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Der kleine Ritter

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Doch die Granate fiel nicht in der Nähe nieder, sondern auf das Dach der Lutherischen Kapelle im alten Schloß. Weil die Kuppel eine sehr starke war, hatte man hier die Munition untergebracht; aber der Schuß hatte jene durchbohrt, und das Pulver entzündet. Ein mächtiger Knall, stärker als der Donner der Kanonen, erschütterte die Grundmauern beider Schlösser. Auf den Zinnen ertönten Schreie des Entsetzens, und die polnischen und die türkischen Kanonen verstummten.

Ketling ließ Sagloba, Michael Bärbchen stehen, und beide eilten, so schnell sie laufen konnten, auf die Mauern. Einen Augenblick hörte man beide mit keuchender Brust Befehle erteilen, aber ihr Kommando wurde von den Trommeln auf den türkischen Verschanzungen übertönt.

»Sie werden zum Angriff schreiten,« sagte leise Sagloba.

Wirklich glaubten die Türken, da sie den Knall hörten, beide Schlösser seien in Trümmer gegangen, und die Verteidiger zum Teil im Schutte begraben, zum anderen Teile vom Schrecken gelähmt. Darum rüsteten sie sich zum Sturm. Die Törichten! Sie wußten nicht, daß nur die Lutherische Kapelle in die Luft geflogen war, und daß die Entzündung des Pulvers außer der gewaltigen Erschütterung keinen Schaden angerichtet hatte, ja daß nicht einmal eine einzige Kanone auf dem neuen Schloß aus der Lafette gefallen war. Das Gerassel der Kanonen auf den Schanzen wurde immer stärker, Haufen von Janitscharen stürmten die Schanzen herab und liefen im Schnellschritt gegen das Schloß. Die Feuer auf dem Schlosse und in den türkischen Gräben erloschen zwar, aber die Nacht war hell, und bei dem Licht des Mondes konnte man die dichte Masse der weißen Janitscharenmützen sehen, die im Laufe hin und her wogten wie sturmbewegte Wellen. Einige tausend Janitscharen waren es, und einige hundert »Dschamaken«. Viele von ihnen sollten nie mehr die Minarets von Stambul, die hellen Gewässer des Bosporus und die dunklen Cypressen seines Friedhofes sehen; aber jetzt stürmten sie wütend dahin, die Hoffnung des sicheren Sieges im Herzen.

Michael lief, so schnell er konnte, die Mauern entlang.

»Nicht schießen, das Kommando abwarten!« rief er bei jeder Kanone.

Die Dragoner legten sich mit den Musketen platt auf die Zinnen und keuchten vor Wut. Stille trat ein, nur der Widerhall des schnellen Schrittes der Janitscharen tönte herauf wie gedämpfter Donner. Je näher sie kamen, desto sicherer glaubten sie, mit einem Streiche beide Schlösser zu nehmen. Viele meinten, die Überreste der Verteidiger hätten sich schon in die Stadt zurückgezogen, und auf den Zinnen sei alles menschenleer. Als sie an die Laufgräben gekommen waren, warfen sie Strauchhölzer und Strohsäcke hinein, und im Augenblick waren sie verschüttet. Auf den Mauern herrschte beständig vollkommene Ruhe. Aber als die ersten Reihen in den Laufgraben traten, knallte an einer Stelle der Turmzinne ein Pistolenschuß, und eine gellende Stimme rief:

»Feuer!«

Gleichzeitig erglänzten alle Scharten in einem langen, flammenden Blitz. Kanonendonner erfüllte die Luft, Musketen und Feuergewehre krachten, das Geschrei der Angreifer antwortete ihnen. Wie wenn ein Speer, mit kräftiger Hand geworfen, bis zur Hälfte in den Leib des Bären eindringt und das Tier sich zusammenballt, brüllt und tobt, dann wieder sich reckt und von neuem sich zusammenballt – so drängten sich die Haufen der Janitscharen und Dschamaken zusammen. Nicht ein Schuß der Gegner fehlte. Die Kanonen, die mit Kartätschen geladen waren, streckten die Menschen wie die Ähren hin, die ein gewaltiger Sturmwind mit einem Wehen niederlegt. Diejenigen, die auf die Ausbuchtungen losgestürmt waren, welche die Forts miteinander verbanden, befanden sich zwischen zwei Feuern. Von Entsetzen erfaßt, drängten sie sich in der Mitte zu einem ungeordneten Haufen zusammen, sanken tödlich getroffen nebeneinander nieder und bildeten so förmliche Leichenhügel. Ketling ließ die Kartätschen aus zwei Kanonen kreuzweise in den Haufen schießen, und als sie endlich zu fliehen begannen, verschloß er mit einem Regen von Eisen und Blei den schmalen Ausgang zwischen den Ausbuchtungen.

