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Das Frühlicht

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– Das war gefährlich!

– Freilich war das gefährlich. Aber ich hab mich plötzlich dazu entschlossen, ohne weitere Ueberlegung, ich wollte es gar nicht überlegen, so sehr blendete mich der Gedanke, dass ich die Meinen sehn sollte. Und wenn ich nachher auch erschossen würde, meinetwegen: für nichts hast du nichts. Das ist die Geschichte von Angebot und der Nachfrage, nicht? – Gegangen ist die Sache wie geschmiert. Das einzig Schwierige war, eine Mütze zu finden, weisst, ich hab einen dicken Schädel. Aber auch das haben sie gedeichselt; sie haben mir schliesslich einen Flohsack ausfindig gemacht, der mir passte. Ich hatte grad dem Caron seine deutschen Stiefel, das weisst du ja. So sind wir rüber in die deutschen Gräben (die übrigens den unsern verdammt ähnlich sehn) mit den deutschen Kameraden, die mir sagten, ich soll nur keine Angst haben, und zwar gut französisch – so'n gutes Französisch, wie ich red. – Kein einziges Hindernis, nichts. Der Hinweg ist glatt abgelaufen. Alles hat sich so leicht und einfach abgewickelt, dass ich ganz vergessen hatte, dass ich nur ein geschminkter Deutscher war. Abends sind wir in Lens angekommen. Ich weiss noch, dass ich an la Perche vorbei in der rue du Quatorze-Juillet eingebogen bin. Die Leute hab ich in der Stadt rumgondeln sehn wie in unsern Quartieren. Erkannt hab niemand, es war zu dunkel; auch mich hat keiner erkannt, auch weil's zu dunkel war und auch weil keiner an so 'ne Geschichte dachte . . . Finster war's, dass man 's Aug mit dem Finger nicht mehr fand, als ich in den Garten meiner Eltern gekommen bin. – Das Herz pochte mir; gezittert hab ich am ganzen Leib, wie wenn ich nur 'n Herz gewesen wäre. Zurückhalten hab ich mich müssen, sonst wär ich vor Lachen geplatzt und noch auf französisch dazu, so glücklich war ich, so gerührt. Der deutsche Kamerad sagte dann zu mir; »Jetzt gehst du einmal und dann noch einmal an der Tür und am Fenster vorbei, und schaust hinein, aber ohne dir was anmerken zu lassen . . . Pass auf.« Dann hab ich mich zusammengenommen, hab die Aufregung hinuntergeschluckt mit einem Ruck. Ein feiner Mensch war's schon, der Kerl, er wär nämlich elend reingeflogen, wenn ich mich ertappen liess! – Weisst du, bei uns wie im ganzen Pas-de-Calais sind die Eingangstüren alle zweiteilig; der untere Teil bis zur Hälfte ist eine Art Gitter und oben ist es wie so 'n Laden. So kann man die untere Hälfte schliessen und ist halb draussen, halb drin. Der Laden nun, der stand offen, und im Wohnzimmer, das als Esszimmer und zugleich als Küche dient, war Licht und man hörte Stimmen. Nun geh ich vorbei und streck den Hals nach der Seite. Da sah ich helle und rosigbeschienene Männer- und Frauenköpfe um den runden Tisch, auf dem die Lampe stand. Da hab ich sie direkt angeschaut, die Clotilde. Ich hab sie gut gesehn. Sie sass zwischen zwei Kerlen, Unteroffizieren, so viel ich weiss, und die sprachen mit ihr. Und weisst du, was sie tat? Nichts; sie lächelte, neigte ganz lieb ihr Gesicht mit ihrer leichten, blonden Haareinfassung, auf die die Lampe einen goldigen Schein legte. – Sie