Za darmo

Der Geizhals

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IV

Am andern Tage, gegen Abend, leuchtete die Sonne noch hell am Himmel; doch da sie fast den westlichen Saum erreicht hatte, wärmten ihre Strahlen nur wenig.

Der Schnee, seines entliehenen Feuers beraubt, war matt und leblos; die heimischen Wintervögel hatten sich vor der drohenden Kälte schon geflüchtet; die schlafende Natur war völlig still geworden.

Auch auf dem Kapellenhoefken war Nichts zu vernehmen – weder die Stimme der Menschen noch das Geräusch ihrer Arbeit. Das Gebrülle der Kuh, das von Zeit zu Zeit aus dem Stalle drang, war das einzige Zeichen des Lebens – sonst schwieg Alles.

Wanna saß neben dem Kuhkessel an einem Spinnrad. Sie schien aber zerstreut und mit ihren Gedanken beschäftigt zu sein: mehr als ein Mal war ihr der Faden abgerissen, oder sie setzte den Fuß neben den Tritt und spann fort, obgleich das Rad sich nicht mehr drehte.

Ihr Auge blickte unverwandt auf die alte Uhr, als ob sie jeden Pendelschlag zählte und den trägen Zeigern einen Vorwurf machte, weil sie nicht schneller vorschreiten wollten.

Plötzlich sprang sie mit Schrecken auf: der Kuhkessel war übergelaufen, und das Wasser zum Theil in die zischende Flamme verschüttet.

»Nun, liebe Wanna,« – sprach Mutter Anna, die bei dem Lärm aus dem Stalle lief – »Ihr merkt, daß das Wasser kocht, erst wenn es Euch beinahe über die Füße rinnt! Liebes Kind, seit der letzten Kirmeß seid Ihr so träumerisch geworden, daß ich dabei Nichts mehr verstehe!«

Das Mädchen antwortete schnell, um ihre Verlegenheit zu verbergen: »Kommt, Mutter, helft mir den Kuhkessel in den Stall tragen. Dann renne ich nach dem Dorf, um für Cäcilia etwas grünes Garn zu holen: sie hat mich darum ersucht.«

»Wenn es Cäcilia"s Wunsch ist, so geht, aber schnell; denn es wird schon spät, liebes Kind.«

Der Kessel war inzwischen in den Stall gebracht.

Wanna trat allein in das Zimmer zurück, sah die Uhr mit mehr Vergnügen an und flog dann mit einem halb erstickten Freuderuf zur Thür hinaus.

Sobald sie etwas entfernter war und sich schon zwei Mal nach der Hütte umgesehen hatte, sprach sie lächelnd zu sich selbst:

»Ach! was wird die Mutter bald die Augen weit aufreißen? dann wird sie es erklärlich finden, daß der Kuhkessel überlief!«

Und damit sprang und lief sie, so daß ihre Füße den Schnee in Wolken aufjagten.

Ehe sie das Dorf erreichte, hörte sie hinter dem Tannengebüsche das Wiehern eines Pferdes.

»Oh, da sind sie schon,« jauchzte sie. »Unser Bles freut sich, daß er bald daheim ist; wenn das arme Thier wüßte, um was es sich handelt, so würde es sich zum raschesten Galoppe entschließen!«

Wirklich erblickte sie auf dem Fahrwege den Karren ihres Bruders. Sie war noch zu weit davon, um verstanden zu werden; doch rief sie aus voller Brust und lief noch schneller als zuvor:

»Bart, Bart, habt Ihr es? Habt Ihr das Halstuch?«

Der Junge begriff gewiß ihr Mienenspiel; er richtete sich im Karren aufrecht und warf seine Mütze in die Luft, so daß sie einige Schritte davon in den Schnee fiel, und er sein Pferd anhalten mußte, um sie aufzuheben.

Seine Schwester war, vor Schweiß triefend, bis zu ihm gelaufen.

»Ihr habt doch das Halstuch, Bart?« war ihre erste Frage.

»Wantje, Wantje,« erwiederte der Junge freudig aufgeregt. »Heute hat mir Alles geglückt! Denkt nur: der Herr – es ist ein Zuckerbäcker – dem ich die Reife zu liefern hatte, erkundigte sich, warum ich so froh aussähe, als er mich bezahlte.«

»Ein freundlicher Herr« – bemerkte Wanna und trat mit Ungeduld in den Schnee – »doch habt Ihr das Halstuch?