Der Angriff wurde auf der ganzen Linie zurückgeworfen. Als nun die Janitscharen und Dschamaken, den Laufgraben verlassend, wie wahnsinnig mit einem Gebrüll des Entsetzens flohen, begann man von den türkischen Verschanzungen brennende Teerfässer zu werfen und künstliche Pulverfeuer zu entzünden, so daß die Nacht zum Tage wurde, um den Fliehenden den Weg zu beleuchten, und in dem erwarteten Ausfall die Verfolgung zu erschweren.

Als Herr Wolodyjowski den in die Enge getriebenen Feind sah, rief er seine Dragoner zusammen und stürmte auf ihn los. Noch einmal versuchten die Unglücklichen, sich durch den Ausgang zu drängen, aber Ketling überschüttete sie mit einem so furchtbaren Kugelregen, daß er von einem Leichenhügel wie von einem hohen Walle verstopft ward. Wer noch am Leben geblieben war, mußte sterben, denn die Verteidiger wollten keine Gefangene machen; sie mußten sich also verzweifelt wehren. Tüchtig, wie sie waren, verdichteten sie sich zu kleinen Häufchen, zu zweien, dreien und fünfen, deckten sich mit den Schultern und hieben mit Speeren, Yataganen, Säbeln und Streitäxten rasend um sich. Die Angst, das Entsetzen, der sichere Tod, die Verzweiflung hatten sich in ein Gefühl rasender Wut verwandelt. Eine mächtige Kampfbegeisterung hatte sie ergriffen; manche warfen sich einzeln in blinder Selbstvergessenheit auf die Dragoner, und im Augenblick waren sie von den Schwertern zerrissen. Es war ein Kampf zweier Furien, denn auch die Dragoner erfüllte vor Mühsalen, Schlaflosigkeit und Hunger eine tierische Wut gegen diesen Feind. Da sie aber im Kampf mit blanker Waffe den Gegner bedeutend übertrafen, richteten sie ein furchtbares Blutbad an. Ketling, der das Schlachtfeld erleuchten wollte, befahl gleichfalls Pechtonnen anzuzünden, und in ihrem Scheine sah man die unbezähmbaren Masuren mit den Janitscharen einen Säbelkampf führen, indem sie einander bei den Köpfen und bei den Bärten hielten. Besonders wütete der furchtbare Luschnia, einem wilden Stiere ähnlich. Am Ende des zweiten Flügels kämpfte Michael selber, und da er wußte, daß Bärbchen von der Mauer ihm zuschaute, übertraf er sich selbst. Wie das bissige Wiesel, wenn es in den Getreideschober eindringt, den ein Rudel Mäuse bewohnt, ein fürchterliches Blutbad darin anrichtet, so stürzte der kleine Ritter, dem Geiste des Verderbens gleich, unter die Janitscharen. Sein Name war schon bekannt unter den Türken aus den vorangegangenen Kämpfen und aus den Erzählungen der Türken von Chozim. Schon war allgemein die Ansicht verbreitet, daß kein Mensch, der ihm im Kampfe begegne, dem Tode entgehe – darum versuchte, wenn er ihn vor sich sah, mancher der Janitscharen, die jetzt zwischen die Vorsprünge eingekeilt waren, gar nicht erst, sich zu verteidigen, sondern er schloß die Augen und starb unter dem Streiche des Rapiers, das Wort »Kismet« auf den Lippen. Endlich erlahmte der Widerstand; der Rest warf sich dem Wall von Leichen entgegen, der den Ausgang hemmte, und fand hier seinen Tod. Die Dragoner kehrten jetzt über die ausgefüllten Laufgräben mit Gesang und Geschrei zurück; sie dampften, und der Hauch des Blutes haftete an ihnen. Dann wurden noch einige Kanonenschüsse von den türkischen Schanzen und vom Schlosse gegeben, und endlich verstummte alles. So endete jener Kanonenkampf, der einige Tage gedauert und den der Sturm der Janitscharen beschlossen hatte.

»Gott sei Dank!« sagte der kleine Ritter; »wenigstens bis zur Reveille morgen früh werden wir Ruhe haben, – sie kommt uns redlich zu.«

Aber diese Ruhe war nur bedingt, denn als noch tiefere Nacht eintrat, hörte man durch die Stille den Klang der Spitzhämmer, die in die Felswand eindrangen.

»Das ist schlimmer als die Kanonen,« sagte Ketling aufhorchend.

