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Der kleine Ritter

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Sie verblieb bis an ihr Lebensende im Harem.

20. Kapitel

Noch ehe die Türken von Adrianopel ausgerückt waren, herrschte ein lebhaftes Treiben in allen Grenzwarten am Dniestr; besonders nach Chreptiow, das Kamieniez am nächsten lag, kamen häufig Berittene vom Hetman und brachten allerlei Befehle, die der kleine Ritter entweder selbst ausführte oder, wenn sie ihn nicht betrafen, durch zuverlässige Leute vermitteln ließ. Die Folge war, daß die Besatzung von Chreptiow sich stark verminderte; Motowidlo zog mit den Seinen bis nach Human, Hanenko zu Hilfe, der mit einer Handvoll Kosaken, die der Republik treu geblieben waren, Doroschenko und der mit ihm verbündeten krimschen Horde trotzte, so gut es ging. Muschalski, der unvergleichliche Bogenschütze, Snitko, Nienaschyniez und Hromyka führten die genossenschaftliche Fahne und die Linkhausenschen Dragoner nach Batoh unseligen Angedenkens, wo Luschezki stand, der in Gemeinschaft mit Hanenko Doroschenkos Bewegungen beobachten sollte. Bogusch erhielt den Befehl, so lange in Mohylow auszuhalten, bis er mit bloßem Auge die herannahenden Tatarenscharen erblicke; auch den berühmten Ruschtschyz suchten die Befehle des Hetmans auf, ihn, der nur von Michael Wolodyjowski im Scharmützel übertroffen wurde. Aber Ruschtschyz war an der Spitze von hundert Mann in die Steppe gezogen und spurlos verschwunden. Erst später hörte man von ihm; es verbreiteten sich seltsame Gerüchte, daß um Doroschs Wagenburg und die Horde ein böser Geist kreise, der täglich einzelne Krieger und kleinere Banden wegraffe. Man vermutete, es sei Ruschtschyz, der den Feind überliste, denn kein anderer, mit Ausnahme des kleinen Ritters, hätte ihn so zu hintergehen vermocht. Wirklich war es auch so.

Herr Michael sollte, wie schon früher bestimmt war, nach Kamieniez gehen, denn dort brauchte ihn der Hetman, der wohl wußte, er gehöre zu denjenigen Kriegern, deren Anblick Mut in die Herzen goß und die Begeisterung der Einwohner wie der Besatzung mit sich riß. Der Hetman war überzeugt, daß Kamieniez sich nicht halten werde, aber es war ihm darum zu tun, es solange wie möglich zu verteidigen, so lange besonders, bis die Republik Kräfte zu seinem Entsatz gesammelt hatte. In dieser Überzeugung schickte er den berühmtesten Ritter der Republik und zugleich den beliebtesten Krieger in den sicheren Tod. In den Tod schickte er den bewährtesten Krieger, und es tat ihm nicht wehe. Der Hetman dachte immer so, wie er später in Wien sagte, daß die Kriegsgöttin wohl Männer gebären, der Krieg aber sie nur töten könne. Er selbst war bereit zu sterben und hielt die Todesbereitschaft für die einfachste Pflicht des Kriegers. Wenn er durch den Tod einen großen Dienst leisten kann, so ist dieser Tod eine Gunst und ein besonderer Lohn. Der Hetman wußte auch, daß der kleine Ritter ebenso denke wie er selber.

Zudem war es nicht an der Zeit, an die Schonung des einzelnen zu denken, da die Gefahr Kirchen, Städte, Länder, die ganze Republik bedrohte, und der Osten sich mit nie erlebter Machtentfaltung gegen Europa erhob, um die ganze Christenheit zu unterwerfen, die, gedeckt von der Brust der Republik, nicht daran dachte, ihr zu Hilfe zu eilen. Darum wollte der Hetman, daß erst Kamieniez die Republik schütze, und diese dann den Rest der Christenheit.

Das hätte auch geschehen können, wenn sie Kraft gehabt, wenn nicht die Mißwirtschaft sie zerfressen hätte. Der Hetman besaß nicht einmal genügende Streitkräfte zur Vorpostenaussendung, geschweige denn zu einem Kriege. Hatte er eine Anzahl Soldaten an einen Ort geworfen, so entstand alsbald an einem anderen eine Bresche, durch welche der Strom der Übermacht sich ohne Behinderung ergießen konnte. Die Wachen, welche der Sultan zur Nachtzeit in seinem Lager aufstellte, waren zahlreicher als die Fahnen des Hetmans; die Flut kam von zwei Seiten; vom Dniestr und von der Donau, und da Dorosch mit der ganzen krimschen Horde näher war, die schon das Land sengend und mordend überflutete, so zogen die Hauptfahnen gegen ihn; für die andere Richtung fehlte es an Mannschaften selbst zur Auskundschaftung.

