Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa
B. Die Durchführung von Freiwilligenprogrammen

Abschnitt 1 – Perspektive Arbeitgeber
I. Einleitung

1

Freiwilligenprogramme sind die Antwort auf ein bei Arbeitgebern bestehendes Bedürfnis nach mehr Flexibilität und Rechtssicherheit im Rahmen von betrieblichen Umstrukturierungen. War ihre Wirksamkeit zu Beginn noch umstritten, sieht die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung Freiwilligenprogramme grundsätzlich als zulässig an.1

2

Regelmäßig werden solche Programme zusätzlich zu einem Sozialplan ins Leben gerufen und sollen Anreize für ein freiwilliges Ausscheiden bestimmter Arbeitnehmer innerhalb eines meist engen Zeitraums von wenigen Monaten schaffen.

II. Grundmodelle des Freiwilligenprogramms

3

In der Praxis finden sich verschiedene Grundmodelle von Freiwilligenprogrammen. Grundsätzlich lassen sich sog. offene und beschränkte bzw. selektive Freiwilligenprogramme unterscheiden.

1. Das offene Freiwilligenprogramm

4

Offene Freiwilligenprogramme richten sich an die gesamte Belegschaft eines Unternehmens und bieten somit allen Mitarbeitern die Möglichkeit, unter bestimmten vorgegebenen Bedingungen das Arbeitsverhältnis im Konsens mit dem Arbeitgeber zu beenden.

5

Von Relevanz sind diese offenen Freiwilligenprogramme regelmäßig im Rahmen von Betriebsstilllegungen.2 Nur in solchen Fällen besteht in der Regel ein arbeitgeberseitiges Interesse, die gesamte Belegschaft aus dem Arbeitsverhältnis zu entlassen, ohne bestimmte Arbeitnehmer auszuklammern. Demgegenüber beinhaltet ein offenes Verfahren das Risiko, dass sich die aus Arbeitgebersicht falschen Arbeitnehmer, also die „Leistungsträger“ auf das Freiwilligenprogramm bewerben.3

2. Beschränkte Freiwilligenprogramme

6

Beschränkte bzw. selektive Freiwilligenprogramme richten sich lediglich an einen bestimmten Teil der Belegschaft.4 Hierbei bieten sich dem Arbeitgeber verschiedene Handlungsmöglichkeiten.

7

Er kann im Voraus bestimmte Arbeitnehmer auswählen, denen er im Rahmen des Freiwilligenprogramms ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags machen möchte. Dies erfolgt etwa durch Beschränkung des Programms auf bestimmte Betriebsbereiche oder auf Arbeitnehmergruppen. Möglich ist auch, bestimmte Arbeitnehmer, die der Arbeitgeber im Betrieb halten möchte, durch Aufnahme in Negativ- oder Leistungsträgerlisten von der Teilnahme am Freiwilligenprogramm auszuschließen.

8

Besonders attraktiv für Arbeitgeber ist bei beschränkten Freiwilligenprogrammen das Modell der doppelten Freiwilligkeit. In einem solchen Fall hält der Arbeitgeber sich die Möglichkeit offen, im Einzelfall zu entscheiden, ob mit einem Arbeitnehmer, der sich für die Teilnahme am Freiwilligenprogramm entschieden hat, ein Aufhebungsvertrag geschlossen wird.5 Hierdurch behält der Arbeitgeber die Kontrolle darüber, welche Arbeitnehmer das Unternehmen verlassen.

9

Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit des beschränkten Freiwilligenprogramms besteht in Form des Anspracheverfahrens. Hierbei kontaktiert der Arbeitgeber unmittelbar einzelne Mitarbeiter, denen er den Abschluss eines Aufhebungsvertrags anbietet.6

III. Vorteile eines Freiwilligenprogramms

10

Die Durchführung eines Freiwilligenprogramms hat für den Arbeitgeber verschiedene Vorteile.

1. Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer

11

So bietet es ihm die Möglichkeit, frei zu entscheiden, welche Arbeitnehmer das Unternehmen verlassen sollen. Durch die Begrenzung des Programms auf bestimmte Betriebsteile oder bestimmte Arbeitnehmergruppen oder auch durch die Erstellung von Negativ- bzw. Leistungsträgerlisten lässt sich der Adressatenkreis kontrollieren und sicherstellen, dass nur solche Arbeitnehmer das Unternehmen verlassen, die der Arbeitnehmer nicht im Unternehmen halten möchte.7

