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Der kleine Ritter

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Nach Beendigung der Arbeit gingen Ketling und Michael Arm in Arm um den Maidan und um die Mauern, sie lugten über die Zinnen, um nach dem Hofe des neuen Schlosses zu spähen, und freuten sich über die reichliche Ernte.

»Leiche auf Leiche,« sagte der kleine Ritter, indem er auf die Trümmerhaufen wies, »und an der Bresche Haufen, daß man mit den Leitern hinauf muß. Ketling, das ist das Werk deiner Kanonen.«

»Das beste,« antwortete der Ritter, »ist, daß wir die Bresche so verbaut haben, daß den Türken der Zutritt wieder verschlossen ist, und sie viele neue Minen legen müssen. Ihre Macht ist unerschöpflich wie das Meer, aber eine Belagerung wie diese müssen sie in einem oder zwei Monaten satt bekommen.«

»Während dieser Zeit kommt der Hetman, – und schließlich, was auch kommen mag, wir sind durch einen Eid gebunden,« sagte der kleine Ritter.

In diesem Augenblick sahen sie einander in die Augen, und Michael fragte mit gedämpfter Stimme:

»Hast du getan, was ich dir auftrug?«

»Alles ist vorbereitet,« antwortete ebenfalls flüsternd Ketling. »Aber ich denke, es kommt nicht dazu, denn wir können wirklich hier noch sehr viele solcher Tage wie den heutigen haben.«

»Gebe Gott ein solches Morgen.«

»Amen!« antwortete Ketling und richtete die Augen zum Himmel empor.

Ihr Gespräch wurde von Kanonendonner unterbrochen. Wieder fielen Granaten in das Schloß. Viele von ihnen platzten in der Luft und erloschen sofort wie Wetterleuchten. Ketling sah mit dem Auge des Kenners hin.

»Auf der Schanze dort, von der die Schüsse kommen,« sagte er, »sind die Zünder bei den Granaten zu stark geschwefelt.«

»Auch auf den anderen beginnt's zu dampfen,« antwortete Michael.

Es war wirklich so. Wie, wenn ein Hund durch die nächtliche Stille anschlägt, sogleich die anderen mitkläffen und schließlich das ganze Dorf vom Bellen widerhallt, so weckte die eine Kanone auf den türkischen Schanzen alle benachbarten, und die belagerte Stadt umgab ein Kranz von Granatschüssen. Dieses Mal beschoß man hauptsächlich die Stadt, nicht das Schloß. Dafür aber hörte man von drei Seiten das Graben von Minen; obwohl der mächtige Fels den Arbeiten der Mineure fast unüberwindlichen Widerstand entgegensetzte, hatten die Türken offenbar beschlossen, dieses Felsennest durchaus in die Luft zu sprengen.

Auf Ketlings und Michaels Befehl begann man wieder Granaten zu werfen, und zwar dorthin, woher der Widerhall der Spitzhacken drang. Aber im Dunkel der Nacht ließ sich schwer erkennen, ob diese Art der Verteidigung den Belagerten irgend einen Verlust bringe. Zudem hatten alle ihre Augen und ihre Aufmerksamkeit auf die Stadt gerichtet, die von einer ganzen Schar flammender Vögel umflattert wurde. Manche Geschosse platzten in der Luft, andere umschrieben einen feurigen Bogen am Firmament und fielen mitten in die Häuserreihen der Stadt. Plötzlich zerriß ein blutiger Feuerschein an mehreren Stellen das nächtliche Dunkel. Die Katharinenkirche stand in Flammen, die griechische Georgskirche in dem reußischen Stadtteil, und gleich darauf ging auch die armenische Kathedrale in Feuer auf, die übrigens schon am Tage gebrannt hatte und jetzt, unter dem Granatenregen, sich von neuem entzündete. Der Brand wuchs mit jedem Augenblick und erhellte die ganze Gegend. Das Geschrei aus der Stadt drang bis an das alte Schloß, man konnte glauben, die ganze Stadt stehe in Flammen.

