Vom Schwarzweg zum Gedicht

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Die Rettung zum Gedicht ist nicht die Verneinung des Schwarzweges, sondern die radikale Wahl desselben. Die eigene Existenz ist zu ihm geboren aus des Anfangs Not und Pein, die zur Bruderschaft mit der Welt führen. Der Dichter trägt Verantwortung für seine Welt. Das Gedicht trägt sie mit. Es ist seine geistseelische Identität.

Ich kenne die Schuld als gewissenstreuer Gast der Welt. Aus diesem existenziellen Gewissen heraus wächst die Freiheit meiner Dichtung, wächst ihr getreuer Abgesang. Die Ballung des ersten, nie geschriebenen Gedichts aus der Dunkelheit des Zweiten Weltkriegs wartet indes in Anmuts Duichhuld seiner gewesenden Wirklichkeit.

Mein Schwarzweg führte nie zum Gedicht. Der Stoff ist seit 77 Jahren vorhanden, aber das ungewisse poetische Etwas fehlt immer noch zu einer Niederschrift. Zu diesem rätselhaften Etwas suchte ich einen Zugang. Zwar verbinden sich grossartige Bilder und Empfindungen mit dem nächtlichen Abenteuer dreier elfjähriger Knaben während der Zeit landesweiter Verdunkelungsvorschriften im Zweiten Weltkrieg bis auf den heutigen Tag. Und der Rigiberg ist uns lieb geblieben; die Fakten sind uns immer noch so inwendig, dass wir sie auswendig hersagen können, sogar mit den authentischen Gefühlsregungen. Die Sensationen waren unerwartet, die Verzweiflungen und Beglückungen eindrücklich. Vielleicht ist die Reichhaltigkeit der Erlebnisse unter einem prasselnden Himmel zu eindrücklich, um dann in wohldosiert berechneter Dar-Stellung in ein Gedicht zusammengebastelt zu werden. Vielleicht ist die Voraussetzung zu einem Gedicht kein Schwarzweg, sondern geistseelisches Ereignis stillerer Art, das der Einzelne allein oder aus einer tiefen Einsamkeit heraus bewältigen muss. Unser anfängliches Todleben vollzieht einen Entwicklungsgang in der Kindheit. Der Einzelne ist mit seiner Kindheit allein. Als Einzelner geht er den Gang durch die Kindheit. Diese ist der Raum seiner Welt, die in ihrer Ursprünglichkeit anfänglich und geheimnisvoll bleibt. Dennoch ist er in ihr zu Hause. Sie gibt ihm das Seins- und Selbstbewusstsein. Das Selbstsein erwacht und gedeiht in der Kindheit. Wo ich geh, geh ich durch meine Kindheit. Ich gehe immer auf meinem Kindheitsweg, wenn ich wahrhaftig und echt das bin, was mir meine Kindheit abverlangt. Der Schwarzweg führt zum möglichen Gedicht, der Kindheitsweg dichtet ständig das Wesen, das er ist als Selbstsein in seinem Gedicht. Zur Dichtung bedarfs des Kindheitsweges. Das Kind – der Mensch als Kind – ist daher seine Freiheit und dies todlebenslang. Im gereiften Menschen hat die Kindheit seine reife Kindgestalt erreicht. Um in der Kindheit als Mensch zur Reife zu kommen, bedarf es des Kindheitsweges. Um in der Dichtung zur Reife zu gelangen, bedarf es des Kindheitweges, auf dessen Gang der Mensch im Kindheitsraum zu sich selber kommt. Dieses Selbstsein bezieht sich in der Folge auf das Geschwisterliche und auf das Elterliche. Der Tod von Geschwistern und Eltern kann dies erschütternd zeigen, weil ein Teil der eigenen Kindheit damit zu Grabe getragen wird. Die Verbindungen sind schonungslos abgebrochen. Der Kindheitsweg scheint als Bruch in der Kindheit plötzlich abgebrochen und eine Flut von Unsagbarkeiten beginnt jetzt zu sprechen vom Geheimnisrätsel kindheitlicher Bezüge, wie sie sich auch in der Liebe bewahrt haben. Das Wesenhafte, das wesentliche Miteinander wird offenbar. Die philosophisch bedeutsame Subjekt-Objekt-Spaltung im Leben des Menschen scheint auf dem Kindheitsweg überwunden. Der Weg der Kindheit ist keine Auseinandersetzung von Subjekten und Objekten, die in irgendeinem verbrämten Machtkampf stehen, sondern ein liebender Gang der Vergewisserung mit dem Seelgeist der Kindheit.

