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Das Frühlicht

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Das Morgengrauen

An der Stelle, an der wir niedergesunken waren, erwarten wir den Tagesanbruch. Er kommt ganz allmählich, eisig und düster, und fliesst finster über die fahle Ebene.

Es regnet nicht mehr. Der Himmel hat allen Regen hergegeben. Die bleifarbne Ebene taucht mit ihren blinden Wasserspiegeln nicht nur aus der Nacht, sondern scheinbar aus einem Meer hervor.

Halb eingenickt, halb schlafend, öffnen wir dann und wann die Augen, um sie wieder zu schliessen; wir sind gelähmt, entkräftet und erstarrt. So erleben wir die unglaubliche Wiedergeburt des Lichtes.

Wo sind die Schützengräben?

Man sieht Seen und zwischen den Seen milchige Streifen stehenden Wassers.

Es hat noch mehr Wasser, als man glaubte. Das Wasser hat alles aufgesogen; es hat alles überschwemmt und die nächtliche Prophezeiung der Leute ist in Erfüllung gegangen: es hat keine Schützengräben mehr; sie sind in jenen Kanälen untergegangen, die man dort sieht. Das Schlachtfeld schläft nicht, es ist tot. In der Ferne dauert das Leben vielleicht fort, aber so weit sieht man von hier aus nicht.

Ich richte mich mühsam halb auf, um mir die Gegend anzusehn, und schwanke wie ein Kranker. Mein Mantel erdrückt mich mit seiner ungeheuren Last. Neben mir liegen drei unförmige Gestalten. Die eine ist Paradis; ein ungewöhnlicher Kotpanzer bedeckt ihn und sein Gurt ist an der Stelle, wo die Patronentaschen hangen, aufgebläht. Er richtet sich ebenfalls auf. Die andern schlafen regungslos.

Welch eine Stille! Eine gewaltige Stille. Nicht ein Geräusch; nur dann und wann hört man inmitten der geisterhaft gelähmten Welt eine Erdscholle ins Wasser fallen. Niemand schiesst . . . Kein Geschoss, es würde ja doch nicht platzen. Keine Kugel, denn die Menschen . . .

Die Menschen, wo sind die Menschen?

Allmählich sieht man sie. Nicht weit von uns liegen welche auf der Erde und schlafen. Der Kot bedeckt sie von oben bis unten; es sind beinahe nur noch Gegenstände.

Etwas weiter sehe ich andre Soldaten; sie sind in sich zusammengesunken und kleben wie Schnecken an dem runden Hügel, den das Wasser halb aufgesogen hat. Es ist eine unbewegliche Reihe roher Klumpen, die wie Haufen nebeneinander liegen, von Kot und Wasser triefend und sie haben die gleiche Farbe wie die Erde, zu der sie gehören.

Ich raffe mich auf und unierbreche das Schweigen und sage zu Paradis, der nach derselben Richtung blickt:

– Sind sie tot?

– Gleich wollen wir sehn, antwortet er leise. Aber bleiben wir noch ein bisschen hier. Nachher werden wir den Mut finden hinzugehn.

Wir schauen uns beide an und wenden unsre Blicke auf die, die sich bis hierher geschleppt haben und hier niedergefallen sind. Die Gesichter sind so müde, dass es keine Gesichter mehr sind; nur etwas Schmutziges, Verwischtes und Zerschundenes, mit blutigen Augen oben im Kopf. Wir haben seit Anfang schon nach allem Möglichen ausgesehn und dennoch erkennen wir uns jetzt nicht mehr.

Paradis dreht den Kopf und schaut anderswohin.

Plötzlich seh ich, wie ihn ein Zittern packt. Er streckt die Kotkruste seines ungeheuren Armes aus:

– Dort . . ., dort . . ., ruft er aus.

Auf dem Wasser, das in einem besonders zerhackten und ausgehöhlten Gelände aus dem Schützengraben fliesst, schwimmen runde Massen wie Felsriffe.

Wir schleppen uns dorthin. Es sind Ertrunkene.

