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Der kleine Ritter

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3. Kapitel

Ketling und Wolodyjowski versprachen einander, sobald es dazu kommen sollte, wieder Steigbügel an Steigbügel zu reiten, an einem Feuer zu lagern, und auf einer Reiterdecke zu schlafen. Und doch trennte sie der Zufall schon eine Woche nach dem ersten Wiedersehen. Aus Kurland kam ein Bote mit der Meldung, daß jener Haßling, der den jungen Schotten adoptiert und ihn mit Vermögen beschenkt hatte, plötzlich erkrankt sei und den angenommenen Sohn baldigst zu sehen begehre. Der junge Ritter besann sich nicht lange; er stieg zu Pferde und ritt davon.

Vor der Abreise bat er Sagloba und Wolodyjowski, sie möchten sein Haus als das ihrige betrachten und so lange darin wohnen, als es ihnen angenehm wäre.

»Vielleicht kommen die Skrzetuskis,« sagte er. »Wenn die Wahl beginnt, so kommt er wenigstens mit Sicherheit; aber wenn sie auch mit Kind und Kegel kämen, es fände sich für die ganze Familie Raum. Ich habe keinen Verwandten, und wenn ich auch Geschwister hätte, sie ständen mir nicht näher als ihr.«

Sagloba besonders war erfreut über diese Einladung, denn er fühlte sich in Ketlings Hause sehr behaglich; aber auch Michael kam sie zurecht.

Die Skrzetuskis kamen zwar nicht, statt dessen aber kündigte eine Schwester Wolodyjowskis ihre Ankunft an, die Gattin des Herrn Truchseß Makowiezki. Ihr Abgesandter war an den Hof des Hetman gekommen, um Nachfrage zu halten, ob jemand von den Hofleuten etwas von dem kleinen Ritter wisse; natürlich wies man ihn sogleich an das Ketlingsche Haus.

Wolodyjowski freute sich sehr, denn es waren lange Jahre darüber hingegangen, daß er die Frau Truchseß nicht gesehen, und da er erfuhr, daß sie bei dem Mangel einer besseren Herberge in einem elenden Häuschen auf der Fischerei abgestiegen war, eilte er bald hin, um sie in das Haus Ketlings zu laden.

Es war schon Dämmerung, als er bei ihr eintrat, aber er kannte sie sogleich, obgleich zwei andere Frauen sich mit ihr im Zimmer befanden, denn die Frau Truchseß war von kleinem Wuchse und rund wie ein Knäuel Wolle. Sie erkannte ihn ebenfalls. Sie sanken sich in die Arme und konnten lange keine Worte finden; er fühlte ihre warmen Tränen auf seinem Antlitz und sie die seinigen. Während der ganzen Zeit standen die anderen beiden Frauen kerzengerade da und sahen der Begrüßung zu.

Zuerst gewann Frau Makowiezka3 die Sprache wieder und begann mit dünner, ein wenig piepsender Stimme:

»Wie viele Jahre, wie viele Jahre! Gott helfe dir, mein teurer Bruder! Sobald die Nachricht von deinem Unglück kam, machte ich mich sofort auf den Weg zu dir, und mein Mann hielt mich nicht zurück, denn von Budschiak4 droht ein Gewitter … Man spricht auch von den Tataren von Bialogrod. Und sicher werden die Wege wieder von Heerscharen wimmeln, denn man sieht ungeheure Herden von Vögeln in der Luft, und das pflegt vor jedem Einfall zu sein. Gott tröste dich, geliebter, teurer, goldener Bruder! Mein Mann soll zur Wahl hierher kommen, er hat mir gesagt: »Nimm die Mädchen und fahre voraus. Michael,« sagt er, »wirst du in seiner Trauer trösten; vor den Tataren,« sagt er, »müßten wir auch so die Häupter irgendwo schützen, denn das ganze Land wird in Flammen stehen, und so fügt sich eins zum anderen. Eile nach Warschau,« sagt er, »nimm eine gute Herberge, solange es noch Zeit ist, damit wir ein vernünftiges Unterkommen haben. Er ist mit den Leuten aus dem Kreise auf Kundschaft ausgezogen. Mannschaften sind nicht im Lande, bei uns ist das immer so.« Mein geliebter Michael, komm ans Fenster, damit ich dir ins Gesicht sehen kann. Die Wangen sind eingefallen; aber im Leid kann es nicht anders sein. Mein Mann hatte leicht sagen: Suche dir eine Herberge. Hier gibt es nirgend etwas, wir sind ganz allein hier in dieser Hütte, ich habe kaum drei Bund Stroh zum Schlafen bekommen.«

»Ich bitte dich, Schwester …« sagte der kleine Ritter.

