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Der kleine Ritter

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Nachdem sie aus dem Schloß getreten waren, empfand Ketling das Bedürfnis, seine Gedanken zu sammeln und sich von dem Erstaunen frei zu machen, in das ihn Christinens Benehmen versetzt hatte. Er verabschiedete sich von ihr und Sagloba gleich vor dem Tor; diese aber begaben sich zurück in das Gasthaus. Bärbchen und die Frau Truchseß waren von der Kranken schon heimgekehrt, und die Frau Truchseß begrüßte Herrn Sagloba mit folgenden Worten: »Ich habe einen Brief von meinem Manne bekommen, der bei Michael im Grenzquartier ist; sie sind beide gesund und versprechen in kurzem hier zu sein. Es liegt auch ein Brief von Michael an Euch hier, an mich nur ein Postskriptum in dem Briefe meines Mannes. Mein Mann schreibt auch, daß die Differenz, welche wegen des Guts von Bärbchen mit den Zubers bestanden, glücklich ausgeglichen ist. Jetzt stehen dort die Landtage bevor … er schreibt auch, daß dort der Name des Herrn Sobieski ungeheure Bedeutung hat, und so wird auch der Landtag in seinem Sinne ausfallen. Alle Welt rüstet sich zur Wahl, aber unsere Gegend wird auf seiten des Kronmarschalls stehen. Es ist schon warm dort und Regenwetter … In Werschutko sind einige Gebäude bei uns abgebrannt. Ein Knecht hat das Feuer angezündet, und da windiges Wetter war …«

»Wo ist Michaels Brief an mich?« fragte Sagloba, indem er den Strom von Neuigkeiten unterbrach, den die brave Frau Truchseß in einem Atem hervorbrachte.

»Da ist er,« antwortete die Frau Truchseß, indem sie ihm den Brief reichte. – »… da Wind war, und die Leute auf dem Jahrmarkt …«

»Wie sind die Briefe hierhergekommen?« fragte Sagloba wieder.

»Sie sind in Ketlings Haus gebracht worden, und von da hat sie ein Knecht hergebracht – nun weil aber, sage ich, Wind war …«

»Wollt Ihr hören?«

»O gewiß, ich bitte.«

Sagloba erbrach das Siegel und begann zu lesen, erst mit halber Stimme für sich, dann lauter für alle:

»Es ist dies der erste Brief, den ich Euch sende; hoffentlich gibt es auch keinen zweiten, denn hier sind die Posten unsicher, und ich denke auch in kurzer Zeit persönlich bei Euch zu erscheinen. Es ist gut hier im Felde, aber doch zieht mich das Herz mächtig zu Euch, und die Gedanken und die Erinnerungen, die mir die Einsamkeit angenehmer machen als die zahlreiche Gesellschaft, sind ohne Ende. Die versprochene Arbeit ist vorbei, denn die Horden sitzen ruhig, nur kleinere Haufen pirschen auf den Wiesen, und wir haben sie zweimal so glücklich aufgescheucht, daß auch nicht ein Zeuge der Niederlage übrig geblieben ist.«

»Da haben sie ihnen warm gemacht,« rief Bärbchen erfreut, »es geht nichts über den Soldatenstand!«

»Die Banden des Doroschenko« – las Sagloba weiter – »möchten gern mit uns anbinden, aber ohne die Horde wagen sie's nicht, und die Gefangenen sagen aus, daß keine einzige größere Schar unterwegs sei, und auch ich denke, wenn etwas hätte kommen sollen, so wäre es schon gekommen, denn das Gras ist seit einer Woche grün, und die warmen Winde wehen, die die Pferde träge machen, und das sind die sichersten Anzeichen des Frühlings. Die Erlaubnis habe ich schon einholen lassen, und sie muß jeden Tag eintreffen: dann mache ich mich bald auf den Weg … Herr Nowowiejski wird mich in meinem Wächteramt vertreten; es gibt so wenig zu tun, daß Makowiezki und ich den ganzen Tag die Füchse gehetzt haben, bloß zu unserem Vergnügen, denn der Pelz nützt uns zum Frühling nichts. Es fehlt auch nicht an Trappen, und mein Bursche hat einen Pelikan geschossen. – Ich umarme Euch von ganzem Herzen, küsse meiner Frau Schwester die Hand, auch Fräulein Christine, deren Zuneigung ich mich sehr empfehle, und bitte Gott nur darum, daß ich sie mit unverändertem Sinne wiederfinde. Grüßen Sie auch Fräulein Bärbchen von mir; Herr Nowowiejski hat seine Wut über den Korb, den er in Mokotow erhalten, zehnfach an den Nacken der Schurken ausgelassen, aber er ist noch immer nicht beruhigt, noch hat er es nicht ganz verwunden. – Ich empfehle Euch Gott und seiner heiligen Gnade.