»Schlimm,« sagte Ketling, »die Bürger werden den Mut sinken lassen.«

»Und wenn alles in Flammen aufgeht,« antwortete der kleine Ritter, »wenn nur der Fels nicht birst, von dem wir uns verteidigen können.«

Das Geschrei schwoll immer mächtiger; von der Kathedrale sprang das Feuer auf die armenischen Warenlager über, die auf dem armenischen Markte standen; große Reichtümer in Gold-, Silberteppichen, Fellen und kostbaren Stoffen gingen in Flammen auf. Nach kurzer Zeit züngelten die Flammen über den Häusern.

Michael erschrak aufs äußerste.

»Ketling,« sagte er, »beobachte das Granatenwerfen und störe soviel du kannst die Mienenarbeiten; ich will in die Stadt sprengen, denn mir gerinnt das Blut, wenn ich an die Dominikanerinnen denke. Gott sei gedankt, daß sie das Schloß in Ruhe lassen, und daß ich mich entfernen kann …«

Im Schloß war in diesem Augenblick wirklich nicht viel zu tun, und so bestieg der kleine Ritter sein Pferd und sprengte davon. Erst nach zwei Stunden kehrte er wieder. Muschalski begleitete ihn; er war von der Verletzung, die ihm Hamdis Faust beigebracht hatte, schon genesen und kam jetzt aufs Schloß, weil er glaubte, bei dem Stürmen den Heiden mit seinem Bogen Verluste bereiten zu können.

»Ich grüße Euch,« sagte Ketling, »ich war schon beunruhigt. Was gibt's dort bei den Dominikanerinnen?«

»Alles steht gut,« antwortete der kleine Ritter, »nicht eine Granate ist dort geplatzt; der Ort ist abgelegen und sicher.«

»Gelobt sei Gott! Ängstigt sich Christine nicht?«

»Sie ist ruhig, als sei sie daheim. Sie sitzt mit Bärbchen in einer Zelle; Sagloba ist bei ihnen, auch Muschalski ist dort; er hat sein klares Bewußtsein wieder erlangt und bat mich, ihn mit aufs Schloß zu nehmen; aber er steht kaum fest auf seinen Füßen. Ketling, reite du jetzt hin, ich will dich hier vertreten.«

Ketling hatte Michael erwartet, denn sein Herz zog ihn zu seiner geliebten Christine, und er ließ sofort sein Pferd bringen. Aber ehe es kam, fragte er noch den kleinen Ritter aus, was es in der Stadt gäbe.

»Die Bürger löschen das Feuer mit großem Mut,« antwortete der kleine Ritter; »aber die weisen armenischen Kaufleute haben, als sie ihre Waren in Flammen aufgehen sahen, eine Deputation an den Bischof geschickt und drängen ihn, die Stadt zu übergeben. Da ich das hörte, ging ich in den Rat, obgleich ich mir versprochen hatte, nie wieder hinzugehen. Dort schlug ich einem, der am dringendsten die Übergabe forderte, ins Gesicht; der Bischof sah mich dafür schief an. Schlimm, Bruder; den Leuten sinkt der Mut immer mehr, und immer wohlfeiler erscheint ihnen unser Verteidigungswerk. Sie tadeln uns, sie loben uns beileibe nicht, sie sagen, wir setzen die Stadt unnütz der Gefahr aus. Ich habe auch gehört, daß sie über Makowiezki hergefallen sind, weil er sich den Verhandlungen widersetzt hat. Der Bischof selbst hat gesagt: »Wir verraten weder den Glauben, noch den König, was kann uns der Widerstand noch nützen?« Du siehst, die Tempel sind geschändet, ehrliche Mädchen der Schande preisgegeben, unschuldige Kinder in die Sklaverei geführt, durch Unterhandlung aber – sagte er – können wir noch ihr Schicksal wenden und uns freien Abzug sichern.« So sagte der Bischof, und der General schüttelte den Kopf und wiederholte: »O, fände ich lieber den Tod – aber es ist wahr!«

»Gottes Wille geschehe!« antwortete Ketling.

