Auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft

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2.3DIE QUANTITATIVEN TRENDS DER TIEFGREIFENDEN MEDIATISIERUNG

Die beiden vorangegangenen Abschnitte sollten deutlich gemacht haben, welche Rolle korporative und kollektive Akteure beim Zustandekommen der tiefgreifenden Mediatisierung spielen. Das Verständnis dieses Entstehungsprozesses ist jedoch etwas viel Komplexeres als die einfache Analyse der politischen Ökonomie mächtiger Unternehmen und staatlicher Behörden oder des Einflusses von Pioniergemeinschaften. Um die unterschiedlichen Ausprägungen der tiefgreifenden Mediatisierung wirklich zu begreifen, ist es wichtig zu verstehen, wie die verschiedenen Strategien und Praktiken korporativer und kollektiver Akteure in diesem Metaprozess kumulierten. In einer ersten Annäherung können wir hier mindestens fünf quantitative Trends ausmachen (HEPP/HASEBRINK 2018): erstens die Differenzierung einer großen Zahl digitaler Medien; zweitens eine zunehmende Konnektivität von und durch diese Medien, was die Möglichkeit bietet, sich individuell und kollektiv über Raum und Zeit hinweg zu ›verbinden‹; drittens eine zunehmende Omnipräsenz dieser Medien, wodurch Menschen permanent und an verschiedenen Orten kommunikativ in Beziehung stehen können; viertens ein zunehmendes Innovationstempo, d.h. das Aufkommen ›neuer‹ Medien und Dienste in immer kürzeren Zeiträumen; und fünftens die Datafizierung, also die Repräsentation des sozialen Lebens in computerisierten Daten.

Diese Trends lassen sich weder auf das Handeln eines einzelnen korporativen oder kollektiven Akteurs reduzieren, noch können sie ausschließlich als eigenständige, mediale Phänomene gedacht werden. Vielmehr konstituieren sich diese Trends im Handeln der verschiedenen Akteure und konkretisieren sich über die verschiedenen Medien hinweg. Sie sind insgesamt charakteristisch für die quantitativen Verschiebungen der tiefgreifenden Mediatisierung. Wir müssen uns ebenfalls darüber im Klaren sein, dass diese Trends nicht linear verlaufen und es keineswegs sicher ist, ob sie sich fortsetzen. Auch ist offen, welche anderen Trends sich abzeichnen werden. Trotz dieser Vorläufigkeit ihrer Bestimmung gibt uns die Unterscheidung dieser Trends insgesamt ein erstes Verständnis für die medienbedingten Veränderungen, mit denen wir in verschiedenen gesellschaftlichen Domänen konfrontiert sind.

EINIGE DATEN

Die Ausdifferenzierung der Medien hat in den letzten Jahrzehnten sowohl in ihrer Vielfalt als auch in ihren unterschiedlichen Funktionalitäten stetig zugenommen. In den Anfängen der Digitalisierung drehte sich eine der Hauptdiskussionen um eine entstehende ›Konvergenz‹. Mit diesem Begriff wurde die Vorstellung des ›Zusammengehens‹ verschiedener Medien in einem Endgerät verbunden: dem ›Multimedia-Computer‹. Der Diskurs um Konvergenz weitete sich bald aus. Henry Jenkins (2006) z. B. verwendet den Begriff ›Konvergenzkultur‹, um die von ihm ausgemachten medienbezogenen Veränderungen zu beschreiben. In seiner Definition bezieht sich Konvergenz nicht auf die ursprüngliche lateinische Bedeutung im Sinne von ›sich annähern‹ oder ›zusammenlaufen‹ – wie es die Verschmelzung verschiedener Technologien, Industrien oder Endgeräte in dem einheitlichen Gerät des Personal Computers als einer Art »Hybridmedium« (HÖFLICH 2003: 65) impliziert. Vielmehr versteht Jenkins unter Konvergenz »den Fluss von Inhalten über mehrere Medienplattformen, die Zusammenarbeit von mehreren Medienindustrien und das Wanderungsverhalten des Medienpublikums, das auf der Suche nach der Art von Unterhaltung und Erfahrungen, die es haben möchte, fast überall hingeht« (JENKINS 2006: 2). Die Bedeutung von ›Konvergenz‹ ist bei ihm also weniger eine Verschmelzung aller Mediengeräte zu einer Art Supergerät, sondern eher eine Konvergenz auf der Ebene der Inhalte, die, da sie digital sind, über mehrere Endgeräte kommunizierbar werden, manche neuer, manche älter.59

