Vier Pfoten und drei Koffer

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Boxenstopp in der Eifel

Was Hoover bereits als Kleiner gelernt hat, nachdem er ein paar Mal zu übermütig war und umgehend wieder ins Auto zurückgekrempelt wurde: Das Signal, herausspringen zu dürfen, ist nicht die geöffnete Wagentür, auch nicht das befreiende Klicken des Hunde-Sicherheitsgurts, sondern erst das Kommando »Jetzt komm!«. Er hält sich dieses Mal bravourös daran, obwohl er enorm aufgeregt ist. »Deswegen also«, scheint sein Blick zu sagen. »Wegen dieses Parkplatzes mit dem Wäldchen links und dem noch kleineren rechts vom Auto! Deshalb sind wir so früh aufgestanden, so viel gefahren! Hier machen wir Urlaub!«

Er scheint nicht sonderlich wählerisch zu sein, springt erst vor Freude an mir hoch, dann ein paar Mal mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft – um sich schließlich zu erinnern, was ihm vor einem Moment noch so wichtig war: Er macht erst mal einen See an den erstbesten fast entlaubten Haselnussstrauch und ist gleich danach kaum zu halten. So spannend findet er es hier, so viele neue Gerüche scheint er aufzusaugen, einzusammeln geradezu.

Ob ich mich auch so freuen würde, wenn ich Hund wäre? Wenn ich zweieinhalb Jahre alt wäre? Die Welt entdecken wollte? Und nicht wüsste, dass es schönere Ziele als einen rappeligen und an diesem Dezember-Sonntagmorgen fast geisterhaft leeren Autobahnrastplatz an der A1 gibt? Wenn ich nicht wüsste, dass wir noch 1800 Kilometer vor uns haben und der Sonne und dem Frühling entgegen reisen wollen? In ein Ferienhaus hoch über einem Orangenhain, von der Veranda aus mit Blick aufs drei Kilometer Luftlinie entfernte Meer, auf diesen breiten blauen Streifen da am Horizont direkt unterhalb des Himmels? In ein Häuschen mit Pool in einer Sackgasse am Rande der Wildnis, wo man weit und breit eher eine Schafherde trifft als einen Trucker mit halb offener Hose auf dem Weg zum Rastplatz-Klo? Ich beschließe, mich mit Hoover zu freuen: über ihn, übers Beinevertreten, aufs Frühstück und zwei Becher Tee aus der Thermoskanne. Und auf die Weiterfahrt, auf nach und nach wärmere Temperaturen, auf den Duft der Provence am späten Nachmittag, den Seewind im Süden des Languedoc-Rousillon am Abend. Und auf Spanien!

Er ist immer noch ganz euphorisch, scheint sich mit noch mehr Glückssprüngen und mit sehr herzlich gemeinten Anschlabber-Attacken für die Auswahl dieses tollen Ferien-Rastplatzes bedanken zu wollen und schaut zwischendurch nur kurz etwas irritiert, als ein Motorrad im Vorbeirasen eine Fehlzündung verursacht. »Der Hund ist schussfest«, würde es im immer etwas seltsamen Jäger-Jargon heißen und nicht etwa meinen, dass er kugelabweisend wäre, leider, sondern dass er sich nicht erschrickt, wenn es knallt.

Zwei im Akkord leer getrunkene Wassernäpfe und eine nachgeholte Hundsmahlzeit später kann Hoover sein Schicksal nicht fassen. »Was denn?«, sagt der Blick, als ich ihm das Korsett für den Sicherheitsgurt wieder umlege. »Doch nicht hier Urlaub machen, wo so viele Hunde ihre Nachrichten ins von Raureif überzogene Gras geschrieben haben und es noch so viel zu erschnuppern gibt? Haben wir womöglich ein noch tolleres Ziel?« Kurz überlegt er, dann lässt er sich darauf ein, dass ich das in unser beider Sinne entschieden haben werde, und springt wieder in den Wagen. Wir setzen Kurs Richtung Luxemburg.