Michael rang die Hände. »Wenn es noch wahr wäre!« schrie er auf, »aber Gott ist unser Zeuge, daß wir uns wohl verteidigen können.«

Inzwischen war das Pferd gebracht. Ketling saß eilig auf, Michael aber rief ihm noch auf den Weg nach:

»Vorsicht! Auf der Brücke dort fallen die Granaten in dichten Haufen!«

»In einer Stunde bin ich zurück,« sagte Ketling und sprengte davon.

Herr Michael und Muschalski machten nun einen Gang um die Mauer.

An drei Stellen wurden Granaten geworfen, und an drei Stellen hörte man die Minenarbeiten. Auf der linken Seite des Schlosses leitete Luschnia die Arbeit.

»Wie geht es hier?« fragte Michael.

»Schlimm, Herr Kommandant,« antwortete der Wachtmeister, »die Hunde sitzen schon im Felsen, und kaum, daß mal einem beim Eingang das Fell gestreift wird. Wir haben nicht viel ausgerichtet …«

An den anderen Stellen stand es noch schlimmer, um so schlimmer, als der Himmel umwölkt war, und ein Regen niederging, der die Zünder der Granaten feucht machte, auch hinderte die Dunkelheit die Arbeiten.

Herr Michael führte Muschalski ein wenig auf die Seite, plötzlich blieb er stehen und sagte:

»Was meint Ihr, wenn wir versuchten, diese Maulwürfe in ihren Höhlen zu erwürgen.«

»Das ist, glaube ich, der sichere Tod, denn ganze Regimenter von Janitscharen decken sie. Doch – versuchen wir's!«

»Wohl wahr, die Regimenter decken sie, aber die Nacht ist sehr dunkel, und sie sind leicht in Verwirrung zu bringen. Überlegt nur, in der Stadt denken sie an Übergabe, – weshalb? Sie sagen: die Minen sind unter unseren Füßen, ihr werdet euch nicht halten. So würden wir ihnen die Mäuler stopfen, wenn wir noch heute nacht hinmeldeten: Es gibt keine Mine mehr. Das lohnt wohl, sein Leben aufs Spiel zu setzen, – oder etwa nicht?«

Muschalski sann eine Weile nach, dann rief er aus: »Wohl, bei Gott, es verlohnt!«

»An der einen Stelle haben sie erst unlängst zu graben begonnen; die wollen wir in Ruhe lassen. Aber von dieser und von der anderen Seite sind sie schon sehr tief eingedrungen. Ihr nehmt fünfzig Dragoner, ich nehme ebensoviel; wir wollen versuchen, ihnen den Garaus zu machen. Habt Ihr Lust?«

»O gewiß, und welche Lust! Ich stecke ein paar Nägel in den Gurt, die Geschütze zu vernageln, wenn wir vielleicht unterwegs auf Geschütze stoßen.«

»Ich zweifle daran, obwohl in der Nähe Kanonen stehen; aber nehmt nur die Nägel mit. Wir wollen auf Ketling warten, denn er weiß besser als die anderen, wie er uns im Falle der Not zu Hilfe kommen kann.«

Ketling kam, wie er versprochen hatte. Auch nicht eine Minute hatte er versäumt, und eine halbe Stunde später kamen zwei Abteilungen Dragoner von je fünfzig Mann an die Bresche herangerückt und schlichen auf die andere Seite hinüber. Sie verschwanden in der Finsternis. Ketling ließ noch eine Zeit hindurch Granaten werfen, aber bald unterbrach er die Arbeit und wartete. Sein Herz schlug unruhig, denn er war sich der Kühnheit des Unternehmens voll bewußt. Eine Viertelstunde verging, eine halbe, eine ganze Stunde; es schien, als müßten sie schon den Ort erreicht haben und beginnen; und doch konnte man, wenn man das Ohr auf den Boden hielt, deutlich die ruhige Minenarbeit hören.

