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Der kleine Ritter

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Endlich, nach langem Harren, trat Sagloba zu den Offizieren heraus; seine Augen waren gerötet, der Rest seiner Haare stand ihm zu Berge; die Offiziere stürzten ihm entgegen, und fieberhaft kreuzten einander die Fragen:

»Lebt sie? Lebt sie?«

»Sie lebt,« versetzte der Alte, »aber Gott allein weiß, ob sie in einer Stunde …« hier erstarb ihm das Wort im Munde, seine Unterlippe begann zu beben, er griff plötzlich mit der Hand nach dem Kopfe und sank schwer auf die Bank nieder.

Dann schüttelte unterdrücktes Schluchzen seine Brust.

Bei diesem Anblick umarmte Muschalski Herrn Nienaschyniez, obgleich er ihn sonst nicht besonders liebte, und beide weinten leise. Herr Motowidlo riß die Augen auf, als wollte er etwas hinunterwürgen, ohne es zu können, Snitko knöpfte mit zitternden Händen seinen Überrock auf, und Hromyka hob die Hände gen Himmel und ging so im Zimmer auf und nieder.

Die Soldaten bemerkten durch die Fenster diese Zeichen der Verzweiflung, und da sie glaubten, die Herrin sei schon gestorben, erhoben sie lautes Klagen. Als Sagloba den Lärm vernahm, verfiel er plötzlich in Wut und stürzte auf den Maidan hinaus.

»Still, Schelme, daß euch das Donnerwetter hole!« rief er mit unterdrückter Stimme.

Sie schwiegen sogleich und begriffen, daß die Klage verfrüht war, aber sie verließen den Maidan nicht. Sagloba kehrte ein wenig beruhigt in das Gastzimmer zurück und ließ sich wieder auf die Bank nieder. In diesem Augenblick erschien eine der bedienenden Frauen auf der Schwelle des Alkovens.

Sagloba sprang auf sie zu.

»Wie steht's?«

»Sie schläft.«

»Schläft? Gott sei Dank!«

»Vielleicht gibt Gott …«

»Was macht der Herr Kommandant?«

»Der Herr Kommandant ist am Bette.«

»Gut. Hole, wonach man dich geschickt hat.«

Sagloba wandte sich zu den Offizieren und sagte, die Worte der Frau wiederholend:

»Vielleicht hat der Allmächtige Erbarmen. Sie schläft – so habe ich noch Hoffnung … uff!«

Alle atmeten tief auf. Dann drängten sie sich in engem Kreis um Sagloba und fragten von allen Seiten:

»Ums Himmels willen, wie ist das geschehen? Was war das? Wieso ist sie zu Fuß entflohen?«

»Anfangs ist sie nicht zu Fuß entflohen,« versetzte Sagloba leise, »sondern mit zwei Pferden, denn sie hat diesen Hund – die Pest soll ihn holen – aus dem Sattel geworfen.«

»Wir trauen unseren Ohren nicht!«

»Mit dem Schaft der Pistole hat sie ihm einen Schlag auf die Stirn versetzt, und da sie weit zurückgeblieben waren, hat es niemand bemerkt und sie verfolgt. Das eine Pferd haben ihr die Wölfe zerrissen, das andere ist unterm Eise ertrunken. O Jesus, All-Erbarmer! So ist das arme Kind allein durch die Wälder gegangen, ohne Nahrung!«

Wieder weinte Sagloba laut auf und unterbrach seine Erzählung, und auch die Offiziere wußten sich nicht zu lassen vor Bewunderung, Entsetzen und Schmerz über die von allen geliebte Frau.

»Als sie sich Chreptiow näherte,« fuhr Sagloba nach einer Weile fort, »erkannte sie den Ort nicht mehr und bereitete sich zum Tode. Erst als sie das Knarren der Brunnen hörte, merkte sie, daß sie in der Nähe war, und schlich heran mit den letzten Kräften.«

»Gott hat sie in solcher Not geschützt,« sagte Motowidlo und rieb seinen Bart, »er wird sie auch fernerhin schützen!«

»Ja, so ist's, Ihr habt das rechte getroffen,« sagten einige Stimmen.

Da tönte wieder von dem Maidan lauter Lärm herein: sofort sprang Sagloba wütend auf und stürzte vor die Tür.

Kopf an Kopf standen sie hier. Die Soldaten zogen sich, da sie Sagloba und zwei andere Offiziere erblickten, langsam im Halbkreis zurück.

