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Der kleine Ritter

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Sie näherte sich dem Schlitten und ritt einige Stunden in Evchens Nachbarschaft, plauderte mit ihr über Raschkow, über den alten und jungen Herrn Nowowiejski, über Sophie Boska und endlich über die Gegend, die immer wilder, immer furchtbarer, immer wüster wurde. Schon unmittelbar hinter Chreptiow hatte die Wüste begonnen. Aber es erhob sich wenigstens von Zeit zu Zeit am Horizont eine Rauchsäule, die eine Hütte ankündigte, einen menschlichen Wohnsitz. Hier gab es gar keine Spur von Menschen; und wenn Bärbchen nicht gewußt hätte, daß sie nach Raschkow reite, wo Menschen wohnen, und eine polnische Besatzung lag, sie hätte glauben können, man führe sie irgendwo in unbekannte Wüsteneien, in fremde Länder, ans Ende der Welt. Sie sah sich in der Gegend um, hielt unwillkürlich an und blieb bald hinter dem Schlitten und der ganzen Abteilung zurück. Asya kam nach einer kurzen Weile zu ihr, und da er die Gegend gut kannte, zeigte er ihr die verschiedenen Orte und nannte sie mit Namen. Aber das dauerte nicht lange, denn der Boden begann zu dampfen. Der Winter hatte offenbar in diesen südlichen Strichen nicht die Kraft, die er im waldigen Chreptiow hatte. Es lag zwar noch ein wenig Schnee in den Schluchten und Klüften, an den Felsgraten, und auch an den nach Norden gerichteten Abflachungen der Höhen, aber im allgemeinen war der Boden nicht von Schnee bedeckt; er war mit niedrigem Gestrüpp besetzt oder glänzte von feuchtem, welkem Gras. Von diesen Gräsern stieg ein leichter, weißlicher Dunst auf und zog sich den Boden entlang, so daß es das Aussehen großer Wasserflächen hatte, welche die Täler erfüllten und weithin über die Ebene ergossen waren; dann hob sich dieser Dunst und stieg immer höher, den Glanz der Sonne verdeckend und den lichten Tag in düsteren Nebel verwandelnd.

»Morgen wird es Regen geben,« sagte Asya.

»Wenn es nur heute nicht regnet. – Wie weit ist es noch bis Raschkow?«

Asya blickte nach dem nächsten, durch den Nebel kaum erkennbaren Punkt, und antwortete:

»Von hier ist es schon näher nach Raschkow als zurück nach Jampol,« und er atmete tief auf, als sei eine große Last von seiner Schulter gefallen.

In diesem Augenblick erklang Pferdegetrappel von der Abteilung her, und ein Reiter tauchte im Nebel auf. »Halim? ich erkenne ihn!« rief Asya.

Halim hatte Asya und Bärbchen erreicht, sprang vom Pferde und verneigte sich vor dem jungen Tataren.

»Aus Raschkow?« fragte Asya.

»Aus Raschkow, mein Herr und Gebieter,« antwortete Halim.

»Was gibt es dort?«

Der Alte erhob sein häßliches, von unsäglichen Mühen abgemagertes Gesicht zu Bärbchen, als wollte er fragen, ob er in ihrer Gegenwart sprechen dürfe; aber Asya sagte sogleich:

»Sprich ohne Scheu, sind die Truppen abgezogen?«

»So ist es, Herr, nur ein Häuflein ist zurückgeblieben.«

»Wer hat sie geführt?«

»Herr Nowowiejski.«

»Die Piotrowitsch sind nach der Krim gezogen?«

»Schon lange; nur die zwei Frauen und der alte Herr Nowowiejski sind bei ihnen.«

»Wo ist Krytschynski?«

»Jenseits des Flusses; er wartet.«

»Wer ist mit ihm?«

»Adurowitsch mit seinem Häscher. Beide verneigen sich vor dir, Sohn Tuhaj-Beys, und empfehlen sich in deine Hand – sie und alle jene, die noch nicht angelangt sind.«

»Gut,« sagte Asya und es blitzte auf in seinen Augen, »fliege zu Krytschynski und befiehl ihm, Raschkow zu nehmen.«

»Dein Wille geschehe, Herr!«

Halim sprang auf sein Pferd und verschwand wie ein Gespenst im Nebel. Ein entsetzlicher, unheilverkündender Glanz lag auf Asyas Gesicht; der entscheidende Augenblick, der Augenblick der Erwartung, der Augenblick seines höchsten Glückes – er war gekommen. Das Herz schlug ihm so, daß ihm der Atem stockte … Eine Zeitlang ritt er schweigend neben Bärbchen her, und erst, als er fühlte, daß die Stimme ihm nicht versagen werde, wandte er ihr seine tiefen, glänzenden Augen zu und sagte:

»Jetzt will ich offen mit Ew. Liebden sprechen …«

»Ich höre,« gab Bärbchen zurück und sah ihn forschend an, als wollte sie in seinen veränderten Zügen lesen.