lächelte. Sie war zufrieden. Sie schien sich wohl zu fühlen neben diesen deutschen betressten Kerlen, an der Lampe und dem Feuer, das mir seine Wärme entgegenhauchte und das ich wieder erkannte. Dann bin ich vorübergegangen, hab mich umgedreht und bin nochmal durchgegangen, und hab sie wiedergesehen mit dem gleichen Lächeln. Und zwar war's kein erzwungenes Lächeln, mit dem man bezahlt, nein, ein ehrliches Lächeln, das aus ihrem Innersten kam und das sie selbst hergab. Und während den beiden, blitzkurzen Augenblicken, die ich hineingeschaut habe, hab ich auch mein kleines Mädchen sehen können, wie sie gerade einem dicken betressten Kerl die Hände reichte und versuchte, ihm auf die Knie zu klettern und daneben hab ich noch jemand erkannt, nun, wer war's doch gleich? Ja, es war Madeleine Vandaërt, dem Vandaërt seine Frau; ein Kamerad von mir vom 19ten, der an der Marne, bei Montyon, gefallen ist. – Sie wusste, dass er gefallen war, sie war nämlich in Trauer. Und sie, sie lachte und lachte fest, sag ich dir . . . und guckte den einen und den andern an mit 'nem Aussehn, als wollte sie sagen: »Wie glücklich bin ich hier!« – Ach ja! Ich aber bin raus und an die Kameraden gerannt, die draussen auf mich warteten und mich zurückführen sollten. Wie ich zurückgekommen bin, könnt ich nicht sagen. Ich war wie geschlagen. Gestolpert bin ich beim Gehn wie 'n Gehetzter. Und es hätte mich keiner anscheissen sollen in dem Moment! Laut herausgebrüllt hätte ich; Skandal hätt ich gemacht, um mich erschiessen zu lassen, dass es mit dem Schweineleben ein End hätte. Verstehst du? Gelächelt hat sie, meine Frau, meine Clotilde, an diesem Kriegstage! Also genügt es, dass man eine zeitlang fort ist und man kommt einfach nicht mehr in Betracht. Du schiebst ab von zu Hause in den Krieg und alles scheint unterzugehn; und während du's glaubst, so gewöhnt man sich an deine Abwesenheit und allmählich ist es, als ob du überhaupt nicht existiertest; man kommt ohne dich aus und ist glücklich wie vorher und lächelt. Gottver . . .! ich red nicht von der andern Schickse, die laut lachte, aber meine Clotilde, die Meinige, die grad in dem Augenblick, wo ich zufällig dazukam, grad in dem Augenblick sich nicht schlecht um mich futierte; da kannst du sagen, was du willst. – Wenn sie schliesslich noch mit Freunden oder Verwandten zusammen gewesen wäre; aber nein, gerade mit deutschen Unteroffizieren! Das musst du doch selber sagen, das war doch zum Hineinspringen ins Zimmer, ihr ein Paar rechts und links runterhauen und der andern Schneppe in Trauer den Hals drehn! – Jawohl, ich hab auch einen Augenblick dran gedacht. Ich weiss schon, dass ich zu weit ging . . . aber, was willst du, ich war eben ausser mir. – Weisst du, ich will nicht mehr sagen, als ich meine. Sie ist ein gutes Mädel, die Clotilde. Ich kenn sie schon und hab Zutrauen zu ihr. Das ist mal sicher, weisst du: wenn ich was abkrieg, weint sie sich mal vorerst alle Tränen aus dem Leib. Ich weiss ja schon, sie weiss, dass ich lebe, aber darum handelt es sich gar nicht. Nur dass sie einfach glücklich ist und zufrieden und aufgeht, sobald sie ein gutes Feuer, eine gute Lampe und Gesellschaft hat, ob ich nun da bin oder nicht . . .

