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Der kleine Ritter

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»Wolltet Ihr noch ins Feld rücken?«

»Denkst du, ich wollte nicht mit einem ruhmreicheren Tode ein ruhmreiches Leben beschließen nach soviel Dienstjahren? Was könnte mir Würdigeres geschehen? Hast du Herrn Dsiewiontkiewitsch gekannt? Er sah zwar nicht älter aus als hundertundvierzig Jahre, aber er war schon hundertundzweiundvierzig und diente noch.«

»So alt war er nicht.«

»Er war es! – So soll ich mich hier nicht vom Platze rühren! Ich ziehe in den großen Krieg – basta! Und jetzt gehe ich mit euch nach Chreptiow, denn ich bin in Bärbchen verliebt.«

Bärbchen sprang strahlend in die Höhe und drückte Herrn Sagloba an sich. Er aber hob seinen Kopf in die Höhe und wiederholte: »Stärker, stärker!«

Michael erwog indessen noch alles eine Zeitlang; endlich sagte er:

»Es ist unmöglich, daß wir sogleich alle reisen. Dort ist ja die reine Wüste, kein Stückchen Dach finden wir über unserem Haupte. Ich will vorausgehen, will einen Ort zur Unterkunft suchen, ein artiges Blockhaus erbauen, Häuser für die Soldaten, Schuppen für die Pferde der Genossen, damit sie dort in der veränderten Luft nicht zugrunde gehen; dann will ich Brunnen graben, Wege bauen, die Höhlen von den Räuberbanden, so gut es geht, säubern. Dann schicke ich euch ein anständiges Gefolge, und ihr kommt nach. Drei Wochen wenigstens müßt ihr warten.«

Bärbchen wollte widersprechen, aber Sagloba sah die Richtigkeit von Michaels Worten ein und sagte:

»Was wahr ist, ist wahr. Bärbchen, wir bleiben hier und führen zusammen die Wirtschaft, wir werden uns dabei ganz wohl fühlen. Wir müssen auch einen kleinen Vorrat bereit halten, denn auch das wißt Ihr gewiß nicht, daß Met und Wein sich nirgend so gut erhält wie in den Höhlen.«

Michael hielt sein Wort. In drei Wochen war er mit den Gebäuden fertig und schickte eine stattliche Eskorte: hundert Lipker von der Fahne des Freiherrn von Landskron und hundert Linkhausensche Dragoner, welche Herr Snitko, der im Wappen einen verschleierten Mond führte, kommandierte. Die Lipker waren unter dem Befehl des Hauptmanns Asya Mellechowitsch, der seinen Stammbaum von den litauischen Tataren herleitete, eines sehr jungen Mannes, denn er zählte kaum einige zwanzig Jahre. Dieser brachte einen Brief vom kleinen Ritter mit, der seiner Gattin folgendes schrieb:

»Mein herzgeliebtes Bärbchen! Komm doch bald, denn ohne Dich lebe ich wie ohne Brot, und wenn ich nicht bis dahin eintrockne, so küsse ich Dir Dein rosiges Mäulchen ganz und gar weg. Ich schicke Dir nicht wenig Leute und erfahrene Offiziere, aber den ersten Platz räumt in allem dem Snitko ein, und nehmt ihn in Eure Gesellschaft; denn er ist von gutem Herkommen und ein Adelsgenoß; Mellechowitsch ist ein guter Soldat, aber Gott weiß, wo er herkommt; er hätte auch bei keiner anderen Fahne als bei den Lipkern Offizier werden können, denn es hätte ihm leicht jeder Unebenbürtigkeit vorwerfen können. – Ich umarme Dich herzlich, ich küsse Deine Händchen und Füßchen. – Ein Blockhaus habe ich aus Rundsteinen aufgeführt, – ganz vortrefflich – ungeheure Schornsteine – für uns einige Zimmer in einem besonderen Häuschen – überall riecht es nach Harz, und eine Menge Heimchen sind da, die, wenn sie abends zu zirpen anfangen, sogar alle Hunde aus dem Schlafe erwecken. Hätten wir etwas Erbsenstroh, wir könnten sie schnell los sein; aber nächstens kannst Du uns solches auf Deinem Wagen mitbringen. Scheiben von keiner Seite; die Fenster verhängen wir mit Moos; aber unter den Dragonern ist ein Glaser. Glas kannst Du in Kamieniez bei den Armeniern bekommen, aber fahre um Gottes willen behutsam, damit es nicht in Stücke gehe. Dein Zimmerchen habe ich mit Teppichen ausschlagen lassen, und es präsentiert sich vortrefflich. Von den Räubern, die wir in den Leschytzer Höhlen gefangen haben, habe ich schon neunzehn hängen lassen, und bevor Du herkommst, werde ich wohl das halbe Schock voll machen. Herr Snitko wird Dir erzählen, wie wir hier leben. – Gott und der heiligen Jungfrau empfehle ich Dich, mein Allerliebstes!«

