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Der Bahnwärter

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»Nichts, Kind, dich schreckt das Gerassel des Donners.«

»Ach nein, nein, Mutter, ich zittre wie Espenlaub . . . Himmel, o Himmel! Gott steh uns bei! Horch! Hör doch nur, Jan ruft um Hilfe! Es ist ihm ein Unglück geschehn. Bleib, bleib, Mutter, ich laufe!«

Und blindlings sprang sie durch Finsterniß und Hagelsturm der Stelle zu, wo sie zwischen den Blitzstrahlen die Laterne ihres Mannes glänzen sah.

»Jan, Jan, was ist geschehen?« fragte sie voller Schrecken.

»Ein Unglück,« sagte er, mit seiner Laterne auf den Boden leuchtend; »vielleicht ein furchtbares Unglück! Da liegt ein todtes Pferd neben der Bahn. Sieh nur, bei den Blitzstrahlen erkennt man die Trümmer eines zerschmetterten Wagens. Der Schnellzug hat bei seiner Vorüberfahrt das Unheil angerichtet. Sind Menschen dabei verunglückt oder war das Pferd ohne Führer davongegangen?«

»Hattest du denn nicht die Barrieren geschlossen, Jan?« murmelte die Frau.«

»Gewiß, gut und sorgfältig,« war die Antwort, und wie der Wagen auf die Bahn gekommen, ist mir unbegreiflich, ich war drüben an dem andern Weg und stand mit der Laterne auf meinem Posten. Gebe Gott, daß kein Menschenleben verloren ist, dann würde das Unglück so groß nicht sein, denn der Schnellzug ist ohne Unfall weiter gefahren.«

»O mein Gott,« schrie jetzt die Frau, entsetzt den Arm ihres Mannes ergreifend. Ist es denn möglich!«

»Was beängstigt dich so, Marianne? «

»Ach dort, vor uns, sah ich beim Schein des Blitzes einen Menschen liegen!

An der bezeichneten Stelle angekommen, beleuchtete der Bahnwärter den Boden. Er und seine Frau wichen mit einem Angstschrei zurück. Jan Verhelft ging indessen auf’s Neue vor, und sagte dann mit bebender Stimme;

»Komm nicht näher, Marianne, ach es ist zu entsetzlich! der arme Mensch! Da liegt er als Leiche, zerfetzt, in Stücken gerissen, mit zerschmettertem Kopf! Wer es nur sein mag?«

»Hörst du kein Geräusch, dort nach der Hecke zu?« seufzte die Frau.

»Was meinst du?«

»Ein Röcheln, wie von einem Sterbenden!«

»Sollte noch ein Opfer gefallen sein? Schrecklich, entsetzlich! Marianne, liebe Frau, fasse Muth und sei stark. Es ist wirklich zum Verzweifeln, vor Trauer und Schrecken.«

So sprechend trat er näher zur Hecke.

Da lag, mit dem Gesicht zur Erde, ein Mensch, der am Kopf stark zu bluten schiene aus seiner Brust drang, ein röchelnder Laut, als ob er im Sterben liege.

»Er lebt noch!« rief der Bahnwärter. »Hier Marianne, halt die Laterne, daß ich dem Unglücklichen Hilfe bringe, wenn es noch möglich ist.«

Er schob seinen Arm unter den am Boden liegenden Körper, und wendete ihn sorgfältig um, das Gesicht nach oben. Jetzt aber entrang sich ihm ein Schrei – er begann zu wanken, sank in die Kniee und rief:

»Der Notar! Barmherziger Gott, es ist der Notar!«

Ach unser Wohlthäter, der arme Herr Vereichen! Das hat er doch nicht verdient, der gute Mann!« rief Marianne.

Beider Schmerz löste sich in einer Thränenfluth.

»Ach, und die verstümmelte Leiche ist Joseph, der Kutscher des Herrn Vereichen!«

»Ja, der arme Junge; setz die Laterne hin,« sagte der Mann, »faß den Verwundeten bei den Beinen, wir wollen ihn in das Wärterhäuschen tragen, auf unser Bett legen, seine Wunde waschen und ihn laben. Ich bin halb todt vor Schrecken, aber die Noth gebietet, wir müssen uns stark halten. Bezwing’ deine Thränen und geh voraus, Marianne, längs der Schienen. Strauchle nicht, jede Bewegung könnte ihm Schmerzen machen. Wie muß er leiden, der Arme!«

Sie legten den Notar auf ihr Bett, zündeten eine Lampe an und begannen weinend und wehklagend, ihm die Wunde am Kopf zu waschen; aber was sie auch versuchen mochten, sie konnten das Blut nicht stillen, das immer von Neuem hervorquoll.