Die Digitalisierung brachte eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Medien mit sich, Medien, die ausnahmslos auf Software basieren und in der Art und Weise, wie sie die Kommunikation verschiedener Arten von Inhalten über sie alle hinweg ermöglichen, grundlegend digital sind (MANOVICH 2013). Diese Idee verweist auf die frühen Imaginationen von Pioniergemeinschaften, die sich das Leben als etwas vollständig digital Durchdrungenes vorstellten.60 »Digital zu sein«, so die Zukunftsvision des Mitbegründers des MIT Media Lab, Nicholas Negroponte, beinhaltete bereits im Jahr 1995 die Idee, alle Dinge »digital aktiv« (NEGROPONTE 1995: 209) zu machen. Er sprach davon, dass Teetassen, Kleidung, Spielzeug und Autos in die digitale Welt übergehen würden, viele Jahre bevor die Vorstellung des Internets der Dinge in aller Munde, geschweige denn realisierbar war. Dies schwingt heute in den Strategien der großen Technologiekonzerne mit, die versuchen, die Felder, in denen sie Geschäfte machen, zu erweitern. Entweder erweitern sie ihre Produktpalette um zusätzliche ›smarte‹ digitale Endgeräte oder sie bieten die Infrastruktur und Software an, die notwendig ist, um die verschiedenen Endgeräte des entstehenden Internets der Dinge zu verbinden.

Das Internet der Dinge veranschaulicht die fortschreitende Differenzierung der digitalen Medien sehr gut. Im Kern ist das Internet der Dinge ein Überbegriff für Technologien der heutigen digitalen Infrastrukturen, die physische und virtuelle Objekte vernetzen und deren Zusammenwirken durch Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen.61 Wir haben es hier mit einer Vielzahl von vernetzten ›Dingen‹ zu tun, die von Kommunikationsmedien im engeren Sinne bis hin zu Endgeräten reichen, die wir bisher nicht als Kommunikationsmedien verstanden haben, die aber so in internetbasierte Kommunikationsprozesse eingebunden werden. Letztere können z.B. Sensoren sein, die automatisch Wetterdaten übermitteln, oder die Sensoren in unseren vernetzten Autos. Als ›smarte Autos‹ lassen sie sich anders steuern als bisher, und die Datensätze ihrer Bewegung können – wie andere Daten auch – in viele andere Prozesse der datenbasierten Kommunikation integriert werden.62 Des Weiteren können industrielle Produktionsanlagen über Technologien des Internets der Dinge gesteuert und überwacht werden, wie es mit Bezug auf die ›Industrie 4.0‹ diskutiert wird. In diesem Sinne steht das Internet der Dinge exemplarisch dafür, dass die Grenzen dessen, was wir als digitale Medien bezeichnen, infolge ihrer Differenzierung verschwimmen.

