H. G. Wells – Gesammelte Werke

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Ich pack­te so­fort sei­ne Ket­ten, um sie zu lö­sen.

»Wo sind sie?«, keuch­te er.

»Weg­ge­lau­fen. Sie wer­den zu­rück­kom­men. Sie wer­fen mit Spie­ßen! Wo­hin sol­len wir gehn?«

»Am Licht ent­lang. In den Tun­nel da. Eh!«

»Ja«, sag­te ich, und sei­ne Hän­de wa­ren frei.

Ich ließ mich auf die Knie fal­len und be­gann an sei­nen Fuß­fes­seln zu ar­bei­ten. Schwapp, kam et­was – ich weiß nicht was – und zer­spritz­te das fah­le Rinn­sal zu Trop­fen um uns. Weit rechts von uns be­gann ein Pfei­fen und Zi­schen.

Ich riss ihm die Ket­te von den Fü­ßen und gab sie ihm in die Hand. »Schla­gen Sie da­mit!«, sag­te ich, und ohne auf eine Ant­wort zu war­ten, lief ich in großen Sät­zen den Pfad ent­lang, den wir ge­kom­men wa­ren. Ich hat­te das scheuß­li­che Ge­fühl, dass mir die­se We­sen aus dem Dun­kel her­aus in den Rücken sprin­gen konn­ten. Den Stoß ei­ni­ger Sprün­ge hör­te ich mir fol­gen.

Wir lie­fen in wei­ten Sät­zen. Aber dies Lau­fen, muss man ver­ste­hen, war et­was von ir­gend­wel­chem Lau­fen auf der Erde völ­lig ver­schie­de­nes. Auf die Erde springt man und trifft fast so­fort wie­der den Bo­den, aber auf dem Mond schoss man we­gen sei­ner ge­rin­gen Schwer­kraft meh­re­re Se­kun­den lang durch die Luft, ehe man wie­der zu Bo­den kam. Trotz un­se­rer hef­ti­gen Eile gab das den Schein lan­ger Pau­sen, Pau­sen, in de­nen man bis sie­ben oder acht hät­te zäh­len kön­nen. »Los!«, und man flog hoch! Al­ler­lei Fra­gen lie­fen mir durch den Sinn: »Wo sind die Se­le­ni­ten? Was wer­den sie tun? Wer­den wir die­sen Tun­nel je­mals er­rei­chen? Ist Ca­vor weit zu­rück? Wer­den sie ihn ab­schnei­den kön­nen?« Dann klapps, der Satz zu Ende und wei­ter zum nächs­ten Schritt.

Ich sah einen Se­le­ni­ten vor mir her­lau­fen, und sei­ne Bei­ne gin­gen ge­nau wie die ei­nes Men­schen auf der Erde; ich sah ihn über die Schul­ter bli­cken und hör­te ihn krei­schen, als er mir seit­lich ins Dun­kel aus dem Wege lief. Ich glau­be, es war un­ser Füh­rer, doch bin ich nicht si­cher. Dann wa­ren nach ei­nem wei­te­ren wei­ten Satz die Fel­sen­mau­ern auf bei­den Sei­ten in Sicht, und in noch zwei Sät­zen war ich im Tun­nel, wo ich mei­nen Schritt sei­nem nie­de­ren Dach an­pas­sen muss­te. Ich lief bis zu ei­ner Bie­gung wei­ter, blieb dann ste­hen und dreh­te mich um; klipp klapp kam Ca­vor in Sicht; er schlug bei je­dem Schritt in den Strom blau­en Lich­tes, wur­de grö­ßer und rann­te ge­gen mich. Wir stan­den da und hiel­ten uns ge­packt. Ei­nen Mo­ment we­nigs­tens hat­ten wir un­se­re Fein­de ab­ge­schüt­telt und wa­ren al­lein.

Wir wa­ren bei­de stark au­ßer Atem. Wir spra­chen in keu­chen­den, ge­bro­che­nen Sät­zen.

»Sie ha­ben al­les ver­dor­ben!«, keuch­te Ca­vor.

