Gender - Sprache - Stereotype

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2.5 Zusammenfassung

Im Zuge der Französischen Revolution formierten sich Ende des 18. Jahrhunderts aus sozialpolitischer Unzufriedenheit heraus Proteste, die neben Demokratie und Gerechtigkeit auch eigens Frauenrechte forderten. Im Zusammenhang mit den FrauenbewegungenFrauenbewegung setzte sich in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Erkenntnis durch, dass es keine sprachliche Gleichberechtigung gab. So kam es zur Forderung, Gleichheit auch sprachlich zu realisieren. Die frühe Sprachkritik fand Unterschiede bei der sprachlichen Behandlung von Frauen und bei den sprachlichen Verhaltensweisen. Frauen verwenden gern Ausdrücke, die eine Behauptung abschwächen. Sie vermeiden dadurch aus Höflichkeit und Kompromissbereitschaft klare Aussagen. Dies wiederum wird als Unsicherheit und Schwäche gedeutet. Beim Sprechen über Frauen geht der eindeutige Bezug auf die Frau durch das generische Maskulinum verloren. Beides wirkt sich zum Nachteil von Frauen aus. Die feministische Sprachkritik forderte darum, sich dieser Probleme bewusst zu werden und beispielsweise maskuline Bezeichnungen für Frauen zu meiden, weil das missverständlich und unklar ist und dadurch Frauen willkürlich ausgeschlossen werden können und unsichtbar sind. Sie kritisierten aber auch andere AsymmetrienAsymmetrie, die sich jeweils für die Männer vorteilhaft auswirkten.

Die Gegenposition bestritt die Möglichkeit einer assoziativen Verbindung zwischen GenusGenus und Gender, erklärte das Thema für unwichtig, da es einerseits im Rahmen der Gleichstellung andere Themen gebe, andererseits die Referenz in der Regel klar sei. Die Alternativformen seien unnötig, kompliziert bzw. umständlich. Die Rolle der ParoleParole wurde ebenfalls als belanglos gesehen. Sehr auffällig aber waren die vielen polemischen und beleidigenden Reaktionen, die eine ernsthafte Diskussion behinderten.

Vorerst fehlten noch empirische Studien, die eine assoziative Verbindung von GenusGenus und Gender beweisen konnten. So blieb es zunächst bei Annahmen, die sich in theoretischen Grundsatzdiskussionen gegenüberstanden.

2.6 Literatur

Giele (1988) veröffentlichte einen geschichtlichen Überblick aus soziologischer Sicht. Eine kurze Geschichte der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik liefert Samel (2000, Kap. 1). Zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Perspektive vgl. Frey Steffen (2017), Bergmann et al. (2012). Von Thorne/Henley (1975b) kommt ein sehr detaillierter Überblick über den Stand der Forschung Mitte der 70er Jahre. Über die ganze Vielfalt der Gender Studien stellten beispielsweise Braun/Stephan (2006) eine Artikelsammlung zusammen. Kurze Darstellungen der Situation zum Ende des letzten Jahrhunderts aus Sicht verschiedener deutschsprachiger Länder stammen von Doleschal (1998), Peyer/Wyss (1998), Schoenthal (1998), Trempelmann (1998). Überblicksdarstellungen kommen von Schoenthal (1985), Hornscheidt (2006). Zur Situation in Österreich vgl. Aspöck (1983).

3. Theorien
3.1 Anfänge

Die frühen Stellungnahmen zum Zusammenhang von Sprache und Geschlecht Anfang des letzten Jahrhunderts beruhten auf eigenen impressionistischen und sehr subjektiven Beobachtungen, wie etwa die von Otto Jespersen, oder verschiedenen anthropologischen Arbeiten, die alle ausschließlich von Männern publiziert waren. Frühe Analysen basierten auf unsystematisch zusammengestellten Datensammlungen, waren nicht repräsentativ und setzten alles Männliche als Norm an (vgl. Hellinger 1990). Etwas später berücksichtigten die ersten soziolinguistischenSoziolinguistik, -isch Studien Geschlecht als Variable und räumten den Frauen eine Rolle bei Sprachwandelerscheinungen ein.

