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Der kleine Ritter

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Sagloba aber hatte sich mit dem Starrsinn, der alten Leuten eigen zu sein pflegt, durchaus in den Kopf gesetzt, Bärbchen mit dem kleinen Ritter zu vereinigen.

Da halfen weder die Überredungskünste Skrzetuskis noch die Einwände, die er sich selbst von Zeit zu Zeit machte; oft gab er sich das Wort, sich in nichts mehr zu mischen, dann aber kehrte er mit um so größerer Hartnäckigkeit zu dem Gedanken zurück, dieses Paar zu vereinigen. Ganze Tage überlegte er, wie man es anfangen könne, machte er Pläne, überdachte er kleine Kriegslisten, und er war so ganz davon erfüllt, daß er, wenn er glaubte, den richtigen Weg gefunden zu haben, laut aufschrie, wie nach einer glücklich vollbrachten Handlung:

»Gebe Euch Gott seinen Segen!«

Und in diesem Augenblick sah er den Zusammensturz aller seiner Wünsche vor sich. Es blieb nichts übrig, als alle Bemühungen aufzugeben und die Zukunft in Gottes Hand zu legen, denn jeder Schatten einer Hoffnung, daß Ketling vor seiner Abreise irgend einen entscheidenden Schritt Christine gegenüber tun würde, konnte in Saglobas Kopf nicht lange bestehen. In seinem Leid und aus Neugier beschloß er also, den jungen Ritter auszuforschen, sowohl über den Zeitpunkt wie über das, was er vor dem Verlassen der Republik zu tun gedenke.

Er bat ihn zu einem Gespräch und sagte mit sorgenvoller Miene:

»Es ist schlimm, ein jeder weiß am besten selbst, was er tun soll, ich will Euch also nicht zureden, zu bleiben, aber ich möchte gern etwas über Eure Rückkehr wissen.«

»Kann ich es ahnen, was meiner dort harrt,« antwortete Ketling, »welche Angelegenheiten, welche Abenteuer? Ich werde einmal zurückkehren, wenn ich es können werde; ich werde ewig dort bleiben, wenn ich müssen werde.«

»Du wirst sehen, das Herz wird dich zu uns ziehen.«

»O, wäre mein Grab nirgends anders als in diesem Lande, das mir alles gab, was es mir geben konnte.«

»Siehst du, in anderen Landen bleibt der Fremde bis an seinen Tod ein Stiefkind; unsere Mutter aber streckt dir gleich die Arme entgegen und drückt dich an ihre Brust wie das eigene Kind.«

»Wahr, sehr wahr, ach! Wenn ich nur könnte!.. Denn alles kann ich im alten Vaterland finden, nur das Glück finde ich nicht.«

»Ha, hab ich's dir nicht gesagt: Mache dich ansässig, nimm ein Weib! – du wolltest nicht hören; und hättest du ein Weib, du müßtest wiederkehren, wenn du auch fortgingst, es sei denn, daß du auch dein Weib durch die empörten Wogen führen wolltest, und das nehme ich nicht an. Und ich habe dir den Vermittler gemacht; was, du wolltest nicht hören!«

Und Sagloba begann aufmerksam Ketlings Züge auszuforschen, um aus ihnen eine Erklärung zu lesen; aber Ketling schwieg, er senkte nur den Kopf und heftete die Augen auf die Erde.

»Nun, was sagst du darauf?«

»Es war keine Möglichkeit dazu vorhanden,« versetzte der junge Ritter langsam.

Sagloba begann im Zimmer auf und nieder zu gehen, dann machte er vor Ketling Halt, legte die Hände auf den Rücken und sagte:

»Und ich sage dir, sie war vorhanden. Wenn sie nicht war, will ich vom heutigen Tage an nie mehr diesen Leib mit diesem Gurt umbinden! Christine ist dir geneigt.«

»Gebe Gott, daß sie es bleibe, wenn uns auch Meere scheiden.«

»Nun also?«

»Nichts mehr, nichts mehr.«

»Hast du sie gefragt?«

»O laßt, es ist mir so schon schwer genug, reisen zu müssen.«

»Ketling, willst du, daß ich frage, solange es Zeit ist?«

Ketling dachte: wenn Christine so sehr gewünscht hat, daß ihre Empfindungen verborgen bleiben, so wird sie vielleicht froh darüber sein, eine Gelegenheit zu finden, sie offen abzuleugnen. Er sagte daher:

»Ich versichere Euch, daß es keinen Zweck hat, ich bin so fest davon überzeugt, daß ich alles getan habe, um mir diese Neigung aus dem Kopf zu schlagen; aber wenn Ihr ein Wunder erwartet, fragt.«

