Gender - Sprache - Stereotype

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5.3.2 GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus als unabhängige Kategorien

Grammatisch gesehen seien GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus zwei unabhängige Systeme. So argumentieren vor allem viele Gegner/innen einer gendergerechten Sprache und berufen sich auf strukturalistische Ansichten, die der LangueLangue die Priorität einräumen. Für sie ist sowohl die neutrale Interpretation als auch die Verwendung des generischen Maskulinums generell auf sprachsystematischer Ebene anzusiedeln und damit regelhaft und notwendig. Dies kollidiert jedoch mit der tatsächlichen Verwendungsweise, denn die Sprachbenutzer/innen interpretieren Genus als Hinweis auf das natürliche Geschlecht. Das ist einer der Hauptdiskussionspunkte der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik, da daraus Forderungen nach Änderungen des Sprachsystems folgen. Auch wenn dies auf rein grammatischer Ebene eigentlich gar nicht sein sollte, weil hier grammatische Eigenschaften von Lexemen und Bedeutungsaspekte verwechselt werden, tendieren die Sprachnutzer/innen dennoch immer wieder zu dieser Interpretation. Deswegen werden maskuline Formen auch männlich aufgefasst. Da außerdem Sprachwandel in der Regel vom Gebrauch ausgeht und sich irgendwann als Regelhaftigkeit und damit Teil des Sprachsystems niederschlägt, verbinden sich hier zwei Pseudoprobleme, die weniger an der Sprachwirklichkeit als vielmehr an der theoretischen Position hängen.

Eine Veränderung des Sprachsystems, um Änderungen im Denken zu erreichen, ist für strukturalistisch und generativ orientierte Sprachwissenschaftler/innen nicht möglich. Gerade die zweite Gruppe setzt Sprache unabhängig von anderen kognitiven Fähigkeiten als Modul an. Bei solchen Diskussionen geht es darum immer auch um die Verteidigung eigener sprachpolitischer Ideologien, so dass ein Konsens nicht angestrebt wird. Daher sind in den Diskussionen immer wieder die Argumente zu hören, das generische Maskulinum sei neutral und systemhaft und daher nicht zu beanstanden. Deswegen seien Änderungen nicht nötig. Dabei werden historische und psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Fakten ignoriert.

5.4 Alternativen

Die kritischen Diskussionen führten zu der Forderung, u.a. Frauen eigens zu benennen. Dafür bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, zum Beispiel die Doppel- oder BeidnennungBeidnennung (Studentinnen und Studenten), Beidnennung mit SchrägstrichSchrägstrich (die Studenten/Studentinnen, die Student/innen), geschlechtsneutralegeschlechtsneutral PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung (Studierende, Lehrende im Plural, LehrkraftLehrer/in, -kraft, -schaft) oder das Binnen-IBinnen-<i>I</i> (StudentInnen, LehrerInnen). Der UnterstrichUnterstrich, auch gender gap genannt (Lehrer_innen), und das SternchenSternchen (Lehrer*innen) verweisen auf die Leerstelle zwischen weiblichen und männlichen Formen und berücksichtigen auch „queer“1. Sie sollen dabei bewusst irritieren (vgl. Bergmann/Schößler/Schreck 2012: 13, Diewald/Steinhauer 2017: 46f.).


Abb. 2: Straßenschild in Basel

Weiter lässt sich der Geschlechtsunterschied lexikalisch, durch den Zusatz von Adjektiven (weiblich, männlich) oder Kompositionsgliedern (Frau, Mann) klären, vgl. männliches/weibliches Kind, Ehefrau/Ehemann. Eine andere Möglichkeit ist Abstraktion: Statt sich zwischen einem Präsidenten und einer Präsidentin zu entscheiden, kann das Präsidium gewählt werden (Bußmann/Hellinger 2003: 157). Alternativ vermeiden geschickte Umformulierungen generische Maskulina, vgl. Antragsteller müssen das Formular vollständig ausfüllen vs. Um einen Antrag zu stellen, ist das Formular vollständig auszufüllen.