Das Ausmaß dieser Entwicklung ist schwer zu messen, da es keine verlässlichen Zahlen zum Internet der Dinge gibt. Während IBM für 2015 eine Billion vernetzter Endgeräte prognostizierte, gehen konservativere Industriequellen von deutlich niedrigeren Zahlen aus. Diese schwanken 2016 zwischen der Schätzung von Gartner von 6,4 Milliarden (eine Zahl, die Smartphones, Tablets und Computer nicht einschließt), der Schätzung der International Data Corporation von neun Milliarden (die diese Geräte ebenfalls ausschließt) und der Schätzung des Technologiemarktanalysten IHS Markit von 17,6 Milliarden (die gängige Endgeräte einschließt).63 Diese Zahlen sind jedoch nicht so entscheidend, wenn man den Trend zur Differenzierung verstehen will. Wichtiger ist, dass das Internet der Dinge zeigt, dass die Digitalisierung nicht mit der Konvergenz aller digitalen Medien zu einem Endgerät verbunden war. Die entscheidende Veränderung ist, dass immer mehr Endgeräte auch zu digitalen Medien – sprich: Mitteln der Kommunikation und Generierung von Daten – werden, sobald sie in die digitale Infrastruktur des Internets eingebunden sind.

Statistisch gesehen können wir den quantitativen Trend der Differenzierung mit der Vergabe von Internetprotokolladressen (IP) veranschaulichen. Die eindeutigen IPv4-Adressen stiegen kontinuierlich von 329,1 Millionen Adressen weltweit im Jahr 2008 auf 814,4 Millionen im Jahr 2017, was einem Wachstum von rund 247 Prozent entspricht (siehe Abbildung 1). Da diese Adressen typischerweise dynamisch vergeben werden, können wir davon ausgehen, dass das Wachstum auf der Ebene der digitalen Endgeräte noch größer war. Eine viel größere Verschiebung ist jedoch die Umstellung des Internetprotokolls von IPv4, das 4,3 Milliarden eindeutige Adressen zuwies, auf IPv6, das statisch 3,4x1038 Adressen bereitstellen konnte, also 340.282.366.920.938.463.463.374.6 07.431.768.211.456 eindeutige IPs (siehe GREENFIELD 2010: These 27).64 Betrachtet man das tatsächliche und prognostizierte Wachstum der angeschlossenen IPv6-fähigen Endgeräte (siehe Abbildung 1), so sind die Zahlen bemerkenswert: 2014 waren 2,01 Milliarden Endgeräte weltweit angeschlossen, 2017 hat sich diese Zahl auf 4,32 Milliarden mehr als verdoppelt und für 2021 wird eine Zahl von 8,4 Milliarden Endgeräten prognostiziert. Alles in allem zeigt dies gut, was mit dem Trend der Differenzierung der digitalen Medien gemeint ist.

ABBILDUNG1

Anzahl der eindeutigen IPv4-Adressen und IPv6-fähigen Endgeräte

Quelle: Cisco Visual Networking Index: Global Mobile 2017, S. 34 und https://www.akamai.com/de/de/resources/our-thinking/state-of-the-internet-report/archives/state-of-the-internet-connectivity-reports-2012.jsp [10.07.2019]

 

Ein zweiter quantitativer Trend ist der der zunehmenden Konnektivität. Mit Konnektivität beziehe ich mich auf die Vernetzung verschiedener Medien als Folge ihrer Digitalisierung sowie der Infrastruktur des Internets. Dies gilt für ›alte‹ Medien wie das Fernsehen und die Presse, deren Digitalisierung später einsetzte, ist aber doppelt relevant für eine ›neue‹ Generation von persönlichen Kommunikationstechnologien, digitalen Plattformen und mobilen Apps. Die heutige umfassende Konnektivität wiederum bezieht sich auf pionierhafte Imaginationen der Vernetzung allen menschlichen Wissens durch technische Systeme. Bekannte Beispiele sind das Memex (Memory Extender), ein einfach zu bedienendes System zur Wissenserschließung und -verwertung, das von Vannevar Bush (1945) hypothetisch erdacht wurde, oder Ted Nelsons Hypertext-Projekt Xanadu, das 1960 gegründet worden ist und die Schaffung einer Universalbibliothek mit unzähligen miteinander verbundenen Dokumenten zum Ziel hatte. Wie wir gesehen haben, geht es bei der heutigen Internet-Konnektivität nicht mehr nur um das World Wide Web (www), also um Hyperlinkstrukturen zwischen einzelnen Webseiten. Konnektivität findet auf vielen Ebenen statt, nicht zuletzt im Hinblick auf die fortlaufende Verarbeitung von Daten.