Hund ohne Handy

Wie gut, dass es auch in Luxemburg Tankstellen gibt. Und dass Tankstellen Toiletten haben, denn wer zwei Becher Tee trinkt oder zwei Näpfe leer schlabbert, kommt nicht allzu viel weiter. Kaum hundert Kilometer, und dann gibt es keine Wahl. Erst hat Hoover auf einem Grünstreifen Druck abgelassen, dann bin ich auf dem Tankstellenklo dran – und bedauere das erste Mal, dass Hunde keine Handys haben. Sonst hätte ich ihn angerufen und gebeten, im Kassenhäuschen eine eilig hingebellte Nachricht loszuwerden: dass die verdammte Tür des Mini-Waschraums zwar mit Hilfe des mit Draht an einer leeren Öldose befestigten Schlüssels zu öffnen war, aber in Gegenrichtung ziemlich wenig geht. Der Türdrücker klemmt, will nicht mehr nach unten gehen, und mit dem Schlüssel ist dabei auch nichts zu wollen. Ich sitze im Waschraum der Tankstelle fest, mit Tür zur Straße statt zum Kassenbereich mit den Süßigkeits- und Zeitschriftenregalen.

So bleibt mir nur, erst zu rütteln, zu zerren, zu drücken, noch mal in aller Ruhe, dann wieder die etwas gröbere Variante. Nichts geht.

Ich versuche es schließlich mit osteopathischen Techniken: hier ein gewisser Druck mit dem Knie gegen den Rahmen, dann mit der Hand den Drücker erst versuchsweise leicht anheben. Das klappt! Nun herunterdrücken, mit der anderen Hand im selben Moment gegen den Beschlag stemmen. Das gelingt auch – und prompt fällt die Tür auf. Endlich! Zum Glück!

Und auf der Weiterfahrt male ich mir aus, wie Hoover mit einem Mobiltelefon umginge. Wahrscheinlich wäre es eher ein Smartphone in iPad-Größe. Mit ausreichend Fläche eben, um mit der rechten Vorderpfote Tasten zu drücken und zu wischen. Ob er SMS-Mitteilungen oder WhatsApp-Nachrichten an andere Hunde schriebe? Ob man auf Tastendruck vielleicht sogar vorprogrammierte Kläff-Tonfolgen verschicken könnte? Manchmal mache ich mir solche absurden Gedanken, weil ich mich an den slapstickhaften Bildern erfreue, die dann vor meinem inneren Auge entstehen.

Hoover jedenfalls hat weder von meinem Missgeschick noch meiner Aufregung etwas mitbekommen, wartet seelenruhig auf der Rückbank des Autos auf dem Tankstellenparkplatz und begrüßt mich beim Einsteigen so herzlich wie eh und je bei solchen Gelegenheiten. Ohne sein festgeklicktes Sicherheitsgeschirr wäre er inzwischen über die Schutzabhängung nach vorne geklettert und hätte pflichtbewusst auf dem Fahrersitz Platz genommen – weil einer den Chef bei Abwesenheit ja vertreten und Verantwortung übernehmen muss. Und weil so ein Auto so viele Knöpfe und Hebel und dazu noch ein in der Mitte der linken Hälfte angebrachtes Rad zum Festhalten hat, dass man all das nicht einfach sich selbst überlassen kann, sondern auch bei Stillstand überwachen sollte. Und da Hoover in seiner Wahrnehmung die Position nach dem Chef besetzt und jener Chef sich gerade im Tankstellen-Klo eingesperrt hatte, hätte er übernehmen müssen.