»Un­sinn!«, rief ich. »Das oder den Tod hieß es!«

»Was wol­len wir tun?«

»Uns ver­ste­cken.«

»Wie kön­nen wir das?«

»Es ist dun­kel ge­nug.«

»Aber wo?«

»Eine von die­sen Sei­ten­höh­len hin­auf.«

»Und dann?«

»Über­le­gen.«

»Recht – los.«

Wir schrit­ten fort und ka­men als­bald zu ei­ner dunklen strah­len­för­mi­gen Höh­le. Ca­vor war vor­aus. Er zö­ger­te und wähl­te eine schwar­ze Mün­dung, die gu­tes Ver­steck zu ver­spre­chen schi­en. Er ging auf sie zu und dreh­te sich um-

»Sie ist dun­kel«, sag­te er.

»Ihre Bei­ne und Füße wer­den uns leuch­ten. Sie sind nass von dem leuch­ten­den Zeug.«

»Aber – –«

Ein Aufruhr von Tö­nen und ins­be­son­de­re ein Ton wie ein dröh­nen­der Gong, der den Haupt­tun­nel her­auf­kam, wur­de hör­bar. Er deu­te­te in furcht­ba­rer Wei­se auf eine wil­de Ver­fol­gung. Wir stürm­ten als­bald auf die un­be­leuch­te­te Sei­ten­höh­le los. Als wir da­hin­lie­fen, wur­de uns der Weg durch die Strah­lung von Ca­vors Bei­nen er­leuch­tet. »Es ist ein Glück«, keuch­te ich, »dass wir uns die Schu­he aus­ge­zo­gen ha­ben, sonst wür­den wir al­les mit dem Ge­klap­per er­fül­len.« Vor­wärts stürz­ten wir und mach­ten so klei­ne Schrit­te, wie wir konn­ten, um nicht ge­gen das Dach der Höh­le zu schla­gen. Nach ei­ner Wei­le schie­nen wir dem Aufruhr zu ent­ge­hen. Er wur­de ge­dämpf­ter, er sank zu­sam­men, er erstarb.

Ich hielt an und blick­te zu­rück; ich hör­te das Klipp­klapp von Ca­vors Fü­ßen flie­hen. Dann hielt auch er an. »Bed­ford«, flüs­ter­te er, »vor uns ist et­was wie Licht.«

Ich blick­te hin und konn­te zu­erst nichts se­hen. Dann sah ich, dass sein Kopf und sei­ne Schul­tern dun­kel ge­gen ein schwä­che­res Dun­kel um­ris­sen wa­ren. Ich sah auch, dass die­se Mil­de­rung der Dun­kel­heit nicht blau war, wie al­les an­de­re Licht im Mon­de ge­we­sen war, son­dern ein blei­ches Grau, ein sehr un­be­stimm­tes, blas­ses Weiß, die Far­be des Ta­ges­lich­tes. Ca­vor be­merk­te die­sen Un­ter­schied noch schnel­ler als ich, und ich glau­be, er gab ihm so ziem­lich die­sel­be wil­de Hoff­nung ein.

»Bed­ford«, flüs­ter­te er, und ihm zit­ter­te die Stim­me. »Die­ses Licht – ist es mög­lich – –«

Er wag­te nicht zu sa­gen, was er hoff­te. Dann kam eine Pau­se. Plötz­lich er­kann­te ich am Schall sei­ner Schrit­te, dass er auf die­se Bläs­se zu­ging. Ich folg­te ihm mit klop­fen­den Her­zen.

16 – Gesichtspunkte

Das Licht wur­de stär­ker, als wir nä­her ka­men. In kur­z­er Zeit war es fast eben­so hell wie die Phos­pho­res­zenz an Ca­vors Bei­nen. Un­ser Tun­nel er­wei­ter­te sich zu ei­ner Höh­le, und die­ses neue Licht war am ent­fern­te­ren Ende. Ich be­merk­te et­was, was mei­ne Hoff­nung sprin­gen und tan­zen ließ.

