Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

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2. 4. 11 Geduld

Geduld ist die Fähigkeit eines Menschen, ruhig und beherrscht unangenehme oder lange andauernde Gegebenheiten zu ertragen.150 Hier muss der Mensch in der Lage sein, zu warten und Ausdauer zu zeigen. Der Engländer sagt dazu locker: „Abwarten und Tee trinken.“ Geduldig ist ebenfalls, wer Schwierigkeiten und Leiden mit Gelassenheit, Standhaftigkeit und Sanftheit ertragen kann. Dazu gehört: „Sanftmut macht sich unsichtbar“ (S. Kirkegaard). Auch in der Bibel und im Koran wird die Geduld als Tugend an verschiedenen Stellen angesprochen. Das Gegenteil der Geduld ist die Eile bzw. die Hast: „Ungeduldig sucht sie zu beschleunigen, was eigentlich seine Zeit braucht“ (J. Dahl).

► Es gibt viele Thesen zur Geduld: „Geduld ist die Tugend der Glücklichen“ (B. de Spinoza). Glücklich sind vor allem Liebende: „Geduld und Liebe überwinden alles“ (Th. Storm). Grundsätzlich gilt: „Geduld ist die Kunst zu hoffen“ (Vauvenargues). Und es gilt auch hier: „Gut Ding will Weile haben“ (Ovid). Mit Bezug zur Natur heißt das: „Wenn man lange genug wartet, wird das schönste Wetter“ (aus Japan). Oder: „Geduld ist ein Baum, dessen Wurzeln bitter, dessen Früchte aber sehr süß sind“ (aus Persien). Tiefgründig ausgedrückt: „Die Geduld ist der Schlüssel zur Freude und zur Zufriedenheit“ (Sprichwort). Zur Abrundung der Bezug zur Hoffnung: „Geduld ist das Ausdauertraining für die Hoffnung“ (G. Uhlenbruck).

► Es gibt auch Antithesen zur Geduld: „Geduld ist eine Qual“ (P.E. Schumacher). Vor allem für hektische bzw. gehetzte Menschen gilt: „Geduld? Dafür habe ich keine Zeit!“ (unbekannt). Deshalb sollten wir beherzigen: „Wer die Geduld verliert, ist schon halb verloren“ (aus China). Mit Bezug zur Natur: „Der Ungeduldige fährt sein Heu nass ein“ (W. Busch). Merke dazu: „Wir sollten immer die Folgen unseres Verhaltens bedenken.“* Vor allem: „Durchschneide nicht, was du lösen kannst“ (J. Joubert). Auch wer sehr krank ist, hadert mit der Geduld: „Ungeduld begleitet wahre Leiden“ (W. Shakespeare).

Der französische Philosoph Blaise Pascal151 ist als sehr geduldiger Mensch bekannt. Er hatte sich über eine Jahr lang dem Thema Nächstenliebe gewidmet. Ein besonders schwieriger Fall war der 80-jährige Fignon, der seit Menschengedenken darniederlag und noch immer nicht sterben konnte. Pascal setzt sich zu ihm ans Bett, wobei der alte Fignon ihn immer wieder aufs Neue dazu nötigte, den Vorhand auf und zuzuziehen, weil ihn das Licht störte. Auch ansonsten war der 80-Jährige etwas ungehalten und provozierte den Philosophen ständig. Pascal versuchte ihn zu beruhigen, indem er ihm geduldig einige seiner philosophischen Beiträge über den Menschen vortrug. „Aufhören!“ brüllte der Alte. „Bring mir Wein, denn dieses Gestammel ist nur mit Wein zu ertragen!“ Und er setzte noch etwas drauf: „Du bist nicht nur ein miserabler Krankenpfleger, sondern auch ein hundserbärmlicher Schriftsteller …“ schimpfte der Alte. Den ansonsten ruhigen Pascal packte plötzlich der Zorn und er holte von der Anrichte eine Karaffe Wasser und schüttete sie über dem verdutzten Alten aus. Dieser sagte: „Ich kann dir gar nicht sagen wie froh ich bin. Endlich habe ich dich einmal zornig gesehen; jetzt aber weiß ich, dass du ein Mensch bist wie wir alle …!“ Dazu passend:

„Geduld ist die Eigenschaft, die am dringendsten benötigt wird, wenn man sie verloren hat“

(Caray Mac Williams)

► Zusammenfassend stellen wir fest: „Zuweilen hat auch der Geduldigste gar keine Geduld mehr.“* Trotzdem: „Geduld ist oftmals der einzige Weg zum Erfolg“ (M. Meurer). Aber sei nicht ungeduldig: „Man kann nicht Apfelbäume pflanzen und schon im nächsten Jahr die Früchte ernten“ (B. Beitz). Auch gilt: „Geduld ist aller Schmerzen Arznei“ (P. Sirius). Aus Frankreich stammt ein Sprichwort, das ebenfalls zur Arznei Stellung bezieht: „Geduld ist die beste Arznei im Unglück.“ Geduld braucht man fast immer: „Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern“ (Konfuzius). Auch beim Schreiben von Büchern ist Geduld nötig: „Nicht Kunst und Wissenschaft allein, Geduld will bei dem Werke sein“ (J.W. von Goethe). Geduld lässt sich durchaus lernen. „Die Geduld bleibt in unserer hektischen Zeit aber nicht selten auf der Strecke. So es für uns nicht immer einfach, geduldig und gelassen zu bleiben.“* Was heißt es denn gelassen zu sein? Ruhe und Ordnung im Kopf haben, Akzeptanz für Unabänderlichkeiten zeigen, maßvollen Umgang mit sich und anderen pflegen bzw. angemessenes Benehmen zeigen.152

Wie soll man mit Trotz umgehen? „Den trotzigsten Sinn weiß Sanftmut nur zu heilen“ (Phädrus). Während in unserer Gesellschaft heute vieles relativ schnell bereitgestellt werden kann, ist der Geduldsfaden äußerst dünn gesponnen. Deshalb sollten wir uns viel mehr bewusst machen, wenn uns der Geduldsfaden mitunter reißt. Vor allem sollten wir daraus lernen. Gegen Ungeduld kann viel getan werden.153 Dabei sind manche Denkmuster zu ändern: Wir sollten beispielsweise versuchen, eventuelle Wartezeiten sinnvoll zu nutzen. Auch regelmäßige Übungen zur Entspannung (z. B. Yoga, Autogenes Training) können helfen, geduldiger zu werden. Gelassenheit lässt sich für uns Menschen auch trainieren. Und zum Schluss: „Ich lerne es täglich, lerne es unter Schmerzen, denen ich dankbar bin: Geduld ist alles“ (R.M. Rilke).

2. 4. 12 Fleiß

Der Fleiß ist als strebsames Verhalten eine Tugend des Menschen, die mit Zielstrebigkeit, Eifer, Arbeitsamkeit und Beharrlichkeit verbunden ist.154 In wissenschaftlicher Sicht ist er ein wesentlicher Erfolgsfaktor. „Der Preis des Erfolgs ist Hingabe, harte Arbeit und unablässiger Einsatz für das, was man erreichen will“ (F.L. Wright). In abwertender Sicht wird der Fleiß – mitunter gegen die Intelligenz „ausgespielt.“ Die Arbeitsamkeit wird dann nicht selten als „Angepasstheit“ abgewertet, weil es angenehmer erscheint, weniger zu arbeiten und „clever“ sein Geld zu verdienen. „Für mich steht Fleiß im Verhältnis zur Cleverness wie Arbeit zu Schwarzarbeit.“* Das Gegenteil von Fleiß ist Faulheit. „Zur Faulheit wird man geboren, zum Fleiß erzogen“ (E. Ellinger).

