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Der kleine Ritter

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Plötzlich erhoben sich an den Ecken des Marktes Rauchsäulen, und aus dem Munde der Tataren ertönte ein so entsetzliches Geheul, daß der bleiche Schrecken die Walachen, Armenier und Griechen, Weiber und Kinder erfaßte. Nun ergoß sich auch ein Hagel von Pfeilen auf die ruhige Bürgerschaft. Ihr Wehegeschrei, das Gepolter der schnell geschlossenen Türen und Fensterläden vermischte sich mit dem Getrappel der Pferde und dem Gebrüll der Räuber. Der Markt überzog sich mit Rauch, von allen Seiten tönte es »Feuer – Feuer!« Läden, Häuser wurden aufgebrochen, erschreckte Weiber an den Haaren herausgezerrt; Geräte, Saffiane, Verkaufswaren, Betten flogen auf die Straße, und die Federn erhoben sich Wolken gleich empor; das Stöhnen hingeschlachteter Männer, Klagelaute und Heulen der Hunde, das Brüllen des Viehes, das vom Feuer in den hinteren Gebäuden ergriffen wurde, das Züngeln der Flammen, die selbst am Tage auf dem Hintergrund der dunklen Rauchsäulen sichtbar waren, und immer höher zum Himmel emporschossen; in dem Blockhause aber hatten sich Asyas Räuber gleich beim Beginn des Gemetzels auf die zum größten Teil waffenlosen Soldaten gestürzt.

Einen Kampf gab es kaum; unzählige Messer stießen unerwartet in jede polnische Brust; dann schnitt man den Unglücklichen die Köpfe ab und legte sie zu Füßen von Asyas Pferde nieder.

Der Sohn des Tuhaj-Bey gestattete dem größten Teil der Lipker, hinabzugehen und sich der blutigen Arbeit der Brüder anzuschließen. Er selbst stand da und schaute zu.

Der Rauch verschleierte Krytschynskis und Adurowitschs Werk. Der Dunst der Brände drang bis zum Blockhaus, die Stadt loderte auf wie ein riesiger Scheiterhaufen, und der Rauch verdeckte ihren Anblick. Von Zeit zu Zeit nur drang durch den Rauch der Schuß eines Gewehrs, wie ein Blitz in der Wolke, von Zeit zu Zeit blitzte es auf: ein fliehender Mann oder eine Schar Lipker in der Verfolgung begriffen.

Asya stand unbeweglich da und schaute zu; sein Herz war von Freude erfüllt. Ein grausames Lächeln verzerrte seine Lippen, und die weißen Zähne starrten daraus hervor, ein Lächeln, das um so furchtbarer war, als es sich mit dem Schmerz der trockenen Wunde vermischte. Und neben der Freude wogte Stolz in dem Herzen Asyas. Hatte er doch jene Bürde der Verstellung von sich geworfen, hatte er doch zum ersten Male dem Haß, den er jahrelang verborgen trug, freien Lauf gelassen. Jetzt fühlte er sich wieder als der wahre Asya, als der Sohn Tuhaj-Beys. Aber gleichzeitig erhob sich in ihm ein wilder Schmerz, daß Bärbchen diesen Brand, diese Metzelei nicht sehe, daß sie ihn nicht sehen könne in seinem neuen Berufe. Er liebte sie, und doch tobte in seinem Herzen die wilde Begier der Rache an ihr.

Stände sie hier neben meinem Pferde – dachte er bei sich – ich würde sie bei den Haaren festhalten, und meine Füße müßten sie berühren, und dann wurde ich sie nehmen und würde sie küssen und sie wäre mein, meine – Sklavin.

Vor der Verzweiflung schützte ihn nur die Hoffnung, daß die Abteilung, die zur Verfolgung ausgeschickt, oder die, die unterwegs zurückgeblieben waren, sie wiederbringen würden. Diese Hoffnung ergriff er wie ein Ertrinkender das Brett, und sie gab ihm Kraft. Er vermochte den Gedanken endgültiger Verzichtleistung nicht auszudenken, sondern gedachte lebhaft des Augenblicks, da er sie wiedergewinnen und sich zu eigen machen werde.

Er stand am Tor, bis die hingeschlachtete Stadt ruhig war; das war schnell geschehen, denn Adurowitschs und Krytschynskis Scharen zählten fast so viele Köpfe, wie das ganze Städtchen – und nur das Feuer überdauerte das Stöhnen der Menschen und wütete noch bis zum Abend. Asya war vom Pferde herabgeglitten und ging langsamen Schrittes in das geräumige Zimmer. In der Mitte hatte man Widderfelle für ihn ausgebreitet; er ließ sich nieder und erwartete die Ankunft der beiden Heerführer.