»Gewiß habe ich es; doch hört mich nur zu Ende, Wanna; ich habe dem Herrn von der Mutter und von der Bescherung erzählt . . . «

»Oh! laßt mich das Tuch sehen, lieber Bart.«

»Wißt Ihr auch, Wanna, was der gute Herr darauf that? Er wolle die Mutter auch bescheren, erklärte er mir.«

»So? Das ist recht hübsch von dem Herrn!«

»Ja, und für den ganzen Winter gibt er mir gute Arbeit!«

»Ist das die Bescherung für die Mutter?«

»Nein, Wantje, er hat mir auch ein schönes, neues Fünffrankenstück in die Hand gedrückt und mich gebeten, es zu dem Gelde zu thun, das ich für das Halstuch auslegen wollte – so würde ich etwas ganz Stattliches kaufen können!«

»Und was kostet das Halstuch?«

»Acht und einen halben Franken, Wantje! acht und einen halben Franken!«

»Da steh’ uns Gott bei, lieber Bart, davon können wir alle drei einen ganzen Monat leben! Doch laßt mich das Tuch sehen!«

»Ihr sollt es sehen; doch zuvor muß ich Euch noch Eines sagen. Der gute Herr führte mich dann in ein Haus zurück und zeigte mir seine kupfernen Kessel – die fanden da in Reih und Glied – einer wie der andere – wohl in die tausend. Und alle Kessel waren voll Zucker!«

»Tausend Kessel voll Zucker!« rief Wanna und schlug die Hände zusammen. »Sollte das wahr sein, Bart? Wer kann die aufessen?«

»Nun, die reichen Leute, Wanna. Die Welt ist auch so groß. Das Artigste in der Geschichte kommt aber noch: er hat mir für die Mutter fünf bis sechs Pack Zuckerwerk mitgegeben. Ich habe da weißes und gelbes, rothes, braunes und schwarzes Zuckerzeug; was weiß ich noch mehr?«

»Auch schwarzes?«

»Ja, schwarz wie Pech. Mutter wird nicht wissen was das ist. Wir werden recht lachen. Kommt nur, unser Bles fängt an zu frieren. Vorerst will ich Euch das Halstuch zeigen. Doch seid hübsch vorsichtig und zerknittert es nicht. Laßt mich Euere Hände sehen, Wantje!«

»Ich habe eben die Rüben gewaschen!«

Bart war auf den Karren gestiegen, um das Halstuch hervorzusuchen, und murmelte dabei in einem fort:

»Eigentlich sollte man so feine Sachen nur mit Handschuhen anpacken. Acht und einen halben Franken, denkt nur!«

Er kam mit einem papiernen Packet herunter, stellte sich mit geheimnißvollen Geberden an das Rad und löste den Bindfaden mit Vorsicht. Wanna beugte sich über das Packet; ihre großen Augen glänzten vor Neugierde; auf ihrem Gesichte prangte ein erwartungsvolles Lächeln.

Endlich zeigte sich das Halstuch! Sie sah das offene Packet verwundert an.

»Nun, Wanna, was sagt Ihr dazu?« frug Bart.

Zuerst blieb das Mädchen ganz stumm; dann klopfte sie jauchzend in die Hände und hüpfte vor Freude. Bart that dasselbe . . . und so tanzten sie in ihrer Einfalt wie Kinder auf dem Schnee.

Das Pferd kehrte seinen Kopf um, als wollte es wissen, was vorgehe.

»Wie schön! Gott, wie schön!« rief Wanna. »Die Mutter wird so froh sein! Es ist so herrlich roth und blau und gelb! Ich könnte mich blind daran sehen.«

Bart sang mit klarer Stimme, die durch Busch und Dickicht drang:

 
»Ach und Weh sei jetzt begraben,
Weil wir heute Kirmeß haben!«
 

Dann lud er seine Schwester ein, auf den Karren zu steigen.

»Und Bles muß etwas rasch vorwärts, Bart!«

»Nein, Wantje, zuerst müssen wir übereinkommen, wie wir Alles anordnen.«

Beide stiegen auf den Karren; das Pferd trabte voran.

»Ihr habt doch die Blumen?« frug sie und sah sich um.

»Die liegen hier unter mir, in dem Korbe, neben dem Kruge Gerstenbier,« antwortete Bart. »Fast hätte ich vergessen, daß Franz mir eine Botschaft für Euch aufgetragen hat!«

»Franz? eine Botschaft?« frug Wanna und wurde über und über roth.

Bart öffnete den Korb und holte einen Strauß winziger Blümchen hervor.

»Seht, das schickt Euch Franz.«

»Was kann ich damit thun?« meinte Wanna.