Ich zog Poterloo weiter:

– Du übertreibst, alter Kerl. Du machst dir dumme Gedanken, meinst du nicht? . . .

Wir waren ganz langsam weitergegangen und standen noch am Fusse der Anhöhe. Der Nebel war am Verfliegen und schimmerte silbern. Bald

wird die Sonne scheinen. Jetzt schien die Sonne.

* * *

Poterloo hielt Umschau und sagte;

– Wir wollen hinten rum über die Strasse von Carency.

Wir gingen quer über die Felder. Nach einer Weile sagte er zu mir

– Ich übertreibe, meinst du? Du sagst, ich übertreibe?

Dann grübelte er nach:

– So! Dann schüttelte er den Kopf, wie er es den ganzen Morgen getan hatte, und sagte:

– Aber schliesslich, es ist doch eine Tatsache . .

Wir stiegen die Anhöhe hinauf. Es wehte eine wärmere Luft; als wir auf einen Geländevorsprung kamen, schlug Poterloo vor, noch einen Augenblick abzusitzen, bevor wir den Rückweg anträten.

Er setzte sich hin unter der Last jener Gedanken, die ihm den ganzen Kopf durcheinanderbrachten. Er runzelte die Stirn. Dann wandte er sich verlegen zu mir, als wolle er mich um einen Dienst bitten.

– Sag mal, Alter, ich überlege, ob ich wirklich recht hab.

Nachdem er mich aber angeschaut hatte, betrachtete er die Dinge, als wolle er eher diese befragen als mich.

Da wurde auf der Erde und am Himmel alles anders. Der Nebel war bis auf einen traumhaften Ueberrest verweht. Das weite Land entschleierte sich. Die enge, trübselige und graue Ebene weitete sich, verjagte die Schatten und nahm Farbe an. Allmählich kam, wie zwei Flügel, von Osten und Westen die Helligkeit über sie.

Dort unten sahen wir Souchez zwischen den Bäumen liegen. Aus der Entfernung gesehen und im hellen Licht richtete sich die kleine Ortschaft vor unserm Auge wieder auf, im neuerstandenen Sonnenschein.

– Hab ich wirklich recht? wiederholte Poterloo mit wachsender Ungewissheit.

Bevor ich aber antworten konnte, gab er sich selbst die Antwort; zunächst mit leiser Stimme vor dem Sonnenlicht:

– Sie ist jung, weisst du: sechsundzwanzig Jahre hat das Menschenkind. Sie kann ihre Jugend eben nicht einsperren; sie bricht bei ihr überall aus und wenn sie am Feuer und vor der Lampe ausruht, muss sie eben lächeln; und wenn sie auch laut rausplatzte, so war das einfach die Jugend, die ihr aus der Kehle singt. Sie lächelt nicht wegen den andern, eigentlich, sondern wegen ihr. Das ist eben Leben; sie lebt halt. Freilich, sie lebt und weiter nichts. Da kann sie doch nichts dafür, wenn sie lebt. Man kann doch nicht verlangen, dass sie sterben soll? Oder soll sie wegen mir und der Deutschen den ganzen lieben langen Tag weinen? Soll sie schimpfen? Man kann doch nicht die ganze Zeit weinen und schimpfen achtzehn Monate lang. Natürlich. Die Geschichte dauert einfach zu lange, wenn ich dir sage. Da steckt der Has im Pfeffer.

Dann schwieg er und sah sich das Panorama von Notre-Dame-de-Lorette an. Jetzt lag es vom Lichte überstrahlt vor uns.

– Und mit der Kleinen ist es dieselbe Geschichte; sie hatte es mit einem Menschen zu tun, der sie nicht fortgejagt hat, da ist sie ihm eben auf die Knie gekrabbelt. Vielleicht wär's ihr lieber, wenn's der Onkel oder ein Freund von ihrem Vater gewesen wäre – vielleicht– aber sie versucht's halt mit dem einzigen, der immer da ist, selbst wenn's ein dickes Brillenschwein ist. Ja! rief er aus, stand auf und fuchtelte vor mir in der Luft herum; man könnte mir zwar antworten, und wenn ich nicht davonkäme, würde ich sagen: »Alter Knabe, bist verratzt, keine Clotilde mehr, keine Liebe mehr! Ein anderer wird dich über kurz oder lang in ihrem Herzen ablösen. Da kannst du nicht dran wackeln: Die Erinnerung an dich, dein Bild, das sie von dir im Herzen trägt, verwischt allmählich und ein andrer wird sich draufsetzen und sie wird ein neues Leben beginnen.« Ja, wenn ich nicht davonkäme!

 

Drauf lacht er glücklich.

– Aber ich hab wohl die Absicht davonzukommen. Das stimmt allerdings, da musst du sein, sonst . . . du musst da sein, siehst du, wiederholt er mit ernsterer Stimme. Denn sonst, wenn du nicht da bist, bist du im Nachteil, und wenn du's mit Heiligen oder Engeln zu tun hast. Es ist einmal so. Aber ich bin da!

Er lacht.

– Und nicht zu knapp bin ich da!

Dann steh ich ebenfalls auf und klopf ihm auf die Schulter.

– Hast recht, alter Bruder. Das alles wird mal ein Ende nehmen.

Er reibt sich die Hände und spricht unaufhörlich weiter.