»Still sollt ihr mir sein, Hundeseelen!« begann Sagloba, »sonst lasse ich …«

Da trat aus dem Halbkreis Sydor Luschnia hervor, der Dragonerwachtmeister, ein echter Masur und ein Lieblingssoldat Michaels. Nachdem er einige Schritte vorwärts getan hatte, stellte er sich stramm hin und sagte mit fester Stimme:

»Ich bitte Ew. Liebden, nichts anderes darf geschehen, als daß wir gegen diesen Kerl, der unsere Herrin hat kränken wollen, losziehen, um unsere Rache zu nehmen. Was ich sage, das wünschen alle; wenn der Herr Kommandant nicht kann, so werden wir unter einem anderen Kommando hinziehen, um ihn zu fassen, und müßte es bis in die Krim sein.«

In der Stimme des Wachtmeisters sprach sich eine wütende, kalte Bauerndrohung aus; die anderen Dragoner aber und die Linie aus der Genossenschaftsfahne knirschten mit den Zähnen, schlugen leise an die Säbel und murrten. Dieses dumpfe Murren, dem Brummen des Bären in der nächtigen Dämmerung ähnlich, hatte etwas Erschreckendes. Der Wachtmeister stand kerzengerade und harrte auf Antwort, mit ihm die ganzen Reihen, und man konnte eine so furchtbare Wut und Rachsucht an ihnen wahrnehmen, daß ihr gegenüber selbst die gewohnte Manneszucht nicht standhielt.

Eine Weile dauerte das Schweigen, endlich ließ sich in den entfernteren Reihen eine Stimme vernehmen:

»Sein Blut ist für die Herrin die beste Arzenei!«

Saglobas Zorn legte sich, denn diese Anhänglichkeit der Soldaten an Bärbchen rührte ihn; zugleich blitzte in seinem Kopfe bei der Erwähnung der Arzenei ein anderer Plan auf, der Plan, einen Medikus für Bärbchen holen zu lassen. Im ersten Augenblicke hatte in dem öden Chreptiow niemand daran gedacht; aber in Kamieniez wohnten doch einige Ärzte, unter ihnen auch ein Grieche, ein berühmter, wohlhabender Mann, der einige Häuser besaß, und so gelehrt war, daß man ihn allgemein für einen Schwarzkünstler hielt.

Sagloba war nur im Zweifel, ob dieser, den selbst die Magnaten mit dem Titel »Herr« beehrten, bei seinem Reichtum für einen beliebigen Preis in eine solche Wüste werde kommen wollen.

Er überlegte eine Weile, dann sagte er:

»Die gerechte Rache wird an diesem Erzhund nicht vorbeigehen, ich verspreche es euch, und er wird gewiß lieber sehen, daß ihm der König Rache schwört als Sagloba. Aber ich weiß nicht, ob er noch am Leben ist, denn die Herrin hat ihm, da sie sich seinen Händen entriß, mit dem Schaft seiner Pistole gerade in den Kopf geschlagen. Jetzt aber ist nicht Zeit, daran zu denken, erst gilt es, die Herrin zu retten.«

»Und koste es unser Leben,« versetzte Luschnia, und wieder ging ein Gemurmel durch die Menge, um die Worte des Wachtmeisters zu bekräftigen.

»Höre, Luschnia,« sagte Sagloba, »in Kamieniez wohnt ein Medikus namens Rodopul; eile zu ihm, sage ihm, der Herr General von Podolien habe sich vor der Stadt den Fuß verrenkt und harrt seiner Hilfe; wenn er jenseits der Mauer ist, so fasse ihn beim Kragen, setze ihn aufs Pferd oder stecke ihn in einen Sack und bringe ihn nach Chreptiow. Ich werde auf verschiedenen Stationen Pferde bereit halten lassen, damit Ihr ohne Unterbrechung reitet; sorge nur, daß er lebendig hier ankommt, denn tot könnte er uns nichts nützen.«

Ein Gemurmel der Befriedigung ging durch die Reihen; Luschnia schüttelte seinen mächtigen Schnauzbart und sagte: »Ich will ihn schon bekommen, und ich verliere ihn nicht bis Chreptiow.«

»So mach' dich auf den Weg.«

»Ich bitte Ew. Liebden …«

»Was noch?«

»Und wenn er mir ohnmächtig wird?«

»Laß ihn, wenn er nur lebendig herkommt. Nimm sechs Leute und mach' dich auf den Weg.«

Luschnia eilte. Die anderen, froh, etwas für die »Herrin« tun zu können, stürzten in die Ställe, um die Pferde zu satteln, und in wenigen Minuten rückten sechs Mann nach Kamieniez aus; ihnen folgten andere mit losen Pferden, die sie unterwegs bereit halten wollten.

Sagloba kehrte, zufrieden mit sich, in das Gastzimmer zurück.

