H. G. Wells – Gesammelte Werke

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11 – Die Mondkalbweiden



So kro­chen wir bei­den ar­men ir­di­schen Ver­bann­ten, ver­lo­ren in die­sem wild wach­sen­den Mondd­schun­gel, in Angst vor den Tö­nen, die uns er­reicht hat­ten, da­hin. Wir kro­chen, wie es schi­en, lan­ge Zeit, ehe wir so­wohl den Se­le­ni­ten wie das Mond­kalb sa­hen, ob­gleich wir das Brül­len und die grun­zen­den Geräusche die­ser letz­te­ren be­stän­dig nä­her kom­men hör­ten. Wir kro­chen durch stei­ni­ge Schluch­ten über Schnee­hän­ge hin, zwi­schen Schwamm­pil­zen durch, die bei un­se­rer Berüh­rung wie dün­ne Bla­sen auf­ris­sen und eine wäs­se­ri­ge Flüs­sig­keit von sich ga­ben, über ein voll­stän­di­ges Pflas­ter von staub­pil­z­ähn­li­chen Din­gen, und un­ter end­lo­sen Ge­strüpp­dickich­ten hin. Und im­mer hoff­nungs­lo­ser such­ten un­se­re Au­gen nach un­se­rer ver­las­se­nen Sphä­re. Der Lärm der Mond­käl­ber war zu­zei­ten ein brei­ter, fla­cher, kal­bar­ti­ger Ton, zu­zei­ten er­hob er sich zu ei­nem ent­setz­ten und wü­ten­den Brül­len, und dann wie­der wur­de er zu ei­nem ge­hemm­ten Tier­laut, als such­ten die­se un­sicht­ba­ren Ge­schöp­fe zu glei­cher Zeit zu fres­sen und zu brül­len.



Als wir sie zum ers­ten Mal zu se­hen be­ka­men, war es nur ein un­ge­nü­gen­der, flüch­ti­ger Blick, der aber nicht min­der be­un­ru­hi­gend, weil un­voll­stän­dig war. Ca­vor kroch zur­zeit vor und er be­merk­te ihre Nähe zu­erst. Er mach­te Halt und ge­bot es mir mit ei­ner ein­zi­gen Be­we­gung.



Ein Kra­chen und Bers­ten des Ge­strüpps schi­en ge­ra­de auf uns zu zu lau­fen, und dann, als wir uns nahe zu­sam­men­hock­ten und über die Nähe und Rich­tung die­ses Lär­mes ein Ur­teil zu ge­win­nen ver­such­ten, er­dröhn­te hin­ter uns ein furcht­ba­res Ge­brüll, so nah und hef­tig, dass sich die Spit­zen des Ba­jo­nett­strauchs dar­un­ter bo­gen und man sei­nen Atem heiß und feucht fühl­te. Und als wir uns um­dreh­ten, sa­hen wir durch einen Wald schwan­ken­der Stäm­me hin­durch die leuch­ten­den Sei­ten des Mond­kalbs, und die lan­ge Li­nie sei­nes Rückens rag­te ge­gen den Him­mel em­por.