»Wißt Ihr nur, wie diese Blümchen heißen? Ich wußte es auch nicht, bis es Franz mir mitgetheilt. Oh, der Name ist so hübsch.«

»Wie heißen sie denn?«

»Man nennt die Vergißmeinnicht

Da kehrte Wanna ihren Rücken gegen Bart, um ihm die Röth des Gesichtes zu verbergen. Dieser lachte still vor sich und frug:

»Wantje, ist Cäcilia bei der Mutter?«

»Sie war heute noch nicht bei uns zu Hause. Ich wollte mich auf dem Klosterhofe erkundigen, was das bedeute; aber der barsche Thys fuhr mich an, als ob ich dort etwas stehlen wollte.«

»Und wird Cäcilia nicht kommen?«

»Sie wird gegen Abend kommen, hat mir Thys gesagt, aber mit einem Lachen, wie ein Hund der gern beißen möchte.«

»Nun, das hat nichts auf sich, wenn sie nur kommt . . . die Mutter kann sie dann nach Hause führen, wenn sie etwas länger hier bleibt. Kommt, Schwester, setzt Euch neben mich auf den Korb. Wir wollen noch einmal überlegen, wie wir Alles zum Besten einrichten.«

Dann begannen sie ein Gespräch, das manche frohe Geberde, manches Händeklatschen des Mädchens unterbrach; doch war der Ton ihrer Stimme so leise, daß ein Vorübergehender kein einziges Wort davon hätte erhaschen können.

Vor der Thür der Wohnung sprang Wanna vom Karren und ging in das Haus; Bart spannte das Pferd aus und führte es in den Stall. Auch das Packet und den Korb wußte er mit vieler Vorsicht einzuschmuggeln.

»Guten Abend, Mutter,« rief er, als er zur Thüre eintrat. »Gebt mir Euere Hand, ich habe wieder ein hübsches Sümmchen für Euch bereit!«

Während er ihr einige Geldstücke in die Hand schob, sah er im Zimmer um sich: plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht und wies eine tiefe Trauer.

»Ihr denkt wohl,« bemerkte die Mutter, »daß ich Euch Euer Taschengeld zurückhalten werde, auf daß die arme Wittwe mit ihren Kindern hier essen dürfe. Nein, Bart, trinkt des Sonntags Eueren Schoppen nach gewohnter Weise: einem so braven Jungen will ich keinen Abbruch thun.«

Bart nahm die einigen Cents an, ohne darauf zu achten; und während die Mutter in das Schlafzimmer ging, um das Geld zu verschließen, näherte er sich seiner Schwester und flüsterte ihr zu:

»Cäcilia ist noch nicht hier!«

»Sie wird schwerlich mehr kommen,« entgegnete Wanna, »in einer halben Stunde ist es ganz finster. Wir werden ihr morgen Alles erzählen. Doch geht jetzt nur hinauf und plaudert ein wenig mit der Mutter, wie wir verabredet haben.«

 

»Wollen wir nicht noch etwas warten?« meinte Bart.

»Warten? Dann kriegen wir die Mutter nicht mehr aus ihrem Zimmer.«

»Da habt Ihr Recht. Ich hätte gar zu gerne gesehen, daß Cäcilia dabei zugegen gewesen wäre. Nun aber sputet Euch, Wanna, und wenn Alles fertig ist, so schlagt zum Signal mit dem Blasbalg an die Feuerzange.«

Wanna lief in aller Eile in den Stall, holte den Korb, setzte fünf bis sechs Teller auf den Tisch, worauf sie das Zuckerwerk schüttete, legte daneben das schöne Halstuch halb entfaltet, band die Blumen an den steinernen Bierkrug und langte drei Kaffeetassen herbei, um daraus zu trinken: Gläser waren in dem Haushalte nicht vorräthig.

Dann schlug sie so heftig mit dem Blasbalg auf die Zange, daß die Mutter herunterrief:

»Wantje, schlagt mir nichts in Stücke!«

Bart rannte jubelnd über die Treppe; die Mutter folgte ihm.

Es bot ein eigenes, doch rührendes Familienbild, wie die verwunderte Frau ihre Augen von der reichgeschmückten Tafel auf ihre lachenden Kinder richtete und um eine Aufklärung zu bitten schien, wozu all die schönen Sachen da wären.

»Lange lebe Johanna! lange lebe Johanna!« riefen Bart und Wanna einstimmig, flogen dann, wie toll vor Freude, der guten alten Mutter an den Hals und drückten einen warmen Liebeskuß um den andern auf ihre Wangen.

Bart machte sich zuerst aus der Umarmung los, nahm das neue Halstuch, hing es um die Schultern feiner Mutter und nahm dann einen kleinen Spiegel von der Wand, den er vor sie hielt:

»Das ist Euere Bescherung, Mutter! Jetzt braucht Ihr nicht mehr mit dem häßlichen alten Tuche in die Kirche zu gehen.«

Jetzt erst merkte die alte Anna, was die Ausgelassenheit ihrer Kinder zu bedeuten habe, und fühlte sich so tief gerührt, daß sie keine Worte finden konnte und das Halstuch anstarrte.

