Polizeigesetz für Baden-Württemberg

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a) Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG)

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Die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit findet ihre Grenze u. a. in der verfassungsmäßigen Ordnung als Gesamtheit aller formell und materiell rechtmäßigen Rechtsnormen. Hierzu gehört auch das Polizeirecht, sodass darauf gestützte Maßnahmen zulässigerweise zu einer Beschränkung der Handlungsfreiheit führen können, wie z. B. das durch Polizeiverordnung angeordnete Taubenfütterungsverbot (BVerfGE 54, 143; VGH BW, VBlBW 1992, 26, 27; 2006, 103, 105), das Verbot von Veranstaltungen mit Kraftfahrzeugen außerhalb öffentlicher Straßen (VGH BW, NVwZ 1988, 166), das Verbot des Schächtens gegenüber einem türkischen Staatsangehörigen (BVerfGE 104, 337) oder das Gebot, bissige Hunde in der Öffentlichkeit anzuleinen (VGH BW, VBlBW 1993, 99), ebenso wie der (kurzfristige) Platzverweis (§§ 3, 1) oder eine Vorladung nach § 28 oder eine Meldeauflage, die nicht auf die Meldung bei der eigenen Polizeidienststelle beschränkt ist, sondern auf Antrag bei anderen Behörden oder Dienststellen erteilt werden kann (s. o. RN 10). Das auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG fußende Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird durch polizeiliche Maßnahmen zur Datenverarbeitung (§§ 11 ff., 42 ff.) tangiert (vgl. dazu VGH BW, VBlBW 2004, 20, 23) und s. u. Vorbem. §§ 11-13, RN 2.

b) Glaubensfreiheit (Art. 4 GG)

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Die – individuelle und kollektive – Glaubensfreiheit unterliegt verfassungsimmanenten Schranken. Hierzu gehören die allgemeinen Gesetze (str.) und kollidierendes Verfassungsrecht, wobei im Einzelfall zwischen diesen und Art. 4 GG eine Abwägung erfolgen muss. In diesem Rahmen sind auch Einschränkungen durch Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes zulässig, sofern nicht spezielles Gefahrenabwehrrecht vorrangig zum Zuge kommt. Letzteres ist der Fall beim Einschreiten gegen kirchliches Glockengeläut oder gegen das Schlagen einer Kirchturmuhr (BVerwG, NJW 1984, 989; 1992, 2779; NVwZ 1997, 390), beim Verbot des betäubungslosen Schlachtens (Schächten) von Tieren aus religiösen Gründen (vgl. § 4 a TierSchG – dazu BVerfG, NJW 2002, 663, 1485 BVerwG, DÖV 2006, 522) oder bei Maßnahmen aus bau-, feuer- oder seuchenpolizeilichen Gründen. Die Aufgabenzuweisungsnorm des § 1 wird als hinreichende Rechtsgrundlage für Warnungen vor sog. Jugendreligionen oder Jugendsekten angesehen (VGH BW, NVwZ 1989, 279 und 878; DÖV 1996, 752).

c) Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG)

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Die durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheiten finden ihre Schranken u. a. in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und dazu gehören auch solche, die der Gefahrenabwehr dienen. Deshalb können z. B. bei einer Ansammlung, wie einem Fußballspiel oder Konzert, größere Transparente verboten werden, wenn hierdurch Gefahren für die öffentliche Sicherheit wahrscheinlich sind. Aus Gründen der Gefahrenabwehr kann u. U. auch das Aufstellen von Informationsständen von einer Sondernutzungserlaubnis (§ 16 StrG) abhängig gemacht werden.

d) Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG)

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Art. 5 Abs. 3 GG schützt die künstlerische Betätigung selbst (Werkbereich) und die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (Wirkbereich). Die Kunstfreiheit unterliegt verfassungsimmanenten Schranken, wobei eine Begrenzung im Werkbereich strengeren Anforderungen unterworfen ist. Letztlich bedarf es bei einem Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern im Einzelfall einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungsrechtsgüter (BVerwG, NJW 1999, 304). Gewisse Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts durch ein Kunstwerk erlauben kein Verbot desselben, ebenso wenig der Umstand, dass ein Kunstwerk nicht dem Geschmack der Mehrheit entspricht. Polizeiliches Einschreiten – auch aufgrund der Generalklausel – ist dagegen zulässig, wenn das Eigentum Dritter beeinträchtigt wird (z. B. durch sog. Sprayer), das religiöse Bekenntnis anderer beschimpft wird (§ 166 StGB) oder das Leben von Mensch und Tier tangiert ist. Auch Straßenkunst unterfällt der Kunstfreiheit, für sie kann aber u. U. eine Sondernutzungserlaubnis gefordert werden (BVerwG, NJW 1990, 2011).

e) Ehe und Familie

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Art. 6 Abs. 1 GG schützt Ehe und Familie vor Eingriffen des Staates. Dieses Recht unterliegt verfassungsimmanenten Schranken.