Asya brachte sein Pferd so nahe an Bärbchens Apfelschimmel heran, daß er beinahe mit seinem Steigbügel den ihrigen berührte, und ritt so noch eine Weile schweigend neben ihr. Er wollte sich ganz beruhigen und wunderte sich, daß er die Ruhe so schwer finden konnte, da doch Bärbchen in seiner Gewalt war, und es keine menschliche Kraft gab, welche sie ihm zu entreißen vermocht hätte. Aber es war ihm selbst kaum bewußt, daß trotz aller Unwahrscheinlichkeit und trotzdem die Wirklichkeit das Gegenteil zu sagen schien, ein Fünkchen Hoffnung in ihm glühte, das begehrte Weib könne ihm Gegenliebe schenken. War diese Hoffnung auch schwach, so war doch der Wunsch, daß es so sei, so mächtig, daß es ihn wie ein Fieber schüttelte. Die Begehrte wird ihre Hand nicht öffnen, sie wird ihm nicht in die Arme stürzen, sie wird die Worte nicht sprechen, die er ganze Nächte hindurch träumte: »Asya, ich bin dein!«, sie wird nicht an seinem Munde mit ihren Lippen hängen – das wußte er. Aber wie wird sie seine Worte aufnehmen? Was wird sie sagen? Wird sie alles Gefühl verlieren, wie die Taube in den Klauen des Raubvogels? Und wird sie sich so fassen lassen, wie das verlassene Täubchen dem Habicht sich hingibt? Wird sie in Tränen um Mitleid betteln, wird sie mit einem Schrei des Entsetzens die Wüste erfüllen? Wird von alledem mehr oder weniger geschehen? … Solche Fragen tobten in der Seele des Tataren. Und doch war die Zeit gekommen, da die Verstellung, der Schein aufhören mußte, da er das wahre, entsetzliche Gesicht zeigen mußte … Das war die Furcht, das die Unruhe … noch einen Augenblick – und alles war geschehen.

Endlich aber wandelte sich diese dumpfe Angst in der Seele des Tataren zu dem, wozu sich meist die Angst eines wilden Tieres wandelt, zu Wut … Und er selbst schürte diese Wut. Was auch geschehen mag, dachte er, sie ist mein, ganz mein, mein wird sie heute noch sein, und mein ist sie morgen, und dann kehrt sie nicht mehr heim zu ihrem Gatten, sondern bleibt bei mir.

Bei diesem Gedanken erfaßte ihn eine wilde, rasende Freude, und er sprach plötzlich mit einer Stimme, die ihm selbst fremdartig klang:

»Ew. Liebden haben mich bis heute nicht gekannt.«

»In diesem Nebel klingt Eure Stimme so verändert,« sagte Bärbchen etwas beklommen, »daß ich wirklich glaube, es spreche ein anderer.«

»In Mohylow liegen keine Truppen, in Jampol keine, in Raschkow keine – ich allein bin hier Herr. Krytschynski, Adurowitsch und jene anderen sind meine Sklaven, denn ich bin ihres Herrschers Sohn – ich ihr Vezier, ich der höchste Mirza, ich bin ihr Führer, wie Tuhaj-Bey ihr Führer war, ich bin ihr Khan, ich allein habe die Macht, und alles hier ist in meiner Macht.«

»Wozu sagt Ihr mir das?«

»Ew. Liebden haben mich bis heute nicht gekannt. Raschkow ist nicht fern, ich wollte Tatarenhetman werden und der Republik dienen, aber Herr Sobieski wollte das nicht. Ich mag nicht länger ein Sohn der Wüste sein, unter eines anderen Kommando dienen, ich will selbst große Scharen führen gegen Dorosch oder gegen die Republik, wie Ew. Liebden wollen, wie Ew. Liebden befehlen.«