Ihre Köpfe und ihre Arme stecken im Wasser. Man sieht ihre Rücken mit dem Lederzeug durch die Oberfläche der kalkigen Flüssigkeit durchschimmern, und ihre Waffenröcke aus blauem Tuch sind aufgeblasen; die Füsse sitzen schief an den aufgeblähten Beinen wie an den schwarzen, unförmigen Beinen von Lederpuppen. Auf einem eingesunkenen Schädel stehn die Haare senkrecht im Wasser wie Seegräser. Hier schwimmt ein Gesicht obenauf: der Kopf hängt am Ufer fest und der Leib verschwindet im trüben Grab. Das Gesicht ist gegen den Himmel gekehrt. Die Augen sind nur noch zwei weisse Löcher, der Mund ein schwarzes Loch. Die gelbe, aufgeblasne Haut dieser Maske ist weich und gefältelt wie kalter Teig.

Es sind die im Schlamm erstickten Wachtposten. Die steile Böschung der Grube war schlüpfrig, das Wasser stieg, und die Anstrengung herauszukommen, zog die Leute nur noch tiefer hinein, – langsam und rettungslos. Sie starben angeklammert am Ufer der Erde, die ihnen entwischte.

Dort liegen unsre ersten Linien und auch die deutsche vorderste Linie, über beide die gleiche Stille, beide unter Wasser.

Wir gehen bis zu jenen aufgeweichten Trümmern über das Gelände, das gestern noch eine Gegend des Schreckens war, über den furchtbaren Zwischenraum, an dessen Schwelle der kolossale Ansturm unserer letzten Attacke stehen blieb, über das Gelände, über welches seit anderthalb Jahren die Kugeln und die Geschosse ohne Unterlass den Raum durchfurcht hatten und wo sich in diesen Tagen ihr wagrechter Patzregen über die Erde hin wütend kreuzte, von einem Horizont zum andern.

Jetzt ist es ein übernatürliches Feld der Ruhe. Ueberall liegen fleckenartig schlafende Wesen; andere bewegen sich leise, heben einen Arm oder den Kopf und denken wieder ans Leben oder liegen gerade im Sterben.

Der feindliche Graben stürzt, kotüberladen, vollends im Schosse wogender Hügel und sumpfiger Trichter in sich zusammen; dort zieht sich der Graben durch Lachen und Wassergruben. Stellenweise bewegt sich sein Ufer, bröckelt ab und wirft die noch überhängenden Ränder ab. An einer Stelle kann man sich darüberbeugen.

In diesem unglaublichen Kotgelände sieht man keine Leiche. Aber dort ragt, schrecklicher als ein Leichnam anzusehen, starr und einsam, nackt und bleich wie ein Stein, ein Arm aus dem Loch einer verworrenen, feuchten Wand. Der Mann wurde in seinem Unterstand verschüttet und konnte nur noch seinen Arm ausstrecken.

Ganz in der Nähe erkennt man gewisse Erdschichten, die auf den Trümmern der Böschung dieses erstickten Schlundes nebeneinander liegen; es sind menschliche Wesen. Sind sie tot? Schlafen sie? Man weiss es nicht. Jedenfalls ruhen sie.

Sind es Deutsche oder Franzosen? Man weiss es nicht.

Einer von ihnen hat die Augen aufgeschlagen und schaut uns kopfschüttelnd an. Man fragt ihn:

– Franzose?

Dann:

– Deutsch?

Er antwortet nichts; er schliesst die Augen und verfällt wieder in seinen Todesschlaf. Wir haben nie gewusst, wer es war.

Man kann die Identität dieser Wesen unmöglich feststellen, weder an den Kleidern, die eine dichte Kotschicht bedeckt, noch an der Kopfbedeckung, denn die Leute sind barhäuptig oder in Wollzeug eingewickelt und stecken in nassen und stinkigen Kutten; auch an den Waffen erkennt man sie nicht; das Gewehr haben sie verloren, oder ihre Hand gleitet über ein Etwas, das sie hergeschleppt haben, eine unförmige, klebrige Masse, die einem Fisch ähnlich ist.

Alle diese Männer mit Leichengesichtern vor uns und hinter uns, die am Ende ihrer Kräfte sind, ohne Stimme und ohne Willen, alle diese erdbeladenen Männer, die sozusagen ihre eigene Bestattung besorgen, sehn sich gleich, als wären sie nackt. Aus dieser furchtbaren Nacht tauchen hin und wieder einige Uebriggebliebene auf; sie tragen die gleiche Uniform des Elendes und des Schmutzes.

Alles hat jetzt ein Ende. Es ist die Stunde der ungeheuren Rast, die epische Pause des Krieges.