5.5 Strategien des Widerstands

Die Forderungen, durch sprachliche Änderungen mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern zu erzielen, stießen und stoßen immer noch auf erstaunliche Widerstände (Kap. 2.4). Hellinger (1990: 133ff.) stellte sechs Strategien zusammen: leugnen, beschwichtigen, ignorieren, warnen, herabsetzen und lächerlich machen. Es wird geleugnet, dass Sprache und Gesellschaft zusammenhängen und dass Maskulina Frauen ausschließen. Die Interrelation wird als trivial gesehen, ein möglicher Sexismus durch Maskulina sei nicht so gemeint. Die Thematisierung des Problems und die Alternativvorschläge werden ignoriert. Vor den Alternativen wird gewarnt, da sie umständlich oder unschön seien und die Redefreiheit bedrohten. Schließlich werden die Vertreter/innen gendergerechter Sprache bzw. ihre Arbeiten als unwissenschaftlich kritisiert oder auch lächerlich gemacht. Diese Vorgehensweisen sind nach wie vor aktuell trotz beinahe 40 Jahre dauernder Versuche, auf einer sachlichen Ebene zu bleiben und Argumente durch Forschungsergebnisse zu untermauern. Nach wie vor wird behauptet, generische Maskulina seien geschlechtsneutralgeschlechtsneutral und GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus seien stets zu trennen. Einige meinen, kognitiveKognition, kognitiv Effekte seien zwar möglich, aber nicht wichtig, ein aktives Bemühen um gendergerechte Sprache sei daher unnötig oder gar unzumutbar. Noch weiter gehen polemische oder gar aggressive Kritik oder Spott (Mensch*_Innen). Hierzu sei auf die vielen Kommentare zu ernst gemeinten wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwiesen, vorzugsweise im Internet, wo im Schutz der Anonymität mit emotionalen und oft auch beleidigenden Bewertungen wie Schwachsinn, Quatsch, Gender-Gaga, Sprachverstümmelung, Sprachklempnerinnen, totalitärer Irrsinn, unsinnig, abstrus, manipulativ nicht gespart wird, ohne gleichzeitig die Argumente und die Diskussion zur Kenntnis zu nehmen. Selbst in seriösen ZeitschriftenZeitschrift und ZeitungenZeitung sind immer wieder aggressive und unwissenschaftliche Kommentare zu lesen. Auch aktuell gibt es noch Diskussionen zwischen wissenschaftlichen und polemischen Gruppen, die immer wieder die längst entkräfteten Argumente bemühen. So will der Band von Meinunger/Baumann (2017) in einem gut gemeinten Versuch einen sachlichen und aktuellen Beitrag zur Debatte zusammenstellen, wiederholt aber alte, längst widerlegte Argumente oder Fehler und ist auch stilistisch keineswegs immer sachlich-neutral. Es ist die Rede von Ungeheuerlichkeiten, von Unsinnin, die es auf die Gipfelin treibt, von Genderei. Die Reihenfolge Bürgerinnen und Bürger wird als verkehrt herum bezeichnet, die Sapir-Whorf-HypotheseRelativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese als sprachdeterminierend charakterisiert und nicht ernst genommen. Das generische Maskulinum sei Schicksal, reiche vollkommen aus und richte sich an alle Menschen. Gendergerechte Sprache sei ermüdend, unmöglich zu lesen.

Als weiteres Beispiel sei Josef Bayer in der NZZ genannt mit Formulierungen wie „[u]nd da kommen jetzt auf einmal missionarisch getriebene Sprachklempnerinnen daher“1. Die Debatte ist mittlerweile von konservativen, rechts ausgerichteten Seiten auch politisch instrumentalisiert worden.

5.6 Zusammenfassung

GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus sind verschiedene Systeme, die grammatische vs. semantischeSemantik, -isch Informationen anzeigen. Sprachen nutzen unterschiedlich viele Genera, das Deutsche hat drei. Unabhängig davon markieren Sprachen das Geschlecht grammatisch, lexikalisch und sozial. Auf der grammatischen Ebene werden im Deutschen wie in vielen anderen Sprachen Maskulina auch neutral bzw. generisch verwendet und dann entsprechend generisches Maskulinumgenerisches Maskulinum genannt. Das war im Sprachsystem historisch nicht gegeben.

