Gender - Sprache - Stereotype

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4.2 Sprache, Macht, Manipulation

Meinungslenkung erfolgt im Rahmen eines Geflechts aus Sprache und Klischees, denn neben dem unbewussten Tradieren von Stereotypen durch Sprache gibt es bewusst eingesetzte lexikalische und grammatische Strategien, die zum eigenen Nutzen verschweigen, verschleiern oder beschönigen. Eine Bezeichnung wie religiöse Gemeinschaft ist neutralNeutralform, während Sekte negativ wertet. Ein und dieselbe Person kann beschützenswert und harmlos als junge MutterMutter oder aber abwertend als Partygirl bezeichnet werden. Thibodeau/Boroditsky (2015) zeigen, wie die Wahl der Metapher in einem Zeitungsartikel die Einstellungen der Rezipient/innen zu Gewalt und den Umgang damit lenkt. Während bei „Crime is a VIRUS ravaging the city of Addison“ (ibd.: 4/22) die Versuchspersonen das Problem analysieren und mit Sozialreformen und besserer Schulbildung beheben möchten, wollen sie sich bei „Crime is a BEAST ravaging the city of Addison“ (ibd.) wehren, die Einsatzkräfte der Polizei verstärken und härtere Strafen verhängen. Gezielt aktivierte Konnotationen dienen der Assoziations- und Meinungssteuerung (Elsen 2009). Solche nicht neutralen Begriffe arbeiten über einen Text verstreut noch wesentlich intensiver. Es kommt zu einem komplexen Geflecht, das auch zwischen den Zeilen wirkt (vgl. auch Lakoff/Wehling 2008).

Andererseits lassen sich aber auch eigentlich neutraleNeutralform Termini wertend verwenden. Wenn das oft genug geschieht, entwickeln sie die entsprechenden Konnotationen, also Zusatzbedeutungen, mit lexikalisiertem StatusStatus. Ehrlich/King (1994) zeigen, wie die Lexeme chairperson und spokesperson als gendergerechte Alternativen zu chairman und spokesman in den untersuchten Texten ausschließlich für Frauen gebraucht wurden und so ihre Aufgabe, genderneutral zu fungieren, verloren. Ms. als Parallele zu Mr. (anstelle von Miss vs. Mrs.) wurde teilweise nur für geschiedene Frauen verwendet. Statt also wie Mr. auf eine Bestimmung des Familienstands zu verzichten, zeigte Ms. eine dritte Möglichkeit an, und die (für Männer durchaus interessante) sprachliche Unterscheidung zwischen verheirateten und nicht verheirateten Frauen scheint sich zu halten.

Um Texte zu verstehen, greifen wir neben dem lexikalisch-grammatischen auch auf unser Weltwissen zurück, denn Informationen stecken nicht nur in Wörtern und ihren Kombinationen, sondern zusätzlich in den Assoziationen, Metaphern und Interferenzen, die sich u.a. durch Stereotype aktivieren lassen. In dem Satz U. seufzte laut und lehnte sich fröstelnd an Manfred an können wir aus dem ersten Namen keine klaren Aussagen über das Geschlecht treffen. Da jedoch typischerweise Männer nicht so leicht frösteln wie Frauen, interpretieren wir U. als weiblich, obwohl es dort nicht steht. Wir nutzen die aus Erfahrung gewonnenen Wahrscheinlichkeiten, vgl. den folgenden Text, eine Anzeige, die eine Frau in einer Zeitung aufgibt:

Vor Kurzem bekam ich einen kleinen Welpen geschenkt. Er ist noch ganz klein und so süß. Aber mein Mann ist gegen Hunde und Katzen allergisch, deswegen kann ich ihn leider nicht behalten. Wer ihn haben möchte, solle sich bitte bei mir melden. Er ist 30 Jahre alt, 1,70 groß und heißt Karl-Heribert.

