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Der kleine Ritter

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»Oder getötet,« sagte Bärbchen.

Und sie wand sich auf ihrem Sitz und wiederholte unter Tränen:

»Schneidet mir die Zunge ab, meine Schuld ist es, meine Schuld; o Jesus, ich verliere noch den Verstand!«

Und Sagloba: »Still schon, Mädchen, es ist nicht deine Schuld, und wisse, wenn jemand getötet ist, so ist es nicht Michael.«

»Mir tut auch der andere leid! Wir haben ihm schön gelohnt für seine Gastfreundschaft, man kann nicht anders sagen … Gott, o Gott!«

»Das ist wahr,« warf der Truchseß ein.

»Haltet doch zum Teufel Ruhe! Ketling ist gewiß schon näher an Preußen als an Warschau; Ihr habt doch gehört, daß er abgereist ist. – Ich hoffe auch zu Gott, daß, wenn sie sich begegnen, sie der alten Freundschaft, der gemeinsamen Dienste eingedenk sein werden. Sind sie doch Steigbügel an Steigbügel geritten, haben auf einer Satteldecke geschlafen, sind zusammen auf Kundschaft ausgezogen, haben mit demselben Blute ihre Hand genetzt – im ganzen Heer war ihre Freundschaft so bekannt, daß man Ketling, weil er so schön war, Michaels Gattin nannte. Unmöglich, daß ihnen das nicht in den Sinn kommen sollte, wenn sie sich sehen.«

»Oft genug kommt es,« sagte der kleine Truchseß, »daß gerade die größte Freundschaft in finstersten Haß sich umwandelt. So hat in unserer Gegend Herr Deyma Herrn Ubysch getötet, mit dem er zwanzig Jahre hindurch in größter Eintracht gelebt hat. Ich kann Euch diesen unglücklichen Fall mit allen Einzelheiten erzählen.«

»Wenn ich nicht so erregt wäre, würde ich gern zuhören, gerade so, wie ich meiner lieben Wohltäterin, Eurer Gemahlin, gern zuhöre, welche die Gewohnheit hat, alles aktenmäßig zu erzählen und selbst die Genealogie nicht zu vernachlässigen; aber mich beunruhigt, was Ihr über die Freundschaft und den Haß gesagt habt … o behüte Gott, behüte Gott, daß es auch diesmal so werde!«

» – Der eine hieß Deyma und der andere Ubysch, beide würdige Männer, Kommilitonen …«

»O, o, o,« sagte Sagloba finster. »Vertrauen wir der Gnade Gottes, daß es jetzt nicht so kommen wird, – und wenn etwas eintritt, daß Ketling sterbe?«

»Ein Unglück!« sagte nach einer Weile des Schweigens der Truchseß. » – Ja, so war's, Deyma und Ubysch, ich denk's, als wär' es heut'. Und es handelte sich auch um ein Weib.«

»Immer und ewig diese Weiber! Die erste beste Eule braut dir einen Trank, daß dir übel danach wird,« bemerkte Sagloba.

»Kränkt Christine nicht!« rief plötzlich Bärbchen.

»Hätte sich Michael in dich verliebt, dann hätten wir all das nicht gehabt!« —

Unter solchen Gesprächen waren sie zu Hause angekommen. Die Herzen pochten ihnen, als sie des Lichts in den Fenstern ansichtig wurden, denn sie dachten, Michael könne zurückgekehrt sein.

Unterdes empfing sie die Frau Truchseß, selbst sehr beunruhigt, sehr bekümmert. Als sie hörte, daß alle Nachforschungen vergeblich gewesen waren, weinte sie bittere Tränen und jammerte, daß sie den Bruder nie wiedersehen werde; Bärbchen sekundierte ihr im Wehklagen, und auch Sagloba konnte seine Bekümmernis nicht unterdrücken.

»Ich will morgen früh noch vor Tag hinaus, aber allein,« sagte er, »vielleicht kann ich etwas über sie erfahren.«

»Forschen wir lieber zu zweien nach,« warf der Truchseß ein.

»Nein, bleibt lieber bei den Frauen; wenn Ketling lebt, lasse ich es Euch wissen.«

»Um Gottes willen, wohnen wir doch im Hause dieses Mannes!« sagte der Truchseß wieder; »wir müssen morgen irgend ein Unterkommen finden, und sollten wir auf dem Felde unsere Zelte aufschlagen, nur um hier nicht länger zu wohnen.«

»Erwartet Nachricht von mir, sonst verlieren wir uns wieder,« sagte Sagloba, »wenn Ketling getötet ist.«

»Um Gottes willen, sprecht leiser,« flüsterte die Frau Truchseß, »die Dienerschaft wird sonst noch etwas erlauschen und es Christine hinterbringen; sie ist schon halb tot.«

»Ich will zu ihr,« sagte Bärbchen.

