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Siska van Roosemal

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»Ja, das Pensionat von X . . . ,« rief die Mutter, »ich dachte es wohl. Nein! dann kann unsere Siska auch wohl zu Hause bleiben. Seht die Anna van Straten an; die war in dieser Anstalt, und nach drei Jahren ist sie zurückgekommen wie Sie hingegangen war. Sie ist wohl brav und eingezogen, auch, wie ich höre, wohl unterrichtet und erfahren in allem, was zu einem guten Haushalte gehört; aber das kann man ja doch überall lernen; darum braucht man in keine Erziehungsanstalt zu gehen!«


»Und zu welchem Ende Soll man denn hineingehen, Mutter van Roosemal? Ich verstehe Euch wohl: um verwelscht zu werden, nicht wahr? um, gleich Therese Spinal, Leichtsinn und Ausgelassenheit heimzubringen; um sich über seinen Stand kleiden und zu jedermanns Ärgernis die Modepuppe und den Leichtfuß Spielen zu lernen?«

»Aber Doktor,« bemerkte Vater van Roosemal, »wenn die meisten Pensionate die Kinder verderben, wie kommt’s denn, daß alle reichen Leute, die doch auch nicht dumm sind, ihre Töchter dahin schicken?«

»Versteht mich recht, meine Freunde,« fuhr der alte Pelkmann mit ruhigem Gemüt fort, »jeder Stand in der Gesellschaft hat seine Denkweise und Sitte. Was gut, anständig und nützlich sein mag für ein Edelmannskind, ist oft schlecht, unziemlich und schädlich für das Kind eines Krämers. Das Verderbliche der Erziehung, die man in solchen Anstalten den Mädchen gibt, liegt hauptsächlich darin, daß man den Töchtern eines Schusters oder Metzgers dieselben Lebensansichten und Gewohnheiten beibringt, wie denen eines Edelmanns oder reichen Gutsbesitzers; und die, welche zur Arbeit bestimmt sind, geradeso erzieht und hält wie diejenigen, welche nie etwas anders zu tun haben werden, als ihren Verstand zu gebrauchen, um sich im Wohlleben nicht zu langweilen. So verdirbt man die menschliche Gesellschaft von Grund auf; jedes Mädchen will Fräulein sein, und mit der Kleiderpracht kommt Faulheit, Geldverschwendung, Leichtsinn und noch Ärgeres. Man erzieht haufenweise französische Zierpuppen; aber flämische, arbeitsame, züchtige Hausfrauen? Nicht eine!« —

Jetzt Stand Vater van Roosemal plötzlich von seinem Stuhle auf und sprach mit Nachdruck:

»Genug, genug! Ihr Seid viel zu gut, Doktor, daß ihr darüber so viel Redens macht. Ihr habt vollkommen recht, und Siska soll entweder in das Pensionat von X. kommen oder sie soll zu Haus bleiben, wenn anders ich hier der Herr bin. Und du, Weib, mit deinem Französisch! Möchtest du sagen, wir hätten Not gelitten und wären den Krebsgang gegangen, bloß weil wir unsere Muttersprache reden? Ich Sage: gut ist gut; und wer gut besser machen will, den halte ich für einen dummen Esel. Und um es kurz zu machen: Siska bleibt zu Haus!«

Allein der brave Mann hatte ohne den Wirt oder besser ohne seine Frau gerechnet. Diese rief voll Ärger:

»Oho, nicht so vorschnell, van Roosemal! Es scheint, daß du heute gar viele Noten zu deinem Sang hast. Setz dich nur nieder, Mann, und mach dir kein böses Blut. – Doktor, Sagt einmal, welch große Sünde sollte es denn sein, wenn unsre Siska so wohlerzogen wäre und so gut Französisch könnte wie ein Edelmannskind? Oder sollte sie deshalb um ein Haar schlechter sein?«

Aus dieser Frage verstand der Doktor, daß er gegen einen gefaßten Entschluß und gegen weiblichen Eigensinn zu kämpfen habe; darum änderte er seinen Ton, gab seiner Stimme mehr Nachdruck und antwortete:

»Keineswegs, wenn Sie in dem Pensionat, das Ihr im Auge habt, nur Wohlgezogenheit und nützliche Kenntnisse erlangte; aber Ihr wißt nicht, Mutter, was die Mädchen in solchen Anstalten von ihren Lehrerinnen und voneinander alles lernen. Soll ich es Euch Sagen? So horcht denn; es Sind traurige Wahrheiten. Man lernt dort Französisch, ja; aber mit der französischen Sprache lernt man auch französische Manieren, zum Beispiel, wie man die Äuglein drehen, das Gesichtchen glätten, das Mündchen spitzen müsse, um reizend und liebenswürdig zu erscheinen; wie man zugunsten einer romantischen, das heißt heimlichen Liebe seine Eltern betrügen; wie man sich den Kopf mit Geist und Leib verderbendenBildern der Leidenschaften anfüllen; wie man sich mit Pomaden von allerlei Gerüchen einreiben, das Haar à la neige, en tire-bouchons oder à la chinoise5 kräuseln, sich en négligé, en robe de ville und en costume de bal6 kleiden; wie man sich verbeugen und neigen müsse nach dem Stande der Menschen: tief vor einem Reichen, beinahe nicht vor einem Bürger und ganz und gar nicht vor einem geringen Menschen. Man lernt dort französische Liebeslieder, die unter dem Namen von Romanzen die geschlechtlichen Triebe zu früh wecken und Stacheln und einem unwissenden Kinde Worte und Dinge lehren, die es nicht wissen soll; mit einem Worte Lieder, die unter gleißender Hülle nur Sittenverderb, Gift und Verführungen für junge Mädchen sind . . . Sind das Kenntnisse, die einem Christenkinde, einer Bürgerstochter geziemen?«



Der Doktor bemerkte hier mit Freude, daß seine Worte Eindruck auf seine beiden Zuhörer machten, und in der Tat, sie hielten ihre Augen starr in die seinen geheftet und schienen regungslos, als wenn die Schwere Stimme des Redenden Sie ganz zermalmt hätte. Willens, das Kind, das er so lieb hatte, gänzlich vor dem Verderben zu sichern, fuhr er in noch nachdrücklicherem Tone fort:

»Und durch die Überspannung eines unnatürlichen und unersättlichen Liebesgefühls wird das Herz Solcher jungen Töchter dürr und leer; ihre Eltern werden ihnen Murrköpfe aus der alten Welt, Pfennigfuchser! Ihre Ehegenossen, die sie Störer und Feinde ihrer Freunde nennen, gleichen nicht ihren eingebildeten Junkern und Rittern; Sie können ihren Mann nicht aufrichtig lieben; Sie brechen ihre Treue und treiben Spott mit allen Gesetzen der Ehrbarkeit. Kenntet ihr nur das Nest, woraus alle diese sauberen Dinge entsprossen sind! Wüßtet ihr, welch ein Pfuhl von Gottlosigkeit und Unsittlichkeit dieses Paris ist, dessen Lebensweise ihr eure Tochter wollt erlernen lassen! Betrachtet Therese oder Hortense Spinal! Was ist sie anders als eine leichtsinnige Kokette, die mit fünfzig sittenlosen Jünglingen zugleich Liebesbeteuerungen wechselt, sich die Ohren von eitlem Geschwätz füllen läßt und alle Tage Dinge anhört, worüber meine gerunzelte Stirn unter meinen grauen Haaren erröten müßte; – eine Buhlerin, die ihren guten Namen bereits verscherzt hat. Was wird nun aus ihr werden? Ihr Glück machen? Ach nein, Sie wird so lange mit dem Feuer Spielen, bis Sie sich brennt, und dann hat das Schöntun ein Ende . . . Von jedermann verachtet und verabscheut, wird Sie ihr Leben in Tränen hinbringen und zu spät den Verlust ihrer Ehre betrauern, die unwiderruflich geschändet ist . . . Ach, meine Freunde, ist dies das Los, welches ihr eurem einzigen Kinde, eurer guten Siska bereiten wollet? Werdet ihr dereinst vor Gott erscheinen dürfen, wenn ihr die Seligkeit eurer Tochter mit ihrer Sittenreinheit verscherzt habt, bloß um andere in welscher Verkehrtheit nachzuäffen? Wollet ihr euer Kind einem Leben voll Reue und Gewissensqual preisgeben und Sie blutige Tränen weinen sehen über den Verlust ihrer Ehre und Tugend? O saget nein, ich bitte euch!«