»Ha, wenn du sie dir aus dem Kopfe geschlagen hast,« sagte Sagloba mit einer gewissen Bitterkeit, »dann ist nichts zu tun. Aber gestatte, daß ich dir sage, daß ich dich für einen treueren Mann gehalten habe.«

Ketling erhob sich, streckte beide Hände in Fieberhast in die Höhe und erwiderte mit einer bei ihm ungewohnten Heftigkeit:

»Was würde es mir nutzen, einen jener Sterne zu begehren? Ich kann nicht zu ihnen emporfliegen, noch können sie zu mir heruntersteigen; wehe denen, die zum silbernen Mond emporseufzen!«

Aber auch Sagloba wurde zornig und begann zu fauchen. Einen Augenblick konnte er gar nicht reden, er mußte erst seine Wut überwinden; dann versetzte er in abgerissenen Worten:

»Mein Lieber, mach' mir nichts weiß; willst du mir aber Reden halten, so sprich wie zu einem Menschen, der vom Brot und Fleische lebt und nicht von Bilsenkraut … Denn wenn ich jetzt verrückt würde und dir sagen wollte, daß diese meine Mütze luna sei, den man nicht mit der Hand erreichen könne, so würde ich mit bloßer Glatze in der Stadt umherlaufen, und die Kälte würde mir in die Ohren beißen wie ein Hund. Mit solchen Reden kämpfe ich nicht … Eins aber weiß ich: daß dieses Mädchen drei Zimmer von hier entfernt sitzt, daß sie ißt und trinkt, daß sie einen Fuß vor den anderen setzt, wenn sie gehen will, daß ihre Nase bei der Kälte rot wird, und daß ihr im Sommer heiß ist; daß es sie juckt, wenn sie eine Mücke sticht, und daß sie luna höchstens darin ähnlich ist, daß sie keinen Bart hat. Aber auf die Art, wie du sprichst, kann man auch sagen, daß die Rübe ein Astrolog ist. Was aber Christine betrifft, so sage ich dir: wenn du es nicht versucht hast, und wenn du nicht gefragt hast, so ist das deine Sache, aber wenn du das Mädchen liebst und nun davongehst und dir dabei sagst: luna – so kannst du deine Treue wie deinen Verstand mit diesem Halm nähren, und damit basta!«

Ketling aber versetzte: »Mir ist nicht süß, mir ist bitter von der Nahrung, von der ich lebe. Ich gehe fort, weil ich muß; ich frage nicht, weil ich nichts zu fragen habe. Ihr aber beurteilt mich falsch … Gott weiß, wie falsch.«

»Ketling, ich weiß ja, daß du ein braver Mann bist, aber diese deine Manier verstehe ich nicht. Zu meiner Zeit, da ging man zum Mädchen und sagte ihr ins Gesicht: Willst du, so bleiben wir beisammen, willst du nicht, so kaufe ich dich nicht, und jeder wußte, woran er sich zu halten habe … Wenn einer aber ein Stock war und selbst nichts zu reden wußte, so schickte er einen Beredteren hin. Ich stand dir zu Diensten, und ich stehe es noch. Ich will hingehen, für dich reden, will dir Antwort bringen, und danach kannst du reisen oder hierbleiben.«

»Ich reise, es kann nicht anders sein, es wird nicht anders sein.«

»So kommst du zurück?«

»Nein. Tut mir den Gefallen und sprecht nicht mehr davon. Wollt Ihr um Eurer eigenen Neugier willen fragen, – tut's, aber nicht in meinem Namen.«

»Um Gottes willen, Ihr habt wohl schon gefragt?«

»Sprechen wir nicht davon, tut mir den Gefallen.«

»Gut, sprechen wir vom Wetter … Hol' dich doch das Donnerwetter mit deinen Manieren! Ja, du mußt abreisen, und ich muß fluchen.«

»Leb wohl.«

»Warte, mein Zorn wird bald vorüber sein! lieber Ketling, warte, ich habe mit dir zu reden. Wann reisest du?«

»Sobald ich meine Angelegenheiten erledigt habe; ich möchte aus Kurland ein Viertel meines Erbguts abwarten und dieses Häuschen, in dem wir gewohnt haben, gern verkaufen, wenn sich ein Kauflustiger fände.«

»Makowiezki wird es kaufen, oder Michael. Du lieber Gott, ohne Abschied von Michael wirst du doch nicht abreisen?«

»Ich hätte ihm gern von ganzem Herzen Lebewohl gesagt.«

»Er kann jeden Augenblick eintreffen, jeden Augenblick; vielleicht wird er dir zu Christine zureden.«

Hier unterbrach sich Sagloba, denn es erfaßte ihn plötzlich eine Unruhe.

