor Juul. Außerdem sollten wir genauer zwischen Aggressionen bei Kindern bzw. Pubertierenden und bei Erwachsenen unterscheiden. Aggressionen sind bei Kindern nicht zu verhindern, z. B. toben, spucken, kratzen, beißen und schlagen. „Wer Kindern aber locker zugesteht, ihre Wut massiv an Anderen auszulassen, lässt den Ungehorsam galoppieren.“* Hier muss gegengesteuert werden: Zuerst sollte man das Kind beruhigen und dem Kind pädagogisch verdeutlichen, dass klare Grenzen zu beachten sind. „Wer sich als Kind voll ausleben kann und die Beherrschung nicht rechtzeitig lernt, wird später bei der Eingliederung in die Erwachsenenwelt und den Arbeitsprozess große Probleme bekommen.“* „Die Erziehungskatastrophe trifft dann aber keinen der Erzieher, sondern die ehemaligen Kinder.“*

Weil es im Spitzenfußball zu viele Fouls gibt, sagte der geachtete Weltmeister Paul Breitner218: „Ich behaupte, wir müssen den Jugendlichen lehren, foul zu spielen.“ Das unterstütze ich überhaupt nicht. „Gute Erziehung ist wichtiger als ein Fußballspiel zu gewinnen.“* Hier beziehe ich mich gern auf das Vorbild M. Ghandi, der sagte: „Ich glaube an die Gewaltlosigkeit als einziges Heilmittel.“ Es gibt nämlich keine „sinnvolle“ Aggression. Auch dem Ausleben von Aggressionen bei Erwachsenen sollte man entgegentreten. „Wer Aggression toleriert oder gar sät, wird weitere Aggression ernten.“* Im Umgang mit aggressiven Menschen heißt es Ruhe bewahren und sich nicht provozieren lassen. Dabei Aggressivität nicht ignorieren, sondern die weiteren Folgen dieses Verhaltens aufzeigen. Die Erklärung für Aggressionen liegt in den Wurzeln: „Es ist ein Unterschied, ob man von Kindheit an lernt, die Hände zu falten oder sie zur Faust zu ballen“ (H. Walters). Der griechische Philosoph Platon sagte treffend: „Wenn die Guten nicht kämpfen, werden die Schlechten siegen.“ Also kämpfen wir weiter für das Gute.