Der Kindheitsweg als permanente Vergewisserung seines Wesens ist nur innerhalb des Ganzen der Kindheit möglich. Seine Seynswahrheit wäre die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung. Diese Überwindung aber wäre das Werk der Lyrik, deren Resultat nicht eine Vormachtsstellung ist, sondern die Denk- und Besinnungsarbeit auf dem Kindheitsweg: die Freiheit des Selbstseins, der es um die Wahrheit des Seyns im Raum der eigenen sowie der anderer Kindheit geht. So könnte Lyrik der reinste Ausdruck der Erfahrung des Kindheitswegs sein, der die Kindheit in ihrer Anfänglichkeit bis in ihren Ewigabschied bedeutet.

Kindheit ist der Wesensraum, worin sich das Kind entwickelt. Der Weg des Kindes in diesem Wesensraum ist der Kindheitsweg, der die Kindheit in ihrer Grenzenlosigkeit bewusst werden lässt. In diesem Prozess reift das Kind, und in diesem reift die Kindheit zu seinem eigentlichen Wesensort, der ihm gleichzeitig entläuft. So endet eines meiner Sonette mit dem Satz: Anmuts Huld geduldig Wesen träuft, kindheitswegentlang Kindheit entläuft. Aber dies Entlaufen der Kindheit ist auch ein Reiferwerden mit ihr. Kindheit und Kindheitsweg stellen eine reine Wesensidentität dar. Kindheit ist die unendliche Welt des Kindes, das seinen Weg zum Selbstsein mit der Kindheit wesensmässig sucht. Der einzige Weg zur existenziellen Erfahrung der Kindheit ist der Kindheitsweg. Nur auf ihm gelangt das Kind zu seiner existenznotwendigen Identität mit seiner Kindheit. Nur diese Identität vermittelt dem reifenden Kind die Sprache der Einheit von Kindheit und Kind, worin sich die Seynswahrheit erfüllt. Sofern der Mensch todlebenslang als Identität von Kindheit und Kind existiert, bleibt er ein in seinem Selbstsein wahres Wesen. Dabei muss er jederzeit bewusst sagen können, dass die Kindheit als Wesenszentrum des kindlichen Geschöpfes ewig dauert, somit auch der Kindheitsweg nie endet. Der Mensch erhält seine Identität als Mensch in der Kindschaft in der Mitte seiner Kindheit. Innerhalb dieser Situation und ihrer Bedingung kann er die sprachliche Reife erfahren, dass seine Worte auch zur Identität mit seiner Kindheit und dem entsprechenden Kindheitsweg führen. Indem er so Kind und kindheitstreu bleibt, reift der Mensch zu sich selbst, indem er das Kind seiner Kindheit, es ständig weiterführend, bleibt. Der Kindheitsweg ist somit der treue Gang durch eine unendliche Kindheit, auf dem der Mensch zu sich und seiner unverfälschten Kindheit gelangt, und zwar aufgrund gegenseitiger Treue. Dies aber bleibt die unabdingbare Voraussetzung zur sprachlichen Umsetzung des ursprünglichen Treueverhältnisses von Kindheit und Kindheitsweg. Das ständig erhellende Bewusstmachen des Wesenhaften im Zusammenspiel mit dem Sein von Kindheit und Kindheitsweg bewirkt unser existenzielles Wahrsein im Wesentlichen. Ich ahnte bald, dass so der Gang auf dem Kindheitsweg todlebenslange auch existenziell heimführen muss. Diese Ahnung, inzwischen zur Gewissheit geworden, gibt der kindheitlichen Existenz die Kindheitsweihen und die freiheitliche Unabhängigkeit der geistseelischen Existenz und im Ewigabschied die Gewissheit der wortlosen Stille der Unvergänglichkeit, die wiederum der Kindheit und dem Kindheitsweg die Weihen gibt zur Seynswahrheit.

Im Raum der Kindheit führt der Kindheitsweg Seelgeist und Existenz zur Seynswahrheit im Selbstsein. Von der Liebe der Seele der Kindheit verbunden, bleibt der Kindheitsweg beständig. Wo Kriege wüten, feiert der Kindheitsweg als Brücke durch alles Elend des Menschen in der Hölle. Auf dem Kindheitsweg versiegt nie des Menschen stilles Wirken im Ganzen des Seins, das sich im Ewigabschied grenzenlos befreit. Kindheitsweg ist Weg der Freiheit. Ewigabschied eint den Kindheitsweg dem unendlich hohen Weisheitssteg.

