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Der kleine Ritter

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24. Kapitel

Als diese glückliche Nacht, die voll von Anzeichen des Sieges war, endete, brach ein Tag an, der in der Geschichte dieses Krieges entscheidend werden sollte. Im Schlosse erwartete man eine große Kraftanstrengung der Türken. Bei Sonnenaufgang vernahm man auch wieder die Minenarbeit links vom Schlosse so laut und kräftig wie nie bisher. Die Türken bohrten offenbar in großer Eile eine neue Mine, die mächtigste von allen. Große Heeresabteilungen bewachten die Arbeit. Auf allen Verschanzungen wurde es lebendig; aus der Menge der bunten Sandschaks, die von Dluschek her wie ein Blumenfeld sichtbar wurden, sah man den Vezier selbst heranreiten, um den Sturm zu leiten. Auf die Verschanzungen hatten die Türken neue Kanonen aufgepflanzt; außerdem hielten ihre unzähligen Scharen das neue Schloß besetzt, indem sie sich in den Laufgräben und hinter den Trümmern verbargen, um zum Handgemenge bereit zu sein.

Wie schon erzählt, begann das Schloß das Geschützfeuer mit so gutem Erfolge, daß eine augenblickliche Verwirrung auf den Schanzen entstand; aber die Bim-Baschis führten die Janitscharen eiligst zurück, gleichzeitig ertönten die türkischen Kanonen. Kugeln, Granaten, Kartätschen flogen, auf die Häupter der Verteidiger stürzte Schutt, Ziegel, Mörtel. Der Rauch mischte sich mit dem Staub, die Glut des Feuers mit der Glut der Sonne. Der Brust fehlte der Atem, den Augen der freie Ausblick; der Donner der Kanonen, das Krachen der Granaten, das Aufschlagen der Kugeln gegen die Mauersteine, das Lärmen der Türken, das Geschrei der Verteidiger floß in ein entsetzliches Geheul zusammen, welches das Echo der Felsen wiederholte. Das Schloß, die Stadt, alle Tore, alle Basteien wurden mit Geschossen überschüttet. Aber das Schloß verteidigte sich verzweifelt, beantwortete Donner mit Donner, erbebte in seinen Grundfesten, leuchtete auf, rauchte, dröhnte, spie Feuer, Tod und Verderben, als habe ein göttlicher Zorn es erfaßt, als rase es durch die Flammen, als wolle es den türkischen Donner übertönen und in die Erde versinken oder siegen.

Im Schlosse, mitten unter dem Regen der Kugeln, unter Feuer, Staub und Rauch flog der kleine Ritter von Kanone zu Kanone, von Mauer zu Mauer, von Ecke zu Ecke, selbst einer der verzehrenden Flammen ähnlich; er schien sich verdoppelt, verdreifacht zu haben, er war überall, er munterte auf, rief allen zu; wenn ein Kanonier fiel, vertrat er ihn; hatte er hier Mut zugesprochen, eiligst war er wieder an anderer Stelle. Sein Eifer teilte sich den Kämpfenden mit; sie waren überzeugt, es sei dies der letzte Sturm, dem Friede und Ruhm folgen werde. Der Glaube an den Sieg erfüllte die Herzen ganz, sie wurden hart und trotzig, und eine Kampfesraserei hatte die Gemüter ergriffen. Rufe und Herausforderungen flogen herüber und hinüber; vieler hatte sich eine solche Wut bemächtigt, daß sie über die Mauer hinaus stürzten, um die Janitscharen in der Nähe zu fassen.

Diese waren zweimal unter dem Schutze der Rauchwolken in festgefügter Masse an die Bresche herangekommen und zweimal in Unordnung zurückgewichen, den Boden mit Leichen bedeckend. Um die Mittagszeit schickte man ihnen vom allgemeinen Aufgebot und den Dschamaken Hilfe; aber die weniger geschulten Haufen heulten nur, obwohl man sie mit Speeren anstachelte, mit entsetzlichem Gebrüll auf und wollten nicht gegen das Schloß vorgehen. Der Kaimakam kam heran – vergebens, jeden Augenblick drohte eine allgemeine, an Wahnsinn grenzende Auflösung. Endlich zog man die Leute zurück; nur die Kanonen arbeiteten ohne Unterlaß wie früher und sendeten Donner auf Donner, Blitz auf Blitz aus.

