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Der kleine Ritter

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Die Lipkische Herde machte vor dem Wäldchen Halt und verteilte sich in größeren und kleineren Haufen über das Feld. Jetzt stand Nowowiejski selber am Waldsaum und folgte allen Bewegungen der Hirten. Der Tag war schön, es war um die Zeit vor dem Mittag; die Sonne stand hoch und strahlte glühend auf den Boden herab. Die Pferde näherten sich dem Dickicht, und die Hirten kamen an den Wald heran; sie saßen ab und ließen ihre Pferde an der Schlinge grasen; sie selbst gingen Schatten und Kühlung suchend in den Wald hinein und nahmen unter einem größeren Strauche Platz.

Ein Wachtfeuer wurde angezündet, und als die trockenen Reiser Kohlen und Asche ablagerten, legten die Hirten ein halbes Füllen auf die Kohlen; sie selbst setzten sich ein wenig abseits von der Glut. Die einen streckten sich auf den Rasen, andere schwatzten, die Füße in türkischer Art untereinanderschlagend. Ein Pferdehüter blies auf einer Flöte. Im Dickicht herrschte vollkommene Stille, von Zeit zu Zeit schrie ein Habicht auf.

Der Duft des röstenden Fleisches kündigte endlich an, daß der Braten fertig sei, und so zogen zwei Mann ihn aus der Asche und schleppten ihn an das schattige Gebüsch. Dort setzten sie sich im Kreise herum, zerfetzten ihn mit ihren Messern und verschlangen mit tierischer Gefräßigkeit die halbrohen Streifen, deren Blut an ihren Fingern haften blieb und an ihren Bärten herabsickerte. Nachdem sie dann saure Stutenmilch aus Lederbechern getrunken hatten, fühlten sie sich gesättigt; sie plauderten noch eine kurze Weile, dann wurden ihnen Kopf und Glieder schwer. Der Mittag kam und mit ihm eine furchtbare Glut. Der Boden des Waldes schillerte bunt in lichten, zitternden Fleckchen, welche die Sonnenstrahlen bildeten, die durch das dichte Laub fielen. Die Natur war verstummt, selbst die Habichte hatten aufgehört zu schreien.

Einige von den Lipkern erhoben sich und schlichen träge dem Waldsaum zu, um nach den Pferden zu schauen; die anderen lagen hingestreckt wie Leichen, und bald hatte sie die Müdigkeit übermannt. Aber der Schlaf nach dem Fraß mußte schwer und erregend sein, denn bald hörte man es tief aufseufzen, bald sah man einen und den anderen die Augen öffnen und wiederholen: Allah Bismillah!

Plötzlich ließ sich vom Waldsaum her ein leises, aber entsetzliches Echo vernehmen, wie das kurze Röcheln eines erwürgten Menschen, der nicht mehr Zeit gehabt hatte aufzuschreien. Waren die Ohren der Pferdehüter so wachsam oder warnte sie eine Art tierischer Instinkt vor der Gefahr, oder schwebte endlich der Tod über ihnen in eisigem Wehen, – sie sprangen alle in einem Augenblick aus dem Schlummer auf.

»Was ist das, – wo sind die von den Pferden?« fragte einer den anderen.

Da sagte eine Stimme, die von den Kirschbäumen herkam:

»Die kehren nicht mehr wieder.«

In demselben Augenblick stürzten hundertfünfzig Mann über die Pferdehirten, die vor Entsetzen so starr waren, daß sie keinen Laut von sich geben konnten. Kaum, daß der eine oder der andere nach dem Handschar griff; der Kreis der Angreifer umzingelte sie, das Gebüsch erbebte von dem Andrang der menschlichen Körper, die in ungeordneten Haufen sich hin und her wälzten; man hörte ein scharfes Pfeifen, ein Schnarchen, ein Stöhnen oder Röcheln, aber es dauerte nur einen Augenblick, dann ward alles wieder stumm.

»Wieviel sind am Leben?« fragte eine Stimme aus der Mitte der Angreifer.