Bärbchen las den Brief und gab ihn Herrn Sagloba, der sogleich Herrn Snitko mit großem Respekt entgegenkam, doch aber nicht mit so großem, daß jener nicht bald gemerkt hätte, er spreche mit einem berühmten Krieger und einer größeren Persönlichkeit, die nur aus Freundschaft ihn zu solcher Vertraulichkeit kommen lasse. Im übrigen war Herr Snitko ein guter Soldat, heiter, ein echter Kriegsmann, denn sein ganzes Leben war im Dienst hingegangen. Vor Michael hatte er hohe Achtung, und neben dem Ruhme Saglobas fühlte er sich klein und dachte gar nicht daran, sich zu brüsten.

Mellechowitsch war nicht zugegen, als der Brief gelesen wurde. Gleich nachdem er ihn abgegeben, war er davongegangen; er tat, als ob er nach den Leuten sehen wolle. Im Grunde aber fürchtete er, man werde ihn ins Gesindezimmer weisen.

Sagloba hatte indessen Zeit gehabt, ihn näher zu betrachten, und da ihm Michaels Worte noch frisch im Gedächtnis waren, sagte er zu Snitko:

»Wir heißen Euch willkommen, bitte, Herr Snitko … Ich kannte einen … vom Wappen mit verschleiertem Mond! Ich bitte, ein würdiges Wappen … aber der Tatar … wie nennt man ihn?«

»Mellechowitsch!«

»Aber dieser Mellechowitsch schaut wolfsmäßig drein. Michael schreibt, er sei ein Mensch von ungewisser Herkunft. Merkwürdig genug, denn alle unsere Tataren sind von Adel, wenn auch Heiden. In Litauen habe ich ganze Dörfer gesehen, die von ihnen bewohnt sind; dort nennt man sie Lipker, die hiesigen heißen Tscheremissen. Lange Zeit haben sie der Republik treu gedient und sich ihr dankbar erwiesen für das Brot, das sie ihnen gab. Aber schon zurzeit des Bauernaufstandes sind viele von ihnen zu Chmielnizki übergegangen, und jetzt höre ich, beginnen sie mit der Horde zu liebäugeln … Dieser Mellechowitsch schaut wie ein Wolf drein … kennt Michael ihn schon lange?«

»Aus der Zeit des letzten Krieges,« antwortete Herr Snitko und schob die Füße unter die Bank, »als wir mit Herrn Sobieski gegen Doroschenko und die Horde zogen und durch die Ukraine kamen.«

»Aus der Zeit des letzten Kriegszuges! Ich konnte an ihm nicht teilnehmen, denn Herr Sobieski hatte mir ein anderes Amt anvertraut, obwohl ihm später bange war in meiner Abwesenheit … Und Euer Wappen, der verschleierte Mond … Woher ist er, dieser Mellechowitsch?«

»Er nennt sich einen litauischen Tataren, aber seltsam, es hat ihn keiner der litauischen Tataren vorher gekannt, obwohl er gerade in ihrer Fahne dient. Daher die Gerüchte von seiner zweifelhaften Herkunft, welche seine hochfahrenden Manieren nicht zu zerstören vermochten. Er ist übrigens ein großer Krieger, wenn auch sehr schweigsam. Bei Brazlaw und bei Kalnik hat er große Dienste geleistet, wofür ihn der Herr Hetman zum Hauptmann gemacht hat, obwohl er in der ganzen Fahne der jüngste war. Die Lipker lieben ihn sehr, bei uns hat er keine Freunde – und warum? Weil er ein düsterer Mann ist, und wie Ihr treffend bemerkt habt, wie ein Wolf dreinschaut.«

»Wenn er ein tüchtiger Soldat ist,« sagte Bärbchen, »so ziemt es, ihn aufzunehmen, was mir auch mein Herr Gemahl in seinem Briefe nicht verwehrt.«

Hier wandte sie sich an Herrn Snitko:

»Ihr gestattet?«

»Zu Diensten, Frau Obristen!« rief Snitko.

