Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3

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Abschnitt 2 – Perspektive Betriebsrat
I. Einleitung

1

Die Mitbestimmung des Betriebsrats in Entgeltfragen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG steht seit jeher im Brennpunkt der betriebsverfassungsrechtlichen Diskussion. Dies resultiert aus der grundgesetzlich geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit (Art. 12 GG) des Arbeitgebers, wobei er zugleich das wirtschaftliche Risiko für die zweckmäßige Einrichtung und Gestaltung seines Betriebes trägt. Wenn auch das Leitprinzip der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsordnung ist, dass unternehmerische Entscheidungen mitbestimmungsfrei sind,1 hat der Gesetzgeber durch die Schaffung der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten ein Instrument entwickelt, durch das der Betriebsrat berechtigt ist, mittelbar in die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers einzugreifen.2 In der betrieblichen Praxis stellt sich die Frage, in welchem Umfang der Betriebsrat aufgrund seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung berechtigt ist, Einfluss auf die Vergütungsstruktur und die Verteilungsgrundsätze des Unternehmers zu nehmen. Der folgende Beitrag befasst sich zunächst mit den allgemeinen Grundsätzen des Mitbestimmungsrechts, insbesondere mit der Begriffsbestimmung von Entlohnungsgrundsatz und Entlohnungsmethode sowie deren Verhältnis zueinander. Anschließend wird die Reichweite des Mitbestimmungsrechts anhand von konkreten Fragestellungen dargestellt: Kann der Betriebsrat bei der Aufstellung von Gehaltsbändern mitbestimmen? Kann das einzelvertraglich festgelegte Verhältnis zwischen Festvergütung und variabler Vergütung verändert werden? Kann eine einzelvertraglich festgelegte variable Vergütung zugunsten der Festvergütung abgeschafft werden? Abschließend beschäftigt sich der Beitrag mit der Reichweite des Informationsanspruchs des Betriebsrats.

II. Grundsätze der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG

2

Zentrale Norm für die Mitbestimmung des Betriebsrats im Bereich der Vergütungsgestaltung ist § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Die Nr. 10 des § 87 BetrVG enthält damit eine Generalklausel, durch die dem Betriebsrat nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Gestaltung des Arbeitsentgelts ein umfassendes Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird.3 Sie wird ergänzt durch die Regelungen in § 80 Abs. 1 BetrVG sowie in den Nr. 4, 8, 9 und 11 des § 87 Abs. 1 BetrVG. Gegenstand des Mitbestimmungstatbestands bilden nicht nur Lohn und Gehalt im herkömmlichen Verständnis, also das Arbeitsentgelt, das nach Inhalt und Umfang in einem Synallagma zur Arbeitsleistung steht, sondern es werden von den Fragen der betrieblichen Lohngestaltung alle vermögenswerten Arbeitgeberleistungen erfasst, bei denen die Bemessung nach bestimmten Grundsätzen oder nach einem System erfolgt.4 Zum Lohn in diesem Sinne gehören insbesondere laufende Entgelte, übertarifliche Zulagen, Leistungen bei betrieblicher Altersversorgung und sonstige Sozialleistungen sowie einmalige Sonderzahlungen. Zweck des 1972 angepassten Mitbestimmungsrechts ist nicht die Sicherstellung einer gerechten Lohnpolitik, sondern nach einhelliger Auffassung die Lohnfindung unter dem Gesichtspunkt der Lohngerechtigkeit.5

3

§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG knüpft also an Fragen der betrieblichen Lohngestaltung an. Sie beinhaltet die Festlegung abstrakt-genereller Grundsätze zur Lohnfindung.6

1. Begriffsentwicklung

4

Wie vorab bereits ausgeführt, bezieht sich das Mitbestimmungsrecht insbesondere auf Entlohnungsgrundsätze und Entlohnungsmethoden. Im Folgenden werden die beiden maßgeblichen Begriffe näher beleuchtet:

a) Entlohnungsgrundsatz

5

Literatur und Rechtsprechung bestimmen den Begriff des Entlohnungsgrundsatzes nicht deckungsgleich. Bei Auswertung der Rechtsprechung der letzten zwei Jahre zur Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG fällt auf, dass sowohl Entscheidungen einiger LAG7 als auch des 7. und 10. Senats des BAG8 in ihren Ausführungen den Begriff des Entlohnungsgrundsatzes nicht weiter problematisieren und final nicht (mehr) definieren. Dies ist wohl Resultat einer jahrzehntelangen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte.