»Fünf, Herr Kommandant.«

»Die Körper untersuchen, damit sich keiner noch lebend verberge, und jedem zur Vorsicht mit dem Messer über die Gurgel fahren. Die Gefangenen zum Wachtfeuer!«

Der Befehl wurde sofort ausgeführt, die Leichen wurden am Boden mit ihren eigenen Dolchmessern festgenagelt. Den Gefangenen band man Stöcke an die Füße und legte sie um das Wachtfeuer herum; Luschnia schürte dasselbe, so daß die unter der Asche verborgenen Kohlen an die Oberfläche kamen. Die Gefangenen sahen auf diese Vorbereitungen und auf Luschnia mit stieren Blicken. Es waren unter ihnen drei Lipker aus Chreptiow, und diese kannten den Wachtmeister sehr gut. Auch er erkannte sie und sagte: Nun, Kameraden, nun sollt ihr pfeifen lernen; auf gebratenen Sohlen werdet ihr in das Jenseits einziehen. Aus alter Freundschaft will ich die Kohlen nicht sparen. Bei diesen Worten warf er trockene Reiser in das Feuer, das bald lichterloh brannte.

Aber Nowowiejski kam heran und begann sie auszuforschen. Die Aussage der Gefangenen bestätigte, was der junge Hauptmann zum Teil erraten hatte. Die Lipker und Tscheremissen waren in der Vorhut der Horde und aller Heere des Sultans. Ihr Führer war Asya, Tuhaj-Beys Sohn, dessen Kommando sie alle unterstanden. Sie marschierten wegen der großen Hitze, wie das ganze Heer, in der Nacht; am Tage führten sie ihre Herden auf die Weide. Sie übten keine Vorsicht, weil niemand vermutete, daß irgend ein Heer sie überfallen könne und in der Nähe des Dniestr, geschweige denn am Pruth in unmittelbarer Nähe, sich verborgen halte. Sie marschierten sorglos mit Herden und Kamelen, welche die Zelte der Oberen trugen. Das Zelt des Mirzen Asya sei leicht zu erkennen, an seiner Spitze sei ein Roßschweif befestigt, und die Häscher pflanzten während der Rastzeit Fahnen auf. Das Lipkische Regiment sei eine kleine Meile zurück, es zähle zwanzig Köpfe, aber ein Teil der Leute sei bei der Horde von Bialogrod zurückgeblieben, die wiederum auf eine Meile Entfernung von der Lipkischen Schar heranziehe.

Nowowiejski fragte sie noch nach dem Wege aus, welcher am leichtesten zu dem Regiment führe, ferner wie die Zelte aufgestellt seien, und endlich begann er nach dem zu forschen, was ihm am meisten nahe ging.

»Sind Frauen im Zelte?« fragte er.

Die Lipker zitterten für ihr Leben. Diejenigen von ihnen, die einst in Chreptiow gedient hatten, wußten sehr wohl, daß Nowowiejski der Bruder der einen dieser Frauen und der Verlobte der anderen sei. Sie begriffen also auch, welche Wut ihn erfassen mußte, wenn er die ganze Wahrheit erführe. Diese Wut konnte sich zunächst gegen sie richten: sie zögerten also erst, aber Luschnia sagte:

»Herr Kommandant, heizen wir diesen Hunden die Sohlen, so werden sie schon sprechen.«

»Rücke ihnen die Füße ins Feuer,« sagte Nowowiejski.

»Erbarmen!« rief Eliasewitsch, ein alter Lipker aus Chreptiow. »Ich will Euch alles sagen, was meine Augen gesehen haben.«

Luschnia sah den Kommandanten fragend an, ob er trotz dieses Versprechens seine Drohung ausführen solle; aber dieser winkte mit der Hand und sagte zu Eliasewitsch:

»Sprich, was hast du gesehen?«

»Wir sind unschuldig, Herr,« antwortete Eliasewitsch, »wir gingen auf Kommando. Unser Mirza hat Ew. Liebden Schwester Herrn Adurowitsch geschenkt, der sie bei sich im Zelte hatte; ich habe sie auf dem Kantschukarischen Felde gesehen, wie sie mit dem Eimer nach Wasser ging, und ich half ihr tragen, denn sie war schwanger …«

»Wehe!« flüsterte Nowowiejski.

»Das andere Fräulein hat unser Mirza selbst im Zelte gehabt; wir haben sie nicht so oft gesehen, wir haben sie aber manchmal schreien hören, denn der Mirza schlug sie, wenn er sie auch zur Wollust bei sich hatte, täglich mit dem Ochsenziemer und stieß sie mit den Füßen …«

Nowowiejskis Lippe bebte, Eliasewitsch hörte kaum seine Frage:

»Wo sind sie jetzt,«

»Nach Stambul verkauft.«

»An wen?«

»Das weiß der Mirza selbst gewiß nicht. Es kam der Befehl vom Padischah, daß im Lager keine Frauen gehalten werden sollten; da verkauften sie alle in die Bazare, und der Mirza verkaufte auch.«