Sie kamen bald, mit ihnen die Hauptleute. Aller Gesichter waren von Freude erfüllt, denn die Beute überstieg ihre Erwartungen. Das Städtchen hatte sich seit der Zeit des Bauerneinfalls sehr gehoben und war wohlhabend. Man hatte auch etwa hundert junge Weiber und eine Schar Kinder von zehn Jahren an erbeutet, die man günstig in den Bazaren des Orients verkaufen konnte. Die Männer, alte Weiber und Kinder, die nicht fähig waren, weite Wege zu machen, hatte man hingemordet. Die Hände der Lipker dampften von Menschenblut, und an ihren Widderfellen haftete der Brandgeruch. Alle setzten sich um Asya herum, und Krytschynski begann:

»Nur ein Häufchen Asche bleibt nach uns zurück. Ehe die Kommandos zurückkehren, könnten wir noch nach Jampol ausrücken, dort ist an Gütern ebensoviel vorhanden wie in Raschkow.«

»Nein,« antwortete der Sohn des Tuhaj-Bey, »in Jampol sind meine Leute, die die Stadt in Brand setzen werden. Wir müssen jetzt in die Lande des Khans und des Sultans.«

»Wie du befiehlst. Wir kehren mit Ruhm und Beute heim,« sagten die Hauptleute und Führer.

»Hier im Blockhaus sind noch Weiber und jener Edelmann, der mich gepflegt hat,« sagte Asya; »ihm geziemt eine Belohnung.«

Bei diesen Worten schlug er in die Hände und befahl, die Gefangenen vorzuführen.

Man brachte sie sofort, Frau Boska, von Tränen überströmt, Sophie, bleich wie Linnen, Evchen und den alten Herrn Nowowiejski. Ihm waren Hände und Füße mit Bast geknebelt. Alle waren entsetzt, mehr aber noch erstaunt über das, was geschehen, und was ihnen vollkommen unverständlich war. Evchen allein hatte die dumpfe Empfindung – obwohl sie sich in Vermutungen verlor über das Schicksal Bärbchens, weshalb Asya sich bisher nicht hatte sehen lassen, warum man in der Stadt ein Gemetzel angerichtet und sie als Sklaven gebunden hatte – daß es sich um ihre Entführung handle, daß Asya geradezu rase aus Liebe zu ihr und, da er in seinem Hochmut ihren Vater um ihre Hand nicht bitten wolle, beschlossen habe, sie mit Gewalt zu entführen. All' das war an sich entsetzlich, aber Evchen zitterte wenigstens nicht um das eigene Leben.

Die Gefangenen, die man hergeführt hatte, erkannten Asya nicht, denn sein Gesicht war ganz verbunden. Aber die Angst ergriff die Weiber um so stärker, da sie im ersten Augenblick meinten, daß wilde Tataren auf irgend eine unerklärliche Weise die Lipker aufgerieben und Raschkow genommen hätten. Erst der Anblick Krytschynskis und Adurowitschs überzeugte sie, daß sie sich in der Hand von Asyas Leuten befanden. Eine Zeitlang sahen sie einander schweigend an. Endlich sprach der alte Nowowiejski mit unsicherer, aber kräftiger Stimme:

»In wessen Händen sind wir?«

Asya löste die Binden von seinem Haupte, und sein Gesicht, das trotz seiner Wildheit einst schön gewesen, erschien, für immer entstellt, mit gebrochenem Nasenbein, und mit einem schwarzblauen Fleck auf der Stelle des einen Auges – ein entsetzliches Gesicht, von kalter Rachgier und einem krampfhaften Zuckungen ähnlichen Lachen gezeichnet. Eine Weile noch schwieg er, dann heftete er sein glühendes Auge auf den alten Edelmann und antwortete:

»In meinen, in den Händen des Sohnes Tuhaj-Beys.«

Aber der alte Nowowiejski hatte ihn erkannt, ehe er sich genannt hatte; auch Evchen hatte ihn erkannt, obwohl ihr Herz sich zusammenzog in Entsetzen und Abscheu bei dem Anblick dieses gräßlichen Kopfes.