»Ca­vor«, sag­te ich, »es kommt von oben! Ich bin si­cher, es kommt von oben.«

Er gab kei­ne Ant­wort, son­dern eil­te wei­ter.

Un­be­streit­bar war es ein grau­es Licht, ein silb­ri­ges Licht.

Im nächs­ten Mo­ment stan­den wir dar­un­ter. Es kam durch einen Spalt in den Höh­len­wän­den her­ab­ge­si­ckert, und als ich hin­auf­starr­te, fiel mir ein Was­ser­trop­fen aufs Ge­sicht. Ich fuhr zu­sam­men und trat bei­sei­te – kling, fiel ein wei­te­rer Trop­fen ganz hör­bar auf den Fel­sen­bo­den.

»Ca­vor«, sag­te ich, »wenn ei­ner den an­de­ren hebt, kann er den Spalt er­rei­chen!«

»Ich will Sie he­ben!«, sag­te er und so­fort hielt er mich hoch, als wäre ich ein Baby.

Ich hob einen Arm in den Riss und fand ge­ra­de an mei­nen Fin­ger­spit­zen einen klei­nen Vor­sprung, an dem ich mich hal­ten konn­te. Ich konn­te se­hen, dass das wei­ße Licht jetzt sehr viel hel­ler war. Ich zog mich fast ohne An­stren­gung an zwei Fin­gern in die Höhe, ob­gleich ich auf der Erde zwölf Stei­ne wie­ge, griff nach ei­ner noch hö­he­ren Felse­cke und be­kam so die Füße auf den schma­len Vor­sprung. Ich rich­te­te mich auf und such­te den Fels nach oben hin mit den Fin­gern ab; der Spalt wur­de oben wei­ter. »Man kann hin­auf­klet­tern«, sag­te ich zu Ca­vor. »Kön­nen Sie bis zu mei­ner Hand her­auf­sprin­gen, wenn ich sie Ih­nen hin­un­ter­hal­te?«

Ich keil­te mich zwi­schen den Spalt­wän­den ein, stemm­te Knie und Fuß ge­gen den Vor­sprung und streck­te eine Hand aus. Ich konn­te Ca­vor nicht se­hen, aber ich konn­te das Ra­scheln sei­ner Be­we­gun­gen hö­ren, als er sich zum Sprung nie­der­kau­er­te. Dann schwipp! und er hing mir am Arm – und nicht schwe­rer als ein Kätz­chen! Ich hob ihn hoch, bis er eine Hand auf mei­nem Vor­sprung hat­te und mich los­las­sen konn­te.

»Zum Hen­ker!«, sag­te ich, »auf dem Mond könn­te je­der Berg­stei­ger sein;« und da­mit be­gann ich ernst­haft zu klet­tern. Ein paar Mi­nu­ten lang klet­ter­te ich ste­tig fort, und dann blick­te ich wie­der nach oben. Die Spal­te er­wei­ter­te sich stän­dig, und das Licht wur­de hel­ler. Nur – –

Es war doch kein Ta­ges­licht.

Im nächs­ten Mo­ment konn­te ich se­hen, was es war, und bei dem An­blick hät­te ich vor Ent­täu­schung mit dem Kopf ge­gen die Fel­sen schla­gen kön­nen. Denn ich er­blick­te ein­fach einen un­re­gel­mä­ßig ab­schüs­si­gen, of­fe­nen Raum, auf des­sen schie­fem Bo­den ein Wald klei­ner keu­len­för­mi­ger Pil­ze wuchs, de­ren je­der glor­reich mit die­sem Sil­ber­licht leuch­te­te. Ei­nen Mo­ment starr­te ich ihre mil­den Strah­len an, dann sprang ich vor und hin­auf un­ter sie. Ich riss ein hal­b­es Dut­zend los und warf sie ge­gen die Fel­sen und setz­te mich dann bit­ter la­chend hin, als Ca­vors ro­tes Ge­sicht auf­tauch­te.