P. S. Von durchreisenden Armeniern habe ich einen prächtigen Hermelinbesatz gekauft, – den bringe ich als Willkommengruß Fräulein Christine mit, und auch für unseren kleinen Heiducken werden sich türkische Südfrüchte finden.«

»Die mag Herr Michael allein aufessen, ich bin kein Kind,« versetzte Bärbchen, deren Wangen erglühten, als wäre ihr plötzlich etwas Unangenehmes widerfahren.

»So siehst du ihn nicht gerne wieder? Bist du ihm böse?« fragte Sagloba.

Aber sie brummte nur leise vor sich hin und geriet wirklich in Zorn bei dem Gedanken daran, wie leichthin Michael sie behandle; bald dachte sie wieder an die Trappen und an den Pelikan, der ganz besonders ihre Neugier erweckt hatte.

Christine saß während des Vorlesens mit geschlossenen Augen da, dem Lichte abgewandt. Es war ein wahres Glück, daß die Anwesenden ihr Gesicht nicht sehen konnten, sonst hätten sie unschwer erkannt, daß in ihr etwas Außerordentliches vorgehe. Was in der Kirche geschehen war, dann Wolodyjowskis Brief – das waren für sie gleichsam zwei kräftige Keulenschläge. Der wundervolle Traum war zerstoben, und seit diesem Augenblick stand das Mädchen von Angesicht zu Angesicht der unglückschweren Wahrheit gegenüber. Sie konnte nicht sofort ihre Gedanken sammeln, und nur unklare, dämmerhafte Gefühle tobten in ihrem Herzen. Wolodyjowski samt seinem Versprechen der Ankunft und dem Hermelinbesatz erschien ihr flach, ja nahezu widerwärtig. Ketling aber war ihr nie teurer. Teuer war ihr der bloße Gedanke an ihn, seine Worte, sein geliebtes Gesicht, teuer seine Betrübnis. Und nun wird man das Lieben, die Verehrung lassen müssen, das lassen, wozu das Herz sich drängt, dem die Arme sich entgegenstrecken; den geliebten Mann in Verzweiflung lassen, in ewiger Trauer, in Gram, und die Seele und den Körper einem anderen hingeben, der darum allein, weil er ein anderer ist, geradezu hassenswert erscheint.

»Ich werde es nicht verwinden,« rief es in Christinens Seele.

Und sie hatte die Empfindung, die eine Gefangene hat, der man die Hände bindet, und doch hatte sie sich selbst gebunden. Hätte sie doch damals Wolodyjowski sagen können, daß sie ihm eine Schwester sein wolle, nicht mehr. Hier kam ihr jener Kuß in Erinnerung, den sie empfangen und zurückgegeben, und es erfaßte sie Scham und Verachtung ihrer selbst. Hatte sie damals Wolodyjowski schon geliebt? – Nein, in ihrem Herzen war keine Liebe; neben dem Mitleid waren es nur Neugier und Leichtsinn, die sich hinter dem Schein schwesterlicher Zuneigung verbargen; jetzt erst erkannte sie, daß zwischen einem Kuß aus großer Liebe und einem Kuß aus der Erregung des Blutes ein Unterschied sei, wie zwischen Engel und Teufel. Und zu der Verachtung trat der Zorn in Christinens Herz, aber auch ihr Stolz empörte sich gegen Wolodyjowski. Auch er war schuldig; warum sollte alle Reue, warum sollten alle Gewissensbisse, alle Täuschungen auf sie zurückfallen, warum sollte nicht auch er den bitteren Trank teilen? Hätte sie nicht das Recht, ihm bei seiner Heimkehr zu sagen:

»Ich habe mich geirrt: Mitleid hielt ich für Zuneigung und auch du hast geirrt, und nun lasse mich, wie ich dich gelassen habe.«

Plötzlich erfaßte sie die Furcht vor der Rache des furchtbaren Mannes, nicht Furcht um sich selber, sondern um das geliebte Haupt, auf welches unfehlbar diese Rache zurückfallen würde. Sie sah in ihrer Einbildung Ketling, wie er zum Kampfe bereit stand mit dem furchtbaren und unvergleichlichen Kämpfer, sie sah ihn dann niedersinken, wie eine Blume hinsinkt unter der Hand des Schnitters, sie sah sein Blut, sein blasses Gesicht, seine Augen auf ewig geschlossen, und ihre Leiden überstiegen alles Maß. Sie erhob sich so schnell als möglich und ging in ihr Zimmer, um den Menschen aus den Augen zu kommen, um nicht mit anzuhören, wie sie von Wolodyjowski und seiner bevorstehenden Rückkehr plauderten. In ihrem Herzen wuchs der Zorn gegen den kleinen Ritter immer mächtiger an.