In dieser schweren Bedrängnis schrieb der Hetman an Herrn Wolodyjowski folgende wenige Zeilen:

»Ich habe es schon hin und her erwogen, ob ich Dich nicht von Raschkow aus dem Feind entgegenschicken soll; aber ich fürchte, wenn die Horde in sieben Armeen sich vom Moldauischen Ufer her ergießt und das Land überströmt, so wird es Dir nicht gelingen, Dich nach Kamieniez durchzuschlagen, und dort bist Du durchaus nötig. Erst gestern fiel mir Nowowiejski ein; er ist ein erfahrener Soldat und ein entschlossener Mann, und da der Mensch in seiner Verzweiflung alles wagt, so hoffe ich, er wird mir gute Dienste leisten. Was Du an leichter Reiterei entbehren kannst, schicke ihm hin, er aber rücke soweit wie möglich vor, zeige sich überall, verbreite das Gerücht von unserem großen Heere, und wenn der Feind in Sicht ist, soll er ihm hier und da vorüberhuschen, ohne sich fassen zu lassen. Es ist bekannt, welchen Weg sie nehmen, wenn er aber etwas Neues bemerkt, soll er Dir sofort Mitteilung machen, und Du schickst die Nachricht unverzüglich zu mir und nach Kamieniez. Nowowiejski soll bald ausrücken, und auch Du halte Dich bereit, nach Kamieniez aufzubrechen; warte aber noch, bis von Nowowiejski die Mitteilungen von der Moldau kommen.«

Da Nowowiejski augenblicklich in Mohylow weilte, und da es hieß, er werde ohnehin nach Chreptiow kommen, ließ ihm der kleine Ritter nur melden, er solle seine Reise beschleunigen, da seiner in Chreptiow ein Auftrag von seiten des Hetmans harre.

Nowowiejski kam zwei Tage darauf. Seine Freunde erkannten ihn kaum und dachten, Bialoglowski habe ihn nicht mit Unrecht ein Gerippe genannt. Das war nicht mehr der prächtige Junge, der übergroße und heitere, der einst dem Feinde mit einem Lachen entgegenstürzen konnte, das dem Wiehern des Pferdes glich, und der mit einem Schwunge um sich hieb, als ob sich Windmühlenflügel bewegten. Er war hager, gelblich, düster geworden, und in dieser Hagerkeit erschien er noch riesenhafter; er blinzelte die Menschen an, als ob er seine besten Bekannten nicht wiedererkenne; man mußte ihm auch zwei-, dreimal dasselbe wiederholen, denn er schien nicht zu begreifen. In seinen Adern schien Gram statt Blut zu rinnen; offenbar bemühte er sich, an gewisse Dinge nicht zu denken, und zog vor, zu vergessen, um nicht wahnsinnig zu werden.

Zwar gab es in diesen Gegenden kaum einen Menschen, kaum eine Familie, kaum einen Offizier im Heere, den nicht ein Unglück von heidnischer Hand betroffen hätte, der nicht irgend einen seiner Bekannten, seiner Freunde, den eigenen Teuren beweinte; aber über Nowowiejski war geradezu ein Wolkenbruch von Unglück niedergegangen. An einem Tage hatte er den Vater, die Schwester, die Braut verloren, die er mit allen Fasern eines reichen Herzens liebte. Wäre doch die Schwester und das süße, geliebte Mädchen lieber gestorben, wäre sie lieber vom Schwerte oder von der Flamme vernichtet! Aber ihr Schicksal war ein solches, daß der Gedanke an sie die furchtbarste Pein für Nowowiejski bedeutete. Er gab sich die erdenklichste Mühe ihn abzuwehren, denn er empfand, daß die Erinnerung an Wahnsinn grenze; – aber er konnte nicht, wie er wollte.

So war seine Ruhe nur eine scheinbare. In seinem Herzen fand Ergebenheit durchaus keinen Raum, und auf den ersten Blick konnte man leicht erraten, daß unter dieser Starrheit etwas Unheildrohendes, Entsetzliches sich verberge, und daß dieser Riese, wenn es zum Ausbruch kam, furchtbare Taten vollbringen werde, wie das entfesselte Element. Das stand so deutlich auf seiner Stirn geschrieben, daß selbst die Freunde sich ihm nur mit einer gewissen Scheu näherten, und in der Unterhaltung mit ihm jede Erwähnung dessen, was geschehen war, vermieden.