»Ja, könnte man einen Ausfall machen,« bemerkte der kleine Ritter, » – aber es ist unmöglich. Die Mannschaften sind zu ermüdet, sie haben weder geschlafen noch gegessen, obwohl es an Essen nicht fehlte; aber die Zeit war zu kurz, und überdies steht bei den Mineuren immer eine Wache von gewöhnlich tausend Dschamaken und Spahis, damit sie von unserer Seite nicht behindert werden. Wir können nichts anderes tun, als selbst das neue Schloß in die Luft sprengen und in dem alten Schutz suchen.«

»Heute noch nicht,« antwortete Ketling. »Sieh', die Leute sind wie die Garben hingesunken und schlafen einen eisernen Schlaf. Die Dragoner haben nicht einmal die Säbel abgewischt.«

»Bärbchen, geh' in die Stadt und schlafe!« sagte plötzlich der kleine Ritter.

»Gut, lieber Michael,« antwortete Bärbchen demütig, »ich will gehen, – wie du befiehlst. Aber das Kloster dort ist schon verschlossen, – so möchte ich lieber hierbleiben und über deinem Schlafe wachen.«

»Seltsam,« sagte der kleine Ritter; »nach solcher Mühe flieht mich der Schlaf, – ich habe gar keine Lust, mich hinzulegen.«

»Weil dein Blut in Wallung ist durch das Spiel mit den Janitscharen,« sagte Sagloba. »So ging es mir auch immer, nach der Schlacht konnte ich nie schlafen. Was aber Bärbchen betrifft, – ehe sie in der Nacht zu der verschlossenen Pforte gehen soll, – so mag sie schon lieber hierbleiben bis zum Morgen.«

Bärbchen umarmte Sagloba vor Freude. Der kleine Ritter aber sagte, als er sah, wie sehr es ihr darum zu tun war:

»So laßt uns in die Kammern gehen!«

Sie gingen hinein; aber hier war alles voll Kalkstaub, den die Kugeln aufgetrieben hatten. Es war unmöglich, darin zu verbleiben, und Bärbchen kehrte mit ihrem Gatten nach einiger Zeit wieder auf die Mauer zurück. Sie ließen sich in einer Nische nieder, die nach dem Zumauern des alten Tores geblieben war.

Sie schmiegte sich an ihn, wie ein Kind an die Mutter. Die Augustnacht war warm und mild, der Mond beleuchtete mit seinem Silberglanz die Vertiefung, so daß das Gesicht des kleinen Ritters und Bärbchens in Glanz gebadet war. Unten im Schloßhof erspähte man die schlafenden Soldaten, und auch die Leichen der Gefallenen lagen noch da, denn man hatte noch keine Zeit gefunden, sie zu bestatten. Das stille Licht des Mondes glitt über die Leichenhaufen hin, als wollte der himmlische Einsiedler erfahren, wer nur vor Ermüdung, und wer zur ewigen Ruhe entschlummert sei. Weithin war die Mauer des Hauptgeländes sichtbar, deren schwarzer Schatten über die Hälfte des Hofes fiel. Von außerhalb der Mauer, wo zwischen den Vorsprüngen die vom Schwerte erschlagenen Janitscharen lagen, drangen menschliche Stimmen herein. Die Knechte und diejenigen von den Dragonern, welche den Raub dem Schlafe vorzogen, plünderten die Leichen. Ihre Laternen schimmerten über das Schlachtfeld wie Johanniskäfer. Manchmal riefen sie leise einander zu, und einer sang mit halber Stimme ein liebliches Lied, das wenig zu der Beschäftigung paßte, der sie im Augenblick oblagen:

 
 
Was frag' ich viel nach Gold und Tand,
Was gilt der Reichtum mir!
Und stürb' ich auch am Wiesenrand —
Bist du, Lieb', nur bei mir.
 

Aber nach einiger Zeit wurde es draußen ruhiger, und endlich trat vollkommene Stille ein. Nur der entfernte Widerhall der Spitzhämmer, die den Felsen brachen, und die Rufe der Wachen auf den Mauern störten die Ruhe. Diese Stille, das Licht und die herrliche Nacht berauschten den kleinen Ritter und Bärbchen. Es ward ihnen bang zumut; sie wußten nicht warum: sie waren traurig in ihrer Seligkeit. Bärbchen erhob zuerst ihre Augen zu ihrem Gatten, und da sie sah, daß er die Lider nicht geschlossen hielt, fragte sie: »Michael, schläfst du nicht?«

»Seltsam, ich bin gar nicht schläfrig.«

»Und ist's dir hier wohl?«

»Gewiß! Und dir?«

Bärbchen wandte ihm ihr blondes Köpfchen zu.