Und sie sprang die Treppe hinauf. Die anderen blieben in Sorge und Angst zurück; im ganzen Hause blieb alles wach. Der Gedanke, daß Ketling vielleicht nicht mehr am Leben sei, erfüllte ihre Herzen mit Angst. Um das Unglück voll zu machen, war die Nacht schwül, stockfinster, der Donner grollte, und helle Blitze zerteilten den schwerbewölkten Horizont. Es war gerade Mitternacht, als das erste Gewitter dieses Frühlings zu toben begann. Auch die Dienerschaft war erwacht.

Christine und Bärbchen waren von ihrem Mädchenzimmer in den Speisesaal heruntergekommen, dort beteten alle Versammelten, dann saßen sie schweigsam da und wiederholten nach alter Sitte bei jedem Donnerschlag: »Und das Wort ist Fleisch geworden.«

Durch das Heulen des Sturmes tönte es manchmal wie Pferdegetrappel; dann machte Entsetzen und Schrecken Bärbchens Haare starren. Auch die Frau Truchseß und die beiden älteren Männer waren in angstvoller Erregung, denn es schien ihnen, als könnte jeden Augenblick die Tür sich öffnen und Wolodyjowski eintreten, von dem Blute Ketlings befleckt. —

Der stets milde Michael lastete das erstemal in seinem Leben wie ein Stein auf den Herzen der Menschen, so daß der bloße Gedanke an ihn sie mit Entsetzen erfüllte.

Aber die Nacht ging hin ohne eine Nachricht von dem kleinen Ritter. Mit der Morgendämmerung, als der Sturm sich ein wenig gelegt hatte, machte sich Sagloba zum zweitenmal nach der Stadt auf. Der ganze Tag war eine Zeit noch schwererer Unruhe; Bärbchen saß bis zum Abend am Fenster oder vor dem Tor und schaute nach dem Wege aus, auf welchem Sagloba kommen mußte. Unterdessen packte das Gesinde auf den Befehl des Herrn Truchseß langsam die Kisten und Kasten für den Weg. Christine war mit der Beaufsichtigung dieser Arbeit beschäftigt, denn auf diese Weise konnte sie sich in der Nähe des Onkels und der Tante und Herrn Saglobas halten.

Obwohl die Frau Truchseß in ihrer Gegenwart bisher nicht mit einem Worte des Bruders gedacht hatte, so belehrte sie doch das bloße Schweigen, daß sowohl Michaels Liebe zu ihr, wie ihre früheren geheimen Verabredungen und ihre jüngste Abweisung bekannt geworden waren. Und wenn dem so war, konnte sie schwerlich annehmen, daß diese Menschen, die Michael so nahe standen, ihr nicht gram seien. Die arme Christine fühlte, daß es so sein müsse und so sei, daß diese ihr bisher in Liebe zugewandten Herzen sich von ihr abwandten. Darum wollte sie lieber zurückgezogen bleiben.

Gegen Abend war alles reisefertig, so daß man zur Not noch an demselben Tage hätte aufbrechen können; aber der Truchseß wartete nur auf Nachrichten von Sagloba. Das Abendbrot wurde aufgetragen, aber niemand wollte essen, und der Abend zog sich schwer, unerträglich dumpf hin, als horchten alle nur auf das Ticken der Uhr.

»Gehen wir hinüber in das Wohnzimmer,« sagte endlich der Truchseß, »hier ist es nicht mehr auszuhalten.«

Sie gingen hinüber und setzten sich hin; aber ehe jemand ein Wort hervorbringen konnte, schlugen unter dem Fenster die Hunde an.

»Es kommt jemand!« rief Bärbchen.

»Die Hunde bellen, als käme ein zum Hause Gehöriger,« bemerkte die Frau Truchseß.

»Still doch!« sagte der Truchseß, »ich höre Getrappel.«

»Still!« wiederholte Bärbchen, » – ja, es wird immer deutlicher, das ist Herr Sagloba.«

Bärbchen und der Truchseß sprangen auf und liefen hinaus; der Frau Truchseß schlug das Herz, aber sie blieb bei Christine, um durch die übergroße Eile nicht zu verraten, daß Sagloba gar so wichtige Neuigkeiten bringen könne.

Das Pferdegetrappel wurde ganz in der Nähe des Fensters vernehmbar; dann hörte es plötzlich ganz auf, im Flure wurden Stimmen laut, und einen Augenblick später flog die Tür wie vom Sturmwind geöffnet auf, und Bärbchen stürzte in das Zimmer. Ihr Gesicht war ganz verändert, als sähe sie ein Gespenst vor sich.