Der Anblick Bärbchens in Chreptiow weckte in ihm den leicht verharschten Schmerz; da er zum Willkommen ihre Hände küßte, begann er zu stöhnen, wie ein verwundeter Auerochs; seine Augen überzogen sich blutigrot, und die Adern an seinem Hals schwollen wie Stricke an. Und als Bärbchen in Tränen ausbrach und mit der Innigkeit einer Mutter mit ihren Händen seinen Kopf umfaßte, fiel er ihr zu Füßen, und man konnte ihn lange nicht von ihr reißen. Als er aber vernahm, welchen Auftrag der Hetman ihm gegeben, belebte er sich sichtlich, ein Strahl furchtbarer Freude blitzte in seinen Zügen auf, und er sagte:

»Das will ich tun, das will ich und noch mehr!«

»Und wenn du den tollen Hund dort triffst, so zieh' ihm das Fell über die Ohren,« warf Sagloba ein.

Nowowiejski sagte kein Wort, er blickte nur Sagloba an; plötzlich leuchtete der Wahnsinn in seinen Augen auf, er erhob sich und ging auf den alten Edelmann zu, als wolle er sich über ihn stürzen.

»Und glaubt Ihr's wohl, daß ich diesem Menschen in meinem Leben nichts Böses zugefügt habe, daß ich ihm immer freundlich begegnet bin?«

»Ich glaube, ich glaub's,« antwortete Sagloba hastig und zog sich klüglich hinter den kleinen Ritter zurück. »Ich selbst ginge mit dir, aber das Podagra kneift mich in den Füßen.«

»Nowowiejski,« sagte der kleine Ritter, »wann willst du ausrücken?«

»Heute nacht.«

»Ich gebe dir hundert Dragoner; ich selbst bleibe mit dem zweiten Hundert und dem Fußvolk hier. Komm' auf den Maidan.«

Und sie gingen hinaus, um die Befehle zu erteilen. An der Schwelle stand, schnurstracks aufgerichtet, Sydor Luschnia. Das Gerücht von der Expedition hatte sich schon verbreitet, darum bat der Wachtmeister in seinem und seiner Kompagnie Namen den kleinen Hauptmann, er möge ihm gestatten, mit Nowowiejski zu gehen.

»So, also du willst mich verlassen?« fragte Michael verwundert.

»Herr Kommandant, wir haben es diesem Schurken geschworen, vielleicht fällt er in unsere Hände.«

»Ja, Ihr habt recht, Sagloba hat mir davon erzählt,« antwortete der kleine Ritter. Luschnia wandte sich an Nowowiejski.

 

»Herr Kommandant!«

»Was willst du?«

»Wenn wir ihn bekommen, überlaßt ihn mir.«

In dem Gesicht des Masuren malte sich eine so furchtbare, tierische Wut, daß Nowowiejski sich sogleich vor Michael verbeugte und bittend sagte:

»Gebt mir diesen Mann.«

Michael erhob keinen Widerspruch, und an demselben Abend, gegen Anbruch der Nacht, rückten hundert Berittene unter Nowowiejskis Führung ab.

Sie benutzten die bekannte Heerstraße über Mohylow und Jampol. In Mohylow stießen sie auf die alte Besatzung von Raschkow, von der sich zweihundert Mann auf Grund eines Befehls vom Hetman mit Nowowiejski verbanden; der Rest sollte unter Führung Bialoglowskis nach Mohylow gehen, wo Bogusch stand. Nowowiejski zog nach Raschkow hinab.

Die Umgegend von Raschkow war schon eine völlige Wüste; das Städtchen selbst hatte sich in einen Aschenhaufen verwandelt, den die Winde in alle vier Himmelsrichtungen trieben. Die wenigen Einwohner waren vor dem Schrecken des Unwetters geflohen. Es war zu Anfang Mai, und die Horde konnte jeden Tag in Sicht kommen, darum war es gefährlich am Orte zu bleiben. In Wirklichkeit standen die Horden mit den Türken noch in der Ebene von Kantschukar, aber davon wußte man nichts in den Schluchten von Raschkow, und deshalb brachte ein jeder Einwohner dieses Ortes, welcher der letzten Metzelei entgangen war, sein Haupt in Sicherheit, wo er sie finden konnte.