Einst glaubte ich, das Höllischste im Kriege seien die Flammen der Geschosse; dann habe ich lange gemeint, es sei das Ersticken in den Erdlöchern, die sich für ewig über uns schliessen. Auch das ist es nicht, sondern die Hölle ist das Wasser.

* * *

Der Wind setzt ein. Er ist eisigkalt und sein Eishauch dringt uns durch die Haut. Auf dieser wässerigen und schiffbrüchigen Ebene, wo die Leichen zwischen wurmartigen Wasserschlünden liegen, zwischen den starren Menscheninseln, die wie Reptilien aneinanderkleben, in diesem Chaos, das sich senkt und untergeht, sieht man leichte, wellende Bewegungen: Gruppen bewegen sich leise in abgebrochenen Karawanen von Menschen, gebückt unter der Last ihrer Helme und des schweren Kotes; sie schleppen sich, zerstreuen sich und kriechen im Widerschein des verdunkelten Himmels. Das Morgenlicht ist so schmutzig, dass es aussieht, als sei der Tag schon zu Ende.

Die Ueberlebenden wandern durch die trostlose Steppe; es jagt sie ein unsagbares Unglück, das sie elendiglich erschöpft und sie bestürzt; einige darunter haben bei genauerem Hinsehen etwas theaterhaft Groteskes an sich; das ewige Einsinken, vor dem sie sich retten, hat sie halb entkleidet.

Im Vorübergehn blicken sie um sich, betrachten uns und erkennen Menschen in uns; dann sprechen sie in den Wind hinein:

– Dort ist es noch schrecklicher als hier. Die Leute sinken in die Löcher und man kann sie nicht mehr herausziehn. Alle diejenigen, die nachts auf den Rand eines Geschosstrichters getreten sind, sind umgekommen . . . Dort, wo wir herkommen, siehst du einen eingesunkenen Kopf, der die Arme bewegt; dort hat's einen Weg und Flechtwerk drüber, das ist eingestürzt und 's hat ein Loch gegeben, wie eine Menschenfalle. Dort, wo's kein Flechtwerk mehr hat, steht das Wasser zwei Meter hoch . . . Und 's Gewehr haben manche nicht mehr rausziehn können. Schau dir die an: man hat ihnen die untere Hälfte des Mantels abgeschnitten, jetzt hat der Mantel keine Taschen mehr, aber es schadet nichts; man musste ihn rausziehn; zudem konnte er das Gewicht nicht mehr tragen . . . Dem Dumas haben sie den Mantel abgenommen, der war bestimmt vierzig Kilo schwer: zwei hatten dran mit beiden Händen zu tragen . . . Da, der da mit den nackten Beinen, der Dreck hat ihm alles abgerissen, seine Hose, die Unterhose, die Schuhe, alles das von der Erde abgerissen. Nie hat man so was erlebt.

Und diese zerstreuten Nachzügler haben wiederum ihre eignen Nachzügler; sie fliehen in der allgemeinen Schrecknis, wobei ihre Füsse schwere Kotwurzeln aus dem Boden reissen. Man sieht hergewehte Menschen wieder verwehn und die Blöcke ihrer ungeheuren Kleider, die sie einmauern, werden immer kleiner.

 

Wir gehn mit kurzen Schritten weiter, quer übers Land; eine seltsame Masse zieht unsre Aufmerksamkeit auf sich; zwei merkwürdig ineinander verschlungene Menschen stehn dort, Schulter an Schulter, die Arme gegenseitig um den Hals gelegt. Ist es der Nahkampf zweier Ringer, die einander in den Tod gezerrt haben und sich, auf ewig aneinander gekettet, festhalten? Nein, es sind zwei Soldaten, die zum Schlafen aneinander lehnen. Sie konnten sich nicht auf die tückische Erde legen, da sie darin ertrunken wären; so beugten sie sich einer zum andern und sind, bis zu den Knien in der Ebene steckend, eingeschlafen.

Dann bleiben auch wir stehn. Wir haben unsere Kräfte zu hoch eingeschätzt. Wir können noch nicht fort. Es ist noch nicht aus. Von neuem stürzen wir in ein Kotloch mit dem Geräusch eines hingeworfenen Mistklumpens.

Man schliesst die Augen. Von Zeit zu Zeit öffnet man sie. Stolpernd kommen Leute auf uns zu. Sie neigen sich über uns und sprechen leise mit matter Stimme. Der eine von ihnen sagt auf deutsch:

– Sie sind tot. Wir bleiben hier.