– Ja, Teufel, das wird schon mal aufhören. Nur keine Angst. Ich weiss schon, bis dahin wird's noch manches zu fressen geben. Da gibt's noch zu fausten und nicht nur mit den Armen. – Alles wird wieder frisch angefangen werden müssen. Kein Haus mehr, kein Garten mehr. So wird man's Haus wieder bauen, und wird den Garten wieder machen. Je mehr verschwunden ist, desto mehr wird man wieder neu machen. Schliesslich ist das Leben so, und da heisst es immer wieder von vorne anfangen, nicht? Auch das Leben und das Glück wird man von neuem wieder anfangen; die Tage, die Nächte wird man wieder neu aufrichten. Auch die andern werden ihre Welt wieder aufbauen. Soll ich dir was sagen? Das geht alles schneller als man's glaubt . . . Die Madeleine Vandaërt zum Beispiel, die wird ganz gut einen andern heiraten können. Sie ist Witwe; achtzehn Monate schon ist sie Witwe. Das ist doch schon eine ganze Weile, achtzehn Monate. Ich glaub, nach so langer Zeit trägt man schon die Trauer nicht mehr) Und man überlegt gar nicht, was man spricht: »Es ist eine Dirne!« und man verlangt noch, dass sie sich's Leben nimmt! Aber man vergisst doch schliesslich, was gewesen ist, notgedrungen vergisst man das. Da sind nicht die andern dran schuld; nicht einmal wir selber; es ist einfach das Vergessen, und weiter nichts. Wie ich sie plötzlich gesehn habe und wie sie dabei lachte, da hat's mir die Eingeweide rumgekehrt, grad wie wenn ihr Mann gestern gestorben war – es ist ja menschlich – aber was willst du machen! Es ist ein schönes Stück Zeit verstrichen, seit der arme Knabe tot ist. Es ist schon lange her; viel zu lange ist es her. Man ist eben nicht mehr derselbe Mensch. Aber nur aufgepasst, man muss davonkommen, man muss da sein! Ich werd schon wieder da sein und werd mich ums Anfangen schon kümmern.

Dabei schaut er mich an, zwinkert mit dem Auge und lebt wieder auf, nachdem er eine Idee gefunden hat, an der er sein Denken wieder aufrichten kann.

– Ich seh's schon kommen, wie nach dem Kriege alle die von Souchez sich wieder ans Arbeiten und ans Leben machen . . . Das wird was werden! Ha, der alte Ponce, die Nummer! Der war so peinlich genau, dass er das Gras in seinem Garten mit 'nem Rosshaarbesen kehrte oder auf den Knien lag und den Rasen mit der Schere stutzte. Das soll der Alte wieder haben! Und die Frau Immaginaire, die wohnte in einem der letzten Hauser, beim Schloss von Carleul zu, ein dickes Weib, das sah aus, wie wenn sie hinrollte, wie wenn sie Rädchen gehabt hätte unter ihrem dicken, runden Rock. Alle Jahre legte sie ein Kleines; wie ausgemacht, ganz genau; eine richtige Kindermitrailleuse! Na, und die soll die Beschäftigung wieder tapfer aufnehmen.

Dann blieb er stehn, dachte nach, lächelte leise in sich hinein:

– . . . Noch was, was mir aufgefallen ist . . . 's hat zwar keine grosse Bedeutung, sagte er nachdrücklich, als ob ihm diese Bemerkung plötzlich unangenehm wäre – aber ich hab's doch gemerkt (das sieht man so nebenbei, während man auf was anderes achtet), gemerkt hab' ich, dass es sauberer war bei uns als zu meiner Zeit . . .

Dann stiessen wir auf eine kleine Schiene; sie kroch am Boden hin und verlor sich im Heu, das dürr auf dem Platze lag. Poterloo deutet mit seinem Stiefel auf dieses verlassene Schienenstück und lächelt:

– Das war unsre Eisenbahn. Der Schleichwurm nannten wir sie, wahrscheinlich weil sie's nicht eilig hatte. Sie fuhr allerdings nicht schnell; eine Schnecke hätte mit ihr Schritt halten können! Auch den Schleichwurm werden wir wieder aufbauen. Aber er wird nachher wahrscheinlich wieder so langsam davonschleichen. Uebrigens darf er es gar nicht anders!