Wenn man bedenkt, dass das Internet die Hauptinfrastruktur dieser mehrschichtigen Konnektivität ist, können wir seine Unterwasserkabelverbindungen als Ausdruck dafür verstehen, wie sich die Konnektivität in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Die unten stehende Karte visualisiert, welche Regionen der Welt durch Unterwasserkabel in die Internet-Infrastruktur eingebunden sind (siehe Abbildung 2). Mittlerweile sind diese Unterwasserkabel nicht mehr nur die primären Verbindungen zwischen Nordamerika und Europa, sondern erstrecken sich über die ganze Welt. Afrika und Südamerika sind heute wesentlich besser eingebunden als noch vor wenigen Jahren. Allerdings sind diese materiellen Kabelnetze immer noch nicht gleichmäßig über die Welt verteilt, sondern privilegieren einen Teil des Globus mit schnellerer transatlantischer Online-Kommunikation gegenüber anderen (STAROSIELSKI 2015: 65-66). Während Menschen, die im Globalen Norden leben, durch ihren Zugang zu einer Breitband-Infrastruktur sofortige Konnektivität erhalten, führt dieselbe Infrastruktur bei Menschen in Afrika oder Asien zu einer in der Übertragungsrate und -geschwindigkeit beschränkten Kommunikation über Kontinente hinweg.

Dem Aufbau dieser Unterwasserkabelinfrastruktur entspricht der Anstieg der Zahl der Internetnutzer:innen weltweit von 2010 bis 2016: Folgt man den Statistiken der International Telecommunications Union (ITU), so stieg die weltweite Zahl der Internetnutzer:innen von 1,991 Milliarden im Jahr 2010 auf 3,896 Milliarden im Jahr 2018.65 Im Jahr 2005 lag der Anteil der Weltbevölkerung, der auf das Internet zugriff, bei 15,8 Prozent, wobei eine klare Abgrenzung zwischen der Nutzung im Globalen Norden mit 51,3 Prozent und im Globalen Süden mit 7,7 Prozent zu erkennen war. Im Jahr 2018 sind diese Zahlen auf 51,2 Prozent der Weltbevölkerung gestiegen, wobei es im Globalen Norden 80,9 Prozent und im Globalen Süden 48,3 Prozent sind. Das Problem bei diesen Zahlen ist sicherlich, dass sie sehr allgemein gehalten sind und im Grunde genommen abstrakt bleiben. Unterschiede und Ungleichheiten in der Konnektivität gibt es hingegen vor allem auf lokaler Ebene, nicht nur beim weltweiten Vergleich verschiedener Regionen, sondern insbesondere bei der Betrachtung des Unterschieds zwischen städtischen und ländlichen Gebieten auch innerhalb eines Landes bzw. einer Region. Nichtsdestotrotz zeigen solche Zahlen insgesamt, inwieweit die Konnektivität der Medien weltweit in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat.66

ABBILDUNG2

Transkontinentale Internet-Unterwasserkabelverbindungen

Quelle: Open Street Map Abbildung, basierend auf https://www.submarinecablemap.com [01.05.2019]

Neben ihrer Differenzierung und Konnektivität ist die zunehmende Omnipräsenz der Medien ein klarer Ausdruck der quantitativen Veränderungen der Medienumgebung. Bei Face-to-Face-Treffen, Gesprächen und Vorträgen, Spaziergängen und anderen sozialen Situationen, die lange Zeit unabhängig von Medien bestanden, greifen wir nun in der einen oder anderen Weise auf Medien zurück. Ein besonderes Momentum hat diese Entwicklung durch die Verbreitung mobiler Kommunikationstechnologien erfahren.67 In Weltregionen mit entsprechender Infrastruktur ist es nun möglich, »always on« (CHEN 2011: 63) und »constantly in touch« (AGAR 2003: 22), also zu jedem Zeitpunkt erreichbar zu sein.