»Wie ich befehle? Asya, was geht mit Euch vor?«

»Das geht mit mir vor, daß alle hier meine Sklaven sind, und ich der Eure. Was gilt mir der Hetman, was seine Erlaubnis, sein Widerspruch! Sprecht ein Wort, und ich lege Ew. Liebden Akerman11 zu Füßen, und die Debrudscha, und diese Horden, die hier wohnen, und die, die in den wilden Feldern umherschweifen, und die, die weit und breit hier ihre Winterlager haben, werden Eure Sklaven sein, wie ich Euer Sklave bin! Befehlt, und ich kündige dem Khan der Krim den Gehorsam, und ich kündige dem Sultan den Gehorsam, und ich will sie mit dem Schwerte bekämpfen und der Republik Hilfe bringen, und eine neue Horde in dieser Gegend begründen, über die ich Khan bin, und über mir dürft Ihr allein sein, Euch allein werde ich dienen, um Eure Gnade, Euer Erbarmen bitten.« Und er neigte sich auf seiner Satteldecke vor, faßte das erschreckte und von seinen Worten betäubte Weib um die Hüfte und sprach schnell mit heiserer Stimme weiter:

»Hast du es nicht gewußt, daß ich dich allein liebe, und wie ich gelitten habe … Und ich nehme dich auch so, du bist schon die meine, und bleibst die meine; niemand wird dich hier meinen Armen entreißen … du bist mein … du bist mein … du bist mein!«

»Jesus Maria!« schrie Bärbchen auf.

Aber er preßte sie in seinen Armen, als wollte er sie erwürgen. Kurzer Atem hob seine Brust, seine Augen wurden trübe; endlich zog er sie aus dem Steigbügel, aus der Satteldecke und setzte sie vor sich, drückte ihre Brust an die seine, und seine bläulichen Lippen öffneten sich begehrlich wie der Mund eines Fisches, und begannen die ihrigen zu suchen. Sie stieß keinen Schrei aus, aber sie leistete mit unerwarteter Kraft Widerstand. Es begann ein Kampf zwischen ihnen, in dem man nur ihren gedämpften Atem hörte. Seine gewaltsamen Bewegungen, und die Nähe seines Gesichts gaben ihr die Geistesgegenwart wieder. Ein Augenblick des Hellsehens kam über sie, wie es bei Ertrinkenden zu kommen pflegt; mit einem Schlage ward ihr alles in hellster Klarheit bewußt, daß sich die Erde unter ihren Füßen aufgetan und eine bodenlose Kluft sich geöffnet hatte, in die er sie gewaltsam hineinzog. Sie sah seine Liebe, seinen Verrat, ihr entsetzliches Schicksal, ihre Schwäche, ihre Ratlosigkeit. Sie empfand Angst, furchtbaren Schmerz und Leid – und gleichzeitig loderte in ihr die Flamme einer maßlosen Entrüstung der Wut und der Rache empor. So groß war die Tapferkeit in der Seele dieses ritterlichen Kindes, dieser erwählten Gattin des mutigsten Ritters der Republik, daß sie selbst in diesem entsetzlichen Augenblick zuerst dachte: Räche dich! und dann erst: Rette dich. Alle Kräfte ihres Geistes spannte sie an, und sie sah alles mit wunderbarer Klarheit. Während des Ringkampfes begannen ihre Hände an seinem Körper eine Waffe zu suchen und trafen endlich auf den Hornknopf eines orientalischen Pistols. Aber gleichzeitig hatte sie die Geistesgegenwart, daran zu denken, daß selbst, wenn das Pistol geladen sei, wenn es ihr gelänge, den Stein anzuschlagen, er doch, ehe sie die Hand zurückziehen, ehe sie den Lauf auf sein Haupt richten konnte, unzweifelhaft ihre Hand erfassen würde und ihr so das letzte Mittel der Rettung nehmen könnte; und sie beschloß, anders vorzugehen.

 

Alles das währte nur einen Augenblick. Er hatte in der Tat einen Streich vorausgesehen und streckte ihr mit blitzartiger Schnelligkeit die Hand entgegen. Aber er vermochte nicht ihre Bewegung zu berechnen, und so glitten ihre Hände aneinander vorüber, und Bärbchen schlug ihn mit der ganzen verzweifelten Kraft ihrer jungen, kräftigen Faust mit dem Schaft seines Pistols zwischen die Augen.

Der Schlag traf so fürchterlich, daß Asya nicht einmal zu schreien vermochte, und rücklings hinfiel, sie selbst im Falle mit sich ziehend.

Bärbchen erhob sich im nächsten Augenblick, sprang auf ihren Apfelschimmel und jagte wie ein Sturmwind dahin nach der dem Dniestr entgegengesetzten Seite in die ferne Steppe.