Na­tür­lich ist es schwer für mich, jetzt zu sa­gen, wie viel ich bei die­ser Ge­le­gen­heit sah, da mei­ne Ein­drücke durch spä­te­re Beo­b­ach­tung kor­ri­giert wur­den. Der ers­te Ein­druck war der von sei­ner un­ge­heu­ren Grö­ße; die Gür­tel­wei­te sei­nes Rump­fes be­trug ei­ni­ge acht­zig Fuß, sei­ne Län­ge viel­leicht zwei­hun­dert. Sei­ne Flan­ken ho­ben und senk­ten sich mit sei­ner müh­sa­men At­mung. Ich sah, dass sein rie­sen­haf­ter, schlott­ri­ger Kör­per auf dem Bo­den lag, und dass sei­ne Haut von runz­li­gem Weiß war, am Wir­bel hin schwarz ge­spren­kelt. Aber von sei­nen Fü­ßen sa­hen wir nichts. Ich glau­be auch, wir sa­hen we­nigs­tens das Pro­fil des fast hirn­lo­sen Kop­fes mit sei­nem fett­ge­pols­ter­ten Hals, sei­nem schlab­bern­den, al­les ver­schlin­gen­den Mund, sei­nen klei­nen Nüs­tern und sei­nen eng­ge­schlos­se­nen Au­gen (denn das Mond­kalb schließt in Ge­gen­wart der Son­ne un­ab­än­der­lich die Au­gen). Wir sa­hen ge­ra­de noch ein rie­si­ges ro­tes Loch, als es den Mund auf­tat, um wie­der zu blö­ken und zu brül­len; wir be­ka­men einen Hauch aus dem Loch, und dann leg­te sich das Un­ge­heu­er wie ein Schiff über und schlepp­te sich am Bo­den hin, in­dem es sei­ne gan­ze le­dri­ge Haut knit­ter­te, wälz­te sich von neu­em und wog­te so schwer­fäl­lig an uns vor­bei, in­dem es sich mit­ten durch das Ge­strüpp einen Pfad brach, dass es uns bald hin­ter sei­nem dich­ten Wirr­warr ver­barg. Ein zwei­tes er­schi­en in grö­ße­rer Fer­ne, und dann ein drit­tes; und dann kam, als füh­re er die­se le­ben­di­gen Vor­rats­mas­sen auf ihre Wei­de, auf einen Au­gen­blick ein Se­le­nit in den Ge­sichts­kreis. Der Griff, mit dem ich Ca­vors Fuß ge­fasst hielt, wur­de bei sei­nem An­bli­cke krampf­haft, und wir blie­ben re­gungs­los und späh­ten aus, noch lan­ge nach­dem er aus un­serm Be­reich ver­schwun­den war.



Im Ge­gen­satz zu den Mond­käl­bern schi­en er ein win­zi­ges We­sen, eine blo­ße Amei­se, kaum fünf Fuß hoch. Er trug Klei­der aus ei­ner le­dri­gen Sub­stanz, so­dass kein Teil sei­nes wirk­li­chen Kör­pers er­schi­en, aber da­von hat­ten wir na­tür­lich kei­ne Ah­nung. Er stell­te sich also als ein kom­pak­tes, bors­ti­ges Ge­schöpf dar, das viel von ei­nem kom­pli­zier­ten In­sekt hat­te, mit peit­schen­ar­ti­gen Tas­tern und ei­nem klin­gen­den Arm, der aus sei­ner leuch­ten­den, zy­lin­dri­schen Lei­bes­hül­se her­vor­rag­te. Die Form sei­nes Kop­fes war durch sei­nen un­ge­heu­ren viel­spit­zi­gen Helm ver­bor­gen – spä­ter ent­deck­ten wir, dass er die Spit­zen be­nutz­te, um wi­der­spens­ti­ge Mond­käl­ber zu sta­cheln – und eine Bril­le, de­ren dun­kel ge­färb­te Glä­ser stark auf den Sei­ten stan­den, ga­ben dem me­tal­li­schen Ap­pa­rat, der ihm das Ge­sicht be­deck­te, et­was Vo­gel­ar­ti­ges. Sei­ne Arme fie­len nicht über sei­ne Kör­per­hül­se hin­aus her­ab, und er trug sich auf kur­z­en Bei­nen, die trotz ih­rer war­men Deck­hül­len un­se­ren ir­di­schen Au­gen un­ge­hö­rig schwach er­schie­nen. Sie hat­ten sehr kur­ze Ober-, sehr lan­ge Un­ter­schen­kel und klei­ne Füße.