Bärbchen verschwand hinter der Tür; Sagloba atmete auf und fragte Herrn Snitko:

»Nun, und hat Euch die Frau Obristin gefallen?«

Der alte Soldat preßte statt jeder Antwort die Fäuste vor die Augen, neigte sich auf seinem Stuhle vor und sagte: »Ei, ei, ei!« Dann riß er die Augen weit auf, verstopfte mit der Handfläche seinen Mund und schwieg, als schäme er sich seines eigenen Entzückens.

»Der reine Marzipan, was?« sagte Sagloba.

Inzwischen war der »Marzipan« wieder in der Tür erschienen, Asya mit sich führend, der aufgeblasen wie ein Pfau dastand.

»Aus den Briefen meines Mannes und von Herrn Snitko haben wir so viel von Euren mutigen Taten gehört, daß wir Euch gern näher kennen lernen möchten. Wir bitten Euch, bei uns zu bleiben, man wird Euch gleich das Essen auftragen,« sagte Bärbchen.

»Wir bitten, kommt näher,« sagte Sagloba.

Das düstere, wenn auch schöne Gesicht des jungen Tataren erhellte sich nicht ganz, aber man sah, daß er dankbar sei für die freundliche Aufnahme und dafür, daß man ihn nicht in das Gesindezimmer gewiesen.

Bärbchen aber bemühte sich mit Absicht, freundlich gegen ihn zu sein, denn sie hatte mit dem Herzen des Weibes erraten, daß er mißtrauisch und stolz sei, und daß Demütigungen, wie er sie gewiß oft wegen seiner zweifelhaften Herkunft zu ertragen hatte, ihn tief schmerzten. Sie machte also zwischen ihm und Snitko keinen anderen Unterschied als den, welchen das reifere Alter Snitkos zu machen nötigte. Sie fragte den jungen Hauptmann nach den Diensten aus, um derentwillen er bei Kalnik einen höheren Rang erhalten hatte. Sagloba erriet Bärbchens Wünsche und wandte sich auch ziemlich oft an Asya, und er, obwohl anfangs ein wenig trotzig, gab vernünftige Antworten; seine Manieren verrieten nicht den Mann aus dem Volke, sondern sie riefen durch eine gewisse höfische Art sogar Verwunderung hervor.

Das kann kein Bauernblut sein, – dachte Sagloba, sonst wäre er nicht so stolzen Sinnes.

Dann fragte er laut:

»Und wo lebt Euer Vater?«

»In Litauen,« versetzte Mellechowitsch errötend.

»Litauen ist ein großes Land; das ist gerade so, als wenn Ihr mir geantwortet hättet: in der Republik.«

»Jetzt nicht mehr in der Republik, denn jene Lande sind abgefallen. Mein Vater hat in der Nähe von Smolensk Besitztümer.«

»Auch ich hatte dort bedeutende Güter, die mir nach dem Tode eines kinderlosen Verwandten zugefallen sind, aber ich zog es vor, sie fahren zu lassen und bei der Republik zu bleiben.«

»So tue auch ich,« antwortete Mellechowitsch.

»Ihr handelt würdig,« fiel Bärbchen ein.

Snitko, der dem Gespräch zuhörte, zuckte ein wenig die Achsel, als wollte er sagen: Gott mag wissen, wer du bist, und wo du herkommst. – Sagloba aber, der das bemerkt hatte, wandte sich wieder an Mellechowitsch:

 

»Und Ihr bekennet Christum oder – ich will Euch nicht beleidigen – lebt in der Sünde?«

»Ich habe den Christenglauben angenommen, und aus diesem Grunde mußte ich meinen Vater verlassen.«

»Wenn du ihn darum verlassen hast, so wird dich Gott dafür nicht verlassen, und der erste Beweis seiner Gnade ist der, daß du Wein trinken kannst, den du, im Irrtum verharrend, nicht genossen hättest.«

Snitko lachte auf, aber Asya waren diese Fragen, die seine Person und Abstammung betrafen, offenbar nicht angenehm, denn er hatte sich wieder wie vorhin aufgebläht. Sagloba aber achtete nicht darauf, um so weniger, als der junge Tatar ihm nicht gerade gefiel, denn in manchen Augenblicken erinnerte er, wenn auch nicht durch sein Gesicht, so doch durch seine Bewegungen und seinen Blick, an den berühmten Kosakenführer Bohan.

Inzwischen wurde das Mittagessen gebracht.

Den Rest des Tages nahmen die letzten Reisevorbereitungen in Anspruch; am anderen Morgen brach man auf, als es kaum dämmerte, oder richtiger, als es noch Nacht war, um in einem Tage nach Chreptiow zu gelangen.