Die Nachforschungen waren beendet, und um das Feuer herum herrschte Stille. Von Zeit zu Zeit nur erhob sich ein warmer Südwind und spielte mit den Kirschzweigen, die immer lauter rauschten. Die Luft wurde drückend, am Horizont zeigten sich Wolken, die in der Mitte dunkel waren und an den Rändern kupferfarben glänzten. Nowowiejski entfernte sich vom Feuer und ging wie ein Irrsinniger, ohne zu wissen wohin. Endlich warf er sich mit dem Gesicht auf die Erde und begann den Boden mit den Nägeln zu kratzen, dann biß er sich in die Hände und röchelte, als liege er im Todeskampf. Ein Krampf schüttelte seinen Riesenkörper, und so lag er stundenlang. Die Dragoner sahen ihm aus der Ferne zu, aber selbst Luschnia wagte nicht, sich zu nähern.

Der furchtbare Wachtmeister aber sagte sich, der Kommandant werde nicht zürnen, wenn er die Lipker nicht verschone; er steckte ihnen bloß aus angeborener Grausamkeit Rasen in den Mund, um ihr Schreien zu verhüten, und schlachtete sie ab wie Rinder. Nur den einen, Eliasewitsch, verschonte er, weil er glaubte, er werde ihnen als Führer notwendig sein. Als er mit der blutigen Arbeit fertig war, zog er die noch zitternden Körper vom Feuer fort und legte sie der Reihe nach hin; dann ging er, um nach dem Kommandanten zu sehen.

»Und wenn er wahnsinnig geworden wäre,« brummte er vor sich hin, »wir müssen doch den da bekommen.«

Die Mittagsstunde ging vorüber, der Nachmittag ebenfalls – der Tag neigte sich dem Ende zu. Jene anfänglich kleinen Wolken nahmen das ganze Firmament ein, sie wurden immer dichter und dunkler, ohne den kupferfarbenen Glanz an den Säumen zu verlieren. Sie bewegten sich schwerfällig wie Mühlsteine um ihre eigene Achse; bald gingen sie ineinander über, bald stießen sie eine die andere und kamen in dichten Haufen immer tiefer zur Erde herab. Der Wind fuhr von Zeit zu Zeit mit einem mächtigen Stoße vorüber, wie der Flügelschlag eines Raubvogels, und beugte die Kirschbäume und Hundsbeerensträucher zu Boden, wirbelte eine Staubwolke von Blättern auf und warf sie rasend umher; bald hielt er wieder ein, als sei er in die Erde versunken. In diesem Augenblicke der Stille hörte man in den geballten Wolken ein unheilverkündendes Zischen, Pfeifen und Rauschen. Es war, als sammelten sich die Heerscharen des Donners, als stellten sie sich in einer Schlachtreihe auf, als wollten sie mit dumpfem Knurren ihre eigene Wut und Raserei anstacheln, ehe sie ausbrachen und gegen den verzagten Erdball ihre Keile schleuderten.

 

»Ein Sturm naht,« flüsterten sich die Dragoner einander zu.

Der Sturm kam, es wurde immer dunkler. Da erhob sich im Osten, von der Dniestrseite her, ein Donner und fuhr mit furchtbarem Getöse über den Himmel weithin gegen den Pruth; dort verstummte er eine Weile, aber bald erhob er sich wieder, dröhnte über die Steppen des Budschiak und verbreitete sich endlich über den ganzen Horizont. Die ersten großen Regentropfen fielen auf den versengten Rasen.

In diesem Augenblick erschien Nowowiejski vor den Dragonern.

»Aufs Pferd!« schrie er mit Donnerstimme.

Kurz darauf rückte er an der Spitze von hundertfünfzig Reitern ab; am Ende des Wäldchens verband er sich mit der anderen Hälfte seiner Leute, welche bei der Herde darauf geachtet hatten, daß keiner der Pferdehirten sich zum Lager stehle. Die Dragoner umritten in einem Augenblick die Herde, indem sie den wilden, den tatarischen Hirten eigenen Schrei ausstießen, und stürmten vorwärts, die aufgeschreckten Pferde vor sich herjagend.