Trotz sei­ner schwer aus­se­hen­den Klei­dung be­weg­te er sich mit Schrit­ten vor­wärts, die vom ir­di­schen Stand­punkt aus sehr be­trächt­lich wä­ren, und sein klir­ren­der Arm war ge­schäf­tig. Die Art sei­ner Be­we­gung wäh­rend des Mo­ments, in dem er vor­über­flog, deu­te­te auf Hast und auf einen ge­wis­sen Zorn, und bald nach­dem wir ihn aus den Au­gen ver­lo­ren hat­ten, hör­ten wir das Brül­len ei­nes Mond­kalbs un­ver­mit­telt in ein kur­z­es, schar­fes Quie­ken über­ge­hen, dem das Ge­tö­se sei­ner Be­schleu­ni­gung folg­te. Und all­mäh­lich ver­zog sich das Brül­len und kam dann zu ei­nem Schluss, als wä­ren die ge­such­ten Wei­den er­reicht.



Wir lausch­ten. Eine Zeit lang war die Mond­welt still. Aber es dau­er­te ei­ni­ge Zeit, ehe wir un­ser Krie­chen und die Su­che nach der ver­schwun­de­nen Sphä­re wie­der auf­nah­men.



Als wir das nächs­te Mal Mond­käl­ber sa­hen, wa­ren sie et­was von uns ent­fernt, auf ei­nem Pla­teau von wir­ren Fel­sen. Die we­ni­ger senk­rech­ten Flä­chen der Fel­sen wa­ren dick be­setzt mit ei­ner ge­fleck­ten grü­nen Pflan­ze, die in dich­ten moo­si­gen Klum­pen wuchs, von de­nen die­se Ge­schöp­fe wei­de­ten. Wir hiel­ten bei ih­rem An­blick am Ran­de der Roh­re an, durch die wir kro­chen, und späh­ten zu ih­nen hin­aus und blick­ten uns nach ei­nem zwei­ten Se­le­ni­ten um. Sie la­gen wie rie­si­ge Faul­pel­ze, stu­pen­de, fet­te Rümp­fe, vor ih­rem Fut­ter und fra­ßen mit ei­ner Art schluch­zen­der Gier eif­rig und ge­räusch­voll. Sie schie­nen Un­ge­heu­er blo­ßen Fetts, bis zu ei­nem Gra­de plump und wuch­tig, dass ein Smit­h­field-Och­se da­ne­ben als ein Mus­ter von Be­hän­dig­keit er­schie­nen wäre. Ihre ge­schäf­ti­gen, sich win­den­den, kau­en­den Mäu­ler und ihre ge­schlos­se­nen Au­gen er­ga­ben zu­sam­men mit dem ap­pe­ti­ter­re­gen­den Geräusch ih­res Kau­ens ein Bild tie­ri­schen Ge­nus­ses, das un­se­re lee­ren Mä­gen merk­wür­dig an­reiz­te.



»Schwei­ne!«, sag­te Ca­vor mit un­ge­wöhn­li­cher Lei­den­schaft. »Ekel­haf­te Schwei­ne!«, und nach ei­nem Blick zor­ni­gen Nei­des kroch er durch die Bü­sche nach rechts hin fort. Ich blieb lan­ge ge­nug, um noch zu se­hen, dass die fle­cki­ge Pflan­ze als mensch­li­che Nah­rung ganz hoff­nungs­los war, und kroch ihm dann nach, in­dem ich ein Stück da­von zwi­schen den Zäh­nen kau­te.