► Was spricht für den Fleiß? „Ohne Fleiß kein Preis“ (Sprichwort). Und: „Das Beste findet sich dort, wo sich Fleiß und Begabung verbindet“ (J. Kepler). Meine volle Unterstützung hat der folgende Spruch: „Der Fleiß bringt heimlichen Segen, wenn du arbeitest mit Lust“ (Hebbel). Folge: „Umso härter ich arbeite, umso glücklicher werde ich“ (S. Goldwyn). Auch: „Fleiß ist aller Tugenden Anfang“ (Friedrich der Große). Napoléon Bonaparte geht sogar so weit, dass er behauptet: „Genie ist Fleiß.“ Dazu passt: „Geniale Menschen beginnen große Werke, fleißige Menschen vollenden sie“ (Leonardo da Vinci). Fleiß ist auch mit Betätigungsdrang verbunden: „Alles gelingt, wen man mit rechtem Eifer angreift“ (S. Smiles). Und: „Fleiß ist die beste Form der Leidenschaft“ (Th. Mann). Auch für die Kunst gilt: „Kunst ist Fleiß“ (Sprichwort). „Die Talente sind oft gar nicht so ungleich, im Fleiß und im Charakter liegen die Unterschiede“ (T. Fontane). Der amerikanische Profi-Golfer E.T. Tiger Woods verriet: „Ich messe den Erfolg nicht an meinen Siegen, sondern daran, ob ich jedes Jahr besser werde.“

► Ist der Fleiß nur positiv zu bewerten? Manche Menschen behaupten: „Wer viel arbeitet, dem fehlt die Cleverness!“ (unbekannt). „Fleiß ist die Chance der Unbegabten“ (A. Bechmann). Oder: „Fleiß ist die Wurzel aller Hässlichkeit“ (O. Wilde). Vom gleichen Autor: „Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagers“ (O. Wilde). War der sehr begabte irische Dichter Oscar Wilde kein Freund des Fleißes? Oder kokettierte der als überheblich bekannte Erfolgsschriftsteller mit obigen Aussagen nur mit dialektisch zugespitztem Spott? Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass er durchaus perfektionistische Phasen hatte, wo er seine Werke immer wieder akribisch überarbeitete. Zum Thema Fleiß und Klima: „Die Faultiere leben im tropischen Südamerika, und zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich von jeder Tätigkeit mit Fleiß fernhalten“ (J.G.A Galletti). Zum Schluss zum Nachdenken: „Nicht nur „ohne Fleiß kein Preis“, sondern auch kein Fleiß ohne Preis“ (E. Blanck).

► Zu welchem Ergebnis kommen wir hier? Die Antithesen sind teilweise arrogant formuliert. „Fleiß ist nicht die Chance der Unbegabten, sondern der Talentierten, denn Intelligenz allein reicht zum Erfolg nicht aus.“* „Vor allem hat es der Fleiß nicht verdient, gegen die Cleverness ausgespielt zu werden.“* Für die Einstellung der nachwachsenden Generation zur Arbeit ist das in keiner Weise dienlich, sondern schädlich. Wenn es um Fleiß geht, drücken sich manche: „Bei Ausreden ist die Welt voller Erfinder“ (H. Wiener). Und: „Wenn die Pflicht ruft, gibt es viele Schwerhörige“ (G. Knuth). Ein Tipp: „Wir sollten mehr tun und weniger reden“ (Ding Xiaoping). Der frühere Bundeskanzler H. Kohl sagte zu Recht: „Fleiß und Gemeinsinn sind die Grundlagen für den Reichtum unseres Landes.“ Fazit:

„Die Abwertung des Fleißes ist Versündigung an der Leistungsgesellschaft“

(Horst-Joachim Rahn)

„Die Welt lebt von Menschen, die mehr tun als ihre Pflicht“ (E. Balser). Im Berufsleben und in der Wissenschaft spielt der Fleiß sogar eine sehr große Rolle. Nicht zuletzt wegen des enormen Fleißes unseres Volkes haben wir es geschafft, dass aus den vielen Trümmern nach dem Zweiten Weltkrieg eine erfolgreiche Nation wurde.155 Auch gilt: „Das vorliegende Werk zur Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums wäre ohne Fleiß nicht möglich geworden.“* Warum der Fleiß auch in der Schule heute mitunter abgewertet wird, kann ich nicht nachvollziehen. Leider haben sich auch bei manchen Lehrkräften Meinungen breit gemacht, die für die Entwicklung unserer Gesellschaft nicht gut sind. Fleiß ist nicht durch Intelligenz ersetzbar, sondern beide führen nur zusammen zum Ziel.