Hier brach Vater van Roosemal in Tränen aus; er wollte reden, aber er konnte anfangs nicht, so sehr würgte ihn die Angst, die ihn von Siskas möglichem Schicksal ergriffen hatte. Er Stand auf, faßte des Doktors Hand und rief endlich:

»Dank, Dank, mein Freund! Euer weiser Rat Soll hier befolgt werden. Ich Sehe wohl, daß meine Frau unsre Siska in das Pensionat der Hortense Spinal schicken möchte; allein ich will kein Wort mehr davon hören; merk dir's, Frau, oder du wirst erfahren, daß dein Eigensinn nur so lange währen kann, als ich's ertragen will.«

Die Frau merkte wohl an der beklommenen Stimme ihres Mannes, daß er diesmal die Sache ernstlich nahm; Sie antwortete ruhig:

»Nun, nun, schweige nur davon; du brauchst nicht so zu Schreien. Mag Siska denn daheimbleiben und sieh du zu, daß du Selbst was aus ihr machst.«

Diese Worte betrübten den Doktor; er verstand wohl, daß Frau van Roosemal noch nicht bekehrt war, und suchte von neuem durch eindringliche Vorstellungen Sie von ihrem gefährlichen Vorhaben abzubringen. Endlich begann er zu glauben, daß ihm dies gelungen sei; und er verabschiedete sich halb erfreut und halb betrübt.

– — – — – — – —

Etwa drei Monate später sah der Doktor einmal von ferne van Roosemal ihm entgegenkommen. Der Mann sah ungemein traurig aus und ging gegen seine Gewohnheit sehr langsam einher, als wäre er aus einer schweren Krankheit aufgestanden. Der alte Pelkmann schritt auf ihn zu, griff nach Seinem Puls und sprach:

»Doch nicht krank, hoff' ich! Aber etwas fehlt doch; Euer Puls geht so langsam. Was habt Ihr, Freund?«

Der gute van Roosemal schlug die Augen auf, es rollten zwei Tränen über seine Wangen herab, und er stöhnte:

»Siska ist im Pensionat!«

»Das ist so schlimm nicht,« bemerkte der Doktor. »Aber in welcher Anstalt ist Sie nun?«

 

»In dem Pensionat von Hortense Spinal. Zürnet mir nicht, Freund Pelkmann, es ist nicht meine Schuld. Der Teufel hat meinen Haushalt zwei Monate lang in Aufruhr gesetzt, ehe ich zugestimmt habe; allein ich konnte das Schmollen, Grollen und Weinen von Mutter und Tochter nicht länger aushalten; ich bin ganz mager davon geworden.«

Ein Schmerzliches Gefühl durchdrang des Doktors Herz; dann hatte er Mitleid mit seinem Freunde und antwortete lächelnd:

»Meister van Roosemal, die alten Griechen Schreiben von einem wunderbaren Helden, den Sie Herkules nennen; dieser hat so viele Riesenwerke verrichtet, hat Felsgebirge gespalten, Ströme abgelenkt, wilden Stieren den Nacken gebrochen, Schlangen erdrückt, ja sogar einen Siebenköpfigen Drachen erschlagen; – daß er aber in Seinem ganzen Leben einen Weiberkopf gebrochen habe, das hat man von ihm nicht zu Schreiben gewagt.



Warum sollten denn wir es vermögen? – Tröstet Euch also; denn ich habe damals die Schwärzesten Farben aufgetragen; es wird dennoch hoffentlich nicht so schlecht gehen, als wir denken; und auf jeden Fall kommt ja Siska alle Jahre zweimal nach Haus; so können wir ja noch rechtzeitig dem Übel Steuern, falls wir es wahrnehmen.«

Der Vater lächelte getröstet und erfreut; er drückte dankbar des Doktors Hand und setzte Seinen Weg mit schnelleren Schritten fort.