Glücklicherweise müssen wir unsere interne Hackordnung nie neu ausfechten. In der Hundspubertät war das anders. Da hat er durchaus versucht sich emporzuarbeiten und die Akzente zumindest ein wenig zu verschieben. Mehr als einmal. Jetzt gilt die Formel: Er darf viel. Er darf sich auch mal etwas herausnehmen. Er darf mich foppen, er darf frech sein und wir sind super Kumpel. Aber er darf nicht alles. Wenn eine klare Ansage kommt, gilt sie. Sofort. Und dann kommt sie von mir, nicht von ihm. Das weiß er und daran hält er sich. Mit einer Ausnahme.

»Bei Fuß« will er sich partout nicht merken. Für diese blödeste aller Anweisungen hat er zu viel Temperament. Ich bleibe inzwischen einfach stehen, wenn die Leine stramm ist, und sage nichts. Weiter geht es erst, wenn er wieder exakt auf meiner Höhe neben mir steht. Er findet das unfassbar nervig und manövriert dann inzwischen meist im Rückwärtsgang in die geforderte Position. Manchmal stöhnt er dabei. Und mehr als einmal hörte ich Passanten sagen: »Huch, guck mal, ein Hund, der rückwärts gehen kann!« Meistens reagiere ich nicht darauf oder lächele kurz. Denn dieser Hund, der rückwärts gehen kann, ist in meiner Wahrnehmung in solchen Momenten eher einer, der noch immer nicht bei Fuß gehen kann. Oder will. Mehrere groß angelegte Feldversuche jedenfalls haben gezeigt: Die Worte versteht er ganz genau und füllt sie auch richtig. Er will nur nicht. Weil ja fünfzehn Meter weiter vorne gerade etwas Spannendes geschehen könnte und er doch besser schon jetzt genau dort aufgehoben wäre.

Was ganz toll ist: Manchmal scheint er zu fragen, ob er etwas darf. Ob das, was er da gerade im Schilde führt, ausnahmsweise okay ist, obwohl es haarscharf an den Bereich des Verbotenen grenzt. Fällt mir beim Essenzubereiten in der Küche etwas Appetitliches herunter, stürzt Hoover herbei und bremst dreißig Zentimeter vor dem Objekt der Begierde abrupt, um mir direkt ins Gesicht zu schauen. Sage ich »Is’ gut«, dann nimmt er sich, was da unten liegt, ob es ein bisschen Hack (irgendwie akzeptabel, etwas fleischig im Geschmack) oder ein Stück Karotte (großartig und mit besonderer Begeisterung aufgesogen) oder eine einzelne Nudel (in der Konsistenz seltsam; wird deshalb zur näheren Untersuchung abtransportiert) ist. Oder wenn er im Übermut einen Gäste-Schuh abtransportieren will, obwohl das illegal ist: Entweder stoppt er mit den Zähnen millimetergenau oberhalb des Schuhs und luschert mich aus den Augenwinkeln an oder er greift ihn und schaut mich wiederum direkt an, um sich unmittelbar vorm Abtransport zu erkundigen, ob das diesmal nicht vielleicht doch klar geht, weil der Besuch das lustig finden könnte. Sage ich »Is’ gut« oder »Dann lauf«, ist die Freude groß und er entschwindet mit lauter dicht hintereinander gereihten kleinen Bocksprüngen. Kommt aus meinem Mund ein lang gezogenes »Neeeiiinnn« oder ist der Blick über den Rand der Lesebrille streng, lässt er ab von seinem Plan. Das klappt zwischen uns ganz wunderbar.

Diesmal gibt es nichts weiter zu regeln. Ich bin zurück, er sitzt auf der Rückbank. Getrunken hatte er gerade, einen kurzen Spaziergang gemacht auch. Also zurück auf die Autobahn und Start frei zur langen Etappe quer durch Frankreich gen Süden. Mit Tempomat und Hörbuch. Und fast niemandem sonst auf der teuren Maut-Piste. Hoover grunzt einmal kräftig, wirft sich der Länge nach auf die Rückbank und schaltet wieder in den Winterschlafmodus. Sein Vorgänger, ebenfalls ein Flat Coated Retriever, brauchte da hinten mehr Auslauf und gewährte ihn sich auch. Von Welpentagen an ließ er sich über die seitliche Stoffbahn der Sitzabhängung fallen und zog es vor, abwechselnd im Fußraum hinter Fahrer- oder Beifahrersitz oder – der allerbeste Platz – auf dem schutzbedürftigen Sitzpolster direkt unter der Abhängung zu campieren, trotz arg in die Länge gezogenen Hunde-Sicherheitsgurts. Er hatte da seine Tricks und Techniken.