ABBILDUNG3

Mobilfunkteilnehmer pro 100 Einwohner im Jahr 2017

Quelle: International Telecommunication Union (ITU) (2017): Measuring the Information Society Report (2017). Volume 2. ICT country profiles. Genf: International Telecommunication Union 68

So wie das Internet für die steigende globale Konnektivität steht, repräsentiert die Mobilkommunikation demnach die zunehmende Omnipräsenz der Medien. Letztlich manifestiert sich diese in der Möglichkeit, zumindest prinzipiell in den unterschiedlichsten Situationen und an den unterschiedlichsten Orten auf Medien zugreifen zu können. Die Etablierung der Mobilkommunikation vollzog sich dabei wiederum nicht nur exklusiv im Globalen Norden. Vielmehr zeigt sie sich auch im Globalen Süden. Dies wird an einer aktuellen Weltkarte der Mobilfunkteilnehmer:innen pro 100 Einwohner deutlich (siehe Abbildung 3).

Die Karte basiert auf Zahlen der International Telecommunication Union (ITU), wobei zwei Dinge auffallen: Erstens ist die Verbreitung von Mobiltelefonen nicht nur ein Phänomen im Globalen Norden. In kaum einem Land lag der Anteil der Mobilfunkanschlüsse 2017 unter 40 Prozent. Zweitens gibt es dennoch auch hier deutliche Ungleichheiten: Während die Abdeckung im Globalen Norden über 100 Prozent liegt – d.h., auf 100 Besitzer:innen kommen mehr als 100 Verträge, einzelne Menschen haben also mehr als einen Mobiltelefonvertrag –, erreichen beispielsweise afrikanische Länder etwa 40 Prozent. Diese niedrigeren Zahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dort die Verbreitung der Mobilkommunikation mit einer deutlichen Veränderung einhergeht. In der Alltagspraxis betrifft dies neue Möglichkeiten, mit der Familie in Kontakt zu bleiben. In Afrika sind insbesondere auf Mobiltelefonie basierende Bezahldienste und Content-Angebote verbreitet (NWANKWO/OGBU 2018: 6-8). Gerade in afrikanischen Gesellschaften nimmt die Omnipräsenz von Medien durch mobile Kommunikation zu.

Ein weiterer quantitativer Trend ist das zunehmende Innovationstempo. Damit ist gemeint, dass sich die zeitliche Abfolge grundlegender Medieninnovationen – zumindest in der Wahrnehmung vieler Mediennutzer:innen – in den letzten Jahrzehnten deutlich verkürzt hat (ROSA 2005: 124-129). Diese Innovationszyklen werden sowohl durch die Imaginationen getrieben, die sich innerhalb von Pioniergemeinschaften entwickeln und zu neuartigen Start-ups führen können, als auch durch die breiten Investitionen von großen Technologieunternehmen und staatlichen Institutionen in die Entwicklung bestimmter Technologien.

Auch hier können wir statistische Daten verwenden, um diesen Trend zu untermauern. Abbildung 4 visualisiert den Anteil der Smartphone-Betriebssysteme weltweit (für jedes Jahr in seinem ersten Quartal) und deren grundlegende Systemupdates. Wenn es um das Innovationstempo geht, ist diese Abbildung in mindestens dreierlei Hinsicht von Interesse: Erstens verdeutlicht sie die wichtige Rolle, die die Entwicklung des Touchscreen-basierten Smartphones spielt. Im Zeitraum zwischen 2009 und 2012 verdrängte der Touchscreen die damals führenden Endgeräte und deren Betriebssysteme BlackBerry und Symbian, was zu einer Marktdominanz von iOS und Android führte.