»Ich bin Michael in bester Absicht gefällig gewesen,« dachte er, »aber weiß der Teufel, vielleicht gegen seinen Willen; sollte aber eine Zwietracht zwischen ihm und Ketling daraus entstehen, so mag Ketling lieber fortgehen.«

Dabei rieb Sagloba seine Glatze mit der Hand.

»Man spricht so dies und das aus aufrichtiger Freundschaft zu dir. Ich habe dich so lieb gewonnen, daß ich dich auf jede mögliche Weise hierhalten wollte; darum habe ich dir Christine wie den Speck aufgestellt … aber nur aus Freundschaft … was kümmert mich Alten das … gewiß nur aus Freundschaft – sonst nichts. Ich beschäftige mich ja nicht mit Ehestiften; wollte ich Ehen stiften, so hätte ich doch mir eine gestiftet … Gib das Mäulchen, Ketling … und ärgere dich nicht.«

Ketling schloß Sagloba, der ganz gerührt war, in seine Arme und ließ bald eine Flasche bringen. »Nun will ich zur Feier der Abreise täglich eine solche trinken.«

Und sie tranken. Dann verabschiedete sich Ketling und ging. Der Wein hatte indessen Saglobas Phantasie angeregt; er dachte sehr lebhaft über Bärbchen, über Christine, über Wolodyjowski und über Ketling nach; er verband sie zu Paaren und segnete sie. Endlich wurde ihm nach den Mädchen bange, und er sagte zu sich:

»Nun muß ich hinein, die Weiber besuchen.«

Die Mädchen saßen im Zimmer auf der anderen Seite des Flures und stickten. Sagloba begrüßte sie, ging im Zimmer auf und nieder, indem er die Beine ein wenig nachzog, denn sie folgten ihm nicht mehr wie früher, besonders nach dem Wein. Er blickte immer wieder zu den Mädchen hinüber, die ganz nahe aneinander saßen, so nahe, daß das helle Köpfchen Bärbchens sich fast an das dunkle Christinens anlehnte. Bärbchen sah ihn aufmerksam an, Christine aber stickte so fleißig, daß man kaum ihrer Nadel mit den Augen folgen konnte.

»Hm,« machte Sagloba; »hm,« wiederholte Bärbchen.

»Verspotte mich nicht, ich bin ärgerlich.«

»Ihr werdet mir gewiß den Kopf abschneiden!« rief Bärbchen, indem sie sich erschreckt stellte.

»Mühlrad, Mühlrad, Mühlrad, die Zunge sollte man dir abschneiden.«

Bei diesen Worten trat Sagloba näher an die Mädchen heran, stemmte plötzlich die Arme in die Seiten und fragte ohne weitere Einleitung:

 

»Willst du Ketling zum Manne haben?«

»Fünf solche!« antwortete Bärbchen sofort.

»Still, dummes Ding, ich spreche nicht zu dir. Christine, dich meine ich, willst du Ketling zum Manne haben?«

Christine wurde ein wenig blaß, obgleich sie anfangs glaubte, Sagloba frage Bärbchen, nicht sie; dann hob sie zu dem alten Edelmann ihre schönen, dunkelblauen Augen empor und sagte gelassen: »Nein!«

»Nun, ich bitte, nein! – wenigstens kurz, das lasse ich mir gefallen. Und warum wollen das Fräulein ihn nicht?«

»Weil ich niemand will.«

»Christine, sag' das anderen!« fiel Bärbchen ein.

»Was hat den Ehestand so in Verruf gebracht?« fragte Sagloba weiter.

»Das ist's nicht, das ist's nicht.«

»Mich zieht's ins Kloster,« antwortete Christine.

In ihrer Stimme lag ein solcher Ernst und eine solche Traurigkeit, daß sowohl Bärbchen wie Sagloba keinen Augenblick annahmen, daß es Scherz sein könne. Es erfaßte beide ein so großes Erstaunen, daß sie bald einander, bald Christine mit großen Augen ansahen.

»He?« machte Sagloba zuerst.

»Es zieht mich ins Kloster,« wiederholte Christine mild.