Aber die Gewissensbisse und das Leid folgten ihr auf der Spur, sie verließen sie nicht, wenn sie betete, sie setzten sich an ihr Bett, wenn sie sich müde und matt zur Ruhe begab, und begannen ihr zuzuflüstern:

»Wo ist er?« fragte das Leid – »sieh, noch ist er nicht heimgekehrt; er wandert durch die Nächte und ringt die Hände. Du wolltest ihn dem Himmel näher bringen, dein Herzblut für ihn hingeben, und du hast ihm den giftigen Trank bereitet, hast ihm das Messer ins Herz gestoßen.«

»Wärest du nicht voll Leichtsinn, würdest du nicht jeden an dich locken wollen, dem du begegnest« – so sprachen die Gewissensbisse – »wie anders könnte alles sein; nun bleibt dir nichts als die Verzweiflung, deine eigene Schuld, deine eigene große Schuld. Nun gibt es keine Hilfe mehr, keine Rettung, dir bleiben nur die Schmach, der Schmerz, die Tränen – «

»Wie er vor dir kniete in der Kirche« – sagte wieder das Leid – »ein Wunder, daß dir das Herz nicht brach, als er dir in die Augen blickte und um Erbarmen bat. War es recht, mit einem Fremden Mitleid zu haben, um wieviel mehr mit ihm, dem Geliebten, dem Teuersten! Gott segne ihn, Gott gebe ihm Trost.«

»Wärest du nicht leichtsinnig gewesen, so könnte dieser Teuerste in Freuden einhergehen« – wiederholten die Gewissensbisse – »und du könntest in seine Arme sinken als die Erwählte, als die Gattin …«

»Und ewig mit ihm sein« – fügte das Leid hinzu.

Und die Gewissensbisse: »Deine Schuld!« —

Und das Mitleid: »Weine, Christine!«

Und wieder sagten die Gewissensbisse: »Damit tilgst du die Schuld nicht.«

Und wieder sprach das Leid: »Tue, wie du willst, aber tröste ihn.« —

»Wolodyjowski wird ihn töten,« antworteten sogleich die Gewissensbisse.

Kalter Schweiß bedeckte Christine, und sie setzte sich in ihrem Bette auf; das helle Licht des Mondes fiel in das Zimmer, das bei dem blassen Scheine seltsam gespensterhaft aussah.

»Was ist das?« dachte Christine. »Dort schläft Bärbchen; ich sehe sie, denn der Mond scheint ihr ins Gesicht, und ich weiß nicht, wann sie gekommen ist, wann sie sich entkleidet und niedergelegt hat; ich habe doch keinen Augenblick geschlafen. O, ich sehe, mein armer Kopf ist zu nichts mehr gut.«

 

Und wieder legte sie sich mit diesen Gedanken hin, aber bald ließen sich auch Leid und Gewissensbisse auf den Rahmen ihres Bettes nieder, zwei Göttinnen gleichend, die nach Belieben im Glanze des Mondes auftauchten oder aus dem silbernen Strom emporkamen.

»Ich werde heute gar nicht schlafen,« sagte Christine zu sich.

Und sie begann an Ketling zu denken und immer mehr zu leiden.

Plötzlich ertönte durch die Stille der Nacht die klagende Stimme Bärbchens:

»Christine! – Schläfst du nicht?«

»Mir träumte, daß irgend ein Türkenhund Herrn Michael mit einem Pfeil getroffen habe; – o Jesus Christus, Träume sind Schäume! Aber es schüttelt mich wie im Fieber – laß uns ein Gebet sprechen, damit Gott das Unheil wende!«

Christine flog wie ein Blitz der Gedanke durch den Kopf: wenn ihn doch einer getötet hätte! Aber sofort erschrak sie vor ihrer eigenen Schlechtigkeit, und obgleich sie sich zu übermenschlicher Kraft erheben mußte, um in diesem Augenblick um die glückliche Heimkehr Wolodyjowskis zu beten, antwortete sie doch: »Gut, Bärbchen.«

Dann stiegen sie beide aus ihren Betten, knieten mit nackten Beinen auf der mondbeleuchteten Diele und begannen ihre Litanei. Ihre Stimmen klangen wie Frage und Antwort zusammen, bald hoben, bald senkten sie sich, man hätte meinen können, das Zimmer habe sich in eine Klosterzelle verwandelt, in welcher zwei weiße Nonnen ihre nächtlichen Gebete verrichteten.