»Ach, Michael, so wohl, ach, so wohl! Hast du gehört, was der dort gesungen hat?«

Hier wiederholte sie die letzten Worte des Liedes:

 
Und stürb' ich auch am Wiesenrand —
Bist du, Lieb', nur bei mir.
 

Wieder trat eine Pause ein, die der kleine Ritter unterbrach.

»Bärbchen, höre nur!«

»Was, Michael?«

»Nicht wahr, uns beiden ist sehr wohl miteinander; ich denke, wenn eines von uns fiele, das andere müßte über die Maßen bangen.«

Bärbchen begriff sehr wohl, daß der kleine Ritter, da er, »wenn eines von uns fiele« sagte, statt »stürbe«, nur sich meinte. Ihr kam der Gedanke, daß er vielleicht nicht hoffe, lebendig dieser Belagerung zu entkommen, daß er sie mit dem schweren Gedanken vertraut machen wolle; eine entsetzliche Ahnung schnürte ihr Herz zusammen, sie faltete die Hände und sagte:

»Michael, habe Erbarmen mit mir und mit dir!«

Die Stimme des kleinen Ritters klang ein wenig bewegt, wenn auch ruhig.

»Siehst du, Bärbchen, daß du nicht recht hast,« sagte er, »denn wenn man's recht erwägt – was bedeutet dieses Leben? Wem könnte hier Glückseligkeit und Liebe zur Genüge werden, wenn alles morsch ist wie ein welker Zweig?«

Aber Bärbchen schüttelte sich vor Weinen und rief ein über das andere Mal:

»Ich will nicht – ich will nicht – ich will nicht!«

»So wahr ich Gott liebe, du hast nicht recht,« wiederholte der kleine Ritter. » – Sieh, dort in der Höhe hinter dem stillen Mond, dort ist das Land der ewigen Glückseligkeit. Von solchem Glück wollen wir sprechen. Wer an jenen Rastort gelangt, erst der ruht aus, wie nach einer langen Reise und weidet friedlich. Wenn meine Zeit kommt – und die kommt bei einem Krieger schnell – so mußt du dir sagen: Michael ist fortgereist, gewiß weit, sehr weit, weiter als von hier nach Litauen, – aber das tut nichts, denn ich reise ihm nach. Nicht doch, Bärbchen, still, weine nicht, wer zuerst abreist, der wird dem anderen ein Quartier bereiten – das ist alles.«

Es kam über ihn wie ein Schauen der Zukunft, er hob die Augen zum glänzenden Mond und sprach weiter: »Was ist alles Irdische! Denken wir, ich sei schon dort und es klopft jemand an die Himmelstür; der heilige Petrus öffnet, ich blicke hin – wer ist's? Mein Bärbchen! Ums Himmels willen! Ich eile auf sie zu, ich schreie auf … lieber Gott, die Worte versagen mir, es gibt kein Weinen, sondern ewige Freude, und es gibt keine Heiden und keine Kanonen, und keine Mine unter den Mauern, – nur Friede, nur Glückseligkeit! Hörst du, Bärbchen?«

»Michael, Michael!« wiederholte Bärbchen, und wieder herrschte Stille, nur unterbrochen von dem fernen, eintönigen Klang der Spitzhacken. Endlich sagte Michael: »Bärbchen, sprechen wir ein Paternoster!«

Und diese beiden Seelen, rein wie Gold, begannen zu beten, und mit jedem Worte des Gebetes ergoß sich neuer Friede in ihre Herzen. Dann überwand sie der Schlummer, und sie schliefen bis zum ersten Morgengrauen.

Vor der ersten Morgenandacht führte Wolodyjowski Bärbchen bis zur Brücke, welche das alte Schloß mit der Stadt verband und sagte ihr beim Abschied:

»Denke daran, Bärbchen – es tut nichts!«

23. Kapitel

Kanonendonner erschütterte gleich am frühen Morgen Schloß und Stadt. Schon hatten die Türken das Schloß entlang einen Graben von fünfhundert Ellen Länge ausgehöhlt, an einer Stelle waren sie sogar schon an der Mauer selbst in die Tiefe gelangt. Von dem Graben aus richteten sie ein ununterbrochenes Feuer aus den Janitscharenbüchsen gegen die Mauern. Die Belagerten deckten sich durch Lederbeutel, die mit Wolle gefüllt waren; aber von den Schanzen wurden ununterbrochen Granaten geschleudert. Die Mannschaft bei den Kanonen lichtete sich unheimlich schnell; bei einer Kanone tötete eine Granate sechs Mann von Michaels Fußtruppen mit einem Schlage, bei anderen fielen die Kanoniere einer nach dem anderen. Am Abend sahen die Führer ein, daß sie sich unmöglich zu halten vermochten, um so weniger, als die Mine jeden Augenblick losspringen konnte. Nun versammelten sich in der Nacht die Rottenführer mit ihren Mannschaften und brachten unter beständigem Gewehrfeuer alle Kanonen, Pulver und Lebensmittel in das alte Schloß. Dieses konnte sich, weil es auf Felsen gebaut war, länger halten, und es war besonders schwierig, es zu unterminieren. Michael, der darüber im Rate befragt wurde, sagte, wenn niemand Verhandlungen anknüpfe, sei er bereit, ein ganzes Jahr sich zu verteidigen. Seine Worte gelangten in die Stadt und gossen neuen Mut in die Herzen der Bürger, denn man wußte, daß der kleine Ritter sein Wort halten werde, und sollte er es auch mit dem eigenen Leben bezahlen.

Als sie das neue Schloß verließen, legten sie tüchtige Minen unter beide Seitenflügel und die Front. Die Minen sprangen mit großem Getöse um die Mittagsstunde in die Luft, aber sie fügten den Türken wenig Schaden zu; die Lehre von gestern hatte sie klug gemacht, und sie hatten deshalb noch nicht gewagt, den verlassenen Ort zu besetzen. Indessen aber bildeten die beiden Seitenflügel, die Front, der Hauptteil des neuen Schlosses, einen riesigen Wall von Schutt. Die Schutthaufen erschwerten zwar den Zutritt zu dem alten Schloß, aber sie gaben den Schützen und, was schlimmer war, den Mineuren eine vortreffliche Deckung. Diese letzteren begannen sofort, vor dem Anblick des mächtigen Felsens nicht zurückschreckend, eine neue Mine zu graben. Die Arbeiten leiteten erfahrene italienische und ungarische Ingenieure, die im Dienste des Sultans standen, und die Arbeit ging rüstig fort. Die Belagerten konnten den Feind weder mit Kanonen noch mit Musketen »beunruhigen«, denn man sah ihn nicht. Herr Wolodyjowski dachte an einen Ausfall, aber man konnte ihn nicht sogleich ins Werk setzen; die Soldaten waren allzusehr ermüdet. Die Dragoner hatten an den rechten Armen von dem beständigen Drücken der Kolben blaue Anschwellungen, so groß, wie ein Laib Brot, manche von ihnen konnten den Arm kaum bewegen, und indessen ward es immer deutlicher, daß, wenn das Minenlegen noch eine Weile ununterbrochen fortdauerte, das Haupttor des Schlosses unzweifelhaft in die Luft gesprengt werden würde. Michael sah dies voraus; er ließ hinter dem Tor einen hohen Wall aufschütten und sagte, ohne den Mut zu verlieren:

»Was tut's; fliegt das Tor in die Luft, so werden wir uns hinter dem Wall verteidigen. Fliegt der Wall in die Luft, so schütten wir einen zweiten auf – und so fort, solange wir noch Grund unter den Füßen spüren.«

Aber der General von Podolien, der alle Hoffnung verloren hatte, sagte: »Und wenn auch diese Stelle nicht mehr da ist?«

»Dann sind auch wir nicht mehr da.«

Indessen ließ er den Feind mit Handgranaten überschütten, die große Verluste anrichteten. Am tüchtigsten bei dieser Arbeit erwies sich der Hauptmann Dembinski, der zahllose Türken hinmähte, bis ihm endlich eine allzufrüh entzündete Granate in der Hand platzte und diese mit sich riß. Auf ähnliche Weise fand Kapitän Schmidt den Tod. Viele sanken hin, von Kanonenkugeln getroffen, viele von der Handwaffe, welche die Janitscharen gebrauchten, die hinter dem Schutt des neuen Schlosses aus dem Verborgenen schossen. Während dieser Zeit wurde aus den Schloßkanonen wenig geschossen, was die Herren vom Rat sehr verdutzt machte. Sie schießen nicht mehr, offenbar verzweifelt auch Wolodyjowski an der Möglichkeit der Verteidigung – dies war die allgemeine Stimme. Von den Soldaten wagte niemand zuerst auszusprechen, daß nichts anderes übrig bleibe, als möglichst feste Bedingungen zu erlangen; aber der Bischof, der alles ritterlichen Ehrgeizes bar war, sprach es laut aus. Vorher aber schickte man noch Herrn Wasilkowski zu dem General, um Nachrichten aus dem Schlosse einzuholen. Jener schrieb: – Nach meiner Ansicht hält sich das Schloß nicht bis zum Abend, aber hier denkt man anders. —