Die Angst des Bahnwärters wuchs bei dem Gedanken daß sein Wohlthäter ihm so unter den Händen verbluten möchte.

»Schnell, Marianne, lauf in’s Dorf, liebe Frau, zum Doctor, zum Bürgermeister, schaff Hilfe herbei! Geh nur in den »Elephanten« es ist eben erst zehn Uhr, du wirst da den Doktor und die anderen Herren sicher treffen. Eile dich, wecke die Leute unterwegs, daß sie uns zu Hilfe kommen. Ich springe nur eben zum Wagen, um die Großmutter und die Kinder zu beruhigen.«

Die Frau war schon weit fort: als er diese letzten Worte rief und selbst seitwärts durch die Finsterniß eilte.

Er fand die Blinde, Alexander im Arm haltend, zitternd und bleich, dem lieben Gott ihre tödtliche Angst klagend.

»Mutter, sei doch nur ruhig und rege die Kinder nicht zu sehr auf,« sagte er.

Als sie seine Stimme hörte, erhob sie dankend die Hände zum Himmel und rief in großer Freude:

»Jan« Jan« du bist es? Du lebst? Gott sei gepriesen, ich glaubte, daß du todt wärst . . . «

»Stil! Doch, liebe Mutter, ich habe keine Zeit viel zu sprechen,« sagte er. »Sorge nur für die Kinder und mache, daß sie zu Bette bleiben. Uns droht keine Gefahr, es ist ein anderes Unglück geschehen, der Wagen des Herrn Notars ist durch den Schnellzug überfahren worden. Herr Vereichen und sein Kutscher sind schwer verwundet, ich muß eilig zurück, um zu helfen. Daß Niemand aus dem Wagen gehe, ohne meine Erlaubniß!«

Und eiligst kehrte er in das Wärterhäuschen zurück. Der Sturm hatte sich indessen ausgetobt, und wenn es auch noch stark regnete, so sah man doch am fernen Horizonte schon einige Sterne blinken.

Johann Verhelft wußte nicht, was er anfangen sollte um dem Verwundeten zu helfen; das Waschen des Kopfes mit kaltem Wasser hemmte das Blut nicht. Endlich schloß er mit den Fingern die offene Wunde und, hielt sie so dicht geschlossen als möglich.

Nur kurze Zeit blieb er allein; der Doktor, der Bürgermeister und zehn oder zwölf der ersten Einwohner des Dorfes kamen, herangelaufen, Marianne hatte einige davon, im »Elephanten« getroffen, Anderen die böse Nachricht unterwegs verkündet. Viele Leute aus dem Dorfe folgten und das Wärterhäuschen war bald von einer neugierigen und erschreckten Menge eingeschlossen.

Der Arzt war beschäftigt, den Kopf, des Notars zu verbinden und zu untersuchen, ob er noch andere Wunden davongetragen.

Einige Leute hatten die Laterne des Bahnwärters genommen und sammelten die zerstreuten Glieder des Kutschers, um sie auf Befehl des Bürgermeisters nach dem Todtenhause zu tragen. Dabei wurde das schreckliche Unglück beklagt und besprochen, und die Art und Weise erörtert, in der es sich zugetragen. Jeder befragte den Bahnwärter, Alle wollten wissen, wie es denn möglich sei, daß ein Wagen auf die Schienen kommen konnte, wenn die Barriere geschlossen. Er vermochte ihnen darüber keine Aufklärung zu geben und wiederholte nur, daß er seine Pflicht gethan und den Weg abgesperrt habe. Viele schienen ihm zu glauben, die Meisten aber zuckten die Achseln oder schüttelten bedenklich den Kopf.