So verstrichen lange Stunden; die Sonne sank schon vom Zenith und schaute dem Kampfe strahlenlos, rötlich und rauchig zu, als sei sie mit einem Schleier umgeben. Um drei Uhr nachmittags erreichte der Kanonendonner eine solche Stärke, daß man innerhalb der Mauer nicht hören konnte, wenn man sich laut in die Ohren schrie; die Luft im Schlosse wurde glühend wie im Ofen, das Wasser, das man über die erhitzten Kanonen goß, dampfte brodelnd auf, vermischte sich mit dem Rauch und hüllte die Welt in Schatten. Die Kanonen aber donnerten unaufhörlich fort. Gleich nach drei Uhr wurden die beiden größten türkischen Feldschlangen zertrümmert. Der Mörser, der neben ihnen stand, barst wenige Minuten später; die Kanoniere fielen wie die Fliegen. Mit jedem Augenblick ward es offenbarer, daß das unüberwindliche Schloß den Platz behaupten werde, daß es den Donner der türkischen Geschütze übertönen, daß es das letzte Wort sprechen werde, – das Wort des Sieges.

Das Feuer der Türken wurde allmählich schwächer.

»Es geht zu Ende!« rief Michael mit voller Kraft Ketling ins Ohr; »so denke auch ich,« antwortete Ketling, »morgen oder später?«

»Vielleicht später; – heut' ist der Sieg unser.«

»Und durch uns.«

»An die neue Mine müssen wir denken.«

»Immer kräftiger die Kanonen!« rief Michael und sprang mitten unter die Kanoniere.

»Feuer, Burschen!« schrie er, »bis die letzte türkische Kanone zu spielen aufhört. Gott und der heiligen Jungfrau zu Ehren, der Republik zur Ehre!«

Die Soldaten, welche sahen, daß auch dieser Sturm dem Ende entgegengehe, schrieen unter lautem, freudigem Zurufen und donnerten mit wachsendem Eifer gegen die türkischen Schanzen.

»Wir spielen euch einen Abendtrauermarsch auf, Hundesöhne! Wir spielen euch den Trauermarsch!« schrieen zahlreiche Stimmen.

Plötzlich geschah etwas Seltsames. Alle türkischen Kanonen verstummten auf einmal, wie auf ein gegebenes Zeichen. Auch das Knattern der Janitscharenbüchsen im neuen Schloß verstummte. Das alte Schloß erdröhnte noch eine Zeitlang unter dem Kanonendonner, aber endlich begannen die Offiziere sich umzuschauen und fragten sich gleichzeitig:

»Was ist das? Was ist geschehen?«

Ketling war ein wenig beunruhigt und stellte ebenfalls das Schießen ein. Da sagte einer der Offiziere laut:

»Sie sind mit der Mine unter uns und können sie bald entzünden!«

Wolodyjowski durchbohrte den Sprecher mit einem drohenden Blicke.

»Die Mine ist nicht fertig; im übrigen sprengt sie nur den linken Flügel des Schlosses in die Luft, und auf den Trümmern werden wir uns verteidigen, so lange Atem in unserer Brust ist – versteht Ihr?«

Nun ward es still, kein Schuß unterbrach das Schweigen, weder aus der Stadt noch von den Schanzen. Nach dem Getöse, welches die Mauern und Grund und Boden erschüttert hatte, lag in dieser Stille etwas Feierliches, zugleich aber auch etwas Unheilverkündendes. Aller Augen schauten angestrengt von den Schanzen herab, aber durch die Rauchwolken war nichts zu sehen.

Plötzlich tönten von der linken Seite her die regelmäßigen Schläge der Spitzhacken.

»Habe ich's nicht gesagt, daß sie die Mine erst graben?« bemerkte Herr Michael.