Ein nebeliger Vorhang senkte sich hinter ihr nieder, der Apfelschimmel ließ die Ohren hängen und rannte blindlings dahin durch die Felsen und Schluchten, durch die Klüfte und Abhänge. Jeden Augenblick konnte er in eine Spalte versinken, jeden Augenblick konnte er und seine Reiterin an den Felsspalten zerschellen, aber Bärbchen achtete nichts, die furchtbarsten Gefahren waren für sie die Lipker und Asya … Seltsam, jetzt, da sie sich befreit hatte aus der Hand des Raubtieres, und da jener wahrscheinlich tot lag inmitten der Felsen, herrschte über alle ihre Empfindungen die Angst. Jetzt, da sie mit dem Gesicht auf der Mähne des Tieres lag, und durch den Nebel dahinschoß wie ein von Wölfen verfolgtes Reh, begann sie Asya mehr zu fürchten, als in jenem Augenblick, da sie in seinen Armen lag, und sie empfand Angst, Kraftlosigkeit und das, was ein schwächliches Kind empfindet, das verirrt ist auf Gottes weiter Welt, einsam und verlassen. Weinende Stimmen erhoben sich in ihrem Herzen und begannen zu stöhnen, furchtsam klagend, hilferufend: »Michael, hilf – Michael, hilf!«

Der Apfelschimmel flog dahin. Von einem wunderbaren Instinkt geleitet, sprang er über die Klüfte, vermied mit gelenkiger Bewegung die hervorragenden Felskanten, bis endlich der steinerne Boden unter seinen Hufen zu klingen aufhörte. Er war offenbar zu einer der offenen »Lugen« gelangt, die sich hier und da durch die Felsen hinzogen. Schweiß bedeckte ihn, die Nüstern blähten sich auf, aber trotzdem lief er weiter.

Wohin fliehen? – dachte Bärbchen.

Und in diesem Augenblick sagte sie sich: »Nach Chreptiow!«

Aber von neuem schnürte die Angst ihr Herz ein bei dem Gedanken an diesen weiten, durch entsetzliche Wüsteneien führenden Weg. Bald erinnerte sie sich auch, daß Asya in Mohylow und Jampol Abteilungen der Lipker gelassen hatte. Unzweifelhaft waren sie alle verschworen, alle dienten sie Asya und würden sie sicherlich gefangen und nach Raschkow bringen. Darum mußte sie tief in die Steppe hinein, dann erst sich nach Norden wenden und die Flecken am Dniestr umgehen. Sie mußte um so mehr diesen Weg wählen, als die Verfolger unbedingt den Weg am Ufer entlang einschlagen würden, während sie in der weiten Steppe vielleicht auf ein polnisches Kommando stoßen konnte, das in das Blockhaus zurückkehrte.

Allmählich wurde der Lauf des Schimmels langsamer. Bärbchen, als erfahrene Reiterin, begriff sogleich, daß man ihm Zeit zur Rast gewähren müsse, daß er sonst zusammenbrechen würde; auch sie fühlte, daß sie verloren wäre, wenn sie in dieser Wüste ohne Pferd bliebe.

Sie hielt seinen Lauf an und ritt eine Zeitlang im Schritt. Der Nebel löste sich, aber das arme Tier stand ganz in heißem Dampf. Bärbchen begann zu beten.

Plötzlich ließ sich durch die Nebel auf einige hundert Schritt von ihr entfernt das Wiehern eines Pferdes vernehmen. Da starrte das Haar auf ihrem Haupte.

»Meines bricht zusammen, aber auch jene brechen zusammen,« sagte sie laut.

Und wieder trieb sie das Pferd zur Eile. Eine Zeitlang schoß der Schimmel dahin, wie eine Taube, die der Blaufuß verfolgt, und wieder lief er lange, fast bis zur Erschöpfung seiner Kräfte; aber das ferne Wiehern tönte immer noch hinter ihm. Es lag in diesem Wiehern, das durch den Nebel drang, etwas unendlich Sehnsüchtiges und Drohendes. Nach dem Augenblick der ersten Angst kam Bärbchen der Gedanke: wenn auf diesem verfolgenden Pferde irgend jemand säße, so würde das Pferd nicht wiehern, denn der Reiter wurde sein Wiehern dämpfen, um sich nicht zu verraten.

»Nicht anders,« dachte Bärbchen, »das ist Asyas Pferd.«

Sie nahm beide Terzerole aus den Holftern; aber es war eine überflüssige Vorsicht; bald sah sie es deutlich durch den dünnen Nebel schimmern: Asyas Pferd kam mit wallender Mähne und fliegenden Nüstern herbeigestürzt. Da es den Apfelschimmel erblickte, näherte es sich hüpfend, kurz und abgerissen wiehernd, und der Apfelschimmel antwortete sogleich.

»He, – he!« rief Bärbchen.