Nach einer Weile trat Michael aus dem Alkoven. Er war verändert, halb abwesend, gleichgültig gegen Worte der Teilnahme und des Trostes. Er teilte Sagloba mit, daß Bärbchen beständig schlafe, dann ließ er sich auf die Bank nieder und blickte scheu nach der Tür, hinter der sie lag. Die Offiziere glaubten, er horche auf, darum hielten sie alle den Atem an, und es herrschte im Zimmer eine lautlose Stille.

Nach Verlauf einiger Zeit näherte sich Sagloba auf den Zehen dem kleinen Ritter.

»Michael,« sagte er, »ich habe einen Medikus aus Kamieniez holen lassen, aber … aber vielleicht soll man noch jemand holen?«

Wolodyjowski blickte starr vor sich hin, er suchte seine Gedanken zu sammeln. Er hatte offenbar nichts begriffen.

»Den Geistlichen,« sagte Sagloba. »Priester Kaminski könnte bis morgen hier sein.«

Da schloß der kleine Ritter die Augen, wandte das bleiche Gesicht zum Kamin und wiederholte schnell:

»Jesus, Jesus … Jesus!«

Sagloba fragte also nicht weiter, er ging hinaus und gab seine Befehle. Als er zurückkehrte, war Michael nicht mehr im Gastzimmer; die Offiziere teilten Sagloba mit, die Kranke habe ihren Gatten gerufen, sie wußten nicht, ob im Fieber oder bei Bewußtsein.

Der Alte überzeugte sich sogleich selbst, daß es im Fieber geschehen war.

Bärbchens Wangen glühten in hellem Rot, sie hatte das Aussehen einer Gesunden; aber ihre Augen, die zwar den Glanz nicht verloren hatten, waren trübe, als seien die Augensterne mit dem Weißen verschwommen; ihre weißen Hände tasteten mit eintöniger Bewegung auf der Decke umher. Michael lag halb bewußtlos zu ihren Füßen. Von Zeit zu Zeit murmelte die Kranke leise etwas, oder sie sprach gewisse Worte lauter, wie »Chreptiow«, das sie am häufigsten wiederholte. Offenbar wähnte sie sich noch auf der Reise. Sagloba beunruhigte besonders die Handbewegung auf der Decke, denn in ihrer bewußtlosen Einförmigkeit sah er die Anzeichen des herannahenden Todes. Er war ein erfahrener Mann, viele Menschen waren vor seinen Augen gestorben; aber nie war sein Herz von solchem Schmerz zerrissen wie bei dem Anblick dieser Blume, die so früh dahinwelkte.

Er begriff, daß nur Gott allein dieses verlöschende Leben retten könne; er kniete am Boden nieder und begann eifrig zu beten.

 

Aber Bärbchens Atem wurde immer schwerer und verwandelte sich allmählich in ein Keuchen. Wolodyjowski sprang auf, Sagloba richtete sich empor; beide sprachen kein Wort miteinander, sie blickten sich nur an, aber in diesem Blick lag ein entsetzlicher Ausdruck. Sie glaubten, der Tod sei nahe. Das währte aber nur einen Augenblick; bald wurde der Atem der Kranken ruhiger und sogar langsamer.

Von jetzt ab schwebten sie beständig zwischen Furcht und Hoffnung. Die Nacht zog sich träge hin; auch die Offiziere gingen nicht zur Ruhe, sie saßen im Gastzimmer, blickten nach der Tür des Alkovens, sprachen leise miteinander oder schlummerten. Von Zeit zu Zeit trat ein Bursche herein und warf Holz in den Kamin. Bei jeder Bewegung der Türklinke sprangen sie von den Bänken auf, denn sie fürchteten, Michael oder Sagloba werde eintreten und die entsetzlichen Worte sprechen:

»Sie lebt nicht mehr.«

Inzwischen krähten die Hähne, und Bärbchen kämpfte noch immer mit dem Fieber. Am Morgen brach ein entsetzlicher Sturmwind mit Regenschauern los und tobte durch das Gebälk, heulte unter dem Dache, spielte mit den Flammen im Kamin und warf dichte Rauchwolken und Funken in das Gemach. Beim ersten Lichtschimmer verließ Motowidlo leise das Zimmer, um seinen Umritt zu machen; ein blasser, wolkiger Tag war endlich angebrochen und beleuchtete die müden Gesichter.

Auf dem Maidan begann die übliche Bewegung; durch das Pfeifen des Windes tönte das Getrappel der Pferde in den Ställen, das Ziehen der Brunnenkräne und die Stimmen der Soldaten; bald aber ließ sich ein Glöckchen vernehmen: Priester Kaminski war angekommen.