Bald dar­auf wur­den wir wie­der durch die Nähe ei­nes Se­le­ni­ten auf­ge­hal­ten, und dies­mal wa­ren wir im­stan­de, ihn ge­nau­er zu be­ob­ach­ten. Jetzt konn­ten wir se­hen, dass die Be­de­ckung des Se­le­ni­ten wirk­lich Klei­dung war und nicht eine Art Schal­tier­über­zug. Er war in sei­nem Ko­stü­me dem ers­ten, den wir flüch­tig ge­se­hen hat­ten, ganz gleich, nur, dass ihm die En­den von ei­ner Art Wat­tie­rung aus dem Na­cken rag­ten, und er stand auf ei­nem Fels­vor­sprung und dreh­te den Kopf hier­hin und dort­hin, als über­bli­cke er den Kra­ter. Wir la­gen ganz still, aus Furcht, sei­ne Auf­merk­sam­keit auf uns zu len­ken, wenn wir uns be­weg­ten, und nach ei­ner Zeit lang dreh­te er sich um und ver­schwand.



Wir tra­fen auf eine wei­te­re Her­de von Mond­käl­bern, die eine Schlucht hin­auf­brüll­ten, und dann ka­men wir über einen Ort der Schal­le, Schal­le schla­gen­der Ma­schi­nen, als käme hier eine rie­si­ge In­dus­trie­hal­le der Ober­flä­che nahe. Und wäh­rend die­se Töne noch um uns schwan­gen, ka­men wir an den Rand ei­nes wei­ten of­fe­nen Raums, der etwa zwei­hun­dert Me­ter im Durch­mes­ser hat­te und völ­lig eben war. Ab­ge­se­hen von ein paar Flech­ten, die vom Ran­de her über­grif­fen, war die­ser Raum nackt, und er zeig­te eine pul­ve­ri­ge Ober­flä­che von stau­big gel­ber Far­be. Wir fürch­te­ten uns, die­se Flä­che zu durch­que­ren, da sie aber un­serm Krie­chen we­ni­ger Hin­de­rung ent­ge­gen­setz­te als das Ge­strüpp, stie­gen wir dar­auf hin­ab und be­gan­nen sehr vor­sich­tig an ih­rem Ran­de ent­lang zu lau­fen.



Auf eine klei­ne Wei­le hör­ten die Geräusche von un­ten her auf, und al­les war, ab­ge­se­hen von dem lei­sen Re­gen der wach­sen­den Ve­ge­ta­ti­on, sehr still. Dann be­gann un­ver­mit­telt ein Aufruhr, lau­ter, hef­ti­ger und nä­her als ir­gend et­was, was wir bis­lang ge­hört hat­ten. Ganz si­cher kam er von un­ten. In­stink­tiv kau­er­ten wir uns, so flach wir konn­ten, zu­sam­men, be­reit, rasch ins Dickicht ne­ben uns zu tau­chen. Je­der Schlag und Stoß schi­en durch un­se­re Kör­per zu schwin­gen. Die­ses Po­chen und Schla­gen wur­de lau­ter, und dies un­re­gel­mä­ßi­ge Schwin­gen stei­ger­te sich, bis die gan­ze Mond­welt zu ru­cken und zu pul­sie­ren schi­en.



»Ver­ste­cken«, flüs­ter­te Ca­vor und ich wand­te mich zu den Bü­schen.



In dem Mo­ment er­folg­te ein Knall, wie der Knall ei­ner Ka­no­ne, und dann ge­sch­ah et­was – es ver­folgt mich noch in mei­nen Träu­men. Ich hat­te den Kopf ge­wen­det, um nach Ca­vors Ge­sicht zu se­hen, und streck­te die Hand da­bei vor mich hin. Und mei­ne Hand traf auf nichts! Tauch­te plötz­lich in ein bo­den­lo­ses Loch!

 



Mei­ne Brust stieß auf et­was Har­tes, und ich sah, ich lag mit dem Kinn auf dem Ran­de ei­nes un­er­mess­li­chen Ab­grunds, der sich plötz­lich un­ter mir ge­öff­net hat­te, die Hand rag­te steif in die Lee­re. Jene gan­ze kreis­run­de Flä­che war nur ein rie­sen­haf­ter De­ckel, der jetzt nach der Sei­te hin von dem Lo­che, das er be­deckt hat­te, in einen da­für ge­bau­ten Schlitz ab­glitt.