12

Macht man den Abschluss des Aufhebungsvertrags von der arbeitgeberseitigen Zustimmung abhängig (Prinzip der doppelten Freiwilligkeit), behält dieser vollends die Kontrolle über den Stellenabbau. Hierbei steht es dem Arbeitgeber etwa frei, nach dem sog. Windhundprinzip zu verfahren und z.B. festzulegen, dass nur mit den ersten 50 Arbeitnehmern, die sich im Rahmen des Freiwilligenprogramms zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags bereit erklären, ein solcher auch abgeschlossen wird.8 Darüber hinaus kann der Arbeitgeber auch von vornherein festlegen, dass er das Freiwilligenprogramm auf den Abschluss einer festen Zahl von Aufhebungsverträgen begrenzt.9 Dies ist insbesondere sinnvoll, wenn der Arbeitgeber bei Durchführung des Freiwilligenprogramms neben der „personellen Kontrolle“ auch die Kontrolle über die finanziellen Folgen (insbesondere Kosten von Abfindungen und Sprinterprämien) behalten möchte.

13

Die Steuerungsfunktion des Freiwilligenprogramms sollte hierbei nicht unterschätzt werden. Durch geschickte Ausgestaltung des Programms lassen sich Personalstrukturen deutlich effektiver umbilden als durch den Ausspruch betriebsbedingter Arbeitgeberkündigungen. Der Abschluss von Aufhebungsverträgen ermöglicht es etwa, sich von Arbeitnehmern zu lösen, die andernfalls einem besonderen Sonderkündigungsschutz unterlägen.10

14

Insbesondere kann der im Rahmen von Massenentlassungen regelmäßig entstehenden Gefahr einer Überalterung der Belegschaft entgegengewirkt werden. Im Rahmen von Freiwilligenprogrammen entfällt aufgrund des Abschlusses von Aufhebungsverträgen die arbeitgeberseitige Pflicht zur Sozialauswahl, die ältere Arbeitnehmer grundsätzlich stärker schützt und den Arbeitgeber in großen Betrieben regelmäßig vor Schwierigkeiten stellt.11

2. Beschleunigung des Personalabbaus

15

Darüber hinaus kann über die Auslobung sog. Turboprämien ein besonders schnelles Ausscheiden von Arbeitnehmern erreicht werden.12 Hierunter versteht man eine zusätzliche freiwillige finanzielle Zuwendung des Arbeitgebers an Mitarbeiter, die entweder innerhalb eines vorgesehenen Zeitraums den Aufhebungsvertrag unterschreiben oder die eine Kündigung unter Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage akzeptieren.13

16

Oftmals ist eine solche Turboprämie der eigentliche Anreiz für Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, da sie hierdurch eine höhere Abfindung erzielen können.

17

Die Bereitschaft der Arbeitnehmer zum zeitnahen Abschluss von Aufhebungsverträgen kann gesteigert werden, indem der Arbeitgeber zu Beginn des Freiwilligenprogrammes festlegt, dass dieses nur durchgeführt werde, sofern eine Mindestanzahl der angesprochenen bzw. vom persönlichen Anwendungsbereich erfassten Mitarbeiter (z.B. 80 %) an dem Programm teilnehmen.14

18

Schließlich kann die „Entscheidungsfreude“ der Arbeitnehmer durch die Festlegung eines grundsätzlich knappen Gültigkeitszeitraums des Freiwilligenprogramms gesteigert werden.15 So ist es üblich, dass ein solches Programm in der Praxis lediglich auf wenige Monate – oftmals nicht mehr als zwei – angelegt ist.

3. Vermeidung langwieriger und risikoreicher Kündigungsschutzprozesse

19

Die Durchführung eines Freiwilligenprogramms reduziert das Führen langwieriger Kündigungsschutzprozesse. Diese führen nicht nur zu einer zeitlichen Unwägbarkeit, sondern auch zu wirtschaftlichen Risiken, die gerade in wirtschaftlichen Krisensituationen den Bestand des Unternehmens gefährden können.

IV. Rechtliche Rahmenbedingungen
1. Beteiligung des Betriebsrats

20

Teilweise wird vertreten, es bedürfe keiner Beteiligung des Betriebsrats im Rahmen von Freiwilligenprogrammen, da ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG für solche Programme nicht vorgesehen sei. Auch aus § 111 BetrVG ergebe sich keine Konsultationspflicht, da schon keine Betriebsänderung vorläge.16

21

Der Arbeitgeber müsse den Betriebsrat lediglich über die Personalplanung gem. § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unterrichten. Unterließe er eine solche Unterrichtung, begehe der Arbeitgeber zwar eine bußgeldbewehrte (bis 10.000,00 EUR, § 121 Abs. 2 BetrVG) Ordnungswidrigkeit nach § 121 Abs. 1 BetrVG. Die Wirksamkeit der Maßnahme berühre dieser Verstoß jedoch nicht.