Bärbchen sah sie wieder und wieder an; plötzlich warf sie ihr die Arme um den Hals, legte ihre rosigen Lippen an ihre Wange und sprach hastig:

»Christine, ich plärre los! Sag's doch gleich, daß du nur so in den Wind hineinsprichst, sonst plärr' ich, so wahr Gott lebt, ich plärre los!«

8. Kapitel

Nach dieser Unterredung mit Sagloba war Ketling noch bei Frau Makowiezka. Er kündigte ihr an, daß er wichtiger Angelegenheiten wegen in der Stadt bleiben, vielleicht gar auch vor der großen Reise auf einige Wochen nach Kurland gehen müsse, daß er daher die Frau Truchseß nicht mehr persönlich in seinem Landhäuschen würde bewirten können. Er bat sie indes inständig, sie möchte das Häuschen wie bisher als ihre Residenz ansehen und mit ihrem Gatten und Herrn Michael während der Zeit der nahe bevorstehenden Wahl wohnen bleiben.

Frau Makowiezka war damit einverstanden, da im entgegengesetzten Falle das Häuschen leer gestanden und niemand Nutzen gebracht hätte. Ketling ging und ließ sich weder im Gasthaus noch späterhin in der Umgegend von Mokotow mehr sehen, denn Frau Makowiezka und die jungen Mädchen waren aufs Land zurückgekehrt. Aber nur Christine empfand seine Abwesenheit. Denn Sagloba war ganz und gar von der bevorstehenden Wahl in Anspruch genommen. Bärbchen und die Frau Truchseß nahmen sich den plötzlichen Entschluß Christinens so zu Herzen, daß sie an nichts anderes denken konnten.

Frau Makowiezka versuchte nicht einmal, Christine von diesem Schritte abzureden, und zweifelte auch, ob ihr Mann abreden würde, denn in jener Zeit hielt man einen Widerspruch gegen ein solches Vornehmen für eine Beleidigung und Kränkung Gottes. Nur Sagloba hätte bei aller seiner Frömmigkeit den Mut gehabt, Einspruch zu erheben, wenn ihm ein wenig daran gelegen hätte. Da ihm aber gar nichts daran lag, verhielt er sich still; ja, er war's sogar in der Seele zufrieden, daß die Dinge sich so schickten, und daß Christine zwischen Wolodyjowski und dem kleinen Heiducken sozusagen Raum schaffte. Nun war Sagloba überzeugt von der glücklichen Erfüllung aller seiner geheimsten Wünsche und gab sich gänzlich den Wahlarbeiten hin; er bereiste den Adel, der in die Hauptstadt gekommen war, oder brachte seine Zeit in Unterredungen mit dem Priester Olschowski zu, den er schließlich sehr lieb gewonnen und dessen vertrauter Genosse er geworden war.

Nach einer jeden solchen Unterredung kehrte er als ein eifriger Parteigänger des »Piasten« und als ein immer heftigerer Feind der Ausländer zurück. Der Weisung des Unterkanzlers gemäß verhielt er sich noch ganz still; aber es verging kein Tag, ohne daß er einen für diese noch geheim gehaltene Kandidatur gewonnen hätte – und es geschah, was gewöhnlich in solchen Fällen zu geschehen pflegt: er selbst begeisterte sich so sehr für die Sache, daß diese Kandidatur neben der Verbindung Bärbchens mit Wolodyjowski sein zweites Lebensziel wurde.

Unterdessen kam der Wahltag immer näher.

Schon löste der Frühling das Eis der Gewässer; schon begannen wärmere Winde zu wehen, unter deren Atem die Bäume sich mit Knöspchen bedeckten und Ketten von Schwalben nach dem Aberglauben des Volkes sich auseinanderlösten, um jeden Augenblick aus der kalten Flut an das helle Licht des Tages hinaufzusteigen. Und mit den Schwalben und den anderen Wandervögeln begannen auch die Gäste zur Wahl einzutreffen.

Erst die Kaufleute, für die es reichliche Ernte gab, wo über eine halbe Million Volks zusammenkommen sollte; Herren, ihr Gefolge, Adel, Diener, Soldaten. Es kamen Engländer, Holländer, Deutsche, Russen, es kamen Tataren, Griechen, Armenier, auch Perser und brachten Tuch, Leinewand, Damast und Brokate, Felle, Kleinodien, Südfrüchte und duftende Gewürze. An den Straßen und außerhalb der Stadt wurden Buden erbaut, in denen allerlei Waren aufgestapelt waren. Einzelne »Bazare« wurden sogar in den Dörfern bei der Stadt errichtet, denn man wußte, daß die Gasthäuser der Residenz nicht den zehnten Teil der Wähler aufzunehmen vermöchten, und daß eine große Anzahl von ihnen sich außerhalb der Mauern lagern würde, wie das übrigens stets zur Zeit der Wahl geschah.

Endlich begann auch der Adel in so großen Scharen herbeizuströmen, daß, wenn er ebenso zahlreich die bedrohten Grenzen der Republik besetzt hätte, der Fuß eines Feindes sie nie hätte überschreiten können.