Am folgenden Tage war Christine schon ruhiger, denn sie hatte sich aus den verworrenen Pfaden und Irrwegen zwar einen sehr schweren, aber einen geraden Weg gewählt. Indem sie ihn beschritt, wußte sie wenigstens, wohin sie ging. Vor allem aber beschloß sie, mit Ketling zusammenzutreffen und ihn zum letzten Male zu sprechen, um ihn vor jedem Unheil zu schützen. Es wurde ihr schwer, denn Ketling hatte sich am folgenden Tage nicht sehen lassen und war auch zur Nacht nicht heimgekommen.

Christine pflegte nun vor Tag aufzustehen und in die nahe Dominikanerkirche zu gehen, da sie hoffte, daß sie ihm an einem Morgen begegnen werde und ohne Zögern mit ihm würde sprechen können.

Sie traf ihn auch wirklich einige Tage später am Kirchentor. Als er sie bemerkte, zog er den Hut, neigte schweigend den Kopf und stand regungslos da. Sein Gesicht war von Schlaflosigkeit und Leiden ermattet, die Augen hohl, und an den Schläfen waren gelbliche Flecken sichtbar. Seine zarte Gesichtsfarbe war wie Wachs geworden und sah wie eine prächtige Blume aus, die dahinwelkt. Christinens Herz riß in Stücke bei diesem Anblick, und obgleich ihr jeder entscheidende Schritt schwer wurde, da sie von Natur zaghaft war, streckte sie ihm doch zuerst die Hand entgegen und sagte:

»Möge Euch Gott trösten und Euch Vergessen schenken!«

Ketling nahm ihre Hand, zog sie an seine glühende Stirn, dann an die Lippen, an die er sie lange und mit ganzer Kraft drückte; endlich sprach er mit einer Stimme voll von tödlicher Trauer und Ergebung:

»Für mich gibt es keinen Trost, kein Vergessen!«

Christine brauchte in diesem Augenblick die ganze Herrschaft über sich selbst, um ihm nicht vor Leid die Arme um den Hals zu schlingen und auszurufen: »Ich liebe dich über alles, nimm mich hin!« – Sie fühlte, daß sie dies tun würde, wenn der Schmerz sie fortrisse. Darum stand sie lange Zeit schweigend vor ihm und rang mit ihren Tränen. Endlich überwand sie sich und begann ruhig, aber sehr schnell, weil ihr der Atem fehlte:

»Vielleicht bringt es Euch Trost, wenn ich Euch sage, daß ich keinem Manne angehören werde … Ich gehe ins Kloster … Denkt nicht schlecht von mir, denn ich bin schon so unglücklich; versprecht mir, gebt mir Euer Wort, daß Ihr niemand Eure Neigung zu mir anvertrauen werdet … daß Ihr niemand bekennen werdet … daß Ihr das, was vorgefallen, keinem Freunde, keinem Verwandten entdecken werdet. Dieses ist meine letzte Bitte. Einst kommt die Zeit, wo Ihr erfahren werdet, warum ich so handle … aber dann seid einsichtsvoll. Heute sage ich nichts mehr, denn ich kann nicht mehr vor Schmerz. – Versprecht mir das, das wird mein Trost sein, sonst sterbe ich.«

»Ich verspreche es und gebe mein Wort,« antwortete Ketling.

»Gott wird es Euch lohnen, und ich danke Euch von ganzem Herzen! Aber in Gegenwart der Menschen zeigt ein ruhiges Gesicht, damit niemand etwas ahne. Ich muß gehen; Ihr seid so gut mit mir, daß ich es mit Worten nicht sagen kann. Von nun ab werden wir uns nicht mehr ohne Zeugen sehen, immer nur vor den Menschen. Saget mir noch, daß Ihr mir nicht gram seid, denn Leiden ist ein anderes und Gramsein ein anderes … Gott allein tretet Ihr mich ab, keinem anderen … seid dessen eingedenk.«

Ketling wollte sprechen; aber weil er über die Maßen litt, drangen von seinen Lippen nur undeutliche Töne, Seufzern ähnlich. Dann berührte er mit den Fingern Christinens Schläfen und hielt sie so eine Zeitlang, zum Zeichen, daß er ihr verzeihe, und daß er sie segne. Dann trennten sie sich; sie ging in die Kirche, er wieder auf die Straße, um niemand von den Bekannten in der Herberge zu treffen.