»Bärbchen! Was – wer?« fragte die Frau Truchseß entsetzt.

Aber ehe Bärbchen Atem schöpfen und antworten konnte, trat der Truchseß ein; ihm folgte Michael Wolodyjowski und Ketling.

Ketling war so verändert, daß er kaum vermochte, sich tief vor den Damen zu verneigen; er stand unbeweglich da, den Hut an der Brust, die Augen geschlossen, einem wundertätigen Bilde ähnlich. Michael umarmte im Vorübergehen seine Schwester und trat zu Christine heran.

Das Antlitz des Mädchens war bleich wie Linnen und senkte sich erregt; Michael aber ergriff sanft ihre Hand und drückte sie an die Lippen. Dann sammelte er sich und begann endlich, sehr traurig, aber vollkommen ruhig:

»Mein wertes Fräulein, oder richtiger: Meine geliebte Christine, höre mich ohne Scheu an, denn ich bin kein Skyte und kein Tatar oder sonst ein Wilder, sondern ein Freund, der, wenn er auch selbst nicht glücklich ist, doch dein Glück wünscht. Es ist an den Tag gekommen, daß ihr einander liebet. Fräulein Barbara hat es mir in gerechtem Zorn auf den Kopf zugesagt, und ich will nicht leugnen, daß ich in der Wut dieses Haus verlassen habe, um Rache zu nehmen an Ketling … wer alles verliert, den packt leicht der Rachedurst, und ich, so wahr mir Gott lieb, ich habe dich so unendlich geliebt, und nicht bloß wie ein Jüngling ein Mädchen … denn hätte ich schon ein Weib, und hätte mir Gott ein einziges Knäblein oder ein Mägdlein geschenkt, und hätte es mir dann genommen, ich hätte es nicht so beweint, wie ich dich beweine.«

Hier versagte Michael die Stimme, aber er faßte sich bald wieder und fuhr fort:

»Nun denn, ich will den Schmerz tragen, hier ist nichts zu tun. Daß Ketling dich liebgewonnen hat – kein Wunder; wer würde dich nicht liebgewinnen, und daß du ihn liebgewonnen, das ist nun mein Schicksal. Aber wundern kann ich mich auch darüber nicht, denn wie könnte ich mich mit Ketling vergleichen! Im Felde – er wird es selbst bezeugen – stehe ich ihm nicht nach; aber das ist etwas anderes. Gott der Herr hat den einen reich beschenkt, den anderen karg bedacht, aber durch Mäßigung entschädigt. Und so hat denn auch mir, als mich unterwegs der Wind umwehte und als der erste Zorn vorüber war, das Gewissen sogleich gesagt: Wofür willst du sie strafen, wofür Freundesblut vergießen? Sie haben sich liebgewonnen, es ist Gottes Wille. Die ältesten Leute sagen, gegen den Wunsch des Herzens ist auch der Befehl des Hetmans nichts; Gottes Wille war's, daß sie sich liebgewannen; daß sie keinen Verrat begingen, ist das Werk ihrer Redlichkeit. Hätte Ketling gewußt, daß du dich mir versprochen, vielleicht hätte ich ihm zugerufen: Steh' Rede! Aber selbst das hat er nicht gewußt. Was ist seine Schuld? Nichts. Und was ist deine Schuld? Nichts. Er wollte davongehen, du wolltest zu Gott … mein Geschick ist schuld, niemand sonst, denn darin zeigt sich der Finger Gottes, daß ich in meiner Einsamkeit verbleiben soll … Nun habe ich überwunden – «

 

Wieder brach Michael in seiner Rede ab und begann hastig zu atmen wie ein Mensch, der nach langem Untertauchen unter dem Wasser an die Luft gelangt, dann ergriff er Christinens Hand und sagte:

»So lieben, um alles für sich zu begehren, ist keine Kunst. Uns dreien blutet das Herz – dachte ich – so mag doch lieber einer leiden und den anderen Tröstung gewähren. Christine, gebe dir Gott Glück mit Ketling … Amen! Gebe dir Gott Glück, Christine, schmerzt es mich auch, es tut nichts … gebe dir Gott … gewiß, es ist nichts, ich hab's überwunden.«

»Nichts,« sagte der Kriegsheld, und doch knirschte er mit den Zähnen und verbiß seinen Schmerz, und aus der anderen Ecke des Zimmers tönte Bärbchens Geheul.

»Ketling, sei glücklich, Bruder!« rief Michael.

Ketling näherte sich, kniete nieder, öffnete schweigend die Arme und umfaßte in höchster Ehrerbietung und Liebe Christinens Kniee.