Aber die Schwester ließ ihn nicht zu Worte kommen und sprach weiter wie ein klapperndes Mühlrad.

»Hier haben wir Wohnung genommen, wo anders bekamen wir keine. Den Wirten ist nicht recht zu trauen, vielleicht sind es auch schlechte Menschen. Zwar haben wir vier Knechte mit uns, gute Burschen, und auch wir sind nicht furchtsam, denn in unseren Gegenden muß auch die Frau ein ritterliches Herz haben, sonst könnte sie dort nicht wohnen. Ich habe auch eine Degenkoppel, die ich immer mit mir führe, und Bärbchen hat zwei Terzerole. Nur Christine hat die Waffen nicht gern … aber da wir hier in einer fremden Stadt sind, möchten wir lieber in einer sicheren Herberge wohnen.«

»Ich bitte dich, Schwester,« wiederholte Wolodyjowski.

»Und wo wohnst du, Michael? Du mußt mir eine Wohnung suchen helfen, denn du bist in Warschau bekannt.«

»Ich habe ein Unterkommen für Euch bereit,« unterbrach sie Michael, »und ein so vortreffliches, daß der Hof eines Senators sich dessen nicht zu schämen brauchte. Ich wohne bei meinem Freunde, dem Kapitän Ketling, und ich werde dich sofort mitnehmen.«

»Aber bedenke doch, daß wir unser drei sind und zwei Diener und vier Knechte! – Aber bei Gott, ich habe dich noch gar nicht bekannt gemacht mit meinen Gesellschafterinnen!«

Nun wandte sie sich an die Genossinnen:

»Ihr wißt, wer er ist, aber er weiß nicht, wer ihr seid. Machet wenigstens in der Dunkelheit die Bekanntschaft. Noch nicht einmal den Ofen hat man geheizt … Fräulein Christine Drohojowska und Fräulein Barbara Jesiorkowska. Mein Mann ist ihr Vormund und verwaltet ihren Besitz, und sie wohnen bei uns, denn sie sind Waisen. So junge Mädchen aber können nicht allein wohnen.«

Während die Frau Truchseß sprach, verneigte sich Wolodyjowski auf Soldatenart; die jungen Damen faßten mit den Fingern ihr Kleid, machten beide einen Knix, wobei Fräulein Jesiorkowska den Kopf zurückwarf wie ein junges Füllen.

»Laßt uns einsteigen und fahren!« sagte er. – »Mit mir wohnt Herr Sagloba, und ich habe ihn gebeten, das Abendessen anrichten zu lassen.«

»Der berühmte Herr Sagloba?« fragte plötzlich Fräulein Jesiorkowska.

»Sei ruhig, Bärbchen,« sagte Frau Truchseß; »ich fürchte nur, es wird Umstände geben.«

»Wenn Herr Sagloba sich um das Abendbrot kümmert,« versetzte der kleine Ritter, »so reicht es aus, und wenn wir auch zweimal so viele kämen. Laßt die Kisten heraustragen; ich habe auch einen kleinen Wagen für die Sachen, und Ketlings Wagen ist so geräumig, daß wir zu vieren bequem Platz finden. Wißt ihr, was mir einfällt? Wenn die Burschen keine Trunkenbolde sind, so könnten sie mit den Pferden und mit den großen Sachen bis morgen hierbleiben, und wir nehmen nur das Notwendigste mit.«

»Es ist gar nicht nötig, daß sie hierbleiben,« antwortete die Frau Truchseß; »die Wagen sind noch nicht abgeladen, sie brauchen nur die Pferde vorzuspannen und können sofort weiterfahren. Bärbchen, geh doch und sieh nach ihnen!«

Fräulein Jesiorkowska sprang in den Flur, und wenige Minuten später kam sie mit der Mitteilung, daß alles bereit sei.

»Es ist auch Zeit,« sagte Wolodyjowski. Bald saßen sie im Wagen und fuhren nach Mokotow; die Frau Truchseß und Fräulein Drohojowska nahmen den Hintersitz ein, vorne hatte der kleine Ritter neben Fräulein Jesiorkowska Platz genommen. Es war schon finster; er konnte also ihre Gesichter nicht sehen.

»Die Damen kennen Warschau?« fragte er, sich zu Fräulein Drohojowska vorneigend und die Stimme erhebend, um den Lärm des Wagens zu übertönen.

»Nein,« sagte sie mit einer tiefen aber wohlklingenden Stimme. »Wir sind wahre Kleinstädter und kennen bisher weder berühmte Städte noch berühmte Menschen.« Dabei neigte sie ihr Köpfchen ein wenig, als wollte sie damit anzeigen, daß sie zu diesen letzteren auch Herrn Wolodyjowski zähle. Er aber nahm die Antwort dankbar entgegen. »Ein artiges Mädchen!« dachte er und zerbrach sich bald den Kopf, mit welchem Kompliment er erwidern könne.