Christine kehrte erst gegen Mittag wieder und fand bei ihrer Heimkehr einen ausgezeichneten Gast; es war der Priester Olschowski, der Unterkanzler. Er war unerwartet zu Herrn Sagloba zu Besuch gekommen, weil er den Wunsch hegte, wie er selbst sagte, einen so großen Rittersmann kennen zu lernen, »dessen kriegerische Taten ein Muster, und dessen Verstand ein Vorbild für die gesamte Ritterschaft dieser hohen Republik sei.«

Sagloba war zwar höchlich erstaunt, aber nicht minder auch erfreut darüber, daß ihn eine so große Ehre in Gegenwart der Frauen treffe. Er blies sich also gewaltig auf, wurde rot, kam in Schweiß, und gleichzeitig bemühte er sich, der Frau Truchseß zu zeigen, daß er es gewohnt sei, solche Besuche von den größten Würdenträgern des Landes zu empfangen, und daß er sich nichts aus ihnen mache. Christine wurde dem Prälaten vorgestellt, küßte bescheiden seine Hände und setzte sich neben Bärbchen, froh darüber, daß niemand auf ihrem Gesicht die Spuren der vorangegangenen Erregungen lesen könne.

Inzwischen überhäufte der Unterkanzler Herrn Sagloba so reichlich mit Lobeserhebungen, daß es schien, als schüttle er immer neue Vorräte davon aus seinem violetten, spitzenbesetzten Ärmel.

»Glaubt nicht,« sagte er, »daß mich bloß die Neugier, den ersten Mann unter der Ritterschaft kennen zu lernen, hierhergeführt hat; denn wenn auch die Bewunderung die dem Helden gebührende Huldigung ist, so pflegen doch die Menschen, wo neben dem Mut die Erfahrung und der Scharfsinn ihren Sitz erwählt haben, auch zu ihrem eigenen Nutzen zu wallfahrten.«

»Die Erfahrung,« sagte Sagloba bescheiden, »besonders im Kriegshandwerk, mußte mit den Jahren selber kommen, und vielleicht fragte mich darum noch der selige Herr Koniezpolski, der Vater des Bannerträgers, bisweilen um Rat, dann auch Herr Nikolaus Potozki und Fürst Jeremias, und Herr Sapieha, und Herr Tscharniezki; was aber den Beinamen Ulysses betrifft, so habe ich ihn aus Bescheidenheit stets zurückgewiesen.«

»Und doch ist dieser mit Euch so verwachsen, daß die Menschen oft Euren wahren Namen gar nicht kennen. »Unser Ulysses« sagen sie, und sofort wissen alle, wen der Sprecher bezeichnen wollte. Und darum, bei den heutigen schweren und verkehrten Zeiten, wo mancher zögert und nicht weiß, wohin er sich wenden, auf welche Seite er treten soll, sagte ich mir, will ich hingehen, will seine Ansichten hören, will mich von Zweifeln befreien, will mich durch seine weisen Ratschläge erleuchten. Ihr erratet, daß ich von der bevorstehenden Wahl sprechen will, angesichts welcher jede Kandidatenzensur einen guten Zweck haben kann, um wieviel mehr erst eine solche, die Eurem Munde entströmt. Ich habe schon unter der Ritterschaft mit großem Beifall wiederholt sagen hören, daß Ihr jene Fremdlinge ungern sähet, die sich an unseren erhabenen Thron herandrängen. In den Adern der Wasas, so sollt Ihr gesagt haben, floß das Blut der Jagiellonen, darum haben wir sie nicht als Fremdlinge ansehen können; aber diese Fremdlinge – so sollt Ihr gesagt haben – kennen weder unsere alten Sitten, noch werden sie unsere alten Freiheiten zu achten verstehen, und daraus könne leicht ein absolutes Herrschertum erwachsen. – Ich erkenne an, daß diese Worte tief sind, aber verzeiht, wenn ich frage: Habt Ihr sie wirklich gesprochen, oder schreibt die öffentliche Meinung alle tiefen Sentenzen aus Gewohnheit in erster Reihe Euch zu?«

»Die Frauen sind meine Zeugen,« antwortete Sagloba, »und wenn auch der Gegenstand nicht gerade für sie geeignet ist, so mögen sie sprechen, wenn die Vorsehung in ihren unerforschlichen Ratschlüssen ihnen die Gaben der Rede gleich wie uns zuerkannt hat.«

Der Unterkanzler blickte unwillkürlich auf Frau Makowiezka hin und dann auf die beiden aneinandergeschmiegten Mädchen. Es trat eine Stille ein.