6

Dem entgegen definiert der erste Senat des BAG den Entlohnungsgrundsatz weiterhin stets als abstrakt-generelle Grundsätze zur Lohnfindung. Sie bestimmten das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden. Entlohnungsgrundsätze seien damit die allgemeinen Vorgaben, aus denen sich die Vergütung der Arbeitnehmer des Betriebs in abstrakter Weise ergebe. Zu ihnen zählten neben der Grundentscheidung für eine Vergütung nach Zeit oder nach Leistung die daraus folgenden Entscheidungen über die Ausgestaltung des jeweiligen Systems.9 Damit übernimmt der 1. Senat des BAG für die Bestimmung des Entlohnungsgrundsatzes die Definition, die ursprünglich für die betriebliche Lohngestaltung verwendet wurden. In der Konsequenz versucht das BAG die Mitbestimmung aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unter den Begriff des Entlohnungsgrundsatzes zu subsumieren, obwohl eigentlich die betriebliche Lohngestaltung der übergeordnete Begriff ist. Verschiedene LAG haben diese Definition übernommen.10

7

In der Literatur wird der Begriff des Entlohnungsgrundsatzes unterschiedlich definiert. So heißt es bspw.: „Entlohnungsgrundsätze sind sowohl die Grundsätze des Lohnsystems als auch die Festlegung abstrakt-genereller Faktoren zur Bemessung der Leistung des Arbeitgebers“11 oder „Die Entlohnungsgrundsätze betreffen die Primärentscheidung über die Einführung des Systems nach dem das Arbeitsentgelt im Betrieb allgemein, d.h. abstrakt-generell für die Belegschaft ermittelt werden soll“12.

8

Alle Definitionsversuche der Rechtsprechung und der Literatur haben hierbei gemein, dass Entlohnungsgrundsätze lediglich ein abstraktes System verkörpern, nach welchem der Arbeitgeber Entgelt bemisst.

9

Zu der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen gehört ferner die Entscheidung, ob das Arbeitsentgelt zeitbezogen oder leistungsbezogen gestaltet sein soll.13 Bei Wahl eines zeitbezogenen Entgelts hat der Betriebsrat deshalb mitzubestimmen, ob die Lohn- oder Gehaltsfestsetzung nach abstrakten Tätigkeitsmerkmalen erfolgt, wie sie in den Tarifverträgen üblich ist, oder ob für sie eine Positionsrangfolge und eine Leistungsbeurteilung maßgebend sind. Zu den Entlohnungsgrundsätzen zählt weiterhin, ob die Vergütung durch eine Gehaltsdifferenzierung nach Lebensalterstufen und/oder durch die Möglichkeit eines Bewährungsaufstiegs aus bestimmten Vergütungsgruppen gekennzeichnet ist.14 Bei den leistungsbezogenen Entgelten müssen Bezugsgröße und Bezugsbasis festgelegt werden, um den Entlohnungsgrundsatz in seiner konkreten Struktur zu bestimmen. Zur Ausformung des Systems und damit zum Entlohnungsgrundsatz gehört daher auch die Frage, ob es sich um arbeitsabhängige oder erfolgsabhängige Entgelte handelt.15 Zu den Entlohnungsgrundsätzen gehört weiterhin die Ausformung des Systems, nach der das Entgelt bemessen werden soll.16 Mitbestimmt sind etwa die Fragen, ob im Zeitlohnsystem, im Prämienlohnsystem oder im Akkordlohnsystem, ob im Gruppenakkord oder im Einzelakkord gearbeitet werden soll, ob Gruppenprämien oder Einzelprämien zu zahlen sind.17

b) Entlohnungsmethode

10

Neben den Entlohnungsgrundsätzen werden als Unterfall der betrieblichen Lohngestaltung die Entlohnungsmethoden genannt. Darunter verstehen sowohl das BAG als auch die (wohl) überwiegende Literatur die Art und Weise der Ausführung und Durchführung des gewählten Entlohnungssystems.18