Zahlreiche Wagen waren aufgefahren, denn Bärbchen hatte beschlossen, die Kammer in Chreptiow reichlich zu versehen; daher gingen auch hinter den Wagen reichbeladene Kamele und Pferde, die sich unter der Last der Graupen und des geräucherten Fleisches beugten. Den Schluß der Karawane machten etliche zehn Steppenrinder und eine kleine Herde Schafe. Eröffnet wurde der Zug von Asya mit seinen Lipkern. Die Dragoner ritten in nächster Nähe des gedeckten Wagens, in welchem Bärbchen und Sagloba saßen. Sie hätte am liebsten den Apfelschimmel bestiegen, der als Leitpferd mitging, aber der alte Edelmann bat sie, dies wenigstens zu Anfang und zu Ende der Reise nicht zu tun.

»Ja, wenn du ruhig säßest,« sagte er, »würde ich nichts dagegen haben, aber du fängst bald an, ausgelassen zu sein und mit dem Pferde Possen zu treiben, und das steht der Würde der Frau Kommandantin nicht an.«

Bärbchen war glücklich und heiter wie ein Vögelchen. Seit ihrer Verheiratung hatte sie zwei große Wünsche: Einmal wollte sie Michael einen Sohn schenken und dann mit dem kleinen Ritter wenigstens auf ein Jahr in einer der Grenzwarten in der Nähe der wilden Felder wohnen und dort an der Grenze der Wüste das Leben eines Soldaten leben, Krieg und Abenteuer mitmachen, an den Zügen teilnehmen, mit eigenen Augen die Steppe kennen lernen, die Gefahren erproben, von welchen sie soviel gehört hatte seit den Tagen ihrer Kindheit. Sie hatte davon geträumt, als sie noch ein kleines Mädchen war, und diese Träume sollten sich jetzt verwirklichen, und noch dazu an der Seite des geliebten Mannes und des berühmtesten Kämpfers in der Republik, von dem man sagte, daß er den Feind aus der Erde zu graben verstehe.

Die junge Frau Kommandantin fühlte Flügel an ihren Armen, und eine so große Freude in der Brust, daß sie oft Lust hatte, aufzuschreien und zu hüpfen; aber der Gedanke an ihre Würde hielt sie zurück, denn sie hatte sich das Wort gegeben, ein gesetztes Benehmen zu zeigen und sich die höchste Liebe der Soldaten zu erringen. Sie vertraute Herrn Sagloba diesen Gedanken an, und er lächelte leutselig und sagte:

»Du wirst dort schon der Stern im Auge sein und eine große Merkwürdigkeit, das ist gewiß. Ein Weib in der Grenzwarte – das ist ja eine Rarität.«

»Und in der Gefahr werde ich allen ein Beispiel geben!«

»Wovon?«

»Nun, des Mutes. Nur eins fürchte ich: daß noch über Chreptiow hinaus Kommandos stehen werden, in Mohylow, in Raschkow, bis weithin in Jahorlik, und daß wir die Tataren nicht einmal als Heilmittel gegen Langeweile sehen werden.«

»Und ich fürchte nur das eine, wenn auch nicht für mich, so doch für dich, daß wir sie gar zu häufig sehen werden. Was denkst du, haben die Tataren die Pflicht, durchaus auf Raschkow oder Mohylow loszumarschieren? Sie können geradeaus von Osten kommen oder aus den Steppen oder auch die Moldau herauf, den Dniestr entlang ziehen und in das Gebiet der Republik einfallen, wo sie wollen, sei es auch am Berge hinter Chreptiow – es müßte denn sehr bekannt werden, daß ich in Chreptiow bin, dann werden sie es umgehen, denn mich kennen sie von alters her.«

»Und kennen sie Michael etwa nicht? Werden sie Michael etwa nicht aus dem Wege gehen?«

»Auch ihm werden sie aus dem Wege gehen, sie müßten denn in großer Macht herankommen, was wohl geschehen kann. Übrigens wird er sie selbst aufsuchen.«

»Ja, das ist wahr, des bin ich gewiß. Ist wirklich in Chreptiow schon völlige Wüste, denn das ist ja gar nicht weit?«

»So sehr Wüste, daß es wüster nicht sein kann. Einst, zurzeit meiner Jugend, war die Gegend bevölkert. Man zog von Vorwerk zu Vorwerk, von Dorf zu Dorf, von Städtchen zu Städtchen. Ich habe sie kennen gelernt, ich war dort. Ich denke noch, wie Uschyz eine befestigte Stadt war, die sich sehen lassen konnte. Herr Koniezpolski, der Vater, hat mich hier zum Starosten gemacht. Dann kam der Pöbelaufstand, und alles ging in Trümmer. Als wir hier Halschka holten, da war es schon wüst, und später sind die Tataren wohl an die zwanzigmal hier hindurchgezogen … Jetzt hat Herr Sobieski den Kosaken und Tataren wieder das Land entrissen, wie man einem Hunde etwas aus dem Rachen reißt … aber Menschen gibt es noch nicht, nur Räuberbanden stecken in den Schluchten.«

Hier schaute sich Sagloba in der Gegend um und schüttelte den Kopf wie in der Erinnerung an alte Zeiten.