Bei Menschen- und Tierbezeichnungen korrelieren Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und GenusGenus oft, so dass sich die Grenzen zwischen dem grammatischen und semantischen System verwischen und Genus immer mehr als semantische Information uminterpretiert wird. Die Sprachbenutzer/innen fassen daher Maskulina tatsächlich männlich auf, so dass die generische Funktion unklar und beliebig wird. Dies können viele psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Verfahren belegen.

Das generische Maskulinum wird u.a. deswegen kritisiert, weil es mehrdeutig ist, weil Frauen sprachlich nicht sichtbar werden, weil sie darum weniger Identifizierungsmöglichkeiten haben und weniger wahrgenommen werden. Darüber hinaus kommt es zu weiteren Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern auf sprachlicher Ebene, die unterschwellige Botschaften zu Hierarchien und Klischees vermitteln. In den Debatten um mehr Gleichberechtigung stellten sich diese Aspekte als Kritikpunkte heraus: Solche sprachlichen AsymmetrienAsymmetrie bestimmen gesellschaftliche Asymmetrien wesentlich mit. Versuche, dies zu ändern, etwa mithilfe von alternativen Schreibweisen, die Frauen sichtbar machen oder die weitere Gendertypen berücksichtigen, stießen und stoßen nach wie vor auf erheblichen Widerstand.

Viele der sprachlichen AsymmetrienAsymmetrie auf Wort- und Phraseologismenebene spiegeln längst überkommene Klischees wider. Einige Beispiele lassen sich historisch erklären, denn auch heute bildet unsere Sprache die früher männlich dominierte Wirklichkeit ab. Entsprechend ist es berechtigt, neue Realitäten auch sprachlich auszudrücken.

5.7 Forschungsaufgaben

In kleineren Forschungsarbeiten können emotionale, polemische Kommentare von Wissenschaftler/innen und Politiker/innen auf Methodik, Taktik und den Wahrheitsgehalt hin geprüft werden als Übung zu Manipulation, richtigem Argumentieren und wissenschaftlich korrektem Verhalten. Hier ist vor allem auf Falschaussagen und Verschweigen von Tatsachen zu achten. Haß-Zumkehr (2003) macht Vorschläge, wie sich anhand von Korpusanalysen Sprachwandelerscheinungen untersuchen lassen. Motschenbacher (2017) listet einige Fragestellungen und Analysevorschläge auf. Kleinere Studien können aktuelle Texte auf die Verwendung des generischen Maskulinums hin prüfen. Hier erscheinen auch bei unbelebten Subjekten mittlerweile öfter Femininformen, etwa die Firma Müller ist Auftraggeberin für die Baumaßnahmen, die Mafia gilt als Drahtzieherin hinter den Morden, die Universitätsbibliothek als Betreiberin, die Firma X als Partnerin. Es gibt bislang keine Untersuchungen, seit wann, in welchem Ausmaß, in welchen Textzusammenhängen und bezogen auf welche Begriffe dieser Typ Kongruenz auftritt. Ein Vergleich mit älteren Texten mit mehr maskulinen Formen könnte einen Sprachwandel zeigen. Ein anderer Aspekt bezieht sich auf belebte Bezugsnomen im grammatischen Neutrum, aber mit weiblicher SemantikSemantik, -isch, die vermehrt feminin aufgenommen werden, vgl. das Mädchen von nebenan ist der Gewinner/die Gewinnerin des Wettbewerbs.

 

5.8 Literatur

Diewald/Steinhauer (2017) bieten einen übersichtlichen und gut verständlichen Überblick über die sprachsystematischen Grundlagen. Zur Vertiefung eignen sich beispielsweise Samel (2000), Bußmann/Hellinger (2003), Kotthoff et al. (2018). Vor- und Nachteile der Möglichkeiten bespricht Henning (2016). Zur Geschichte des generischen Maskulinums vgl. Doleschal (2002), Irmen/Steiger (2005). Kurze Darstellungen der Situation zum Ende des letzten Jahrhunderts aus Sicht verschiedener deutschsprachiger Länder stammen von Doleschal (1998), Peyer/Wyss (1998), Schoenthal (1998), Trempelmann (1998). Diewald/Steinhauer (2017) diskutieren die verschiedenen Möglichkeiten gendergerechter Sprache und die damit verbundenen Probleme und bieten Formulierungshilfen. Argumentationshilfen bei Einwänden stellen auch Tanzberger/Schneider (2007) oder Schneider et al. (2011) zusammen. Zu sprachpolitischen Maßnahmen und Umsetzungen in Österreich vgl. Wetschanow/Doleschal (2013), in der Schweiz vgl. Elmiger et al. (2017). Zu Widerständen gegen Gleichstellungsarbeit und gendergerechte Sprache vgl. u.a. Hayn/Marx (2019), für Österreich Wetschanow/Doleschal (2013). Die textlinguistisch ausgerichtete Studie von Pettersson (2011) untersucht die konkrete Verwendung generischer Maskulina in Abhängigkeit von Textsorte, Ko- und KontextKontext.