Plötzlich ertönte Bärbchens Silberstimme:

»Ich habe nichts gehört.«

Bärbchen geriet in große Verwirrung und wurde bis über die Ohren rot, besonders als Herr Sagloba sagte:

»Verzeihen, Ehrwürden, Jugend hat keine Tugend, aber betreffs der Kandidaten habe ich oft gesagt, über die Fremdlinge wird unsere Freiheit weinen.«

»Auch ich fürchte das,« versetzte der Prälat; »aber wollten wir auch einen Piasten, Blut von unserem Blut, und Fleisch von unserem Fleische wählen, – sagt mir doch, nach welcher Seite hin sollen sich unsere Herzen wenden? Schon Euer Gedanke an einen Piast ist groß und verbreitet sich gleich einer Flamme durch das ganze Land, denn ich höre, daß überall auf den Landtagen, wo die Korruption nicht überhandgenommen hat, nur eine Stimme laut wird: Ein Piast, Ein Piast!«

»Gewiß, gewiß,« sagte Sagloba.

»Indessen,« fuhr der Unterkanzler fort, »ist es leichter, einen Piasten zu wählen, als den Erwählten zu finden. Wundert Euch darum nicht, wenn ich frage: An wen dachtet Ihr?«

»An wen ich dachte?« wiederholte Sagloba; er schob die Lippen vor und runzelte die Brauen. Es wurde ihm schwer, sogleich eine Antwort zu finden, denn er hatte bisher nicht nur an niemanden gedacht, er hatte überhaupt diese Gedanken gar nicht gehabt, die ihm der geschickte Priester bereits eingeredet hatte. Er wußte das übrigens selbst und begriff, daß der Kanzler ihn nach einer bestimmten Richtung lenken wollte; aber er ließ sich absichtlich locken, denn es schmeichelte ihm das außerordentlich.

»Ich habe nur aus Grundsatz behauptet, wir müssen einen Piasten haben,« antwortete er endlich, »aber es ist wahr, ich habe noch keinen genannt.«

»Ich habe von den ehrgeizigen Absichten des Fürsten Boguslaw Radziwill vernommen,« brummte Olschowski so für sich hin.

»Solange Atem in meinem Munde, solange noch ein Tropfen Blutes in meiner Brust ist,« rief Sagloba mit der Kraft einer tiefen Überzeugung aus, »wird daraus nichts. Ich wollte nicht leben unter einem Volke, das so geschändet ist, daß es seinen Verräter und Judas zum Lohne zum Könige wählt.«

»Das ist nicht nur die Stimme der Vernunft, sondern auch der Bürgertugend,« murmelte wieder der Unterkanzler.

»Ha!« dachte Sagloba, »willst du mich fangen, so fange ich dich.«

Und Olschowski versetzte wiederum: »Wohin steuerst du, schwankendes Schifflein meines Vaterlandes, welche Stürme, welche Riffe harren dein? Wahrlich, es wird schlimm sein, wenn ein Fremdling dein Steuermann wird, aber es kann nicht anders sein, denn es gibt unter deinen Söhnen keinen Würdigeren.«

»Condé also, der Lothringer, oder der Fürst von Neuburg? … Es gibt kein anderes Mittel.«

»Das kann nicht sein! Ein Piast!« antwortete Sagloba.

»Und wer?« fragte der Priester, dann folgte Schweigen.

Und wieder nahm der Priester das Wort:

»Gibt es auch nur einen, auf den sich alle Stimmen vereinigen würden? Wo ist jemand, der dem Adel so gefiele, daß niemand gegen seine Wahl murren sollte? Einen hat es gegeben, der Größte, der Verdienteste: Deinen Freund, braver Ritter, der wie die Sonne in Ruhm erstrahlte. Einen hat es gegeben!«

»Fürst Jeremias Wischniowiezki.«

»Ja, Fürst Jeremias! Aber er liegt im Grabe.«

»Sein Sohn lebt,« antwortete Sagloba.

Der Kanzler schloß die Augen und saß eine Zeitlang schweigend da. Dann hob er den Kopf, blickte Sagloba an und begann langsam:

»Ich danke Gott, daß er mir eingegeben hat, Eure Bekanntschaft zu suchen! Es ist wahr, der Sohn des großen Jeremias lebt, ein junger, hoffnungsvoller Fürst, gegen den die heutige Republik bis zum heutigen Tage eine unbezahlte Schuld abzutragen hat. Aber von dem ungeheuren Besitz ist ihm als einziges Erbe nur der Ruhm geblieben. Darum, in den heutigen verderbten Zeiten, wo jeder seine Augen nur dorthin lenkt, wo das Gold anlockt – wer wird seinen Namen aussprechen, wer den Mut haben, seine Kandidatur aufzustellen, Herr Sagloba? – Wohl, aber werden sich viele solcher finden? Kein Wunder, daß ein Mann, der sein ganzes Leben in heldenhaftem Ringen auf allen Schlachtfeldern dahingelebt hat, nicht zurückschreckt, und auch auf dem Felde der Wahl laut der Gerechtigkeit huldigt … Aber werden die anderen ihm folgen?«