Der Wachtmeister führte Eliasewitsch an der Schlinge und schrie ihm ins Ohr, so laut, daß er das Getöse des Donners übertönte:

»Führe uns, Hundeblut, den ganzen Weg, sonst stoße ich dir das Messer in die Kehle.«

Inzwischen hatten sich die Wolken so tief gesenkt, daß sie fast die Erde berührten. Plötzlich brach es hervor wie Glut aus dem Ofen, und ein entsetzlicher Orkan erhob sich. Blendende Helligkeit zerriß das Dunkel, der Donner krachte, in der Luft verbreitete sich ein Schwefelgeruch. Wieder herrschte Dunkelheit. Entsetzen erfaßte die Pferde; von hinten her durch die wilden Ausrufe der Dragoner aufgescheucht, trieben sie mit offenen Nüstern und fliegender Mähne dahin, ohne die Erde im Laufe zu berühren; der Donner ruhte nicht einen Augenblick, der Wind heulte, und die Reiter jagten rasend dahin in diesem Sturm, in dieser Finsternis, in diesem drohenden Gepolter, von dem die Erde zu bersten schien, getrieben von der Rache, und glichen in dieser öden Steppe dem entsetzlichen Reigen der Vampire oder bösen Geistern.

Der Raum schwand vor ihnen hin, sie brauchten keinen Führer, denn die Herde lief schnurstracks in das Lager der Lipker, das immer näher und näher kam. Noch ehe sie es erreichten, war der Sturm so entfesselt, als wäre Himmel und Erde in Raserei. Der ganze Horizont stand in Feuer. Bei dem Glanze dieser Helligkeit erblickten sie schon aus der Ferne die Zelte in der Steppe. Die Welt bebte vom Donnergepolter. Es schien, als müßten die Wolkenballen jeden Augenblick bersten und über der Erde zusammenstürzen; alle Schleusen des Himmels öffneten sich, und der Regen ergoß sich in Strömen über die Steppe. Eine Meereswoge hüllte die Welt ein, so daß man auf wenig Schritte Entfernung nichts sehen konnte; von der glühenden, versengten Erde erhob sich dichter Dunst.

Einen Augenblick noch, und die Herde und die Dragoner sind im Lager. Aber unmittelbar vor dem Zelte stoben die Pferde in wilder Scheu nach beiden Seiten auseinander. Dreihundert Menschen entrang sich ein furchtbarer Schrei, dreihundert Schwerter erglänzten im Feuerschein der Blitze, und die Dragoner stürzten in die Zelte.

Die Lipker hatten vor dem Ausbruch des Regens beim Schein der Blitze die heranreitende Herde wahrgenommen, aber niemand hatte vermutet, welch furchtbare Hirten sie vor sich hertrieben. Verwunderung und Unruhe ergriff sie darüber, daß die Pferde in gerade Linie auf die Zelte zueilten; sie begannen zu schreien, um die Pferde zu erschrecken. Asya selbst schob den Linnen-Vorhang zur Seite und trat trotz des Regens drohenden Antlitzes hinaus. Aber gerade in diesem Augenblick war die Herde auseinandergestoben, und unter den Strömen des Regens und den Ausdünstungen des Bodens tauchten dunkle, entsetzliche Gestalten in weit größerer Anzahl als die Pferdehirten auf, und ein dröhnender Schrei erklang:

»Schlagt, mordet!«

Es war keine Zeit zu verlieren, ja, es war weder Zeit dazu, nachzudenken, was geschehen war, noch zum Erschrecken. Ein Orkan von Menschen, schrecklicher und wütender als der Sturm, fuhr über das Lager her; ehe Tuhaj-Beys Sohn vermochte, mit einem Schritt in das Zelt zurückzutreten – man hätte glauben können, eine übermenschliche Kraft habe ihn vom Boden erhoben – empfand er plötzlich, daß ihn zwei eiserne Arme umklammert hielten, daß sich seine Knochen unter dieser Umarmung bogen, daß seine Rippen brachen. Einen Augenblick sah er im Nebelscheine ein Gesicht, das furchtbarer als das Antlitz des Teufels anzuschauen war, und ihn verließ das Bewußtsein.