Die meisten Institutionen haben mittlerweile Leitfäden zu gendergerechter Sprache zusammengestellt, die Vorschläge, Formulierungs-, aber auch Argumentationshilfen und Verhaltensratschläge enthalten. Eine Sammlung findet sich z.B. unter http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/gender_budget__leitfaden_checklisten.pdf. Wetschanow (2017) gibt eine kritische Zusammenstellung. Harnisch (2016) macht auf Fehler aufmerksam (der Studierende statt der Student ist keine Verbesserung).

6. Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln
6.1 Das Problem sprachlicher AsymmetrienAsymmetrie

Wie erwähnt weist das Deutsche auf der Ebene des Sprachsystems zahlreiche AsymmetrienAsymmetrie auf. Vor allem: Die männliche Form ist die unmarkierte, neutraleNeutralform bzw. „normale“. Daher sind Frauen sprachlich weniger repräsentiert. Diese Unausgewogenheit fördert die Benachteiligung von Frauen und verstärkt die im Denken verankerten Stereotype (Kap. 7). Hier wirkt auch die Lebenserfahrung mit hinein. Wer häufig Mitglieder einer Gruppe mit bestimmten Eigenschaften erlebt, überträgt diese Eigenschaften auf alle Mitglieder der Gruppe, besonders, wenn sie auffällig und/oder unangenehm sind. Ein Stereotyp entsteht oder wird verstärkt. Lange wurde der benachteiligende Einfluss sprachlicher Asymmetrien lediglich angenommen, was zu erstaunlich intensiver Ablehnung sowohl der These als auch der Maßnahmen führte (und führt). In diesem Kapitel soll nun die psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Forschung zu Wort kommen, die dem tatsächlichen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken vor allem anhand des generischen Maskulinums nachgeht. Viele der Ansätze und Experimente sind dabei so konzipiert, dass sie sich auch im Rahmen von Abschlussarbeiten umsetzen lassen. Relevant sind solche Studien, weil sie zeigen, dass asymmetrische Sprache nicht nur ungerecht, sondern auch verletzend oder schädlich ist.

Seit einigen Jahren gibt es Studien, die den Einfluss von grammatischen Strukturen und von Lexik auf das Denken erforschen. Sie gehen dabei auch der Frage nach, ob die eigentlich rein grammatische Kategorie GenusGenus nicht doch kognitivKognition, kognitiv-semantischSemantik, -isch belegt ist und ob bei der Dekodierung der Zusammenhang zwischen Genus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus relevant wird. Verstehen wir das generische Maskulinum also tatsächlich neutral wie stets propagiert? Interpretieren wir es maskulin? Oder ist es unklar und wir meinen manchmal Frauen mit, manchmal nicht? Dann wären KontextKontext und Vorwissen für eine Entscheidung mit verantwortlich. Eine derartig mehrdeutige Form führt aber in jedem Fall zu Missverständnissen. Wenn Frauen tatsächlich automatisch mitgemeint sind, müssten wir das kognitiv nachvollziehen können. Es geht also zunächst darum zu prüfen, was die Menschen bei einer generisch maskulinen Form denken: Evoziert sie gleich häufig männliche wie weibliche Bilder oder eher nur männliche? Nachweisbare signifikante Ungleichheiten führen zu der nächsten Aufgabe, nämlich herauszufinden, wie diese sprachliche Ungleichheit korrigiert werden kann. Es geht also sowohl um Wirkung als auch um Alternativen.