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Art. 6 Abs. 2 und 3 GG regeln das Elternrecht. Dieses ist – im Unterschied zu anderen Grundrechten – ein pflichtbezogenes Recht, das dem Wohl des Kindes zu dienen hat.

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Eingeschränkt werden diese Grundrechte z. B. durch einen gegen den gewalttätigen Ehepartner ausgesprochenen Wohnungsverweis (s. u. § 30). Voraussetzung ist allerdings das Bestehen einer rechtsgültigen Ehe. Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften wird der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG nicht berührt.

4. Grundsätzlich nicht durch das Polizeigesetz einschränkbare Grundrechte
a) Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG)

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Die Menschenwürde verbietet es, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektsqualität prinzipiell in Frage stellt. Dementsprechend gebietet § 34 Abs. 3, dass Personen grundsätzlich nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden, verbietet § 40 Abs. 1 die Anwendung von Zwang zur Herbeiführung einer Aussage bei Vernehmungen und setzt § 1 DVO PolG Mindeststandards bei der Durchführung des Gewahrsams fest. Polizeiliche Maßnahmen, welche die Menschenwürde verletzen, sind zumindest rechtswidrig, wie z. B. die Einweisung von Obdachlosen in eine menschenunwürdige Unterkunft (vgl. VGH BW, VBlBW 1985, 18; 1993, 304; NJW 1993, 1027; DVBl. 1996, 567, 568) oder die Anwendung von Folter, selbst dann, wenn es um den Schutz der Menschenwürde anderer Personen, z. B. einer entführten Person, geht (h. M.). Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung s. u. Vorbem. §§ 11-16, RN 2. Zur Würde des Menschen als polizeiliches Schutzgut s. o. § 1, RN 19.

Da nach h. M. (BVerfGE 30, 173, 194; NJW 1994, 783; VGH BW, VBlBW 2006, 186, 187) auch die Würde Verstorbener zu beachten ist, stellt sich die Frage, ob die Ausstellung von Plastinaten verstorbener Menschen Art. 1 Abs. 1 GG tangiert und sie deswegen verboten oder mit Auflagen versehen werden kann (s. o. § 1, RN 19).

b) Gleichheitssatz (Art. 3 GG)

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Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die speziellen Gleichheitssätze des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG binden die Polizei bei allen Maßnahmen. So darf eine Polizeiverordnung von mehreren gleichartigen Gefährdungen nicht willkürlich nur eine zum Regelungsgegenstand auswählen (VGH BW, NVwZ 1992, 1105, 1107; 1999, 1016 – sog. Kampfhundeverordnungen). Eine besondere Rolle spielt der allgemeine Gleichheitssatz bei Ermessensentscheidungen (s. o. § 3, RN 32).

c) Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG)

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Eingriffe, die sich gegen den Inhalt von Presseerzeugnissen (Bücher, Zeitschriften, Flugblätter, Plakate usw.) richten, sind nur im Rahmen des Landespressegesetzes (vgl. § 1 Abs. 2 LPresseG), nicht aber aufgrund des Polizeigesetzes möglich. Insofern sagt man, ist die Presse „polizeifest“. Ansonsten, z. B. bei der Herstellung und beim Vertrieb, ist die Presse den Gesetzen entworfen, die für jedermann gelten (§ 1 Abs. 5 LPresseG), sodass insofern auch Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes möglich sind (vgl. auch VwV IM über die Verhaltensgrundsätze zwischen Presse und Polizei vom 8.2.2002 – GABl. S. 220).

Beispiel: Polizeibeamte stellen die Identität eines Pressefotografen fest (§ 27 Abs. 1 Nr. 1), wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass dieser Lichtbilder von Polizeibeamten bei einem Polizeieinsatz in unzulässiger Weise (vgl. §§ 22, 23, 33 KunstUrhG) veröffentlichen werde (VGH BW, VBlBW 1995, 282; 1998, 109).

d) Vereinigungsfreiheit, Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG)

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Das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden (Art. 9 Abs. 1 GG), kann zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nur nach Maßgabe des Vereinsgesetzes eingeschränkt werden (§ 1 Abs. 2 VereinsG). Vereinigungen können nur dann verboten werden, wenn die insoweit abschließenden Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG vorliegen (vgl. §§ 3 ff. VereinsG). Welche Behörden zur Ausführung des Vereinsgesetzes zuständig sind, regelt die gemeinsame Verordnung der Landesregierung und des Innenministeriums über die Zuständigkeiten nach dem Vereinsgesetz.