Das Tier, gewohnt der Menschenhand zu folgen, näherte sich und ließ sich beim Zügel fassen. Bärbchen erhob ihre Augen gen Himmel und sagte: »Gottes Schutz!«

Wirklich war das Einfangen von Asyas Roß für sie ein außerordentlich günstiger Glücksfall. Sie hatte nun die beiden besten Pferde der ganzen Abteilung, sie konnte ferner die Pferde wechseln, und endlich gab ihr die Anwesenheit von Asyas Pferd die Gewißheit, daß die Verfolger nicht sobald aufbrechen würden. Wäre das Pferd der ganzen Abteilung gefolgt, so würden unzweifelhaft die Tataren, beunruhigt durch seinen Anblick, sofort zurückgekehrt sein, um ihren Führer zu suchen; jetzt konnte man voraussehen, daß es ihnen gar nicht in den Sinn kommen werde, daß Asya etwas zugestoßen sei, und daß sie erst auf Nachforschungen ausgehen würden, wenn seine allzulange Abwesenheit sie beunruhigte.

»Dann werde ich schon weit von hier sein,« setzte Bärbchen in Gedanken hinzu.

Hier erinnerte sie sich zum zweitenmal, daß Asyas Abteilungen in Jampol und Mohylow stehen.

»Ich muß die weite Steppe herum und fern vom Flusse bleiben, bis ich mich in der Gegend von Chreptiow befinden werde. Schlau hat dieser entsetzliche Mensch mich umstellt, aber Gott wird mich retten.« Sie faßte Mut und begann die Vorbereitungen zur Weiterreise. An Asyas Sattelholz fand sie eine Muskete, ein Pulverhorn, ein Beutelchen mit Kugeln und ein Beutelchen mit Hanfsamen, den der Tatar beständig zu kauen pflegte. Bärbchen schnallte die Steigbügel kürzer, für sie passend, und gedachte, sich den ganzen Weg über wie ein Vogel von diesem Samen, den sie sorgfältig aufbewahrte, zu ernähren. Sie beschloß, Menschen und Hütten zu umgehen, denn in diesen Wüsten kann man von jedem Menschen eher Böses als Gutes erwarten. Ihr Herz bedrückte die Sorge, womit sie die Pferde füttern werde; wollte sie auch selbst das Gras unter dem Schnee aufscharren, und die Moose in den Felsritzen hervorkratzen – aber wenn sie nun von bösem Kraut und von dem lästigen Wege zusammenbrächen? Schonen konnte sie die Pferde doch nicht. Eine zweite Furcht war die, ob sie sich in der Wüste nicht verirren werde. Es war leicht, den Weg zu finden, wenn man am Ufer entlang ritt, aber diesen Weg durfte sie nicht wählen. Wenn sie in die dämmrige, ungeheure, wegelose Wüste hinausritt, wie wollte sie erkennen, ob sie nach Norden oder nach einer anderen Richtung reiten sollte, wenn die nebeligen, sonnenlosen Tage kamen, und die sternenlosen Nächte? Daß die Wüste von reißenden Tieren erfüllt war, machte ihr weniger Sorge, denn sie hatte Mut im kühnen Herzen und – eine Waffe. Die Wölfe, die in Scharen zogen, konnten zwar gefährlich werden, aber im allgemeinen fürchtete sie die Menschen mehr als die Tiere, und am meisten das Verirren.

»Ha, Gott wird mir den Weg zeigen, und wird mir gewähren, zu Michael zurückzukehren,« sagte sie laut.

Sie bekreuzigte sich und wischte mit dem Ärmel die Feuchtigkeit von ihrem Gesicht, die ihre blassen Wangen frieren machte, schaute mit ihren scharfen Augen in der Gegend umher und gab dem Pferde die Sporen.

17. Kapitel

Den Sprößling des Tuhaj-Bey zu suchen, fiel niemandem ein. Er aber setzte sich auf, schaute sich in der Gegend um und suchte zu begreifen, was mit ihm vorgehe. Er sah nur wie durch einen Nebel und erkannte, daß er nur mit einem Auge sehe, und auch mit diesem nur unklar; das andere war herausgeschlagen oder mit Blut angefüllt. Asya erhob die Hände zu seinem Gesicht, seine Finger trafen auf Blutstückchen, die geronnen in seinem Barte hingen. Auch der Mund war mit Blut angefüllt, das ihn zu ersticken drohte, so daß er aufhusten und ausspeien mußte. Ein entsetzlicher Schmerz durchzuckte sein Gesicht bei diesem Speien, er hob die Finger zum Gesicht empor, aber bald zog er sie mit schmerzlichem Stöhnen zurück. Bärbchens Schlag hatte ihm den oberen Teil der Nase zertrümmert und den Backenknochen verwundet.