Von Mund zu Munde ging es, daß die Wahl eine stürmische sein werde, denn das ganze Land war in drei Hauptparteien getrennt: für Condé, den Fürsten von Neuburg, und den Lothringer. Es hieß, jede der Parteien würde selbst mit Gewalt ihren Kandidaten durchzubringen suchen.

Ein Sturm hatte die Gemüter ergriffen; die Seelen glühten von Parteiwut. Die einen sagten einen Bürgerkrieg voraus, und diese Gerüchte fanden Glauben durch die riesigen bewaffneten Gefolge, mit denen sich die Magnaten umgeben hatten. Auch sie kamen früh herangezogen, um noch Zeit zu allerlei Machenschaften zu haben. Wenn die Republik in Gefahr war, wenn der Feind ihr das Messer an die Kehle setzte, konnte der König, konnten die Hetmane nicht mehr als eine Handvoll Soldaten gegen sie führen. Jetzt kamen die Radziwills allein trotz Gesetz und Beschlüssen mit einer Armee von etlichen hundert Kriegern herangezogen; die Patz' brachten beinahe eine gleiche Zahl mit, die mächtigen Potozkis kaum eine geringere, und mit nicht viel weniger erschienen auch die anderen »Kleinkönige« aus Polen, Litauen und Preußen. Wohin steuerst du, schwankes Schifflein meines Vaterlandes? – wiederholte der Priester Olschowski immer häufiger, und doch hatte er selbst seine eigenen Interessen im Herzen. An sich und an die Macht der eigenen Häuser nur dachten die bis ins innerste Mark verderbten Magnaten, die jeden Augenblick bereit waren, den Sturm des Bürgerkrieges anzufachen.

Die Scharen des Adels wuchsen mit jedem Tage, und man konnte jetzt schon erkennen, daß er, wenn nach dem Reichstag die Wahl selbst beginnen würde, auch die größte Macht der Magnaten übertreffen müsse. Aber auch diese Scharen waren nicht fähig, das schwanke Schiff der Republik glücklich in ruhige Strömungen zu lenken, denn ihre Geister waren in Dunkelheit und Nacht gehüllt, und ihre Herzen meist verderbt.

So drohte die Wahl unberechenbar zu werden, und niemand konnte ahnen, daß sie auch nur ein elendes Resultat geben würde, denn außer Sagloba hatten nur wenige, auch die nicht etwa für den Piast arbeiteten, die Hoffnung, einen Kandidaten wie den Fürsten Michael durchzusetzen, denn wer konnte wissen, wieviel die Urteilslosigkeit des Adels und die Machenschaften der Magnaten vermöchten. Sagloba aber schwamm in diesem Meer wie ein Fisch. In dem Augenblick, an dem der Reichstag begann, nahm er dauernd seine Wohnung in der Stadt und besuchte Ketlings Haus nur so oft, als ihm nach seinem kleinen Heiducken bange ward. Da aber auch Bärbchen infolge von Christinens Entschlusse von ihrer Heiterkeit viel verloren hatte, nahm Sagloba sie von Zeit zu Zeit mit sich in die Stadt, damit sie sich zerstreue, und ihr Auge an dem Anblick der Bazare weide.

Am Morgen pflegte sie in die Stadt zu fahren, und am späten Abend brachte dann Sagloba das Fräulein wieder heim. Unterwegs und in der Stadt erfreute sich das Herz des Mädchens an dem Anblick der unbekannten Menschen und Dinge, der vielfarbigen Scharen der stolzen Heere. Dann glänzten ihre Augen wie zwei glühende Kohlen, ihr Köpfchen wandte sich lebhaft nach allen Seiten, sie konnte nicht genug sehen, nicht genug bewundern und überschüttete Sagloba mit tausend Fragen. Er antwortete mit Freuden, denn er konnte dadurch seine Erfahrung und seine Gelehrsamkeit beweisen. Oft auch umgab eine artige Schar von Soldaten das Wäglein, in dem sie fuhren; die Ritter bewunderten Bärbchens Schönheit, ihren schlagenden Witz und ihre Entschlossenheit, und Sagloba erzählte ihnen dazu immer noch die Geschichte vom Tataren, den sie mit Entenschrot erschossen, um die Leute vollends in Erstaunen und Entzücken zu versetzen. Eines Abends waren sie wieder sehr spät zurückgekehrt, denn sie hatten den ganzen Tag Felix Potozkis Scharen besichtigt. Die Nacht war hell und warm, über den Wiesen hingen weiße Nebel. Sagloba, obwohl er immer ermahnt hatte, bei einem so großen Zusammenfluß von Bediensteten und Soldaten fleißig acht zu haben, um nicht auf Gesindel zu stoßen, war tief eingeschlafen; auch der Kutscher schlummerte, und nur Bärbchen war wach, denn durch ihren Kopf zogen Tausende von Bildern und Gedanken.