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Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) umfasst auch das Streikrecht. Maßnahmen aufgrund des Polizeigesetzes gegen einen Streik sind daher nicht zulässig. Nach h. M. gelten die Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG auch für die Koalitionsfreiheit. Arbeitskampfmaßnahmen, die z. B. den Strafgesetzen zuwiderlaufen (Betriebsblockaden, -besetzungen, gewaltsame Behinderung von Arbeitswilligen, „Streiks“ von Beamten) können deshalb eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, gegen die mit den Mitteln des Polizeigesetzes eingeschritten werden darf (OVG Hamburg, NJW 1983, 605; VGH Kassel, NVwZ 1990, 386).

e) Berufsfreiheit (Art. 12 GG)

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„Beruf“ ist jede erlaubte, auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient. Die Berufsfreiheit, die sowohl die Freiheit der Berufswahl wie auch die Freiheit der Berufsausübung umfasst, unterliegt dem Vorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, wobei die Zulässigkeit von Eingriffen einer Stufenfolge unterliegt („Dreistufentheorie“; BVerfGE 7, 377). Einschränkungen der Berufswahl sind nur aufgrund eines speziellen Gesetzes (vgl. z. B. § 1 GewO), nicht aber nach dem Polizeigesetz zulässig. Letzteres kann allerdings Grundlage für Eingriffe in die Berufsausübung sein, sofern spezielle Rechtsgrundlagen fehlen (BVerwG, NVwZ 2002, 598 – Laserdrom). Dass Art. 12 GG nicht in § 4 genannt ist, steht dem nicht entgegen, weil für dieses Grundrecht wegen seines Regelungsvorbehalts nicht das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gilt (s. o. RN 1).

§ 5 Art der Maßnahmen

(1) Kommen für die Wahrnehmung einer polizeilichen Aufgabe mehrere Maßnahmen in Betracht, so hat die Polizei die Maßnahme zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.

(2) Durch eine polizeiliche Maßnahme darf kein Nachteil herbeigeführt werden, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

Literatur: Erbel, Die Unmöglichkeit von Verwaltungsakten, 1972; Grupp, Das Angebot des anderen Mittels, VerwArch Bd. 68 (1978) 125; Heintzen, Konkretisierungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, DVBl. 2004, 721; Ossenbühl, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, Jura 1997, 617 Michael, Grundfälle zur Verhältnismäßigkeit, JuS 2001, 654 u. 764; Voßkuhle, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, JuS 2007, 429.

Inhaltsübersicht

1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

2. Die Komponenten des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

a) Der Grundsatz der Geeignetheit

b) Der Grundsatz des geringsten Eingriffs (Abs. 1)

c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S. (Abs. 2)

1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

1

§ 5 enthält eine Teilregelung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i. w. S., auch Übermaßverbot genannt. Dieser Grundsatz wird zumeist aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet, ergibt sich aber bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst. Er enthält drei Komponenten, wobei die Terminologie nicht einheitlich ist:

– Grundsatz der Geeignetheit,

– Grundsatz des geringsten Eingriffs (auch Grundsatz der Erforderlichkeit oder des mildesten Mittels genannt), Abs. 1,

– Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S. (auch Grundsatz der Angemessenheit oder Proportionalität genannt), Abs. 2.

Diese Komponenten sind in dieser Reihenfolge zu prüfen, weil dadurch der polizeiliche Handlungsspielraum zunehmend eingeengt wird.

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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bindet jedes polizeiliche Handeln ohne Weiteres. Darüber hinaus weist das Polizeigesetz außer in § 4 an mehreren Stellen auf diesen Grundsatz hin, so z. B. in §§ 9 Abs. 1, 33 Abs. 1 Nr. 1 und 3, 31 Abs. 3, 36 Abs. 1 Nr. 1 und vor allem in den Bestimmungen über den Polizeizwang (§ 63 ff.). Zur Bindung des Ermessens durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit s. o. § 3, RN 32.

2. Die Komponenten des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
a) Der Grundsatz der Geeignetheit

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Geeignet sind nur solche Maßnahmen, die zur Gefahrenabwehr als legitimem Ziel dieser Maßnahme auch tauglich sind. Es genügt, wenn sie einen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten, komplette Gefahrenabwehr ist also nicht Voraussetzung, ein „Schritt in die richtige Richtung“ reicht aus. Ungeeignet und damit rechtswidrig ist eine Maßnahme erst dann, wenn sie sich als objektiv oder evident untauglich erweist (VGH BW, VBlBW 2004, 20, 24).