3.2 Defizit und Differenz – Feministische LinguistikFeministische Linguistik

Die FrauenbewegungFrauenbewegung Ende der 60er Jahre führte zu Diskussionen zu sprachlichen Themen, so dass wir seit den Arbeiten von Mary Ritchie Key (1972, 1975), Robin Lakoff (1973, 1977), Barry Thorne und Nancy Henley (1975) von feministischer Linguistik sprechen.

Key und Lakoff verwendeten introspektive Daten, weswegen sie später wiederholt kritisiert wurden. Sie behandelten das Thema jedoch systematischer als zuvor und auf bestimmte Fragen hin ausgerichtet. Beide unterschieden zwischen der Sprache über und der von Frauen. Dabei galt zunächst vielfach noch vom männlichen System ausgehend das weibliche als das sekundäre und schlechtere. Allerdings stellten sie einen Bezug zwischen sprachlichen AsymmetrienAsymmetrie und sozialer Benachteiligung her. Mit diesem neuen Ansatz legten die Arbeiten den wesentlichen Grundstein für den Kern der Feministischen Linguistik, die im weiteren Verlauf zunächst die empirischen Belege zu typischen Verhaltensweisen von Frauen nachzuliefern hatte, etwa höflichere Ausdrücke, Euphemismen, Abschwächungen, Entschuldigungen, Frageintonation, Übertreibungen, hedgesHeckenausdrücke, <i>hedges</i> bzw. Weichmacher (glaube ich, irgendwie, oder so), tag-questions (isn’t it/nicht wahr?) bzw. den unsicheren Stil, aber insgesamt „korrekteres“ Sprachverhalten. Außerdem spezialisieren sich Frauen auf unterschiedliche Wortfelder, deswegen bezeichnen sie zum Beispiel Farben differenzierter. Auf Seiten der Männer sind mehr UnterbrechungenUnterbrechung, mehr Witze und gröbere Sprache und klare Ansagen typisch, auf Ebene des Sprachsystems männliche Formen auch für Frauen.

Im deutschen Sprachraum griffen Senta Trömel-Plötz und Luise Pusch als Erste die diskriminierende Wirkung der Sprache an und machten auch Verbesserungsvorschläge. Auf Luise Pusch geht der Begriff Feministische LinguistikFeministische Linguistik zurück (Samel 2000: 10). Sie wandte sich gegen das generische Maskulinum und andere AsymmetrienAsymmetrie wie Fräulein oder Herr Meier und Frau und kritisierte die dominierenden Gesprächsstrategien der Männer.

Als Marlis Hellinger 1990 ihren Überblick über die Kontrastive Feministische LinguistikFeministische Linguistik aus deutscher Sicht veröffentlichte, war die Forschung keine zwanzig Jahre alt. Sie sah als ein wesentliches Kennzeichen feministischer Linguistik die kritische Haltung in Verbindung mit dem politischen Ziel, Gleichberechtigung herzustellen und Benachteiligung abzuschaffen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Feministische Linguistik wesentlich von den anderen sprachwissenschaftlichen Disziplinen und ähnelt mit ihren Forderungen denen der FrauenbewegungFrauenbewegung. Kontrastiv betrachtet ergeben sich aus Hellingers Analysen drei Tendenzen, und zwar, dass das Männliche als Norm gesehen wird, dass es positiv belegt wird und dass es daher dominiert (Hellinger 1990: 58). „Die neue Perspektive der geschlechtsbezogenen Sprachforschung bestand in der These, dass Geschlecht in Sprache und Sprachgebrauch Reflex patriarchaler Machtverhältnisse und dieses in Forschung und Theoriebildung aufzuklären ist“ (Klann-Delius 2005: 9).

Wenn das Männliche die Regel ist, weichen Frauen davon ab, ihr Sprechen ist „schlechter“, also defizitär – Grundlage der DefizithypotheseDefizithypothese.