Das bis jetzt zur Diskussion Angestossene findet sich in zahlreichen Sonetten und anderen Gedichten. Daraus sei nun aphoristisch und inhaltlich einiges zitiert. Den Schluss bildet das Sonett von Marc Chagalls Kindheitsweg:

Erstens meldet sich: Mörike:

Und wieder in die Peregrina-Lieder

versinkst du schauernd stillen Sinns zurück

da spürst du altes Kindheitsfluggefieder

sich breiten sanft in Kindheitweges Glück

Kindheitsweg ins Seinsgeheimnis tragt

dessen Ursprung aus der Kindheit ragt

Kindheit ist dem Kindheitsweg geweiht

wortet sich zum Freiheitsall bereit

Der Kindheitsweg führt in die Freiheitseinsamkeit

Kindheitsweg zum Abgrundsturz

dieser dauert kurz

was mit Fall bedroht

verkündet Rettung aus Todlebens Not

Kindheitsweg führt Seinssinns inn

Taosang im Atemlicht der Landschaft

Dank für Kindheitweges Seynsbekanntschaft

Ein Schattenwesen aus der Landschaft äugt

des Kindheitwegs vertrautem Heil gebeugt

das Kindheitswegen Tödlichsegen zeugt

Verlierst du Kindheitsweg in Seinsvergessenheit

ist Kindheit fort du stehst an falscher Örtlichkeit

Kindheit ist Seelgeists Liebe

lilienweisse Herzworttriebe

Kindheitweges Trank

ein Satz in Schönschrift

an der schwarzen Tafel

der im Hitzesommer frank

schneekühl Atem trifft

im Schulgeschwafel

Jahrgezeiten Kindheitswegdurchgehn

unvergesslich Geistseelwahres sehn

Kindheits Gang zum letzten Horizont

dort das Rätsel zu durchschauen trachte

wie der Hoffnung Wahrheit sonnt

die sich aus dem Staube machte

 

Auf Kindheitweges Urnenflur

West eines Kindes Totenspur

Chagalls Kindheitsweg

erweckt das Raumzeitphänomen

Witebster Kindheit pan to hen

Chagall geht Kindheitsweg entlang

Des Menschen Freiheit Heimat sei

Abschied durch Todlebens Reigen

Teil des Ganzen der Natur

selbstvergessen allverbunden

ins Alloffne strebt die Spur

deiner Wahrheit durch die Stunden

die unendlichhin vergehn

Teil der Selbstvergessenheiten

seliges Daseinsverwehn

in Verwandlungsseins Gezeiten

ganz vom Duichlied gebannt

ganz verliest dem Duichschweigen

such ich deines Klanges Hand

Abschied durch Todlebens Reigen

Ein Todlebenslauf

Lagersystematiktötung

überlebt doch schicksalslos jetzt

in der Massenherde die nach

Grausigdiktatur stets ruft gier

nach dem Nichts der funktionalen

Freiheitsmassakrierung nach der

Steigerung der Tragik bis zum

Ende aller Daseinsnähe

im Verlust der Ewigkeit in

armer Existenz am Rand in

deren Leere Selbstverleugnung

erst die Neugeburt gedeiht zum

Wahrsein eigner Gegenwart im

Überlebensabsturz mit dem

Kindlichstaunen in naiver

Einsicht in die Logik teuflisch

präparierter Folterqualen

zum Erfahrungsglück des Schaffens

dichterischer Elendsbilder

aufgeschobnen Selbstmords Feier

der Erlösung Utopie durch

Totenstimmen von Auschwitz von

Buchenwald von Birkenau von

Dachau allen Schandmordstätten

menschlich dummen Grössenwahns im

Sog zum Nullpunkt seines Wesens

atmet plötzlich Grösse menschlich

eingebornen Adels kindlich

aus der Niederlage Wortung

Umgestaltung von Todlebens

Sein den Fug des abgewetzten

Steins des Sisyphos im Herzen

voll Verzweiflung Zuversicht von

später Reife Scherz gestimmt

Heimkehr

Unsere Fahrten

durch die klaren Gründe

von Wein und Mond

wo die Berge enden

trägt uns der Abgrund empor

den Aufbruch ins Nachtlicht

führt die Wunde des Tags

Traum und Wachen

dein lautloser Reiherflug

im Spiegel des Alls

wo die Nacht

grün zu schimmern beginnt

lösen deine Finger

trunkene Töne den Sternen

deine Stimme blüht silbern

östlich fern im blauen Strahlengezweig

im tiefen Schlummer spannt die Flügel

des blinden Fährmanns Frühlicht

die Winde wehn aus hellen Wassern

zum Tod

schwesterlich

klingt dein Haar an die Schläfen

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