Beispiel: Auch wenn es in Folge einer Videoüberwachung zu einer Verlagerung der Kriminalität kommt, ist sie nicht ungeeignet, da es nach h. M. zumindest im überwachten Bereich zu einer Abnahme der Kriminalität kommt (VGH BW, VBlBW 2004, 20, 24).

Für die Beurteilung der Geeignetheit ist auf den Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahmen (exante) und auf die dort vorliegenden Tatsachen und Erkenntnisse abzustellen. Eine Maßnahme wird also nicht fehlerhaft, wenn sich ihre Ungeeignetheit später herausstellt.

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Nicht geeignet sind Maßnahmen, die etwas Unmögliches anordnen. Wird z. B. durch eine Polizeiverfügung etwas tatsächlich Unmögliches aufgegeben, ist diese Verfügung nichtig, § 44 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG.

Beispiel: Die Anordnung, einen Platz innerhalb von 15 Minuten zu räumen, wenn der Abmarsch sichtbar für längere Zeit blockiert ist.

Rechtswidrig oder nichtig sind grundsätzlich auch solche Maßnahmen, die etwas rechtlich Unmögliches, also etwas, das gegen öffentliches oder privates Recht verstößt, anordnen.

Beispiel: Anlässlich einer Fahrzeugkontrolle wird festgestellt, dass der Fahrer betrunken ist. Die an den Beifahrer gerichtete Anordnung, den Fahrer nach Hause zu fahren, ist rechtswidrig, wenn dieser keinen Führerschein hat (vgl. § 1 Abs. 1 StVZO).

Ergeht in Fällen einer dinglichen oder obligatorischen Mitberechtigung eine polizeiliche Anordnung nur an einen der Mitberechtigten, wird diesem etwas zivilrechtlich Unmögliches aufgegeben, wenn der oder die andere(n) Mitberechtigte(n) mit dem Angeordneten nicht einverstanden ist (sind).

Beispiel: Die Polizei ordnet die Beseitigung eines morschen Baumes, der auf die Straße zu stürzen droht, gegenüber A an. Eigentümer des Grundstücks sind A und B, die beide nichts unternehmen wollen. Die Verfügung gibt dem A etwas rechtlich Unmögliches auf, da er gegen den Willen des B nicht allein über die Sache verfügen darf (vgl. § 747 Satz 2 BGB).

Dieser Umstand führt nach h. M. nicht ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme, sondern ist zunächst nur ein Vollstreckungshindernis, das durch den Erlass einer (Duldungs-)verfügung gegenüber dem bzw. den anderen Mitberechtigten ausgeräumt werden kann (VGH BW, VBlBW 1982, 405, 406; 1984, 19; 1991, 27).

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Wird dem Störer etwas subjektiv Unmögliches aufgegeben (ihm fehlen z. B. die finanziellen Mittel oder die persönlichen Fähigkeiten), so kann dies zur Ungeeignetheit einer gegen ihn gerichteten polizeilichen Verfügung führen, entbindet aber nicht von der Verantwortlichkeit und damit auch nicht von der Kostenpflicht, wenn die Polizei die Gefahr mit eigenen Mitteln beseitigt.

Beispiel: A hat sein Schrottauto auf der Straße abgestellt. Stellt das Fahrzeug keine akute Gefährdung dar, wäre eine Beseitigungsanordnung ihm gegenüber geeignet, selbst wenn er vorträgt, er könne das Abschleppen nicht bezahlen. Falls er sich nicht finanzielle Mittel besorgen kann, wäre die Anordnung zumindest Grundlage für eine Ersatzvornahme. Ist jedoch von vornherein klar, dass A nicht handeln kann und besteht eine akute Gefahrenlage, wäre eine Verfügung ihm gegenüber zur Gefahrenabwehr ungeeignet. Die Polizei müßte die Maßnahme selbst nach § 8 ausführen, und zwar auf Kosten des A.

b) Der Grundsatz des geringsten Eingriffs (Abs. 1)

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Kommen mehrere gleich geeignete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr in Betracht, so muss die Polizei die Maßnahme treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Dieses Gebot, das mildeste Mittel anzuwenden, gilt hinsichtlich der Art und des Inhalts von Maßnahmen.