Unterdessen hatte die Schlacht, oder richtiger ein blutiges Schlachten begonnen. Der Sturm, die Dunkelheit, die unbekannte Zahl der Angreifer, die Plötzlichkeit des Überfalles, das Auseinanderstieben der Pferde hatten verursacht, daß sich die Lipker fast gar nicht wehrten; es hatte sie geradezu eine Raserei der Angst ergriffen; niemand wußte, wohin er entfliehen, niemand, womit er sich schützen solle. Viele hatten gar keine Waffen bei sich, viele hatte der Überfall im Schlafe überrascht, und so drängten sie sich betäubt, irre vor Entsetzen, in dichten Haufen zusammen, wälzten sich fort, indem sie einander zu Boden warfen und mit Füßen traten. Die Pferde drängten sie zusammen und warfen sie mit der Brust zu Boden, die Säbel hieben auf sie ein, die Hufe traten sie in den Staub. Der Sturm bricht und verwüstet die junge Waldanpflanzung nicht in gleicher Weise, die Wölfe wüten nicht so in der Herde aufgescheuchter Schafe, wie die Dragoner die Lipker niedertraten und niederhieben. Verwirrung von der einen Seite, Wut und Rachedurst von der anderen machten das Maß der Niederlage voll. Ströme Blutes vermischten sich mit dem Regen; den Lipkern war, als stürze der Himmel über sie ein, als tue sich die Erde zu ihren Füßen auf. Das Krachen der Donner, das Leuchten der Blitze, das Rauschen des Regens, die Finsternis, das Entsetzen des Sturmes begleiteten das furchtbare Echo der Metzelei. Die Pferde der Dragoner, gleichfalls von Schrecken erfaßt, stürzten sich wie wahnsinnig in das Menschengewühl und mähten die Feinde nieder. Endlich begannen kleinere Haufen zu entweichen, aber sie hatten in so hohem Grade die Kenntnis des Ortes verloren, daß sie im Kreise auf das Schlachtfeld wieder zurückritten, anstatt geradeaus zu fliehen, – sie prallten oft aufeinander, wie zwei entgegengesetzte Wogen, rieben sich gegenseitig auf und kamen unter das eigene Schwert. Endlich hatte man die Reste völlig zerstreut, nach allen Seiten gejagt, auf der Flucht während der Verfolgung ohne Gnade niedergemacht, und auch nicht einen lebendig eingefangen, bis endlich die Trompeten im Lager die Verfolger zurückriefen.

Nie war ein Überfall unerwarteter, nie eine Niederlage furchtbarer. Dreihundert Mann hatten nahezu zweitausend trefflicher Krieger der Reiterei, die unendlich die gewöhnlichen Tatarenscharen an Gewandtheit übertrafen, in alle vier Winde zerstreut. Der größere Teil lag hingestreckt inmitten der roten Pfützen, die der Regen, vermischt mit dem Blute, bildete; der Rest hatte zerstreut Schutz gefunden, dank der Dunkelheit, und war zu Fuß geflohen, blindlings, ohne zu wissen, ob er nicht wieder dem feindlichen Schwerte begegne. Den Siegern hatte der Sturm und der Nebel geholfen, als ob der Zorn Gottes auf ihrer Seite gekämpft hätte gegen den Verräter.

Schon war die Nacht hereingebrochen, als Nowowiejski an der Spitze der Dragoner zu den Grenzen der Republik zurückritt. Zwischen dem jungen Hauptmann und dem Wachtmeister Luschnia ging ein Tatarenpferd, auf dessen Rücken, mit Stricken gebunden, bewußtlos und mit gebrochenen Rippen, aber lebendig, der Führer aller Lipker, Asya, Tuhaj-Beys Sohn, lag.

Sie blickten unverwandt nach ihm, als ob sie einen Schatz mit sich führten, den sie zu verlieren fürchteten.

Der Sturm ging allmählich vorüber, am Himmel eilten in schnellem Zuge noch die Wolken dahin, aber zwischen ihnen begannen die Sterne zu schimmern, und sie spiegelten sich in den Teichen, die der Wolkenbruch in den Steppen gebildet hatte.

In der Ferne, dort, wo die Grenzen der Republik waren, grollte noch von Zeit zu Zeit der Donner.

Die Lipkischen Flüchtlinge brachten die Kunde von der Niederlage zur Horde von Bialogrod, und hier vermittelten Boten sie nach Orduihamajun, an das kaiserliche Lager, wo sie einen außerordentlichen Eindruck machte.

Nowowiejski hätte eigentlich nicht gar so schnell mit seiner Beute nach der Republik zu eilen brauchen, denn nicht nur im ersten Augenblick, sondern auch die folgenden Tage setzte ihm niemand nach. Der Sultan war so bestürzt, daß er nicht wußte, was er beginnen sollte; er schickte zunächst Scharen von der Bialogroder und Dobrudscha-Horde aus, um festzustellen, welche Heere in der Umgegend seien. Sie gingen ungern, denn sie waren um die eigene Haut besorgt. Diejenigen der Bewohner des inneren Asiens oder Afrikas, die nie einen Feldzug gegen Lechistan mitgemacht hatten, und die aus Erzählungen von der furchtbaren Reiterei der Ungläubigen gehört hatten, erfaßte ein Schrecken bei dem Gedanken, daß sie sich schon angesichts dieses Feindes befänden, der nicht im eigenen Lande auf sie wartete, sondern sie sogar im Reiche des Padischahs aufsuchte. Der Großvezier selbst und die »zukünftige Sonne des Krieges«, der Kaimakam Kara-Mustapha, wußten auch nicht, was sie von dem Überfall denken sollten. Wie konnte diese Republik, von deren Ohnmacht sie so genaue und zuverlässige Mitteilungen hatten, als Angreiferin auftreten? Das konnte kein türkischer Kopf erraten; kurz, der Anmarsch schien ihnen von jetzt ab schon weniger sicher, schon weniger einem leichten Triumphzug ähnlich. Der Sultan empfing im Kriegsrat den Vezier und den Kaimakam mit drohendem Antlitz.