»Du lieber Gott,« sagte er, »damals, als wir Halschka holten, da glaubte ich, das Alter sitze mir im Nacken, und jetzt denke ich, daß ich jung war, denn es sind doch bald vierundzwanzig Jahre her. Michael war noch ein Milchbart und hatte weniger Haare auf der Oberlippe, als ich hier auf der Faust. Und dabei steht mir die Gegend so lebhaft im Gedächtnis, als wäre es gestern; aber das Gestrüpp ist größer, und die Wälder dichter, seitdem die Ackerbauer fort sind.«

Sie kamen auch bald hinter Kitajgorod in große Wälder, denn damals war jene Gegend zum größten Teil dicht bewachsen. Hier und da indessen, besonders in der Gegend von Studsienniza, gab es auch offenes Feld, und von hier aus sahen sie das Ufer des Dniestr und das Land, das sich jenseits des Flusses unendlich hinzog bis an die Anhöhen, welche nach der Moldau hin den Gesichtskreis abschlossen.

Tiefe Schluchten, der Versteck wilder Tiere und wilder Menschen, durchschnitten den Weg. Diese Schluchten waren bisweilen schmal und uneben, bald wieder offen mit leicht abfallenden Seiten und wüst bewachsen. Die Lipker des Asya tauchten vorsichtig hinunter, und wenn das Ende des Zuges noch auf dem hohen Abhang war, schien sein Anfang in die Erde versunken zu sein. Oft mußten Bärbchen und Sagloba aus dem Wagen steigen; denn obwohl Michael den Weg, so gut es ging, geebnet hatte, gab es doch gefährliche Übergänge. Am Boden der Schluchten plätscherten Quellen, oder strömten, über die Steine rauschend, reißende Flüsse, welche im Frühling das Wasser des Steppenschnees mit sich nahmen. Obgleich die Sonne die Wälder und Steppen noch stark erwärmte, herrschte doch eine strenge Kälte in diesen steinernen Schlünden und packte die Reisenden hart an. Der Wald hatte die felsigen Seitenwände ausgepolstert und säumte noch die Ufer düster ein, als wollte er jene tief versunkenen Höhlungen vor den goldenen Strahlen der Sonne schützen. Stellenweise aber waren die Bäume gebrochen, umgestürzt, die Stämme in wilder Unordnung einer über den anderen geworfen, die Zweige verbogen und zu Haufen aneinandergedrängt, vertrocknet oder auch mit welkem Laub und Nadeln bedeckt.

»Was ist mit diesem Walde vorgegangen?« fragte Bärbchen Herrn Sagloba.

»Zum Teil können das alte Verhaue sein, welche die früheren Einwohner gegen die Horden gemacht haben, oder auch die Kosaken gegen unsere Heere; andernteils sind es die Stürme, die von der Moldau herkommen, und die im Walde so hausen, die Stürme, in welchen, wie alte Leute sagen, Vampire oder gar Teufel ihr Wesen treiben.«

»Und habt Ihr jemals die Teufel ihr Wesen treiben sehen?«

»Gesehen hab' ich es nicht, aber gehört habe ich, wie die Teufel einander belustigend zuriefen: »O-ha – o-ha!« Fragt nur Michael, denn auch er hat es gehört.«

Bärbchen war zwar mutig, fürchtete sich aber doch ein wenig vor bösen Geistern. Sie bekreuzigte sich also schnell. »Ein entsetzliches Land!« sagte sie.

In der Tat, in manchen Schluchten war es entsetzlich. Es war nicht nur düster, sondern auch stumm; kein Wind wehte, Laub und Zweige rauschten nicht, man hörte nur das Getrappel und Gewieher der Pferde, das Knarren der Wagen und die Rufe, welche die Wagenführer an den gefährlicheren Stellen ausstießen. Von Zeit zu Zeit sangen auch die Tataren oder die Dragoner; aber die Wüste selbst sprach mit keinem menschlichen, mit keinem tierischen Laut.