Und Michael begann in abgerissenen Worten:

»Umfasse sein Haupt, – der Gute hat viel gelitten … Segne Euch Gott … Du wirst nicht ins Kloster gehen; besser, daß ihr mich segnet, als daß ihr mir fluchen solltet … Gott wird über mir sein, wenn mir auch jetzt sehr bitter ist!«

Bärbchen konnte es nicht länger aushalten und stürzte aus dem Zimmer. Michael, der das bemerkt hatte, wandte sich an den Herrn Truchseß und an seine Schwester:

»Geht ins andere Zimmer,« sagte er, »und lasset sie allein; ich will auch wo anders hingehen, ich will niederknien und meine Seele Gott befehlen.« Und er ging.

In der Mitte des Korridors begegnete er an der Treppe Bärbchen, an derselben Stelle, an der sie, vom Zorn hingerissen, Christinens und Ketlings Geheimnis verraten hatte. Aber jetzt stand sie da, an die Mauer gelehnt und vom Weinen geschüttelt.

Bei diesem Anblick erfaßte Michael Mitleid mit seinem eigenen Schicksal. Bisher hatte er sich mit allen Kräften zurückgehalten, aber jetzt lösten sich die Schleusen seines Schmerzes, und die Tränen stürzten ihm in Strömen aus den Augen.

»Warum weint Ihr?« rief er klagend.

Bärbchen erhob ihr Köpfchen, drückte wie ein Kind bald das eine Fäustchen, bald das andere in die Augen, schluchzte auf, schöpfte mit dem offenen Munde Atem und antwortete unter Tränen:

»Mir ist so weh, o Gott, Ihr seid so brav, Herr Michael, so redlich, o Gott!«

Da ergriff er ihre Hand und küßte sie in Dankbarkeit und Rührung.

»Gott lohne es Euch, Gott lohne Euer gutes Herz!« sagte er. »Still, weint nicht.«

Aber Bärbchen begann immer mehr zu schluchzen und zu weinen, jede Fiber in ihr zitterte vor Schmerz, immer heftiger rang sie nach Atem mit den offenen Lippen; endlich stampfte sie mit den Füßchen auf den Boden und schrie so laut, daß es über den ganzen Korridor schallte:

»Törichte Christine! Ich würde einen Michael zehn Ketlings vorziehen. Ich liebe Herrn Michael aus ganzer Seele … mehr als die Tante, mehr als den Onkel, mehr als Christine!«

»Um des Himmels willen, Bärbchen!« rief der kleine Ritter.

Und er nahm sie, um ihren Schmerz zu stillen, in seine Arme, sie aber drängte sich mit voller Kraft an seine Brust, so daß er ihr Herz pochen hörte wie das Herz eines matten Vögleins; er umschloß sie noch fester, und sie hielten sich lange umfangen.

Ein Schweigen trat ein.

»Bärbchen, willst du mich?« fragte der kleine Ritter.

»Ja, ja, ja!« antwortete Bärbchen.

Bei dieser Antwort erfaßte auch ihn die Erregung; er drückte seine Lippen auf ihren rosigen, jungfräulichen Mund, und wieder hielten sie sich umfangen.

Draußen rollte eine Britschka heran, und Sagloba stürzte in den Flur, dann in das Speisezimmer, in welchem der Truchseß und seine Gattin saßen.

»Michael ist nicht da!« schrie er in einem Atem, »überall habe ich gesucht. Er ist mit Ketling zusammen gesehen worden, – sie haben sich gewiß geschlagen!«

»Michael ist hier,« antwortete die Frau Truchseß, »er hat Ketling mitgebracht und ihm Christine abgetreten.«

Die Salzsäule, in welche Lots Gattin verwandelt ward, hatte vielleicht kein so starres Gesicht als Sagloba in diesem Augenblick. Eine lange Zeit schwieg er, dann rieb er sich die Augen und sagte: »Hm!«

»Christine und Ketling sitzen hier nebeneinander, und Michael ist hinausgegangen, um zu beten,« antwortete der Truchseß.

Sagloba ging, ohne einen Augenblick zu zögern, in das Zimmer, und obwohl er schon alles wußte, staunte er zum zweiten Male, da er Ketling und Christine Stirn an Stirn dasitzen fand. Sie sprangen auf, waren sehr verwirrt und konnten kein Wort sprechen, besonders da mit Sagloba auch der Truchseß und seine Gattin hereingetreten waren.