In diesem Text geben die PronominaPronomen er und ihn keine genauen Hinweise darauf, wer gemeint ist, da es zwei maskuline Referenten, Welpe und Mann, gibt. So sind die Leser/innen auf die Erfahrung angewiesen, die mit nicht behalten können typischerweise nicht auf Ehemänner zielt, wodurch der Bezug des Pronomens auf Welpe aktiviert wird. Die Leser/innen verstehen also ‚ich kann den Welpen nicht behalten‘. Der Schlusssatz wiederum zählt Eigenschaften auf, die sich nur schwer auf Hunde beziehen lassen, so dass dann doch mit ihn der Mann gemeint sein muss, denn Hunde sind wahrscheinlich nicht so groß, werden erfahrungsgemäß nicht so alt und heißen auch eher nicht Karl-Heribert. Von dem Effekt, dass zwei unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten aufeinandertreffen und die Frau ihren Ehemann abholen lassen will, lebt der Witz.

Auf lexikalischer Ebene beeinflussen Wortspiele, Euphemismen, Synonymie, Polysemie oder verwandte Begriffe mit gezielt anderer Konnotation oder Denotation die Veränderung der Perspektive, vgl. Ermordung aller Juden vs. Endlösung, Freiheitskämpfer vs. Terrorist, Täter vs. Mörder. In dem Satz das Krebsgeschwür des FeminismusFeminismus verbreitet sich immer weiter wird über das erste Nomen, die Krebs-Metapher, das semantischeSemantik, -isch Netz zur bösartigen und häufig tödlichen Krankheit eröffnet und auf den neutralen Terminus Feminismus übertragen. Weiter kommen unnötige Übertreibungen vor, vgl. es herrscht ein absolutes Vertrauensverhältnis.

Die Macht einzelner Wörter lässt sich am Beispiel der Begriffe Vergewaltigungsopfer und Vergewaltigungsüberlebende (rape victim, rape survivor) zeigen, ein Thema, bei dem es bedauerlicherweise auch zahlreiche männliche Opfer gibt. Hockett et al. (2014) führten verschiedene Experimente mit englischsprachigen Versuchspersonen durch. U.a. sollten Studierende fünf Charakteristika von rape victims und rape survivors benennen. Das Geschlecht wurde nicht erwähnt. Rape victims wurde zumeist assoziiert mit afraid, attractive, female, aber auch distrusting und young. Der Begriff rape survivors war sehr stark mit afraid und strong, weniger mit angry, distrusting oder depressed gekoppelt. Der Begriff ‚Vergewaltigungsopfer‘ ruft offenbar das Bild einer hübschen, eher schwachen Frau hervor. Außerdem ist rape victim häufiger mit Selbstverschulden und Machtlosigkeit assoziiert. Solche Personen werden auch mehr als Objekt gesehen, ‚Vergewaltigungsüberlebende‘ hingegen als aktiver, fähiger und stärker. Dazu gibt es Hinweise, dass mit Opfer und der damit verbundenen Hilflosigkeit ein Zustand assoziiert wird, während die Rolle als Überlebende ein Ergebnis ist. Am Opferstatus wäre dann kaum etwas zu ändern, während Überlebende über Hilfsmaßnahmen erreicht werden. Im Vergleich zu Frauen schreiben Männer einer rape victim häufiger die Schuld zu. Einer Frau who has been raped oder einer rape survivor wird weniger oft die Verantwortung für die Vergewaltigung gegeben als einer rape victim. Bewusste oder unbewusste Schuldzuweisungen hängen also auch mit den Begriffen zusammen. Der verfehlte Ausdruck und die dazugehörenden Assoziationen können darüber hinaus den Heilungsprozess und die Unterstützung durch andere behindern (Hockett et al. 2014).

Auf syntaktischer Ebene eignet sich das PassivPassiv (grammatische Kategorie) gut, um Täter unsichtbar zu machen. Dadurch rückt das Patiens in den Fokus der Leser/innen. Auffälligerweise verwenden einige Massenmedien überwiegend Passivstrukturen ohne Agensangabe, um über sexuelle Gewalt zu berichten (vgl. Kap. 11.4). Außerdem ist die Akzeptanz eines Verbrechens bei der Passivformulierung höher. Die Versprachlichung der Täter korreliert mit weniger Toleranz gegenüber dem Verbrechen (Parker/Mahlstedt 2010, Henley et al. 1995). Hier lässt sich also gut zeigen, wie sich über Sprache Blickwinkel verschieben lassen.