Während die Schluchten einen finsteren Eindruck machten, öffnete sich das Oberland heiter, selbst da, wo die Wälder sich hinzogen, vor den Augen der Karawane. Das Wetter war herbstlich still, die Sonne stieg die blaue Stufe hinauf, von keinem Wölkchen verfinstert, und ergoß reichlichen Glanz über Felsen, Felder und Wälder. In diesem Glanze erschienen die Fichten rot und goldig, und die Fäden der Spinnenweben, die an den Zweigen der Bäume und an den Gräsern hingen, leuchteten so stark, als seien sie selbst aus Sonnenstrahlen gewoben. Der Oktober war zur Hälfte abgelaufen, daher zogen die Vögel, besonders die für Kälte empfindlicheren, schon aus der Steppe dem Schwarzen Meere zu. Man sah am Himmel Züge von Kranichen, die mit lautem Krächzen dahinzogen, Gänse und Kriekenten.

Hier und da schwebten hoch am blauen Firmament mit weit geöffneten Flügeln, gefahrbringend für die Bewohner der Luft, die Adler; hier und da zogen beutegierige Habichte ihre langsamen Kreise. Aber es fehlte auch nicht an Vögeln, die an der Erde leben und im hohen Grase gern sich bergen, besonders, wo die Felder offen waren. Oft flogen unter den Hufen der Rosse Völker von rostfarbenen Rebhühnern mit Geräusch auf, oft auch sah Bärbchen, wenn auch nur von ferne, Trappen, die auf Wache standen, und bei ihrem Anblick glühten ihre Wangen und leuchteten ihre Augen.

»Die wollen wir mit Windhunden hetzen, wenn wir bei Michael sind!« rief sie, in die Hände klatschend.

»Wenn dein Mann ein Stubenhocker wäre,« sagte Sagloba, »so würde ihm der Bart bei einer solchen Frau bald grau werden, aber ich habe schon gewußt, wem ich dich geben soll. Eine andere wäre wenigstens dankbar, he?«

Bärbchen küßte Sagloba auf beide Wangen, so daß er gerührt sagte:

»Im Alter sind liebende Herzen dem Menschen so angenehm wie eine warme Ofenecke.«

Dann hielt er einen Augenblick inne und fügte hinzu:

»Seltsam, wie ich die Weiber das ganze Leben geliebt habe, und wenn ich so sagen soll warum, so weiß ich's selber nicht, denn die Teufelinnen sind leichtsinnig und untreu … Aber weil sie schwach sind wie die Kinder, so läuft einem das Herz bald über vor Mitleid, wenn einer ein Unrecht geschieht. Umarme mich noch, wie?«

Bärbchen hätte gern die ganze Welt umarmt, darum kam sie Saglobas Wunsche gleich nach, und sie setzten ihren Weg in der trefflichsten Laune fort. Sie fuhren sehr langsam, denn die Rinder, die hinterdrein gingen, konnten nicht schneller nachkommen, und es war gefährlich, sie unter geringer Bewachung in diesen Wäldern zu lassen. Je näher sie Uschyz kamen, desto unebener wurde das Land, desto öder die Wüste, desto tiefer die Schluchten. Bald erlitten die Wagen einen Schaden, bald wurden die Pferde störrisch, und dadurch entstanden größere Verzögerungen. Die alte Heerstraße, die einst nach Mohylow geführt hatte, war seit zwanzig Jahren mit Wald bewachsen, so daß man kaum noch ihre Spuren sah. So mußte man die Wege gehen, welche die früheren und die letzten Heereszüge genommen hatten, häufig genug verschlungene und zugleich sehr schwierige Wege; es ging auch nicht ganz ohne Unglück ab.

Asya ritt an der Spitze der Lipker, sein Pferd verstrickte sich am Abhang der Schluchten und stürzte in den steinigen Grund, nicht ohne Schaden für den Reiter, der eine so schwere Verwundung des oberen Teiles des Kopfes erlitt, daß er eine Zeitlang das Bewußtsein verlor. Bärbchen und Sagloba bestiegen sogleich die Leitpferde, den Tataren ließ die junge Frau Kommandantin in den Wagen legen und vorsichtig fahren. Von jetzt ab ließ sie bei jeder Quelle den Zug Halt machen und verband ihm mit eigenen Händen den Kopf, indem sie Linnenstücke in kaltem Quellwasser anfeuchtete. Er lag eine Zeitlang mit geschlossenen Augen da, endlich öffnete er sie, und als das über ihn geneigte Bärbchen anfing, ihn auszufragen, wie es ihm gehe, ergriff er, statt Antwort zu geben, ihre Hand und drückte sie an seine bleichen Lippen.