»Meine Dankbarkeit gegen Michael dauert übers Grab,« sagte endlich Ketling. »Unser Glück ist sein Werk!«

»Segne euch Gott,« sagte der Truchseß, »wir werden Michael nicht widersprechen.«

Christine warf sich in die Arme der Frau Truchseß, und beide begannen zu weinen. Sagloba war wie betäubt. Ketling neigte sich zu den Füßen des Truchseß wie ein Sohn zu den Füßen des Vaters; dieser aber hob ihn auf und sagte unter der Last der andrängenden Gedanken und in der Verlegenheit:

»Und den Ubysch hat Deyma getötet, danke Michael, nicht mir.«

Nach einer Weile sagte er: »Weib, wie hieß doch jene Frau?«

Aber die Frau Truchseß hatte keine Zeit zur Antwort, denn in diesem Augenblick war Bärbchen hereingekommen, noch hastiger als gewöhnlich, noch rosiger als gewöhnlich, die Stirnhaare noch tiefer über die Augen als gewöhnlich; sie sprang an Ketling und Christine hinauf, streckte bald ihm, bald ihr den Finger unter die Nase und rief:

»Aha, schön, schwärmt und liebt euch – heiratet euch, glaubt ihr, Herr Michael werde allein auf der Welt bleiben? Nein, denn ich habe es auf ihn abgesehen, ich liebe ihn und habe es ihm selbst gesagt. Ich habe es ihm zuerst gesagt, und er hat gefragt, ob ich ihn haben wolle, und ich habe ihm gesagt, daß ich ihn lieber habe als zehn andere, denn ich liebe ihn und werde ihm die beste Frau sein und werde nicht von seiner Seite gehen und werde mit ihm in den Krieg ziehen! Ich habe ihn schon lange geliebt, wenn ich auch nichts gesagt habe, denn er ist der Bravste und Beste und Teuerste … und jetzt heiratet euch, und ich nehme mir Herrn Michael, und sollte es morgen sein … denn …«

Hier ging Bärbchen der Atem aus. Sie schauten sie alle an und begriffen nicht, ob sie den Verstand verloren habe, oder ob sie die Wahrheit spreche; dann sahen sie einander an. Plötzlich erschien in der Tür hinter Bärbchen Michael Wolodyjowski.

»Michael,« fragte der Truchseß, als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, »ist es wahr, was wir hören?«

Darauf antwortete der kleine Ritter mit großem Ernst:

»Gott hat ein Wunder getan, und dies hier ist mein Trost, meine Liebe, mein höchster Schatz!«

Bei diesen Worten sprang Bärbchen ihm entgegen wie ein Reh.

Voller Erstaunen stand Sagloba da, sein weißer Bart zitterte, er öffnete seine Arme weit und sagte:

»Nun brüll' ich los … Mein kleiner Heiduck, Michael, kommt an meine Brust!«

9. Kapitel

Er liebte sie über alle Maßen und sie ihn auch, und sie fühlten sich wohl beisammen; nur Kinder hatten sie nicht, obwohl sie das vierte Jahr verheiratet waren. Aber sie wirtschafteten unaufhörlich. Michael hatte mit seinem und Bärbchens Vermögen einige Güter in der Nähe von Kamieniez angekauft, die er billig erstand, denn Leute von furchtsamer Gemütsart hatten aus Angst vor einem türkischen Einfall ihr Besitztum mit Freuden veräußert. In diesen Besitzungen führte er militärische Ordnung und Disziplin ein, er hielt die unruhige Bevölkerung in strenger Zucht, baute die niedergebrannten Hütten wieder auf, gründete »Blockhäuser«, d. h. die befestigten Höfe, in welchen die Truppen als zeitweilige Besatzung lagen, mit einem Wort, wie er früher tüchtig in der Verteidigung des Landes war, so fing er jetzt an, es tüchtig zu bewirtschaften, ohne übrigens das Schwert aus der Hand zu legen. Der Ruhm seines Namens war der beste Schutz seines Besitztums; mit etlichen Mirzen goß er Wasser über den Säbel und schloß Brüderschaft. Andere schlug er; die zügellosen Kosakenhaufen, die lockeren Hordenführer, Räuber aus den Steppen und Bandenführer aus den bessarabischen Wüsten zitterten beim Nennen des »kleinen Falken«, und die Herden seiner Pferde und Schafe, seiner Büffel und Kamele weideten ruhig in der Wüste. Selbst seine Nachbarn wurden geschont, und sein Besitz wuchs dank der Hilfe der tüchtigen Hausfrau. Die Achtung und Liebe der Menschen umgab ihn, das Heimatland schmückte ihn mit einem Amt, der Hetman verehrte ihn, der Pascha von Chozim war sein Freund, in der fernen Krim, in Baktschissaraj nannte man seinen Namen mit Ehrfurcht.

Die Wirtschaft, der Krieg und die Liebe – das waren die drei Parzen seines Lebens.