Als wir oben auf die Anhöhe kamen, wandte er sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf die gemordete Ortschaft, die wir eben aufgesucht hatten. In der Entfernung wurde das Dorf noch lebendiger als vorhin, zwischen die Ueberreste der Bäume hindurchgesehn und zwischen jene gestutzten und zernagten Stummeln, die sich jetzt wie junge Sprösslinge ausmachten. Das schöne Wetter hauchte dem Gewirr von rosigem und weissem Material jetzt erst recht ein scheinbares Leben ein und legte sogar den Schimmer eines Gedankens darüber. Die Steine lagen verklärt in jener Wiedergeburt. Die Schönheit der Strahlen kündete das Kommende an und deutete auf die anbrechende Zukunft. Das Gesicht des Soldaten, der es betrachtete, erstrahlte selbst im Widerschein jener Auferstehung. Der Frühling und die Hoffnung färbten lachend darauf ab, und seine rosigen Backen, seine hellblauen Augen und seine goldgelben Augenbrauen leuchteten, als seien sie frisch gemalt.

* * *

Jetzt steigen wir in den Laufgraben. Die Sonne scheint kräftig. Der Laufgraben hat eine blonde Farbe, ist trocken und klingt hell unter den Füssen. Ich bewundre seine schöne geometrische Tiefe, seine glatten und mit der Schaufel polierten Wände und habe meine besondere Freude an diesem klaren und trockenen Klang unserer Sohlen auf der harten Erde oder auf den Bodenlatten, die aneinanderliegen und einen Bretterboden bilden.

Ich schaue auf die Uhr. Sie zeigt neun und hat ein zart gefärbtes Zifferblatt, in welchem sich der blaue und rosige Himmel und die fein ausgeschnittenen Sträucher, die am Rand des Grabens eingepflanzt wurden, widerspiegelt.

Und Poterloo und ich, wir schauen uns gegenseitig an und sind seltsam beglückt; wir sehn uns freudig an, ab ob's ein Wiedersehn wäre! Er spricht zu mir; ich aber, der ich mich an das Singende seiner nordischen Sprechweise gewohnt habe, ich entdeckte auf einmal, dass er singt.

Wir haben schlechte Tage gehabt, tragische Nächte, in der Kälte, im Wasser und im Kot. Jetzt, obwohl es noch Winter ist, überzeugt uns der erste schöne Morgen davon, dass es bald wiederum Frühling werden wird. Schon hat sich der Grabenrand mit zartgrünem Gras geschmückt, und in den frühen Wonneschauern dieses Grases erwachen Blumen. Jetzt hat es bald ein Ende mit diesen gestutzten und engen Tagen. Der Frühling spriesst am Himmel und auf Erden. Wir atmen freudigen Herzens in gehobener Stimmung auf.

Ja, die schlechten Tage sind aus. Auch der Krieg wird mal aus sein, zum Teufel! Wahrscheinlich schon in dieser schönen, kommenden Jahreszeit, die uns schon bestrahlt und deren Wonnewehen wir bereits verspüren.

Ein Sausen. Eine verirrte Kugel.

Eine Kugel? Gott bewahre! Es ist eine Amsel!

Komisch, wie beides ähnlich klingt . . . Die Amseln, die Vögel, die mit zarter Stimme pfeifen, das Land, die Feste des Jahres, die heimeligen Stuben mit lauter Licht darin . . . Oh! Der Krieg will zu Ende gehn und für immer wird man die Seinen wiedersehn: die Frau, die Kinder, oder die, die Frau und Kind zugleich ist; man lächelt ihnen entgegen in diesem jungen Lichte, das uns bereits zusammenführt.

. . . Bei der Gabelung der beiden Schläuche sieht man am Rand, auf dem Feld etwas wie ein Säulentor. Zwei Pfosten, die aneinanderlehnen und dazwischen von oben, wie eine Schlingpflanze herabhängend, ein Gewirr von elektrischen Drähten. Das Ganze macht sich ganz gut und sieht aus wie eine szenische Dekoration. Eine dünne Kletterpflanze schlingt sich um den einen Pfosten, und wenn man ihr mit den Blicken nachgeht, sieht man, dass sie es schon wagte, vom einen zum andern hinüberzuklettern.

Wir durchlaufen diesen Laufgraben, dessen begraste Seite erzitterte wie die Weichen eines schönen lebendigen Pferdes, und münden dann in unserm Schützengraben an der Strasse von Béthune.

Da ist schon unser Standort. Die Kameraden sind beieinander und essen und gemessen die angenehme Temperatur.