3
Hoch fliegen, tief fallen

Siska war mit hübschen Bürgerkleidern und einem wohlversehenen Koffer voll neuer Leinwand in die Erziehungsanstalt eingezogen; allein Sie war noch nicht lange dort, so fing sie schon an, mit schönen Worten und allerlei Vorwänden um Geld zu Schreiben. Ihr erster Brief lautet so:

»Liebe, teuere Mama!

Ich bin am schlechtesten gekleidet im ganzen Pensionat; die anderen Fräulein lachen mich aus und sagen, ich Sei eine Bäuerin. Ich tue nichts als weinen und ich habe viel Verdruß und werde gewiß noch krank, wenn Sie, allerbeste Mama, kein Mitleid mit Ihrem unglücklichen Kinde haben. Die Tochter von dem Friseur, welcher den Papa rasiert, ist auch hier im Pensionat, und ist hübsch in Satin und Seide gekleidet wie die anderen. Ich allein laufe umher mit meinem Schlichten Kattunkleidchen und habe weder einen Hut noch Bottinen; so daß ich schon ganz krumm geworden bin vor Scham, weil ich immer auf den Boden sehe. Ich werde bleich und mager und erkranke gewiß noch, liebe Mama, wenn ich noch länger die Verstoßene hier im Pensionat Sein muß. Ich bin schon im Télémaque und kann schon so schön tanzen, daß die anderen Fräulein mir schon ganz neidisch sind.

Meine Empfehlungen an Papa.

Ihre getreue Tochter bis in den Tod

Eudoxie van Roosemal.

Die Mutter durfte diesen Brief ihrem Manne nicht zeigen; sie fühlte wohl, daß darin die Vorzeichen des Unheiles lägen, von welchem Doktor Pelkmann gewarnt hatte. Es herrschte in dem Briefe schon ein Ton von Leichtfertigkeit; der Schluß schien ihr aus einem Liebesbrief entlehnt zu sein und mit Betrübnis bemühte Sie sich, die Bedeutung des Wortes Eudoxie zu finden, das Sie endlich als eine Übersetzung des Vornamens Siska ansah. Erweicht jedoch von den Klagen ihrer Tochter, sandte Sie ihr doppelt soviel Geld, als diese hätte erwarten dürfen. Dies geschah mehr als einmal. Siska besaß nun Schon die Kunst, sogenannte unschuldige Lügen zu weben und die Liebe ihrer Mutter auszupressen wie einen Schwamm. Man könnte sich wundern über eine so schnelle Veränderung. Aber war denn das Mädchen allein? Hatte Sie nicht in ihren Genossinnen mehr als hundert Lehrmeisterinnen, die durch Wort und Beispiel sie in allen den saubern Künsten und Torheiten des Müßiggangs und der Üppigkeit unterwiesen? Ach, dieser Teil ihrer französischen Erziehung war nur zu sehr gelungen. Den ersten Monat hatte sie ein seidenes Kleid nach dem neuesten Schnitt; den zweiten Monat einen Seidenhut mit Blumen; den dritten einen Sonnenschirm oder Parasol; den vierten ein Kleid mit entblößtem Hals; im fünften gebrauchte sie Pomade und Mandelmilch und hatte irgendwo ein sehr kleines Döschen verborgen, darein Sie von Zeit zu Zeit den Finger Steckte und ihre blühenden Wangen mit einem Schamlosen Rot bestrich, nur zum Versuche, wie Sie denn wohl aussehe. War dies nicht eine sehr ehrbare Erziehung, wie Sie für Bürgerstöchter paßt? Allerdings. Aber der sechste Monat nahte schnell heran, und es soll die Ferienzeit oder Vakanz sein. Was wird der Doktor sagen, wenn er Siska mit so üppigen Kleidern sieht, mit duftendem Haarschmuck, mit gespitztem Mündchen und allzeit lächelndem Gesichtchen? Wird er dieses weibliche Herz durchschauen und erkennen, welche Saat des Verderbens darin aufkeimt? sicher, dies würde er sehen können. Allein in dem Augenblicke, als Siska im Begriffe gewesen, in das Pensionat abzureisen, hatte ihre Mutter heimlich zu ihr gesagt:

»Gib acht, Siska, daß du gescheit seiest; und wenn du auf Urlaub nach Hause kommst, so sei nicht zu ausgelassen oder zu hoffärtig; denn wenn Doktor Pelkmann dies bemerkt, so wird dich dein Vater nicht mehr dahin zurückkehren lassen.«

Diese Worte waren nicht tauben Ohren gepredigt. Siska hatte mit ihren Gesellinnen oft darüber gelacht und Rats gepflogen, wie man den Doktor Griesgram betrügen könne.