Als er eintrat in seinem weißen Meßhemd, knieten die Offiziere nieder. Allen schien der feierliche Augenblick gekommen, dem unabwendbar der Tod folgen mußte. Die Kranke hatte das Bewußtsein nicht wiedergewonnen, und so konnte der Priester die Beichte von ihr nicht hören. Er gab ihr nur die letzte Ölung, dann suchte er den kleinen Ritter zu trösten und sprach ihm zu, sich dem göttlichen Willen zu fügen. Aber dieser hörte den Trost kaum, kein Wort vermochte seinen Schmerz zu durchdringen.

Den ganzen Tag schwebte der Tod über Bärbchen wie eine Spinne, die in dunklem Winkel sich verborgen hält, bisweilen ans Tageslicht hervorkriecht und sich an einem unsichtbaren Faden herunterläßt; oft glaubten die Anwesenden, daß die Schatten des Todes schon über Bärbchens Stirn fielen, daß diese lichte Seele die Flügel ausbreite, um von Chreptiow zu entschweben in den unendlichen Äther, in ein anderes Land; dann wieder verbarg sich der Tod wie die Spinne unter der Decke, und Hoffnung erfüllte die Herzen.

Es war aber keine dauernde, keine vollständige Hoffnung, denn daß Bärbchen diese Krankheit überleben werde, wagte niemand zu hoffen, auch Michael nicht; sein Schmerz war so groß, daß Sagloba, obgleich auch er furchtbar abgehärmt war, um ihn ernstlich besorgt ward und ihn dem Schutz der Offiziere empfahl.

»Um Gottes willen, habt ein Auge auf ihn,« sagte er, »er stößt sich ein Messer ins Herz.«

Michael wäre zwar dergleichen nicht in den Sinn gekommen, aber in dem Kampf mit seinem Schmerz und Leid fragte er sich beständig: »Wie soll ich hierbleiben, wenn sie von hinnen geht, wie kann ich dies liebe Wesen allein ziehen lassen? Was wird sie sagen, wenn sie sich umsieht und mich nicht in ihrer Nähe findet?«

Und so begehrte er aus innerster Seele gemeinsam zu sterben, denn wie er sich kein Leben auf Erden ohne sie vorstellen konnte, so begriff er auch nicht, daß sie in jenem Leben ohne ihn glücklich sein könne und nach ihm nicht Sehnsucht tragen werde.

Am Nachmittag verbarg sich die unheilvolle Spinne wieder unter der Decke, die Glut auf Bärbchens Wangen erlosch, und das Fieber nahm so weit ab, daß die Kranke ein wenig zum Bewußtsein kam.

Eine Zeitlang lag sie mit geschlossenen Augen da, dann öffnete sie dieselben, schaute dem kleinen Ritter ins Gesicht und fragte:

»Michael, bin ich in Chreptiow?«

»So ist es, mein Lieb,« antwortete Michael und verbiß seinen Schmerz.

»Und du stehst wirklich neben mir?«

»So ist es. Wie fühlst du dich?«

»O, gut.«

Sie war offenbar selbst nicht sicher, ob ihr nicht das Fieber täuschende Gesichte vor die Augen führe; aber von diesem Augenblick an gewann sie ihr Bewußtsein immer mehr zurück.

Am Abend kam der Wachtmeister Luschnia mit seinen Leuten zurück und brachte den Medikus aus Kamieniez samt Arzneien. Dieser war halb tot; aber da er erkannte, daß er nicht in Räuberhänden sei, wie er geglaubt hatte, sondern daß er auf diese seltsame Weise zu einer Kranken gerufen war, ging er nach kurzer Erholung schnell an das Werk der Rettung, um so schneller, als Sagloba ihm in der einen Hand einen Beutel voll Goldstücke, in der anderen ein geladenes Pistol zeigte:

»Dies dein Lohn für das Leben, dies für den Tod.«

Noch in derselben Nacht, genau um die Dämmerung, verbarg sich die unheimliche Spinne ein für allemal, und der Ausspruch des Arztes: »Sie wird lange krank liegen, aber gesund werden,« verbreitete sich im frohen Echo über ganz Chreptiow. Als Michael es zum ersten Male hörte, stürzte er zu Boden und weinte so, daß das Schluchzen ihm die Brust zu sprengen drohte. Sagloba wurde vor Freude halb ohnmächtig, sein Gesicht bedeckte sich mit Schweiß, und er vermochte kaum auszurufen: »Trinken!« Die Offiziere umarmten sich gegenseitig.