Vertreterinnen der DefizithypotheseDefizithypothese als dem ersten Ansatz im Rahmen der Feministischen Linguistik, u.a. Pusch und Trömel-Plötz, bewerten und hierarchisieren die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Defizithypothese schließt an die frühen Beobachtungen von Wissenschaftlerinnen wie Key oder Lakoff an. Sie interpretierten den höflichen Sprachstil der Frauen als notwendiges Sicherheitsdenken, um nicht zu bestimmt aufzutreten, keinen Dissens hervorzurufen und dadurch Sicherheitsabstand zu gewinnen. Frauen versuchten sich dadurch vor möglichen verbalen Angriffen durch Männer zu schützen. Dieses Verhalten werde ihnen als Unsicherheit, Machtlosigkeit und Nichtwissen ausgelegt und schwäche ihre Position im Gespräch, während sich die Männer dadurch gleichzeitig besser durchsetzen können. Der weibliche Stil ist also nachteiliger als der männliche, weil er dazu führt, dass sich die Frau weniger gut behauptet. Wenn sie sich aber durchsetzen will, muss sie auf die typisch männlichen Verhaltensweisen zurückgreifen, was sie dann unweiblich und aggressiv wirken lässt.

Das führte zu weiteren Untersuchungen des Gesprächsverhaltens. Der Blick richtete sich jedoch zunächst noch wenig auf Kontexteffekte, so dass der einzige Faktor für Unterschiede das Geschlecht zu sein schien. Entsprechend war der Stand, immer noch in Fortsetzung der früheren Thesen, dass Frauen häufiger unterbrochen werden. Männer reden mehr und länger, unterbrechen mehr, vor allem Frauen. Sie verwenden wenige tag-questions oder andere Unterstützungen und überhaupt weniger Fragen, aber mehr Behauptungen und ImperativeDirektive, Befehle, Imperativ. Frauen stützen das Gespräch und halten es am Laufen, sie sind höflicher, aber auch unsicherer, werden dominiert, während sie gleichzeitig kooperativer sind. In den späteren Untersuchungen werden diese Unterschiede aber nurmehr konstatiert, nicht mehr bewertet: Sie folgen der DifferenzhypotheseDifferenzhypothese.

Die DifferenzhypotheseDifferenzhypothese zeigt die Unterschiede auf und billigt beiden Geschlechtern gleiche Fähigkeiten zu. Weibliches Sprechen ist nicht schlechter, sondern anders.

Maltz/Borker (1982/2008) übertrugen einen Ansatz, der für Probleme bei der KommunikationKommunikation zwischen EthnienEthnie entwickelt wurde, auf die Kommunikation zwischen den Geschlechtern. Nicht Macht- oder psychologische Unterschiede, sondern hauptsächlich kulturelle Differenzen und deren Regeln und Interpretation führen in gemischtgeschlechtlicher Kommunikation zu Missverständnissen. Diese Idee wurde durch anthropologische Arbeiten aus dem Mittleren Osten und Südeuropa inspiriert. So lautet der Grundgedanke, dass (in den USA) Männer und Frauen aus verschiedenen soziolinguistischenSoziolinguistik, -isch Subkulturen kommen.

 

Die Theorie der zwei Kulturenzwei Kulturen geht ebenfalls von zwei gleichwertigen Systemen aus, betont aber die Unterschiede sehr stark, die auf zwei getrennten Sozialisierungswegen entstehen sollen.

Das führt vor allem im Sinne von Tannen (u.a. 1990) auch zu eher homogenen Gruppierungen. Kinder spielen von Anfang an in gleichgeschlechtlichen Gruppen und entwickeln eigene Interaktionsstile, die nicht genügend geschlechtsübergreifende Gemeinsamkeiten aufweisen, so dass es ständig zu Missverständnissen und Auseinandersetzungen kommt. Während Mädchen früh üben, Konflikte verbal zu lösen und zu kritisieren und damit einen kooperativen Gesprächsstil einüben, positionieren sich Jungen von Anfang an auch sprachlich deutlich, was zu Dominanzverhalten führt. Die klare Einteilung nach zwei Geschlechtergruppen ist mittlerweile überholt, denn es gibt Übergänge und biologisch und sozial bedingt auch mehr Gruppen. Mädchen und Jungen agieren außerdem auch immer wieder miteinander. Der Ansatz vereinheitlicht und vereinfacht zu sehr und vernachlässigt Gemeinsamkeiten sowie andere Erklärungsmöglichkeiten für Missverständnisse.