 

Plötzlich ertönte am Fuße des Schlosses ein Pistolenschuß, der übrigens infolge der herrschenden Feuchtigkeit der Luft und des ununterbrochenen Kugelwechsels von den Schanzen her nicht allzu laut knallte und vielleicht verpufft wäre, ohne die Aufmerksamkeit der Besatzung zu erregen, wäre nicht sofort ein entsetzlicher Lärm entstanden. Sie sind am Ziel, dachte Ketling, aber ob sie wiederkehren? – Drüben ertönte das Geschrei von Menschen, das Getöse der Kanonen, die Stimmen der Pfeifen und endlich das Geknatter der Janitscharenbüchsen, eilig, ungeordnet. Von allen Seiten wurde geschossen; offenbar waren ganze Abteilungen den Mineuren zu Hilfe geeilt. Aber wie Michael vorausgesehen, hatte sich der Janitscharen eine große Verwirrung bemächtigt; sie fürchteten, sich gegenseitig zu verwunden, und riefen sich mit lauter Stimme an, indem sie blindlings, ja zum Teil in die Luft feuerten. Mit jedem Augenblick wuchs der Lärm der Stimmen und der Geschosse. Wie wenn der blutdürstige Marder im Frieden der Nacht unter das schlafende Federvieh dringt, plötzlich in dem stillen Hühnerhaus eine entsetzliche Verwirrung und angstvolles Gackern entsteht – so brach auch um das Schloß herum ein furchtbarer Wirrwarr los. Von den Verschanzungen wurden Granaten auf die Mauer geworfen, um die Dunkelheit zu lichten; Ketling ließ die Kanonen auf die türkischen Vorposten richten und antwortete mit Kartätschen. Die türkischen Gräben, die Mauern leuchteten auf, in der Stadt wurde Lärm geschlagen, denn man glaubte allgemein, die Türken seien in die Festung eingedrungen. Auf den Schanzen glaubte man gerade das Gegenteil, daß ein gegen die Arbeiten gerichteter wütender Ausfall der Belagerten geplant sei, und so entstand ein allgemeiner Alarm. Die Nacht begünstigte das kühne Unternehmen Michaels und Muschalskis, denn es war sehr finster geworden. Die Kanonenschüsse und die Granaten erhellten nur auf Augenblicke den dunklen Schleier, der dann um so schwärzer wurde; endlich öffneten sich plötzlich die Schleusen des Himmels und gossen strömenden Regen herab. Donnerschläge übertönten das Geschützfeuer und hallten heulend in entsetzlichem Echo von den Felsen wieder. Ketling sprang von dem Wall hinab, eilte an der Spitze einer kleinen Mannschaft an die Bresche und wartete.

Es dauerte nicht lange, so wimmelte es von dunklen Gestalten zwischen den Balken, welche die Öffnung schützten.

»Wer da?« rief Ketling.

»Michael Wolodyjowski!« ertönte die Antwort, und die beiden Ritter stürzten sich in die Arme.

»Was … wie steht's dort?« fragten die Offiziere, die immer zahlreicher zur Bresche geeilt kamen.

»Gott sei Dank! Die Mineure sind bis auf den letzten Mann aufgerieben, die Werkzeuge zerbrochen und in alle Winde gestreut; ihre ganze Arbeit war vergeblich!«

»Gott sei Dank, Gott sei Dank!«

»Ist Muschalski mit den Seinigen zur Stelle?«

»Er ist noch nicht zurück!«

»Sollen wir ihm zu Hilfe eilen? Wem beliebt's, meine Herren?«

In diesem Augenblick tauchten neue Gestalten in der Bresche auf. Muschalskis Leute kamen eiligst zurück, wenn auch in bedeutend verringerter Zahl; es waren viele von ihnen unter den Kugeln geblieben; aber die Freude über den günstigen Erfolg glänzte auf ihren Gesichtern. Einige von den Soldaten brachten Spitzhacken, Bohrer, Keilhauen als Beweisstücke, daß sie wirklich in den Minen gewesen waren, mit.