 

Nach einer Weile erst, als müsse er seine Gedanken und sein Bewußtsein wieder sammeln, antwortete er: »O gut, wie nie zuvor!«

So ging ihnen der ganze Tag hin. Die Sonne neigte und rötete sich und senkte sich in mächtiger Kugel auf die moldauische Seite hinüber; der Dniestr begann zu leuchten wie ein feuriges Band, und von Osten her, von den wilden Feldern, stieg langsam die Dämmerung herauf.

Chreptiow war nicht mehr allzuweit, aber man mußte den Pferden Rast gönnen; darum wurde ein längerer Halt gemacht.

Der eine und der andere Dragoner begann die Hora zu singen; die Lipker stiegen von den Pferden, breiteten ihre Schlafvließe auf dem Boden aus und beteten knieend, die Gesichter nach Osten gewendet. Ihre Stimmen klangen bald laut, bald leise; Allah – Allah! ertönte es manchmal kräftig durch die langen Reihen, dann wurden sie wieder still, erhoben sich, hielten die Hände, umgewandt nach oben gerichtet, am Gesicht, harrten in gesammelter Andacht aus und wiederholten dabei von Zeit zu Zeit schlaftrunken, gleichsam seufzend: »Lohitschmen, ach, lohitschmen!« – Die Sonnenstrahlen, die sie beleuchteten, wurden immer röter; es erhob sich ein Wind von Westen her, und mit ihm ein lautes Rauschen von den Bäumen, als wollten auch sie vor Eintritt der Nacht den verehren, der an dem dunklen Himmel die tausend Sterne heraufführt. Bärbchen sah mit großer Neugier dem Gebet der Lipker zu; aber ihr Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, daß so viele gute Menschen nach einem Leben voll Mühsal mit dem Tode in das höllische Feuer gelangen sollten, und das um so mehr, als sie, täglich mit Menschen zusammentreffend, welche den wahren Glauben bekannten, doch freiwillig in ihrem Unglauben verharrten.

Sagloba, der mit diesen Dingen mehr vertraut war, zuckte nur die Achseln bei Bärbchens frommen Bemerkungen und sagte:

»Man würde sowieso diese Ziegensöhne in den Himmel nicht einlassen, damit sie nicht Ungeziefer mit hineinbringen.«

Dann zog er mit Hilfe eines Knechtes ein weich gefüttertes Röckchen an, welches ihn gegen die Abendkälte schützte, und befahl loszurücken. Aber kaum hatte der Zug sich in Bewegung gesetzt, als auf der gegenüberliegenden Anhöhe fünf Reiter sichtbar wurden.

Die Lipker traten sofort auseinander.

»Michael!« schrie Bärbchen, da sie ihn an der Spitze heranjagen sah.

Es war wirklich Wolodyjowski, der seiner Gattin mit einigen Begleitern entgegengeritten kam. Sie begrüßten sich mit großer Freude und erzählten einander, was sie erlebt hatten.

Bärbchen berichtete also, wie es ihnen unterwegs ergangen sei, und wie Asya sich »den Verstand an den Steinen zerschlagen« habe, und der kleine Ritter gab Rechenschaft über seine Tätigkeit in Chreptiow, wo, wie er versicherte, alles bereit stehe und dem Empfang entgegensehe, denn fünfhundert Äxte hätten drei Wochen hindurch an den Gebäuden gearbeitet.

Während dieses Gespräches neigte sich der verliebte Ritter immer wieder von der Satteldecke herab und umfaßte seine junge Gattin, die offenbar darüber nicht böse war, denn schon ritt sie an seiner Seite, so daß ihre Pferde sich bald berührten.

Das Ende der Reise war nicht mehr weit, aber inzwischen war die Nacht angebrochen, eine herrliche Nacht, von einem großen, goldenen Monde erleuchtet. Aber er wurde immer blasser, je mehr er sich von der Steppe gen Himmel erhob, und endlich wurde sein Glanz verdunkelt durch einen Feuerschein, der grell vor der Karawane aufstieg.