Auf dem Maidan versammelten sich wieder die Dragoner, die Linie und die Kosaken des Herrn Motowidlo. Man konnte sie kaum davon zurückhalten, in laute Rufe auszubrechen; sie wollten durchaus auf irgend eine Weise ihre Freude bezeigen, und sie baten um einige in den Kellern von Chreptiow verborgen gehaltene Gefangene, um sie auf das Wohl der Herrin zu henken.

Aber der kleine Ritter gab ihrem Verlangen nicht nach.

18. Kapitel

Bärbchen war noch eine ganze Woche so schwer krank, daß, wenn der Arzt nicht das Gegenteil versichert hätte, der kleine Ritter und Herr Sagloba gefürchtet haben würden, ihr Lebensflämmchen müsse jeden Augenblick verlöschen. Erst nach Verlauf dieser Zeit besserte sich ihr Zustand bedeutend. Das Bewußtsein kehrte vollständig zurück, und obwohl der Arzt vorhersagte, daß sie einen ganzen Monat oder gar anderthalb werde zu Bette liegen müssen, so war es doch sicher, daß sie ihre Gesundheit und ihre früheren Kräfte ganz wiedergewinnen werde.

Herr Michael, der während ihrer Krankheit nicht von ihrer Seite gewichen war, gewann sie in diesen Zeiten der Not, wenn dies überhaupt möglich war, noch inniger lieb und sah in ihr seine ganze Welt. Wenn er so bei ihr saß, wenn er ihr in das abgemagerte, kranke, aber heitere Gesichtchen schaute, wenn er in ihre Augen blickte, die mit jedem Tage mehr ihren alten Glanz wiedergewannen, dann erfaßte ihn die Lust zu weinen, zu lachen, und vor Freude aufzujubeln: Mein einziges Bärbchen genest wieder, mein Bärbchen genest!

Er warf sich über ihre Hände oder küßte die armen, kleinen Füßchen, die so rüstig durch den Schnee bis nach Chreptiow gewandert waren, – mit einem Wort, er liebte und verehrte sie über die Maßen. Er fühlte sich auch in tiefer Schuld gegen die Vorsehung, und eines Tages sagte er in Gegenwart Saglobas und der Offiziere:

»Ich bin ein einfacher Mann, aber sollte ich mir auch die Hände abarbeiten bis zu den Ellbogen – ein kleines Kirchlein aus Holz werde ich noch schaffen können, und so oft in ihm die Glocken ertönen, so oft will ich der Barmherzigkeit Gottes gedenken, so oft soll meine Seele in Dankbarkeit sich demütigen.«

»O, helfe uns Gott erst glücklich den türkischen Krieg überstehen,« antwortete ihm Sagloba.

Und der kleine Ritter antwortete: »Gott weiß am besten, was ihn erfreuen mag; ist ihm ein Kirchlein lieber, so wird er mich behüten, und wird er mein Blut fordern, so will ich es ihm freudig dahingeben.«

Mit der Gesundheit gewann Bärbchen auch ihre Heiterkeit wieder. Zwei Wochen später befahl sie eines Abends, die Tür vom Alkoven ein wenig zu öffnen, und als die Offiziere im Gastzimmer versammelt waren, wandte sie sich mit ihrem Silberstimmchen zu ihnen:

»Guten Abend den Herren! Ich sterbe doch nicht, aha!«

»Gott im Himmel sei Dank!« antworteten die Offiziere im Chor.

»Dank sei Gott, mein liebes Kind!« rief Motowidlo in kleinrussischer Mundart; er liebte Bärbchen mit ganz besonderer Zuneigung, und in Augenblicken großer Rührung bediente er sich immer der heimischen Mundart.

»Gott hat über der Unschuld gewacht«, ließ sich wieder der Chor hinter der Tür vernehmen.

»Herr Sagloba hat mich oft genug verspottet, daß ich mehr Lust zum Säbel habe als zum Rocken. Schön! Der Spinnrocken und die Nadel hätten mir viel geholfen, und so habe ich mich doch recht ritterlich benommen, nicht wahr?«

»Der Engel Michael hätte es nicht besser können.«

Die Fortsetzung des Gespräches verhinderte Sagloba, indem er die Tür des Alkovens schloß, denn er fürchtete, Bärbchen könne sich zu sehr anstrengen. Sie aber neckte ihn wie ein Kätzchen, denn sie hatte Lust, noch lange zu plaudern, besonders hätte sie gern noch mehr Lob für ihren Mut und ihre Tapferkeit eingeheimst. Jetzt, da die Gefahr vorüber war und nur noch der Erinnerung angehörte, war sie sehr stolz auf ihre Tat gegen Asya, und sie verlangte durchaus, gerühmt zu werden. Oft tippte sie dem kleinen Ritter mit dem Finger gegen die Brust und sagte mit der Miene eines verzärtelten Kindes:

»Lobe mich für meinen Mut!«

Und er gehorchte, lobte sie, koste und küßte sie auf die Augen, auf die Hände, so daß sogar Sagloba, obgleich er selbst tiefes Mitgefühl in der Seele empfand, sich wie gekränkt stellte und murrte:

»Ha, sie wird sich noch ganz auflösen wie weicher Schnee.«

Die allgemeine Freude, die in Chreptiow über Bärbchens Rettung herrschte, wurde nur getrübt durch den Gedanken an den Verlust, den Asyas Verrat der Republik zugefügt, und an das schreckliche Schicksal des alten Nowowiejski, und der beiden Frauen Boska und Evchen. Bärbchen grämte sich sehr darüber und mit ihr auch alle anderen, denn die Ereignisse in Raschkow waren nicht bloß in Chreptiow, sondern in Kamieniez und darüber hinaus schon sehr genau bekannt. Vor einigen Tagen hatte Myslischewski in Chreptiow Rast gemacht, der trotz Asyas, Krytschynskis und Adurowitschs Verrat die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, daß es ihm gelingen werde, die anderen lipkischen Hauptleute auf die Seite Polens hinüberzuziehen. Myslischewski war Herrn Bogusch auf dem Fuße gefolgt, und ihm folgten unmittelbar Nachrichten aus Mohylow, aus Jampol und aus Raschkow selber.

In Mohylow hatte sich Herr Gorschenski, der offenbar ein tüchtigerer Soldat als Redner war, nicht überlisten lassen. Er hatte Asyas Weisungen an die als Besatzung zurückgebliebenen Lipker übernommen, überfiel sie mit einer Handvoll masurischen Fußvolkes und hieb sie nieder oder nahm sie in Gefangenschaft. Überdies hatte er eine Warnung nach Jampol gesandt, wodurch auch diese Stadt gerettet wurde. Kurz darauf waren die Heere zurückgekehrt, und so war nur Raschkow zum Opfer gefallen. Michael hatte gerade von dort einen Brief des Herrn Bialoglowski empfangen, der über die Ereignisse am Ort und über andere Dinge Nachricht gab, welche die gesamte Republik betraf.

– Gut, daß ich hergekommen bin – so schrieb er unter anderem – , denn Nowowiejski, den ich vertreten habe, wäre jetzt nicht imstande gewesen, seine Pflichten zu erfüllen. Er gleicht schon mehr einem Gerippe als einem Menschen, und wir werden sicher einen tüchtigen Rittersmann verlieren, denn der Schmerz hat ihn über die Maßen niedergebeugt. Den Vater hat man hingeschlachtet, die Schwester leidet die schrecklichste Schmach, Asya hat sie dem Adurowitsch geschenkt, und Fräulein Boska hat er sich selbst genommen. Sie sind verloren, wenn es auch gelänge, sie aus der Gefangenschaft zu befreien. Wir wissen das von einem Lipker, der sich bei dem Übergang über den Fluß das Genick verstaucht, von den unsrigen gefangen wurde, und auf glühenden Kohlen alles gebeichtet hat. Asya, Tuhaj-Beys Sohn, Krytschynski und Adurowitsch sind fortgezogen bis nach Adrianopel. Nowowiejski will ihm durchaus folgen; er wolle Asya, sagt er, und müßte es aus der Mitte des türkischen Lagers sein, ergreifen und seine Rache an ihm kühlen. Er war immer hitzig und entschlossen, und jetzt ist er's um so mehr, als er um Fräulein Boska trauert, deren Jammer wir alle mit Tränenströmen beweinen, denn das Mädchen war lieblich und hat hier alle Herzen gewonnen. Ich halte Nowowiejski zurück, denn ich sage ihm, Asya werde selbst zu ihm kommen; der Krieg ist gewiß, und auch das ist sicher, daß die Horde im Vortrab marschieren wird. Ich habe Nachrichten aus der Moldaugegend von den Perkulaben, ja von türkischen Kaufleuten, daß bei Adrianopel die Heere bereits zusammenströmen. Zahlreiche Horden, auch türkische Reiterei, »Spahis« wie sie es nennen, und der Sultan selbst soll mit den Janitscharen heranziehen, – o, werter Freund, zahllos wie die Heuschrecken werden sie sein, der ganze Osten wird lebendig, und bei uns kaum eine Handvoll Soldaten! Alle Hoffnung ruht auf dem Felsen von Kamieniez. Wenn er nur, was Gott geben mag, tüchtig versehen ist. In Adrianopel ist schon Frühling, auch bei uns drängt er heran, es regnet unaufhörlich, und das Gras beginnt zu sprießen. Ich gehe nach Jampol, denn Raschkow ist nur ein Aschenhaufen, es gibt keinen Ort, wo man sein Haupt niederlegen kann, und kein Brot, den Hunger zu stillen. Auch denke ich, daß man bald alle Kommandos zusammenberufen wird. —