Nachdem sie diese Worte gelesen hatten, sagten auch die Soldaten:

»Wir haben getan, was in unserer Macht lag, niemand von uns hat sich geschont, aber was unmöglich ist, ist unmöglich – wir müssen um die Bedingungen verhandeln.« Diese Worte drangen in die Stadt und verursachten eine große Zusammenrottung; die Menge stand vor dem Rathaus, unruhig, stumm; sie war Unterhandlungen eher ab- als zugeneigt. Einige reiche armenische Kaufleute freuten sich im geheimen, daß die Belagerung ein Ende habe, daß der Handel wieder beginnen werde; andere Armenier aber, die seit uralten Zeiten in der Republik ansässig waren und sie sehr liebten, ferner die Lechen, die Ruthenen wollten die Verteidigung fortsetzen. – Wenn wir uns ergeben wollen, so hätten wir es lieber gleich getan – murrte man hier und da – da hätte sich viel gewinnen lassen; jetzt werden die Bedingungen keine günstigen sein, und so lassen wir uns lieber unter den Trümmern begraben.

Das Murren der Mißvergnügten wurde immer lauter, bis es sich plötzlich und unerwartet in Rufe der Begeisterung und in Vivats umwandelte.

Was war geschehen? Herr Michael war auf dem Markte in Begleitung des Herrn Humiezki erschienen. Der General hatte sie absichtlich hinausgeschickt, damit sie selbst Rechenschaft von den Vorgängen im Schlosse gäben. Die Menge ergriff eine feurige Begeisterung. Die einen schrieen, als seien die Türken schon in die Stadt gedrungen, anderen traten Tränen in die Augen bei dem Anblick des vergötterten Ritters, dem man die außerordentlichen Anstrengungen anmerkte. Sein Gesicht war vom Pulverdampf geschwärzt und abgemagert, seine Augen gerötet und eingefallen, aber er blickte heiter drein. Als Herr Michael und Humiezki endlich durch den Menschenandrang hindurchgekommen waren und in den Rat eintraten, begrüßte man sie auch hier freudig. Der Erzbischof aber begann sogleich:

»Geliebte Brüder! Nec Hercules contra plures! Der Herr General hat uns schon geschrieben, daß ihr euch ergeben müßt.«

Darauf antwortete Humiezki, der sehr lebhaften Temperaments und überdies von hervorragender Familie war und sich wenig um das Urteil der Menge kümmerte, heftig:

»Der Herr General hat den Kopf verloren; er besitzt nur die Tugend, daß er ihn preisgibt. Was die Verteidigung betrifft, so trete ich das Wort Herrn Michael Wolodyjowski ab, weil er das besser zu sagen weiß.«

Aller Augen richteten sich auf den kleinen Ritter.

»Bei Gott, wer spricht hier von Ergebung! Haben wir nicht dem lebendigen Gotte geschworen, daß wir einer über des anderen Leiche fallen wollen?«

»Wir haben geschworen, daß wir tun werden, was in unserer Macht steht, und wir haben alles getan,« antwortete der Bischof.

»Wer etwas versprochen hat, soll auch dafür einstehen. Ich und Ketling, wir haben geschworen, daß wir das Schloß bis in den Tod verteidigen werden, und wir werden es verteidigen; denn wenn ich die Pflicht habe, jedem Menschen mein Ritterwort zu halten, um wie viel eher Gott, der alle an Majestät überragt.«

»Nun, und wie steht's mit dem Schlosse? Wir haben gehört, daß unter dem Tore eine Mine liegt. Wie lange haltet Ihr's aus?« fragten zahlreiche Stimmen.

 

»Die Mine ist unter dem Tore oder sie wird bald dort sein; aber auch ein artiger Wall erhebt sich schon vor dem Tore, und ich habe auch Kanonen auffahren lassen. Geliebte Brüder, um des Himmels willen bedenkt, wenn wir uns ergeben, müssen wir die Kirchen in die Hände der Heiden liefern, die sie in Moscheen umwandeln werden, um Gräuel darin zu verüben. Wie könnt ihr so leichten Herzens von Ergebung sprechen? Mit welchem Gewissen wollt ihr dem Feind die Pforte zu dem Herzen des Vaterlandes öffnen? Seht, ich sitze im Schlosse und fürchte die Mine nicht, – und ihr fürchtet sie in der Stadt, fern von dort? Bei Gott, ergeben wir uns nicht, solange Leben in uns ist! Laßt die Erinnerung an diese Verteidigung fortleben unter unseren Nachkommen, wie die von Sbarasch in unserem Gedächtnis lebt.«

»Das Schloß werden die Türken in einen Trümmerhaufen verwandeln,« antwortete eine Stimme.