»Wäre diese Stadt noch zehnmal so groß als sie ist,« sagte er endlich, »so könnten doch die Damen immer noch ihren schönsten Schmuck bilden.«

»Und woher wißt Ihr das im Finstern?« fragte plötzlich Fräulein Jesiorkowska.

»Ei, das ist eine Ziege!« dachte Wolodyjowski.

Aber er erwiderte nichts, und sie fuhren eine Zeitlang schweigend dahin. Dann wandte sich Fräulein Jesiorkowska wieder an den kleinen Ritter:

»Wißt Ihr nicht, ob dort in den Ställen Raum genug ist? Denn wir haben zehn Pferde und zwei Füllen.«

»Und wenn es auch dreißig wären, Raum wird sich schon finden.«

Das Fräulein aber machte ungläubig: »Fi! Fi!«

»Bärbchen!« sagte Frau Truchseß im verweisenden Tone.

»Ja, ja, Bärbchen, und wer hat sonst den ganzen Tag für die Pferde gesorgt?«

So miteinander plaudernd waren sie vor Ketlings Hause angekommen.

Alle Fenster waren schon hell erleuchtet zum Empfang der Frau Truchseß. Die Dienerschaft eilte heraus, Sagloba an der Spitze; er sprang an den Wagen heran, und da er die Frauen erblickte, sagte er bald:

»In welcher der Damen habe ich die Ehre, meine besondere Wohltäterin zu erblicken, die Schwester meines besten Freundes Michael?«

»Das bin ich,« antwortete die Frau Truchseß.

Da ergriff Sagloba ihre Hand und begann sie eilig zu küssen, indem er immer wiederholte:

 

»Meine Reverenz, meine Reverenz!«

Dann half er ihr aus dem Wagen steigen und führte sie mit großer Liebenswürdigkeit und mit Kratzfüßen in den Flur.

»Es sei mir verstattet, noch einmal jenseits der Schwelle den Willkommengruß zu bieten,« sagte er unterwegs.

Inzwischen half Michael den jungen Mädchen aussteigen. Da der Wagen aber hoch war, und der Tritt im Finstern schwer zu finden, so umfaßte er Fräulein Drohojowska, hob sie in die Höhe und ließ sie vor sich auf die Erde nieder. Sie aber lehnte, ohne sich zu stützen, einen Augenblick mit ihrer Brust an der seinigen und sagte:

»Ich danke Euch, Herr.«

Wolodyjowski wandte sich jetzt zu Fräulein Jesiorkowska; sie war aber schon auf der anderen Seite des Wagens herabgesprungen. Er bot also seinen Arm Fräulein Drohojowska. Im Zimmer erfolgte die Bekanntschaft mit Herrn Sagloba, der beim Anblick der beiden jungen Mädchen in vortreffliche Laune kam und gleich zum Abendbrot bat. Schon dampften die Schüsseln auf dem Tische, und wie Michael vorausgesehen hatte, war alles in so reichem Maße vorhanden, daß es auch für zweimal soviel Personen ausgereicht haben würde.

Sie setzten sich also. Die Frau Truchseß nahm den obersten Platz ein, neben ihr zur Rechten Sagloba und neben diesem Fräulein Jesiorkowska. Wolodyjowski setzte sich zur Linken neben Fräulein Drohojowska.

Hier erst konnte der kleine Ritter die Mädchen näher betrachten. Beide waren hübsch, jede in ihrer Weise. Fräulein Drohojowska hatte rabenschwarzes Haar, ebensolche Augenbrauen, große, blaue Augen, eine weiche, blasse, so zarte Gesichtsfarbe, daß man an den Schläfen die blauen Äderchen durchsah. Ein kaum bemerkbarer dunkler Flaum bedeckte die Oberlippe und ließ die lieblichen, reizvollen Lippen hervortreten, die wie zum Kuß gestaltet waren. Sie war in Trauer, denn sie hatte vor kurzem den Vater verloren, und die Farbe ihrer Tracht gab ihr bei der Zartheit ihres Gesichts und den schwarzen Haaren einen gewissen Schein des Leids, der Trauer und der Strenge. Beim ersten Anblick erschien sie älter als ihre Genossin, und erst, da er sie genauer betrachtete, bemerkte Michael, daß das Blut der ersten Jugend unter dieser durchsichtigen Haut rann. Je näher er sie betrachtete, desto mehr bewunderte er die Vornehmheit ihrer Erscheinung, den Schwanenhals, den schlanken Gliederbau voll jungfräulichen Reizes.