Der glühende Sommer des Jahres 1671 traf Michael und seine Gattin auf Bärbchens Erbgut Sokol. Dieses Sokol war die Perle unter ihren Besitzungen. Dort nahmen sie mit freigebiger Gastfreundschaft Herrn Sagloba auf, der, weder die Mühe der Reise noch sein hohes Alter achtend, zu Besuch gekommen war und so das Versprechen einlöste, das er auf ihrer Hochzeit gegeben hatte.

Aber die frohen Feste und die Freude über den willkommenen Besuch wurden bald getrübt durch den Befehl des Hetmans, der Michael auftrug, ein Kommando in Chreptiow zu übernehmen, dort die Grenze der Moldau zu bewachen, auf die Gerüchte achtzugeben, die von der Wüste herdrangen, den Kosakenscharen den Weg zu verlegen und die Gegend von den Haidamaken zu säubern.

Der kleine Ritter, der stets bereit war, der Republik seine kriegerischen Dienste zu leisten, ordnete sofort an, daß das Gesinde die Herden und Kamele einbringe und sich selbst kriegsbereit halte.

Aber das Herz blutete ihm bei dem Gedanken, von der Gattin scheiden zu müssen, denn er liebte sie mit der Liebe des Gatten und eines Vaters, so daß er ohne sie nicht atmen konnte; und sie in die wilden, dumpfen Einöden mitzunehmen, sie den mannigfachen Gefahren auszusetzen – das brachte er nicht übers Herz. Sie aber bestand darauf, mit ihm zu gehen.

»Bedenke doch,« sprach sie, »ob es für mich sicherer sein wird, hier zu bleiben, als dort zu sein unter dem Schutze des Heeres, bei dir. Ich will kein anderes Dach als dein Zelt, denn ich bin deine Gattin geworden, um mit dir die Unrast und die Mühe und Gefahren zu teilen. Hier würde mich die Unruhe verzehren, und dort an deiner Seite werde ich mich sicherer fühlen als die Königin in Warschau; und wenn es nötig sein sollte, mit dir ins Feld zu ziehen, so ziehe ich mit. Hier würde ich ohne dich keinen Schlaf finden, keinen Bissen zum Munde führen, und zuletzt würde ich es nicht aushalten und zu dir nach Chreptiow eilen, und wenn du befehlen wirst, mich nicht einzulassen, so werde ich an den Toren übernachten und dich so lange bitten, so lange weinen, bist du dich erbarmst …«

Da Wolodyjowski diese Liebe sah, faßte er seine Gattin in seine Arme und überschüttete ihr rosiges Gesicht mit Küssen, und sie zahlte ihm Gleiches mit Gleichem.

»Ich würde mich nicht dagegen sträuben,« sagte er endlich, »wenn es sich bloß um einfache Späherdienste und Züge gegen die Kosaken handelte. An Leuten wird es mir nicht fehlen, denn die Fahne des Generals von Podolien geht mit mir, und dann des Herrn Unterkämmerers, außerdem auch Motowidlo mit seinen Leuten, und die Dragoner Linkhausens, an sechshundert Mann, und mit den Troßknechten an die tausend. Aber eines fürchte ich – was die Maulhelden auf dem Reichstag in Warschau nicht glauben wollen, und was wir, die wir an der Grenze wohnen, jede Stunde erwarten: einen großen Krieg mit der ganzen Macht des Sultans. Das hat auch Herr Myslischewski bestätigt, und der Pascha von Chozim wiederholt es täglich, und der Hetman glaubt daran, daß der Sultan den Doroschenko nicht ohne Hilfe lassen, sondern der Republik einen großen Krieg erklären wird, und was beginne ich dann mit dir, mein Teuerstes, mein Liebstes, du mein Lohn, den ich aus der Hand Gottes empfangen habe?«

 

»Was mit dir geschieht, geschehe auch mit mir; ich will kein anderes Schicksal als das, welches dir zufällt.«

Hier brach Sagloba sein Schweigen und wandte sich an Bärbchen.

»Wenn dich die Türken kriegen, so ist dein Schicksal, ob du willst oder nicht, ein ganz anderes als dasjenige Michaels. Ha, nach den Kosaken, den Schweden, Septentrionären und der brandenburgischen Meute – der Türkenhund! Ich hab's dem Priester Olschowski gesagt: bringt den Doroschenko nicht zur Verzweiflung, denn er ist nur gezwungen zum Türken gegangen. Nun? – sie haben nicht hören wollen. Den Hanenko haben sie dem Dorosch6 entgegengestellt, und ob Dorosch jetzt will oder nicht, er muß dem Türken in den Rachen rennen und ihn schließlich auf uns hetzen. Erinnerst du dich, Michael, wie ich in deiner Gegenwart den Priester Olschowski gewarnt habe?«