22

In der Praxis wird indes in der Regel davon auszugehen sein, dass die Durchführung eines Freiwilligenprogramms mitbestimmungspflichtig ist. Denn Freiwilligenprogrammen liegt in aller Regel eine geplante Betriebsänderung zugrunde, sodass die Durchführung eines Freiwilligenprogramms bereits der erste Umsetzungsschritt sein wird. So führen Göpfert und Lutzenberger zutreffend aus:

„Letztlich ist das Programm im Grunde eine vom Arbeitgeber veranlasste Personalabbaumaßnahme mit dem Ziel, dass die Mitarbeiter ihm Aufhebungsverträge ‚anbieten‘. Eine andere Beurteilung stellt eine künstliche Aufspaltung dar.“17

23

Hinzu kommt, dass die Beteiligung der Betriebsrats nach §§ 111, 112a BetrVG bereits im Planungsstadium einer Betriebsänderung, die auch in einer reinen Personalreduktion liegen kann, greift.18 Zudem wird in § 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG ausdrücklich klargestellt, dass auch arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsverträge als Entlassungen im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne gelten. Am Ende kommt es für die Beteiligung des Betriebsrats nicht darauf an, wie viele Arbeitnehmer am Freiwilligenprogramm tatsächlich teilnehmen, sondern nur, wie viele Arbeitnehmer prinzipiell teilnehmen können.

 

24

Selbst wenn man annähme, dass es einer Beteiligung des Betriebsrats bei Durchführung des Freiwilligenprogrammes nicht bedarf, ist eine solche dennoch zu empfehlen. Ein erfolgreiches Freiwilligenprogramm erfordert die Kooperation aller Betriebspartner. Fühlt sich der Betriebsrat – zu Recht oder zu Unrecht – übergangen, ist dies dem Umstrukturierungsprozess im Zweifel nicht förderlich. Vielmehr wird er Arbeitnehmer wohl eher davon abhalten, am Programm teilzunehmen.

2. Freiwilligenprogramme und Massenentlassungsanzeige

25

Überschreitet die geplante Zahl der durch das Freiwilligenprogramm erfassten Mitarbeiter die Grenzen des § 17 Abs. 1 KSchG, muss auch bei der Durchführung eines solchen Programms eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet und der Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG konsultiert werden, da auch vom Arbeitgeber veranlasste Aufhebungsverträge als Entlassung im Sinne von § 17 KSchG gelten.19

26

Arbeitgeberseitig veranlasst sind Aufhebungsverträge oder Kündigungen nach Ansicht des BAG etwa dann, wenn Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber unmittelbar angesprochen werden.20 Entscheidend ist das Vorliegen einer unmittelbaren Willensäußerung des Arbeitgebers.21

27

Unklar ist jedoch, ob auch solche Aufhebungsverträge unter § 17 KSchG fallen, bei denen der Arbeitnehmer sich selbst beim Arbeitgeber meldet und den Abschluss eines solchen Vertrags anbietet und der Arbeitgeber zuvor lediglich das Freiwilligenprogramm, d.h. mögliche Konditionen einer Vertragsbeendigung, allgemein bekannt gegeben hat. Zwar könnte mit guten Argumenten eine Veranlassung durch den Arbeitgeber verneint werden. Indes ist dem Arbeitgeber in der Praxis stets anzuraten, vorsorglich eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten, die möglichst vollständig den potenziellen Kreis aller in Betracht kommenden Teilnehmer eines Freiwilligenprogramms umfasst. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es für die Wirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige unschädlich ist, wenn mehr Mitarbeiter benannt werden, als am Ende tatsächlich betroffen sind.

28

Die Erstattung einer vorsorglichen Massenentlassungsanzeige rechtfertigt sich aus den harten Rechtfolgen bei Verstößen gegen § 17 KSchG, die auch dazu führen, dass abgeschlossene Aufhebungsverträge unwirksam sein können.