»Das ist eine vornehme Dame,« dachte er, »die eine herrliche Seele haben muß; die andere dafür ist ein wahrer Bursche!«

Der Vergleich war treffend.

Fräulein Jesiorkowska war um viele Jahre älter als Fräulein Drohojowska; sie war überhaupt zierlich, wenn auch nicht hager, rot wie eine Rosenknospe, mit blondem Haar; ihr Haar war offenbar nach einer Krankheit abgeschnitten und unter einem goldenen Netz verborgen. Aber diese Haare saßen auf einem unruhigen Köpfchen und wollten sich auch nicht ruhig verhalten; immer sahen sie mit den Enden durch alle Maschen des Netzes heraus und bildeten über der Stirn einen ungeordneten hellen Schopf, der bis auf die Brauen herunterfiel, was bei den feurigen, unruhigen Augen und der herausfordernden Miene dieses rosigen Gesichtchens an das Aussehen eines Schulknaben erinnerte, der nur darauf lauert, ungestraft einen Streich zu vollführen. Sie war so hübsch und frisch, daß man kaum die Blicke von ihr wenden konnte. Sie hatte ein feines Stumpfnäschen mit beweglichen, beständig tätigen Nasenflügeln, Grübchen in den Wangen und ein Grübchen am Kinn – Anzeichen eines heiteren Wesens. Aber jetzt saß sie ernst da und ließ sich's wohl schmecken, während ihre Augen umherschweiften, bald um Herrn Sagloba, bald um Herrn Wolodyjowski zu betrachten, die sie mit fast kindlicher Neugier wie Wunderdinge ansah.

Wolodyjowski schwieg, denn obgleich er empfand, daß er die Pflicht habe, Fräulein Drohojowska zu unterhalten, wußte er doch nicht, womit er anfangen solle. Der kleine Ritter war überhaupt nicht geschickt im Umgang mit Frauen, und jetzt war ihm die Seele um so trauriger, als die Mädchen ihm lebhaft die geliebte Verstorbene ins Gedächtnis zurückriefen.

Sagloba indes unterhielt die Frau Truchseß, indem er ihr von seinen und von Michaels Taten erzählte. Mitten im Abendbrot kam er auf die Erzählung, wie er einst mit der jungen Fürstin Kurzewitsch und mit Rzendzian zu vieren vor einer ganzen Tatarenschar floh, und wie er endlich, um die Fürstin zu retten und die Verfolgung abzuhalten, sich zu zweit auf die Schar gestürzt habe.

Fräulein Jesiorkowska vergaß das Essen ganz; sie stützte ihr Kinn auf die Hand und horchte auf, indem ihr Stirnhaar sich bewegte, ihre Augen blinzelten und ihre Finger bei den interessantesten Stellen schnalzten.

»Aha, aha,« wiederholte sie, »und dann, und dann?«

Bis er zu der Stelle kam, wo Kuschels Dragoner plötzlich zu Hilfe geeilt kamen, den Tataren im Nacken saßen und sie eine halbe Meile weit niederschlugen – da konnte es Fräulein Jesiorkowska nicht länger aushalten. Sie schlug aus voller Kraft die Hände zusammen und rief:

»Da wäre ich für mein Leben gern dabei gewesen!«

»Baschka!«5 rief die wohlbeleibte Frau Makowiezka mit ausgeprägtem russischen Accent, »du bist ja hier unter feinen Leuten, du mußt dir solche Worte abgewöhnen: für mein Leben. Es hätte nur noch gefehlt, daß du gesagt hättest: daß mich eine Kugel treffe!«

Das Mädchen lachte mit einem frischen, silberhellen Lachen und schlug sich plötzlich auf die Knie.

»Ei, daß mich eine Kugel treffe, Tantchen!«

»Du lieber Gott, die Ohren tun mir weh! Bitte die ganze Gesellschaft um Verzeihung!« rief die Frau Truchseß.

Da sprang Baschka, da sie ihre Abbitte bei der Frau Truchseß beginnen wollte, von ihrem Platze auf, warf aber zugleich Messer und Löffel unter den Tisch und verschwand sogleich hinterher, um sie aufzuheben.

Die rundliche Frau Truchseß konnte ihr Lachen nicht mehr zurückhalten, und sie hatte ein seltsames Lachen. Denn erst begann sie sich zu schütteln und lebhaft hin und her zu wiegen, und dann piepste sie mit dünner Stimme. Alle wurden heiter, Sagloba war entzückt.

»Seht, meine Herren, was ich mit diesem Mädchen durchmache,« wiederholte die Frau Truchseß und schüttelte sich.

»Ein wahres Entzücken, so wahr ich lebe!« sagte Sagloba.