Hier wandte er sich an Luschnia.

»Wachtmeister, nimm zwanzig Mann und wirf einen Blick in das neue Schloß.«

Luschnia führte eilig den Befehl aus; in einem Augenblick verschwand er mit seinen Leuten durch die Bresche.

Wieder entstand ein Schweigen, nur unterbrochen von dem Röcheln oder Schluchzen Sterbender und von dem Widerhall der Spitzhacken.

Man wartete ziemlich lange; endlich kam der Wachtmeister zurück.

»Herr Kommandant,« sagte er, »im neuen Schloß ist keine lebende Seele.«

Michael blickte Ketling erstaunt an.

»Sollten sie von der Belagerung abgelassen haben? Durch den Rauch kann man nichts sehen.«

Plötzlich wurde der Rauch von einem Windstoß zerteilt, und der dichte Wolkenschleier über der Stadt zerriß; in diesem Augenblick schrie eine gellende Stimme von der Bastei herab:

»Auf den Toren stecken weiße Fahnen, wir ergeben uns!«

Als die Soldaten und Offiziere das hörten, wandten sie sich zur Stadt zurück. Ein sprachloses Erstaunen lag in ihren Zügen, die Worte erstarben ihnen auf den Lippen, und sie schauten durch die Rauchsäulen nach der Stadt.

In der Tat, auf dem reußischen und dem lechischen Tore wehten Fahnen; eine weitere sah man noch auf der Bastei Bathory.

Da wurde das Gesicht des kleinen Ritters so weiß wie jene Fahne, die in der Luft flatterte.

»Ketling, siehst du?« flüsterte er und wandte sich um zu dem Freunde. Auch Ketlings Gesicht war bleich geworden.

»Ich seh's,« sagte er.

Sie sahen einander in die Augen und sagten sich mit Blicken, was zwei solche Krieger ohne Furcht und Tadel sich sagen konnten, die nie in ihrem Leben ihr Wort gebrochen und die vor dem Altar geschworen hatten, eher zu sterben, als das Schloß zu übergeben. Jetzt, nach solcher Gegenwehr, nach solchem Kampfe, der an die Tage von Sbarasch erinnerte, nach der glücklichen Abwehr des Sturmes und nach dem Sieg, hieß man sie den Eid brechen, das Schloß übergeben und am Leben bleiben!

Wie noch kurz vorher todbringende Kugeln über das Schloß geflogen waren, so jagten jetzt tödliche Gedanken durch ihre Köpfe; ein unermeßlicher Schmerz preßte ihre Herzen zusammen, der Schmerz um zwei liebende Wesen, der Schmerz um das Leben, um das Glück, und so sahen sie einander an wie Irre, wie Tote, nur bisweilen richteten sie ihre verzweiflungsvollen Blicke nach der Stadt, als wollten sie sich überzeugen, ob ihre Augen sie nicht täuschten, ob wirklich ihre letzte Stunde gekommen sei.

Inzwischen ertönte Pferdegetrappel von der Stadt her, und bald darauf stürzte Horaim, der getreue Knappe des Generals von Podolien, herein.

»Ein Befehl an den Herrn Kommandanten!« rief er, indem er vom Pferde sprang. Michael nahm den Befehl, las ihn schweigend und sprach, während ihn Grabesstille umgab, zu den Offizieren:

»Meine Herren, die Kommissare haben mit einem Boot den Fluß überschritten und sich nach Dluschek begeben, um den Vertrag zu unterzeichnen; in wenigen Minuten werden sie diesen Weg hier zurückkommen … Vor Abend sollen wir das Heer aus dem Schlosse führen und unverzüglich die weiße Fahne hissen …«

 

Niemand sprach ein Wort, nur beschleunigtes Atmen ward vernehmbar.

Endlich meldete sich Kwasibrozki:

»Wir müssen die Fahne aufhissen, ich will die Leute sogleich sammeln.«

Bald ertönten hier und da die Kommandos. Die Soldaten stellten sich in Reih' und Glied, Gewehr auf Schulter, und der Klang der Trommeln und ihr regelmäßiger Schritt hallte in dem schweigsamen Schlosse wider.