»Es ist wie­der die Phos­pho­res­zenz!«, sag­te ich. »Kei­ne Eile not. Set­zen Sie sich und tun Sie, als ob Sie zu Hau­se wä­ren.« Und wäh­rend er über un­se­re Ent­täu­schung spru­del­te, be­gann ich, mehr von die­sen Ge­wäch­sen in den Spalt hin­ein­zu­schleu­dern.

»Ich dach­te, es sei Ta­ges­licht«, sag­te er.

»Ta­ges­licht!«, rief ich. »Ta­ge­s­an­bruch, Son­nen­un­ter­gang, Wol­ken und win­di­ge Him­mel! Wer­den wir sol­che Din­ge je wie­der zu se­hen be­kom­men?«

Wäh­rend ich sprach, schi­en ein klei­nes Bild un­se­rer Welt vor mir auf­zu­stei­gen, hell und klein und klar wie der Hin­ter­grund ei­nes al­ten ita­lie­ni­schen Ge­mäl­des. »Der wech­seln­de Him­mel, das wech­seln­de Meer, und die Hü­gel und die grü­nen Bäu­me, und die Städ­te und Dör­fer, die in der Son­ne leuch­ten. Den­ken Sie an ein nas­ses Dach bei Son­nen­un­ter­gang, Ca­vor! Den­ken Sie an die Fens­ter ei­nes Hau­ses nach Wes­ten!«

Er gab kei­ne Ant­wort.

»Hier gra­ben wir in die­ser scheuß­li­chen Welt her­um, die kei­ne Welt ist, mit ih­rem tin­ti­gen Ozean, der ir­gend­wo un­ten in ab­scheu­li­cher Schwär­ze ver­bor­gen ist, und drau­ßen der dür­re Tag und die To­ten­stil­le der Nacht. Und all die­se We­sen, die uns jetzt ja­gen, scheuß­li­che Men­schen aus Le­der – In­sek­ten­menschen, die aus ei­nem Alb stam­men! Schließ­lich ha­ben sie recht! Was ha­ben wir für ein Recht, sie zu zer­schmet­tern und ihre Welt zu stö­ren? Nach al­lem, was wir wis­sen, ist schon der gan­ze Pla­net auf den Bei­nen und hin­ter uns drein. Jede Mi­nu­te kön­nen wir sie win­seln und ihre Gongs dröh­nen hö­ren. Was wol­len wir an­fan­gen? Wo­hin sol­len wir ge­hen? Hier sind wir so be­hag­lich wie Schlan­gen von Jam­rash, die in ei­ner Sur­bi­ton-Vil­la los­ge­las­sen sind!«

 

»Es war Ihre Schuld!«, sag­te Ca­vor.

»Mei­ne Schuld!«, rief ich. »Gro­ßer Gott!«

»Ich hat­te eine Idee!«

»Zum Hen­ker mit Ihren Ide­en!«

»Wenn wir uns ge­wei­gert hät­ten, uns zu rüh­ren –«

»Un­ter die­sen Sta­cheln?«

»Ja. Dann hät­ten sie uns tra­gen müs­sen!«

»Über die Brücke da un­ten?«

»Ja. Sie müs­sen uns von drau­ßen her­ein­ge­tra­gen ha­ben.«

»Lie­ber woll­te ich mich von ei­ner Flie­ge über eine De­cke tra­gen las­sen.«

»Gü­ti­ger Him­mel!«

Ich nahm mei­ne Ver­nich­tung der Pil­ze wie­der auf. Dann sah ich plötz­lich et­was, was mir selbst jetzt ge­fiel.