 

Auch das Auswendiglernen (z. B. von Vokabeln, Wendungen, Gedichten oder Formeln), hat durchaus seinen Sinn. Es wird von Betroffenen häufig kritisiert, ist aber zum Training der Merkfähigkeit notwendig und lässt sich nicht durch bequemes, reines verstehen Wollen ersetzen. „Wer es sich in der Gesellschaft von Anfang an bequem machen will, wird schon früh scheitern.“* Zum Schluss die wahre Erkenntnis: „Der Fleiß bringt Brot und die Faulheit Not!“ (Sprichwort). „Leider gibt es zum Thema Fleiß wenig gute deutsche Literatur: Auch hier zeigt es sich, dass der Fleiß nicht den Stellenwert besitzt, der ihm eigentlich zukommt.“*

2. 4. 13 Bescheidenheit

Die Bescheidenheit156 ist eine Tugend des Menschen, die sich in einem genügsamen, zurückhaltenden bzw. anspruchslosem Verhalten äußert. „Bescheidenheit ist der Anfang aller Vernunft“ (L. Anzengruber). Was ist sie nicht? „Bescheidenheit ist nicht ärmliches Verhalten, sondern Zufriedenheit mit dem Wenigen“ (G.P. Bischoff). Bescheidenheit ist der Verzicht auf etwas zugunsten anderer Menschen. Bescheidene Menschen beanspruchen von etwas Gegebenem nur wenig für sich selbst, selbst dann, wenn die Möglichkeit der Vorteilnahme besteht: „Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt“ (F. von Schiller). Demut ist demgegenüber eine Verhaltensweise gegenüber Gott. „Alle Pietät geht von der Bescheidenheit aus“ (J. Ruskin). Auch gilt: „Tiefe schafft Bescheidenheit“ (J.V. von Scheffel). Das Gegenteil von Bescheidenheit ist Größenwahn, beispielsweise im Rahmen kapitalistischer Völlerei: Grenzenlose Wachstumserwartungen befördern die Gier nach Kapital, während arme Menschen das teilen, was sie haben.157 Ein harter Tadel der Habgier ist hier angebracht.158

► Erfreulich ist, dass es bescheidene Menschen auch heute noch gibt. „Glück ist Selbstgenügsamkeit“ (Aristoteles). „Bescheidenheit ist das Einmaleins zum Glück“ (E. Baschnonga). Und: „Weisheit ist bei den Demütigen“ (Sprüche 11,2). Woher kommt dieses Verhalten? „Die Bescheidenheit glücklicher Menschen kommt von der Ruhe, welches das Glück ihren Gemütern verleiht“ (La Rochefoucauld). Diese Gemüter müssen keineswegs große Lichter sein: „Kleine Lichter leuchten auch“ (M. Wichor). Die Jugend ist seit jeher anspruchsloser, muss aber in der Regel auch nicht für den eigenen Lebensunterhalt sorgen: „Bescheidenheit ziert den Jüngling“ (Plautus). Aus Bescheidenheit kann durchaus Respekt erwachsen: „Du möchtest respektiert werden? Sei bescheiden!“ (P. Kosorin). Und beachte: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ (G.S. Plinius). Selbstlos sagt der geniale Maler P. Cézanne: „Die Erkenntnis der eigenen Kraft macht bescheiden.“ Manche werden Menschen deshalb bewundert, aber auch nicht registriert: „Bescheidenheit ist eine Eigenschaft, für die der Mensch bewundert wird, falls die Leute je von ihm hören sollten“ (E.W. Howe). Und Gottfried Keller sagt: „Ich bin noch gar nichts, und muss erst werden, was ich werden will.“ Zum Schluss: „Wenn jemand bescheiden bleibt, nicht beim Lobe, sondern beim Tadel, dann ist er es“ (J. Paul).