11

Gemeint ist damit das Verfahren, wie der Entlohnungsgrundsatz technisch durchgeführt wird, um das Arbeitsentgelt zu bestimmen. Dabei geht es zum einen um die Ermittlung des Arbeitswertes, d.h. um die Feststellung des Schwierigkeitsgrades einer Arbeit, von dem die Zuordnung einer bestimmten Arbeit zu einer Entgeltgruppe abhängt. Zum anderen hat der Betriebsrat mitzubestimmen über die Frage, wie der Leistungsgrad der einzelnen Arbeitnehmer insb. beim Akkord- und Prämienlohn zu ermitteln ist.19

12

Zum Begriff der Entlohnungsmethode gibt es kaum Rechtsprechung. Der Grund dafür liegt in der Praxis. Beteiligt der Arbeitgeber den Betriebsrat bei der Aufstellung eines Entlohnungssystems erst gar nicht, findet der Streit über die abstrakte Beteiligungspflicht und weniger über Inhalte und Abgrenzungen von Entlohnungsgrundsatz und Entlohnungsmethode statt. Hat der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht gerichtlich durchgesetzt, wird der Arbeitgeber ihn auch bei der Art und Weise der Ausführung und Durchführung des gewählten Entlohnungssystems beteiligten, sodass es m.E. weniger Streit über die Mitbestimmung bei der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden als bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen gibt.

2. Verhältnis von Entlohnungsgrundsatz und Entlohnungsmethode

13

Für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts kommt es darauf an, in welcher Relation die genannten Begriffe stehen. Einigkeit herrscht in Rechtsprechung und Literatur darüber, dass „betriebliche Lohngestaltung“ gegenüber Entlohnungsgrundsatz und Entlohnungsmethode der weitergehende Begriff ist.20

 

14

Zu klären bleibt letztlich, in welchem Verhältnis Entlohnungsgrundsatz und Entlohnungsmethode zueinander stehen.

15

Auf den Wortlaut abgestellt, wäre davon auszugehen, dass die Begriffe des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kumulativ auf einer Stufe stehen. Der Betriebsrat kann mitbestimmen bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und bei der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden.

16

In der Literatur wurde die Ansicht vertreten, dass Entlohnungsmethode gegenüber Entlohnungsgrundsatz der umfassendere Begriff ist.21 Begründet wurde dies mit dem allgemeinen Sprachgebrauch. Im allgemeinen Sprachgebrauch werde unter einer Methode die Art und Weise mit der eine Aufgabe angegangen und gelöst wird verstanden, z.B. die Lösung einer Rechenaufgabe. Nichts anderes gelte für den Begriff Entlohnungsmethode.

17

Grundsätze seien demgegenüber methodenimmanente Regeln besonderen Gewichts. Die Menge der eine Entlohnungsmethode bildenden Normen kann eine oder mehrere Normen enthalten, die besonders wichtig erscheinen, mithin Entlohnungsgrundsätze. Unter einer Entgeltmethode sei daher die Gesamtheit der bei der Entlohnung angewandten Normen über die Art und Weise der Entlohnung zu verstehen. Entlohnungsgrundsätze seien aus der Menge dieser Normen wegen ihres Gewichts herausragende Regeln.22

18

Nach anderer Auffassung ist es richtig, dass unter einer Methode die Art und Weise, mit der eine Aufgabe angegangen wird, verstanden wird.23 Der Begriff des Grundsatzes müsse jedoch anders ausgelegt werden. Hiernach ist ein Grundsatz eine feste Regel, die jemand zur Richtschnur seines Handelns macht bzw. ein allgemeingütiges Prinzip, das einer Sache zugrunde liegt. Damit beschriebe der Entlohnungsgrundsatz ein abstraktes, übergeordnetes Entgeltsystem, welches mittels der Entlohnungsmethode konkret umgesetzt werden soll. Der Entlohnungsgrundsatz stehe damit über der Entlohnungsmethode.

19

Für eine solche Annahme spricht u. U. die Systematik im Gesetz. Der Entlohnungsgrundsatz wird im Wortlaut vor der Entlohnungsmethode genannt.

20

Das BAG hat hingegen bereits sehr früh darauf hingewiesen, dass das Gesetz nicht eindeutig erkennen ließe, worin es den Unterschied zwischen den Grundsätzen und Methoden sieht. Gleichzeitig stellte das BAG aber fest, dass Entlohnungsmethode der „engere Begriff“ sei. Innerhalb des Grundsatzes kann der Lohn nach verschiedenen Methoden berechnet werden.24

21

Auch die Literatur geht davon aus, dass Entlohnungsmethoden die Art und Weise der Durchführung eines bereits gewählten Entlohnungssystems beschreiben.25 Es geht methodisch um das Verfahren, wie der Entlohnungsgrundsatz technisch umgesetzt wird. Entlohnungsmethode sei demnach im Verhältnis zum Entlohnungsgrundsatz der engere Begriff.