»Wo ist Muschalski?« fragte Michael.

»Ja, wo ist Muschalski?« wiederholten mehrere Stimmen.

Die Leute vom Kommando des berühmten Bogenschützen sahen sich einander an; da meldete sich einer von den Dragonern, der schwer verwundet war, und sagte mit schwacher Stimme:

»Muschalski ist gefallen; ich sah, wie er fiel; ich sank neben ihm nieder, aber ich erhob mich wieder, – er blieb …«

Die Ritter waren tief bewegt durch den Tod des Bogenschützen, denn er war einer der ersten Krieger in dem Heere der Republik. Man fragte den Dragoner noch aus, wie das gekommen sei, aber er konnte nicht Rede stehen, denn sein Blut floß in Strömen, und endlich sank er wie eine Garbe zu Boden.

Die Ritter klagten über den Tod Muschalskis.

»Sein Gedächtnis wird fortleben im Heere,« sagte Kwasibrozki; »wer diese Belagerung überlebt, der wird seinen Namen rühmen.«

»Ein solcher Bogenschütze wird nicht mehr geboren,« sagte eine andere Stimme.

»Er war der Stärkste in ganz Chreptiow,« ließ sich der kleine Ritter vernehmen; »einen Taler drückte er mit einem Finger tief in ein breites Brett hinein. Nur der eine Longinus, der Litauer, übertraf ihn an Kraft, aber der fiel bei Sbarasch, und von den Lebenden gleicht ihm höchstens Nowowiejski an Stärke der Arme.«

»Ein großer, großer Verlust,« sagten andere; »nur in alten Zeiten wurden solche Krieger geboren.«

Nachdem sie so das Andenken des Bogenschützen geehrt hatten, bestiegen sie den Wall. Michael schickte sofort einen Berittenen mit der Nachricht an den General und den Bischof, daß die Mine zerstört und die Mineure durch einen Überfall aufgerieben seien. Mit großem Erstaunen nahm man diese Nachricht in der Stadt auf, aber – wer hätte es für möglich gehalten – mit verhohlenem Unwillen. Sowohl der General wie der Bischof waren der Ansicht, daß diese augenblicklichen Triumphe die Stadt nicht retten und den grausamen Löwen nur noch mehr reizen würden. Sie hätten nur in dem einen Falle nützen können, wenn man trotz ihrer der Übergabe zustimmte, und so beschlossen denn auch die beiden obersten Führer, die Verhandlungen fortzusetzen.

Aber weder Ketling noch Michael glaubten, daß die glücklichen Nachrichten, die sie hinsandten, keinen Erfolg haben sollten; sie waren der Überzeugung, daß jetzt auch die verzagtesten Herzen Mut erfüllen, und daß alle in neuer Lust zu hartnäckigem Widerstand entbrennen würden, denn die Stadt konnte nicht eingenommen werden, solange das Schloß standhielt. Solange also das Schloß nicht nur Widerstand leistete, sondern sogar dem Feinde noch Schaden zuzufügen vermochte, befanden sich die Belagerer noch keineswegs in der Zwangslage, zu Verträgen ihre Zuflucht zu nehmen. An Vorräten war Überfluß, ebenso an Pulver; man brauchte nur die Tore zu bewachen und die Brände in der Stadt zu löschen.

Während der ganzen Belagerung war dies die freudigste Nachricht für den kleinen Ritter und für Ketling. Sie hatten große Hoffnung, selbst heil aus dieser türkischen Umklammerung hervorzugehen und die teuren Häupter ihrer Lieben heimzuführen.