»Ihr habt mich getäuscht,« sagte er, »die Lechen können nicht so schwach sein, wenn sie uns hier in unserem eigenen Lande aufsuchen. Ihr waret der Meinung, daß Sobieski Kamieniez nicht verteidigen werde, und nun steht er uns wohl gar mit einem ganzen Heere gegenüber …«

Der Vezier und der Kaimakam bemühten sich, dem Herrn zu erklären, daß es irgend eine lose Räuberbande gewesen sein könne; aber angesichts der vorgefundenen Musketen und Gerätschaften, unter welchen sich auch Dragonerkoller befanden, glaubten sie selbst nicht daran. Der über alle Maßen kühne und siegreiche Zug, den Sobieski jüngst in der Ukraine unternommen hatte, ließ vermuten, daß der drohende Feldherr auch jetzt darauf ausging, den Feind zu überraschen.

»Er hat kein Heer,« sagte nach Beendigung des Kriegsrats der Großvezier zu dem Kaimakam, »aber es wohnt ein Löwe in ihm, der keine Furcht kennt. Wenn er nur einige Zehntausend bei sich hat und zur Stelle ist, so werden wir nur im Blute watend nach Chozim vordringen.«

»Ich würde mich gern mit ihm messen,« sagte der junge Kara-Mustapha.

»Daß Gott dann das Unheil von dir wende!« gab der Großvezier zurück.

Bald aber hatten sich die Scharen von Bialogrod und der Dobrudscha überzeugt, daß nicht nur keine größeren Trupps in der Nähe waren, sondern daß überhaupt kein Heer hier lag. Man hatte aber die Spuren einer Abteilung entdeckt, die ungefähr dreihundert Pferde zählen mochte, und die eilig nach dem Dniestr geritten war. Die Tataren, welchen das Schicksal der Lipker in der Erinnerung stand, folgten ihnen nicht, aus Furcht vor einem Hinterhalt; der Überfall der Lipker blieb etwas Erstaunliches und Unerklärliches, aber allmählich war die Ruhe in Orduihamajun wieder eingekehrt – und die Heerscharen des Padischahs begannen wieder ihren Vormarsch wie eine große Flut.

Inzwischen war Nowowiejski glücklich mit seiner lebendigen Beute nach Raschkow zurückgekehrt. Er war erst schnell geritten, aber die erfahrenen Streifzügler erkannten schon am zweiten Tage, daß sie nicht verfolgt wurden, und ritten also trotz der Eile so, daß sie ihre Pferde nicht allzusehr ermüdeten. Asya ritt stets zwischen Nowowiejski und Luschnia, mit Stricken an den Rücken des Pferdes festgebunden. Da ihm zwei Rippen gebrochen und seine Kräfte sehr geschwächt waren, da ferner die Wunde, die ihm Bärbchen im Gesicht beigebracht, sich während des Ringens mit Nowowiejski und infolge des Rittes mit herabhängendem Kopfe wieder geöffnet und verschlimmert hatte, bemühte sich der furchtbare Wachtmeister um ihn, damit er vor der Ankunft in Raschkow nicht sterbe und die Rache vereitle. Der junge Tatar wollte aber sterben, denn er wußte, was seiner harrte. Endlich beschloß er, sich durch Hunger den Tod zu geben, und wollte keinerlei Nahrung zu sich nehmen; Luschnia aber riß ihm die zusammengebissenen Zähne mit dem Dolch auseinander und flößte ihm mit Gewalt Branntwein und moldauischen Wein ein, in den er geriebenen Zwieback aufgelöst hatte. An den Raststellen übergoß er ihm das Gesicht mit Wasser, damit die Wunden in Aug' und Nase, in die sich während des Rittes Fliegen und Bremsen festsetzten, nicht in Eiterung übergingen und dem unglücklichen Kriegsmann zu früh den Tod gäben. Nowowiejski sprach auf dem Wege kein Wort zu ihm. Einmal nur, gleich bei Beginn des Rückzuges, als Asya um den Preis seiner Freiheit und seines Lebens versprach, Sophie und Evchen zurückzugeben, rief ihm der Hauptmann zu: »Du lügst, Hund! Du hast beide nach Stambul verkauft an einen Händler, der sie im Bazar losschlagen will.«