22

Die Grenze zwischen Entlohnungsgrundsätzen und Entlohnungsmethoden ist m.E. nicht in jedem Fall eindeutig. Eine genaue Abgrenzung ist praktisch jedoch nicht erforderlich, denn in beiden Fällen ist die betriebliche Lohngestaltung betroffen und damit das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG eröffnet.26

3. Bedeutung von „Insbesondere“

23

Abschließend bleibt zu erörtern, welche Bedeutung dem Wort „insbesondere“ in § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zukommt. Nach allgemeiner Einordnung handelt es sich bei der Aufzählung von Entlohnungsgrundsätzen und Entlohnungsmethoden lediglich um Regelbeispiele für die betriebliche Lohngestaltung. Diese Beispiele sind nicht abschließend. Unter betrieblicher Lohngestaltung könnten noch andere Fallgestaltungen subsumiert werden. Dies verdeutlicht das Wort „insbesondere“.

24

Es könnte die Auffassung vertreten werden, dass dem Regelbeispielscharakter des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG keinerlei Bedeutung zukommt, da alle Fälle der betrieblichen Lohngestaltung bereits unter Entlohnungsgrundsatz und Entlohnungsmethode subsumiert werden können.

25

Aufschluss über diese Behauptung gibt die historische Entwicklung. Nach § 56 Abs. 1 h) BetrVG 1952 konnte der Betriebsrat mitbestimmen bei der „Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung von neuen Entlohnungsmethoden“. Die betriebliche Lohngestaltung wird nicht genannt. Erst mit der Reform des BetrVG 1972 änderte sich der Wortlaut in unsere heutige Fassung. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG über das damalig geltende Recht hinaus auf alle Fragen der betrieblichen Lohngestaltung erstrecken sollte, um so ein umfassendes Mitbestimmungsrecht in diesem Bereich sicherzustellen.27

26

Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber unter der betrieblichen Lohngestaltung mehr versteht als allein die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung von neuen Entlohnungsmethoden. So ist es nicht verwunderlich, dass auch die ältere Rechtsprechung zunächst auf dem Begriff der betrieblichen Lohngestaltung eingegangen ist, um im Anschluss als Beispiele Entlohnungsgrundsatz und Entlohnungsmethode zu nennen.28

27

Die neuere Rechtsprechung hingegen definiert m.A. den Entlohnungsgrundsatz verkürzend mit der betrieblichen Lohngestaltung und subsumiert alle Fälle unter den Entlohnungsgrundsatz.29 Daraus lässt sich ableiten, dass die Rechtsprechung dem Regelbeispielscharakter des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG keinerlei Bedeutung (mehr) beimisst. Dies kann nicht überzeugen. Denn unter der betrieblichen Lohngestaltung muss weit mehr verstanden werden. Zur Lohngestaltung gehört auch die Festlegung, in welchem Verhältnis verschiedene Entlohnungsgrundsätze zueinander stehen, wenn ein kombiniertes Entgeltsystem gewählt wird.30 Zu den Strukturformen des Entgelts und damit zu den Entgeltfindungsregeln gehören darüber hinaus auch der Aufbau der Vergütungsgruppen und die Festlegung der Vergütungsgruppenmerkmale.31 Schließlich fällt unter die Lohngestaltung bei zusätzlichen Leistungen des Arbeitgebers die Aufstellung der Verteilungsgrundsätze.32 Diese Regelungsinhalte lassen sich nicht unter den Entlohnungsgrundsatz oder die Entlohnungsmethode subsumieren, sind jedoch gängige Praxis.

28

Daher sollte die Rechtsprechung den Begriff der betrieblichen Lohngestaltung wieder stärker in den Blick nehmen, denn er verdeutlicht, dass der Betriebsrat bei weit mehr als allein bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung mitzubestimmen hat.