Luschnia überdachte den ganzen Weg die Mittel und Kniffe, deren nach seiner Meinung Nowowiejski sich bedienen mußte, wenn er mit Erfolg seine Überlistung ins Werk setzen wollte. Diese seine Gedanken teilte er gnädig den Gemeinen mit.

»Ihr Pferdeköpfe,« sagte er zu ihnen, »ihr versteht das freilich nicht, aber ich alter Bursch verstehe mich darauf. Wir kommen nach Raschkow; dort verbergen wir uns in den Schluchten und warten. Die Horde kommt an die Furt; erst werden sie einige Streifzüglerscharen übersetzen, wie das bei ihnen Brauch ist, und die ganze Schar steht und wartet, bis jene ihnen melden, daß keine Gefahr vorhanden. Dann schleichen wir hinter ihnen einher und jagen sie bis nach Kamieniez.«

»So werden wir den Schurken nicht bekommen können,« bemerkte einer von den Soldaten.

»Halts Maul!« versetzte Luschnia. »Wer soll sonst in der Vorhut gehen, wenn nicht die Lipker?«

Des Wachtmeisters Vermutung schien sich zu bewahrheiten. Nowowiejski ließ die Soldaten, sobald Raschkow erreicht war, ausruhen. Sie waren schon alle fest überzeugt, daß sie dann zu den Höhlen ziehen, an denen die ganze Gegend so reich war, und daß sie dort die Ankunft der ersten feindlichen Streifzügler erwarten würden.

Aber am zweiten Tage der Rast rief der Kommandant die Fahne schon auf und führte sie bis hinter Raschkow.

»Bis nach Jahorlik gehen wir also,« sagte sich der Wachtmeister.

Inzwischen hatten sie sich unmittelbar hinter Raschkow dem Flusse genähert, und wenige Minuten darauf standen sie an der sogenannten »blutigen Furt«. Nowowiejski sprach kein Wort; er trieb sein Pferd ins Wasser und setzte an das andere Ufer über. Die Soldaten sahen sich verwundert an. – »Wie, gehen wir ins Türkenlager?« – fragte einer den anderen; aber sie waren nicht die »Herren« vom allgemeinen Aufgebot, die stets zu Beratungen und Protesten bereit waren, es waren schlichte Soldaten, gewöhnt an die eiserne Zucht der Grenzwachten. So trieben sie denn ihre Pferde ins Wasser dem Kommandanten nach, erst die erste Reihe, dann die zweite und dritte; es gab auch nicht das geringste Zögern. Sie wunderten sich, daß sie mit ihren dreihundert Pferden ins türkische Reich gehen sollten, dem die ganze Welt nicht beikommen konnte, aber sie gingen. Bald begann das aufgerührte Wasser die Seiten der Pferde zu schlagen, und sie hörten auf, sich zu wundern und dachten nur daran, daß die Speise- und Futterbeutel nicht naß wurden.

Erst am anderen Ufer sahen sie einander von neuem an. – »Bei Gott, so sind wir im Moldauischen!« – ging es leise von Mund zu Mund. Sie blickten hinter sich über den Dniestr, der in der untergehenden Sonne funkelte wie ein goldiges, rotes Band. Die höhlenreichen Felsen am Ufer badeten sich ebenfalls im hellen Schein; sie erhoben sich wie eine Mauer, die in diesem Augenblick eine Handvoll Menschen von ihrem Vaterland trennte. Für alle von ihnen bedeutete dies gewiß den letzten Gruß.

Luschnias Kopf durchschwirrte der Gedanke, der Kommandant sei vielleicht von Sinnen; aber des Kommandanten Sache war es, zu befehlen, die seine, zu gehorchen.

Die Pferde hatten das Wasser durchschritten und begannen heftig zu wiehern. – »Glückauf!« riefen alsbald die Soldaten, denn man betrachtete es als ein günstiges Vorzeichen, und ihre Herzen erfüllte Tapferkeit.

»Vorwärts!« kommandierte Nowowiejski.

Die Reihen rückten vor; sie zogen der untergehenden Sonne entgegen, jenen Tausenden, jenem Menschengewimmel, jenen Völkerschaften, die auf der Ebene von Kantschukar standen.