Plötzlich drang Pferdegetrappel an ihr Ohr.

Sie zog Sagloba am Ärmel und sagte.

»Wir sind von Räubern verfolgt!«

»Was – wie – wer?« fragte Sagloba schläfrig.

»Wir sind von Räubern verfolgt!«

Da erwachte Sagloba.

»O, gleich verfolgt! – Ich höre Hufschlag; vielleicht reitet jemand denselben Weg.«

»Ich bin überzeugt, es sind Räuber.«

Bärbchen war darum davon überzeugt, weil sie sich in innerster Seele Abenteuer, Räuber und Gelegenheit, ihren Mut zu zeigen, wünschte, und als Sagloba schnarchend und brummend anfing, unter dem Sitz die Pistolen hervorzuziehen, die er »zufällig« immer mit sich führte, drängte sie ihn bald, ihr eine zu geben.

»Ich werde schon den ersten, der herkommt, treffen. Die Tante schießt ausgezeichnet mit dem Pistol, aber sie sieht in der Nacht nichts. Ich möchte schwören, es sind Räuber; – o gebe Gott, daß sie uns angriffen! Gib mir schnell das Pistol!«

»Gut,« antwortete Sagloba, »aber versprich mir, daß du nicht vor mir schießest und nicht, ehe ich »Feuer« sage. Wenn man dir eine Waffe in die Hand gibt – du hättest nicht übel Lust, den ersten besten Edelmann niederzuschießen, ohne vorher »wer da« zu rufen, und dann gibt's Händel.«

»So werde ich erst fragen: »wer da?««

»Und wenn dann Trunkenbolde vorbeikommen und die Frauenstimme erkennen und etwas Unartiges zur Antwort geben?«

»Dann schieße ich los; – schön!«

»Na, da nehme man sich solch einen Heißsporn in die Stadt mit! – Ich sage dir, du sollst nicht ohne Kommando schießen!«

»Ich werde also fragen: »wer da?«, aber mit so tiefer Stimme, daß sie mich nicht erkennen werden.«

»Na, sei's denn so! Ha, ich höre sie schon in der Nähe, – sei überzeugt, das sind gute Leute, denn Strolche wären plötzlich aus dem Graben aufgetaucht.«

Da aber wirklich viel Gesindel auf allen Wegen herumlungerte, und man viel von Unglücksfällen hörte, befahl Sagloba dem fahrenden Knecht, nicht unter den Bäumen zu halten, die am Kreuzweg standen, sondern an einem hell erleuchteten Orte.

Inzwischen waren die Reiter auf etliche zehn Schritt herangekommen, – da fragte Bärbchen in einem Baß, der ihr selbst eines Dragoners würdig erschien, und in drohendem Tone:

»Wer da?«

»Was steht ihr mitten im Wege?« gab einer der Ritter zur Antwort, dem offenbar der Gedanke gekommen war, daß die Reisenden Unglück gehabt haben müßten mit dem Gespann oder mit dem Wagen.

Aber bei diesem Ton ließ Bärbchen sofort das Pistol sinken und sprach hastig zu Sagloba:

»Wahrhaftig, das ist Onkelchen … Bei Gott!«

»Was für ein Onkelchen?«

»Makowiezki.«

»He da!« schrie jetzt Sagloba, »ist das nicht Herr Makowiezki mit unserem Wolodyjowski?«

»Herr Sagloba?« versetzte der kleine Ritter.

»Michael!«

Da begann Sagloba in großer Eile seine Füße über die Lehne des Wagens zu strecken, aber ehe es ihm gelang, mit einem hinüberzukommen, war Wolodyjowski schon vom Pferde gesprungen und stand an dem Korbwagen; da er im Mondlicht Bärbchen erkannte, ergriff er ihre beiden Hände und rief:

»Ich heiße Sie von ganzem Herzen willkommen! Wo ist Fräulein Christine, die Schwester? Sind alle gesund?«

 

»Gott sei Dank, alle sind gesund! – Daß Ihr endlich gekommen seid!« antwortete Bärbchen mit pochendem Herzen, »der Onkel auch? – Onkelchen!«

Sie umarmte Herrn Makowiezki, der gerade an den Wagen herangekommen war, und Sagloba hatte inzwischen Wolodyjowski seine Arme geöffnet. Nach langen Begrüßungen erfolgte die gegenseitige Vorstellung des Herrn Truchseß und Saglobas; dann stiegen die beiden Ankömmlinge, nachdem sie den Knechten ihre Pferde übergeben hatten, in den Korbwagen; Makowiezki und Sagloba nahmen die Rücksitze ein, Bärbchen und Wolodyjowski fanden vorne Platz.