Vor Allen legte der Bürgermeister ein entschiedenes Mißtrauen an den Tag. Daß Johann Verhelft bisher allgemein für einen braven Mann und pflichtgetreuen Beamten gegolten, wußte er wohl, aber woher kam es denn, daß er und seine Frau jetzt in Thränen schwammen und vor Entsetzen kaum sprechen konnten? Der Notar war ihnen allerdings ein guter Freund gewesen, aber das war doch keine genügende Erklärung, für eine so auffallende Angst, die nur durch ein schuldbeladenes Gewissen, wie der meinte, begreiflich sei.

Da er aber ein vorsichtiger Mann war, sagte er am Schluß seiner Erwägungen:

»Wir wollen die Sache untersuchen, und die Wahrheit wird ohne Zweifel an den Tag kommen; bis dahin muß: man keinen anklagen.«

Und leise für sich fügte er bei:

»Wie kann denn ein Wagen bei geschlossenen Barrieren auf die Bahn kommen? Der Notar wird uns drüber Aufschluß geben sobald er die Sprache wiederfindet.«

Aber der arme Notar lag noch immer besinnnngslos da, nur das Röcheln in seiner Brust verrieth, daß noch Leben in ihm war.

Als der Arzt seine Arbeit vollendet, sagte er, daß es rathsam sei, den Kranken nach seinem Hause zu schaffen. Eine Bahre hatte man nicht bei der Hand, der Bahnwärter aber, der ungeachtet seiner Betrübniß den Kopf oben behielt, hob die Thür des Wärterhäuschens ans ihren Angeln.

»Hier ist eine Bahre,« sagte er, »legt Herrn Vereichen in meinen Kissen darauf und tragt ihn sorgfältig nach Haus.«

Sein Rath wurde befolgt . . . Eben wollte man den traurigen Heimweg beginnen, als Friedrich, der älteste Sohn des Verunglückten, plötzlich herzugelaufen kam, neben der Bahre nieder-kniete und so schmerzlich zu weinen begann, daß viele der Anwesenden die Thränen nicht zurückhalten konnten.

Nachdem der erste Schmerz ausgelebt und er einigen Trost gefunden in der Ueberzeugung, daß sein armer Vater noch lebe; sprang der junge Mann auf und rief, drohend die Faust gegen den Bahnwärter erhebend:

»Ihr, ihr allein seid Schuld an diesem entsetzlichen Unglück! Träger nachlässiger Mensch, warum hattet ihr die Barrieren nicht rechtzeitig geschlossen? Wir haben Euch immer nur Gutes erzeigt . . . Das ist nun unser Dank! Wenn mein Vater stirbt, so seid ihr es, der ihn ermordet hat!«

»Herr Friedrich, ich verzeihe ihnen diese ungerechte Beschuldigung,« antwortete Johann Verhelft, tief betrübt doch ruhig. »Ich verstehe ihre Verzweiflung, der Schmerz macht sie blind. Ich habe meine Pflicht gethan, mein Gewissen ist rein, ihr großes Unglück dauert mich unaussprechlich, aber ihr Verdacht kränkt mich nicht.«

Einige Freunde hatten den jungen Herrn Vereichen auf die Seite gezogen und suchten ihn zu beruhigen. Inzwischen wurde die Tragbahre von zehn kräftigen Männern aufgehoben und vorsichtig fortgebracht.

»Sie müssen uns folgen, Johann Verhelft, um auf dem Rathhause ihre Erklärungen abzugeben,« sagte der Bürgermeister.

Unmöglich, das darf ich nicht,« erwiderte der Bahnwärter. »In einer Stunde kommt ein Güterzug vorbei, da muß ich auf meinem Posten sein.«

»Ich befehle es, im Namen des Gesetzes!«

 

»Herr Bürgermeister, ich will ihnen gern gehorchen,« sagte der Bahnwärter, »wenn sie hier vor Zeugen die Verantwortlichkeit von Allem, was geschehen mag, auf sich nehmen, andernfalls aber muß ich mich weigern mitzugehn.«

Der Bürgermeister sann eine Weile nach.

»Es ist richtig die Bahn darf nicht unbewacht sein. Wir wollen die Sache morgen zu Protokoll nehmen und von Ihnen unterzeichnen lassen.«

Er wandte sich dann zu dem neben ihm stehenden Feldwächter und flüsterte diesem in’s Ohr:

»Sie gehn augenblicklich nach der Stadt und setzen den Staatsanwalt von dem hier geschehenen in Kenntniß.«

»Zu Befehl, Herr Bürgermeister,« sagte der Mann und verschwand.