III. Reichweite der Mitbestimmung
1. Vergütungsfindung

29

§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG umfasst kurzgesagt das Verfahren für die Vergütungsfindung. Dabei geht es um die Frage, nach welchen Kriterien die Vergütung der Beschäftigten festgelegt werden soll. Wie Haberkorn ausführt, versteht er unter Vergütungsfindung nichts anderes als die Einführung eines Vergütungssystems.33 Es ginge um die Strukturformen des Entgeltes und die Grundlagen der Lohnfindung, um die Ausformung des jeweiligen Vergütungssystems und damit die Festlegung derjenigen Elemente, die dieses System im Einzelnen ausgestalten und zu einem in sich geschlossenen machen.34

30

Die Festlegung des Gehaltes ist wesentlicher Bestandteil der Vertragsverhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dabei lautet die Frage nicht, ob überhaupt eine Vergütung geschuldet ist, vielmehr allein wie hoch die geschuldete Vergütung ausfällt. Die Höhe der Vergütung wird in Abhängigkeit vom Leistungserbringungsbild des Arbeitnehmers an unterschiedliche Kriterien geknüpft, anhand derer ein Vergütungsmodell bestimmt wird. Die Art und Weise der Leistungserbringung erfordert dabei ein schlichtes oder ein komplexeres Vergütungsmodell. Der Arbeitgeber wird hierbei die ökonomische Lage seines Unternehmens berücksichtigen und der Arbeitnehmer wird hingegen sein Gehalt möglichst hoch ansetzen wollen. Es bedarf somit einer Entgeltfindung, die dem jeweiligen Leistungsbild entspricht, was zu einem komplexen und ausdifferenzierten Gesamtsystem im Unternehmen führen kann. Weitere Einflussnehmer sind Wachstum, Investitionen, Gewinn und Arbeitsmarktgegebenheiten. Schließlich sind soziale Aspekte wie Lebensalter, Familienstand, Betriebszugehörigkeit, Ausbildung sowie branchen- oder rollenspezifische Gehaltserwartungsniveaus zu berücksichtigen.

31

Grundsätzlich ist es Aufgabe der Tarifvertragspartner (Art. 9 GG) durch den Abschluss eines Branchen-, Flächen- oder Haustarifvertrages die Vergütung der tarifgebundenen Beschäftigten festzulegen. In Ermangelung eines Tarifvertrages, in Ausfüllung eines Tarifvertrages, in Regelungslücken eines Tarifvertrages oder für außertariflich Beschäftigte (§ 77 Abs. 3 BetrVG) ist den Betriebsparteien die Lohnfindung im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 10 und in den Grenzen des § 77 Abs. 3 BetrVG eröffnet.

32

§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG enthält insoweit eine Generalklausel, durch die dem Betriebsrat bei der Gestaltung des Arbeitsentgeltes ein umfassendes Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird.35 Die Mitbestimmung soll, wie das BAG zutreffend feststellt, den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen.36 Maßgeblicher Gesichtspunkt wäre insoweit nicht die konkrete Festlegung der Entgelthöhe, sondern es ginge um die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges.37 Zu den mitbestimmungspflichtigen Vergütungsfindungsregeln gehören der Aufbau von Vergütungsgruppen und die Festlegung der Vergütungsgruppenmerkmale.38

2. Mitbestimmungsfreiheit hinsichtlich der Entgelthöhe

33

Die weit überwiegende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung geht von der Mitbestimmungsfreiheit bei der Entgelthöhe aus.39 Fragen der betrieblichen Lohngestaltung seien nur diejenigen Regelungen, die sich auf die Lohn- und Gehaltsbemessung beziehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG gehöre zu ihnen jedoch nicht die lohnpolitische Entscheidung über die Lohn- und Gehaltshöhe.40

34

Im Wesentlichen stützt das BAG diesen Gedanken auf zwei Argumente:

 – Erstens zeige die beispielhafte Hervorhebung der Entlohnungsgrundsätze und Entlohnungsmethoden, dass die betriebliche Lohngestaltung sich auf die Grundlagen der Lohnfindung, nicht aber auf die Ermittlung der Lohnhöhe beziehe. Die Mitbestimmung in diesem Bereich solle den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es gehe hierbei um die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges. Die abstrakte Lohngerechtigkeit innerhalb des Betriebes sei hier der maßgebliche Gesichtspunkt, nicht aber Fragen der Lohn- und Gehaltshöhe.41

 – Zweitens ergebe sich aus einem Vergleich zu der Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG, die dem Betriebsrat eine zusätzlich Mitbestimmungsbefugnis bei der Festsetzung von Akkord- und Prämiensätzen sowie vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte einräume, dass die Lohn- oder Gehaltshöhe in § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht angesprochen sei. In der Nr. 11 des § 87 Abs. 1 BetrVG sei die Festsetzung der Geldfaktoren ausdrücklich erwähnt, sodass in diesem Rahmen die Lohnhöhe der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliege. Die Regelung des § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG sei überflüssig, wenn die Höhe der Entlohnung bereits nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig wäre.42

35

Gänzlich überzeugt die Argumentation der Rechtsprechung indes nicht.