So stieg sie denn an einem Nachmittag mit ihrer Mutter, die Sie abgeholt hatte, an der Türe des Ladens aus. – Aber ist dies wirklich die Siska, die wir kennen? Wahrlich, wir tauschten uns: Sie trägt ja ein schlichtes, sittsames Bürgerkleid, ihr Haar ist glatt gestrichen, ohne Locken; kein Hut, keine Pomade, der Kopf gesenkt, die Augen niedergeschlagen! Man möchte sagen, sie ist das wahre Rührt mich nicht an. Der Doktor spricht mit ihr, forscht sie aus; Sie antwortet so einfältiglich, sie ist so still und so wortkarg, daß er sich für besiegt hält . . . Und Siska darf in ihr Pensionat zurückkehren.

– — – — – — —

Während die Tochter van Roosemals die verwelschte Erziehung genoß, ging es nicht zum Besten mit dem Laden und Haushalt Meister Spinals. Die französischen jungen Herren bezahlten sehr selten, und beim Ablaufe jedes Theaterjahres flogen die Komödianten davon, wohl versehen mit unbezahlten Stiefeln und Schuhen. Auch Hortense vertat ein hübsches Geld in Kleidern und Näschereien; wahrscheinlich steckte Sie auch zuweilen ihren kahlen Liebhabern manches zu. Kurz: Meister Spinal geriet in Schulden bis über die Ohren; Sein Haus war bereits mit schweren Hypotheken belastet.

In solchem betrübten Zustande gingen dem Schuster allmählich die Augen auf; das Plakat, worauf der Glanz eines Stiefels den Anschauer blendete, lag längst zerrissen auf dem Speicher, und nur noch eine Aufschrift stand auf dem Fensterrahmen: Magazin de Souliers und darunter: Schuhmagazin. Aber die flämischen Kunden hatten den Weg zu seinem Prunkladen vergessen; die zu früh zerrissenen Schuhe lagen ihnen noch in der Erinnerung; und Meister Spinal mit seinem Paletot, seinem Schokoladefarbenen Beinkleide und seiner tombakenen Kette wußte nicht mehr, von welchem Holze er Pfeile schneiden sollte: er war ein abgehauster Mann!

Das Böse ist seiner Natur nach alleinherrschend; wenn es einmal die Bahn zum Herzen gefunden hat und dort freundlich aufgenommen worden ist, so will es dasselbe allein besitzen und rottet alle Wurzeln der angebornen Tugenden bis auf die letzte aus. Nichts widersteht seinem unaufhörlichen Angriffe; alle Gefühle der Pflicht und Rechtschaffenheit wirft es aus ihrem Wohnsitz und nimmt den ganzen Menschen wie einen Sklaven in Besitz. Dies erfuhr auch Meister Spinal auf eine schreckliche Weise. Mit Schulden überladen, arm und elend, betrauerte er seinen Leichtsinn und hoffte nur noch in der Teilnahme seiner Tochter einen Trost zu finden. Allein er erhielt von ihr nur schmähliche Vorwürfe, und ungeachtet des Mangels, der ihn drückte, setzte die ungeratene Hortense ihr Verschwenden und Schuldenmachen fort, um nur ihrer Üppigkeit zu pflegen.

Kurze Zeit darauf kam auch Hans Spinal, oder vielmehr Jules, wie er sich nannte, von Paris zurück. Anstatt jedoch auf den Schusterstuhl niederzusitzen und seinem unglücklichen Vater fortzuhelfen, hatte der Bursche an nichts Lust als an schönen Kleidern, Kaffeehausbesuchen, Billardspielen, Zigarrenrauchen und französischer Windbeutelei.

5Verschiedene Arten des Haarputzes: Schneeisch, korkzieherisch, chinesisch.
6Verschiedene Kleidungsweisen: Morgenkleid, Besuchkleid, Ballkleid.