Manche sprachlichen Einheiten und Strukturen weisen auf Machtlosigkeit hin. Oft lässt sich ein Tatbestand sprachlich so darstellen, dass bestimmte Verantwortlichkeiten verschleiert oder erst impliziert werden. Auch wenn im Satz „Frau in rotem Minirock nach Diskobesuch vergewaltigt“ die eigentlichen Fakten stimmen, bleibt das Opfer ohne Namen, was die Frau weniger wichtig erscheinen lässt. Der Minirock im Zusammenhang mit dem Diskobesuch impliziert eine Mitschuld („hätte sie sich vernünftig angezogen, wäre das nicht passiert“). Die Tat wird anonymisiert und bagatellisiert, im PassivPassiv (grammatische Kategorie) und ohne Agensangabe ist der Täter nicht präsent. In der Formulierung „In der Nacht zum Montag kam es zu einer Vergewaltigung“ wirkt die Tat abstrakt, weniger vorstellbar, ohne aktive Beteiligte oder Opfer und noch harmloser1. Die Formulierungen mögen journalistischem Kalkül oder fehlenden Informationen zum Tathergang eher geschuldet sein als gezielter Manipulation. Sie entfalten gleichwohl ihre Wirkung. Aufgrund von Häufungen derartiger Strategien bestätigen und verstärken sich Stereotype. Diese werden von den Sprachbenutzer/innen unbewusst weitergepflegt. Implikationen etablieren sich als Tatsachen. Vergewaltigungen erscheinen weniger schlimm und von den Opfern mitverschuldet. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, wie sich Denken, Einstellungen und Meinungen mit der Zeit verändern lassen.

Direkte Kommunikationssituationen bilden einen weiteren Bereich, in dem Beeinflussung anderer stattfindet. Ein dominanter, einflussnehmender Gesprächsstil zeichnet sich durch wenig HeckenausdrückeHeckenausdrücke, <i>hedges</i>, Zöger- und Verunsicherungssignale, Bestätigungsfragen, Pausenfüller und Intensivierungen aus. Der Machtlosigkeit ausstrahlende Stil hat davon viel (wirklich, irgendwie, glaub’ ich, nicht wahr?, äh, mmh, total), er wirkt unsicherer, höflicher. Ein dominanter Sprachstil wird zudem mit höherem StatusStatus in Verbindung gebracht und er ist trotz gleichem Inhalt bzw. Aussage überzeugender (Hosman 2015).

Menschen mit Macht und bestimmte Formulierungsweisen nehmen Einfluss darauf, wie Diskurse strukturiert und geführt werden, nicht nur auf deren Inhalte.

4.3 Sprachliche Diskriminierung

Wenn Sprache sich auf das Denken auswirken kann, wird auch verständlich, warum es zu sprachlicher Diskriminierung kommt. Dies ist umso gefährlicher, als wir es nicht bemerken. Wenn ungerechte Sprache bzw. Verhalten häufig genug sind, gewöhnen wir uns daran und empfinden es als normal. Dann wird das sprachliche Handeln nicht mehr als falsch interpretiert und Diskriminierung ist unsichtbar geworden.

 

„Discrimination, as distinct from prejudice and bigotry, is overt behavior that affects another individual or a group of individuals. Its enactment is therefore a fully social act“ (Ng 2007: 111). Hierfür ist Sprache eines der effektivsten MedienMedien. Die sprachliche Kodierung von Diskriminierung richtet sich gegen Frauen, Andersgläubige und -farbige oder alte Menschen, aber auch gegen ganze soziale Schichten. So ist die Gesetzessprache so verklausuliert, dass nur Jurist/innen sie verstehen, was ihnen einen Vorteil gegenüber den anderen verschafft. Wirklichkeiten und Zusammenhänge können über geschickte Formulierungen falsch dargestellt werden. Um hier Einfluss auf andere zu nehmen, geschieht das möglichst indirekt, indem man (?!) die anderen dazu bringt, das zu wollen, was man (?!) will, „language provides a rich repertoire of masking devices for reducing resistance and perceived conflicts of interest while enacting discrimination“ (Ng 2007: 112f.).