Der Bürgermeister und die versammelte Menge folgten jetzt dem traurigen Zuge, der den verwundeten Notar zu seiner Wohnung geleitete.

»Komm, Marianne, sei guten Muthes,« sagte der Bahnwärter zu seiner Frau. »Geh nun zu den Kindern in den Waggon und weine nicht länger, das macht die Sache nicht anders. Wir sind nicht schuld an dem traurigen Vorfall, das muß uns erheben über den Verdacht der Leute. Ich kann nicht mit dir hineingehn, denn ich muß die Bahn noch eine weite Strecke untersuchen, um mich zu überzeugen, daß nichts auf den Schienen liegt.«

Er führte seine bekümmerte Frau zu dem Waggon und begab sich dann, die Laterne in der Hand, zur Bahn zurück. Wohl hatte er Ursache, die Untersuchung mit Umsicht auszuführen, denn an verschiedenen Stellen fand er Stücke des zertrümmerten Fahrzeugs quer über den Schienen liegen.

Es dauerte lange, ehe er die volle Ueberzeugung gewann, daß Alles wieder in Ordnung. Aber auch dann kehrte er noch nicht zu seiner Frau zurück; mit gekreuzten Armen stand er, neben der Bahn und erwog in der Einsamkeit die ganze Sachlage und die Folgen, die für ihn daraus entstehen konnten.

Wie er auch gegen Angst und Schrecken ankämpfen mochte, der Kopf sank ihm endlich auf die Brust und ein schmerzlicher Seufzer entfuhr ihm.

Er war so glücklich auf seinem niedrigen Posten! Um ihn herum wuchsen so fröhlich die Früchte seiner Arbeit! Hier fand sein Sohn Alexander eine gute Schule; hier lebte er mit seinen Kindern ohne Noth und Sorgen. Sollte er das Alles jetzt verlieren? Würde die Direction der Eisenbahn seiner Rechtfertigung wohl Glauben schenken? Ach, es kostete dem Schreiber des Bureaus nur einige Federstriche, um einen armen Beamten abzusetzen und ins tiefste Elend zu stürzen.

Wohl suchte er einigen Trost zu finden in dem Gedanken, daß man nicht so leichtfertig zu Werke gehn würde, wo es sich um die Existenz eines Familienvaters handelt, der sein Leben gewagt und eine Hand verloren hatte, um einen Mitmenschen dem sichern Tode zu entreißen, . . . aber wer konnte es dennoch wissen? Und wenn er wirklich abgesetzt würde? Er, mit seiner einen Hand, konnte nicht arbeiten, was sollte da aus seiner blinden Mutter, aus seinen armen Kindern werden? Betteln? sollten sie betteln müssen? Sein guter Sohn Alexander sollte die Hand ausstrecken? Großer Gott!

Müden, wankenden Schrittes ging der gequälte Mann auf den Wagon zu, indem er sich selbst Muth einzureden versuchte. Durfte er doch die Angst, die ihn centnerschwer belastete, nicht seiner Frau noch seiner blinden, Mutter mittheilen. Es war seine Pflicht, sich aufrecht zu halten und ruhig zu scheinen, denn wenn er ihnen sagte, daß er fürchte seine Stelle zu verlieren, würden sie den Wagen mit ihren Wehklagen erfüllen und so, vielleicht ohne Grund, sich selbst quälen und den Schlaf der Kinder stören.

Mit diesem Entschluß kletterte er die Stufen hinan und löschte seine Laterne aus.

II

Die ersten Strahlen der Morgensonne fanden den Bahnwärter und seine Frau gesenkten Hauptes, bewegungslos und schweigend im Waggon sitzen. Während der Nacht hatten sie mit gedämpfter Stimme so lange und so viel über den traurigen Vorfall gesprochen, daß sie sich nun einander nichts mehr zu sagen wußten. Beide sahen sehr gedrückt und niedergeschlagen aus.

Johann Verhelft hielt die Augen geschlossen und that als ob er schliefe, um den ängstlichen Fragen zu entgehen, mit welchen seine Frau ihre schmerzlichen Bedenken erneuern wollte.