36

Die Entstehungsgeschichte spricht vielmehr dafür, das Mitbestimmungsrecht auch auf die Lohnhöhe zu beziehen.43 Mit der Vorschrift wollte der Gesetzgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats über das geltende Recht hinaus auf alle Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, soweit es sich um die Festlegung allgemeiner Regelungen in diesem Bereich handelt, ausweiten. Mit der Generalklausel solle ein umfassendes Mitbestimmungsrecht sichergestellt werden.44 Umfassend ist das Mitbestimmungsrecht allerdings nur dann, wenn nicht nur „formelle“ Gesichtspunkte vom Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG umfasst sind, sondern es sich auch auf die „materielle“ Seite, also auch die Entgelthöhe erstreckt.

 

37

Darüber hinaus besteht kein Wertungswiderspruch zu Nr. 11, wenn sich Nr. 10 auf die Entgelthöhe bezieht. Die Beschränkung des Mitbestimmungsrechts hinsichtlich der Entgelthöhe auf Nr. 11 sei viel mehr systemwidrig, da es sich hierbei lediglich um einen speziellen Anwendungsfall des Grundtatbestandes handelt, den der Gesetzgeber beispielhaft hervorgehoben hat. Für eine Differenzierung bei der Mitbestimmung bei der Entgelthöhe ist folglich kein Grund zu erkennen.45

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Letztlich spricht auch der Zweck des Mitbestimmungsrechts dafür, die Entgelthöhe mit zu umfassen. Denn es geht um die Strukturformen des Entgelts und die Grundlagen der Lohnfindung, um die Ausformung des jeweiligen Entlohnungssystems und damit die Festlegung derjenigen Elemente, die dieses System im Einzelnen ausgestalten und zu einem in sich geschlossenen machen.46 In sich geschlossen ist ein Entgeltsystem erst dann, wenn auch die konkrete Entgelthöhe bestimmt ist!

39

Den Tarifvertragsparteien wird mit Selbstverständlichkeit zugebilligt, die Entgelthöhe für Beschäftigte verbindlich festzulegen. Tritt aber der Betriebsrat in nicht tarifgebundenen Unternehmen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG an die Stelle der sonst zuständigen Gewerkschaft, soll dem Betriebsrat die Mitbestimmung der Entgelthöhe selbst bei kollektivrechtlicher und systembasierender Festlegung versagt bleiben. Gründe für diese Unterscheidung lassen sich nicht finden.

40

Es könnten allerdings verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, wenn sich die Mitbestimmung auf die Entgelthöhe erstreckt.47 Der Arbeitgeber trägt aufgrund seiner grundgesetzlich geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit (Art. 12 GG) das wirtschaftliche Risiko für die zweckmäßige Einrichtung und Gestaltung seines Betriebes. Zum wirtschaftlichen Risiko zählt auch die Frage, welche Vergütung welcher Arbeitnehmer in welcher Höhe erhält. Allerdings verwirklichen sich diese Risiken ebenso bei funktionaler Wahrnehmung dieser Aufgabe durch Tarifpolitik. In einer sozialen Marktwirtschaft muss damit die Bestimmung der Entgelthöhe dem Betriebsrat nicht von vornherein versagt bleiben, wenn die Mitbestimmung so verstanden zwingender Ausfluss sozialer Marktwirtschaft ist.

41

Zusammengefasst lässt sich daher festhalten, dass die Mitbestimmung in der Entgelthöhe mit guten Gründen angenommen werden kann. Die gegenteilige Auffassung hat sich allerdings in der Rechtsprechung durchgesetzt und bleibt daher in der Praxis der zugrunde liegende Maßstab.48 Dennoch darf die Ausübung des Mitbestimmungsrechts durchaus mittelbare Auswirkungen auf die Entgelthöhe haben.