Ketling trat ganz nah' an Michael heran.

»Ist es Zeit?« fragte er.

»Warten wir auf die Kommissare, hören wir die Bedingungen … übrigens will ich selbst dort hinuntersteigen.«

»Nein, ich will hinunter; ich kenne die Keller besser, ich weiß, wo alles ist.«

Das Gespräch ward durch die Rufe unterbrochen: »Die Kommissare kommen zurück! Die Kommissare kommen!«

Nach einiger Zeit erschienen die drei unglückseligen Boten auf dem Schlosse; es war der podolische Richter Gruschezki, der Truchseß Rschewuski und der Fahnenträger von Tschernihowski Myslischewski. Sie schritten düster, mit gesenktem Haupte daher. Auf ihren Rücken glänzten die goldgewirkten Kaftane, die sie vom Vezier zum Geschenk erhalten hatten.

Michael erwartete sie, auf die noch warme, rauchende Kanone gestützt, die auf Dluschek gerichtet war. Die drei Begrüßten ihn schweigend; aber er fragte:

»Welches sind die Bedingungen?«

»Die Stadt soll nicht ausgeraubt, den Bewohnern Leben und Gut gesichert werden; ein jeder, der nicht hier bleiben will, soll das Recht haben, fortzugehen, wohin ihm beliebt.«

»Und Kamieniez?«

»… Gehört dem Sultan … für ewige Zeiten.«

Darauf gingen die Kommissare, nicht in der Richtung der Brücke, denn dort hatten Volkshaufen ihnen den Weg versperrt, sondern seitwärts, durch das südliche Tor. Sie gingen hinab und bestiegen ein Boot, das sie zu dem lechischen Tor bringen sollte. In der Niederung, die zwischen den Felsen den Fluß entlang sich erstreckte, erschienen bereits Janitscharen, von der Stadt her strömten immer größere Volkswogen heran und besetzten den Platz gegenüber der alten Brücke. Viele wollten auf das Schloß eilen, aber die herauskommenden Regimenter hielten sie auf Befehl des kleinen Ritters zurück.

Michael hatte das Heer abgefertigt und rief nun Muschalski zu sich.

»Alter Freund, erweise mir einen Dienst; geh' sofort zu meiner Gattin und sage ihr in meinem Namen …« Hier stockte seine Stimme einen Augenblick, »und sage ihr in meinem Namen – Es tut nichts,« fügte er schnell hinzu.

Der Bogenschütze ging, ihm folgte langsam das Heer. Herr Michael saß zu Roß und beobachtete den Ausmarsch. Das Schloß entleerte sich nur stockend, weil Schutt und Trümmer den Weg behinderten.

Ketling trat an den kleinen Ritter heran.

»Ich gehe hinab,« sagte er und biß die Zähne aufeinander.

»Geh', aber warte, bis das Heer aus dem Schlosse ist. Geh'!« Sie schlossen sich in die Arme und hielten sich lange Zeit umschlungen. Die Augen leuchteten beiden in außerordentlichem Glanze … endlich sprang Ketling hinunter.

Michael nahm den Helm vom Haupte; noch einen Augenblick schaute er auf diese Ruinen, auf dieses Feld seines Ruhmes, auf die Trümmer, die Leichen, auf die Mauersplitter, auf den Wall und die Kanonen, dann richtete er die Augen gen Himmel und begann zu beten … Seine letzten Worte waren:

»Gib ihr, Gott, die Kraft, geduldig zu tragen, gib ihr Frieden! …«

Ach! … Ketling hatte sich beeilt; er hatte kaum den Abzug der Regimenter abgewartet, denn in diesem Augenblick schwankten die Bastionen, ein furchtbarer Donner erschütterte die Luft, Zinnen, Türme, Mauern, Pferde, Kanonen, Lebende und Tote, Erdmassen – alles ward von einer Flamme erfaßt, untereinander geworfen und wie eine furchtbare Ladung in die Luft gesprengt.