Endlich stand er auf und verließ den Wagen, um, wie er sagte, die Bahn noch einmal zu untersuchen und den Morgenzug abzuwarten.

Er begann die Trümmer des Fahrzeugs nach der Hecke zu auf einen Haufen zu werfen, und arbeitete lange mit seiner Schaufel, um den Boden zu ebnen und alle Spuren der Unordnung, sowie die schrecklichen Blutflecken, verschwinden zu machen.

Allmählig kamen viele Dorfbewohner zur Stelle, neugierig betrachteten sie das todte Pferd und überhäuften den Bahnwärter mit Fragen, die er alle nur in derselben Weise beantworten konnte.

Der Schreiber des Notars, der sich ebenfalls einstellte, sagte ihm, daß sein Herr noch lebe, aber eben so besinnungslos daläge wie gestern Abend. Der Arzt fände den Zustand indessen nicht hoffnungslos, glaube im Gegentheil, daß er genesen würde, da die Kopfwunde nicht von einem Schädelbruch begleitet sei.

Der Schreiber, welcher ein guter Freund des Bahnwärters war, drückte ihm die vollste Ueberzeugung seiner Unschuld aus, und jener wurde durch diesen Beweis des Vertrauens und durch die gute Nachricht in Betreff, des Kranken ungemein getröstet und beruhigt, so daß er mit erleichtertem Herzen den Worten seines Freundes lauschte, der ihm sagte, daß er durchaus nichts zu fürchten habe und der Verdacht der Leute nur vorübergehend sein würde.

Jetzt erst fühlte er sich ermuthigt, nach dem Waggon zurückzugehen und seinen Kindern guten Morgen zu sagen. Er bekämpfte hier, so gut er konnte, die Befürchtungen seiner Frau und seiner Mutter und es gelang ihm endlich sie Glauben zu machen, daß der Vorfall für ihn keine üblen Folgen haben würde.

So verging ein Theil des Morgens; zwei Züge waren bereits vorüber gefahren. Johann war eben wieder in den Wagen gekommen, um seine tröstlichen Versicherungen zu wiederholen, als er plötzlich von Außen laut seinen Namen rufen hörte.

Ueberrascht sprang er, von seiner erschreckten Familie gefolgt, die Stufen hinunter und blickte suchend umher.

Wie erbleichte er da! Wie durchschnitten die Angstrufe der Kinder ihm das Herz!

Gensdarmen sah er, und fremde Herren; sie standen auf der Bahn, sichtlich beschäftigt, den Platz, an dem das Unglück geschehn, in Augenschein zu nehmen.

Dann trat der Feldwächter auf ihn zu und sagte, daß ein Richter und der Stellvertreter des königlichen Staatsanwalts ihn in das Wärterhäuschen rufen ließen, um seine Aussagen zu hören.

Der arme Bahnwärter vermochte kaum die Augen von den Gensdarmen abzuwenden. Waren sie seinetwegen da? Um ihn abzuholen? Sollte er nach dem Gefängniß? Unmöglich! er hatte ja doch nichts verbrochen!

Erst als der Feldwächter zum zweiten Male den Befehl des Richters wiederholte, trat er mit schwerem Herzen in das Wärterhaus.

Hier saßen an dem kleinen Tische der Richter, der stellvertretende Staatsanwalt und der Protokollführer, während Johann Verhelft halb todt vor Scham und Schrecken zwischen zwei Gensdarmen vor ihnen stand, wie ein Missethäter, der sein Urtheil erwartet.

»Ihr Name und Vorname! Wann und wo sind sie geboren?« fragte der Richter.

Aber der Bahnwärter mußte ihn nicht verstanden haben; er erhob die Arme und rief, die feuchten Augen zum Himmel gerichtet:

»O Gott, beschirme meine arme Frau, meine blinde Mutter und meine lieben Kinder! Sie werden vergehen vor Schrecken!«

Und wirklich erklangen von draußen die herzzerreißenden Wehklagen seiner Familie, so laut und anhaltend, daß man im Wärterhause einander nicht verstehn konnte.