»Ihr müßt das ein andermal getan haben, denn ich erinnere mich nicht, daß es in meiner Gegenwart geschah,« antwortete der kleine Ritter; »aber was Ihr von Doroschenko sprecht, das ist heilige Wahrheit, denn der Hetman ist derselben Meinung; ja, man sagt sogar, er habe Briefe an Dorosch fertig, gerade in diesem Sinne. Es mag dort übrigens sein, wie es will – genug, zum Verhandeln ist's jetzt zu spät. Aber Ihr habt einen so scharfen Verstand, daß ich gern Eure Ansicht höre. Soll ich Bärbchen nach Chreptiow mitnehmen, oder soll ich sie lieber hier lassen? Nur eines muß ich sagen: es ist eine entsetzliche Wüste. Das Nest war immer elend, und seit zwanzig Jahren sind die Kosaken und Tataren so oft hindurchgezogen, daß ich nicht weiß, ob wir dort zwei Bretter übereinander finden. Und Schluchten gibt es dort, Wüsteneien, Verstecke, Höhlen und was sonst an verborgenen Winkeln, in welchen Räuber zu Hunderten sitzen, von denen gar nicht zu reden, die aus der Walachei herüberkommen.«

»Räuber gegen solche Macht – Kinderspiel!« antwortete Sagloba, »die Tataren – Kinderspiel! denn kommen sie mit Macht an, so hört man das vorher, und kommen sie in kleinerer Zahl, so reibst du sie auf.«

»Nicht wahr,« rief Bärbchen, »ist es nicht Kinderspiel? Räuber – Kinderspiel! Tataren – Kinderspiel! Mit solcher Macht schützt Michael mich gegen die ganze Krim.«

»Störe mich nicht in meiner Überlegung,« antwortete Sagloba, »sonst entscheide ich gegen dich.«

Bärbchen legte schnell beide Hände auf den Mund und zog den Kopf zwischen die Schultern ein; sie tat so, als ob sie vor Sagloba entsetzliche Angst habe. Er aber fühlte sich, obwohl er sah, daß das junge Weibchen scherze, geschmeichelt und legte seine hagere Hand auf Bärbchens blonden Kopf.

»Nun, fürchte dich nicht, ich mache dir eine Freude.«

Bärbchen küßte ihm die Hand, denn wirklich hing sehr viel von seinen Ratschlägen ab, die so zuverlässig waren, daß nie jemand durch sie enttäuscht wurde; er aber steckte beide Hände in den Gurt, blickte mit seinem gesunden Auge bald ihn, bald sie scharf an und sagte plötzlich:

»Und Nachkommen gibt's nicht, – was?«

Dabei schob er die Unterlippe seltsam vor.

»Gottes Wille,« antwortete Michael und schlug seine Augen nieder.

»Gottes Wille,« wiederholte Bärbchen und senkte ebenfalls die Augen.

»Aber ihr möchtet welche haben?« fragte Sagloba.

»Ich will's Euch aufrichtig sagen. Ich weiß nicht, was ich darum gäbe, aber manchmal denke ich: vergebliches Seufzen! Auch so hat mir Gott Glückseligkeit herabgesandt, indem er mir hier dies Kätzchen gegeben hat, oder wie Ihr sie immer nanntet, diesen kleinen Heiducken; und da er mich noch an Ruhm und an Gut gesegnet hat, wage ich nicht, ihn um mehr zu bemühen. Denn seht, manchmal ging es mir durch den Kopf: wenn alle menschlichen Wünsche erfüllt werden sollten, gäbe es keinen Unterschied zwischen dieser irdischen Republik und der himmlischen, die allein die volle Glückseligkeit zu geben vermag. Und so denke ich mir, wenn ich hier nicht einen oder zwei Knaben habe, so werden sie dort um so sicherer sein, und werden unter dem himmlischen Hetman, dem heiligen Erzengel Michael, dienen und sich mit Ruhm bedecken in den Kämpfen gegen die höllischen Heerscharen,« sagte der kleine Ritter.

Der fromme Rittersmann war durch seine eigenen Worte und durch den Gedanken ganz gerührt, und er erhob wieder die Augen zum Himmel.