Ng (2007) bespricht mehrere Aspekte sprachlicher Diskriminierung, u.a., dass Sprache als Sammelbecken kultureller Werte diskriminierende Stereotype kodiert, Diskriminierung umsetzt und zur Regel macht.

Sprache wirkt auf das Denken und unsere Sicht auf die Welt. Dadurch konstruiert sie die Wirklichkeit mit. Sie stellt bestimmte Kategorien und Assoziationen her und lenkt durch andere unseren Blick darauf.

So it appears that linguistic categories can influence people’s thinking by encouraging them to carry out comparisons that they wouldn’t have otherwise carried out (Boroditsky et al. 2003: 74).

Maskuline Formen reproduzieren das Männliche als das Häufige und damit Normale. Als Selbstverständlichkeit im alltäglichen Diskurs nehmen wir diese Diskriminierung nicht mehr wahr. Sie gehört zu einem Teil des Lebens, über den wir nicht nachdenken. Eine Veränderung der Sprache kann aber zu einer veränderten Wahrnehmung führen.

4.4 Zusammenfassung

Sprachtheoretische Ansätze gehen entweder von keinerlei Beziehung zwischen Sprache, Denken und Wirklichkeit aus (UniversalismusUniversalismus), von der Möglichkeit einer gegenseitigen Beeinflussung (RelativismusRelativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese) oder von der Abhängigkeit des Denkens von der Sprache (DeterminismusDeterminismus). Verschiedene Studien bestätigen lediglich die Auffassung des Relativismus.

Sprachen wirken auf ihre Sprecher/innen ein und können dadurch das Denken beeinflussen und mithin das Handeln ebenfalls. Die jeweilige Wirklichkeit ist eine relative und abhängig von der Sprache und von der Kultur, die immer eine etwas spezifische Sicht der Welt hat und sie mit durch Sprache vermittelt. Die relativistische Sicht macht sprachliche, kulturelle und biologische Systeme durchlässig und öffnet sie für einander. Das erklärt, dass bewusst eingesetzte lexikalische und grammatische Strategien zum eigenen Nutzen verschweigen, verschleiern oder beschönigen können. Wortwahl und Formulierungen wirken darauf ein, wie Rezipient/innen über den entsprechenden Sachverhalt denken. Über den richtigen Sprachgebrauch kann so die Wahrnehmung beeinflusst werden. Vielfach nicht bewusst wird genderungerechte Sprache als normal empfunden, so dass Diskriminierung unsichtbar wird.

4.5 Literatur

Eine sehr ausführliche Darstellung des sprachlichen Relativitätsprinzips liefert Werlen (1989), konziser Werlen (2002).

Verschiedene Zugänge und Möglichkeiten der Erforschung der Beziehung zwischen Sprache und Denken stellt Funke (2015) zusammen. Von Ives/Rana (2018) stammt ein aktueller Überblick über die Möglichkeiten von Machtausübung durch Sprache. Kusterle (2011) beschäftigt sich gezielt mit dem Zusammenhang von Denken, Sprache und Genderwahrnehmung.