»Gensdarm,« gebot der Richter, »geht und sagt dem Feldwächter, daß er die Leute von dem Wärterhaus entferne, nöthigenfalls mit Gewalt. Wir machen ihn für jede Störung der Untersuchung verantwortlich.«

Man hörte noch einen schneidenden Nothschrei, dann wurde es still. Der Brust des Bahnwärters entrang sich ein dumpfer Seufzer, als er im Geiste seine weinende Frau und die jammernden Kinder von dem groben Feldwächter vertrieben sah.

Die Untersuchung konnte jetzt ohne Störung fortgesetzt werden. Der Bahnwärter nannte seinen Namen, Geburtsort und Beruf. Dann sagte der Richter:

»Johann Verhelft, sie stehn im Verdacht der fahrlässigen Tödtung. Sie haben versäumt bei der Durchfahrt des Schnellzuges die Barrieren zu schließen. Durch diese nichtswürdige Nachlässigkeit haben sie den Tod eines, vielleicht zweier Menschen verursacht. Bekennen sie sich dessen schuldig?«

»Ach, Herr Richter, glauben sie mir, ich bin unschuldig,« rief der Mann, »die Barrieren waren geschlossen, wie es sich gehört!«

»Wie können sie denn erklären, was sich gestern Abend hier zugetragen hat?«

»Erklären kann ich es nicht, andere Menschen zu verdächtigen . . . «

»So? Also sie haben Jemanden in Verdacht, daß er die Barrieren wieder geöffnet?«

»Nein, Herr Richter, . . . und doch müssen sie geöffnet worden sein.«

»Oder offen gelassen durch Versäumniß. Erzählen sie genau, was sie von der Sache wissen.«

»Es war einige Minuten vor zehn Uhr. Der Schnellzug mußte vorbeikommen. Es blitzte, hagelte und stürmte so arg, daß man kaum noch die Augen öffnen konnte. Ich nahm meine Laterne, schloß sorgfältig die Barierren hier an meinem Wärterhäuschen, und ging dann seinen Bogenschuß weiter zu dem zweiten Wege, um auch dort meine Pflicht zu thun und der Gewohnheit gemäß mich aufzustellen und den Zug passieren zu lassen. Ich gestehe, daß ich von einem hellen Blitzstrahl geblendet, die Augen schloß. Da flog der Zug vorüber. Ein ungewohntes Geräusch, ein fremdartiges Krachen erregte aus der Ferne meine Aufmerksamkeit, ich lief daran zu und fand ein todtes Pferd und zertrümmertes Fahrzeug auf der Bahn liegen. Auf mein Hilferufen kam meine Frau; nach einigem Suchen entdeckten wir zu unserm großen Schrecken, zuerst die verstümmelte Leiche des Kutschers, und dann, nicht weit von der Hecke, den schwer verletzten Notar. Anders kann ich den Herren nichts sagen, denn anders weiß ich nichts.«

Diese einfache und klare Aussage schien dem Richter nicht zu genügen; er begann dem Bahnwärter allerlei verfängliche Fragen vorzulegen und ließ ihn wohl zehnmal seine Erzählung wiederholen, ohne Zweifel in der Hoffnung, daß er sich widersprechen und so seine Schuld verrathen würde.

Durch das lange Verhör gepeinigt, war Johann Verhelft blaß wie eine Leiche geworden, und der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. Dennoch blieb er genau bei seiner ersten Aussage und sagte kein einziges Wort, das dem gegen ihn gehegten Verdacht neue Nahrung gegeben hätte.

Der Richter war ein alter Mann, ergraut in der Ausübung seines lästigen Amtes. Zwischen ihm und dem Herrn Vereichen hatte seit Jahren eine nahe Freundschaft bestanden und nicht selten kam der Richter mit seiner Familie während der Sommermonate einige Tage nach Bolderhout, zum Besuche seines Freundes. Vielleicht stand dieser letzte Umstand zu seiner auffallenden Strenge in einiger Verbindung. Wie dem auch sei, er setzte seine Untersuchung rückhaltlos fort, währen der den gequälten Mann mit seinen Blicken zu durchbohren schien und ihm kaum Zeit ließ zu athmen, obwohl der stellvertretende Staatsanwalt ihm heimlich einige Nachsicht einzureden versuchte.