Inzwischen war Baschka unter dem Tisch hervorgekrochen; Löffel und Messer hatte sie gefunden, aber sie hatte das Netz vom Kopfe verloren, das Haar fiel ihr über die Augen.

Sie richtete sich gerade auf, bewegte die Nasenflügel und sagte:

»Aha, die Herrschaften lachen über meine Verwirrung?«

»Niemand lacht,« sagte Sagloba im Tone der Überzeugung, »niemand lacht! Wir freuen uns nur, daß uns Gott in Eurer Person Freude gesandt hat.«

Nach dem Abendbrot gingen sie in das Wohnzimmer. Als Fräulein Drohojowska dort die Laute an der Wand bemerkte, nahm sie sie herab und fing an zu klimpern. Wolodyjowski bat sie, zur Laute zu singen. Sie antwortete mit Einfachheit und Liebenswürdigkeit:

»Sehr gern, wenn ich vermag, die Sorge aus Eurer Seele zu verscheuchen.«

»Ich danke,« antwortete der kleine Ritter und erhob seine Augen dankbar zu ihr.

Kurz darauf ertönte der Gesang:

 
»O glaubet, Ihr Ritter,
Wohl gehet in Splitter
Auch Panzer und Stahl,
Durch Eisen und Schilde
Trifft Amor der Wilde
Ins Herz – ohne Wahl!«
 

»Ich weiß wirklich nicht, wie ich Euch danken soll,« sagte Sagloba, der in der Nähe der Frau Truchseß saß und beständig ihre Hände küßte, »weil Ihr selbst gekommen seid, und weil Ihr so artige Mädchen mitgebracht habt, daß die Grazien selber ihre Zofen sein könnten. Ganz besonders ist mir der kleine Heiduck ans Herz gewachsen, denn die Schelmin versteht so vortrefflich, trübe Gedanken zu verjagen, wie der Fuchs das Wiesel. Denn was sind trübe Gedanken anders als Mäuse, welche die Körner der Fröhlichkeit zernagen, die in unserem Herzen aufgehen sollten? Ihr müßt nämlich wissen, verehrte Frau, daß unser alter König Johann Kasimir meine comparationes so gerne hatte, daß er nicht einen Tag ohne dieselben sein konnte. Ich mußte auch Parabeln und weise Maximen für ihn ersinnen, die er sich immer vor Nacht wiederholen ließ, und nach welchen er seine Politik richtete. Aber das ist eine andere Materie. Ich habe das Vertrauen, daß auch unser Michael bei solchem Ergötzen sein unglückseliges Mädchen ganz und gar vergißt; Ihr wißt nicht, verehrte Frau, daß ich ihn erst vor einer Woche von den Kamaldulensern herausgeholt habe, wo er schon das Gelübde leisten wollte. Aber ich habe mir die Erlaubnis des Nuntius selber ausgewirkt, der dem Prior ansagte, daß er das ganze Kloster zu den Dragonern stecken würde, wenn sie den Michael nicht sofort herausgäben. Er gehörte nicht dorthin … Gott sei Dank, Gott sei Dank, ich kenne ihn! Wenn nicht heute, so wird morgen eine von diesen beiden solche Funken aus ihm schlagen, daß davon das Herz wie ein Schwämmchen sich entzündet.« Inzwischen sang Fräulein Drohojowska weiter:

 
»Und muß vor den Streichen
Des Lockeren weichen
Der tapfere Mann —
Die hilflosen Frauen
Erfüllet mit Grauen
Der kleine Tyrann.«
 

»Die Frauen fürchten diese Wunden so wie der Hund den Speck,« flüsterte Sagloba der Frau Truchseß zu; »aber gesteht, daß Ihr diese beiden Vögelchen nicht ohne verborgene Absichten mit hierhergebracht habt. Prächtige Mädchen, besonders der kleine Heiduck! Bei meinem Leben, Michael hat ein schlaues Schwesterchen, was?«

Frau Makowiezka machte wirklich ein sehr schlaues Gesicht, das übrigens gar nicht zu ihrem einfältigen, redlichen Aussehen paßte, und sagte:

»Man hat so über dies und jenes nachgedacht, wie es uns Frauen ja gewöhnlich nicht an Schlauheit fehlt. Mein Mann soll hier zur Wahl herkommen, und ich habe die Mädchen vorher mitgenommen, weil die Tataren jeden Augenblick kommen können. Sollte aber daraus etwas Glückliches für Michael entstehen, so gelobe ich eine Wallfahrt zu Fuß zu einem Wunderbilde.«

»Es wird geschehen,« sagte Sagloba.