 

Der kleine Ritter hatte seine eigenen Nachrichten, die ebenfalls zuverlässig waren, ja noch zuverlässiger, denn sie stammten aus Chozim und lauteten dahin, daß der Krieg unabwendbar sei. Noch vor kurzem hatte er dies dem Hetman gemeldet, und doch machte Bialoglowskis Brief, der von der äußersten Grenze kam, gerade weil er seine Nachrichten bestätigte, einen tiefen Eindruck auf ihn. Nicht den Krieg fürchtete der kleine Ritter; er war nur um Bärbchen besorgt.

»Der Befehl des Hetmans, die Kommandos zusammenzuberufen« – sagte er zu Sagloba – »kann jeden Tag eintreffen und – Dienst ist Dienst. Dann heißt es vorwärts, unverzüglich vorwärts, und Bärbchen liegt noch immer, und das Wetter ist schlecht.«

»Und wenn noch zehn Befehle kämen,« antwortete Sagloba, »Bärbchen ist die Hauptsache. Wir sitzen still, bis sie ganz gesund wird. Der Krieg wird doch nicht beginnen, ehe der Winter zu Ende geht, und ehe der Eisgang vorüber ist, um so mehr, als sie schweres Geschütz gegen Kamieniez aufführen werden.«

»In Euch steckt noch immer der alte Freiwillige,« versetzte ungeduldig der kleine Ritter. »Ihr glaubt, man könne den Befehl seiner eigenen Sache nachsetzen.«

»Je nun, wenn dir der Befehl lieber ist als Bärbchen, so lade sie auf den Wagen und fahre davon. Ich weiß wohl, du könntest ihr um des Befehls willen mit einer Heugabel auf den Wagen helfen, wenn sie nicht aus eigenen Kräften hinein könnte. Hol' Euch der Teufel mit solcher Disziplin! In alten Zeiten, da machte der Mensch, was er konnte, und was man nicht konnte, das ließ man sein. Auf der Zunge führst du die Barmherzigkeit, aber wenn es heißt: Hurra, auf den Türken! so spuckst du sie aus wie einen Kern und führst das arme Ding an der Schlinge mit deinem Pferde mit.«

»Ich, keine Barmherzigkeit für Bärbchen? Sei eingedenk Gottes!« schrie der kleine Ritter.

Sagloba fauchte zornig; aber als er in Wolodyjowskis abgehärmtes Gesicht blickte, sagte er:

»Michael, du weißt: was ich sage, das sage ich aus wahrhaft väterlicher Liebe zu Bärbchen. Wenn dem nicht also wäre, würde ich hier sitzen unter dem türkischen Schwerte, anstatt mir Muße zu gönnen im sicheren Lande, was mir in meinen Jahren niemand übel deuten könnte? Und wer hat dir Bärbchen zur Frau gegeben? Wenn's nicht so ist, so laß' mich kochendes Wasser trinken und tu' nichts dazu, daß es besser schmecke.«

»Meine Dankbarkeit für Euch ist ohne Grenzen,« antwortete der kleine Ritter.

Sie umarmten sich, und gleich herrschte zwischen beiden die schönste Eintracht.

»Ich habe es mir schon zurechtgelegt,« sagte der kleine Ritter. »Wenn es Krieg gibt, so nehmt Ihr Bärbchen und geht mit ihr zu den Skrzetuskis ins Lukower Land, bis dorthin werden die Tataren nicht kommen.«

»Ich will es tun, um deinetwillen, obgleich ich gerade an dem Türken mein Mütchen kühlen möchte. Für mich gibt es nichts Jämmerlicheres als dies Schweinevolk, das keinen Wein trinkt.«

»Ich fürchte nur eins: Bärbchen wird durchaus nach Kamieniez wollen, um in meiner Nähe zu sein. Mich überläuft es kalt, wenn ich daran denke; und doch wird sie's wollen, so wahr Gott lebt.«

»So wirst du es nicht zugeben. Ist es nicht schon schlimm genug gekommen, daß du ihr in allem nachgibst, und daß du die Expedition nach Raschkow gestattet hast, obwohl ich gleich dagegen geeifert habe?«