Wäre Ca­vor nicht da­ge­we­sen, ich glau­be, ich wäre starr über die­sem Ran­de hän­gen ge­blie­ben und hät­te in den un­ge­heu­ren Ab­grund dar­un­ter ge­st­arrt, bis mich schließ­lich die Rän­der des Schlit­zes ab­ge­streift und in sei­ne Tie­fe hin­un­ter­ge­schleu­dert hät­ten. Aber Ca­vor hat­te den Stoß, der mich lähm­te, nicht mit­be­kom­men. Er war eine klei­ne Stre­cke vom Ran­de ent­fernt ge­we­sen, als der De­ckel sich zu­erst öff­ne­te, und als er die Ge­fahr sah, die mich hilf­los ge­packt hielt, fass­te er mich an den Bei­nen und zog mich zu­rück. Ich kam in sit­zen­de Stel­lung, kroch auf al­len Vie­ren eine Stre­cke vom Ran­de weg, tau­mel­te dann em­por und lief ihm quer über die don­nern­de, be­ben­de Me­tall­plat­te nach. Sie schi­en mit ste­tig be­schleu­nig­ter Ge­schwin­dig­keit auf zu schwin­gen, und die Bü­sche vor mir glit­ten seit­lich weg, als ich auf sie zu­lief.



Ich kam nicht zu früh. Ca­vors Rücken ver­schwand im stach­li­gen Dickicht, und als ich nach ihm hin­auf­klet­ter­te, schlug der rie­si­ge De­ckel mit ei­nem Klir­ren in sein Schloss. Eine lan­ge Zeit la­gen wir atem­los da und wag­ten nicht, uns dem Lo­che zu nä­hern.



Aber schließ­lich kro­chen wir sehr vor­sich­tig und Stück für Stück an eine Stel­le, von wo aus wir hin­un­ter­spä­hen konn­ten. Die Bü­sche um uns krach­ten und schwank­ten un­ter der Ge­walt ei­nes Win­des, der in den Schacht hin­un­ter­blies. Erst konn­ten wir nichts se­hen als glat­te, senk­rech­te Wän­de, die schließ­lich in un­durch­dring­li­ches Dun­kel ver­san­ken. Und dann be­merk­ten wir sehr all­mäh­lich eine An­zahl sehr blas­ser und klei­ner Lich­ter, die hin und her gin­gen.



Eine Wei­le hielt uns die­ser stu­pen­de Ab­grund des Ge­heim­nis­ses ge­bannt, so­dass wir so­gar un­se­re Sphä­re ver­ga­ßen. Mit der Zeit, als wir uns mehr an die Dun­kel­heit ge­wöhn­ten, konn­ten wir sehr klei­ne, dunkle, flüch­ti­ge Ge­stal­ten zwi­schen die­sen Na­del­kno­pflich­tern her­um­zie­hen se­hen. Wir späh­ten er­staunt und un­gläu­big hin­ab und be­grif­fen es so we­nig, dass wir kei­ne Wor­te fin­den konn­ten. Wir konn­ten nichts er­ken­nen, was uns einen An­halts­punkt für die Be­deu­tung der blas­sen Ge­stal­ten ge­ben konn­te, die wir sa­hen.



»Was kann das sein?«, frag­te ich, »was kann das sein?«



»Die Ma­schi­ne­rie! … Sie müs­sen wäh­rend der Nacht in sol­chen Höh­len le­ben und tags­über her­aus­kom­men.«



»Ca­vor!«, sag­te ich. »Kön­nen sie –

das

 – es war et­was wie – Men­schen?«



»