5. Gender und Sprachsystem
5.1 Geschichte

Sprachen haben unterschiedlich viele Genera. Das sind grammatische Klassen, nach denen sie Nomen einteilen. Anders als etwa Plural und Mehrzahl – der Plural beschreibt immer eine Mehrzahl des Bezeichneten – waren ursprünglich GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus getrennte Systeme. In der Geschichte des Deutschen ordneten aber einige Wissenschaftler (m.) den maskulinen Wörtern Eigenschaften der Männer zu. So wurden Genus und Sexus vermengt, wobei das Maskulinum als höherwertig galt, z.B. bei Jacob Grimm. Renaissance und Barock gebrauchten üblicherweise für Frauen und Männer noch je unterschiedliche Formen. Deswegen war klar, wer nun mit Sächsin, Wächterin, Schmidin, Doctrin bzw. Doctor etc. (Doleschal 2002: 43) gemeint war. Frauen traten dabei nicht nur als Ehefrau des jeweiligen Mannes auf, sondern übten die Tätigkeiten durchaus auch selbst aus, wie etwa die Uhrmacherinnen in Augsburg und Friedberg (Arnold-Becker et al. 2019). Die Aufklärung grenzt in den Grammatiken das Weibliche mehr und mehr aus, in dieser Zeit beginnt die Entwicklung des neutralenNeutralform Gebrauchs männlicher Endungen. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte sich die Bezeichnung des Wortbildungselements -er für Männer (zu lat. -ārius ‚männliche Person, die etwas tut‘) auch auf Personen allgemein verschoben. Dies entspricht dem heutigen System: Wenn eine maskuline Form für beide Geschlechter verwendet werden kann, heißt sie generisches Maskulinumgenerisches Maskulinum.

Das generische Maskulinum war im deutschen Sprachsystem historisch nicht gegeben, -er ist eine ursprünglich maskuline (nicht neutrale) Endung.

5.2 Markierung

Sprachen kennzeichnen das Geschlecht auf unterschiedliche Weise. Bußmann/Hellinger (2003) und Hellinger/Pauwels (2007) beispielsweise unterscheiden zwischen erstens dem grammatischen Geschlecht, morphosyntaktischen Eigenschaften von Nomen, zweitens dem lexikalischen, also den semantischenSemantik, -isch Eigenschaften von Nomen für belebte Referent/innen, und drittens dem sozialen Geschlecht, das über Stereotype wirkt und sich indirekt zeigt (z.B. Pronomina)Pronomen.

Das Deutsche teilt auf der Ebene des Sprachsystems die Substantive in die drei Gruppen Maskulinum, Femininum und Neutrum. Genus istGenus eine rein grammatische Kategorie und hat zunächst nichts zu tun mit Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus, dem natürlichen Geschlecht. Das grammatische Geschlecht hat also keine außersprachliche Entsprechung und ist nicht motiviert. Es gehört zu jedem Nomen dazu, wird aber meist nicht markiert, indem es eine eigene Endung erhält. Wir wissen, dass Tisch Maskulinum, Sofa Neutrum und Lampe Femininum ist. Zweit- und Fremdsprachler/innen müssen dies mit jedem Nomen lernen. Abhängige Wörter wie Artikel, PronominaPronomen und Adjektive haben mit dem Bezugsnomen grammatisch übereinzustimmen (bezogen auf Genus, Kasus, Numerus) und werden entsprechend flektiert. Dann wird Genus sichtbar, vgl. ein schöner Tisch, er gefällt mir!, ein weiches Sofa, es gefällt mir!, eine süße Lampe, sie gefällt mir! Viele Ableitungen bestimmen ebenfalls Genus, vgl. der Leserdie Leserschaft, die Luftdas Lüftchen, die Witweder Witwer, der Arztdie Ärztin. Da es sich um formale Eigenschaften von Wörtern und Morphemen handelt, richten sie sich nach grammatischen Regeln. Das Deutsche unterscheidet Genus nur bei der dritten Person Singular, anders z.B. das Französische elles/ils, ‚sie‘ (f. pl.)/‚sie‘ (m. pl.) oder das Arabische, vgl. anti/anta ‚du‘ (f.)/‚du‘ (m.), antunna/antum ‚ihr‘ (f.)/‚ihr‘ (m.). Im Deutschen sind du und ihr daher geschlechtsindifferent, das Geschlecht spielt keine Rolle.