»Beide Mädchen sind aus großem Hause, beide vermögend, und das bedeutet etwas bei den heutigen schweren Zeiten …«

»Mir brauchte man so etwas nicht zweimal zu sagen. Michaels Vermögen hat der Krieg verzehrt, obwohl ich weiß, daß er ein paar Groschen bei großen Herren stehen hat. Wir haben manchmal ausgezeichnete Beute gemacht, und obgleich das dem Hetman abgeliefert wurde, so wurde doch manches davon geteilt, wie man bei uns Soldaten sagt, frisch vom Säbel weg. Auf Michaels Teil kam manchmal so viel, daß, wenn er alles hätte aufbewahren wollen, er heute ein schönes Vermögen hätte. Aber der Soldat denkt nicht an das Morgen und genießt das Heut', und Michael hätte alles durchgebracht, wenn ich ihn nicht immer zurückgehalten hätte. Ihr sagt also, gnädige Frau, daß die Mädchen von hohem Stande seien?«

»In der Drohojowska fließt Senatorenblut. Zwar unsere Grenzkastellane sind nicht gerade Krakauer, und es gibt manchen, von dem man in der Republik nicht spricht; aber wer doch einmal auf dem Senatorenstuhl gesessen hat, der vererbt auch seinen Glanz seinen Nachkommen. Was aber die Ahnen betrifft, so steht die Jesiorkowska fast noch höher als die Drohojowska …«

»Ich bitte, bitte, ich selbst leite meinen Stammbaum von einem Könige der Massageten her, und darum höre ich gern von Stammbäumen.«

»Aus einem so hohen Neste ist nun die Jesiorkowska nicht, aber wenn Ihr hören wollt … denn wir hier von unseren Gegenden können jedermanns Haus an den Fingern herzählen … Nun, sie ist eine Verwandte der Potozkis, der Jaslowizkis und der Laschtschs. Seht, das war so …«

Hier richtete die Frau Truchseß die Falten ihres Kleides und setzte sich bequemer, um in der beliebten Erzählung sich nicht unterbrechen zu müssen; dann breitete sie die Finger der einen Hand aus, bereitete den Zeigefinger der anderen zur Aufzählung der Urväter und Urmütter vor und begann:

»Die Tochter des Herrn Jakob Potozki, Elisabeth, von seiner zweiten Frau Jaslowizka, heiratete Herrn Johann Smiotanko, den Bannerträger von Podolien …«

»Ich hab's mir gemerkt,« sagte Sagloba.

»Aus dieser Ehe wurde Herr Nikolaus Smiotanko geboren, gleichfalls Bannerträger von Podolien.«

»Hm, schönes Amt.«

»Dieser war verheiratet in erster Ehe mit Dorohosto … nein, mit einer Roschynska … nein, mit einer Woronitsch … ei daß doch, ich hab's vergessen!«

 

»Gott hab' sie selig, wie sie auch geheißen hat,« sagte Sagloba ernst.

»In zweiter Ehe heiratete er eine Laschtsch.«

»Welches waren die Konsequenzen dieser Ehe?«

»Die Söhne starben ihnen.«

»Jede Freude dieser Welt ist zweifelhaft.«

»Und von den vier Töchtern hat die jüngste, Anna, einen Jesiorkowski geheiratet, der zuletzt, wenn ich nicht irre, Schwertträger von Podolien war.«

»Ja, das war er, ich erinnere mich,« sagte Sagloba mit voller Sicherheit.

»Aus dieser Ehe, seht Ihr, stammt Baschka.«

»Ich erkenne das auch daraus, daß sie in diesem Augenblick mit Ketlings Mörser zielt.«

Fräulein Drohojowska und der kleine Ritter waren im tiefen Gespräch, und Fräulein Baschka zielte wirklich zum Vergnügen mit dem Mörser in der Richtung des Fensters.

Frau Makowiezka begann bei diesem Anblick zu zittern und zu kreischen.

»Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich mit diesem Mädchen leide; der reine Heidemak!«

»Wenn doch alle Heidemaken so wären – ich ginge bald zu ihnen.«

»Sie hat nichts im Kopf als Waffen, Pferde, Krieg. Einmal lief sie aus dem Hause zur Jagd auf Enten mit der Flinte. Sie kommt mitten in das Röhricht und sieht, das Röhricht bewegt sich auseinander, und der Kopf eines Tataren taucht auf, der sich durch das Röhricht in das Dorf schleichen wollte. Eine andere wäre erschrocken, aber das Ding, – wie es Euch losschießt, und der Tatar, patsch! ins Wasser auf der Stelle. Denkt Euch, sie hat ihn hingestreckt! Und womit? Mit Entenschrot!«

Hier begann Frau Makowiezka wieder sich zu schütteln und zu lachen über das Abenteuer mit dem Tataren; dann fügte sie hinzu:

»Aber was wahr ist: sie hat uns alle gerettet, denn es war eine ganze Schar im Anzuge. Da sie aber zurückkam und Alarm schlug, hatten wir Zeit, mit dem ganzen Gesinde in den Wald zu flüchten. Bei uns geht's immer so.«

Saglobas Gesicht glänzte in solchem Entzücken, daß er sogar einen Augenblick das Auge schloß; dann sprang er auf, eilte zu dem Mädchen hin und küßte es, ehe es sich's versah, auf die Stirn.