Das Mädchen verdeckte ihre Augen mit den Händen. Der Edelmann öffnete die Lippen, begann vor Verwunderung mit den Augen zu blinzeln und auszurufen: »Asya, Asya!«

»Den Ihr aufgezogen, dem Ihr Vater waret, und der unter Eurer väterlichen Hand in Strömen Blutes …«

Dem Edelmann stieg das Blut zu Kopfe: »Verräter,« sagte er, »vor dem Gericht wirst du für deine Taten Rede stehen … Natter!.. ich habe noch einen Sohn – «

»Und eine Tochter,« antwortete Asya, »um deretwillen du mich mit dem Ochsenziemer tödlich geißeln ließest; und diese Tochter schenke ich jetzt dem letzten meiner Knechte, damit sie ihm Dienerin zur Wollust sei.«

»Feldherr, schenke sie mir!« rief plötzlich Adurowitsch.

»Asya, Asya, ich habe dich immer …« schrie Evchen auf und stürzte zu seinen Füßen nieder.

Aber er stieß sie von sich, und Adurowitsch faßte sie in seine Arme und zog sie auf dem Fußboden zu sich hin. Herr Nowowiejski wechselte die Farbe, und sein rotes Gesicht lief bläulich an. Die Fesseln knarrten an seinen Händen, und seinen Lippen entrangen sich unverständliche Worte. Asya erhob sich von seinen Fellen und schritt auf ihn zu, erst langsam, dann immer schneller, wie ein wildes Tier, das sich auf seine Beute stürzen will; endlich, als er ganz nahe herangekommen war, faßte er ihn mit den zusammengekrallten Fingern seiner mageren Hand am Barte, mit der anderen Hand schlug er ihn erbarmungslos auf Gesicht und Kopf.

Ein heiseres Gekrächz drang aus seiner Kehle. Endlich, als der Edelmann zu Boden sank, kniete Asya auf seiner Brust nieder, und der helle Glanz seines Messers durchzuckte plötzlich das Dämmerlicht des Zimmers.

»Erbarmung! Rettung!« schrie Evchen.

Aber Adurowitsch schlug sie auf den Kopf und legte dann seine breite Hand auf ihren Mund; inzwischen hatte Asya Nowowiejski hingemordet.

Der Anblick war so entsetzlich, daß selbst den Tataren das Blut in den Adern erstarrte; denn Asya hatte mit berechneter Grausamkeit das Messer ganz langsam über die Kehle des unglücklichen Edelmannes geführt, und dieser gurgelte und röchelte entsetzlich. Aus den offenen Adern tröpfelte das Blut immer mächtiger auf die Hände des Mörders und floß in Strömen auf den Fußboden. Endlich wurde das Röcheln und das Gurgeln allmählich still, nur der Atem pfiff in der durchschnittenen Kehle, und die Füße des Sterbenden schlugen in krampfhaften Zuckungen gegen den Boden.

Asya stand auf. Sein Gesicht fiel jetzt auf das bleiche und süße Gesichtchen Sophies, die tot zu sein schien, denn sie hing ohnmächtig über den Armen des Tataren, – und er sagte:

»Dieses Mädchen behalte ich für mich, bis ich es verschenke oder verkaufe.« Dann wandte er sich an die Tataren:

 

»Und jetzt, sobald die Verfolger zurückkehren, geht's in die Lande des Sultans.«

Die Verfolger kamen zwei Tage später zurück, aber mit leeren Händen, und so zog denn der Sohn Tuhaj-Beys in die Lande des Sultans, Verzweiflung und rasende Wut im Herzen, hinter sich einen grauen, bläulichen Aschenhaufen zurücklassend.

Zehn bis zwölf ukrainische Meilen trennten jene Städte, durch welche Bärbchen ihren Weg von Chreptiow nach Raschkow nahm, oder die ganze Reise betrug, wenn man dem Dniestr folgte, etwa dreißig Meilen. Zwar war man von dem Nachtlager noch vor Tag aufgebrochen und hatte nicht Halt gemacht, ehe die Nacht eingetreten war – und doch hatte der ganze Marsch mit der Rastzeit, trotz der Schwierigkeiten, Übergänge und Überfähren drei Tage gedauert. Da Bärbchen dies überdachte, rechnete sie sich aus, daß der Rückweg, der Weg nach Chreptiow, ihr noch weniger Zeit rauben müsse, besonders da sie ihn zu Pferde zurücklegte, und da er doch eine Flucht bedeutete, in welcher die Rettung von der Schnelligkeit abhing.

Aber schon am ersten Tage bemerkte sie, daß sie sich täusche, denn da sie nicht den Dniestr entlang fliehen konnte, sondern Umwege durch die Steppen machte, war sie genötigt, ungeheure Strecken zuzugeben, und überdies konnte sie sich noch verirren; es war sogar wahrscheinlich, daß sie sich verirrte.