– Der andere antwortet seufzend: Ja.

Aber sie sehn, dass wir uns bewegen. Dann sinken sie plötzlich vor uns nieder. Mit leiser, tonloser Stimme sagt der eine zu uns:

– Nous levons les bras, sagt er.

Dann rühren sie sich nicht mehr.

Sie lassen sich vollends niederfallen, getröstet, als ob ihr Leiden ein Ende hatte; der eine, dem der Kot wie einem Wilden das Gesicht bemalt, lächelt leise.

– Bleib da, sagt ihm Paradis, ohne seinen Kopf, der nach hinten auf einem Erdrücken liegt, zu drehen. Nachher kommst du mit uns, wenn du willst.

– Ja, sagt der Deutsche. Ich hab's satt.

Man gibt ihm keine Antwort.

Dann fragt er:

– Die andern auch?

– Ja, sagt Paradis, sie sollen auch hier bleiben, wenn sie wollen.

Darauf haben sich vier Leute auf die Erde gelegt. Der eine von ihnen fängt an zu röcheln. Es ist wie ein schluchzender Gesang, der aus seinem Munde kommt. Dann richten sich die andern halb auf, knien vor ihm nieder und rollen grosse Augen in ihren kotbespritzten Gesichtern. Wir stehn auf und betrachten die Gruppe. Aber das Röcheln erlischt, und die schwarze Kehle, die sich an jenem grossen Körper wie ein kleiner Vogel bewegte, erstarrt.

– Er ist tot, sagt einer von ihnen.

Er fängt an zu weinen. Die andern legen sich wieder schlafen. Auch der Weinende schläft schluchzend ein.

Ein paar Soldaten sind hergetorkelt, bleiben plötzlich hängen wie Betrunkene, oder kriechen wie Würmer und flüchten hierher, in das Loch, wo wir schon eingesunken liegen, und alles schläft durcheinander liegend im Massengrabe ein.

* * *

Paradis und ich wachen auf und schauen einander an; alles kommt uns wieder zum Bewusstsein. Wir sinken wieder ins Leben und in den Tag zurück, wie in einen bösen Traum. Vor unsern Augen taucht die zerstörte Ebene wieder auf; verschwommene Erdhügel ragen aus der Stahlebene und werden sichtbar; stellenweise ist die Ebene verrostet und Wasserlinien und feuchte Flächen glänzen – und in dieser Unendlichkeit liegen hie und da gleich verwehten Schuttabfällen die zerstörten Leiber, atmend oder verwesend.

Paradis sagt zu mir:

– Das ist der Krieg.

– Jawohl, das ist der Krieg, wiederholt er mit abwesender Stimme. Nichts anderes.

Ich verstehe, was er sagen will:

»Mehr noch als die Attacken, die einer Parade gleichen, mehr als die sichtbaren Schlachten, die wie Oriflammen sich ausbreiten, mehr noch als der ringende Nahkampf, bei dem man schreiend sich ereifert, mehr als das alles ist dieser Krieg: es ist die furchtbare, die übernatürliche Erschöpfung, Wasser bis an den Unterleib, und der Kot, und der Schmutz, und der gemeine Dreck. Dazu die verwesten Gesichter, zerfetzte Leiber und die Leichen, die keinem Leichnam ähnlich sind und auf der gefrässigen Erde schwimmen. Das ist der Krieg, jenes endlose, eintönige Elend, unterbrochen durch wilde Tragödien; das ist der Krieg, und nicht das Bajonett, das wie das Silber blitzt, auch nicht der Hahnenruf der Trompete im Sonnenglanz!«

Paradis dachte so ernsthaft darüber nach, dass er eine Erinnerung widerkaute und knurrend sprach:

–Weisst du noch, das Weib in der Stadt, wo wir vor kurzem waren, wie sie vom Angriff sprach, dass ihr die Spucke heraustropfte, als sie sagte: »Ein schöner Anblick muss das sein! . . .«

Ein Jäger, der auf dem Bauch lag, flach wie ein Mantel, hob den Kopf aus dem Schatten, der ihn verdeckte und schrie:

– Schön! Ha! Verdammich! – Das ist grad, wie wenn eine Kuh sagen würde, der Anblick der Ochsenherden, die man in der Villette vorwärtspeitscht, sei schön!