»Das von einem alten Soldaten für den Tataren im Röhricht!« sagte er.

Das Mädchen warf kühn seinen blonden Kopf zurück.

»Was? Ich habe es ihm eingetränkt!« rief es mit seiner frischen Kinderstimme, die so seltsam klang bei dem Inhalt ihrer Worte.

»Du mein lieber, kleiner Heidemak!« sagte Sagloba gefühlvoll.

»Aber was bedeutet so ein Tatar! Ihr Herren habt ihrer tausend niedergehauen, und Schweden und Deutsche und die Ungarn Rakoczys! Was bedeute ich neben euch, neben solchen Rittern, die ihresgleichen in der ganzen Republik nicht haben. Ich weiß wohl, oho!«

»Wir lehren Euch den Degen führen, wenn Ihr solchen Mut habt. Ich bin schon ein wenig schwerfällig; aber Michael, er ist auch ein Meister.«

Das Mädchen sprang bei diesem Vorschlag in die Höhe, dann küßte es Sagloba auf den Arm, knickste dem kleinen Ritter zu und sagte: »Ich danke für das Versprechen! – ein wenig kann ich's schon.«

Wolodyjowski aber war im tiefen Gespräch mit Christine Drohojowska; er antwortete daher zerstreut:

»Wie Ihr befehlt, mein Fräulein.«

Sagloba setzte sich wieder mit strahlendem Gesicht zur Frau Truchseß.

»Meine liebe gnädige Frau,« sagte er, »ich weiß sehr wohl, wie süß türkische Früchte sind, denn ich habe lange Jahre in Stambul gehaust; aber auch das weiß ich, daß es viele gibt, die ihrer begehren. Wie kommt es, daß noch niemand dieses Mädchen begehrt hat?«

»Du lieber Gott, es gibt die Menge, die beiden den Hof machten. Baschka nennen wir im Scherz die Witwe von drei Männern, denn drei würdige Kavaliere haben gleichzeitig um sie gefreit, alles Edelleute aus unserer Gegend, Besitzer, deren verwandtschaftliche Beziehungen ich Euch auch ganz genau nennen kann.«

Bei diesen Worten breitete die Frau Truchseß wieder die Finger ihrer linken Hand aus und legte den Zeigefinger der Rechten an. Sagloba aber fragte so schnell als möglich:

»Und was ist aus ihnen geworden?«

»Alle drei haben im Kriege ihr Leben gelassen, deshalb nennen wir Bärbchen auch die Witwe.«

»Seht, das ist bei uns etwas Alltägliches, und selten erreicht jemand bei uns ein hohes Alter und stirbt eines natürlichen Todes. Man sagt sogar, es zieme einem Edelmann gar nicht anders, als auf dem Schlachtfelde zu sterben. Wie Bärbchen das ertragen hat?«

»Sie hat ein wenig geweint, die Arme, am meisten im Stall, denn wenn sie etwas quält, so pflegt sie immer in den Stall zu gehen. Ich ging ihr also einmal nach und fragte: »Wem gelten deine Tränen?« und sie antwortete: »Allen dreien.« Aus der Antwort konnte ich bald merken, daß ihr keiner besonders ans Herz gewachsen war. Und so denke ich auch, da ihr Kopf noch mit anderen Dingen voll ist, fühlt sie noch gar nicht den Willen Gottes. Christine schon mehr, aber Bärbchen nicht im entferntesten.«

»Sie wird ihn fühlen,« sagte Sagloba, »wir verstehen das am besten; sie wird ihn fühlen, sie wird ihn fühlen!«

»Das ist unsere Bestimmung,« antwortete die Frau Truchseß.