Eine weitere Frage beschäftigt sich damit, ob die Interpretationen der Maskulina auf einer asymmetrischen sprachlichen Darstellung beruhen oder ob weitere Aspekte wie Erfahrung und Stereotype mit einfließen. Schließlich sind auch die realen Auswirkungen asymmetrischer Assoziationen für die Debatte zu gendergerechter Sprache zu bedenken, weil sie eine breite Auseinandersetzung und praktische Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen nach sich ziehen müssen.

Die Untersuchungen der PsycholinguistikPsycholinguistik, -isch haben damit Auswirkungen nicht nur auf Genderdebatten und Genderfairness, sondern auch auf unsere Vorstellungen von sprachlicher Relativität und, auf lange Sicht, auf die sprachlichen Möglichkeiten der Manipulation und Diskriminierung, nicht nur von Frauen.

6.2 Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache
6.2.1 Generisches Maskulinum im Deutschen

Zur Frage nach dem Verständnis maskuliner Formen als neutralNeutralform oder männlich gab es verschiedene Forschungsszenarien, die sich über die Zeit hin verbesserten und verfeinerten. Eines der ersten Experimente, das die mentalen AsymmetrienAsymmetrie darlegte, stammt von Moulton et al. (1978) für das Englische. Dann konnte Klein (1988) Kalverkämpers u.a. (Kap. 2.4) theoretische Überlegungen entkräften, als er zeigte, dass GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus bzw. Sprachsystem und -verwendung durchaus etwas miteinander zu tun haben, da das männliche Genus bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung nicht neutral, sondern überwiegend auf Männer referierend verwendet wird. Seine Studie mit insgesamt 290 Versuchspersonen zeichnet sich durch ein einfaches und gut nachvollziehbares Forschungsdesign aus. Die Versuchspersonen bekamen kurze Texte mit einem Einleitungssatz mit generischem Maskulinum und einem Folgesatz mit einer Lücke, in die ein Vorname oder ein Titel einzusetzen war, vgl. „Die Wähler unseres Stadtteils gingen dieses Jahr erstmals in der neuen Grundschule zur Wahlurne. (Anrede: … / Vorname: … ) Schmidt konnte den richtigen Raum nicht finden“ (ibd.: 314). Dazu gab es Aufgaben zum Ablenken wie „Mein Freund beschwerte sich bei der Stadtverwaltung: a) ‚Der Autolärm ist unerträglich!‘ b) ‚Sauerei, dieser Krach von den Autos!‘“ (ibd. 313). Als CoverstoryCoverstory wurde den Proband/innen mitgeteilt, es ginge in der Studie um stilistische Aspekte im Umgang miteinander, so dass möglichst wenige den Sinn der Studie durchschauen konnten. Denn das hätte die Ergebnisse verfälscht. Da die Thematik oft emotionale Reaktionen hervorruft und viele Menschen eine vorgefasste Meinung dazu haben oder voreingenommen sind, ist besonders auf die Verwendung von DistraktorenDistraktoren zu achten, die den eigentlichen Zweck der Untersuchungen verschleiern. In Nachgesprächen wurden diejenigen, die das Thema erkannt hatten, ermittelt und die Beiträge aussortiert. Auch dies ist wichtig, um die Qualität der Ergebnisse nicht zu gefährden. Schließlich fanden bei dieser Studie auch nichtsprachliche Faktoren Berücksichtigung. Denn erstens sollten die KontexteKontext möglichst neutral sein wie beim Szenario Schule, zweitens auch die Personenbezeichnungen (Einwohner, Schüler, Bürger, Leser, Kunden, Wähler). Beides sollte sich auf erfahrungsgemäß nicht männlich dominierte Bereiche beziehen.