Sie konnte auf versumpfte Flüsse stoßen, auf undurchdringliche Waldesdickichte, auf Brüche, die selbst im Winter nicht froren, auf Hindernisse von Mensch und Tier; und wenn sie auch die Absicht hatte, die Nächte hindurch weiter zu reiten, so befestigte sich doch unwillkürlich in ihr die Überzeugung, daß sie selbst bei einem glücklichen Ausgang Gott weiß wann in Chreptiow ankommen werde.

Es war ihr gelungen, sich den Armen Asyas zu entreißen, aber was nun? Gewiß war alles besser als diese schmachvollen Arme, und doch erstarrte das Blut in ihren Adern zu Eis, wenn sie an das dachte, was sie jetzt erwartete. Schonte sie das Pferd, so konnte sie eingeholt werden. Die Lipker kannten diese Steppe wie ihre Tasche, und sich vor ihren Augen, vor ihrer Verfolgung verbergen, war fast eine Unmöglichkeit. Verfolgten sie doch sogar im Frühling und im Sommer ganze Tage hindurch die Tataren, wenn die Pferdehufe nicht die geringsten Spuren im Schnee oder in der weichen Erde zurückließen; sie lasen in der Steppe wie in einem offenen Buche. Sie schweiften über diese Ebenen hin wie Adler, sie verstanden in ihnen zu wittern wie Jagdhunde, das ganze Leben ging ihnen hin unter Streifzügen. Vergeblich nahmen die Tataren häufig ihren Weg zu Wasser, um keine Spur zurückzulassen – die Kosaken, die Lipker und Tscheremissen verstanden gerade so wie die polnischen Steppenkämpfer sie aufzufinden, ihrer List mit List zu begegnen, und so plötzlich hereinzubrechen, als seien sie aus dem Boden herausgewachsen. Wie sollte man vor einem solchen Volke fliehen? Man konnte sie nur so weit hinter sich lassen, daß die Entfernung selbst die Verfolgung unmöglich machte. Aber in diesem Falle mußten die Pferde zusammenbrechen.

Sicher mußten sie zusammenbrechen, wenn sie beständig wie bisher angestrengt werden würden, dachte Bärbchen mit Entsetzen, wenn sie ihre feuchten, dampfenden Seiten sah, und den Schaum, der in Bällen zu Boden fiel.

Sie hemmte also von Zeit zu Zeit ihren Lauf und horchte auf; da vernahm sie in jedem Wehen des Windes, in jedem Rauschen des Laubes, das auf den Felsengraten wuchs, in dem trockenen Geräusch, mit welchem die welken Stengel der Steppennesseln aneinanderschlugen, im Rauschen der Flügel der vorübereilenden Vögel, selbst in der Stille der Wüste, die in die Ohren klang, den Widerhall verfolgender Rosse. In ihrem Schrecken gab sie wieder den Pferden die Sporen und eilte in rasendem Laufe dahin, bis das Keuchen der Tiere ihr anzeigte, daß sie nicht weiter konnten.

Die Bürde der Einsamkeit und der Ohnmacht lastete immer schwerer auf ihr. Ach, wie fühlte sie sich verwaist, welch ein Leid, so groß wie ungerecht, wuchs in ihrem Herzen gegen alle Menschen, gegen die Nächsten und Teuersten, die sie so verlassen hatten!

Dann dachte sie wieder, daß Gott sie wohl strafe für ihre Begier nach Abenteuern, für ihre Sucht, an allen Jagden, allen Kriegszügen teilzunehmen gegen den Wunsch ihres Gatten, für ihre Ausgelassenheit und Leichtfertigkeit, und bei diesen Gedanken weinte sie bitterlich, hob das Auge zum Himmel, und wiederholte weinend:

»Strafe, aber verlaß' mich nicht, straf' Michael nicht, Michael ist unschuldig!«

Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, und mit ihr die Kühle und Dämmerung, die Unsicherheit des Weges und erneute Unruhe. Die Gegenstände begannen zu verschwimmen, sich gleichsam geheimnisvoll zu beleben und gespensterhaft zu lauern. Die Unebenheiten an den Spitzen der hohen Felsen sahen wie Köpfe aus, die spitze oder runde Mützen trugen und die über Riesenmauern hinweg sich verneigten und schweigsam und unhold ausschauten, wer wohl dort unten vorüberreite. Die Zweige der Bäume, die der Wind hin und her schaukelte, nahmen menschliche Bewegungen an; die einen nickten Bärbchen lockend zu, als wollten sie ihr ein furchtbares Geheimnis anvertrauen, andere schienen zu sprechen und zu warnen: Komm nicht heran! Die Bäume auf den Abhängen sahen wie sprungbereite Ungeheuer aus. Bärbchen war mutig, sehr mutig, aber wie alle Menschen jener Zeit abergläubisch; darum stand ihr, als völlige Dunkelheit eingebrochen war, das Haar zu Berge, ein Schauer durchrieselte ihren Körper bei dem Gedanken an die unreinen Mächte, die diese Gegenden bewohnen konnten. Besonders fürchtete sie die Vampire. Der Glaube an diese war in den Dniestrländern wegen der Nähe der Moldau sehr verbreitet, und gerade diese Gegenden um Jampol und Raschkow herum hatten einen schlechten Ruf. So viele Menschen schieden hier durch unerwarteten Tod von der Welt, ohne Beichte, ohne Sündenvergebung. Bärbchen rief sich alle Erzählungen ins Gedächtnis, die an den Abenden in Chreptiow die Ritter zum besten gaben: von den Talschluchten, aus welchen bei Windeswehen plötzlich Stöhnen erklang: Jesus, Jesus!, von den neckenden Flammen, aus denen es schnarchte, – von den lachenden Felsen, von den blassen Kindern mit grünen Augen und ungeheuerlichen Köpfen, welche baten, sie mit aufs Pferd zu nehmen, und die dann dem Reiter das Blut aussogen, endlich von den Köpfen ohne Rumpf, die auf Spinnenfüßen einhergingen, und von den schrecklichsten all' dieser Schrecknisse, den ausgewachsenen Vampiren, oder den im Welschen sogenannten Brukolaken, die ohne weiteres die Menschen anfielen.

Sie machte das Zeichen des Kreuzes so lange, bis ihre Hand müde war, und dann sprach sie die Litanei, denn durch keine andere Waffe konnte man die unreinen Mächte abwehren. Mut gaben ihr die Pferde, die keine Furcht verrieten und fröhlich wieherten. Von Zeit zu Zeit klopfte sie mit der Hand den Nacken ihres Apfelschimmels, als wollte sie sich auf diese Weise überzeugen, daß sie sich in der wirklichen Welt befinde.

Die Nacht, die anfangs sehr finster gewesen war, wurde allmählich heller, und endlich schimmerten die Sterne durch die dünnen Nebel. Für Bärbchen war dies ein ungewöhnlich günstiger Umstand, denn erstens nahm ihre Angst ab, und dann konnte sie, wenn sie den Großen Wagen im Auge behielt, auf den Norden zureiten, in der Richtung nach Chreptiow. Sie schaute sich in der Gegend um und berechnete, daß sie sich schon bedeutend vom Dniestr entfernt haben müsse, denn es gab hier weniger Felsen, das Land hatte eine größere Ausbreitung, es waren mehr mit Eichen bestandene Hügel und weit ausgedehnte Ebenen vorhanden.

Doch mußte sie immer wieder durch Schluchten, und jedesmal entstand neue Angst in ihrem Herzen, denn in der Tiefe war es dunkel, und eine strenge, durchdringende Kälte lagerte unten. Manche Täler waren so abschüssig, daß sie umgangen werden mußten, und das verursachte großen Verlust an Zeit und eine Erschwerung des Weges.

Schlimmer noch war es mit den Strömen und Flüßchen, die ein ganzes Netz bildeten vom Osten zum Dniestr hin. Alle waren vom Eise frei, und die Pferde wieherten furchtsam, wenn sie in der Dunkelheit durch ein Wasser wateten, dessen Tiefe sie nicht kannten. Bärbchen setzte nur an den Stellen über, wo ein ausgedehntes Ufer vermuten ließ, daß das breite Wasser flach sei; in den meisten Fällen war es auch so, zuweilen aber reichte das Wasser bis zur Hälfte der Pferdeleiber; dann kniete Bärbchen nach Soldatenart auf der Satteldecke, hielt sich mit den Händen an dem Vorderknauf und bemühte sich, die Füße nicht ins Wasser tauchen zu lassen. Aber dies gelang ihr nicht vollkommen, und bald erfaßte sie von Fuß bis Kopf eine empfindliche Kälte.

»Wenn mit Gottes Hilfe der Tag kommt, reite ich schneller vorwärts,« wiederholte sie immer wieder.

Endlich gelangte sie auf eine große Ebene, die von einem dünnen Walde bestanden war, und da sie sah, daß die Pferde kaum noch vorwärts konnten, machte sie Halt und rastete. Beide Renner streckten alsbald die Hälse gegen den Boden, setzten einen der Vorderfüße vor und begannen begierig das Moos und welke Gras aufzukratzen. Im Walde herrschte vollkommene Ruhe, die nur das hörbare Schnaufen der Pferde und das Knistern des Grases in ihren Mäulern unterbrach.