GenusGenus entspricht heute in einigen Wortschatzbereichen tatsächlich dem Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus, dem natürlichen Geschlecht, z.B. bei Personen wie Hexe, Tante, Frau oder Zauberer, Opa, Vater und bei vielen TierenTier, vgl. Erpel, Bulle, Färse, Henne. Aber es gibt auch Ausnahmen, vgl. Vamp, Mädchen, Weib, Memme oder Tunte. Hier stehen Genus und Sexus zueinander im Widerspruch. In der Regel ist das Genus fest. Ein Nomen, das über Konversion entsteht, kann jedoch maskulin oder feminin sein, vgl. tot, der/die Tote, angestellt, die/der Angestellte (DifferenzialgenusDifferenzialgenus).

5.3 Probleme
5.3.1 AsymmetrienAsymmetrie

Das Deutsche weist AsymmetrienAsymmetrie auf mehreren Ebenen auf, was Benennung von und Bezug auf Frauen anbelangt, z.B. bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung, Ableitungen, Reihenfolgen und Häufigkeiten, Sprachwandel, PhraseologismenPhraseologismus und Metaphern.

Bei der Referenz einer sprachlichen Form gibt es mehrere Untertypen. Unter anderem kann zwischen Klassen und Individuen getrennt werden. In dem Satz Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld bezieht sich der Begriff Dozent auf eine ganze Klasse, nicht auf spezielle Individuen, daher generische (‚verallgemeinernd, generalisierend, nicht-spezifisch‘) bzw. klassenbezogene Referenz. Genauso könnte es heißen Alle Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld. Wenn ein bestimmtes Individuum gemeint ist, handelt es sich um spezifische Referenz, vgl. der Dozent (gemeint ist Herr X.Y. Müller) verdient zu wenig Geld. Dieser Satz kann auch klassenbezogen gemeint sein, wenn er darauf hinweist, dass generell alle Dozenten nicht viel Geld verdienen (vgl. der Dozent an sich verdient zu wenig Geld). Hier muss der Zusammenhang entscheiden oder die Formulierung bleibt mehrdeutig. Die verschiedenen Referenztypen sind unterschiedlich wichtig für die Versprachlichung von Geschlecht (Diewald/Steinhauer 2017).

Dazu tritt die Trennung in die Geschlechtergruppen. Das generische Maskulinum ist eine maskuline Form, die sich auf beide Geschlechter beziehen kann, etwa, wenn in dem Satz Dozenten an der Fakultät verdienen zu wenig Geld sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind. Die gängige Behauptung ist, dass Frauen selbstverständlich mitgedacht werden. Diese Interpretation ist, wie bereits erwähnt, historisch entstanden und hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt.

Allerdings entspricht der allgemeine Sprachgebrauch nicht immer den grammatischen Vorgaben. Sprecher/innen grenzen klassenbezogene und spezifische Referenzweisen nicht genau voneinander ab, sie verwenden sie nicht präzis. Rein grammatisch gesehen kann nur in verallgemeinernden Verwendungsweisen das generische Maskulinum stehen. Der allgemeine Sprachgebrauch trennte jedoch oft nicht zwischen dieser klassenbezogenen und der spezifischen Referenz. So kommt es zu Sätzen wie Frau Dr. Müller, unser Arzt hier am Klinikum, wird Ihnen weiterhelfen mit einem falsch verwendeten generischen Maskulinum. Auch im Falle der Prädikative scheiden sich die Meinungen. Für Diewald/Steinhauer (2017: 82f.) sind Sätze wie sie ist Tischler möglich, aber veraltet, für Kotthoff et al. (2018: 94) grammatisch fraglich, für Motschenbacher (2016) spezifisch. Sie subsumieren Frauen unter der männlichen Norm. Wir finden sie regelmäßig (vgl. auch Schröter et al. 2012). Bei Geschichten wie