Im ersten Teil mit generischem Maskulinum (Wähler) überwogen die maskulinen Antworten deutlich, bis zu 81 %. An der zweiten Studie nahmen neue Versuchspersonen teil. Nun enthielten die Sätze aus Test A BeidnennungenBeidnennung (Wählerinnen und Wähler). Trotzdem aber verteilten sich die Antworten nicht gleich. Immer noch überwogen männliche Namen bzw. Titel, wenn auch mit etwas niedrigeren Werten. Darüber hinaus beobachtete Klein im Teil B, dass es zu einem fast ausgewogenen Verhältnis kam in Situationen, in denen eher mehr Frauen agieren wie beim Einkaufen. Auch im Fall von Schülerinnen und Schüler war im Gegensatz zu Test A, bei dem zu 20 % weiblich interpretiert wurde, nun das Verhältnis ausgewogen, wahrscheinlich, weil die männliche Form bereits als geschlechtsspezifisch interpretiert wird. Das bedeutet, so Klein, dass stereotype und erfahrungsbedingte kognitiveKognition, kognitiv Faktoren bei den Entscheidungen eine Rolle spielen und das generische Maskulinum einen eindeutig verstärkenden Einfluss hat. Weitere PronominaPronomen in den Beispieltexten könnten die männliche Lesart verstärken (Kotthoff et al. 2018: 100). Die Benachteiligung der Frauen durch das generische Maskulinum ist nachweisbar, trotz allem aber nicht rein sprachlich bedingt. Die Schwierigkeit liegt darin, diese Aspekte voneinander zu trennen.

Auch Scheele/Gauler (1993) ließen Versuchspersonen Sätze mit Lücken ausfüllen („Wissenschaftler von Bedeutung wählen ihre Probleme, wie sie ihre ____ wählen“). Bei dieser sehr freien Entscheidungsmöglichkeit kommen jedoch zu viele unspezifische Antworten (Deo, Schuhe) im Vergleich zu solchen, die Rückschlüsse auf ein gedachtes Konzept Frau/Mann erlauben (Rasierwasser oder Frauen als Hinweis auf die Männerkategorie). Auch ist der interpretatorische Anteil zu hoch. Trotzdem war die Deutung des Testwortes Wissenschaftler als männlich klar erkennbar. Alternative Formulierungen führen zum gedanklichen Einbezug von Frauen, wenn sie explizit sind (statt Wissenschaftler: Männer wie Frauen im Gegensatz zu Mensch oder Individuum).

Bei Irmen/Köhncke (1996) sollten die Proband/innen anhand von Sätzen mit genusvariierenden PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung spontan und unter Zeitdruck entscheiden, welchem Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus, m. oder f., die bezeichneten Personen angehören. Die Autorinnen verwendeten 76 Sätze wie „Ein Student kann Bafög beantragen“ oder „jemand hat eben das letzte Brot gekauft“ (ibd.: 165), außerdem 124 Sätze als DistraktorenDistraktoren, also mit einem anderen Thema, z.B. „Eine Forelle ernährt sich von Insekten“ oder „Das Bier ist unterwegs warm geworden“. Hier ging es entsprechend um andere Kategorien. Außerdem wurde den Versuchspersonen gesagt, die Studie beschäftige sich mit der Reaktionsschnelligkeit bei den Antworten. Beides sollte die Teilnehmer/innen wieder vom eigentlichen Gegenstand der Studie ablenken. Für die Sätze mit Personenbezeichnungen wurden bewusst keine Berufe gewählt, in denen überwiegend Männer arbeiten, um Kontexteffekte zu vermeiden. Es zeigt sich:

Auch in gezielt geschlechtsneutralgeschlechtsneutralen Zusammenhängen wird das generische Maskulinum männlich verstanden.

 

Für Braun et al. (1998) lasen die Versuchspersonen Texte zu einem Thema mit entweder generischen Maskulina, BeidnennungenBeidnennung oder NeutralformenNeutralform, vgl. WissenschaftlerWissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerwissenschaftlich Tätige. Die Texte verwendeten eine ablenkende CoverstoryCoverstory und berücksichtigten Faktoren wie Ko- und KontextKontext. Dazu bestimmten andere Versuchsteilnehmer/innen zunächst Berufs- und Sportgruppen als eher männlich (Geophysik, Hockey), weiblich (Ökotrophologie, Gymnastik) oder neutral (Badminton) konnotiert. So entstand beispielsweise ein Zeitungstext über eine wissenschaftliche Veranstaltung mit Begriffen wie Geophysiker und Teilnehmer und weitere Texte mit verschiedenen Verbindungen der alternativen Formen, was die Möglichkeit einer Kreuzqualifikation von Sprache und Kontext eröffnete. Die Versuchspersonen erhielten verschiedene Fragen zum Text als DistraktorenDistraktoren. Nebenbei sollten sie den Frauenanteil der im Text genannten Personengruppen schätzen. Es zeigte sich u.a., dass sogar im typischen Frauenkontext bei Neutralformen der Frauenanteil deutlich niedriger beurteilt wurde als der der Männer (47,81 vs. 60,03 %). Frauen schätzten gegenüber den Männern bei den Beidnennungen mehr Frauen als bei den maskulinen Formen. Der männliche Kontext führte im Maskulinum zum höchsten Männeranteil, bei den Neutralformen war er geringer, bei den Beidnennungen noch geringer. Aber die Schwankungen der geschätzten Frauenanteile waren groß. Die Schlussfolgerungen entsprechen denen der Studie Kleins. Bei vermeintlich neutralen Endungen (Studier-ende) kann der Kontext eine ausschlaggebende oder sogar dominante Rolle spielen.