Die Feministische LinguistikFeministische Linguistik beschäftigte sich mit Macht, Benachteiligung und Gewalt durch Sprache und damit, wie sprachliche Unterdrückungsmechanismen funktionieren, wie Gleichbehandlung herzustellen und auf politischer Ebene durchzusetzen ist. Die Untersuchungen konzentrierten sich auf das Sprachsystem, Gespräche und Gesprächsstile.

Die Arbeiten dieser Phase wurden vielfach wegen ihres eher intuitiven, methodisch noch nicht ausgereiften Vorgehens kritisiert. Frauen galten global als die einzig Leidtragenden. Die Datengrundlage war noch dünn, die Verallgemeinerungen vernachlässigten andere Aspekte wie Situation, soziale Schicht und StatusStatus. Auch populäre Begriffe wie FrauenspracheFrauensprache, <i>women’s language</i>/Männersprache oder GenderlektGenderlekt erwiesen sich als für unsere Kulturkreise nicht angebracht, da sie von zu großen Unterschieden im System oder Verhalten ausgehen. Sie suggerieren Stabilität und Homogenität der Varietät sowie Kontextlosigkeit. Die situative Abhängigkeit aber ist ein entscheidender Faktor des Doing gender-Ansatzes. Während die Feministische LinguistikFeministische Linguistik die Unterschiede und vor allem AsymmetrienAsymmetrie und dadurch die Diskriminierung in der Sprache und im Sprachgebrauch zu beschreiben suchte und für mehr sprachliche Gleichberechtigung eintrat, verschob sich hier der Schwerpunkt der Genderstudien auf die Konstruktion von Geschlecht und darauf, wie sich die verschiedenen Geschlechter inszenieren. Dabei beschäftigt sich die Genderlinguistik gezielt mit der sprachlichen Konstruktion von Geschlecht.

3.3 Diversität – Gender und doing gender<i>doing gender</i>

Lange galt Geschlecht als feste Größe, als natürlich definiert, unveränderbar und universell (so) gegeben. Vor allem aber handelte es sich um ein bipolares Konzept. Das Geschlecht als entweder Mann oder Frau stand mit der Geburt automatisch fest und blieb für immer gleich, „one’s identity is known to oneself and seen by others as one’s body“ (Fryer 2012: 41). Damit war auch die GeschlechtsidentitätGeschlechtsidentität stabil. Das Geschlecht eines Menschen galt als so selbstverständlich, dass es nicht hinterfragt, ja nicht einmal darüber nachgedacht werden musste. Probleme gab es nur für diejenigen, die nicht oder nicht ganz zu einer der beiden Kategorien passten. Diese Vorstellung dürfte auch heute noch die übliche sein. Die beiden Geschlechtskategorien manifestieren sich in Verhaltensweisen, zum Beispiel in der InteraktionInteraktion, Kleidung, Mimik, Gestik, Vornamen oder einer Entscheidung zwischen männlich und weiblich in amtlichen Dokumenten.

Die meisten Aspekte, die die Geschlechter ausmachen, sind allerdings gar nicht angeboren, so die aktuelle Genderforschung, vielmehr werden sie uns anerzogen, und wir selbst richten uns, bewusst oder unbewusst, auch nach den Erwartungen der anderen, um im täglichen Umgang miteinander nicht benachteiligt zu werden. Damit gehorcht Geschlecht vielen Einflüssen, es ist nicht fix, sondern variabel, es kann auch nicht immer von anderen, etwa sozialen Aspekten getrennt werden. Das Englische unterscheidet daher zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozialen (gender). Geschlecht in diesem Sinne ist ein gesellschaftliches Konstrukt, es wird gemacht, gelernt, interpretiert:

differences in what happens to women and to men derive in considerable measure from people’s mutually developed beliefs about sexual differences, their interpretations of its significance, and their reliance on those beliefs and interpretations to justify the unequal treatment of women and men (Eckert/McConnell-Ginet 2013: 7).