Ein Vater fährt mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglücken. Der Vater stirbt, der Sohn wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und muss operiert werden. Der Arzt kommt, aber sagt: „Ich kann nicht operieren. Dies ist mein Sohn.“

wird Arzt männlich ausgelegt, und die Geschichte verwirrt daher, weil es sich um die MutterMutter des Sohnes handelt. Im allgemeinen Sprachgebrauch kann die mit dem bestimmten Artikel eingeführte Berufsbezeichnung geschlechtsindifferent interpretiert werden, wenn der individuelle Sprachgebrauch keine Femininformen zulässt, was für eine Vielzahl der Sprecher/innen noch der Fall ist (vgl. auch Irmen/Köhncke 1996). Dann klingt Arzt aufgrund der Stereotype nach einem Mann. Oft genug wird noch immer nicht zwischen generischen und spezifischen Gebrauchsweisen unterschieden. Klare Trennungen bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung im allgemeinen Sprachgebrauch zwischen klassen- und individuenbezogener Referenz sind ein Zeichen für Sprachwandel, der mit der verbreiteten Verwendung femininer Ableitungen zu erwarten ist.

 

Ein anderes Beispiel für das generische Maskulinum sind PronominaPronomen wie man, niemand oder jemand, zu denen es keine feminine Entsprechung gibt. Sie gelten daher für Männer und Frauen. Der grammatische Bezug ist Maskulinum, was zu irritierenden Formulierungen führen kann, vgl. wer seine Tage hat, der ist oft müde.

Unschärfe und Unklarheit sind ein Kritikpunkt am generischen Maskulinum, was mit weiteren Bedenken eng zusammenhängt, nämlich, dass Frauen sprachlich nicht sichtbar sind (vgl. Kap. 6) und sie darum weniger Identifizierungsmöglichkeiten haben. Eine AsymmetrieAsymmetrie ergibt sich, weil einerseits eine maskuline Form wie der Dozent für weibliche Inhalte ohne formale Markierung stehen kann, während sich eine Femininform immer nur auf Frauen bezieht, und weil andererseits die Selbstverständlichkeit des Mitgemeintseins nicht immer gilt. Mit anderen Worten, Feminina haben eine Verwendungsweise, Maskulina jedoch zwei. Welche gerade erwünscht ist, ist nicht immer klar.

Das generische Maskulinum fasst Frauen unter Männern zusammen. Es ist nicht geschlechtsneutralgeschlechtsneutral, denn es macht Frauen sprachlich und kognitivKognition, kognitiv unsichtbar.

Es gibt eine Vielzahl von Begriffen für Frauen, die in der Regel schlechtere Bedeutungen, auch Konnotationen und Assoziationen aufweisen, vgl. Beißzange, Heulsuse, Giftnudel, Klatschbase, alte Jungfer. Das wird bei verwandten Paaren besonders deutlich, vgl. Gouverneur/Gouvernante, Sekretär/Sekretärin, Hausherr/Hausfrau, Jungfrau/Junggeselle. Beim Sprachwandel verschlechtern sich Frauenwörter mehr als Wörter für Männer, vgl. Weib, das ursprünglich neutral verwendet wurde (Bußmann 1995: 134f.). Für Keller (1994) liegt das an einem Abnutzungseffekt. Männer wollen über und mit Frauen gern höflich sprechen, mit der Zeit werden die höflichen Ausdrücke neutralerNeutralisierung. Wohl eher aber dürfte das mit veränderten „Aufgaben“ bzw. mit der Einstellung gegenüber Frauen zusammenhängen. Das Wort Dirne bezeichnete zunächst eine Jungfrau, bedeutete auch ‚Mädchen‘, dann ‚Dienerin‘ (Kluge 1999 und Pfeifer 1999 sind sich hier nicht einig) und schließlich ‚Prostituierte‘. Noch heute werden freizügige Frauen schnell als Schlampe beschimpft. Außerdem führt die InteraktionInteraktion mit sozialen Umständen dazu, dass an sich neutrale Sprache nicht neutral verwendet wird und sich dieser Gebrauch mit der Zeit als Bedeutungswandel niederschlägt (vgl. Kap. 11.4.1).