Beispiele: Bevor eine Versammlung verboten wird, müssen mildere Mittel ausgeschöpft und Kooperationsgespräche zur Verhinderung der Gefahr gescheitert sein (VGH BW, VBlBW 1993, 343).

Können Gefahren bei einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit durch die Beifügung einer Auflage abgewehrt werden, wäre das Verbot der Tätigkeit nicht das mildeste Mittel (BVerwG, GewArch 1996, 425). Das Abschleppen eines Kfz zu einer abgelegenen „Sammelstelle“ ist nicht der geringste Eingriff, wenn ein Versetzen des Kfz möglich ist und die Gefahr beseitigt.

Das Abschleppen eines Kfz ist grundsätzlich auch dann rechtmäßig, wenn der Fahrer seine Visitenkarte und Handy-Nummer sichtbar im Fahrzeug deponiert (BVerwG, NJW 2002, 2122; OVG Hamburg, NJW 2001, 168; VGH BW, VBlBW 2003, 74, 284).

Eine besondere Rolle hat der Grundsatz des geringsten Eingriffs bei der Ausgestaltung der Vorschriften über die Anwendung unmittelbaren Zwangs (§§ 66 ff.) gefunden (s. u. § 63, RN 24 f.). Der Grundsatz des geringsten Eingriffs gilt ferner bei der Auswahl unter mehreren Störern oder Nichtstörern (s. u. § 6, RN 21 und § 7, RN 14 f.).

Beispiel: Die Beschlagnahme einer Mietwohnung zur Beseitigung von Obdachlosigkeit kann ein milderes Mittel als die Beschlagnahme von Hotelzimmern sein, wenn durch erstere lediglich die freie Auswahl der Mieter eingeschränkt wird, durch letztere aber weitergehende Folgewirkungen (Imageverlust, Ruin) zu befürchten sind (vgl. OVG Schleswig, NJW 1993, 413).

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Zum Inhalt des Grundsatzes des geringsten Eingriffs gehört auch, dass dem Betroffenen auf Antrag gestattet wird, ein anderes ebenso wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird – Austauschmittel – (VGH BW, VBlBW 1981, 116, 119; GewArch 1994, 489, 493).

Beispiel: A wird aufgefordert, eine Hecke zurückzuschneiden. Daraufhin schlägt er vor, die Hecke ganz zu beseitigen, was ihm zu gestatten ist.

c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S. (Abs. 2)

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Gefahrenabwehr um jeden Preis ist unzulässig. Im Einzelfall muss zwischen dem beabsichtigten Erfolg (Gefahrenabwehr) und den durch die Maßnahme herbeigeführten Nachteilen – sei es für den Störer selbst, für Dritte oder die Allgemeinheit – abgewogen werden. Rechtswidrig ist eine Maßnahme dann, wenn zwischen beiden ein offenbares Missverhältnis besteht.

 

Beispiele: Die Durchführung einer Personenfeststellung bei einer Verkehrskontrolle ist unverhältnismäßig, wenn der Fahrer gerade seine hochschwangere Frau ins Krankenhaus bringen will.

Ist anlässlich einer Versammlung mit gewalttätigen Gegendemonstrationen zu rechnen, so kann es (ausnahmsweise) angemessen sein, die Versammlung zu verbieten, wenn die verfügbaren Polizeikräfte nicht ausreichen, um die Versammlungsteilnehmer und unbeteiligte Dritte zu schützen (vgl. BayVGH, DVBl. 1979, 737; BVerwG, NVwZ 1999, 991, 993). Ein genereller Leinenzwang für Hunde im gesamten Gemeindegebiet ist unangemessen (OVG Lüneburg, NVwZ 1991, 693; OLG Hamm, NVwZ 2002, 765 f.; vgl. auch OVG Rheinl.-Pfalz, DÖV 2007, 82).

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Beim Abschleppen von Kfz tritt häufig die Frage auf, ob dieses eine angemessene Reaktion auf den begangenen und fortdauernden Verstoß gegen Vorschriften des Verkehrsordnungswidrigkeitenrechts darstellt. Die Rechtsprechung (VGH BW, VBlBW 1990, 257; 1996, 32, 33; BWVPr. 1995, 233; VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 28; 1995, 29, 30; OVG Münster, NJW 1990, 2835, 2836) bejaht dies – zutreffenderweise – bereits dann, wenn der Zweck des Abschleppens allein in der Beseitigung des nicht ganz unerheblichen Rechtsverstoßes liegt und eine Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer möglich ist, ohne dass weitere Beeinträchtigungen (z. B. konkrete Behinderung, Vorbildwirkung) hinzukommen müssten.