»Mögen sie es verwandeln – auch von einem Trümmerhaufen kann man sich verteidigen.« Hier verließ den kleinen Ritter die Geduld. »Ich werde mich auf diesem Trümmerhaufen verteidigen, so wahr mir Gott helfe! Und nun mein letztes Wort: Ich übergebe das Schloß nicht! Habt ihr's gehört?«

»Du willst die Stadt ins Verderben stürzen?« fragte der Bischof.

»Ehe sie den Türken in die Hände fällt, will ich sie lieber verderben – ich hab's geschworen. Ich will kein Wort mehr verlieren, und ich gehe zurück unter die Kanonen, denn die verteidigen die Republik, sie verkaufen sie nicht.«

Er sprach's und ging hinaus; Humiezki folgte ihm und warf die Türe gellend ins Schloß. Eilig gingen sie beide dahin, denn sie fühlten sich in der Tat wohler unter Trümmerhaufen, Leichen und Kugeln, als unter den kleingläubigen Menschen. Auf dem Wege hatte sie Makowiezki eingeholt.

»Michael,« sagte er, »sag' mir die Wahrheit: hast du vom Widerstand nur gesprochen, um den Leuten Mut zu machen, oder hoffst du dich wirklich im Schlosse halten zu können?«

Der kleine Ritter zuckte die Achseln.

»So wahr ich Gott liebe, wenn sie die Stadt nicht übergeben, – ich will mich ein Jahr lang verteidigen.«

»Warum schießt Ihr nicht? Das hat die Leute erschreckt und darum sprechen sie von Übergabe.«

»Wir schießen nicht, weil wir damit beschäftigt sind, Handgranaten unter den Feind zu werfen, die den Mineuren große Verluste bringen.«

»Hör' Michael, habt Ihr im Schlosse solche Verteidigungsmittel, daß Ihr auch hinter das Reußentor schießen könnt? Wenn nämlich, was Gott verhüte, die Türken den Damm durchbrechen, so gelangen sie ins Tor. Ich bewache es aus allen Kräften, aber mit Bürgern allein, ohne Soldaten, bring' ich's nicht fertig.«

Da versetzte der kleine Ritter:

»Gräme dich nicht, teurer Bruder, ich habe schon fünfzehn Kanonen nach dieser Seite gerichtet; auch um das Schloß seid beruhigt. Wir werden nicht bloß uns verteidigen, sondern, wenn nötig, auch Euch Hilfe an die Tore schicken.«

Als Makowiezki das hörte, freute er sich sehr und wollte schon davongehen, als der kleine Ritter ihn zurückhielt und noch fragte:

»Höre, du bist doch häufiger dort bei den Beratungen: wollen sie uns nur auf die Probe stellen, oder denken sie wirklich daran, Kamieniez in die Hände des Sultans zu liefern?«

Makowiezki senkte den Kopf.

»Michael,« sagte er, »so sage doch aufrichtig: muß es nicht so enden? Eine Zeitlang werden wir uns halten, eine Woche, zwei, einen Monat, zwei Monate, – aber das Ende wird stets dasselbe sein.«

Michael blickte ihn finster an; dann erhob er die Hände und rief aus:

»Brutus, auch du gegen mich? Ha, so werdet Ihr allein Eure Schmach tragen, für mich ist diese Bürde nicht.« Und sie schieden mit Groll im Herzen.