Und der besudelte Mund seines tierischen Leichengesichtes spie in den Kot.

– Wenn sie sagen, es sei nötig, meinetwegen, murmelte er mit seltsam abgebrochener, zerrissner und gähnender Stimme. Aber schön! Hai Gottverdammich!

Er wehrte sich gegen diesen Gedanken und fügte laut hinzu:

– Mit solchem Zeug schwatzt man uns zu Tode und futiert sich um uns bis aufs Blut!

Dann spie er wieder aus; die Anstrengung aber, die er gemacht hatte, erschöpfte ihn und er fiel zurück in seine Kotlache und legte den Kopf in seinen Speichel.

* * *

Paradis, den sein Gedanke nicht ruhn liess, fuhr mit der Hand über die unbeschreibliche Landschaft und wiederholte starren Blickes seinen Satz:

– Das ist der Krieg . . . und überall ist er so. Und wir, was sind wir, und was hat das hier alles zu bedeuten? Gar nichts. Alles, was du hier siehst, ist nur ein Punkt. Stell dir vor, heute morgen gibt's auf der Welt dreitausend Kilometer Menschen, die ebenso, oder nicht viel weniger unglücklich, oder noch unglücklicher sind als wir.

– Und dann, sagt neben uns ein Kamerad, den man auch an der Stimme, die aus seinem Inneren kommt, nicht mehr erkennt, und dann geht's morgen wieder von neuem los. Vorgestern und früher hatte es auch wieder von neuem angefangen.

Der Jäger riss seinen Körper mühsam von der Erde hoch, als ob er sie zerreissen wolle; feucht wie ein Grab war die Mulde, die er in die Erde eingedrückt hatte und er setzte sich in dieses Loch. Er zwinkerte mit den Augen, schüttelte den Kot von seinem Gesicht ab und sagte:

– Diesmal kommen wir noch davon. Und vielleicht kommen wir morgen auch noch davon! Wer weiss?

Paradis sass, den Rücken gebeugt, unter einer Humus- und Lehmschicht und versuchte zu erklären, dass man sich den Krieg nicht vorstellen könne, dass er unermesslich sei in der Zeit und im Raum.

Wenn man vom ganzen Krieg sprechen will, dachte er ganz laut, ist's, als ob man nichts sagen könnte. Es ersticken einem die Worte. Man sitzt da und starrt es an wie ein Blinder . . .

Eine etwas entfernte Stimme rollte ihren Bass und meinte:

– Nein, man kann sich's nicht vorstellen.

Diese Worte zerriss ein plötzliches Lachen.

– Ueberhaupt, wie soll sich's einer vorstellen, der nicht dabei war?

– Da müsste einer schon verrückt sein! sagte der Jäger.

Paradis beugte sich über eine Masse, die neben ihm ausgebreitet lag.

– Schläfst du?

– Nein, aber ich rühr mich nicht, murmelte gleich darauf eine erstickte und angsterfüllte Stimme; sie rieselte aus der Masse, die eine dichte und derart höckerige Lehmschicht bedeckte, dass es aussah, als sei man darauf getreten. Ich will dir was sagen: ich glaub, ich hab ein Loch im Bauch, ich weiss es nicht sicher, und ich fürchte mich, es zu wissen.

– Lass mal sehn . . .

– Nein, jetzt noch nicht, sagte der Soldat. Ich möchte noch ein wenig so liegen bleiben.

Die andern plätscherten im Dreck herum, schleppten sich auf den Ellbogen vorwärts und schüttelten die höllische, teigige Kotschicht ab, die sie erdrückte. Allmählich taute dieses gemarterte Häuflein aus der lähmenden Kälte auf, obwohl der Tag über dem grossen, unregelmässigen Teiche der sinkenden Ebene nicht heller wurde. Die Trübsal ging weiter, aber der Tag blieb stehn.

Einer von uns sprach traurig wie eine Glocke und sagte:

– Und nachher kannst du lange erzählen, keiner wird's glauben. Nicht aus Böswilligkeit oder um dich aufzuziehn, aber man wird's einfach nicht können. Wenn du später mal sagst, wenn du überhaupt noch lebst und reden kannst: »Wir haben Nachtarbeiten gemacht, dann sind wir beschossen worden und dann sind wir beinah im Kot ertrunken«: »So«, wird's da einfach heissen; oder vielleicht sagt einer »Um's Lachen war's euch wohl nicht dabei.« Weiter nichts. Keiner wird davon eine Ahnung haben, nur du allein wirst es wissen.