Nun folgten Fragen und kurze Antworten, wie das gewöhnlich zu sein pflegt, wenn sich Menschen nach langer Trennung wieder begegnen. Makowiezki fragte nach seiner Frau, Wolodyjowski erkundigte sich noch einmal nach Christinens Wohl; dann verwunderte er sich über Ketlings Abreise, aber er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn er mußte bald Rede stehen über das, was er selbst an der Grenzstation gemacht habe, wie er die Scharen der Horden überlistet, wie bange ihm war und wie doch so erfrischend, das alte Leben wieder zu genießen.

»Seht,« sagte er, »mir war's, als wären die alten Tage wiedergekehrt, da ich noch mit Kuschel, mit Skrzetuski und Wierschul zusammen auszog. Erst wenn am Morgen der Eimer zum Waschen gebracht wurde, und ich die grauen Haare an meinen Schläfen in ihm sah, da erst trat es mir nahe, daß ich nicht mehr derselbe wie früher bin, obwohl ich wiederum dachte, solange der Jugendmut derselbe ist, ist auch der Mensch derselbe.«

»Und damit hast du ins Schwarze getroffen,« antwortete Sagloba. »Ich sehe, dort im frischen Grase hast du deinen Witz aufgefüttert, denn früher war er gar nicht so leicht beschwingt. Jugendmut, das ist die Hauptsache, – es gibt kein besseres Mittel gegen die Melancholie!«

»Was wahr ist, ist wahr,« fügte Herr Makowiezki hinzu »dort in Michaels Standquartier gibt es eine Menge Brunnenkräne, denn Quellwasser gibt es in der Nähe nicht. Und da sage ich Ihnen, wenn bei Tagesanbruch die Soldaten mit diesen Kränen zu knarren anfangen, erwacht der Mensch mit solcher Jugendfrische, daß man dem lieben Herrgott schon dafür danken möchte, daß man lebt.«

»Ach, wenn ich doch nur einen Tag dort sein könnte!« rief Bärbchen.

»Ein Mittel gibt's dafür,« antwortete Sagloba, – »heirate einen Hauptmann aus Michaels Fahne.«

»Herr Nowowiejski muß früher oder später Hauptmann werden,« warf der kleine Ritter ein.

»Schon gut!« rief Bärbchen zornig, »ich habe Euch nicht gebeten, mir statt eines Willkommens Herrn Nowowiejski mitzubringen.«

»Ich habe auch etwas anderes mitgebracht: prächtige Südfrüchte. Fräulein Bärbchen werden sie süß schmecken, und dem armen Jungen ist bitter.«

»So hätte man ihm etwas von den Süßigkeiten abgeben sollen, damit er sie verzehre, solange ihm der Bart noch nicht gewachsen ist.«

»Stellt Euch vor,« sagte Sagloba zu Makowiezki, »daß die beiden immer so miteinander sprechen; ein Glück, daß das Sprichwort sagt: Was sich liebt, das neckt sich.«

Bärbchen erwiderte nichts; Michael aber blickte ihr kleines, von einem hellen Lichtschimmer erleuchtetes Gesichtchen an, als erwarte er eine Antwort. Und sie erschien ihm so hübsch, daß er unwillkürlich bei sich dachte:

»Verteufelt hübsch! Man könnte sich leicht vergucken.«

Aber offenbar kam ihm sofort ein anderer Gedanke, denn er wandte sich an den Kutscher:

»Laß die Pferde ein wenig die Peitsche fühlen und fahre zu!«

Das Wägelchen fuhr nach diesen Worten in schnellem Laufe dahin, so schnell, daß die Insassen eine Zeitlang schweigsam dasaßen, und erst, als sie wieder auf den Sand kamen, begann Wolodyjowski von neuem:

»Diese Abreise Ketlings will mir nicht aus dem Kopfe! Mußte er gerade abreisen, wenn ich ankomme, und wenn die Wahl beginnt …«

»Die Engländer kümmern sich ebensoviel um unsere Wahlen wie um deine Ankunft,« versetzte Sagloba. »Ketling selbst ist kopflos darüber, daß er abreisen muß und uns verlassen …«

Bärbchen lag schon das Wort auf der Zunge: Besonders Christine! – aber plötzlich kam es über sie, daß sie davon wie auch von dem jüngst gefaßten Entschlusse Christinens kein Wort erwähnen dürfe. Mit dem Instinkt des Weibes erriet sie, daß eins wie das andere gleich zu Anfang Michael unangenehm berühren und schmerzen könne; auch sie schmerzte etwas; darum schwieg sie trotz ihrer gewohnten Voreiligkeit.