Neutrale FormulierungenNeutralform rufen keine Verbesserungen in der Wahrnehmung hervor und stellen somit keine Alternative dar. Tendenziell entscheiden sich erwachsene männliche Versuchspersonen etwas mehr für maskuline Interpretationen.

Auch Heise (2000) wollte einerseits die Wirkung der männlichen Form, andererseits die verschiedener Alternativen testen. Ihre insgesamt 150 Versuchspersonen hatten zu einer Person, die in einem Satz vorgegeben wurde, eine schriftliche Beschreibung zu verfassen und einen Namen zu vergeben. Die Form der Vorgabe wurde variiert zwischen generischem Maskulinum, Binnen-IBinnen-<i>I</i>- und SchrägstrichSchrägstrichvarianten, vgl. Vegetarier, VegetarierInnen, Vegetarier/innen, sowie einer geschlechtsneutralen Form (Kinder). Keine der Versuchspersonen erkannte die Absicht der Untersuchung. Wieder erwies es sich, dass das generische Maskulinum männlich interpretiert wird. Neutrale Varianten ergaben mehr männliche Konkretisierungen. Die Form mit dem Binnen-I führte zu einer Frauendominanz, Schrägstrichvarianten zu einer Gleichverteilung. Männer interpretierten die Formen insgesamt häufiger männlich als Frauen.

Stahlberg et al. (2001) baten in ihrer Studie um drei Namen von Politikern, Sportlern, Sängern etc. Neben dem generischen Maskulinum verwendeten sie die BeidnennungBeidnennung (Politikerinnen und Politiker) oder die Variante mit dem Binnen-IBinnen-<i>I</i> (PolitikerInnen) bei der Frageformulierung. Das generische Maskulinum ergab hauptsächlich Männernamen, die Beidnennung führte zu mehr Frauennamen, die I-Variante bevorzugte noch stärker die Frauenantworten. Weibliche Versuchspersonen führten insgesamt mehr Frauennamen auf. Ähnlich fragten Braun et al. (2002) nach dem Lieblingssportler oder Lieblingsromanhelden und zählten, wie häufig Männer und Frauen als Antwort genannt wurden.

In allen Studien interpretierten die Versuchspersonen die maskuline Form überwiegend männlich (vgl. auch Rothmund/Scheele 2004, Gabriel/Mellenberger 2004, Irmen/Roßberg 2004, Kusterle 2011). Dazu kommt, dass die Entscheidung weiblich bei einem generischen Maskulinum länger dauert im Vergleich zur Entscheidung männlich und auch im Vergleich zu weiblich bei einer femininen Form (Irmen/Köhncken 1996, Stahlberg/Sczesny 2001).

Das generische Maskulinum kann keinesfalls als geschlechtsneutralgeschlechtsneutral gelten, denn es führt eindeutig zu einem geringeren gedanklichen Einbezug von Frauen. Neutrale FormNeutralformulierungen rufen ebenfalls bevorzugt männliche Assoziationen hervor, die I-Schreibweise bevorzugt weibliche. BeidnennungenBeidnennung erhöhen den gedanklichen Frauenanteil.

Eine durchaus interessante Beobachtung stammt von Rothmund/Scheele (2004), die feststellten, dass eine Fußnote, die die maskuline Form als Vereinfachung charakterisiert, aber natürlich Frauen mitmeint, zu einer noch stärkeren Assoziation der generischen Maskulina mit Männern führt.