► Die Bescheidenheit hat aber auch eine zweite Seite: „Falsche Bescheidenheit ist die schicklichste aller Lügen“ (N. Chamfort). Auch: „Es gibt eine Bescheidenheit, die nur der Mantel des Hochmuts ist“ (C. Sylva). A. Schopenhauer traut dem Verhalten vor allem dann nicht, wenn sich große Geister bescheiden geben: „Bescheidenheit bei mittelmäßigen Fähigkeiten ist bloße Ehrlichkeit. Bei großen Talenten ist sie Heuchelei.“ F.W. Nietzsche interpretiert Bescheidenheit in eine ganz andere Richtung: „Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden.“ Stimmt das denn? J.W. von Goethe meint: „Nur die Lumpe sind bescheiden, Brave freuen sich der Tat.“ Der irische Dramatiker R.B. Sheridan bringt den Liebhaber ins Spiel: „Bescheidenheit ist eine Eigenschaft, die die Frauen an einem Liebhaber mehr loben als lieben.“ Die folgende Auffassung ist ganz anders: „Bescheidenheit ist oft nur Mangel an Persönlichkeit“ (U. Löchner). Und mit Bezug zur Kunst: „Die Bescheidenheit hat keine Bretter für die Bühne“ (M. Hinrich). Das Thema ist sehr vielschichtig: „Sobald man sich seiner Bescheidenheit bewusst ist, verliert man sie“ (S. Prudhomme). Eine ähnliche Erkenntnis ist: „Die Bescheidenheit, die zum Bewusstsein kommt, kommt ums Leben“ (M. von Ebner-Eschenbach).

► Was lernen wir daraus? Anspruchslosigkeit und Zurückhaltung werden in unserer satten und verwöhnten Gesellschaft bei den Erwachsenen leider immer seltener. Dazu sagt Katherine Mansfield: „Manchmal befürchte ich, dass es keine Menschen einfachen Gemütes mehr gibt.“ Der bekannte deutsche Philosoph G.F.W. Hegel äußert: „Wer etwas Großes will, der muss sich zu beschränken wissen, wer dagegen alles will, der will in der Tat nichts und bringt es zu nichts.“ Der von mir verehrte chinesische Philosoph Konfuzius stellt fest: „Wer das Gefühl der Menschlichkeit und Bescheidenheit nicht hat, ist kein Mensch.“ Auch in unserer Gesellschaft wünschen wir uns mehr Bescheidenheit. Wie soll das gehen? „Zur Größe gelangt man, indem man demütig ist“ (S. Ramakrishna). Dabei gilt: „Größe und Demut schließen einander nicht aus“ (W. Dilthey).

Wie ist es mit der weiblichen Bescheidenheit? „Das Religiöse steht der weiblichen Bescheidenheit sehr wohl; es gibt der Schönheit ein gewisses edles gesetztes und schmachtendes Aussehen“ (G.E. Lessing). Ein deutsches Sprichwort bringt es auf den Nenner: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.“ Dazu bemerkt F. Fellini: „Bescheidenheit ist eine große Tugend – besonders bei anderen Menschen.“ Marie von Ebner-Eschenbach treffend: „Siege, aber triumphiere nicht!“ Kritiker werfen der Bescheidenheit vor, sie sei nur eine anerzogene Verhaltensweise. Die Freiwilligkeit des Verzichts eines Menschen auf Vorteile wird unterschiedlich beurteilt: „Bescheidenheit ist für den beruflichen Erfolg und für die Selbstverwirklichung des Menschen mitunter hinderlich.“* „Falsche Bescheidenheit ist Anmaßung“ (G.E. Lessing). Und André Gide sagt: „Ich glaube, nichts lehrt einen besser Bescheidenheit, als wenn man einen wertvollen Menschen liebt.“ Und Dieter Nuhr meint dazu: „Demut und Bescheidenheit sind für mich Begriffe, die zu Unrecht vollständig ausgestorben sind.“ Ich stimme ihm zu und finde, dass sie etwas Edles beinhalten. Deshalb plädiere ich für mehr Bescheidenheit und drücke es positiv so aus: „Bescheidenheit ist der Schlüssel zur Zufriedenheit.“*159

2. 4. 14 Höflichkeit

Die Höflichkeit ist zuvorkommendes, freundliches Verhalten im Umgang mit anderen Menschen und äußert sich in der Achtung, Wertschätzung und Respekt. „Die wahre Höflichkeit besteht darin, dass man einander mit Wohlwollen entgegenkommt“ (J.J. Rousseau). Sie ist vor allem durch gesellschaftliche Normen und Umgangsformen geprägt und äußert sich auch in der Zurückhaltung beim Ausspruch möglicherweise heikler Themen. Hier gilt das Motto: „Wahre den Anstand und verletzte niemand.“ (Sprichwort). Höflichkeit ist ein Verhalten, das zum normalen Umgang der Menschen miteinander gehört, z. B. das Anklopfen an der Tür und das Grüßen des anderen. „Höflichkeit hat auch den Zweck, die Vorzüge eines anderen Menschen indirekt in Erscheinung zu bringen“ (A. Schopenhauer). Das Gegenteil von Höflichkeit ist Unhöflichkeit, Grobheit, Rücksichtslosigkeit oder gar Barbarei.