ABBILDUNG4

Anteile und Updates von Smartphone-Betriebssystemen weltweit

Anmerkungen: Anteile der Smartphone-Betriebssysteme weltweit bis 2017 (in Prozent des Einzelhandelsumsatzes). Die Daten für 2011 wurden auf der Basis von Berichten von Gartner (Q1 für das jeweilige Jahr) berechnet (www.gartner.com).

Zweitens visualisiert die Grafik die Tatsache, dass weder Android noch iOS statisch geblieben sind. Diese Betriebssysteme werden regelmäßig aktualisiert, sodass die Endgeräte alle zwei bis vier Jahre veraltet erscheinen. Die Benutzer:innen müssen sich entweder mit weniger leistungsfähigen und weniger sicheren Endgeräten abfinden oder sie sind gezwungen, auf die nächste Generation von Endgeräten und die dazugehörige Version des Betriebssystems ›upzugraden‹. Drittens sind Smartphone-Betriebssysteme außergewöhnliche Beispiele für Produkte, die sich in einem »ständigen Wandel« (CHENEY-LIPPOLD 2017: 90) befinden: Daten, die Menschen durch ihre Nutzung von Smartphones generieren, werden kontinuierlich zur Weiterentwicklung der verschiedenen Betriebssysteme und Apps verwendet, zur Erweiterung der Funktionalität von Anwendungen (wie bei Karten-Apps oder plattformbasierten Apps) sowie zur Weiterentwicklung der Endgeräte selbst. Gerade der letzte Punkt zeigt, wie die Datenanalytik generell zur Beschleunigung der technologischen Entwicklung beigetragen hat. Damit verbunden ist die mit der automatisierten Datenverarbeitung einhergehende »Vorstellung der Beschleunigung menschlicher Praxis« (BEER 2019: 46) insgesamt, die letztlich zu einem kontinuierlichen Anpassungsdruck auf softwarebasierte Medien führt.

Der fünfte und letzte bedeutende Trend, den wir im Blick haben müssen, ist die Datafizierung. Datafizierung entsteht dadurch, dass immer mehr unserer Medien softwarebasiert sind, wodurch wir als Menschen exponentiell immer größere Mengen an »digitalen Spuren« (KARANASIOS et al. 2013) hinterlassen – Daten, die, wenn sie algorithmisch verarbeitet werden, aggregiert werden können. Solche Daten entstehen insbesondere in den verschiedenen Plattform-Medien.69 Im dominanten öffentlichen Diskurs wird dies vor allem unter dem Begriff Big Data verhandelt, also den Möglichkeiten der automatisierten Verarbeitung großer Datenmengen aus digitalen Spuren.70 Die allgemeine Verbreitung von Vorstellungen, gesellschaftliche Probleme durch große Datenmengen besser lösen zu können, steht dafür, dass die Repräsentation sozialer Phänomene durch quantifizierte Daten eine immer prominentere Rolle im gesellschaftlichen Selbstverständnis und Selbstbild spielt.

Aus der Perspektive der digitalen Infrastruktur bezieht sich Datafizierung in erster Linie auf das Vorhandensein entsprechender Rechenzentren, die die zentrale Sammlung und Verarbeitung von Daten ›in der Cloud‹ ermöglichen. Beispiele hierfür sind die Rechenzentren der großen Akteure des Internets: Alphabet (Google), Amazon, Apple und Facebook. Betrachtet man die Lokalisierung dieser Rechenzentren auf globaler Ebene (siehe Abbildung 5), so fallen zwei Dinge auf: Zum einen hat sich eine breite digitale Infrastruktur für Cloud-Speicher etabliert. Zum anderen sind die westlichen Unternehmen hauptsächlich auf den Globalen Norden ausgerichtet. Selbst wenn man bedenkt, dass andere Unternehmen wie Alibaba in Asien entscheidend sind, wird deutlich, dass das Ausmaß der Datafizierung, wie wir es im Globalen Norden wahrnehmen, in anderen Regionen wie Südamerika oder Afrika weniger dominant sein dürfte. Die Investitionen in diesem Bereich lassen jedoch vermuten, dass sich dieser Trend global weiter ausbreiten wird.