Dieser, ein viel jüngerer Mann als der Richter, schien nicht abgeneigt, an die Unschuld des armen Bahnwärters zu glauben. Seine einfachen Worte, seine stille Ergebenheit, sein offenes Gesicht, Alles trug den Stempel der Wahrheit. Vielleicht hatten auch die bitteren Klagen und herzzerreißenden Nothrufe von des Bahnwärters Kindern das Mitleiden des Herrn erregt. Er verbarg sein Wohlwollen für den Angeklagten durchaus nicht, mehr als einmal hatte er ihn getröstet und ermuthigt, indem er ihm sagte, daß er sich durch die strenge Untersuchung nicht dürfe erschrecken lassen, und daß, wenn er unschuldig sei, er nichts zu fürchten und auszuhalten habe als diese peinlichen Formen, die auch in seinem Interesse, durchaus nothwendig seien, um die Wahrheit unbestreitbar festzustellen.

Eben seht wandte er sich wieder an den Richter und rieth ihm, die Untersuchung vorläufig einzustellen,da ja keine Aussicht vorhanden, von dem bestürzten Mann noch weitere Einzelheiten zu erfahren.

Der Richter schien von der Schuld des Angeklagten überzeugt, denn nur mit Widerstreben und mit einem unwilligen Schütteln des Kopfes folgte er dem Vorschlag seines Collegen.

Sich nochmals dem Bahnwärter zuwendend, sagte er:

»Johann Verhelft, ich frage Sie zum letzten Mal; haben Sie ihren Erklärungen über den Unglücksfall nichts zuzufügen? Nichts daran zu ändern?«

»Gar nichts,« versicherte der ermattete und gequälte Mann kaum hörbar.

 

»Gut denn; Sie werden dieses Protokoll mit uns unterzeichnen, und dann folgen Sie den Gensdarmen in die Stadt. Im Gefängniß werden Sie den Ausspruch des Gerichtshofes erwarten.«

Das Wort »Gefängniß« traf den Bahnwärter wie ein elektrischer Schlag und weckte gewaltsam in ihm das Gefühl seiner Unschuld. Er erhob den Kopf, nahm eine stolze Haltung an und betrachtete den Richter mit flammenden Blicken.

»In’s Gefängniß soll ich? in’s Loch? ich, Johann Verhelft?« rief er. »Ich, der ich mein Leben gewagt und ein Glied verloren aus Aufopferung? Und schuldlos? Nein, nein, das ist unmöglich! In’s Gefängniß, wie ein Dieb und Mörder? Wissen Sie denn nicht, daß ich Frau und Kinder, daß ich eine alte, blinde Mutter habe? . . . Und wer soll denn in meiner Abwesenheit die Bahn beaufsichtigen? «

»Dafür ist schon gesorgt.«

»Nein, o nein, nach dem Gefängniß gehe ich nicht, tödten Sie mich lieber zu ihren Füßen!«

»Wenn Sie Gewalt erleiden, so messen Sie sich selbst die Schuld daran bei,« sagte der Richter kalt, indem er gleichzeitig den Gensdarmen mit den Augen ein Zeichen gab.

Diese holten sofort einen starken Strick hervor, entwirrten ihn langsam und gaben deutlich zu verstehn, daß sie den Bahnwärter binden würden, falls er sich weigern gutwillig dem Gebote Folge zu leisten.

Bei dieser schrecklichen Drohung sprang er zurück und ballte seine einzige Faust, bereit zu einem für ihn hoffnungslosen Ringen.

Jetzt aber trat der Staatsanwaltsgehilfe aus ihn zu und machte ihm mit begütigenden Worten begreiflich, daß aller Widerstand nutzlos, und daß er, der behaupte, um schuldig zu sein, sich dadurch eines strafbaren Vergehens schuldig mache. Die vorläufige Gefangenschaft wurde nur dauern, bis die Untersuchung beendet sei und wenn sich daraus ergäbe, daß er die Barrieren wirklich geschlossen, dann würde ihm die Freiheit sofort zurückgegeben und seine Ehre hergestellt werden.

Durch diese tröstenden Worte ließ der Bahnwärter sich bedeuten; was ihn noch von ruhiger Erduldung in sein Schicksal zurückschreckte war der Gedanke, daß seine Frau und Kinder bei der schrecklichen Nachricht vor Schmerz und Scham verzweifeln würden.