»Ei, das ist nicht wahr, Ihr habt gesagt, Ihr wolltet keinen Rat geben.«

»Wenn ich sage, ich will keinen Rat geben, so heißt das schlimmer als abraten.«

»Bärbchen sollte eine Lehre daraus gezogen haben, aber sie ist doch einmal so; wenn sie das Schwert über meinem Haupte weiß, wird sie nicht nachgeben.«

»So wirst du es nicht zugeben, wiederhole ich. Ums Himmels willen, was für ein Strohmann!«

»Ich bekenne ja, wenn sie die Händchen an die Augen legt und zu weinen beginnt, oder wenn sie auch nur so tut, da wird mein Herz so weich wie Butter in der Pfanne. Es ist einmal so, sie hat mich behext. Fortschicken werde ich sie gewiß, denn ihre Sicherheit ist mir lieber, als das eigene Leben; aber wenn ich daran denke, daß ich sie so werde kränken müssen – bei Gott, der Atem stockt mir vor Schmerz.«

»Michael, so denke doch an Gott und laß' dich nicht an der Nase herumführen.«

»Bah, das tu' ich nicht; und wer hat gesagt, daß ich kein Mitleid mit ihr habe? Wart Ihr's nicht?«

»He?« machte Sagloba.

»Ihr meint, Ihr habt die Schlauheit gepachtet, und nun kratzt Ihr Euch selbst hinter den Ohren.«

»Ich denke darüber nach, mit welcher Überredung man es versuchen könnte.«

»Und wenn sie plötzlich die Händchen vor die Augen hält?«

»Ja, das wird sie tun,« sagte Sagloba mit sichtlicher Angst, und beide waren sehr bekümmert, denn in Wirklichkeit hatte Bärbchen sie ganz und gar in ihrer Hand. Sie hatten sie während der Krankheit aufs äußerste verzärtelt und liebten sie so, daß die Notwendigkeit, gegen ihren Wunsch und gegen ihr Herz zu verfahren sie mit Kummer erfüllte. Daß Bärbchen keinen Widerstand leisten und demütig sich ihrem Ausspruch fügen werde, wußte der eine so gut wie der andere; aber, von Michael ganz zu schweigen, selbst Sagloba hätte es vorgezogen, ganz allein ein ganzes Regiment Janitscharen zu überfallen, als Bärbchen zu widerstehen, wenn sie zu weinen drohte.

Noch an demselben Tage kam ihnen Hilfe, und wie sie hofften, sichere Hilfe in der Person unerwarteter, überaus lieber Gäste. Gegen Abend kamen ohne jede weitere Anmeldung Ketling und seine Gemahlin an. Die Freude und das Erstaunen bei diesem Wiedersehen war unbeschreiblich, und auch jene freuten sich sehr, da sie auf ihre ersten Fragen hörten, daß Bärbchen der Genesung entgegengehe. Christine eilte bald nach dem Alkoven, und gleich darauf drangen von dorther Freudenrufe, die den Rittern verkündeten, wie sehr Bärbchen durch den Besuch beglückt war.

Ketling und Herr Michael hielten sich lange umschlungen, immer wieder ließen sie voneinander, immer wieder schlossen sie sich in die Arme.

»Beim Himmel, Ketling,« sagte der kleine Ritter, »über den Marschallstab würde ich mich weniger freuen als über dich; aber was hast du hier in dieser Gegend vor?«

»Der Herr Hetman hat mich zum Vorgesetzten der Artillerie von Kamieniez gemacht,« antwortete Ketling, »da bin ich mit meiner Frau nach Kamieniez gereist. Wir haben dort von den schweren Tagen gehört, die Euch betroffen, und so haben wir uns unverzüglich nach Chreptiow aufgemacht. Gott sei Dank, lieber Michael, daß alles ein glückliches Ende genommen hat! Wir sind mit großer Kümmernis und mit bangem Herzen hergekommen, denn wir wußten nicht, ob wir hier zur Freude oder zur Trauer…«

»Zur Freude!« warf Sagloba ein.

»Wie ist das nur gekommen?« fragte Ketling.

Der kleine Ritter und Herr Sagloba begannen nun um die Wette zu erzählen; Ketling horchte auf, hob Augen und Hände gen Himmel und bewunderte Bärbchens Mut.

Nachdem sie sich genug erzählt hatten, begann der kleine Ritter Ketling auszufragen, wie es ihm ergangen sei, und dieser gab ihm einen ausführlichen Bericht. Nach der Hochzeit hatten sie an der kurländischen Grenze gewohnt; sie fühlten sich so wohl beieinander, »wie es im Himmel nicht schöner sein könne«. Als Ketling Christine heimführte, wußte er, daß er »ein himmlisches Wesen« nehme, und diese Meinung hatte er auch jetzt noch.