Das

 war kein Mensch.«



»Wir dür­fen nichts ris­kie­ren!«



»Wir dür­fen nichts un­ter­neh­men, bis wir die Sphä­re fin­den!«



»Wir kön­nen nichts tun, bis wir die Sphä­re fin­den!«



Er stimm­te mit ei­nem Seuf­zer bei und mach­te eine Be­we­gung zum Ge­hen. Er starr­te eine Zeit lang um sich, seufz­te und zeig­te eine Rich­tung. Wir bra­chen durch den Dschun­gel. Eine Wei­le kro­chen wir ent­schlos­sen vor­wärts, dann mit ge­rin­ger wer­den­der Kraft. Plötz­lich er­dröhn­te un­ter großen Ge­stal­ten schlott­ri­gen Pur­purs der Lärm von Ge­stram­pel und Ge­schrei um uns. Wir la­gen still, und eine lan­ge Zeit gin­gen die Töne in großer Nähe hin und her. Aber dies­mal sa­hen wir nichts. Ich ver­such­te Ca­vor zu­zu­flüs­tern, ich kön­ne ohne zu es­sen kaum noch viel län­ger wei­ter, aber zum Flüs­tern war mir der Mund zu tro­cken ge­wor­den.



»Ca­vor«, sag­te ich. »ich muss zu es­sen ha­ben.«



Er wand­te mir ein Ge­sicht vol­ler Ent­set­zen zu. »Es ist ein Fall zum Durch­hal­ten«, sag­te er.



»Aber ich

muss

«, sag­te ich, »und se­hen Sie sich mei­ne Lip­pen an!«



»Ich bin schon seit ei­ni­ger Zeit durs­tig.«



»Wenn nur noch et­was von dem Schnee üb­rig wäre!«



»Er ist rein weg! Wir fah­ren mit der Ge­schwin­dig­keit von ei­nem Grad die Mi­nu­te vom Nord­pol zum Äqua­tor …«



Ich nag­te an mei­ner Hand.



»Die Sphä­re!«, sag­te er. »Es bleibt nichts als die Sphä­re.«



Wir raff­ten uns zu ei­ner neu­en Kriechan­stren­gung auf. Mei­ne Ge­dan­ken dreh­ten sich ein­zig um ess­ba­re Din­ge, um die zi­schen­de Tie­fe von Som­mer­ge­trän­ken; ins­be­son­de­re ver­lang­te mich nach Bier. Mich ver­folg­te die Erin­ne­rung an ein Fünf­zehn-Gal­lo­nen-Fass, das zu Lym­pne in mei­nem Kel­ler ge­prunkt hat­te. Ich dach­te an die an­sto­ßen­de Spei­se­kam­mer und be­son­ders an Steak und Nie­ren­pas­te­te – zar­tes Steak und reich­li­che Nie­re und dazu di­cker, schwe­rer Fleisch­saft. Hin und wie­der er­grif­fen mich An­fäl­le hung­ri­gen Gäh­nens. Wir ka­men an fla­che Stel­len, die mit flei­schi­gen, ro­ten Pflan­zen über­wach­sen wa­ren, un­ge­heu­ren ko­ral­len­ar­ti­gen Ge­wäch­sen; als wir ge­gen sie stie­ßen, schnapp­ten sie und bra­chen ab. Das ver­damm­te Zeug sah je­den­falls nach beiß­ba­rer Struk­tur aus. Dann schi­en mir, es rö­che ziem­lich gut.



Ich hob ein Stück auf und roch dar­an.



»Ca­vor«, sag­te ich in ei­nem hei­se­ren Flüs­ter­ton.



Er sah mich mit in die Höhe ge­schraub­ten Ge­sicht an. »Nicht!«, sag­te er. Ich warf das Stück hin und wir kro­chen eine Stre­cke durch die­se ver­lo­cken­den Fleisch­mas­sen wei­ter.



»Ca­vor«, frag­te ich, »warum

nicht



»Gift«, hör­te ich ihn sa­gen, aber er blick­te nicht zu­rück.



Wir kro­chen noch eine Stre­cke weit, ehe ich mich ent­schloss.



»Ich will es ris­kie­ren«, sag­te ich.