3. Freiwilligenprogramm und Gleichbehandlungsgrundsatz

29

Freiwilligenprogramme können in unterschiedlicher Art Fragen zur Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz, sei es der betriebsverfassungsrechtliche oder der allgemeine arbeitsrechtliche, aufwerfen. Zunächst geht es um die Teilnahmeberechtigung. Sodann können Konflikte mit später aufgelegten Sozialplänen auftreten.

a) Ablehnung ausscheidungswilliger Mitarbeiter

30

Konflikte entstehen bei Freiwilligenprogrammen insbesondere dann, wenn Mitarbeiter durch den Arbeitgeber von der Teilnahme an solchen Programmen ausgeschlossen werden, obwohl sie eine solche ausdrücklich wünschen. Dies kann dann vorkommen, wenn sich der Arbeitgeber im Sinne der doppelten Freiwilligkeit das Recht vorbehält, „Bewerbungen“ von Mitarbeitern für das Freiwilligenprogramm abzulehnen.

31

Regelmäßig wird es sich um Arbeitnehmer handeln, die der Arbeitgeber im Unternehmen halten möchte. Oftmals stehen diese sodann auf zuvor bereits genannten Leistungsträgerlisten. Um sicherzustellen, dass in einem solchen Fall der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt wird, bedarf es der Begründung durch den Arbeitgeber, aus welchem Grund er die auf der Leistungsträgerliste stehenden Arbeitnehmer für diese ausgewählt hat.22 Um späteren Ansprüchen

entgegen zu wirken, schlagen Göpfert/Lutzenberger vor, dass folgende Fragen beantwortet werden: „Welche Aufgabe hat der Mitarbeiter im Unternehmen?“, „Warum ist diese wichtig und vielleicht sogar existentiell für das Unternehmen?“, „Was passiert, wenn der Mitarbeiter ausscheidet?“ Damit kann in der Tat ein hohes Maß an Rechtssicherheit geschaffen werden.

32

Grundsätzlich sind bei Freiwilligenprogrammen stets der arbeitsrechtliche und der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die besonderen Diskriminierungsverbote des AGG zu beachten. Unter Umständen kann es im Einzelfall jedoch zulässig sein, bei der Auswahl der teilnahmeberechtigten Mitarbeiter eine Differenzierung nach einem Kriterium des § 1 AGG vorzunehmen. So entschied das BAG zu dem Ausschluss älterer Arbeitnehmer aus einem Freiwilligenprogramm:

„Angesichts dieser Zielrichtung der das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung konkretisierenden Richtlinie 2000/78/EG und des diese umsetzenden AGG werden ältere Arbeitnehmer, die ein Arbeitgeber generell von einem Personalabbau ausnimmt, auch dann nicht i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar gegenüber jüngeren Arbeitnehmern benachteiligt, wenn der Personalabbau durch freiwillige Aufhebungsverträge unter Zahlung attraktiver Abfindungen erfolgen soll. Bei Anlegung des von der Richtlinie 2000/78/EG und des AGG geforderten objektiven Maßstabes zur Beurteilung einer Benachteiligung (ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 3; Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 4; aA wohl Schleusner/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 12) werden ältere Arbeitnehmer durch die Herausnahme aus dem Personalabbau gegenüber jüngeren Arbeitnehmern, die unter Zahlung einer Abfindung freiwillig aus dem Unternehmen ausscheiden können und sich neue Erwerbschancen suchen müssen, im Regelfall nicht weniger günstig behandelt.“23

33

Dies, so das BAG, stimme insbesondere mit dem Zweck des Diskriminierungsverbots wegen des Alters überein. Dieses werde gerade dadurch verwirklicht, dass die älteren Mitarbeiter im Unternehmen bleiben könnten:

„Diese stehen dadurch nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis, das bei Vorliegen der Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes bestandsgeschützt ist. Sie erhalten so bei typisierender Betrachtung aus der ex ante-Perspektive die Chance, bis zum Eintritt in den Ruhestand bzw. bis zum Erreichen der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Altersgrenze erwerbstätig zu bleiben. Dass in Einzelfällen Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen vor Erreichen der Altersgrenze ausscheiden oder später aus betriebsbedingten Gründen doch ihren Arbeitsplatz verlieren, muss dabei außer Betracht bleiben. Auch die subjektive Einschätzung einzelner älterer Arbeitnehmer, es sei für sie wirtschaftlich attraktiver, unter Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden als im Arbeitsverhältnis zu verbleiben – etwa in der Hoffnung oder Erwartung, sich neue Einkommensquellen zu erschließen –, kann nach dem Regelungszweck des AGG, der mit dem der Richtlinie 2000/78/EG in Einklang steht, eine Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG nicht begründen (vgl. bereits Senat 17. Dezember 2009 – 6 AZR 242/09 – Rn. 31, NZA 2010, 273).“24

34

Der Arbeitgeber sei daher nicht verpflichtet, älteren Arbeitnehmern ebenfalls einen Aufhebungsvertrag anzubieten. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung scheitert daran, dass es an einem Nachteil fehlt. Es entspricht dem durch das Kündigungsschutzgesetz gewährleisteten Bestandsschutz, dass die Ablehnung einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer grundsätzlich einen Vorteil darstellt.

b) Freiwilligenprogramm und anschließender Sozialplan mit höheren oder niedrigeren Leistungen

35

Nicht selten kommt es vor, dass Abfindungen im Rahmen einer Freiwilligenprogramms höher oder aber auch niedriger ausfallen als in einem späteren Sozialplan. Es stellt sich die Frage, ob der den Betriebsparteien zustehende Regelungsspielraum solch differenzierende Regelungen zulässt. Im Regelfall wird dies zu bejahen sein.