* * *
So fiel Michael Wolodyjowski, der Hektor von Kamieniez, der erste Krieger der Republik
* * *

In der Stiftskirche zu Stanislawow stand ein hoher Katafalk. Hunderte Kerzen beleuchteten ihn, und in einem bleiernen Sarg, der von einem hölzernen umgeben war, lag Michael Wolodyjowski. Die Deckel waren schon geschlossen, und die Bestattungsfeierlichkeit begann. Es war ein Herzenswunsch der Witwe, daß sein Leib in Chreptiow ruhte, aber da ganz Podolien in den Händen des Feindes war, sollte er vorläufig in Stanislawow bestattet werden, denn hierher waren unter türkischer Begleitung die Kriegsgefangenen von Kamieniez geschickt und in die Hände der Hetmansheere ausgeliefert worden.

Alle Glocken des Stifts ertönten, die Kirche war von Adel und Kriegern angefüllt, alle wollten auf den Sarg des Hektors von Kamieniez und des besten Ritters der Republik noch einen letzten Blick werfen. Man flüsterte einander zu, der Hetman selbst werde zum Begräbnis kommen, da man ihn aber bisher nicht sah, und da jeden Augenblick die Tataren hereinbrechen konnten, hatte man beschlossen, die Feierlichkeit nicht hinzuhalten.

Alte Krieger, die Freunde oder Untergebenen des Verstorbenen, bildeten einen Kreis um den Katafalk; unter ihnen sah man Muschalski, den Bogenschützen, Motowidlo, Snitko, Hromyka, Nienaschyniez, Nowowiejski und viele andere alte Offiziere aus der Grenzwarte. Es war ein merkwürdiger Zufall, daß fast keiner von denen fehlte, die einst an den Abenden in Chreptiow um den Herd herumsaßen: alle hatten ihre Häupter heil aus diesem Kriege heimgebracht, nur er, der ihr Führer und Vorbild gewesen war, der gute und gerechte Ritter, der Schrecken der Feinde, die Freude der Seinigen, nur jener Kämpfer über alle Kämpfer, der Held mit dem Taubenherzen, er lag hier auf hohem Katafalk, lichtumflossen, in unermeßlichem Ruhme, aber im Schweigen des Todes. Die im Kriege verhärteten Herzen zerflossen in Schmerz bei diesem Anblick, gelber Schimmer der Kerzen beleuchtete die furchtbar verhärmten Gesichter der Krieger und spiegelte sich in blitzenden Funken in den Tränen, die ihren Augen entströmten. Mitten im Kreise dieser Krieger lag auf dem Fußboden Bärbchen, neben ihr, alt, schwächlich, gebrochen, zitternd – Sagloba. Sie war zu Fuß von Kamieniez hergekommen, dem Wagen folgend, der den teuren Toten trug, und nun war der Augenblick gekommen, da man den Sarg der Erde übergeben sollte. Den ganzen Weg war sie wie abwesend, als gehöre sie nicht zu dieser Welt, einhergegangen und hatte jetzt bei diesem Katafalk bewußtlos die Worte hergesagt: »Es tut nichts – es tut nichts,« denn so hatte er, der Geliebte, befohlen, dies waren die letzten Worte, die er ihr melden ließ. Aber diese Worte, die sie beständig wiederholte, waren nur Töne ohne Inhalt, ohne Wahrheit, ohne Bedeutung, ohne Hoffnung. »Es tut nichts,« sagte sie, aber es tat weh. Was sie empfand, war Schmerz, Finsternis, Verzweiflung, Starrheit, unsagbares Elend, ein Leben, das getötet und gebrochen war, ein unklares Bewußtsein, daß es für sie kein Erbarmen, keine Hoffnung mehr gäbe, nichts als Leere, ewige Leere, die nur Gott ausfüllen konnte, wenn er ihr den Tod sandte.