 

Man stellte Asya Eliasewitsch gegenüber, der in aller Gegenwart wiederholte:

»So ist's, Effendi, du hast sie verkauft; du weißt selbst nicht an wen, und Adurowitsch hat die Schwester des Herrn verkauft, obwohl sie schon schwanger von ihm war.«

Bei diesen Worten schien es Asya einen Augenblick, als werde Nowowiejski ihn auf der Stelle mit seinen entsetzlichen Händen in Stücke reißen; darum beschloß er später, als er schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, den jungen Riesen dahin zu bringen, daß er ihn im Zorn töte, um den ihm bevorstehenden Qualen zu entgehen. Da Nowowiejski aber beständig neben ihm ritt, um ihn nicht einen Moment aus den Augen zu verlieren, begann er sich zu brüsten und schamlos zu prahlen mit dem, was er vollbracht. Er erzählte, wie er den alten Nowowiejski abgeschlachtet, wie er Sophie Boska bei sich im Zelte gehabt, wie er sich an ihrer Unschuld satt genossen, wie er endlich ihren Leib mit dem Ziemer geschlagen, und wie er sie mit Füßen gestoßen habe. Nowowiejski floß der Schweiß in großen Tropfen über das blasse Antlitz; er hörte zu und hatte nicht die Kraft, nicht den Willen, sich zu entfernen; er hörte gierig zu, seine Hände bebten, seinen Körper ergriff ein krampfhaftes Schütteln – aber er beherrschte sich und schlug ihn nicht tot.

Übrigens peinigte Asya, indem er den Feind peinigte, auch sich selbst, denn seine Erzählungen ließen ihm den Jammer der Gegenwart doppelt qualvoll erscheinen. Vor kurzem war er noch der Befehlende, lebte er in Wollust, war er Mirza, der Liebling des jungen Kaimakam – und nun ritt er, an den Rücken des Pferdes gefesselt, und bei lebendigem Leibe von den Fliegen zerfressen, einem entsetzlichen Tode entgegen. Am wohlsten war ihm jetzt, wenn er von dem Schmerz, den ihm die Wunden verursachten, und durch die Ermüdung das Bewußtsein verlor; und das geschah immer häufiger, so daß Luschnia zu fürchten anfing, er werde ihn nicht lebendig heimbringen. Aber sie ritten Tag und Nacht und ließen die Pferde nur so lange ruhen, als durchaus nötig war, und so kam Raschkow immer näher. Die zähe Tatarenseele wollte den zerstörten Körper nicht verlassen. Indessen fieberte Asya in den letzten Tagen beständig; von Zeit zu Zeit verfiel er in tiefen Schlaf. Bisweilen träumte ihm in diesem Fieber oder im Schlaf, er sei noch in Chreptiow, er solle mit Wolodyjowski gemeinsam in den großen Krieg ziehen; dann wieder, daß er Bärbchen nach Raschkow geleite, daß er sie entführt und in seinem Zelte habe. Oft durchlebte er in seinen Fieberträumen Schlachten und Metzeleien, bei welchen er als Hetman der polnischen Tataren unter dem Roßschweif Befehle erteilte. Aber bald kam das Erwachen, und mit ihm das Bewußtsein; dann öffnete er die Augen und sah in das Gesicht Nowowiejskis und Luschnias, sah die Helme der Dragoner, die nunmehr die Widdermützen der Pferdehirten weggeworfen hatten – und diese ganze Wirklichkeit, die so entsetzlich war, daß sie ihm wie ein Gespenst erschien. Bei jeder Bewegung des Pferdes durchzuckte ihn ein Schmerz; seine Wunden brannten immer heftiger, und wieder verlor er das Bewußtsein. Dann brachten sie ihn zu sich, aber er verfiel bald wieder in Fieber, vom Fieber in schweren Schlaf – um dann wieder zu erwachen.