Dieser Aspekt von Geschlecht wird aufgefasst als konstruiert – in der InteraktionInteraktion, in den MedienMedien. Auch unsere Bildungsinstitutionen sind am doing gender<i>doing gender</i> beteiligt, weil sie die unterschiedlichen Rollen ständig reproduzieren und inszenieren. Dies geschieht unbewusst und automatisch.

Das Gender-Konzept, das zwischen gender und sex trennt, führte weg von einer Selbstverständlichkeit der beiden Kategorien. Es erfolgte eine Ausweitung der natürlichen Zweiteilung. Hier ist Geschlecht weder fest noch biologisch determiniert, sondern durch unser Miteinander bestimmt und damit kulturell-sozial bedingt1. Der Ansatz beschäftigt sich mehr mit GeschlechtsidentitätGeschlechtsidentität, wie sie entsteht, wie sie immer wieder ausgehandelt wird und welche Facetten jenseits der traditionellen Zweiteilung möglich sind. So kam es zur Konfrontation und letztendlich für viele auch zur Trennung in biologisches und gesellschaftliches Geschlecht. Diese Auffassung sieht Geschlecht im Sinne von Gender als veränderbar und nicht mehr binär. Daran schloss sich die Vorstellung an, dass Gender situationsspezifisch und auch zeitlich punktuell ständig immer wieder inszeniert wird: Wir „machen“ unser Geschlecht.

Doing gender heißt, dass Gender im täglichen Leben permanent und immer wieder konstruiert wird und erst dann und dadurch überhaupt erst entsteht, dass es eine soziale Gewohnheit ist.

Der Gedanke des doing gender<i>doing gender</i> findet sich in zahlreichen Debatten und theoretischen Strömungen wieder, in denen verschiedene Wissenschaftstraditionen unterschiedliche Akzente setzen. Für Hirschauer (1994, 2001) dient aus Sicht der Soziologie die Aufteilung in zwei Geschlechter der sozialen Organisation. Die Ethnomethodolog/innen West/Zimmerman (1987) prägten den Begriff des doing gender als eine Routine, eine Fertigkeit, die wir in der InteraktionInteraktion mit anderen immer wieder neu schaffen. Die soziale Wirklichkeit erzeugen wir erst im alltäglichen Miteinander. Sie nahmen den Fall der transsexuellen Agnes als Ausgangspunkt. Agnes wurde zunächst als Junge erzogen, wollte dann aber trotz männlicher Genitalien Frau sein und ließ sich schließlich auch umoperieren. Als wesentlich erwies sich die Beobachtung, dass sie ständig ihr Geschlecht durch ihr Tun beweisen musste, unterstützt von adäquater Sprache, Stimmführung, Kleidung, Schminke, Frisur etc. Sie hatte das angemessene Verhalten, sich in jeder Situation als Frau und damit anders als bisher zu benehmen, um als Frau auch wahrgenommen zu werden, erst mühsam zu erlernen und war auf die Hinweise ihres Freundes angewiesen, etwa, eher einmal nichts zu sagen als sich durchzusetzen. Die Sichtweise des Doing gender-Konzepts rückt deswegen das Verhalten sowie die tragende Rolle der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Gender im Vergleich zu sex ist weniger Eigenschaft als immer wieder neu in der Interaktion miteinander hervorgerufenes Tun, was AsymmetrienAsymmetrie nicht ausschließt, aber Varianten mit einbezieht, die über +/- weiblich bzw. männlich hinausgehen, also verschiedene Transgenderformen, Hermaphroditen, Homosexuelle. Geschlecht ist nicht gegeben und auch nicht fix. Es ist „emergent“Heterosexualität<i>performing gender</i>2. Über die Interaktion aber rückt die Sprache etwas mehr in den Blickpunkt. Studien untersuchen u.a., wie genau Gender zustande kommt.