Sagloba aber hörte gleichgültig zu und fuhr fort, streng mit den Augen zu zwinkern. Endlich sagte er:

»Hüte dich zu lästern! Denn daß du dir schmeichelst, so gut die Absichten der Vorsehung zu erraten, das kann eine Sünde sein, für die du eine Zeitlang braten mußt wie die Erbsen auf einem heißen Rost. Der liebe Herrgott hat breitere Ärmel als der Herr Bischof von Krakau, aber er hat es nicht gern, daß man ihm hineingucke und sehe, was er dort für die Menschlein etwa vorbereitet; und er tut, was er will, und du kümmere dich um deine eigene Angelegenheit. Wenn ihr also Nachkommenschaft haben wollt, so dürft ihr euch nicht trennen, sondern müßt hübsch beisammen bleiben.«

Bei diesen Worten sprang Bärbchen vor Freude mitten in das Zimmer, hüpfte wie ein Schulknabe umher, schlug in die Hände und schrie ein über das andere Mal: »Nicht wahr, beisammen bleiben? Ich hab's gewußt, daß Ihr auf meiner Seite sein werdet, ich hab's gleich gewußt! Wir reisen nach Chreptiow, Michael; einmal wenigstens mußt du mich mitnehmen gegen die Tataren, ein einziges, kleines Mal, mein Süßer, mein Goldener!«

»Da seht Ihr, nun möchte sie gar schon Kriegszüge mitmachen!« rief der kleine Ritter.

»An deiner Seite würde ich die ganze Horde nicht fürchten!«

»Silentium,« sagte Sagloba und folgte mit verliebten Augen, oder richtiger, mit verliebtem Auge den schnellen Bewegungen Bärbchens, der er außerordentlich gut war. – »Ich hoffe, daß Chreptiow, wohin es ja übrigens nicht so weit ist, nicht die letzte Grenzwarte in den wilden Feldern sein wird.«

»Nein, die Kommandos werden noch weiter hinausstehen in Mohylow, in Jampol; das letzte soll in Raschkow sein,« antwortete der kleine Ritter.

»In Raschkow! O, Raschkow kennen wir; von dort haben wir Halschka Skrzetuski geholt. Denkst du noch, Michael, erinnerst du dich noch, wie ich jenes Monstrum niedergesäbelt habe, den Tscheremi, den Teufel, der sie bewachte? Aber wenn das letzte Präsidium bis nach Raschkow hinausstehen soll, so würden sie auch sofort davon wissen, wenn die Krim sich regt oder die ganze Macht des Sultans, und würden es nach Chreptiow melden. Darum ist auch die Gefahr nicht so groß, denn Chreptiow kann nicht plötzlich überfallen werden. Bei Gott, ich weiß nicht, warum Bärbchen dort nicht mit dir sein sollte? Ich meine das ganz aufrichtig. Du weißt ja doch, ich gebe lieber mein altes Hirn her, als daß ich sie einer Gefahr aussetzte. Nimm sie mit, es wird euch beiden gut tun. Bärbchen muß nur versprechen, daß sie für den Fall eines großen Krieges ohne Widerrede gestattet, sie nach Warschau zu bringen, denn dann beginnen die großen Märsche, hitzigen Schlachten, Belagerungen von Wagenburgen, vielleicht auch Hungersnot wie bei Sbarasch, und in solchen Nöten kann der Mann schwer sich seiner Haut wehren, um wie viel weniger ein Weib.«

»Mit Freuden würde ich fallen an Michaels Seite,« versetzte Bärbchen, »aber ich habe ja meinen Verstand, und ich weiß, was nicht geht, geht nicht, und dann: Wie Michael will, nicht wie ich will. Ist er doch in diesem Jahre schon ausgezogen unter dem Hetman Sobieski, – habe ich da gedrängt mitzugehen? Nein! Gut denn, wenn mir nur jetzt nicht verwehrt wird, mit Michael nach Chreptiow zu gehen – im Falle eines großen Krieges schickt mich, wohin ihr wollt.«

»Herr Sagloba wird dich nach Podlachien zu den Skrzetuskis bringen,« sagte der kleine Ritter, »dort wird doch der Türke nicht hinkommen.«

»Herr Sagloba, Herr Sagloba!« sagte der Alte nachäffend, »bin ich ein Transportbeamter? Vertraut Eure Frauen nicht so dem Herrn Sagloba an und denkt, er sei alt, denn es könnte sich ganz anders zeigen. Und dann – denkst du denn, daß ich bei einem Kriege mit den Türken mich schon hinter den Ofen in Podlachien setzen und nach dem Braten schauen werde, daß er nicht anbrennt? Noch bin ich kein Stock und kann noch zu was Besserem dienen. Ein Bänkchen brauche ich wohl, um zu Pferde zu steigen, aber sitze ich einmal darauf, so springe ich so gut den Feind an, wie irgend ein jüngerer. Zum Scharmützel mit den Tataren werde ich nicht mehr ausziehen, in den wilden Feldern umherspähen werde ich nicht mehr – aber bei der Generalattacke halte dich nur in meiner Nähe, wenn du kannst, und du sollst schöne Dinge sehen!«

6Dorosch = Abkürzung für Doroschenko.