Eine Weile saß er unbeweglich da; dann begann er mit dem Auge, in dem noch ein Lichtschimmer geblieben war, umherzuschauen, und da er in der Bergritze einen Streifen Schnee erblickte, so kroch er hin, ergriff eine Handvoll davon und legte ihn an sein zerfetztes Gesicht.

Das brachte ihm sofort große Linderung. Als sich der Schnee löste und in roten Tropfen in seinen Bart hinabfloß, nahm er wieder eine Faust voll und legte ihn von neuem auf sein glühendes Gesicht; auch zu essen begann er ihn, denn das brachte ihm Linderung. Nach einiger Zeit wurde die ungeheure Last, die er auf seinem Kopfe fühlte, bedeutend leichter, und es trat ihm alles in Erinnerung, was geschehen war. Aber im ersten Augenblick empfand er weder Wut, noch Zorn, noch Verzweiflung. Der körperliche Schmerz betäubte alle anderen Gefühle und ließ nur das Begehren nach schneller Rettung zurück.

Asya schlang noch einige Hände voll Schnee hinunter und begann sich nach seinem Pferde umzusehen, aber das Pferd war nicht da. Da begriff er, daß, wenn er nicht warten wollte, bis die Tataren ihn holten, er zu Fuß gehen müsse. Er stützte sich also mit den beiden Händen auf den Boden und versuchte aufzustehen; doch er heulte auf vor Schmerz und sank wieder zurück.

So saß er wohl eine Stunde, dann begann er von neuem seine Bemühungen. Dieses Mal gelang es ihm insoweit, als er sich zu erheben und, mit dem Rücken an den Fels gelehnt, auf den Beinen zu stehen vermochte. Aber wenn er daran dachte, daß er die Stütze aufgeben und einen Schritt vorwärts tun müsse, erst einen, dann den zweiten und dritten, in die große, weite Wüste hinaus, so ergriff ihn das Gefühl der Ohnmacht und des Entsetzens so mächtig, daß er beinahe wieder zurücksank. Doch er überwand sich, zog seinen Säbel, stützte sich auf ihn und schleppte sich langsam vorwärts; es ging. Nach einigen Schritten empfand er, daß seine Füße und sein ganzer Körper Kraft besäßen, daß er vollkommen ihrer Herr sei, und daß nur sein Kopf von einer Dumpfheit befangen, wie eine riesige Woge bald nach rechts, bald nach links, bald nach vorn, bald nach hinten hin und her schwanke. Er hatte auch das Gefühl, als trüge er diesen schweren, schwankenden Kopf mit ungewöhnlicher Vorsicht und mit ungewöhnlicher Angst, daß er ihm nicht zu Boden falle und am Stein zerschelle. Bisweilen schien der Kopf sich ganz mit ihm zu drehen, als habe er den Willen, ihn im Kreise herumzuführen, bald wieder umnachtete sich sein einziges Auge. Dann stützte er sich mit beiden Händen auf das Schwert.

Aber der Schwindel ging allmählich vorüber – der Schmerz dagegen wuchs beständig und bohrte in der Stirn, in den Augen, im ganzen Kopfe, so daß sich Asyas Brust ein winselndes Geheul entrang. Das Echo der Felsen gab sein Stöhnen zurück, und so schritt er durch die Wüste, blutig, entsetzenerregend, eher einem Vampir ähnlich, denn einem Menschen.

Schon dämmerte es, als ihm Pferdegetrappel entgegentönte. Ein Führer der Tataren war es, der herangeritten kam, um Befehle zu empfangen. An diesem Abend fand Asya noch soviel Kraft, daß er die Verfolgung anbefahl. Gleich darauf aber legte er sich auf die Felle und konnte die drei folgenden Tage niemanden sehen als den Griechen, seinen Wundarzt, der seine Wunden verband, und Halim, der dem Wundarzt zur Seite stand; erst am vierten Tage gewann er die Sprache wieder, und mit ihr das Bewußtsein der jüngsten Ereignisse.

 

Alsbald eilten seine fieberhaften Gedanken Bärbchen nach. Er sah sie, wie sie durch die Felsen, durch die Wüste dahineilte; sie erschien ihm wie ein Vogel, der dahingeflogen war, um nicht wiederzukehren; er sah sie in den Umarmungen ihres Gatten, und bei diesem Anblick packte ihn der Schmerz, grausamer als die Wunde, und mit diesem ein Sehnen, und mit dem Sehnen die Schmach der erlittenen Niederlage.