Nowowiejskis Übergang über den Dniestr und der Zug seiner dreihundert Degen gegen die Macht des Sultans, die Hunderttausende von Kriegern zählte, waren Taten, die ein Mensch, der des Krieges unkundig ist, für Taten des Wahnsinns halten könnte. Und doch war es nur ein kühn unternommener Kriegszug, der zudem Aussicht auf Erfolg hatte. Denn es begegnete den Streifzüglern jener Zeit öfter, gegen hundertfach zahlreichere Scharen von Tataren zu kämpfen, ihnen die Stirn zu bieten, um dann zu fliehen, und den Verfolgern ein Blutbad zu bereiten, wie der Wolf oft die Hunde hinter sich herlockt, um sich im gegebenen Augenblick umzuwenden und den gefährlichsten Kläffer abzuschlachten. Das Wild ward im Augenblick zum Jäger; es floh, es verbarg sich, aber eben noch verfolgt, ward es selbst zum Verfolger, machte einen unvermuteten Überfall und biß mit tödlicher Wunde. Das war die sogenannte »Tatarenlist«; es kam darauf an, einander an Schlauheit und Verwegenheit zu übertreffen. Den größten Ruhm in solcher Tatarenlist hatte Herr Wolodyjowski erworben, dann Ruschtschyz, Piwo und Motowidlo; aber auch Nowowiejski, der von Jugend auf in der Steppe lebte, gehörte zu denen, die man unter den Berühmtesten nannte. So war es auch höchst wahrscheinlich, daß er der Horde die Spitze bieten und sich nicht werde umzingeln lassen.

Sein Zug hatte auch darum Aussicht auf Erfolg, weil jenseits des Dniestr wüste Länder sich hinzogen, in denen man leicht ein Versteck fand. Hier und da nur erhoben sich an den Flußufern menschliche Ansiedelungen; im allgemeinen aber war das Land wenig bewohnt, in der Nähe der Ufer felsig und hügelig, weiterhin steppenreich und von Wäldern bedeckt, in denen sich zahlreiche Herden von Wild aufhielten, von dem wilden Büffel bis zu Hirschen, Rehen und wilden Schweinen. Da der Sultan vor dem großen Heereszug »seine Kräfte messen wollte«, zogen auch die an der Dniestr-Niederung lebenden Horden von Bialogrod und die noch weiter wohnenden der Dobrudscha auf Befehl des Padischahs weit über den Balkan hin; ihnen folgten die Kalaraschen der Moldau, so daß das Land noch öder ward, und daß man ganze Wochen wandern konnte, ohne von einem Menschen erblickt zu werden.

Nowowiejski kannte indessen zu gut die Gebräuche der Tataren, um nicht zu wissen, daß, wenn ihre Scharen einmal die Grenze der Republik überschritten hatten, sie vorsichtig eindringen und sorgsam nach allen Seiten Ausschau halten würden. Hier aber, in ihrem eigenen Bereiche, pflegten sie in breiten Gliedern zu marschieren, ohne jegliche Vorsicht. Dem Tode zu begegnen, wäre den Tataren wahrscheinlicher gewesen, als mitten in Bessarabien, an der äußersten Grenze der tatarischen Lande auf Heere derselben Republik zu stoßen, die Mangel an Kriegern zur Verteidigung der eigenen Grenzen litt.

Nowowiejski hoffte daher, daß sein Streifzug zunächst den Feind in Erstaunen setzen und daher noch größeren Nutzen bringen werde, als der Hetman erwartete, dann, daß er für Asya und die Lipker verderblich sein könne. Der junge Hauptmann konnte leicht erraten, daß die Lipker und Tscheremissen, welche die Republik vortrefflich kannten, in der Vorhut gehen würden, und auf diese sichere Vermutung baute er seine Hoffnung. Den verhaßten Asya plötzlich zu überfallen und zu fassen, ihm vielleicht die Schwester und Sophie zu entreißen, sie aus der Sklaverei zu entführen, seine Rache zu nehmen und dann selbst im Kampfe unterzugehen – das war alles, was sein zerrissenes Herz begehrte.

Unter dem Eindruck dieser Gedanken und Hoffnungen ward Nowowiejski allmählich von seiner Starrheit befreit, er lebte wieder auf. Der Marsch durch die unbekannten Landstriche, die großen Mühsale, der frische Wind, der durch die Steppen strich, der Zauber der letzteren, und die Gefahren des kühnen Unternehmens kräftigten seine Gesundheit und gaben ihm die alte Stärke wieder. Der Streifzügler in ihm triumphierte über den gebrochenen Menschen. Bisher hatte nichts in ihm Raum als Erinnerung und Pein, – nun waren seine Gedanken den ganzen Tag darauf gerichtet, wie der Feind zu hintergehen und zu dezimieren sei.