 

Hier versank der Prälat in Gedanken, dann erhob er die Augen und sprach weiter:

»Gott ist mächtig über alle, – wer weiß, welches seine Entschlüsse sind, wer weiß! Wenn ich bedenke, wie der gesamte Adel Euch glaubt und vertraut, so beobachte ich wahrhaftig mit Erstaunen, daß mir Hoffnung ins Herz kommt. Sagt mir aufrichtig, hat es für Euch je etwas Unmögliches gegeben?«

»Nie!« antwortete Sagloba mit Überzeugung.

»Zu schroff darf man diese Kandidatur nicht gleich aufstellen. Mag erst der Name an die Ohren der Menschen schlagen, aber mag er den Gegnern nicht zu drohend erscheinen. Mögen sie lieber lachen und höhnen, um nicht zu kräftige Hindernisse in den Weg zu legen … Vielleicht gibt auch der Himmel, daß er plötzlich in die Höhe kommt, wenn die anderen Parteien gegenseitig ihre Bemühungen vernichten; bahnt ihm langsam den Weg, werdet nicht müde in der Arbeit, denn er ist Euer Kandidat, würdig Eures Verstandes, Eurer Erfahrung … Gott segne Euch in diesen Bestrebungen!«

»Soll ich voraussetzen,« fragte Sagloba, »daß Ew. Hochwürden auch an den Fürsten Michael gedacht haben?«

Der Priester zog aus dem Ärmel ein kleines Büchlein, auf welchem in schwarzen Buchstaben der Titel stand: Censura candidatorum.

»Lest; diese Schrift soll für mich antworten.«

Bei diesen Worten schickte sich der Priester an aufzubrechen; Sagloba aber hielt ihn zurück und sagte:

»Gestattet mir, Hochwürden, noch etwas zu sagen. Vor allem danke ich Gott, daß das kleine Siegel sich in Händen befindet, welche die Menschen wie Wachs zu kneten verstehen.«

»Wie?« fragte der Kanzler verwundert.

»Dann aber sage ich Ew. Hochwürden von vornherein, daß die Kandidatur des Fürsten Michael mir sehr gefällt, denn ich habe seinen Vater gekannt und geliebt und habe mich unter seiner Führung samt meinen Freunden geschlagen, die auch aufjubeln werden bei dem Gedanken, daß sie dem Sohne die Liebe werden erzeigen können, die sie gegen den großen Vater hatten. Darum erfasse ich mit beiden Händen die Kandidatur; noch heute werde ich mit dem Herrn Unterkämmerer Krschyzki sprechen, mit dem ich nahe bekannt und befreundet bin, und der große Achtung beim Adel genießt, denn es ist wahrlich schwer, ihn nicht zu lieben. Wir werden dann beide tun, was in unseren Kräften steht, und gebe Gott, daß wir etwas erwirken!«

»Mögen Euch die Engel geleiten!« versetzte der Priester, »wenn dem so ist, so sind wir fertig.«

»Mit Erlaubnis, Hochwürden, noch sind wir nicht ganz fertig. Ich möchte nicht, daß Ew. Hochwürden denken: Ich habe ihm meine eigenen desiderata eingeredet, ich habe ihm eingeredet, daß er aus eigenem Verstande des Fürsten Michael Kandidatur erfunden hat; mit einem Worte, ich habe den Narren in meiner Hand geknetet, als ob es Wachs wäre … Hochwürden, ich werde den Fürsten Michael darum aufstellen, weil ich ihn liebe – da liegt's. Daß er Euer Hochwürden, wie ich sehe, auch gefällt – desto besser … Ich werde ihn aufstellen, der Fürstenwitwe zuliebe, meinen Freunden zuliebe, dem Vertrauen zuliebe, das ich zu dem Verstande habe« – hier verneigte sich Sagloba – »aus welchem diese Minerva entsprungen ist, aber nicht etwa deshalb, weil ich mir wie ein kleines Kind hätte einreden lassen, es wäre meine Invention; nicht deshalb endlich, weil ich ein Narr bin, sondern deshalb, weil der alte Sagloba, wenn ihm ein kluger Mann etwas Kluges sagt, einschlägt und Topp! ruft.«