Endlich trat ihr eine Thräne ins Auge. Sie zog ihre Kinder an sich und gab ihnen die herzlichsten Küsse.

»Gott im Himmel ist doch unendlich gut!« war ihre erste halblaute Bemerkung.

Während sie die Tochter noch in ihren Armen hielt, sprang Bart zum Tische, schenkte die drei Tassen voll Bier und sprach mit Zärtlichkeit und Feier:

»Liebe Mutter, das wollen wir auf Euere Gesundheit leeren! Lange mögen wir zusammen, in Tugend und Liebe, ein vergnügtes Leben führen; auch mich erhalte Gott bei Kräften, um für meine gute Mutter stets arbeiten zu können, und segne uns. Alle schon hienieden, und nachher oben im Himmel! Hoch lebe Johanna!«

Eben wollte er die Tasse an den Mund setzen, als ihn ein Freuderuf seiner Schwester unterbrach, die zur Thür lief:

»Dort kommt Cäcilia! Cäcilia ist da!«

»Hurrah, hurrah!« jauchzte Bart und lief gleichfalls zum Haus hinaus.

Einen Augenblick blieb die Mutter allein; dann zeigten sich ihre Kinder mit Cäcilia auf der Schwelle der Wohnung.

Doch wie sehr waren fiel jetzt umgestaltet? Tiefe Trauer lastete auf ihren Gesichtern; sie ließen den Kopf hängen und blickten auf Cäcilia mit ängstlicher Neugierde.

Diese schritt stumm bis zum Tische, ließ sich da auf einem Stuhle nieder und fing an zu weinen und zu schluchzen, so daß die Andern gleichfalls verstummten und zitternd zu ihr aufblickten.

Die Mutter ging zuerst auf das Mädchen, nahm sie bei der Hand und frug mit Theilnahme:

»Was ist denn vorgefallen, liebe Cäcilia? Ein Unglück?«

Sie erhielt keine Antwort.

Bart stellte sich zum Mädchen und rief mit herzzerreißendem Tone und Thränen in der Stimme:

»Cäcilia, Cäcilia!«

Sei es daß dieser Schrei eines gequälten Herzens in dem Mädchen ein Echo fand, oder daß ihre Thränen selbst sie ein wenig erleichtert hatten – genug sie fand jetzt genug Kraft, um den Kopf aufzurichten:

»Meine lieben Freunde, der Kummer erstickt mir fast die Stimme. Laßt mich noch etwas länger weinen . . . «

»Cäcilia, Cäcilia, Ihr bringt mich zum Sterben!« sprach Bart ganz außer sich – »Sagt mir um Gottes willen was vorgefallen ist.«

»Denkt nur,« seufzte die Arme, »wie unglücklich ich mich fühlen muß: Ihr seht mich heute zum letzten Male!«

Diese unerwartete Erklärung hatte ein allseitiges Wehklagen zur Folge.

»Ich darf nicht mehr hier herkommen,« fuhr Cäcilia unter einer Thränenfluth fort, »ich darf mit Niemandem von Euch mehr sprechen! Und leider muß ich gehorchen!«

»Ihr dürft mit Niemandem von uns mehr sprechen?« wiederholte die alte Anna ganz erstaunt. »Warum das? Wir haben ja keinem Menschen etwas zu Leide gethan!«

»Stellt keine Fragen,« schluchzte Cäcilia; »es ist mir verboten zu antworten.«

Da brach Barts Unwille los; er schloß die Zähne fest und ballte die Fäuste:

»Ich dachte es wohl, daß der Thys, die Schlange, wieder dahinter steckt. Ich bin gut und kränke nicht gern den ärmsten Wurm – doch den Menschenquäler möchte ich gern zwischen meinen Händen haben und ihm seine häßliche Fratze vom Rumpfe reißen, so wahr . . . «

Ganz entsetzt hielt die Alte ihre Hand vor Barts Mund und unterbrach diese von der Rachbegierde eingegebene Drohung.

»Bart,« flehte Cäcilia, »so Ihr mir zugethan seid, laßt derlei Gedanken fahren. Ich handle nach dem ausdrücklichen Befehle des Onkels und kann daran nichts ändern. Mein hartes Loos will es also haben!«

»Gott! Ich soll Euch nie mehr sehen!« rief der Jüngling verzweifelnd, legte seinen Kopf auf den Tisch und vergoß bittere Thränen.

»Hierher darf ich durchaus nicht mehr kommen,« war die Antwort; »doch wenn ich ganze Tage lang auf dem Klosterhofe, einsam und verlassen sitze, werde ich immer an Euch denken. Jetzt erst erkenne ich, wie lieb Ihr mir Alle seid!«

Diese letzten Worte erregten eine neue Trauer; die ganze Familie weinte mit gebrochenem Herzen.