»Was ist das?« fragte Bärbchen. —

»Das wirst du sehen,« sagte Michael, »wenn wir erst durch dieses Wäldchen kommen, das uns von Chreptiow trennt.«

»Ist das schon Chreptiow?«

»Du würdest es wie auf der Hand vor dir sehen, wenn die Bäume es nicht verdeckten.«

Sie kamen in das Wäldchen hinein, aber ehe sie die Hälfte desselben zurückgelegt hatten, erschien an seinem anderen Ende ein Gewimmel von Lichtern, ähnlich dem Gewimmel der Johanniskäfer oder Flimmern der Sterne. Jene Sterne kamen mit großer Geschwindigkeit heran, und plötzlich erbebte das ganze Wäldchen von mächtigen Rufen: »Vivat unsere Herrin! Vivat die Frau Kommandantin! Vivat, vivat!«

Es waren die Soldaten, welche herbeigeeilt kamen, um Bärbchen zu begrüßen. Hunderte von ihnen mengten sich in einem Augenblick unter die Lipker. Jeder hielt auf einer langen Stange eine flackernde Fackel, die an dem gespaltenen Ende der Stange befestigt war. Einige hatten an Pfählen eiserne Pfannen, aus welchen brennender Harz in der Gestalt langer, feuriger Tränen herunterfiel. Sogleich umringten Bärbchen Haufen bärtiger, kühn dreinschauender, halbwilder, aber freudestrahlender Gesichter. Der größere Teil von ihnen hatte Bärbchen nie im Leben gesehen, viele hatten sich vorgestellt, eine Frau in gesetzten Jahren zu erblicken; ihre Freude war darum um so größer bei dem Anblick dieses fast einem Kinde gleichenden Wesens, das auf dem weißen Zelter ritt und anmutig dankend nach allen Seiten das hübsche, rosige, zierliche, heitere und zugleich durch den unerwarteten Empfang verlegene Gesichtchen neigte.

»Ich danke euch,« sagte Bärbchen, »ich weiß, daß das nicht meinetwegen …«; aber ihr Silberstimmchen verlor sich unter den Vivats, und der Wald erbebte von den Rufen.

Die Leute von der Fahne des Generals von Podolien, vom Kämmerer von Prschemysl, die Kosaken Motowidlos, die Lipker und die Tscheremissen mischten sich untereinander, jeder wollte die Frau Kommandantin sehen, sich ihr nähern; einige, die von lebhafter Art waren, küßten den Saum ihres Jäckchens oder ihren Fuß im Steigbügel. Denn auch für diese halbwilden Grenzkrieger, die an Kriegszüge, an Jagden auf Menschen, an Blutvergießen und Metzeleien gewöhnt waren, war diese Erscheinung eine so ungewöhnliche, so neue, daß ihre harten Herzen bei ihrem Anblick gerührt wurden, und neue, unbekannte Gefühle in ihrer Brust erwachten. Sie waren zur Begrüßung ausgezogen aus Liebe zu ihrem Führer, um ihm eine Freude zu bereiten, vielleicht auch, ihm zu schmeicheln, und siehe, eine plötzliche Rührung hatte sie selbst erfaßt. Dieses lächelnde, süße, unschuldige Gesichtchen mit den blitzenden Augen und den lebhaften Nasenflügeln ward ihnen in einem Augenblick teuer. »Unser Kind, unser Kind!« riefen alte Kosaken, wahre Steppenwölfe, »einen Cherubim zeigt uns der Herr Regimenter!« »Morgenröte!« »Liebliches Blümchen!« schrieen die Genossen, »wir gehen alle für sie in den Tod!« und die Tscheremissen schnalzten mit den Lippen und legten die Hände an die breite Brust: »Allah – Allah!«

Michael war sehr gerührt, aber auch freudig erregt; er stemmte die Hände in die Seiten und war stolz auf sein Bärbchen.

Die Vivatrufe dauerten fort; endlich gelangte die Karawane aus dem Walde heraus, und bald zeigten sich den Neuangekommenen mächtige Holzgebäude, die im Kreise auf der Anhöhe errichtet waren. Das war die Grenzwacht von Chreptiow, hell wie am Tage, denn außerhalb des Pfahlwerks brannten riesige Holzstöße, auf die man ganze Stämme geworfen hatte. Aber auch der Platz zwischen den Häusern war mit Wachtfeuern bedeckt, sie waren nur kleiner, um Gefahr zu vermeiden.

Die Krieger verlöschten jetzt ihre Fackeln und zogen dafür der eine eine Muskete, der andere ein Terzerol, der dritte eine Pistole hervor, um durch Schüsse die Herrin zu begrüßen. Auch die Kapellen traten an das Pfahlwerk: die einheimische bestand aus Krummhörnern, die kosakische aus Flöten, Trommeln und verschiedenen vielsaitigen Instrumenten, und endlich die der Lipker, in welchen nach tatarischer Weise schrille Pfeifen die erste Stelle einnahmen. Das Bellen der Wachthunde und das Gebrüll des erschreckten Viehs vergrößerte noch den Lärm.