»Ca­vor«, sag­te ich, »die­se Ket­ten sind aus Gold!«

Er dach­te scharf und sei­ne Hän­de hiel­ten sei­ne Ba­cken ge­fasst. Er wand­te lang­sam den Kopf und starr­te mich an, und als ich mei­ne Wor­te wie­der­holt hat­te, starr­te er auf die um sei­ne rech­te Hand ge­wun­de­ne Ket­te. »Das ist wahr«, sag­te er, »das ist wahr.« Sein Ge­sicht ver­lor das flüch­ti­ge In­ter­es­se, wäh­rend er noch blick­te. Er zö­ger­te einen Mo­ment, dann fuhr er in sei­nen un­ter­bro­che­nen Ge­dan­ken fort. Ich grü­bel­te eine Zeit lang über die Tat­sa­che nach, dass ich dies erst jetzt be­merkt hat­te, bis ich an das blaue Licht dach­te, in dem wir ge­we­sen wa­ren, und das dem Me­tall jede Far­be ge­nom­men hat­te. Und von die­ser Ent­de­ckung aus kam ich auf einen Ge­dan­ken­gang, der mich weit fort­führ­te. Ich ver­gaß, dass ich noch eben ge­fragt hat­te, was wir auf dem Mond zu su­chen hät­ten. Gold – –

Ca­vor war der ers­te, der wie­der sprach. »Mir scheint, uns ste­hen zwei Wege of­fen.«

»Ja?«

»Ent­we­der wir kön­nen ver­su­chen, uns wie­der einen Weg nach au­ßen zu su­chen – zu er­kämp­fen, wenn nö­tig – und dann auf un­se­re Sphä­re zu ja­gen, bis wir sie fin­den oder die Käl­te der Nacht kommt und uns tö­tet, oder aber – –«

Er hielt inne. »Ja?«, sag­te ich, ob­gleich ich wuss­te, was kam.

»Wir könn­ten noch ein­mal ver­su­chen, mit den Geis­tern der Leu­te im Mond ir­gend­wel­che Ver­stän­di­gung zu er­rei­chen.«

»So­weit es auf mich an­kommt – das ers­te­re.«

»Ich bin zwei­fel­haft.«

»Ich nicht.«

»Se­hen Sie«, sag­te Ca­vor, »ich glau­be nicht, dass wir die Se­le­ni­ten nach dem be­ur­tei­len kön­nen, was wir von ih­nen ge­se­hen ha­ben. Ihre Zen­tral­welt, ihre zi­vi­li­sier­te Welt wird weit un­ten in den tiefe­ren Höh­len um ihr Meer lie­gen. Die­se Re­gi­on der Krus­te, in der wir sind, ist nur ein vor­ge­scho­be­ner Distrikt, eine Hir­ten­ge­gend. Je­den­falls ist das mei­ne In­ter­pre­ta­ti­on. Die­se Se­le­ni­ten, die wir ge­se­hen ha­ben, sind viel­leicht nur die Äqui­va­len­te von Kuh­hir­ten und Ma­schi­nen­hei­zern. Dass sie Sta­cheln an­wen­den – höchst wahr­schein­lich Mond­kalb­sta­cheln – der Man­gel an Fan­ta­sie, den sie zei­gen, wenn sie er­war­ten, wir müss­ten tun kön­nen, was sie tun kön­nen, ihre un­be­streit­ba­re Bru­ta­li­tät, al­les scheint auf et­was der Art hin­zu­deu­ten. Aber wenn wir aus­hiel­ten – –«

»Wir kön­nen alle bei­de eine Plan­ke von sechs Zoll über dem bo­den­lo­sen Ab­grun­de nicht sehr lan­ge aus­hal­ten.«

»Nein«, sag­te Ca­vor, »aber dann – –«

»Ich will nicht«, sag­te ich.

Er ent­deck­te eine neue Li­nie von Mög­lich­kei­ten. »Gut, neh­men wir an, wir ge­hen in ir­gend­ei­nen Win­kel, wo wir uns ge­gen die­se Knech­te und Ar­bei­ter ver­tei­di­gen könn­ten. Wenn wir zum Bei­spiel eine Wo­che oder so aus­hal­ten könn­ten, so ist es wahr­schein­lich, dass die Nach­richt von un­se­rem Er­schei­nen in die in­tel­li­gen­te­ren und volk­rei­che­ren Tei­le hin­un­ter­fil­ter­te.«