Plötzlich blickte Cäcilia zum Fenster hinaus; sie bemerkte wahrscheinlich einen Gegenstand des Schreckens; denn sie richtete sich zitternd auf und machte schnell das Nähzeug zurecht, das auf einem Kasten stand.

»Himmel,« rief sie »bald hätte ich es vergessen! Ich kam hierher bloß um mein Nähkissen zu holen; lebt Alle herzlich wohl, ich muß nach Hause zurück.«

Bart wandte sich um und suchte sich ihren Schrecken zu erklären.

Auch ein Blick richtete sich nach Außen, und seine Augen funkelten vor Zorn.

»Dort steht er, der teuflische Bösewicht! Fort mit ihm!«

Er wollte zur Thür hinaus stürzen; doch seine Mutter schlang ihre Arme um seinen Hals und hielt ihn mit Gewalt zurück, obgleich er stöhnte wie ein wüthiger Stier und zu entkommen suchte.

Cäcilia hatte inzwischen eiligst ein goldenes Kreuz aus ihrer Brust hervorgezogen. Sie drückte das Kleinod in Wanna’s Hand und sprach:

»Ich habe der Wittwe des Maurers Jan meinen Beistand versprochen, den ich ihr jetzt nicht zu leisten vermag. Nehmt hier dieses Kreuz meiner seligen Mutter und verkauft es, um ihren Kindern Brod geben zu können. Mutter Anna, Bart, Wanna, Ihr lieben Freunde, lebt wohl und denkt an mich; bittet Gott, daß er mich beschützen möge. Der Kummer, der mich verzehrt, führt mich sonst dem Grabe entgegen . . . «

Hier versagte ihr die Stimme; schluchzend und die Hand vor die Augen haltend eilte sie zur Thüre hinaus.

Die Bewohner des Kapellenhoefkens weinten still vor sich.

Das Halstuch lag vergessen auf einem Stuhle da, – und bereits war die Erde in das Düster der Nacht gehüllt, ehe Einer von ihnen sich aus der Niedergeschlagenheit und der Seelenpein erholt hatte.

V

Cäcilia schien der Engel gewesen zu sein, dessen Gegenwart dem Kapellenhoefken Glück und Segen brachte – mit ihr war alle Freude und Heiterkeit verschwunden.

Bart, der sonst so aufgeweckte, muthige Jüngling, war kaum mehr zu erkennen. Ganze Tage lang verharrte er schweigend in seinen Gedanken; sein Haupt, durch beständige Trauer niedergedrückt, hing nach vorne; ein bleiches, mattes Gesicht wies die Spuren seines inneren Grames.

Seine Lieder waren sämmtlich vergessen; und obgleich er noch thätig war, wie zuvor, so war es aus seinen lässigen, unsichern Bewegungen zu entnehmen, daß seine Gedanken von seiner Hände Arbeit weit entfernt umherschweiften. Kaum blieb ihm noch genug Aufmerksamkeit für das, was um ihn vorging, um den Trostreden seiner Mutter kurze und abweisende Antworten entgegenzuhalten.

In weniger als zwei Monaten war der trauliche Pachthof ebenso still, einsam und traurig geworden als die Behausung des Geizigen.

Mehr noch als Cäcilia’s Entfernung peinigte den Jüngling die völlige Unwissenheit, in der er über ihr Loos schwebte. Seine Phantasie schuf ihm allerlei Schreckbilder; immer sah er sie leiden und weinen; immer hörte er sie seufzen und wehklagen. Im Schlafe, wie im wachen Zustande, nahmen ihm diese Befürchtungen seine Rast und Ruhe. Dieß wurde recht sichtbar, wenn er an der Arbeit war; bald fing er an, plötzlich zu zittern, bald im Zorn die Zähne fest an einander zu schließen, bald flehend zum Himmel aufzublicken.

Auch das Bewußtsein seiner Ohnmacht nagte wie ein Wurm an seiner Seele. Cäcilia hatte ihn so dringend ersucht, sich jeder Einmischung zu enthalten; er hatte in ihrem Blicke gelesen, daß sie einer geheimen und schrecklichen Macht unterworfen war. Dadurch, daß er an dem Elenden, den er für den Urheber aller ihrer Leiden hielt, Rache zu üben suchte, hätte er vielleicht ihr Unglück noch erhöht.

Diese Betrachtung allein verhinderte ihn, gegen Thys etwas zu unternehmen, so sehr ihm auch in gewissen Augenblicken das Blut in allen Adern kochte, wenn er sich den verderblichen Einfluß dieses Mannes vorstellte.