»Von Christinens Absichten wird er auch ohnehin Kunde bekommen,« dachte sie, »und es ist gewiß besser, jetzt nicht davon zu sprechen, um so mehr, als auch Herr Sagloba kein Wörtchen davon gesagt hat.«

Inzwischen hatte sich Wolodyjowski wieder an den Kutscher gewandt: »So fahr' doch zu!« sagte er.

»Die Pferde und unsere Sachen haben wir in Praga gelassen,« sagte Makowiezki zu Sagloba, »und sind zu viert schleunigst aufgebrochen, obwohl es Nacht war, denn wir hatten es beide ungeheuer eilig.«

»Das glaube ich!« versetzte Sagloba. »Habt Ihr gesehen, welche Menschenmenge in der Residenz zusammengekommen ist? Hinter den Schlagbäumen stehen Lager und Bazare, daß man Mühe hat, hindurchzukommen. Wunderbare Dinge berichten die Menschen von der künftigen Wahl; ich will sie Euch daheim bei passender Gelegenheit erzählen.«

Nun begann ein Gespräch über Politik; Sagloba bemühte sich, von ungefähr die Meinung des Herrn Truchseß zu erkunden, zum Schluß aber wandte er sich an Wolodyjowski und fragte ohne Umschweife:

»Und du, Michael, wem gibst du deine Stimme?«

Aber Wolodyjowski erbebte statt zu antworten, als sei er aus dem Schlafe geweckt worden, und sagte:

»Ich bin doch neugierig, ob sie schon schlafen, und ob wir sie noch heute sehen werden.«

»Sie schlafen gewiß schon,« antwortete Bärbchen mit süßer, etwas verschlafener Stimme, »aber sie werden aufstehen und unzweifelhaft die Herren zu begrüßen kommen.«

»Glaubt Ihr das?« fragte der kleine Ritter erfreut.

Und wieder blickte er Bärbchen an, und wieder dachte er unwillkürlich bei sich: »Sie ist verteufelt anmutig in diesem Mondesglanz.«

Sie waren schon ganz in der Nähe von Ketlings Hause und fuhren nach einer kurzen Weile ein.

Die Frau Truchseß und Christine schliefen schon, nur die Dienerschaft wachte, denn man wartete auf Bärbchen und Herrn Sagloba mit dem Abendbrot. Bald entstand im Hause eine lebhafte Bewegung. Sagloba befahl, mehr Leute zu wecken, damit den Gästen warme Speisen gereicht würden.

Der Herr Truchseß wollte sogleich seine Gattin begrüßen; aber sie hatte bereits das ungewöhnliche Geräusch gehört und erraten, wer angekommen sei. Eine Minute später kam sie schon die Treppe herab in einem eilig übergeworfenen Kleide, atemlos, mit Freudentränen in den Augen und einem herzlichen Lachen auf den Lippen; es begannen die Begrüßungen, Umarmungen und ein wirres, von Ausrufen der Freude unterbrochenes Geräusch.

Wolodyjowski blickte beständig nach der Tür, in welcher Bärbchen verschwunden war, und in welcher er jeden Augenblick die geliebte Christine zu sehen hoffte, wie sie strahlend vor stiller Freude, mit glänzenden Augen und aufgelöstem Haar eintrat; aber die Danziger Uhr, die im Speisezimmer stand, tickte und tickte, die Zeit verrann, das Abendbrot wurde gereicht, und das geliebte, teure Mädchen ließ sich nicht blicken.

Endlich trat Bärbchen ein, aber allein, ernst, ja düster, sie näherte sich dem Tisch, hielt die Hand vor das Antlitz und sprach, zu Herrn Makowiezki gewendet:

»Onkelchen, Christine ist ein wenig unwohl und wird nicht kommen, aber sie bittet, Onkelchen möchte wenigstens bis an die Tür kommen, damit sie ihn begrüßen könne.«

Makowiezki erhob sich sogleich und ging hinaus; Bärbchen folgte ihm.

Der kleine Ritter wurde sehr traurig und sagte:

»Das habe ich nicht vermutet, daß ich Fräulein Christine heut' nicht sehen sollte; ist sie wirklich krank?«

»Ei was, sie ist gesund,« versetzte Frau Truchseß, »aber sie paßt jetzt nicht unter Menschen.«