»Wenn sie exis­tie­ren.«

»Sie müs­sen exis­tie­ren, wo­her kämen sonst die­se rie­si­gen Ma­schi­nen?«

»Das ist mög­lich, aber es ist die schlim­me­re von den zwei Mög­lich­kei­ten.«

»Wir kön­nen In­schrif­ten aus die Wän­de schrei­ben.«

»Wo­her wis­sen wir, ob ihre Au­gen die Zei­chen se­hen wür­den, die wir ma­chen?«

»Wenn wir sie ein­schnit­ten – –«

»Das ist na­tür­lich mög­lich.«

Ich nahm einen neu­en Fa­den von Ge­dan­ken auf. »Schließ­lich«, sag­te ich, »glau­be ich, Sie hal­ten die­se Se­le­ni­ten nicht für so un­end­lich viel klü­ger als die Men­schen?«

»Sie müs­sen eine Men­ge mehr wis­sen – oder we­nigs­tens eine Men­ge an­de­rer Din­ge.«

»Ja, aber – –« Ich zö­ger­te.

»Ich glau­be, Sie wer­den doch zu­ge­ben, Ca­vor, dass Sie ein ziem­lich aus­nahms­wei­ser Mensch sind?«

»Wie­so?«

»Nun, Sie – Sie sind ein et­was ein­sa­mer Mensch – sind es ge­we­sen, heißt das, Sie ha­ben nie ge­hei­ra­tet.«

»Woll­te nie. Aber warum – –«

»Und Sie sind auch nie rei­cher ge­wor­den, als Sie eben wa­ren?«

»Woll­te auch das nie.«

»Sie ha­ben eben nach Wis­sen ge­gra­ben?«

»Nun, eine ge­wis­se Wiß­be­gier­de ist na­tür­lich – –«

»Das mei­nen Sie. Das ist es ge­ra­de. Sie mei­nen, je­der an­de­re Geist will wis­sen. Ich ent­sin­ne mich, ein­mal, da frag­te ich Sie, warum Sie all die­se Un­ter­su­chun­gen an­stell­ten, und da sag­ten Sie, Sie woll­ten in die Aka­de­mie, und Sie woll­ten, das Zeug sol­le Ca­vo­rit hei­ßen, und der­glei­chen mehr. Sie wis­sen recht gut, dass Sie es nicht dar­um ta­ten; aber da­mals über­rasch­te mei­ne Fra­ge Sie, und Sie fühl­ten, Sie soll­ten et­was ha­ben, was wie ein Mo­tiv aus­sah. In Wirk­lich­keit un­ter­nah­men Sie Un­ter­su­chun­gen, weil Sie es muss­ten. Das ist so Ihre An­la­ge.«