»Noch ein paar Stürme,« sagte der kleine Ritter, »und so wahr Gott lebt, die Türken werden müde werden und uns durch Hunger zwingen wollen. Es fehlt uns an Lebensmitteln nicht; der September steht vor der Tür, in zwei Monaten beginnen die Regen und der Winter, und ihr Heer ist wenig abgehärtet; wenn sie einmal ordentlich frieren, gehen sie drauf.«

»Viele von ihnen stammen aus den äthiopischen Ländern,« antwortete Ketling, »oder aus anderen, wo der Pfeffer wächst, und die frißt jeder Frost auf; zwei Monate halten wir im schlimmsten Falle sogar unter Stürmen aus. Es ist auch unmöglich, daß kein Ersatz komme; endlich muß die Republik erwachen, und wenn auch der Hetman keine große Heeresmacht sammelt, so wird er die Türken im Kleinkrieg reizen.«

»Ketling, ich glaube, unsere Stunde ist noch nicht gekommen.«

»Das steht in Gottes Hand; aber auch ich glaube, dazu kommt es noch nicht.«

»Es müßte denn einer von uns fallen, wie Muschalski, – ja, was kann man dagegen tun? … Schmerzt mich sehr, Muschalskis Tod, wenn er auch wie ein Held gefallen ist.«

»Gebe uns Gott keinen schlechteren Tod, nur jetzt noch nicht, denn ich sage dir, Michael, es wäre mir leid um … Christine.«

»Ja, und mir um Bärbchen … Nun, wir tun, was in unseren Kräften steht, die göttliche Barmherzigkeit waltet über uns. Ich bin hocherfreut im Herzen, ich muß auch morgen etwas Bedeutendes unternehmen.«

»Die Türken haben hölzerne Schutzwehren aus Bohlen auf den Schanzen errichtet; ich habe mir ein Mittel erdacht, wie es zum Anzünden der Schiffe benutzt wird. Die Lappen werden schon mit Pech getränkt, und ich trage Hoffnung, daß morgen bis zum Mittag all ihre Arbeiten in Flammen aufgegangen sind.«

»Ha,« sagte der kleine Ritter, »so wage ich einen Ausfall; bei dem Brande entsteht ohnehin Verwirrung, und es wird ihnen gar nicht in den Sinn kommen, daß ein Ausfall am hellen, lichten Tage unternommen werden könnte. Es kann morgen noch besser kommen als heute, Ketling.«

So sprachen sie, das Herz von Freude erfüllt; dann begaben sie sich zur Ruhe, denn sie waren sehr müde. Aber der kleine Ritter hatte noch nicht drei Stunden geschlafen, als ihn der Wachtmeister Luschnia weckte.

»Herr Kommandant, es gibt Neuigkeiten,« sagte er.

»Was gibt's?« rief der wachsame Krieger und sprang mit einem Satz in die Höhe.

»Herr Muschalski ist da.«

»Bei Gott, was sagst du?«

»Er ist da; ich stand an der Bresche, da hörte ich, wie einer von drüben in unserer Sprache ruft: »Nicht schießen, ich bin's!« Ich höre hin, – da kommt Muschalski, als Janitschar verkleidet, an.«

»Gott sei gedankt,« sagte der kleine Ritter.

Er eilte hinaus, den Schützen zu begrüßen. Der Tag dämmerte schon; Muschalski stand diesseits des Walles in weißer Kapuze und Rüstung, so völlig einem Janitscharen ähnlich, daß man den eigenen Augen nicht traute. Als er den kleinen Ritter erblickte, sprang er auf ihn zu, und sie begrüßten sich freudig.

»Wir haben Euch schon beweint,« rief Herr Michael.