»Entflohen, entflohen!« wiederholte er unaufhörlich; die Wut drohte ihn zu ersticken, und das Bewußtsein ihm zu schwinden. »Wehe!« antwortete er Halim, als dieser ihn beruhigen wollte und versicherte, daß Bärbchen der Verfolgung nicht entgehen könne; er stieß mit den Füßen gegen die Felle, mit welchen der alte Tatar ihn zudeckte, drohte ihm und dem Griechen mit dem Messer und heulte wie ein wildes Tier, sprang auf, um selbst ihr nachzueilen, sie zu ergreifen und sie dann im Zorn und in seiner wilden Liebe mit eigenen Händen zu erdrosseln.

Bald wieder phantasierte er im Fieber; er rief Halim zu, ihm sobald als möglich das Haupt des kleinen Ritters zu bringen und seine Gattin gebunden nebenan in der Kammer einzuschließen. Bald wieder sprach er mit ihr, bat, drohte, bald streckte er ihr im Fieberwahn die Hände entgegen, um sie an sich zu ziehen. Endlich fiel er in tiefen Schlaf und erwachte Tag und Nacht nicht. Dann, als der Schlaf von ihm gewichen war, hatte ihn auch das Fieber ganz verlassen, und er konnte Krytschynski und Adurowitsch sprechen.

Diese hatten es eilig, ihren Führer zu sehen, denn sie wußten nicht, was sie beginnen sollten. Die Truppen, welche unter der Führung des jungen Nowowiejski ausgezogen waren, sollten zwar vor zwei Wochen nicht zurückkehren; aber Asya leitete die ganze Bewegung; er allein konnte ihnen Fingerzeige geben, was sie in jedem Falle zu tun hatten; er allein konnte ihnen erklären, auf welcher Seite der größte Vorteil sei, ob sie gleich in das Land des Sultans zurückkehren, oder ob sie Verstellung üben sollten, und wie lange sie den Schein, als dienten sie der Republik, zu wahren hatten.

Sie wußten beide wohl, daß schließlich auch Asya die Republik verraten wolle, aber sie vermuteten, daß er ihnen befehlen werde, ihren Verrat erst mit Beginn des Krieges offenkundig werden zu lassen, damit er desto erfolgreicher sei. Seine Weisungen sollten überdies für sie Befehl sein, denn er hatte sich ihnen zum Führer aufgeworfen, als das Haupt der ganzen Sache, als der Hinterlistigste, der Einflußreichste, endlich als der Sohn des Tuhaj-Bey, des einst unter allen Horden weithin berühmten Kriegsfürsten.

So standen sie besorgt an seinem Bette in tiefster Untertänigkeit, und er begrüßte sie, zwar noch schwach, mit verbundenem Gesicht, und mit einem Auge, aber schon gänzlich gesund. Und gleich zu Anfang sagte er ihnen:

»Ich bin krank; das Weib, welches ich entführen und für mich behalten wollte, hat sich meiner Gewalt entrissen und mich mit dem Schaft meines Pistols verwundet. Es war die Frau des Kommandanten Wolodyjowski … daß die Pest ihn treffe, ihn und sein ganzes Gezücht!«

»Es sei, wie du sagst,« gaben die beiden Hauptleute zur Antwort.

»Gebe Gott euch Getreuen Heil und Glück!«

»Auch dir, o Herr!«

Nun begannen sie über das zu verhandeln, was jetzt zu tun sei.

»Wir dürfen nicht zögern und dürfen den Dienst des Sultans nicht bis zum Kriege hinausschieben,« sagte Asya, »denn nach dem, was mit diesem Weib geschehen ist, werden sie uns nicht mehr trauen, sondern mit dem Schwerte gegen uns losgehen. Aber ehe sie das tun, greifen wir die Stadt an und lassen sie in Feuer aufgehen zu Gottes Ehre. Jenes Häuflein Soldaten, das hier geblieben, und die Einwohner, welche Untertanen der Republik sind, nehmen wir in Gefangenschaft, und in das Gut der Walachen, der Armenier und Griechen teilen wir uns und ziehen jenseits des Dniestr in die Lande des Sultans.«

In den Augen Krytschynskis und Adurowitsch, die schon seit längerer Zeit mit der wildesten Horde räubernd hin und her zogen und gänzlich verwildert waren, leuchtete es auf.

»Danke dir, o Herr,« sagte Krytschynski. »Man hat uns hier in Raschkow eingelassen, das Gott uns nun in die Hände liefert …«

»Nowowiejski hat euch keinen Widerstand geleistet?« fragte Asya.