Während der Woche verließ Cäcilia den Klosterhof nicht mehr; sie kam sogar nicht an die Schwelle der düstern Wohnung; aber am Sonntag ging sie, von ihrem Onkel und von Thys begleitet, zur Kirche.

Drei Wochen hintereinander stellte sich Bart auf den Weg, dem sie folgen mußte. Jedes Mal hatte das Mädchen, sobald sie ihn aus der Ferne erblicken konnte, die Augen zu Boden geschlagen und es selbst vermieden, seinen Gruß zu erwiedern. Statt eines freundlichen Winkes von Cäcilia trafen den armen Jüngling nur die zornentflammten Blicke des Alten, der ihm ganz entsetzliche Dinge vorzuwerfen schien. Thys hingegen maß ihn höhnisch, faßte dabei das Mädchen beim Arme, lehnte einen Kopf fast an den ihrigen und betrug sich ganz so, als ob nicht bloß Freundschaft, sondern ein inniges Gefühl diese Zutraulichkeit billigte.

Dieser Anblick verletzte das Herz des armen Bart über alle Maßen; das bleiche Antlitz seiner Geliebten, die Spuren ihrer Thränen, die er zu entdecken vermeinte, folterten ihn schon zur Genüge; aber der abscheuliche Spott, den Thys mit ihm trieb, schnitt ihm noch empfindlicher durch das Herz.

So hatte er sich dreimal auf dem Wege, der zur Kirche führte, hingestellt und dreimal seinen Posten verlassen, um in dem Schoße des stillen Tannengehölzes die Thränen zu bergen, die sich gewaltsam aus seinen Augen drängten.

Seitdem hatten ihm diese mißlungenen Versuche eine solche Angst eingejagt, daß er es nur mehr wagte aus der Ferne und unbemerkt die Rückkehr Cäcilia’s aus der Kirche abzuwarten.

Der Wittwe des Maurers Jan konnte es allein gelingen, zuweilen einen hellen Strahl in ein düsteres Gemüth zu werfen. Die gute Frau merkte es wohl, woran der Jüngling litt, und wußte mit Klugheit in seinem Herzen diejenigen Fibern zu treffen, die der Hoffnung noch zugänglich waren. Sie sprach unumwunden das Zauberwort Liebe vor ihm aus und zwang ihn zum Geständnisse seiner Seelenqual. So hatte sie das Recht gewonnen, ihn mit unverhüllten Worten zu trösten, indem sie ihn beständig von Cäcilia unterhielt und ihm die Hoffnung vorhielt, daß auch die abwesende Freundin ein gleiches Gefühl im Busen trüge.

Die Bettlerin hatte, seit ihrem Abschiede von Cäcilia, eine erstaunliche Thätigkeit bewiesen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend war sie mit ihrem Kinde auf den Beinen. Sobald sich Bart zur Arbeit auf dem Felde einstellte, war sie gleich an seiner Seite, tröstete ihn mit der Voraussicht auf eine bessere Zukunft und eilte fort; doch eine Stunde nachher hatte sie sich zu einem neuen Besuche eingefunden. Wenn ihn sein Weg am Klosterhofe vorbeiführte, so traf er die Wittwe mit dem Kinde an einer Ecke sitzen, von wo sie erspähen konnte, was im Innern des Hauses vorfiele. Wenn er durch das Dorf ging, so sah er sie, bei nassem wie bei trockenem Wetter, hin und her laufen; und wenn er des Sonntags aus der Ferne den Augenblick abwartete, der Cäcilia aus der Kirche zurückführte, so konnte er darauf rechnen, daß die Wittwe ihr mitten auf dem Wege entgegenkommen und die dreist um ein Almosen bitten würde, obgleich die beiden gefühllosen Wächter des Mädchens sie jedes Mal mit mißmuthiger Miene abwiesen.

 

Wahrscheinlich trieb die arme Wittwe ihre Dankbarkeit zu Bart und Cäcilia dazu an, sich ihrem Dienste so unermüdlich zu widmen; doch mochte wohl auch der Haß, den ihr der böse Thys eingeflößt hatte, sie in ihrem Vorhaben bestärkt haben.

Und in der That, wo sie immer auf diesen Peiniger ihrer Cäcilia, auf diesen Feind ihres Bart stieß, blickte sie ihm so scharf in die Augen und drohte ihm so geheimnißvoll, daß Thys sich befangen fühlte, sobald er ihrer ansichtig wurde, und allmälig zur Ueberzeugung gekommen war, die Wittwe, die er oft so rauh entfernt hatte, müsse etwas von seinen Plänen auf die Erbschaft des Alten errathen haben. Es war ihm nicht recht klar, was er von der Wittwe zu befürchten habe; aber um so drückender war ein Angstgefühl. – Obendrein war es ihm wohl bekannt, daß die Wittwe, als Stellvertreterin ihres Mannes, einen kleinen Theil der Erbschaft anzusprechen hatte; dieß war auch der Grund seines schroffen Benehmens gegen sie gewesen.