Er mach­te eine ver­spä­te­te Ges­te, um mich zu hin­dern. Ich stopf­te mir den Mund voll. Er kau­er­te sich hin und be­ob­ach­te­te mein Ge­sicht; sein ei­ge­nes ver­zerr­te sich zum wun­der­lichs­ten Aus­druck. »Das Zeug ist gut«, sag­te ich.



»O Him­mel!«, rief er.



Er be­ob­ach­te­te mich, wie ich kau­te, sein Ge­sicht run­zel­te sich zwi­schen Ver­lan­gen und Miss­bil­li­gung; dann plötz­lich un­ter­lag er dem Ap­pe­tit und be­gann große Bis­sen her­un­ter­zu­rei­ßen. Eine Zeit lang ta­ten wir nichts als es­sen.



Das Zeug war ei­nem ir­di­schen Pilz nicht un­ähn­lich, nur war es im Ge­we­be viel lo­ser, und wenn man es schluck­te, mach­te es die Keh­le heiß. Zu­erst emp­fan­den wir eine bloß me­cha­ni­sche Be­frie­di­gung beim Es­sen; dann be­gan­nen neue und leicht zu­sam­men­hangs­lo­se Ide­en in un­serm Geist auf­zu­spru­deln.



»Es ist gut«, sag­te ich. »Höl­lisch gut! Was für eine Hei­mat für un­se­re über­schüs­si­ge Be­völ­ke­rung. Un­se­re arme über­schüs­si­ge Be­völ­ke­rung!«, und ich brach mir eine neue, große Por­ti­on ab.



Es er­füll­te mich mit ei­ner son­der­ba­ren wohl­wol­len­den Be­frie­di­gung, dass es so gute Nah­rung auf dem Mon­de gab. Die De­pres­si­on mei­nes Hun­gers wich ei­ner un­ver­nünf­ti­gen Hei­ter­keit. Die Furcht und das Un­be­ha­gen, in de­nen ich ge­lebt hat­te, ver­schwan­den völ­lig. Ich sah den Mond nicht län­ger im Licht ei­nes Pla­ne­ten, von dem ich in­nigst fort­kom­men zu kön­nen wünsch­te, son­dern im Licht ei­nes Asyls für mensch­li­che Ar­mut. Ich glau­be, ich ver­gaß die Se­le­ni­ten, die Mond­käl­ber, den De­ckel und die Geräusche voll­stän­dig, so­bald ich die­se Schwamm­pil­ze ge­ges­sen hat­te.



Auf mei­ne drit­te Wie­der­ho­lung der »über­schüs­si­gen Be­völ­ke­rung« ant­wor­te­te Ca­vor mit ähn­li­chen Wor­ten des Lo­bes. Ich fühl­te, dass mir der Kopf schwamm, aber ich schrieb das der an­rei­zen­den Wir­kung des Es­sens nach lan­gem Fas­ten zu. »Au’­geß­eich­ne­te En’e­ckung, das, Ca­vor«, sag­te ich. »Bes’e nach ’er Ka’offl.«



»Wa’ mei’ Sie?«, frag­te Ca­vor. »En’e­ckung ’s Mon’s – bes’e nach ’er Ka’offl?«



Ich sah ihn an, ent­setzt über sei­ne plötz­lich hei­se­re Stim­me und die schlech­te Ar­ti­ku­la­ti­on. Mir blitz­te auf, dass er be­rauscht war, mög­li­cher­wei­se von dem Pilz. Mir fiel auch ein, dass er irr­te, wenn er mein­te, er habe den Mond ent­deckt, er hat­te ihn nicht ent­deckt, er hat­te ihn nur er­reicht. Ich ver­such­te, ihm die Hand auf den Arm zu le­gen und ihm dies zu er­klä­ren, aber die Sa­che war für sein Ge­hirn zu fein. Sie war auch un­er­war­tet schwie­rig aus­zu­drücken. Nach ei­nem vor­über­ge­hen­den Ver­such, mich zu ver­ste­hen – ich er­in­ne­re mich, dass ich gern hät­te wis­sen mö­gen, ob der Pilz mei­ne Au­gen eben­so fi­schig ge­macht hät­te – wie sei­ne – be­gann er auf ei­ge­ne Rech­nung ei­ni­ge Beo­b­ach­tun­gen zu ma­chen.