Als sie den Dniestr durchschritten hatten, gingen sie seitwärts in der Richtung des Pruth hinab, den Tag häufig in Wäldern und Schilf verborgen, die Nacht in geheimnisvollen Eilmärschen. Das Land, das jetzt noch wenig bewohnt ist, und das zu jenen Zeiten hauptsächlich von Nomaden bevölkert wurde, war zum größten Teil wüst. Sehr selten stieß man auf Kukuruzfelder, an die sich Ansiedelungen anlehnten. Auf ihren geheimen Wegen bemühten sie sich, größere Ansiedelungen zu umgehen, doch kehrten sie auch kühn in kleinere ein, die aus einer, zwei, drei oder selbst einigen zehn Hütten bestanden, denn sie wußten, daß es keinem der Einwohner einfallen würde, ihnen vorauszueilen nach Budschiak, um die Tataren zu warnen. Luschnia achtete übrigens darauf, daß dies nicht geschehe; bald aber gab er auch diese Vorsicht auf, denn er überzeugte sich, daß die wenigen Ansiedler, die allerdings Untertanen des Sultans waren, selbst in Angst das Herannahen der türkischen Heere erwarteten, daß sie ferner gar keine Ahnung hatten, welcher Herkunft die Leute waren, die zu ihnen kamen, und die ganze Abteilung für Karalaschen hielten, die mit anderen auf Befehl des Sultans vorüberkamen.

Es wurden ihnen auch ohne Widerstand Kukuruzkuchen, gedörrtes Büffelfleisch und getrocknete Kornelkirschen gereicht. Jeder Ansiedler hatte sein Häuflein Schafe, Büffel und Pferde, die an den Flüssen versteckt gehalten wurden. Von Zeit zu Zeit stießen sie auch auf sehr zahlreiche Herden halbwilder Büffel, die von Hirten gehütet wurden. Letztere zogen in der Steppe umher und blieben am Orte in Zelten nur so lange, als Futter reichlich vorhanden war. Oft stießen sie auf alte Tataren. Nowowiejski umzingelte diese »Büffelhüter« mit solcher Vorsicht, als handelte es sich um Tatarenbanden. Den Umzingelten entzog er die Nahrung, damit sie nicht nach Budschiak das Gerücht von ihrem Anmarsch verbreiteten. Besonders gegen die Tataren war er erbarmungslos. Erst fragte er sie nach allen Wegen aus, oder richtiger nach den unwegsamsten Richtungen, dann ließ er sie ohne Mitleid niedermetzeln, damit auch nicht einer entkomme; sodann nahm er aus der Herde soviel Stück, als er brauchte, und setzte seinen Weg fort. Je weiter sie nach dem Süden vordrangen, um so häufiger begegneten sie zahlreichen Herden, die fast stets von Tataren gehütet waren. Im Laufe eines zweiwöchentlichen Marsches umzingelte Nowowiejski drei Hirtenbanden und rieb sie gänzlich auf. Die Dragoner nahmen ihnen ihre von Ungeziefer starrenden Schafpelze ab, reinigten sie über dem Feuer und legten sie selbst an, um so den wilden »Tschabantschuken«16 und Schafhirten ähnlich zu werden. In der zweiten Woche waren sie fast alle schon tatarisch gekleidet und sahen ganz aus wie eine Bande Tataren. Nur die gleichmäßige Waffe der regulären Reiterei war ihnen geblieben; die Reitkoller verbargen sie unter den Gerätschaften, um sie auf dem Rückweg wieder anzulegen. In der Nähe hätte man an den hellen, masurischen Schnurrbärten und den blauen Augen ihre Herkunft erkennen können, aber aus der Entfernung mußte das geübteste Auge bei ihrem Anblick sich irren, um so mehr, als sie auch noch die Herden vor sich hertrieben, deren sie zu ihrer Ernährung bedurften.