Nachdem sie den ersten Hunger gestillt oder richtiger getäuscht hatten, zeigten beide Pferde offenbar Lust, sich hinzustrecken; aber Bärbchen konnte dem nicht willfahren, sie wagte nicht einmal, die Zügel aus der Hand zu lassen und selbst abzusitzen, denn sie wollte jeden Augenblick zur weiteren Flucht bereit sein.

Sie bestieg aber Asyas Pferd, denn ihr Apfelschimmel trug sie schon seit der letzten Rast, und obwohl er tüchtiges, edles Blut in den Adern hatte, war er doch zarter als Asyas Tatarenpferd. Nachdem sie dies getan, empfand sie Hunger; ihren Durst hatte sie wiederholt bei den Übergängen über die Flüsse löschen können. Sie begann nun von dem Samen zu essen, von dem sie ein Beutelchen voll an Tuhaj-Beys Satteldecke gefunden hatte. Er schmeckte ihr sehr gut, wenn auch ein wenig bitter, sie aß also und dankte Gott für diese unerwartete Stärkung. Aber sie aß sparsam, damit er bis Chreptiow ausreiche. Dann schloß der Schlaf mit unüberwindlicher Macht ihre Lider; aber gleichzeitig ging, als die Bewegung des Pferdes sie nicht mehr erwärmte, eine empfindliche Kälte durch ihren ganzen Körper. Ihre Füße waren vollkommen erstarrt, sie fühlte eine unendliche Ermattung, besonders im Kreuz und in den Armen, welche durch das Ringen mit Asya überangestrengt waren. Eine große Schwäche erfaßte sie, und ihre Augen schlossen sich. Nach einer Weile öffnete sie dieselben mit großer Kraftanstrengung.

»Nein, am Tage, während des Reitens will ich schlafen,« dachte sie, »denn wenn ich jetzt einschlafe, so erfriere ich.«

Aber ihre Gedanken wurden immer unklarer, gingen immer mehr einer in den anderen über und führten ihr wirre Bilder vor die Seele, in welchen die Wüste, die Flucht und die Verfolgung, Asya, der kleine Ritter, Evchen und die letzten Ereignisse sich vermischten, – es war ein Traum im halben Wachen. Alles das floh gleichsam vorwärts wie eine Woge, die der Wind peitscht, und sie, Bärbchen, eilte mit, ohne Angst, ohne Freude, als müsse sie mit. Asya schien sie zu verfolgen, und gleichzeitig sprach er mit ihr und machte sich Sorge um die Pferde; Sagloba zürnte, daß das Abendbrot kalt werde, Michael zeigte ihr den Weg, und Evchen fuhr hinter ihnen her im Schlitten und aß Datteln.

Dann vermischten sich die Bilder dieser Personen immer mehr, als umschleiere sie ein nebliger Vorhang oder die Dämmerung, und allmählich schwanden sie ganz. Es blieb nur eine seltsame Finsternis, die der Blick nicht durchdrang, und die ins Unendliche zu gehen schien; überall drang sie hinein, selbst bis in Bärbchens Köpfchen und verlöschte alle Gesichte, alle Gedanken, wie das Wehen des Windes die Fackeln löscht, die in der Nacht in freier Luft brennen.

Bärbchen schlief ein; aber zum Glück erweckte sie, noch ehe die Kälte das Blut in ihren Adern erstarren ließ, ein ungewöhnlicher Lärm. Die Pferde rissen sich plötzlich los, – es war offenbar in der Wüste etwas Außerordentliches geschehen. Bärbchen gewann im Augenblick die Geistesgegenwart wieder, ergriff Asyas Muskete und horchte über das Pferd geneigt mit gespannter Aufmerksamkeit. Sie war eine so geartete Natur, daß jede Gefahr im ersten Augenblick Wachsamkeit, Mut und Kampfbereitschaft in ihr weckte.

Diesmal beruhigte sie sich sogleich wieder; die Stimmen, die sie erweckt hatten, waren nichts anderes als das Grunzen von Wildschweinen. Mochten die Wölfe die Frischlinge überschleichen, oder die Schweine sich um die Bachen12 streiten – die ganze Wüste hallte plötzlich von dem Lärm wieder. Das Getöse war sicherlich in weiter Ferne, aber in der nächtlichen Stille und dem allgemeinen Frieden schien es so nah, daß Bärbchen nicht nur das Grunzen und Quieken hörte, sondern auch das laute Pfeifen der mächtig atmenden Rüssel. Plötzlich ertönte ein Knattern, ein Knistern durchbrochener Sträucher, und ein ganzes Rudel jagte, wenn auch für Bärbchen unsichtbar, in der Nähe vorüber und tauchte in das Dunkel der Wüste.