– Nicht einmal wir, nicht einmal wir! schrie einer.

– Ich glaub's auch, wir werden's vergessen, wir . . . werden's schon vergessen, Alter!

– Wir haben zu viel gesehn!

– Und alles, was wir gesehn haben, ist zuviel. So viel Zeug kann man gar nicht aufbewahren; dazu ist man nicht geschaffen. Es entwischt nach allen Seiten; unsereins ist halt zu klein.

– Und nicht zu knapp werden wir vergessen! Nicht nur wie lang's gedauert hat mit dem Elend, das unberechenbar ist, wie du sagst; nicht nur die Märsche, die die Felder pflügen und überpflügen, die Füsse abschinden, die Knochen abnützen unter der Last des Gepäcks, das in den Himmel hineinwächst und die Müdigkeit, dass du deinen Namen nicht mehr weisst, das Rumstehen und die Unbeweglichkeit, die einen erschöpft, die Arbeiten, zu denen die Kräfte nicht ausreichen, die endlosen Wachen, wo du dem Feind auflauerst, der überall ist, und dich gegen den Schlaf wehrst und gegen das Mist" und Läusekissen. Nicht nur das, sondern die Hundsgeschichten mit den Platzgranaten und den Maschinengewehren, den Minen, dem Stickgas und den Gegenangriffen. Im Augenblick selbst ist man voll vom Eindruck der Wirklichkeit. Aber das verblasst in der Erinnerung und verfliegt, du weisst nicht wie, und weisst nicht wohin; und es bleibt nur der Name übrig, nur die Worte, wie in einem Generalstabsbericht.

– Er hat recht, sagte einer, der seinen Kopf unbeweglich wie in einem Schandpfahl hielt. Als ich auf Urlaub war, hab ich gemerkt, dass ich schon manches vergessen hatte. Ich hab Briefe von mir wieder durchgelesen; dabei glaubte ich, in einem fremden Buche zu lesen. Und auch das hab ich vergessen, was ich im Krieg gelitten hab. VergessMaschinen sind wir. Der Mensch ist ein Ding, das ein wenig nachdenkt; vor allem aber vergisst er. Das ist der Mensch.

– Wir nicht, und die andern werden's auch nicht wissen! Soviel Unglück ist also verloren gegangen.

Diese Aussicht erhöhte noch das Elend dieser Menschen und bedeutete für sie soviel wie die Nachricht eines noch grösseren Unheils, das sie noch tiefer in den Untergang zerrte.

– Ja! wenn einem das alles in der Erinnerung bliebe! rief einer aus.

– Wenn man's nicht vergessen würde, sagte der andere, so gäb's keinen Krieg mehr!

Ein dritter aber fügte feierlich hinzu:

– Ja, wenn die Erinnerung daran bliebe, so wäre dieser Krieg weniger nutzlos, als er es ist.

Da hob sich mit einemmale einer dieser liegenden Ueberlebenden auf die Knie, schüttelte seine schmutzigen Arme, von denen der Kot herunterfiel, und schrie dumpf und schwarz wie eine grosse, klebrige Fledermaus:

– Nach diesem Kriege darf es keinen andern Krieg mehr geben!

Aus der kotigen Ecke heraus, in der uns Schwache und Machtlose der Wind anfauchte und so wütend anpackte, dass die Erde wie ein Wrack zu beben schien, drang der Schrei jenes Menschen, der davonzufliegen schien, und weckte andre ähnliche Ausrufe:

– Es darf nach diesem Kriege kein andrer Krieg mehr kommen!

Die dumpfen, wütenden Worte dieser Menschen, die an die Erde gefesselt, von Erde durchdrungen waren, stiegen und flogen in den Wind wie Flügelschläge.

– Keinen Krieg mehr, keinen Krieg mehr!

– Ja, es ist genug!

– Es ist zu blöd . . . zu blöd, murrten sie. Was soll das alles eigentlich bedeuten, all das, was nicht einmal in Worte zu fassen ist!

Sie redeten alles mögliche durcheinander und knurrten wie wilde Tiere, mit düsteren, zerfetzten Gesichtsmasken, auf ihrer Eisbank, von der sie die Elemente zu vertreiben trachteten. Die Empörung, die sie aufpeitschte, war so gross, dass sie an ihr erstickten.

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