»Vi­el­leicht ja – –«

»Nicht ei­ner aus ei­ner Mil­li­on hat die­se An­la­ge. Die meis­ten Men­schen wol­len – nun, die ver­schie­dens­ten Din­ge, aber nur sehr we­ni­ge wol­len das Wis­sen um sei­ner selbst wil­len. Ich will es nicht, das weiß ich ge­nau. Nun schei­nen die­se Se­le­ni­ten eine ge­schwin­de, ge­schäf­ti­ge Art We­sen zu sein, aber wo­her wis­sen Sie, dass sich selbst die in­tel­li­gen­tes­ten für uns oder un­se­re Welt in­ter­es­sie­ren wer­den? Ich glau­be nicht ein­mal, dass sie wis­sen, dass wir eine Welt ha­ben. Sie kom­men nie des Nachts her­aus – sie wür­den er­frie­ren. Sie ha­ben wahr­schein­lich au­ßer der bren­nen­den Son­ne nie­mals einen Him­mels­kör­per ge­se­hen. Wo­her wol­len Sie wis­sen, dass es noch eine Welt gib­t? Was macht es ih­nen aus, wenn sie es wis­sen? Ja, selbst wenn sie ein paar Ster­ne ge­se­hen ha­ben, oder so­gar die Erd­si­chel, was dann? Wa­rum soll­ten sich Leu­te, die in ei­nem Pla­ne­ten le­ben, die Mühe ma­chen, sol­che Din­ge zu be­ob­ach­ten? Die Men­schen wür­den es auch nicht ge­tan ha­ben, wä­ren nicht die Jah­res­zei­ten und die Schif­fahrt; warum soll­ten die Mond­leu­te? … Ja, und neh­men Sie an, es gäbe ein paar Phi­lo­so­phen wie Sie. Gera­de das sind die Se­le­ni­ten, die nie von un­serm Da­sein hö­ren wer­den. Neh­men Sie an, es wäre ein Se­le­nit auf die Erde ge­fal­len, als Sie in Lym­pe wa­ren – Sie wä­ren von al­ler Welt der letz­te ge­we­sen, der es ge­hört hät­te. Sie ha­ben nie eine Zei­tung ge­le­sen! Sie se­hen die Chan­cen ge­gen sich. Ja, und um die­ser Chan­cen wil­len sit­zen wir hier und tun nichts, wäh­rend kost­ba­re Zeit ent­flieht. Ich sage Ih­nen, wir sind in ei­ner Klem­me. Wir sind un­be­waff­net ge­kom­men, wir ha­ben un­se­re Sphä­re ver­lo­ren, wir ha­ben nichts zu es­sen, wir ha­ben uns den Se­le­ni­ten ge­zeigt und ih­nen den Glau­ben bei­ge­bracht, dass wir fremd­ar­ti­ge, star­ke, ge­fähr­li­che Tie­re sind; und wenn die­se Se­le­ni­ten nicht vollen­de­te Nar­ren sind, wer­den sie sich jetzt auf­ma­chen und uns ja­gen, bis sie uns fin­den, und wenn sie uns fin­den, wer­den sie ver­su­chen, uns zu fan­gen, und wer­den uns tö­ten, wenn sie es nicht kön­nen, und das ist der Schluss der Sa­che. Wenn sie uns fan­gen, wer­den sie uns wahr­schein­lich aus ir­gend­ei­nem Miss­ver­ständ­nis tö­ten. Wenn wir ab­ge­tan sind, wer­den sie uns viel­leicht er­ör­tern, aber wir wer­den nicht viel Ulk da­von ha­ben.«

»Nur wei­ter.«

»An­de­rer­seits liegt hier Gold um­her wie zu Hau­se Guß­ei­sen. Wenn wir nur et­was da­von mit zu­rück­brin­gen könn­ten, wenn wir nur un­se­re Sphä­re fin­den könn­ten, ehe sie es tun, und zu­rück­keh­ren, dann – –«

»Ja?«

»Dann könn­ten wir die Sa­che auf ge­sün­de­re Grund­la­ge stel­len. In ei­ner grö­ße­ren Sphä­re mit Waf­fen wie­der­kom­men.«

»Gro­ßer Gott!«, rief Ca­vor, als sei das furcht­bar.

Ich schleu­der­te wie­der einen Pilz in den Spalt hin­ab.

»Se­hen Sie, Ca­vor«, sag­te ich. »Auf je­den Fall habe ich in die­ser Sa­che die hal­be Stimm­kraft, und dies ist ein Fall für einen prak­ti­schen Mann. Ich bin ein prak­ti­scher Mann, und Sie nicht. Ich wer­de kei­nen Se­le­ni­ten und geo­me­tri­schen Fi­gu­ren wie­der trau­en, so­lan­ge ich es än­dern kann … Das ist al­les. Keh­ren Sie zu­rück. Las­sen Sie all die­se Heim­lich­keit fal­len, oder das meis­te da­von, und kom­men Sie wie­der.«

Er über­leg­te. »Als ich auf den Mond kam«, sag­te er, »hät­te ich al­lein kom­men sol­len.«

Eine Zeit lang strei­chel­ten wir uns schwei­gend die Knie. Dann schi­en er sich für mei­ne Grün­de zu ent­schei­den.