 

In dem unverbesserlichen Bärbchen schlug, trotz ihrer trostlosen Lage, auf einen Augenblick die Ader des Jägers, und es tat ihr leid, daß sie dies vorübereilende Rudel nicht gesehen hatte.

»Ich hätte doch ein wenig zuschauen können,« sagte sie zu sich, »von hier aber ist nichts zu sehen. Wenn ich in den Wald hineinreite, werde ich vielleicht noch etwas erspähen können.«

Erst nach dieser Erwägung fiel es ihr ein, daß es besser sei, nichts zu sehen und so schnell als möglich davonzukommen, und so setzte sie ihren Weg fort. Sie konnte auch nicht länger auf der Stelle stehen, schon darum nicht, weil die Kälte immer empfindlicher wurde, und die Bewegung der Pferde sie stark erwärmte, ohne sie verhältnismäßig zu ermüden. Die Pferde aber, die nur ein wenig Moos und erfrorenes Gras erwischt hatten, gingen unwillkürlich und mit gesenktem Kopf vorwärts. Der Reif hatte ihnen die Seiten bedeckt, als sie standen, und sie schienen kaum die Füße vorwärts zubringen; trotzdem ging es seit der Mittagsrast fast ohne Unterbrechung weiter.

Bärbchen ritt über die Heide hin, die Augen auf den Großen Wagen geheftet, immer tiefer in die Wüste hinein, die nicht allzu dicht war, aber hügelig und von engen Rissen durchschnitten. Es wurde auch immer finsterer, nicht nur infolge des Schattens, den die laubreichen Bäume warfen, sondern auch, weil Ausdünstungen dem Boden entstiegen und die Sterne verdeckten. Sie mußte auf gut Glück weiter reiten. Nur die Felsenrisse gaben Bärbchen einen Fingerzeig dafür, daß sie in der gewünschten Richtung vorwärts komme, denn das wußte sie, daß sie alle von Osten nach dem Dniestr zu verliefen, daß sie also, indem sie einen nach dem anderen überwand, in der Richtung nach Norden reite. Und doch dachte sie, daß trotz dieses Wegweisers ihr immer die zu große Entfernung oder eine allzu große Annäherung zu ihm drohe; eines wie das andere konnte gefährlich werden, denn im ersten Falle hätte sie ein ungeheures Stück Weges zuviel gemacht, im entgegengesetzten konnte sie nach Jampol gelangen und dort in die Hände des Feindes fallen. Ob sie sich aber noch vor Jampol befand, ob sie gerade auf seiner Anhöhe stand, ob es schon hinter ihr lag – davon hatte sie nicht die geringste Vorstellung.

»Eher schon werde ich wissen, wenn ich Mohylow hinter mir habe,« sagte sie sich, »denn dies liegt in einer großen, breiten Schlucht, die ich vielleicht erkennen werde.«

Dann blickte sie zum Himmel empor und dachte:

»Hilft mir Gott nur erst über Mohylow hinaus, dort beginnt Michaels Herrschaft, dort schreckt mich nichts mehr.«

Die Nacht wurde immer dunkler; zum Glück lag hier auf dem Boden des Waldes schon Schnee, auf dessen weißem Grunde man die dunklen Stämme der Bäume, die niedrigen Äste erkennen konnte, um sie zu vermeiden; aber Bärbchen mußte langsamer reiten, und wieder fiel ihre Seele die Furcht vor den unreinen Mächten an, die zu Beginn der Nacht ihr Blut zu Eis hatten gerinnen lassen.

»Wenn ich unten Augen leuchten sehe,« sagte sie zu ihrem erschreckten Herzen, »so bedeutet das nichts, das ist ein Wolf; sehe ich sie aber in Menschenhöhe …«

In diesem Augenblick schrie sie laut auf.

»Im Namen des Vaters und des Sohnes!«

War es Täuschung oder war es eine wilde Katze, die auf einem Äste saß, genug, Bärbchen sah deutlich ein Paar glänzender Augen in der Höhe eines Menschen.