Eine weitere Möglichkeit, den Trend der Datafizierung zu beschreiben, ist die Betrachtung des ›Cloud-Traffics‹ (MOSCO 2014: 15-76). Dieser Begriff bezieht sich auf die Exabytes an Daten, die zu und von Cloud-Servern übertragen werden. Nach den vorliegenden statistischen Daten gab es zwischen 2014 und 2015 einen massiven Anstieg des Cloud-Verkehrs in Nordamerika und Europa, also in einem Zeitraum, in dem cloudbasierte Online-Systeme in großem Umfang zu boomen begannen. Cisco Systems, ein Unternehmen, das Router und Switches herstellt und von der weit verbreiteten Nutzung von Cloud Computing profitiert, hat interessante Statistiken zu diesem Wachstum veröffentlicht.71 Der Cloud-Verkehr in Nordamerika betrug 2015 1.891 Exabyte pro Jahr, im asiatisch-pazifischen Raum 908 Exabyte pro Jahr, in Westeuropa 718 Exabyte pro Jahr, in Mittel- und Osteuropa 124 Exabyte pro Jahr, in Lateinamerika 140 Exabyte pro Jahr und im Nahen Osten und Afrika 69 Exabyte pro Jahr. Das geschätzte Wachstum in ihren Prognosen für 2020 war enorm: Der nordamerikanische Cloud-Verkehr sollte im Jahr 2020 6.844 Exabyte pro Jahr erreichen, im asiatisch-pazifischen Raum 3.469 Exabyte pro Jahr, in Westeuropa 2.528 Exabyte pro Jahr, in Mittel- und Osteuropa 485 Exabyte pro Jahr, in Lateinamerika 448 Exabyte pro Jahr und im Nahen Osten und Afrika 304 Exabyte pro Jahr.

 

ABBILDUNG5

Rechenzentrumsstandorte der großen Technologieunternehmen (2018)

Quelle: Webseiten der Unternehmen (Zugriff August 2018) 72

Wir sollten mit solchen Prognosen vorsichtig sein, da sie Teil eines Prozesses sind, der die Notwendigkeit von Investitionen in diesen Bereich kommunikativ konstruiert. Trotz der Eigeninteressen von Unternehmen, die in solchen Zahlen zum Ausdruck kommen, wird allerdings anhand der Datenspeicherung in der Cloud der Trend der Datafizierung sowohl in seiner gegenwärtigen Ausprägung als auch in den Projektionen seiner Zukunft deutlich: Auf der einen Seite können wir ein bemerkenswertes, aber dennoch geringeres Maß an tatsächlicher Zunahme des Datenverkehrs feststellen; auf der anderen Seite werden insbesondere von den Unternehmen hohe Erwartungen an ein zukünftiges Wachstum geäußert. Datafizierung hat also einen doppelten Charakter – eine Dualität, die wir auch bei den anderen in diesem Abschnitt besprochenen Trends ausmachen können: Der Begriff erfasst nicht nur einen Trend im Sinne von bereits eingetretenen Veränderungen, sondern er fasst auch die Erwartungen an dessen Stabilität und Wachstum. Solche zukünftigen Erwartungen sind ein entscheidender Faktor im öffentlichen Diskurs um alle fünf Trends. Dies erinnert uns daran, dass die tiefgreifende Mediatisierung auch von Vorstellungen einer möglichen Zukunft getragen wird – geboren in den Imaginationen nicht nur von Pioniergemeinschaften und korporativen Akteuren, sondern auch in der Medienberichterstattung, die solche Imaginationen unter den Normalbürger:innen verbreitet.

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