Der Hinweis, aus ökonomischen und lesetechnischen Gründen auf geschlechtergerechte Formulierungen zu verzichten, ist kontraproduktiv und sollte vermieden werden.

Schließlich sei noch auf Arbeiten verwiesen, die die Behauptung widerlegen, Alternativformen würden den Lesefluss und die Rezeption von Texten stören. Denn gendergerechte Sprache in beispielsweise informierenden bzw. Gesetzestexten erschwert das Verständnis nicht (Rothmund/Christmann 2002, Braun et al. 2007, Blake/Klimmt 2010, Steiger-Loerbroks/von Stockhausen 2014). Männliche Teilnehmer empfanden die Textversion mit generischem Maskulinum als verständlicher, obwohl sie sie genauso gut verarbeiteten wie die Alternativtexte. Die schlechtere Verständlichkeit war also rein subjektiv (Braun et al. 2007). Dieses viel zitierte Argument gegen gendergerechte Sprache ist mithin widerlegt.

Alternativformen erschweren die Textrezeption nicht.

Oelkers (1996, vgl. auch Bülow 2017: 243f.) beschäftigte sich nicht mit Personen- bzw. Berufsbezeichnungen, sondern mit rückverweisenden PronominaPronomen. Sie wollte wissen, wie ihre 74 Versuchspersonen bei einem Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus-GenusGenus-Konflikt entscheiden. Die These der Gegner/innen der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik lautete ja u.a., es gäbe keinen Zusammenhang zwischen Sexus und Genus. Wenn das zutrifft, sollte in Konfliktsituationen ausschließlich grammatisch entschieden werden, etwa bei Texten wie „Elizabeth Taylor plant den achten Gang zum Traualtar. Auf einer Prominentenparty in Beverly Hills gab der Filmstar offiziell … (seine/ihre) Heiratsabsichten bekannt […]“ (Oelkers 1996: 8). Zu den Versuchspersonen zählten bewusst keine Linguistikstudierenden. Sie entschieden zu 70,9 % der Fälle biologisch (ElizabethFilmstar: sie). Aufgrund dieses hohen Wertes dürfte das Prinzip, die Kongruenz biologisch zu wählen, sehr ernst zu nehmen sein. Als weiteres Ergebnis hielt die Autorin fest, dass mit mehr PronominaPronomen für ein Bezugswort in längeren syntaktischen Abschnitten die biologischen Entscheidungen zunahmen. Beides bedeutet, dass Genus und Sexus sicher nicht unabhängig voneinander wirken, sondern sich im Falle von Personennamen und Pronomina systematisch aufeinander beziehen und dass häufigere grammatisch motivierte Pronominalisierungen das Wirken des generischen Maskulinums als männlich noch verstärken, da hier normalerweise eben nicht grammatisch (weiblicher Name … der Gast …, er …), sondern biologisch (weiblicher Name … der Gast …, sie …) gedacht wird. Insgesamt kommt dem KontextKontext hier eine wichtige Rolle zu (Bülow 2017: 244).

Bei den meisten dieser Experimente ist es etwas problematisch, dass die Versuchspersonen fast immer Studierende waren, zumeist des Faches Psychologie. Sie sind nicht als repräsentativ für den Bevölkerungsdurchschnitt zu sehen, denn sie sind gebildet, in der Regel in den Zwanzigern und gehen, vor allem im Fall von Studierenden der Psychologie, routiniert mit der Experimentalsituation um. Weiterhin bilden Studien, bei denen sich die Versuchspersonen zwischen einer weiblichen und einer männlichen Form entscheiden müssen, nicht ab, inwiefern Frauen „mitgemeint“ sind. Stahlberg/Sczesny (2001) merken darüber hinaus an, dass negative KontexteKontext wie Versagen oder Straftaten bisher kaum untersucht wurden (2001). Die Versuchsgruppen, Reiztypen und Kontexte sind in Zukunft zu erweitern. Trotz allem – die Ergebnisse sprechen dafür, dass Frauen im generischen Maskulinum unterrepräsentiert sind, daher sollte eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind und sein sollen, das generische Maskulinum aufgeben.

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