Es gab Augenblicke, in welchen er nicht glauben mochte, daß er dieser unselige Asya sein solle, der Sohn Tuhaj-Beys, und daß sein Leben, so reich an unerhörten Ereignissen, die ihm eine große Bestimmung zu verheißen schienen, so schnell, so elendiglich enden sollte. Oft wieder ging es ihm durch den Kopf, daß er gleich nach Qual und Tod ins Paradies kommen werde; da er aber einst den Glauben Christi bekannt und lange unter Christen gelebt hatte, erfaßte ihn ein Schrecken bei dem Gedanken an Christus. Er dachte, daß er kein Erbarmen mit ihm haben werde; wäre aber der Prophet stärker als Christus, so würde er ihn nicht in Nowowiejskis Hände geliefert haben. Doch könnte der Prophet sich noch seiner erbarmen und die Seele zu sich nehmen, ehe sie ihn zu Tode peinigten.

Inzwischen waren sie ganz in die Nähe von Raschkow gekommen; sie betraten das felsige Land, das die Nähe des Dniestr ankündigte. Asya war gegen Abend in einen fiebernden Zustand bei halbem Bewußtsein verfallen, in dem sich Phantasie und Wirklichkeit vermischten. Es war ihm, als seien sie am Ziel, als machten sie Halt, als hörte er, wie sie zu einander sagten: »Raschkow, Raschkow!« Dann wieder hörte er dumpf den Widerhall von Äxten, die Bäume fällten.

Plötzlich fühlte er, daß man ihm den Kopf mit kaltem Wasser spüle, dann goß man ihm lange, sehr lange, Branntwein in den Mund. Er kam zu vollem Bewußtsein. Über ihm breitete sich die sternenhelle Nacht aus, um ihn schimmerten zahlreiche Fackeln. An sein Ohr schlugen die Worte:

»Bei Bewußtsein?«

»Bei Bewußtsein; er sieht klar …«

In diesem Augenblick bemerkte er über sich Luschnias Gesicht.

»Nun, Brüderchen,« sagte der Wachtmeister mit ruhiger Stimme, »deine Zeit ist gekommen.«

Asya lag auf dem Rücken und atmete regelmäßig, denn seine Arme waren zu beiden Seiten des Kopfes ausgestreckt, so daß seine mächtige Brust freieren Spielraum hatte, als da er auf den Rücken des Pferdes gebunden war. Die Hände konnte er nicht bewegen, sie waren hinter seinem Haupte an einen mit beteertem Stroh umwundenen Baumstamm gebunden, auf dem er selbst ausgestreckt lag. Asya begriff sofort, weshalb dies geschehen war, und bemerkte zugleich noch andere Vorbereitungen, die ihm verkündeten, daß seine Qualen lang und furchtbar sein würden. Von der Mitte seines Körpers bis zu den Füßen war er entkleidet, und da er ein wenig seinen Kopf aufrichtete, nahm er zwischen seinen Knieen eine frisch bearbeitete Pfahlspitze wahr; das stärkere Ende dieses Pfahles war gegen den Baumstamm gestützt. An jeden seiner Füße war ein Strick mit einem Wagholz befestigt, und vor jedes Wagholz war ein Pferd gespannt. Asya sah beim Scheine der Fackeln nur den Hinterteil der Pferde und die beiden Männer an ihrer Seite, die sie offenbar am Halfter hielten. Der unglückselige Recke erfaßte mit einem Blick all' die Vorbereitungen, dann schaute er, Gott weiß warum, gen Himmel und erblickte über sich die Sterne und die glänzende Sichel des Mondes.

– Sie werden mich pfählen – dachte er.

Er biß die Zähne so kräftig zusammen, daß ein Krampf seine Kinnladen erfaßte. Schweiß trat auf seine Stirn, und zugleich fühlte er eine eisige Kälte im Kopf, denn alles Blut war daraus gewichen. Dann war es ihm, als entzöge sich ihm der Halt unter dem Rücken, als sinke sein Körper endlos in eine unergründliche Tiefe. Einen Augenblick verließ ihn das Bewußtsein von Zeit und Raum und allem, was um ihn her vorging; der Wachtmeister sperrte wieder seine Zähne mit dem Dolch auseinander und goß ihm Branntwein in den Schlund.

Asya hustete und spie die brennende Flüssigkeit aus; aber zum Teil mußte er sie verschlucken. Da verfiel er in einen seltsamen Zustand: er war nicht betrunken, im Gegenteil, nie war sein Unterscheidungsvermögen klarer, sein Denken geschärfter; er sah, was um ihn her vorging, er begriff alles, und es erfaßte ihn eine unwiderstehliche Erregung, eine qualvolle Ungeduld, daß dies alles so lange währe und nicht in Tätigkeit treten wolle.