»Das eben ist es, Ihr habt mir diese Worte aus dem Munde genommen!«

Das weitere Gespräch unterbrach die Annäherung der jüngeren Gesellschaft. Der kleine Ritter hatte schon alle Verlegenheit Christinen gegenüber abgelegt, und sie beschäftigte sich offenbar aus Herzensgüte mit ihm und mit seinem Leide, wie ein Arzt sich mit einem Kranken beschäftigt, und vielleicht erwies sie ihm gerade darum mehr Freundlichkeit, als ihre kurze Bekanntschaft sonst gestattet hätte. Da aber Michael ein Bruder der Frau Truchseß war, und das Mädchen eine Verwandte ihres Mannes, so wunderte das niemand. Bärbchen indessen blieb gewissermaßen beiseite, nur Sagloba schenkte ihr seine beständige Aufmerksamkeit; im übrigen schien ihr das alles gleichgültig zu sein, ob sich jemand mit ihr beschäftige oder nicht. Anfangs betrachtete sie beide Ritter mit Bewunderung; aber mit gleicher Bewunderung betrachtete sie auch Ketlings prächtige Waffen, die an den Wänden herumhingen. Dann begann sie ein wenig zu gähnen, dann fielen ihr die Augen immer mehr und mehr zu, und endlich sagte sie: »Wenn ich mich jetzt schlafen lege, so wache ich gewiß nicht vor übermorgen auf.«

Nach diesen Worten trennten sich bald alle, denn die Frauen waren sehr wegmüde und warteten nur auf die Herrichtung der Betten. Als Sagloba sich endlich mit Wolodyjowski allein befand, begann er erst vielsagend mit den Augen zu zwinkern, dann traktierte er den kleinen Ritter mit einem Hagel leichter Rippenstöße.

»Michael, was Michael – he? Wie die Rüben! Was? Mönch willst du werden? Was? Und die Drohojowska, die zuckersüße Rübe, und der kleine Heiduck, der rosige, was sagst du dazu, Michael?«

»Was? – nichts!« antwortete der kleine Ritter.

»Ganz besonders hat mir der kleine Heiduck gefallen. Das kann ich dir sagen, als ich beim Abendessen neben ihr saß, schlug mir von ihr eine solche Glut entgegen wie vom Ofen.«

»Sie ist eine wilde Ziege! Die andere ist doch gesetzter.«

»Die Drohojowska ist eine ungarische Flamme, eine echte ungarische Flamme! Aber die andere ist eine kleine Ruß; bei Gott, wenn ich Zähne hätte … ich will sagen, wenn ich eine solche Tochter hätte – nur dir würde ich sie geben! Eine süße Mandel, sage ich dir, eine süße Mandel!«

Wolodyjowski wurde plötzlich traurig, denn ihm kamen die Kosenamen in Erinnerung, welche Sagloba Ännchen Borschobohota zu geben pflegte; wie lebend stand sie plötzlich vor seinem geistigen Auge: ihre Gestalt, ihr zierliches Gesicht, ihre dunklen Zöpfe, ihre Heiterkeit, ihr Geplauder, ihr Blick. Diese beiden waren jünger, aber die andere war ihm doch zehnmal lieber als alle jüngeren.

Der kleine Ritter verbarg das Gesicht in den Händen, und es erfaßte ihn eine Traurigkeit, die um so größer war, als sie unerwartet kam.

Sagloba war erstaunt; eine Zeitlang schwieg er und blickte unruhig um sich, endlich sagte er:

»Michael, was ist dir? Sprich um Gottes willen!«

Wolodyjowski sprach: »So viele leben, so viele sind in der Welt, nur mein Lämmchen ist nicht da, nur sie allein werde ich nimmer wiedersehen!«

Dann raubte der Schmerz ihm die Stimme, er stützte die Stirn auf die Lehne der Bank und hauchte durch die schmerzlich zusammengezogenen Lippen:

»Gott, Gott, Gott!«

Fräulein Bärbchen ließ jedoch Wolodyjowski nicht locker, daß er sie das »Fechten« lehre, und er sagte nicht Nein, denn nach wenigen Tagen, wenn er auch Fräulein Drohojowska immer lieber hatte, gewann er doch auch Bärbchen sehr lieb; es war aber auch nicht gut möglich, sie nicht gern zu haben.

Eines Morgens begann denn auch der erste Unterricht, hauptsächlich durch Bärbchens Ruhmredigkeit hervorgerufen und durch ihre Versicherungen, daß sie diese Kunst schon recht gut verstehe, und daß nicht jeder Beliebige ihr standhalten könne.

»Alte Soldaten waren meine Lehrer,« sagte sie, »an denen ist bei uns kein Mangel, und es ist doch bekannt, daß nichts über unsere Fechter geht … ja, es ist noch eine Frage, ob ihr Herren dort nicht euresgleichen finden würdet.«

»Was Ihr sagt, Fräulein!« rief Sagloba. »Wir haben in der ganzen Welt nicht unseresgleichen.«

»Ich wünschte, es zeigte sich, daß ich euresgleichen bin; ich hoffe es nicht, aber ich wünschte es.«

3Die weiblichen Eigennamen haben im Polnischen immer die Endung a, die männlichen i oder y.
4Budschiak, der südliche Teil Bessarabiens.
5Baschka = Kosename für Barbara.