Vor Angst gingen ihr die Augen über. Als sie wieder klar sehen konnte, war nichts mehr da; nur ein Geräusch ließ sich zwischen den Zweigen hören, ihr Herz pochte so laut in der Brust, als wollte es seine Wände sprengen. Und so ritt sie weiter ohne Ende, ohne Ziel, und sehnte das Tageslicht herbei. Die Nacht zog sich unendlich in die Länge. Bald verlegte ihr wieder ein Fluß den Weg. Bärbchen war schon ziemlich weit hinter Jampol am Ufer der Rosawa; aber sie wußte nicht, wo sie sich befand und vermutete nur, daß sie sich beständig nach Norden fortbewege, da sie wieder auf einen neuen Fluß gestoßen war. Die Nacht mußte bald ihr Ende erreicht haben, denn die Kühle nahm beständig zu; es trat offenbar Frost ein, der Nebel senkte sich, und die Sterne zeigten sich wieder, nur blasser und in einem unsicheren Lichte flimmernd.

Endlich begann die Dunkelheit allmählich zu bleichen, die Stämme, die Äste und Zweige traten immer deutlicher aus dem Dunkel hervor, im Walde herrschte vollkommene Stille – es war Tag.

Nach kurzer Zeit konnte Bärbchen schon die Farbe der Pferde unterscheiden. Endlich zeigte sich im Osten ein lichter Streifen, ein schöner, heller Tag war angebrochen.

Bärbchen empfand eine unendliche Müdigkeit; ihre Lippen öffneten sich zu unterbrochenem Gähnen, und ihre Augen fielen zu. Bald schlief sie fest ein, aber nur auf kurze Zeit, denn ein Zweig, an den sie ihren Kopf stieß, weckte sie wieder auf. Zum Glück gingen die Pferde sehr langsam, während des Schreitens nach Moos suchend, darum war der Schlag ein so leichter, daß er ihr keinen Schaden zufügte. Die Sonne war schon emporgestiegen, und ihre blassen, freundlichen Strahlen fielen durch die blattlosen Zweige. Bei ihrem Anblick erfüllte Bärbchens Herz neuer Mut; schon lag zwischen ihr und ihren Verfolgern eine große Strecke, so viele Berge, Schluchten, die ganze Nacht. »Wenn mich nur die Leute hinter Jampol oder Mohylow nicht fassen, jene dort holen mich gewiß nicht mehr ein,« sagte sie sich. Sie rechnete auch damit, daß sie im Anfang ihrer Flucht über felsigen Boden geritten war, auf dem die Hufe keine Spuren zurückließen. Aber bald erfaßte sie wieder Verzweiflung.

Die Lipker finden die Spur auch auf Felsen und Steinen, und es lag nahe, daß sie diese wütend verfolgen würden, wenn ihnen nicht etwa die Pferde fielen. Diese letztere Vermutung war sehr wahrscheinlich; Bärbchen brauchte ja nur ihre Pferde anzusehen, der Apfelschimmel wie das Tatarenpferd hatten eingefallene Seiten, gesenkte Häupter, einen erloschenen Blick. Während sie dahinschritten, hielten sie beständig die Köpfe zu Boden geneigt, um etwas Moos zu erhaschen, oder sie erfaßten im Vorübergehen das rötliche Laub, das hier und da auf niedrigen Eichensträuchern welkte. Sie wurden wohl auch vom Fieber gequält, denn bei allen Flußübergängen tranken sie begierig.

Trotzdem trieb Bärbchen, da sie wieder auf das freie Feld zwischen zwei Wäldchen gelangt war, die müden Rosse an und jagte so einem anderen Wäldchen entgegen.

Als sie auch dieses durchritten hatte, kam sie auf eine zweite Heide, die noch größer, noch hügeliger war. Hinter den Hügeln, in einer Entfernung von etwa einer Viertelmeile, sah sie Rauch, der wie eine Fichte schnurstracks gen Himmel stieg. Es war der erste bewohnte Ort, den Bärbchen antraf, denn im übrigen war dieses Land, mit Ausnahme des Uferstrichs, eine Wüste, oder vielmehr es war in eine Wüste verwandelt worden, nicht bloß infolge der Tatareneinfälle, sondern auch durch die ununterbrochenen polnisch-kosakischen Kriege. Nach dem letzten Kriegszug Tscharniezkis, dem Buscha zum Opfer gefallen war, waren die Städtchen zu elenden Flecken herabgesunken, die Dörfer mit jungem Wald bewachsen, und seit diesen Zeiten hatte es noch so viele Kriege, so viele Schlachten, so viele Metzeleien gegeben bis in die letzten Tage, in welchen der große Sobieski diese Lande dem Feinde entrissen hatte. Schon begann sich wieder Leben anzusiedeln, aber die Strecke, welche Bärbchen ritt, war besonders öde, nur Räuber hausten hier; aber auch diese hatten die Kommandos, die in Raschkow, Jampol, Mohylow und Chreptiow standen, schon beinahe ganz aufgerieben.

12Bache = Wildsau.