Kotthoff (2002) kritisiert allerdings die zu starke Betonung von Gender als soziale Kategorie. Denn erstens sieht sie durchaus Zusammenhänge zwischen sex und gender, zweitens sind NeutralisierungsstrategienNeutralisierung möglich, die von Einzelnen ausgehen können. Außerdem zeigt sich doing gender<i>doing gender</i> nicht nur in der InteraktionInteraktion, sondern auch in Äußerlichkeiten und Körpersprache. Gender wird nicht immer und in jeder Situation gleich „gemacht“. Meistens ist der/die Einzelne auch nicht allein beteiligt. Kotthoff möchte das Phänomen relativieren in rezipiertes gegenüber produziertes, bewusstes und nicht bewusstes, mehr oder weniger Gender.

Das biologische Geschlecht ist für Doing gender-Ansätze unwichtig oder sogar nicht existent, da Gender stets im Moment und abhängig von der Situation inszeniert wird und die Kategorie durch die sprachliche Benennung erst entsteht.

In der Tradition des ‚Doing gender‘-Ansatzes gibt es Gender nicht, außer wenn es sprachlich konstituiert wird. Sprache ist damit nicht Abbild von Gender, sondern Sprache ist herstellende Bedingung für Gender (Hornscheidt 2013: 346).

Diese Position ist in ihrer extremen Variante, auch die tatsächlich angeborenen Geschlechtsmerkmale zu negieren und sie erst gelten zu lassen, wenn sie für relevant erklärt werden, sehr umstritten. Es stellt sich auch die Frage, wie realistisch die komplette Ausblendung jeglicher biologischen Aspekte letztendlich ist.

3.4 DekonstruktionDekonstruktion – undoing gender<i>undoing gender</i>

Während für West/Zimmerman (1987) doing gender<i>doing gender</i> und damit die Zuschreibung geschlechtsspezifischer Eigenschaften sowie das entsprechende Handeln unvermeidbar ist, sieht Hirschauer (1994: 678, Westheuser 2015) auch die Möglichkeit von undoing gender<i>undoing gender</i>.

Undoing gender heißt, die Geschlechtsunterscheidung in manchen, z.B. schulischen oder beruflichen, Situationen zu neutralisierenNeutralisierung, wenn es angebracht ist, indem sie unwichtig und nicht mehr wahrgenommen wird.

Für Hirschauer ist die Geschlechtsunterscheidung im Gegensatz zu West/Zimmerman nicht „omnirelevant“. Deutsch (2007) kritisiert ähnlich, dass (doing) Gender nicht universell, allgegenwärtig und unvermeidbar ist, weil das die Möglichkeit des Wandels ausschließen würde. Beispiele für undoing gender<i>undoing gender</i> sind die NeutralisierungNeutralisierung des Aussehens, Meiden körperbetonter Kleidung, wenig Schmuck, wenig Make up, tiefere Stimmlagen, Unisex-Produkte oder Egalitätsnormen (Hirschauer 2001) bis hin zu Widerstand gegen Geschlechtsnormen und -stereotype (Deutsch 2007).

Therefore, I propose that we adopt a new convention, namely, that we reserve the phrase ‘doing gender<i>doing gender</i>’ to refer to social interactions that reproduce gender difference and use the phrase ‘undoing gender<i>undoing gender</i>’ to refer to social interactions that reduce gender differences (Deutsch 2007: 122).

Die verschiedenen Richtungen schwanken zwischen Widerstand gegen Unterscheidung, Verneinung und Abmildern der Unterschiede.

Der Ansatz von Penelope Eckert und Sally McConnell-Ginet (u.a. 1999) zieht weitere soziokulturelle Faktoren mit in die Betrachtung ein, die ihrer Meinung nach stark miteinander verflochten sind und den Genderaspekt schwer isolierbar machen. Geschlecht muss im Zusammenhang mit weiteren gesellschaftlich bedingten Variablen, die der Identitätsstiftung dienen, gesehen werden wie sozialer StatusStatus, EthnieEthnie, HeterosexualitätHeterosexualität oder Alter. Diese soziolinguistischeSoziolinguistik, -isch Sicht betrachtet eher den Stil einer bestimmten Gruppe und legt Wert auf die tragende Rolle der Sprache für die Identitätskonstruktion. Sie bezieht ebenfalls die Möglichkeit ein, sich einer Kategorisierung entziehen zu können.