Die Mine unter dem Haupttor des alten Schlosses explodierte kurz nach Herrn Michaels Ankunft. Ziegelsteine flogen durch die Bresche, wie eine Schafherde durch die offene Tür in die Hürde flutet, wenn der Hirt und die Futterknaben ihnen mit Peitschen folgen. Ketling aber pfiff unter die Menge mit Kartätschen aus sechs Geschützen, die er vorher auf dem Walle in Bereitschaft gestellt hatte; er pfiff ein über das andere Mal und fegte den Hof rein. Michael, Humiezki, Myslischewski waren mit dem Fußvolk und den Dragonern herangeeilt und sie besetzten den Wall so dicht, wie Fliegen an heißen Sommertagen das Aas eines Rindes oder Pferdes besetzen. Es begann ein Kampf aus Musketen und Büchsen, die Kugeln fielen so dicht auf den Wall, wie Regen oder Getreidekörner, die der rüstige Bauer mit der Schaufel in die Höhe wirft. Die Türken wimmelten zwischen den Trümmern des neuen Schlosses; in jeder Vertiefung, hinter jedem Bruch, hinter jedem Stein, hinter jeder Trümmergrube saßen sie zu zweien, zu dreien, zu fünfen, zu zehnen und feuerten ohne Unterlaß. Von Chozim her strömten ihnen immer neue Hilfskräfte zu, Regiment auf Regiment kam heran, stürmte auf die Trümmer los und eröffnete sofort das Feuer. Das ganze neue Schloß war wie mit Turbanen gepflastert. Manchmal erhoben sich diese Massen von Turbanen plötzlich mit entsetzlichem Geschrei und stürmten gegen die Breschen; aber da ergriff Ketling das Wort, – der dröhnende Baß der Kanonen überdröhnte das Krachen der Feuergewehre, und Heere von Kartätschen flogen pfeifend und surrend durch die Luft unter die Menge, streckten sie zu Boden und füllten die Bresche mit Haufen von zuckenden Menschenkörpern. Viermal stürmten die Janitscharen vorwärts, viermal warf Ketling sie zurück und streute sie in alle Winde, wie der Sturm das Laub zerstreut. Er selbst stand mitten im Feuer, im Rauch, umherflatternden Erdschollen und platzenden Granaten da, dem Engel des Krieges vergleichbar. Seine Augen waren auf die Bresche geheftet, und auf seiner lichten Stirn sah man nicht die geringste Besorgnis. Bald entriß er einem Kanonier die Lunte und hielt sie an die Kanone, dann die Hand über die Augen, um nach dem Erfolg des Schusses zu spähen, und von Zeit zu Zeit wandte er sich lächelnd zu den polnischen Offizieren und sagte:

»Sie kommen nicht herein.«

Nie war die Wut eines Angriffes an einer solchen Furie der Verteidigung zerschellt. Offiziere und Soldaten wetteiferten; die Aufmerksamkeit dieser Menschen schien auf alles gerichtet, nur nicht auf den Tod. Der Tod aber streckte Mann auf Mann danieder, Humiezki Mokoschyzki, der Kommandant der Kijaner, fiel. Endlich griff auch der blonde Kaluschewski stöhnend an seine Brust, Michaels alter Freund, ein Soldat, mild wie ein Lämmchen und furchtbar wie ein Löwe. Michael fing den Fallenden auf, er aber sagte: »Gib mir die Hand, schnell, gib mir die Hand«; dann fügte er hinzu: »Gott sei Dank!« und sein Gesicht wurde so weiß wie sein Bart. Es war vor dem vierten Angriff. Eine Bande der Janitscharen war gerade durch die Bresche gelangt oder vielmehr, sie konnte wegen des dichten Kugelregens nicht wieder heraus. Michael sprang ihnen an der Spitze des Fußvolkes entgegen und schlug sie im Augenblick mit Kolben und Messer.

Stunde um Stunde verrann, das Feuer ließ nicht nach. Inzwischen gelangte in die Stadt das Gerücht von der heldenhaften Verteidigung und erregte Begeisterung und Kampfesmut. Die lechische Bürgerschaft, besonders die jugendliche, lief in der Stadt zusammen und feuerte einander an. Eilen wir denen im Schloß zu Hilfe! Kommt hin, lassen wir die Brüder nicht, vorwärts Burschen! – so tönte es über den Markt, an den Toren, und bald rückten einige hundert Leute, schlecht ausgerüstet, aber mit Mut im Herzen, nach der Brücke. Sofort richteten die Türken auf sie ein furchtbares Feuer, so daß sie mit Leichen wie übersät war, aber ein Teil drang hinüber und begann vom Wall aus mit frischem Mute den Kampf gegen die Türken.

Endlich wurde auch der vierte Angriff mit so schwerem Verlust für die Türken zurückgeschlagen, daß ein Augenblick der Erschöpfung einzutreten schien. Vergebliche Hoffnung! Das Geknatter der Janitscharenbüchsen hörte nicht auf; erst am späten Abend verstummten die Kanonen, und die Türken verließen die Trümmer des neuen Schlosses. Die übriggebliebenen Offiziere kamen nach der anderen Seite vom Schlosse herab; der kleine Ritter befahl ohne einen Augenblick Zeitverlust die Bresche zu verbauen; was nur irgend vorhanden war, sollte vorgeschüttet werden, Holz, Kloben, Faschinen, Schutt, Erde. Das Fußvolk, die Genossen, die Dragoner, die Linie, die Offiziere – alles arbeitete um die Wette ohne Unterschied des Ranges. Man erwartete, daß die türkischen Kanonen jeden Augenblick wieder aufblitzen würden; aber schließlich war dieser Tag ein Tag großen Sieges der Belagerten über die Belagerer, und darum strahlten alle Gesichter, glühten alle Herzen von Hoffnung und Lust nach ferneren Siegen.