Die Glocken tönten, am Hochaltar war die Messe beendet. Die Stimme des Priesters schallte laut, als rufe er aus dem Abgrund: »Requiescat in pace!« Ein Fieberschauer schüttelte Bärbchen, und in ihrem wirren Kopfe lebte nur ein Gedanke: Jetzt … jetzt tragen sie ihn fort! – Aber das Ende der Feierlichkeit war noch nicht gekommen. Die Ritterschaft hatte zahlreiche Reden vorbereitet, die gehalten werden sollten, wenn der Sarg ins Grab gesenkt würde. Jetzt bestieg Priester Kaminski die Kanzel, derselbe, der in Chreptiow bei ihnen gewesen war, und der während Bärbchens Krankheit sie auf den Tod vorbereitet hatte.

Die anwesende Menge räusperte sich und hustete, wie dies gewöhnlich vor der Predigt geschieht; dann verstummte sie, und aller Augen richteten sich auf die Kanzel.

Da ertönte von der Kanzel Trommelwirbel.

Die Zuhörer waren erstaunt. Der Priester Kaminski schlug die Trommel wie zum Sturme. Plötzlich brach er ab, und es entstand Totenstille. Wieder ein Wirbel … ein dritter; plötzlich warf Kaminski die Schlegel auf den Boden der Kirche, erhob beide Hände zum Himmel und rief:

»Herr Oberst Wolodyjowski!«

Ein krampfhafter Schrei Bärbchens antwortete ihm, es ward entsetzlich drückend in der Kirche; Sagloba richtete sich auf und trug, von Muschalski unterstützt, das ohnmächtige Weib aus der Kirche.

Der Priester aber rief von neuem:

»Um des Himmels willen, Herr Wolodyjowski, der Sturm bricht los … in den Krieg! … der Feind ist im Lande, – und du greifst nicht zu den Waffen, du fassest nicht das Schwert, du steigst nicht zu Roß … was ist dir geschehen, Krieger? Hast du der alten Tugend vergessen, daß du uns allein in Harm und Angst zurücklässest?«

Die Brust der Ritter bebte, und ein allgemeines Weinen erfüllte die Kirche und wurde immer wieder vernehmbar, als der Priester die Tugenden, die Vaterlandsliebe und den hohen Mut des Verstorbenen pries, und auch den Priester selbst rissen die eigenen Worte fort. Sein Gesicht war bleich, seine Stirn von Schweiß bedeckt, seine Stimme bebte. Ihn riß der Schmerz um den kleinen Ritter hin, der Schmerz um Kamieniez, der Schmerz um die Republik, die in die Hände der Bekenner des Halbmondes ausgeliefert war, und er schloß seine Rede mit dem Gebet:

»O Herr, die Kirchen werden sie in Moscheen verwandeln und den Koran absingen, wo bisher das Evangelium gepredigt wurde. Du hast uns in Leid versenkt, Herr, du hast dein Antlitz von uns gewandt und hast uns in die Hand des niedrigen Türken gegeben. Unerforschlich, Herr, sind deine Wege! Aber wer wird ihm jetzt Widerstand leisten, welches Heer wird ihn bekämpfen an den Grenzen? Du, dem nichts in der Welt verborgen ist, du weißt am besten, daß unsere Reiterei unübertroffen ist. Und solcher Verteidiger begibst du dich, in deren Schutz und Schirm die ganze Christenheit deinen Namen rühmen konnte! Allgütiger Vater, verlaß uns nicht, erweise uns dein Erbarmen, schicke uns den Verteidiger herab, schicke den Überwinder Mahomeds herab! O, lasse ihn hierherkommen, laß ihn unter uns treten, daß er die gesunkenen Herzen erhebe! Sende ihn herab, o Herr!«

In diesem Augenblick entstand eine Bewegung an der Pforte, und in die Kirche trat der Hetman Sobieski. Aller Augen richteten sich auf ihn, und ein Schauer schüttelte die Menschen; er schritt mit klirrenden Sporen auf den Katafalk zu, majestätisch und gewaltig, mit den Zügen eines Cäsar. Eine Schar gepanzerter Ritter folgte ihm.

»Salvator!« rief ihm der Priester mit prophetischer Begeisterung zu.

Sobieski kniete an dem Katafalk nieder und betete für Wolodyjowskis Seele.