36

Eine auf den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützte Klage wird meist keinen Erfolg haben. Instruktiv ist die Entscheidung des LAG München vom 9.12.2015.25 Dort wurde einem Arbeitnehmer – der zuvor verschiedene Aufhebungsverträge abgelehnt hatte – seitens des Arbeitgebers betriebsbedingt gekündigt. Im anschließenden Kündigungsschutzprozess einigten sich die Parteien u.a. auf eine Abfindung.

37

Als der Arbeitgeber in der Folge eine als „Gesamtbetriebsvereinbarung“ betitelte freiwillige Kollektivvereinbarung abschloss, die den Anspruch auf eine weitere Abfindung lediglich Mitarbeitern zukommen ließ, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Gesamtbetriebsvereinbarung in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber standen und die in der Folge aufgrund der Vereinbarung einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber schlossen, klagte der Arbeitnehmer auf Zahlung auch dieser Abfindung an ihn. Das LAG München lehnte einen solchen Anspruch ab. Dieser ergäbe sich insbesondere nicht aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 BetrVG).26 Während bei Sozialplanabfindungen eine Differenzierung insbesondere nicht mit dem Interesse begründet werden könne, eine Steuerung der Belegschaft des Betriebs zu gewährleisten, und etwa durch Gruppenbildung eine „qualifizierte Belegschaft zu erhalten“,27 bleibe es einem Arbeitgeber und seinem Betriebsrat jedoch unbenommen, darüber hinaus freiwillige finanzielle Anreize für Arbeitnehmer zum Abschluss von Aufhebungsverträgen zu setzen.28

38

Solche nach § 88 BetrVG zulässige freiwillige Betriebsvereinbarungen könnten insbesondere auch das Ziel verfolgen, eine qualifizierte Belegschaft zu erhalten. Dies umfasst notwendigerweise den Ausschluss eines Teils der Belegschaft, der im Unternehmen gehalten werden soll, von den Leistungen des Freiwilligenprogrammes.

39

Eine Unzulässigkeit ergebe sich auch nicht dadurch, dass das Freiwilligenprogramm die mit dem Sozialplan verfolgbaren Zwecke umgehe.29 Dies könne nur dann der Fall sein, wenn der Sozialplan

„keine angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsieht oder wenn greifbare Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dem ‚an sich‘ für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen seien zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Mitarbeiter Mittel entzogen und funktionswidrig im ‚Bereinigungsinteresse‘ des Arbeitgebers eingesetzt worden [...]“30

40

Berücksichtigt der Arbeitgeber dieser Vorgaben, wird ein Verstoß des Freiwilligenprogramms gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz abzulehnen sein.

41

Neben dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kommt auch ein Berufen auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Betracht. In unserem Fall müsste der Arbeitnehmer sodann nachweisen, dass andere Arbeitnehmer in vergleichbaren Konstellationen den von ihm geforderten Betrag zusätzlich erhalten hatten. Dies gelang ihm nicht. Allerdings zeigt dieses Beispiel das Erfordernis einer einheitlich durch den Arbeitgeber zu verfolgenden Linie bei der Durchführung des Freiwilligenprogramms, um Ungleichbehandlungen und unnötige Gerichtsverfahren zu vermeiden.

42

Sieht umgekehrt ein nachfolgender Sozialplan eine höhere Abfindung vor, so scheidet ein Anspruch der Teilnehmer am Freiwilligenprogramm auf die höhere Abfindung ebenfalls aus. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem ein abschließender Interessenausgleich und Sozialplan noch nicht abgeschlossen wurden. Schließt ein Arbeitnehmer bereits zu diesem Zeitpunkt einen Aufhebungsvertrag ab, so ist ein Ausschluss von Sozialplanleistungen insgesamt, aber auch eine deutlich geringere Anspruchshöhe gerechtfertigt.31 Entsprechende Stichtagsregelungen in Sozialplänen sind wirksam.32

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?