 

Hoovers selbst auferlegte Beschränkung auf die offizielle Liegefläche gab mir die Chance, das Auto für die vielen Wochen umso voller zu laden und auch in den beiden Fußräumen noch Unterlagen, Bücher, originalverpackte Kauknochen und einen Extra-Sack der vertrauten Trockenfuttersorte zu transportieren.

Erst der Geruch meiner Bifi irgendwo knapp südlich von Dijon weckt ihn kurzfristig auf und ein immer schwerer werdender Hundekopf auf meiner Schulter signalisiert, dass davon doch mindestens ein paar Zentimeter schon grundsätzlich vom Hersteller für ihn speziell oder wenigstens für mitreisende Hunde im Allgemeinen vorgesehen sein müssen. Trotzdem esse ich die Mini-Salami alleine auf und reiche ersatzweise einen Kauknochen nach hinten durch. Davon ist jeder Zentimeter bereits ab Werk für Hoover und seinesgleichen gedacht.

Der Mineralwasser-Test

Das Nachbarland zieht in immer gleichem Tempo an uns vorbei und es kommt, wie es kommen sollte: Langsam wird es wärmer, grüner, südlicher. Die Form der Bäume wandelt sich. Auf der Höhe von Lyon und auf vielen Hundert Kilometern danach sind sie plötzlich kleiner und vom Wind geformt, landeinwärts gebogen. Viele sehen aus, als hätte man sie falsch herum eingepflanzt. Mit der Wurzel nach oben. Es sind vom Mistral modellierte Pinien. Neben ihnen wachsen einigermaßen flexible Zypressen, die immer dann kerzengerade dastehen, wenn es mal windstill ist, und sich bei Sturm um sechzig Grad zur Seite biegen können, ohne zu brechen oder irgendwann in dieser Position zu verharren. Die Luft wird milder, es riecht auch schon nach Süden. Und mancherorts reichen die Weinstöcke jetzt bis fast an die Autobahn heran.

Hoover befindet sich weiterhin im Winterschlafmodus, kaum dass der Wagen gleichmäßig rollt. Wann immer eine Autobahngebühr zu bezahlen ist, setzt er sich anfangs kurz auf, weil der Wagen plötzlich steht und die Fensterscheibe an der Maut-Station für einen Moment elektrisch herunterfährt. Beim dritten Mal interessiert ihn das nicht mehr sonderlich. Er hat registriert, dass der Vorgang weder mit Angekommensein noch mit einem tollen Spaziergang zu tun hat. Auch bei den Boxenstopps ist er nicht mehr ganz so euphorisch wie beim ersten Mal, als wollte er lieber erst mal abwarten, ob das nun wirklich das Ziel ist. Dabei ist es genau genommen ja gar nicht schlimm, sich zu früh zu freuen. Eigentlich gilt das grundsätzlich im Leben. Denn das bedeutet nur, dass man sich einmal mehr freut. Jedenfalls so lange die vielen kleinen (Vor-)Freuden nicht mit Enttäuschungen verbunden sind.

Irgendwann sind seine reichlich bemessenen mitgeführten Wasservorräte erschöpft – ausgerechnet auf einem kleinen südfranzösischen Rastplatz ohne Zapfhahn, irgendwann in der Abenddämmerung. Es bleibt nur, Hoover etwas von meinem Mineralwasser in den Trinknapf zu füllen. Mit Kohlensäure. Leider. Und kaum, dass die Zunge mit den ersten Blubberblasen dieses höchst seltsamen und irgendwie angriffslustigen Wassers in Berührung kommt, macht er einen rasanten Satz rückwärts, zur Sicherheit mit allen Vieren gleichzeitig. Und in derselben Sekunde bellt er ein einziges Mal lautstark und tieftönig auf.