Seine neue Besorgniß, und mehr noch die sichtlich zunehmende Körperschwäche des Onkel Jan bewogen ihn, auf alle Weise Cäcilia zu bestürmen und ihr die Einwilligung zur Heirath zu entreißen. Bald versuchte er Schmeichelreden, die ihr eine glückliche Zukunft vormahlten; bald wandte er die rohe Gewalt an, mißhandelte das arme Mädchen, und suchte ihr Schrecken einzujagen und ihr selbst vorzuhalten, daß ihr Leben gefährdet sei, wofern sie sich nicht in seinen Willen fügte. Doch trotz dieser Mittel, trotz der Lästerungen, die er dem Alten in die Ohren blies, befand Cäcilia auf ihrer Weigerung und setzte allen Aufforderungen ein geduldiges Schweigen entgegen, das ihr der Alte als einen thörichten Eigensinn verwies.

*                   *
*

So saß Cäcilia an einem frühen Morgen am Kamin; ein Leinenzeug, an dem sie zu nähen angefangen hatte, lag auf ihrem Schooß. Sie war zur Arbeit schlecht aufgelegt; schlaff ruhten ihre Hände auf ihren Knieen, und sie blickte in den ausgebrannten Heerd mit unverwandten Augen, während sie leise zu sich selbst sprach. Zuweilen kamen die Namen Barts und ihres Onkels über ihre Lippen, und dann seufzte sie. Ihr Gesicht war ohne Leben und Ausdruck, als wäre es in Stein gehauen.

Plötzlich traf ihre Ohren das Geräusch nahender Tritte; da deckte die Blässe des Todes ihr Gesicht, und sie suchte sich, obgleich bebend, auf eine verhaßte Erscheinung gefaßt zu machen.

Wirklich war es Thys, der eine Thür öffnete und ins Zimmer trat.

Cäcilia neigte ihren Kopf noch tiefer, als wollte sie ihm ihr Gesicht verbergen; sonst rührte sie sich nicht im Geringsten.

Thys wies ein so schlimmes Lächeln, eine so kalte Grausamkeit, daß das Entsetzen des Mädchens vollends gerechtfertigt war.

Unter dem Vorwand, etwas im Heerd mit der Zange hervorzusuchen, näherte er sich dem Mädchen und trat ihr so ungestüm auf den Fuß, daß sich alle ihre Nerven schmerzhaft zusammenzogen; doch sprach sie kein Wort. Dann fuhr er ihr mit dem Ellenbogen recht unsanft ins Gesicht; doch ließ sie keine Klage vernehmen. Im Gegentheil schien sie die noch zu erwartenden Mißhandlungen mit Gelassenheit ertragen zu wollen.

So stieß Thys sein Opfer wie einen unbeseelten und widerstandslosen Körper hin und her und rief zuletzt ärgerlich:

»Seid Ihr denn zu Holz geworden! Packt Euch fort!«

Dabei schüttelte er sie so gewaltig an der Schulter, daß ihr Kopf gegen den Kamin fiel.

Noch immer schwieg das Mädchen; nur konnte sie sich dieß Mal der Thränen nicht erwehren, die über ihre Wangen strömten.

Der Erzquäler stellte sich auf zwei bis drei Schritte von dem Mädchen, kreuzte sich die Arme und sprach mit einem hämischen Lächeln:

»Ich habe Euch gestern erklärt, daß meine Geduld heute zu Ende ist. Bedenkt Euch wohl! Wenn die Sonne untergeht, ohne daß Ihr mir Euere Einwilligung zusagt, so habt Ihr das Schlimmste zu erwarten.«

Und da das Mädchen noch immer stumm und unbeweglich blieb, steigerte sich sein Aerger:

»Ihr schweigt noch immer? Doch die Umschweife helfen nichts. Ich will Eueren Starrsinn brechen, und kenne Mittel und Wege, um Euere widerspenstige Zunge zu lösen. Heraus mit der Sprache!«

Und er sprang auf Cäcilia, faßte ihre beiden Schultern in seine Hände und rüttelte daran so heftig, daß es ihr schwindelte. Dazu starrte er sie mit so grimmen Augen an, daß das arme Mädchen an Mord und Todtschlag dachte und an allen Gliedern zitterte.