Hier verneigte sich der Edelmann noch einmal und verstummte. Der Priester war anfänglich stark verwirrt, aber da er die gute Laune des Edelmannes sah, und da die Sache den gewünschten Verlauf nahm, so lachte er aus vollem Halse, faßte sich an den Kopf und wiederholte:

»Ulysses, Ulysses, beim Himmel, ein wahrer Ulysses! Mein lieber Freund und Bruder, wer was Gutes schaffen will, muß die Menschen verschieden zu nehmen wissen; aber mit Euch, sehe ich, muß man geradezu ins Schwarze. Ihr habt mir vortrefflich gefallen!«

»Ganz wie Fürst Michael mir.«

»Schenke Euch Gott Gesundheit. Ja, ich bin geschlagen, aber ich freue mich darüber! Ihr habt wohl Grütze im Kopf … Und dieser Siegelring, wenn er sich zum Andenken an unsere Begegnung eignet …«

Sagloba fiel ihm ins Wort: »… Und dieser Siegelring bleibe an seinem Platze.«

»Tut es schon für mich!«

»Das kann nimmer sein; vielleicht ein andermal … später einmal, nach der Wahl.«

Der Priester-Unterkanzler hatte begriffen und drängte nicht länger; aber er ging mit strahlendem Gesicht hinaus.

Sagloba begleitete ihn bis vor das Tor und brummte, als er zurückkam:

»Ha! Ich habe ihm eine Lehre gegeben, in mir hat er seinesgleichen gefunden … Aber die Ehre! Hier werden die Würdenträger vor dem Tore Auffahrt halten, um einander zuvorzukommen … bin doch neugierig, was die Frauen dort denken werden.«

Die Frauen waren in der Tat voll Bewunderung, und Sagloba wuchs bis zur Decke, besonders in den Augen der Frau Makowiezka. Sie rief ihm auch, kaum daß er sich zeigte, mit großem Feuer entgegen:

»Ihr habt den weisen Salomo übertroffen!«

Und er war sehr aufgeräumt.

»Wen habe ich übertroffen? Wartet nur, meine Gnädige, Ihr werdet hier die Hetmane und die Bischöfe und die Senatoren sehen, man wird sie kaum noch loswerden können, wir werden uns noch vor ihnen verstecken müssen.«

Das weitere Gespräch unterbrach das Eintreten Ketlings.

»Ketling, willst du eine Beförderung?« rief ihm Sagloba, noch ganz von seiner eigenen Bedeutung berauscht, entgegen.

»Nein,« erwiderte der Ritter traurig, »denn ich werde wieder auf lange Zeit fort müssen.«

Sagloba sah ihn aufmerksamer an.

»Warum bist du so niedergeschlagen?«

»Eben weil ich fort muß.«

»Wohin?«

»Ich habe Briefe aus Schottland empfangen von den alten Freunden meines Vaters und den meinigen. Meine Angelegenheiten erfordern durchaus, daß ich hinkomme, vielleicht auf lange … Es tut mir leid, von Euch zu scheiden, aber – ich muß!«

Sagloba trat in die Mitte des Zimmers, blickte bald Frau Makowiezka, bald die Mädchen an und fragte:

»Habt ihr's gehört? Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!«

Obwohl Sagloba die Nachricht von Ketlings Reise mit Erstaunen aufnahm, kamen ihm doch keine Vermutungen, denn man konnte leicht annehmen, daß Karl II. der Dienste gedachte, welche die Familie Ketling in den Tagen des Sturmes dem Throne erwiesen, und daß er dem letzten Abkömmling dieser Familie seine Dankbarkeit bezeigen wollte. Es konnte sogar auffällig erscheinen, wenn es anders gewesen wäre. Ketling hatte überdies Herrn Sagloba »überseeische Briefe« gezeigt und ihn schließlich ganz überzeugt. Andererseits aber drohte gerade die Reise alle Pläne des alten Edelmannes zu zerstören, und darum dachte er mit Sorge an das, was kommen würde. Wolodyjowski konnte, wie sein Brief merken ließ, jede Stunde eintreffen.

»Und die Winde haben ihm in der Steppe den letzten Rest der Trauer fortgeweht,« dachte Sagloba, »er wird froher wieder heimkehren, als er fortgereist ist; und da ihn zu Christine der Teufel weiß was hinzieht, so wird er ihr womöglich bald seine Erklärung machen … und dann … dann wird Christine ihr Einverständnis aussprechen, denn wie sollte sie einem solchen Manne, überdies dem Bruder der Frau Makowiezka, Nein sagen, und der arme, allerliebste kleine Heiducke bleibt auf dem Trockenen sitzen.«