Als sie in die Nähe des Pruth kamen, gingen sie am linken Ufer des Flusses stromabwärts. Da die Heerstraßen von Kutschmin völlig verwüstet waren, konnte man leicht vorhersehen, daß die Scharen des Sultans und ihnen voraus die Horden über Falesi, Husch, Kotimore und dann die walachische Heerstraße ziehen würden, um entweder auf den Dniestr zu einzubiegen oder schnurstracks durch ganz Bessarabien und in der Gegend von Uschyz sich über die Grenzen der Republik zu ergießen. Nowowiejski war dessen so sicher, daß er immer langsamer vorrückte, der Zeit nicht achtend, und immer vorsichtiger, um nicht allzu plötzlich auf die Tataren zu stoßen. Als er endlich in das Flußdelta gelangte, das von der Sarata und dem Tektisch gebildet wird, blieb er dort lange liegen, erstens um Pferden und Menschen Ruhe zu gönnen, und zweitens, um an diesem gut geschützten Orte die Vorhut der Horde abzuwarten. Der Ort war wirklich gut gewählt, denn das ganze Flußdelta und die äußeren Ufer waren teils mit gemeiner Kornelkirsche bepflanzt, teils von Hundsbeere bewachsen. Das Wäldchen zog sich hin, so weit das Auge reichte, und bedeckte den Boden hier mit undurchsichtigem Dickicht, dort mit Gestrüpp, durch welches öde Flächen grau hindurchschimmerten, die sich zur Anlegung des Maidans eigneten. Um diese Zeit standen die Bäume und Sträucher schon in grünem Schmuck; zu Beginn des Frühlings aber mußte hier ein Meer von gelben und weißen Blüten sich ausbreiten. Der Hain war vollkommen menschenleer, dafür wimmelte er von allerlei Getier: Hirschen, Rehen, Hasen und Geflügel. Hier und da am Saume von Quellen entdeckten die Soldaten auch Spuren von Bären; ein solcher hatte bald nach der Ankunft der Vorposten-Abteilungen mehrere Schafe getötet. Deshalb nahm sich Luschnia vor, Jagd auf ihn zu machen; da aber Nowowiejski, der ganz im geheimen lagern wollte, die Anwendung der Muskete nicht gestattete, machten sich die Soldaten gegen den Räuber mit Knüppeln und Äxten auf.

 

Später fand man am Wasser auch Spuren von Herdfeuern, aber sie waren alt, vermutlich aus dem vergangenen Jahre. Offenbar kamen die Nomaden mit ihren Herden des öfteren hierher, vielleicht auch waren es Tataren, die hier die Kirschbäume fällten, um Schäfte daraus zu machen. Aber selbst die sorgfältigsten Nachforschungen vermochten nicht zur Entdeckung eines lebenden menschlichen Wesens zu führen.

Nowowiejski beschloß, nicht weiter zu gehen und hier die Ankunft der türkischen Heere abzuwarten.

Man legte also eine Art Maidan an, es wurden Hütten gebaut, und das Warten begann. An den Rändern des Hains standen nun Wachen, von welchen die einen Tag und Nacht nach Budschiak ausschauten, die anderen nach dem Pruth in der Richtung von Falesi. Nowowiejski wußte, daß er an gewissen Anzeichen das Herannahen der türkischen Heere erraten werde; er schickte überdies kleine Vorposten-Abteilungen aus, an deren Spitze er meist selbst stand. Das Wetter war der Rast in diesem trockenen Lande sehr günstig; die Tage waren glühend, aber in dem Schatten des Dickichts konnte man sich leicht vor der Hitze bergen; die Nächte waren hell, still, vom Monde erleuchtet und vom Gesang der Nachtigallen erfüllt. In solchen Nächten litt Nowowiejski am meisten, denn er konnte nicht schlafen und dachte an das alte Glück und an die trübe Gegenwart. Er lebte nur in dem einen Gedanken, daß, wenn erst das Herz sich an der Rache gesättigt haben würde, er glücklicher, zufriedener sein werde. Und immer näher kam der Zeitpunkt, da er seine Rache ausüben oder untergehen sollte.

So ging Woche um Woche hin, während sie in der Wüste hausten und wachten. In dieser Zeit durchforschten sie alle Wege, alle Schluchten, alle Felder, alle Flüsse und Ströme, raubten sie wieder zahlreiche Herden, metzelten kleinere Haufen von Nomaden nieder und lauerten beständig in diesem Dickicht, wie das wilde Tier auf Beute. Endlich kam der erwartete Augenblick. Eines Morgens sahen sie Scharen von Vögeln, die hoch oben, in den Wolken, und unten über der Erde hinzogen. Trappen, Schneehühner, blaufüßige Wachteln schlichen durch das Gras in das Dickicht; hoch oben flogen Krähen, Raben, selbst Sumpfvögel, die offenbar an den Ufern der Donau oder aus den Sümpfen der Dobrudscha aufgescheucht waren. Bei diesem Anblick sahen die Dragoner sich an, und – »Sie kommen, sie kommen!« ging es von Mund zu Mund. Die Gesichter belebten sich, die Augen erglänzten, aber in dieser Erregung lag keine Unruhe, denn es waren alles Leute, denen ein Menschenleben in »Tatarengängen« verflossen war; sie hatten ungefähr die Empfindung der Jagdhunde, wenn sie das Wild wittern. Die Wachtfeuer wurden in derselben Minute ausgelöscht, damit der Rauch die Anwesenheit der Menschen nicht verrate, die Pferde gesattelt, und die ganze Abteilung stand marschbereit.