»Sprecht doch,« polterte er, »sprecht, oder ich drücke Euch die Schultern ein!«

Da entfuhr dem Mädchen eine dumpfe Klage; sie fiel auf die Kniee und schluchzte mit aufgehobenen Händen:

»Thys, was habe ich Euch gethan? Wenn ich sterben soll, so tödtet mich wenigstens schnell!«

Der Wütherich sah mit einer gewissen Wollust auf das gemarterte Geschöpf, das zu seinen Füßen wimmerte:

»Ich habe es Euch seit langem prophezeit, daß Ihr vor mir knieen würdet. Damals wolltet Ihr mir nicht glauben, und doch liegt Ihr jetzt da!«

»Vergebt mir, seid barmherzig,« flehte Cäcilia; »ich werde Alles thun, was Ihr begehrt; mich zur Sklavin Euerer Wünsche machen, jeden Wink ablauschen, Euch dienen wie die niedrigste Magd . . . «

»Das verlange ich nicht!«

»Ich verzichte auf mein Erbtheil und bitte den Onkel, daß er es Euch gebe; so es nöthig ist, lasse ich Zeugen kommen und unterschreibe den Akt, der Euch in den Besitz des sämmtlichen Vermögens setzt . . . nur gönnt mir etwas Ruhe, um des Himmels willen, sonst komme ich um Sinn und Verstand . . . «

Sie ließ den Kopf sinken, blieb aber auf den Knieen liegen.

»Das geht so nicht,« antwortete Thys. »Aber es gibt ein anderes Mittel, das mich zum gutmüthigsten Menschen umwandeln kann. Das Mittel kennt Ihr; heute steht Euch noch die Wahlfrei, morgen ist es nicht mehr Zeit. Wenn Ihr mir nicht nachgebt, so könnt Ihr auch dem Sonnenlicht ein Lebewohl zurufen. Mein Haß wird Euch verfolgen, bis Ihr Euch vor Kummer ausgezehrt, meine Rache Euch treffen, bis Ihr an ihrem Feuer vergeht wie der Märzschnee. Ah! Ihr kennt mich noch immer nicht! Ich frage Euch zum allerletzten Male: Wollt Ihr mein Weib werden, ja oder nein?«

Da stand das Mädchen auf, setzte sich wieder auf ihren Stuhl und hielt sich die Augen mit den Händen zu.

»Cäcilia,« sprach Thys gelassen und setzte sich auch nieder, »ehe ich das Aergste versuche, will ich Euch etwas Vorsicht anrathen. Ich begreife wahrhaftig Euer Widerstreben nicht. Es liegt doch in der Bestimmung eines jeden Mädchens, früher oder später unter die Haube zu kommen. Wie ihr Mann heißt, das ist Nebensache, wenn er nur im Stande ist, seine Frau zu versorgen und ihr das Leben angenehm zu machen. Daß ich beides leisten kann, daran dürft Ihr nicht zweifeln. So lange man jung ist, faselt man viel von Liebe und Freundschaft, von Schönheit und all dem Zeuge, dem man einen Werth für das Leben beimißt. Doch mit der ersten Jugendtollheit schwinden die Träumereien! Nur Eines bleibt beständig, nur Eines ist der unerschöpfliche Born des Glückes: das Eine heißt Geld . . . und Geld werden wir in Fülle haben. Warum trauert Ihr? Weil es darnach aussieht, daß freundliche Zuneigung und gegenseitige Liebe in unserer Ehe keinen rechten Platz finden? Nun, ein Eimer Wasser ist demjenigen nicht viel wert, der über eine unversiegbare Quelle zu gebieten hat . . . Darauf habt Ihr nichts zu entgegnen? Doch ich merke wohl, daß Ihr Euch nicht so sehr wegen Mangel an Liebe sträubt, als vielmehr wegen des Hasses, den ich Euch einflöße. Was ist aber der Haß? Ein Traumgebilde; ein Ding, das, wie die Liebe, mit seiner Ursache entsteht und fällt. Ihr haßt mich, weil Ich Euch mißhandele? Heirathet mich, und ich will recht freundlich werden – dann legt sich Euer Haß mit der Ursache, die ihn veranlaßte. Nun sprecht doch! Oder muß ich wieder böse werden und Euch die Worte mit Gewalt abnöthigen?«

Die unheimliche Drohung brachte das Mädchen von Neuem zum Zittern. Sie sprach daher bittend:

»Verzeiht mir; ich kann nicht lügen. Seht, Thys, wenn man so Tage lang allein ist und über seine Leiden sinnt und grübelt, so geht der Geist tiefer in die Dinge ein und gibt sich über manches Aufschluß, das er sonst nie ergründet haben würde. Wißt Ihr wohl, was die Ehe ist?«

»Nun, es ist die Verbindung zweier Personen, die ein gemeinschaftliches Leben führen, um daraus den größtmöglichen Vortheil zu ziehen. Gerade wie zwei Kaufleute ihre Kapitalien vereinigen, um ihre Geschäfte auszudehnen.«