»Wir sind«, ver­kün­de­te er mit ei­nem fei­er­li­chen Schluck­auf, »die Je­schöf­fe von ’em, was wir es­sen un trin­ken.«



Er wie­der­hol­te das, und da ich jetzt in ei­ner mei­ner spitz­fin­di­gen Stim­mun­gen war, so be­schloss ich, es zu be­strei­ten. Vi­el­leicht schweif­te ich ein we­nig von der Sa­che ab. Aber auf je­den Fall hör­te Ca­vor durch­aus nicht ge­büh­rend zu. Er stand, so gut er konn­te, auf, in­dem er mir, um sich zu stüt­zen, eine Hand auf den Kopf leg­te, was re­spekt­los war, und stand da und starr­te um sich, je­der Furcht vor den Mond­we­sen völ­lig bar.



Ich ver­such­te dar­zu­le­gen, dass dies aus ir­gend­ei­nem Grun­de, der mir nicht völ­lig klar war, ge­fähr­lich sei, aber das Wort »ge­fähr­lich« war ir­gend­wie mit »un­vor­sich­tig« ver­mischt und klang mehr wie »schäd­lich« als wie sonst et­was; und nach ei­nem Ver­such, sie zu ent­wir­ren, nahm ich mei­nen Streit­punkt wie­der auf, in­dem ich mich haupt­säch­lich an die un­ge­wohn­ten aber auf­merk­sa­men Koral­len­ge­wäch­se auf bei­den Sei­ten wand­te. Ich fühl­te, es war nö­tig, die­se Ver­wechs­lung zwi­schen Mond und Kar­tof­fel so­fort auf­zu­klä­ren – ich schweif­te in eine lan­ge Par­en­the­se über die Be­deu­tung der prä­zi­sen De­fi­ni­ti­on für die De­bat­te ab. Ich tat mein Bes­tes, die Tat­sa­che zu über­se­hen, dass mei­ne kör­per­li­chen Emp­fin­dun­gen nicht mehr an­ge­nehm wa­ren.



Auf ir­gend­ei­nem Wege, den ich jetzt ver­ges­sen habe, wur­de mein Geist wie­der auf die Ko­lo­ni­sa­ti­ons­plä­ne zu­rück­ge­führt. »Wir müs­sen die­sen Mond an­nek­tie­ren«, sag­te ich. »Hier darf man nicht lan­ge zö­gern. Dies ist ein Teil der Bür­de des wei­ßen Man­nes. Ca­vor – wir sind – hik – Sa­tap – mei­ne, Sa­tra­pen! ’N Reich, von dem Cäsar nie ge­träumt hat. In al­len Zei­tun­gen. Ca­vor­e­zia. Bed­for­di­zia – hik – be­schränk­te Haf­tung. Mei­ne – un­be­schränkt! Prak­tisch.«



Auf je­den Fall war ich be­rauscht.



Ich ließ mich auf einen Ge­dan­ken­gang ein, der die un­end­li­chen Wohl­ta­ten zei­gen soll­te, die un­se­re Zu­kunft dem Mon­de brin­gen muss­te. Ich ver­wi­ckel­te mich in einen ziem­lich schwie­ri­gen Be­weis, dass Co­lum­bus’ An­kunft, im Gro­ßen ge­rech­net, für Ame­ri­ka wohl­tä­tig ge­we­sen sei. Ich fand, dass ich den Ge­dan­ken­gang, den ich hat­te ver­fol­g