► „Höflichkeit wirkt wohltuend, wenn sie aus echtem Gefühl heraus kommt“*: „Es gibt eine Höflichkeit des Herzens, sie ist der Liebe verwandt“ (J.W. von Goethe). Ähnlich: „Die Höflichkeit ist die Schwester der Liebe (F. von Assisi). Und: „Takt ist der Verstand des Herzens“ (C.F. Gutzkow). Es reimt sich: „Höflichkeit und Treue bringt nimmer Reue“ (Sprichwort). Höfliches Verhalten ist mit Wohlwollen verbunden: „Höflichkeit ist Wohlwollen in Kleinigkeiten“ (T.B. Macaulay). Oder intellektuell ausgedrückt: „Höflichkeiten sind das Kleingeld unter den Wohltaten“ (H.J. Quadbeck-Seeger). Auf das ganze Leben bezogen: „Das Leben ist kurz, aber man hat immer Zeit, höflich zu sein“ (R.W. Emerson). Oder auch: „Höflichkeit ist der Versuch, die anderen so zu sehen, wie sie nicht sind“ (V. de Kowa).

► „Höflichkeit kann zur Farce werden, wenn sie ins Devote abrutscht.“* Dieses Verhalten kann zu folgender Feststellung führen: „Höflichkeit ist gespielte Unterwürfigkeit“ (F.J. Schaarschuh). Ähnlich: „Höflichkeit ist die angenehmste Form der Heuchelei“ (A.G. Bierce). Aber auch: „Unhöflich sind der Niedrigkeit Genossen“ (J.W. von Goethe). Höflichkeit kann auch aus Berechnung geschehen: „Es gibt Menschen, die einem kleine Höflichkeiten aufdrängen, um nachher große Gegendienste verlangen zu können“ (A. Strindberg). In Frankreich lebt die Höflichkeit mit der Mentalität und mit der Sprache. Etwas direkter ausgedrückt: „Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist“ (J.W. von Goethe). Folgende drei Aussprüche zeigen, wie vielseitig das Thema Höflichkeit ist: „Es ist keine Höflichkeit, einem Lahmen den Stock tragen zu wollen“ (A. Schnitzler). Mit Bezug zur Tierwelt: „Der Fuchs grüßt den Zaun um des Gartens willen“ (Sprichwort). Und der Meister der Aphorismen La Rochefoucauld sagt zum Schluss: „Die Menschen können nur deshalb in Gemeinschaft leben, weil sie Betrüger und Betrogene zugleich sind.“

► Wie manche Antithesen zeigen: „Zu viel Höflichkeit ist unhöflich“ (Nachman, Rabbi von Bratzlaw). „Wir sollten falsche Höflichkeit erkennen bzw. abtrennen und die wahre Höflichkeit als Herzenssache verstehen und praktizieren.“* „Die Höflichkeit ist nicht ein Resultat aus der Erziehung, sondern primär das eigene Ergebnis aus Anstand, Weitsicht und Toleranz“ (O. von Allmen). Einleuchtend ist: „Höflichkeit ist eigentlich weiter nichts als ein vorsichtiges Bestreben, gegen niemand Verachtung und Geringschätzung zu zeigen“ (J. Locke). Einer der größten Menschenkenner erkennt das Wesentliche:

„Höflichkeit ist wie ein Luftkissen: Es mag nichts drin sein, aber sie mildert die Stöße des Lebens“

(Arthur Schopenhauer)

„Soll etwas gelingen, so bedarf es bei allem Nachdenken noch eines sicheren Taktes, welcher nur durch frühe Übung und Angewöhnung gewonnen wird“ (J.G. Fichte). Und zum Schluss der geniale Rat von George Washington: „Sei höflich zu allen, aber freundschaftlich nur mit wenigen, und diese wenigen sollen sich bewähren, ehe du ihnen Vertrauen schenkst.“