Nun galt es, die rechte Zeit zu finden, um in dem Augenblick über den Feind herzufallen, da er Halt machen würde. Nowowiejski begriff wohl, daß die Heere des Sultans gewiß nicht in kompakter Masse marschierten, besonders, da sie sich im eigenen Lande befanden, wo die Gefahr einer Überrumpelung unwahrscheinlich war. Er wußte auch, daß die Vorhut immer eine oder gar zwei Meilen der Hauptmacht voraus war, und er erwartete mit Recht, daß an der Spitze die Lipker marschierten.

Eine Zeitlang schwankte er, ob er ihnen auf dem geheimen, ihm wohlbekannten Wege entgegengehen, oder ob er ihre Ankunft im Kirschwald erwarten solle. Er entschloß sich zu dem letzteren, da man aus dem Walde leichter in jedem Augenblick einen unerwarteten Überfall wagen konnte. Es verging noch ein Tag, dann eine Nacht, während welcher nicht nur Vögel, sondern auch Landtiere scharenweise ins Dickicht flohen. Am folgenden Morgen kam der Feind schon in Sicht.

Vom südlichen Rande des Kirschwäldchens zogen sich breite, hüglige Auen hin, die am fernen Horizont verschwanden; auf diesem Felde zeigte sich der Feind und näherte sich dem Tekitsch mit ziemlicher Schnelligkeit. Die Dragoner sahen aus dem Dickicht auf die dunkle Masse hin, die bald den Augen entschwand, bald wieder in ihrer ganzen Ausdehnung auftauchte.

Luschnia, der ein vorzügliches Auge hatte, beobachtete lange Zeit angestrengt die heranziehenden Massen; dann näherte er sich Nowowiejski. »Herr Kommandant,« sagte er, »Menschen sind dort nicht viele, nur Herden werden auf die Weide geführt.«

Nowowiejski überzeugte sich bald, daß Luschnia recht hatte, und sein Gesicht leuchtete freudig auf.

»Das heißt, sie machen eine oder zwei Meilen von hier Rast,« sagte er.

»So ist's,« versetzte Luschnia, »sie marschieren offenbar in der Nacht, um die Hitze zu vermeiden, und ruhen am Tage. Ihre Pferde schicken sie bis zum Abend auf die Weide.«

»Siehst du viel Bewachung bei den Pferden?«

Luschnia ging wieder an den Waldsaum und kam erst nach einiger Zeit zurück.

»Anderthalbtausend Pferde können es sein und fünfundzwanzig Menschen sind bei ihnen. Sie fühlen sich im eigenen Lande und fürchten nichts, darum stellen sie keine Wachen aus.«

»Kannst du die Menschen unterscheiden?«

»Sie sind noch fern, aber es sind Lipker. Sie sind unser.«

»So ist's,« sagte Nowowiejski.

Er war überzeugt, daß ihm keiner dieser Leute entgehen werde. Für einen Scharmützler, wie er war, und für solche Soldaten, wie er sie führte, war die Aufgabe nur allzu leicht.

Inzwischen hatten die Pferdehüter ihre Herden immer näher an das Kirschwäldchen herangetrieben. Luschnia ging noch einmal an den Waldsaum; als er zurückkam, leuchtete sein Gesicht vor Freude und Grausamkeit.

»Herr, Lipker sind's, ganz gewiß,« sagte er leise.

Nowowiejski schrie nach Art des Habichts auf, und sofort zog sich die Abteilung Dragoner in das tiefe Dickicht zurück. Dort teilte er seine Mannschaften in zwei Abteilungen; die eine stürzte in den Engpaß, um von dort hinterrücks die Herden und die Lipker zu überfallen, die zweite bildete einen Halbkreis und wartete. Alles das geschah in solcher Stille, daß auch das geübteste Ohr keinen Laut vernommen hätte. Kein Schwert, kein Sporn klirrte, kein Pferd wieherte; die dichten Gräser, die auf dem Boden des Wäldchens wuchsen, dämpften das Getrappel der Hufe. Auch die Pferde schienen zu begreifen, daß der Erfolg des Überfalles von der Stille abhänge, denn sie verrichteten nicht zum ersten Male solchen Dienst. Aus den Engpässen und Dickichten erhoben sich nur die Stimmen der Habichte, immer seltener, immer vereinzelter.

16Tschabantschuken = halbwilde, tatarische Büffelhirten.