»Ich glau­be«, sag­te er, »man kann Data er­hal­ten. Es ist klar, so­lan­ge die Son­ne auf die­ser Sei­te des Mon­des ist, wird die Luft von der dunklen Sei­te durch die­sen Pla­ne­ten­schwamm her­auf­bla­sen. Auf je­den Fall wird sich die Luft auf die­ser Sei­te aus­deh­nen und aus den Mond­höh­len in die Kra­ter flie­ßen … Schön, und hier ist ein Luft­zug.«

»Der ist da.«

»Und das heißt, dass dies kein to­tes Ende ist; ir­gend­wo hin­ter uns geht die­ser Spalt wei­ter hin­auf. Der Zug weht auf­wärts, und das ist der Weg, den wir ge­hen müs­sen. Wenn wir ver­su­chen, ir­gend­wel­chen Schorn­stein oder Riss hin­auf­zu­klet­tern, der vor­han­den sein mag, so wer­den wir nicht nur aus die­sen Gän­gen her­aus­kom­men, in de­nen sie nach uns ja­gen – –«

»Wenn aber der Riss zu eng ist?«

»So stei­gen wir wie­der zu­rück.«

»Sch!«, sag­te ich plötz­lich, »was ist das?«

Wir lausch­ten. Erst war es ein un­deut­li­ches Mur­meln, und dann un­ter­schied man das Dröh­nen ei­nes Gongs. »Sie müs­sen glau­ben, wir sind Mond­käl­ber«, sag­te ich, »dass uns das er­schre­cken könn­te.«

»Sie kom­men den Gang ent­lang«, sag­te Ca­vor.

»Das müs­sen sie.«

»Sie wer­den nicht an den Spalt den­ken. Sie wer­den vor­über­ge­hen.«

Ich lausch­te wie­der eine Zeit lang. »Dies­mal«, flüs­ter­te ich, »wer­den sie wahr­schein­lich ir­gend­wel­che Waf­fen ha­ben.«

Dann sprang ich plötz­lich auf die Füße. »Gü­ti­ger Him­mel, Ca­vor!«, rief ich. »Aber doch! Sie wer­den die Pil­ze se­hen, die ich hin­un­ter­ge­wor­fen habe. Sie wer­den – –«

Ich sprach mei­nen Satz nicht zu Ende. Ich wand­te mich um und tat einen Sprung über die Pilz­mas­sen nach dem obe­ren Ende der Höh­lung zu. Ich sah, dass sie sich nach oben wand­te und wie­der zu ei­nem zu­gi­gen Spalt wur­de, der in un­durch­dring­li­che Dun­kel­heit hin­auf­stieg. Ich woll­te ge­ra­de hier hin­auf­klet­tern und wand­te mich dann in ei­ner glück­li­chen In­spi­ra­ti­on zu­rück.

»Was ma­chen Sie?«, frag­te Ca­vor.

»Ge­hen Sie nur wei­ter!«, sag­te ich und ging zu­rück und nahm zwei der leuch­ten­den Pil­ze, steck­te einen da­von in die Brust­ta­sche mei­ner Fla­nell­ja­cke, so­dass er her­vor­sah und bei un­serm Klet­tern leuch­te­te, und kehr­te mit dem an­de­ren für Ca­vor zu­rück. Der Lärm der Se­le­ni­ten war jetzt so laut, dass es schi­en, sie muss­ten schon un­ter dem Spalt sein. Aber es konn­te sein, dass sie auf Schwie­rig­kei­ten stie­ßen, als sie hin­auf­klet­tern woll­ten, oder sie moch­ten zö­gern, ge­gen un­se­ren mög­li­chen Wi­der­stand hin­auf­zu­stei­gen. Auf je­den Fall hat­ten wir jetzt das be­ru­hi­gen­de Wis­sen von der un­ge­heu­ren Über­le­gen­heit un­se­rer Mus­keln, die uns un­se­re Ge­burt auf ei­nem an­de­ren Pla­ne­ten gab. In der nächs­ten Mi­nu­te klomm ich Ca­vors blau­er­leuch­te­ten Fer­sen mit Rie­sen­kräf­ten nach.