Inzwischen waren einige andere Offiziere herbeigekommen, unter ihnen auch Ketling. Alle waren sehr erstaunt und fragten den Bogenschützen um die Wette aus, wie er zu der türkischen Verkleidung gekommen sei: er ergriff das Wort und erzählte:

»Ich purzelte rückwärts taumelnd über die Leiche eines Janitscharen und schlug mit dem Kopf an eine Kugel, die am Boden lag, und obwohl meine Mütze mit Draht versehen ist, ward es mir doch neblig um die Sinne, da mein Gehirn von dem Schlage, den mir Hamdi versetzt hatte, noch sehr empfindlich ist. Dann später erwache ich – sieh' da, ich liege auf einem toten Janitscharen, weich wie im Bette. Ich fühle nach meinem Kopfe: er tut ein wenig weh, aber nicht einmal eine Beule ist zu spüren; ich nehme die Mütze ab, der Regen kühlt mir den Kopf, ich denke bei mir: Gut so. Da fällt mir ein: wenn ich dem Janitscharen so den ganzen Plunder abnähme und unter die Türken ginge? Ich spreche ja türkisch wie meine Muttersprache, niemand wird mich erkennen, und mein Gesicht verrät mich auch nicht. Ich will hingehen und sie belauschen. – Wohl packte mich auch die Angst; ich dachte an die alte Gefangenschaft, aber ich ging doch hin. Die Nacht war dunkel, nur an einigen Stellen war Licht; und so ging ich, sag' ich euch, unter ihnen einher wie unter den eigenen Landsleuten. Viele von ihnen lagen in den Gräben unter Decken; ich ging auch zu ihnen. Einer und der andere fragte mich: Was schlenderst du umher? – Ich mag nicht schlafen, antwortete ich. Andere schwatzten über die Belagerung. Es herrscht große Verwunderung unter ihnen, ich habe es mit eigenen Ohren gehört, wie sie unsere Kommandanten hier geschmäht haben« – bei diesen Worten verneigte sich Muschalski vor Michael. »Ich wiederhole ihre ipsissima verba, denn Feindes Tadel ist das größte Lob. – Solange dieser kleine Hund – so nannten die Hundsfötter Ew. Gnaden – solange dieser kleine Hund das Schloß verteidigt, kriegen wir es nimmermehr. – Er ist kugel- und eisenfest, sagte ein anderer, und der Tod weht vor ihm die Menschen an wie die Pest. – Da begannen sie alle zu klagen: Wir allein müssen in den Kampf, und die anderen Heere tun gar nichts, die Dschamaken liegen auf dem Rücken, die Tataren plündern, die Spahis schlendern im Bazar umher, – und zu uns sagt der Padischah: Meine lieben Schäfchen; aber wir scheinen ihm doch nicht gar so sehr ans Herz gewachsen zu sein, wenn man uns hier wie zur Schlachtbank führt. Wir halten's aus – sagten sie – , aber nicht lange; dann gehen wir nach Chozim zurück, und wenn wir den Urlaub nicht bekommen, so kann manches große Haupt fallen.«

»Hört ihr's, Herren?« rief Michael. »Wenn die Janitscharen sich empören, wird dem Sultan der Schreck in die Glieder fahren, und er gibt die Belagerung auf.«

»So wahr Gott lebt, ich sage die volle Wahrheit,« sprach Muschalski. »Bei den Janitscharen ist eine Rebellion leicht gemacht, und sie sind schon mißvergnügt. Ich meine, sie halten's noch ein oder zwei Stürme aus, dann werden sie die Zähne fletschen gegen die Janitschar-Aga und den Kaimakam, ja, gegen den Sultan selber.«

»So ist's,« riefen die Offiziere, »mögen sie noch zwanzigmal den Sturm versuchen, – wir sind bereit.«

Sie schlugen an die Säbel und blickten mit glühenden Augen zu den Verschanzungen hinüber; der kleine Ritter aber flüsterte Ketling begeistert zu: »Ein zweites Sbarasch, ein zweites Sbarasch!«

 

Muschalski fuhr fort:

»Das habe ich gehört; ich ging ungern fort, denn ich hätte noch mehr hören mögen, aber ich fürchtete, der Tag werde mich überraschen. Ich ging also zu den Verschanzungen, von denen nicht geschossen wurde, um in der Dämmerung durchschleichen zu können. Da sah ich eine Stelle, wo keine ordentliche Bewachung war. Die Janitscharen schlichen in Haufen herum. Ich ging an eine mächtige Kanone heran; niemand rief mich an … der Herr Kommandant weiß, daß ich beim Überfall Nägel zur Vernagelung der Kanonen mitgenommen habe. Schnell schob ich einen in die Öffnung, – er wollte ohne Hammer nicht hinein; da mir aber der liebe Herrgott Kraft in der Faust gegeben hat – die Herren haben meine Experimente ja oft gesehen – , so drückte ich ihn mit der bloßen Hand hinein. Es knarrte ein wenig, aber der Nagel drang bis an den Kopf in die Öffnung … Ich hatte eine höllische Freude daran!«

»Bei Gott, das habt Ihr getan? Ihr habt die große Kanone vernagelt?« fragte es von allen Seiten.

»Das habe ich getan und noch mehr. Denn als alles glatt abging, war es mir wieder leid, fortzugehen, und ich schlich zur zweiten Kanone … Die Hand tut mir weh, – aber die Nägel sind richtig drin.«

»Werte Herren!« rief Michael, »niemand hat Größeres vollbracht, niemand sich mit solchem Ruhme bedeckt – Vivat Muschalski!«

»Vivat, vivat!« fielen die Offiziere ein, und in den Ruf der Offiziere die Soldaten. Die Türken hörten es in den Verschanzungen und erschraken, und immer tiefer sank ihnen der Mut. Der Bogenschütze aber verneigte sich voll Freude vor den Offizieren; er erhob seine mächtige, einem Spaten ähnliche Hand, an der zwei blaue Flecken sichtbar waren, und sagte:

»Bei Gott, ich habe die Wahrheit gesprochen – hier das Zeugnis!«

»Wir glauben's!« riefen alle, »danke dem Höchsten, daß du glücklich zurückgekehrt bist.«

»Ich schlich durch die Gerüste hindurch,« versetzte der Bogenschütze; »und hätte gern die Arbeiten in Brand gesteckt, aber mir fehlte der Zündstoff.«

»Weißt du wohl, Michael,« rief Ketling, »meine Lappen sind fertig, ich muß anfangen an die Gerüste zu denken; sie sollen erfahren, daß wir sie zuerst angreifen.«

»Recht so, recht so!« rief Michael.

Er selbst eilte zum Zeughaus und sandte eine neue Nachricht in die Stadt: »Muschalski ist beim Ausfall nicht getötet worden; er ist zurückgekommen, ja, er hat zwei große Kanonen vernagelt. Er war mitten unter den Janitscharen, die von Rebellion sprachen. In einer Stunde stecken wir die Holzbauten in Brand, und wenn es möglich ist, machen wir einen zweiten Ausfall.«

Noch war der berittene Bote nicht über die Brücke gekommen, als die Mauern von Kanonendonner erdröhnten. Diesmal begann das Schloß die brüllende Zwiesprache. Im blassen Lichte des Morgens flogen die flackernden Fetzen wie brennende Fahnen und fielen auf dem Gerüst nieder; die Feuchtigkeit, mit der der Nachtregen das Holz genetzt hatte, erwies sich als zu schwach, bald fingen die Bohlen Feuer und brannten in hellen Flammen. Den brennenden Lappen schickte Ketling Granaten nach. Die abgematteten Janitscharenhaufen verließen im ersten Augenblick die Schanzen. Man hörte keine Musik, der Vezier selbst kam herangeritten an der Spitze neuer Heerscharen; aber auch in sein Herz schien Verzweiflung sich eingeschlichen zu haben, denn die Paschas hörten, wie er murmelte:

»Der Kampf ist ihnen lieber als die Ruhe; – was sind das für Menschen, die in diesem Schlosse hausen!«

Unter den Soldaten aber hörte man von allen Seiten angstvoll wiederholen:

»Der kleine Hund beginnt zu beißen, der kleine Hund beißt um sich!«