»Nowowiejski wußte, daß wir zur Republik übergehen, er wußte auch, daß du im Anzuge bist, um dich mit uns zu verbinden, darum betrachtete er uns als Freunde, wie er dich als Freund betrachtet.«

»Wir standen auf der Moldauischen Seite,« warf Adurowitsch ein, »aber wir ritten zu ihm als Gäste, und er empfing uns wie Männer von Adel, denn er sprach:

> – Durch diese Tat habt ihr die alten Sünden getilgt, und da der Hetman euch auf Asyas Bürgschaft hin verzeiht, ziemt es auch mir nicht, euch zu zürnen. – Er wollte sogar, daß wir in der Stadt Quartier nähmen, aber wir sagten: Das tun wir nicht, ehe Asya, Sohn des Tuhaj-Bey, uns des Hetmans Erlaubnis bringt … Und als er fortging, gab er uns noch ein Mahl und bat, über der Stadt zu wachen …««

»Bei jenem Fest,« fügte Krytschynski hinzu, »haben wir seinen Vater gesehen, auch die Alte, die die Heimkehr ihres Gatten aus der Gefangenschaft erwartet, und das Fräulein, welches Nowowiejski zu heiraten gedenkt.«

»Ah,« sagte Asya, »noch habe ich nicht daran gedacht, daß sie alle hier sind … und Fräulein Nowowiejski habe ich mitgebracht.«

Er schlug in die Hände, und als Halim sofort erschien, sagte er ihm:

»Meine Tataren sollen, sobald sie die Flammen in der Stadt emporsteigen sehen, sofort die Soldaten, die in dem Blockhause sind, angreifen oder niedermetzeln, die Weiber und den alten Edelmann binden und gut beobachten, bis ich weitere Befehle gebe.«

Dann wandte er sich an Krytschynski und Adurowitsch:

»Ich selbst werde nicht mit helfen können, denn ich bin schwach; aber ich will zu Pferde sitzen und zuschauen. Jetzt aber, liebe Genossen, beginnt das Werk.«

Krytschynski und Adurowitsch stürzten sofort der Tür zu, er folgte ihnen, ließ sich ein Pferd geben und ritt zum Pfahlwerk hin, um von dem hohen Tore der Zitadelle hinunterzublicken auf das, was in der Stadt geschehen würde.

Eine Schar Lipker kletterte auch den Wall hinauf über das Pfahlwerk, um sich an dem Anblick des Blutbades zu weiden.

Als die Soldaten Nowowiejskis, welche nicht in die Steppe hinausgezogen waren, sahen, wie die Tataren sich sammelten, glaubten sie, es gäbe in der Stadt etwas zu sehen, und mengten sich unter sie ohne einen Schatten von Furcht oder Verdacht. Übrigens waren von diesem Fußvolk kaum zwanzig vorhanden, der Rest war in der Stadt, in den Schenken.

Inzwischen hatten sich die Häscher Adurowitschs und Krytschynskis in einem Augenblick über das Städtchen zerstreut. Es befanden sich unter ihnen fast ausschließlich Lipker und Tscheremissen, also frühere Bewohner der Republik, teils von Adel; aber da sie schon lange das Gebiet der Krone verlassen hatten, waren sie in der Zeit ihres Wanderlebens den wilden Tataren ähnlich geworden. Ihre alten Oberröcke waren zerrissen, sie kleideten sich daher allgemein in Widderpelze, die Wolle nach außen, die sie auf den nackten, von den Stürmen der Steppe und von dem Rauch der Feldfeuer welken Körpern trugen; aber ihre Waffen waren besser als die der wilden Tataren. Alle hatten Säbel, alle im Feuer gehärtete Bogen, viele Feuergewehre. Aber ihre Gesichter trugen dieselbe Grausamkeit, denselben Blutdurst zur Schau, wie die Gesichter ihrer Brüder in der Dobrudscha oder der Krim. Diese hatten sich über das ganze Städtchen zerstreut und durchschweiften es in den verschiedensten Richtungen mit entsetzlichem Geschrei, als wollten sie sich gegenseitig durch die Rufe anfeuern zu Mord und Raub. Aber trotzdem viele von ihnen schon nach Tatarensitte das Messer zwischen die Zähne genommen hatten, betrachtete die Einwohnerschaft, die wie in Jampol aus Walachen, Armeniern, Griechen, und zum Teil aus tatarischen Kaufleuten bestand, sie noch immer ohne jedes Mißtrauen. Die Verkaufsbuden waren geöffnet, die Kaufleute saßen vor ihren Läden nach türkischer Art auf den Bänken und leierten den Rosenkranz ab. Das Geschrei der Tataren bewirkte nur, daß man ihnen neugieriger nachsah in der Vermutung, daß sie Kampfspiele veranstalteten.

11Akerman = Landkreis in Bessarabien.