Nach dem Essen werden die Gamellen oder die Aluminiumteller mit einem Stück Brot geputzt . . .

– Da, es hat keine Sonne mehr!

Stimmt. Eine Wolke streckte sich und hat sie verdeckt.

– Es schifft sogar noch, Kinder, meint Lamuse.

– Wir haben doch immer dasselbe Schwein, grad zum Abmarsch!

– Verfluchte Gegend! sagt Fouillade.

Tatsache ist, dass das nordische Klima nicht viel taugt: Ewiger Dunst, ewiger Nebel, ewiger Rauch und ewiger Regen. Und scheint die Sonne einmal, so erlischt sie wieder schnell in diesem grossen, feuchten Himmel.

Unsre vier Tage im Schützengraben sind abgelaufen. Gegen Abend werden wir abgelöst. Langsam rüsten wir uns zum Abmarsch. Die Tornister und die Brotbeutel werden gefüllt und in Ordnung gebracht. Das Gewehr wird abgestaubt und eingepackt.

Es ist schon vier Uhr. Bald überfällt uns der Nebel, so dass man einander kaum mehr sieht.

– Hol's der Teufel, jetzt regnet's schon wieder.

Zunächst tropft es ein wenig, dann giesst es. Oje, oje! Man zieht die Kapuzen über die Ohren und spannt die Zelte auf. Man verkriecht sich in die Unterschlüpfe, tappt dabei im Kot herum und beschmiert sich die Knie, die Hände und die Ellenbogen damit, denn der Boden weicht allmählich auf. Man hat im Unterstand kaum Zeit, eine Kerze auf einen Stein zu stellen, sie anzuzünden und schlotternd drum herumzuhocken.

– Vorwärts, antreten!

Wir stemmen uns in den nassen und zugigen Schatten hinaus. Ich erkenne die mächtige Kraftgestalt Poterloos: wir sind immer nebeneinander beim Marschieren. Wie wir dann abmarschieren, ruf ich ihm zu:

– Bist du da, Alter?

– Jawohl, vor dir, schrie er mich an, indem er sich umkehrte.

Im gleichen Augenblick ohrfeigt ihn der Wind und der Regen; er aber lacht. Sein Gesicht strahlt wie heute morgen im gleichen Glücksgefühl. Ein elender Regenguss wird ihm die Freude in seinem tapfern und unerschütterlichen Herzen nicht ersticken können; auch wird ein übelgelaunter Abend die Sonne, die ich vor einigen Stunden in seinen Gedanken aufleuchten sah, nicht auslöschen.

Wir marschieren, stossen aneinander und machen einige Fehltritte . . . Der Regen fällt unaufhörlich nieder und das Wasser rieselt im Graben. Die Bretter wackeln auf dem aufgeweichten Boden; einige davon liegen schief nach rechts oder nach links, sodass man auf ihnen ausgleitet. Dabei ist es so dunkel, dass man sie nicht sieht und so tappt man zuweilen bei den Biegungen mit dem Fuss daneben in die Wasserlöcher.

In der grauen Nacht schaue ich unentwegt auf die Schieferglätte von Poterloos Helm, der wie ein Dach unter dem Regen träufelt, und verliere seinen breiten, mit einem schimmernden Wachstuch bedeckten Rücken nicht aus den Augen. Ich trete in seine Spuren und rufe ihm von Zeit zu Zeit etwas zu, worauf er mir stets mit guter Laune und mit der gleichen unerschütterlichen Ruhe antwortet.

Dann hören die Bodenbretter auf und man trottet im dichten Kot weiter. Jetzt ist es stockfinster. Plötzlich bleibt man stehn und ich fahre an Poterloo. Man hört weiter vorn einen halbwütenden Ausruf:

– Was ist los? Na mal vorwärts! Wir verlieren die Fühlung!

– Ich kann meine Flossen nicht abkleben! antwortet eine weinerliche Stimme.

Endlich gelingt es aber dem Steckengebliebenen, seine Füsse aus dem Kot zu befreien und wir müssen die übrige Kompagnie im Laufschritt wieder einholen. Dann geht das Fluchen und Schimpfen gegen die Vorderen los. Man tappt, wohin's grade hintrifft; man macht Fehltritte, hält sich an den Wänden fest und hat die Hände voll Kot. Das Marschieren wird zum fluchenden und klirrenden Laufschritt.

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