Ein weiteres Ungleichgewicht existiert auf der morphologischen Ebene (vgl. Bußmann 1995: 137, Scheele/Rothmund 2001: 86). So werden Vornamen in der Regel von Männernamen abgeleitet (Michael/Michaela), andersherum nicht, und es gibt keine Nachnamen auf -frau. Weibliche Nomen werden von männlichen abgeleitet, andersherum gibt es bei Bedarf in der Regel neue Wörter statt Ableitungen, vgl. Krankenpfleger, Entbindungspfleger.

Auf der syntaktischen Ebene erweisen sich Reihenfolgen als genderungerecht. Bei zweigliedrigen Titeln oder Namenpaaren steht in der Regel der männliche vorn, damit wird automatisch eine Hierarchisierung vorgenommen, vgl. Herr und Frau Müller, Romeo und Julia, Adam und Eva, Tristan und Isolde, Männer und Frauen, Brüder und Schwestern (Hellinger 1990: 43), in den Grammatiken auch er, sie, es. Frequenzanalysen ergeben für männliche und weibliche Formen unterschiedliche Häufigkeiten in Satz und Text.

Auch PhraseologismenPhraseologismus und Sprichwörter versprachlichen stereotype AsymmetrienAsymmetrie. So lernen Kinder schon früh, dass Frauen viel reden und listig, boshaft und dumm seien. Männer seien überlegen, männlich und standhaft (Daniels 1985), vgl. einem Problem Herr werden; ein Mann, ein Wort; Herr im Haus.

Auch auf der Wortebene werden Stereotype versprachlicht, vgl. staatsmännisch, Mannschaft, beherrschen, Herrgott, bemuttern, Rabenmutter, Milchmädchenrechnung.

Sprache lenkt unsere Gedanken über Reihenfolgen, denn was zuerst genannt wird, ist wichtiger (Mann und Frau). Ebenso sind Häufigkeiten und KollokationenKollokation relevant. Was zusammen genannt wird, gehört zusammen, vor allem, wenn das oft geschieht (Frau und MutterMutter). Sprache lenkt über Konnotationen, Assoziationen und mitaktivierte Wortfelder.

Die Unterschiede auf lexikalischer und phraseologischer Ebene lassen sich teilweise aus der früheren Rollenverteilung herleiten. Frauen waren keine Seeleute, daher Mann über Bord. Sie hatten privat und beruflich Nebenrollen – Herr im Haus, Herr und Meister. Dies erklärt jedoch nicht, warum die Studien mehr negativ konnotierte Beispiele und mehr Themenbereiche für Frauen finden als für Männer. Hier sind fehlende Manneskraft oder HomosexualitätHomosexualität, Trunksucht und Gewalt kritisch (warmer Bruder, Schlappschwanz, Saufbruder, Trunkenbold, Raufbold). Bei Frauen werden Abweichungen von der „natürlichen“ Ordnung und den auferlegten Normen in Form von „zu viel“ Sprechen, Ungehorsam, Bosheit, Unsauberkeit, auch mangelnde Intelligenz, immer wieder aber sexuelle Freizügigkeit sanktioniert. Dies spiegelt gesellschaftliche Klischees wieder: Männer müssen stark und potent sein, Frauen schön, brav, fleißig, schwach. Sexualität ist nur im Rahmen der Ehe angebracht.

Aufgrund des generischen Maskulinums kommt es zu AsymmetrienAsymmetrie bei Personen- und Berufsbezeichnungen, weil es mehr männliche Formen gibt, weil manche davon flexibel interpretierbar sind als männlich oder neutral und weil demgegenüber weibliche Formen klar weiblich aufgefasst werden. Asymmetrien lassen einerseits Frauen sprachlich und damit gedanklich verschwinden, andererseits wirken Femininmarkierungen als auffällig, negativ konnotierend und als abweichend, zumindest anfangs. Durch weitere Asymmetrien wirken darüber hinaus Stereotype. So entwickeln und stabilisieren sich unterschwellige Botschaften zu Hierarchien und Klischees.