Jetzt schaut er aus anderthalb Meter Sicherheitsabstand auf seinen Trinknapf, der aussieht wie immer. Wie das ganze bisherige Hundeleben lang, als das Wasser noch nicht diesen seltsamen Blubb hatte. Er schleicht sich an, duckt sich dabei, schnüffelt hörbar. Und wagt erneut, zum Trinken anzusetzen. Dreimal wiederholt sich das Spiel mit dem Satz rückwärts und dem einzelnen Beller. Im Laufe der Zeit scheint er Spaß an dem Experiment zu finden, steckt die Nase ins Wasser, atmet dabei aus, macht noch mehr Blasen, springt wieder und ruft dabei etwas, das kaum anders klingt als ein menschliches »Huch!« oder »Hach!«. Und am Ende trinkt er doch – zwei große Schlucke, dann macht er wieder diesen Satz und gleich danach noch zwei Sprünge. Und wäre nicht selbst die Laufleine auf acht Meter limitiert, es kämen noch ein paar Sätze hinzu.

Er entscheidet sich für ein Tänzchen, springt auf den Napf zu, bellt, knurrt, schubst das Blech-Behältnis mit der Pfote. Erst einmal, dann immer resoluter. Er haut auf den Rand, springt wieder zurück und mit dem nächsten Satz wirft er die Schale um – um dann versuchsweise aufzulecken, was längst im Sandboden des südfranzösischen Rastplatzes versickert. Was für ein unerwartetes Abenteuer! Aber irgendwie ist es nicht sein Lieblingsgetränk, dieses Blubberblasenwasser. 150 Kilometer müssen wir beide noch ausharren, dann sind wir im Zwischenübernachtungs-Hotel. Mit Wasserhahn, mit Restaurant, mit Garage sogar. Und mit Bett.

Bett mit Gebühr

Hoovers Vorgänger durfte zuhause anfangs nicht ins Bett – und anderswo sowieso nicht. Bis meine damalige Freundin ihn einlud und ich feststellte, dass diese Nähe nicht nur ganz natürlich, sondern auch Ausdruck von Vertrauen ist. Und dass mein Hund kein Hofhund, sondern ein Haushund war. So ein besonderer wie Hoover. Mit ganz besonderer Bindung.

Hoover durfte schon als ganz kleiner Welpe ins Bett, als ans aktive Zusteigen noch nicht zu denken war und er noch hereingehoben werden musste. Das hatte auf Anhieb Vorteile, weil er dort anders als in seinem Körbchen richtig gut schlief und nur noch halb so oft mitten in der Nacht in den Garten musste. Und weil es bei Hunden nicht anders ist als bei Kindern: Je mehr davon nach und nach ins Rennen gehen, desto großzügiger wird man in der Erziehung.

Trotzdem gilt diese Regel: Er steigt als letzter zu und auch dann erst auf das Kommando »Jetzt komm«, nie auf eigenen voreiligen Beschluss. Und erst recht nicht alleine. Ohne Mensch auf der Pritsche ist das Bett tabu für den Hund.

Bei seinem ersten Hotelaufenthalt nach einem langen Fahrtag in der Nähe von Perpignan sieht er das plötzlich ganz anders. Von den zwei Einzelbetten im Hotelzimmer sucht er sich, kaum dass wir den Raum betreten haben, das linke aus, springt drauf, schaut mich ganz kurz an, eher beschließend als fragend. Dann wälzt er sich auf der angejahrten Tagesdecke und strampelt mit allen Vieren in der Luft. Glücklich darüber, dass wir endlich irgendwo angekommen zu sein scheinen, wo wir wenigstens ein bisschen bleiben.

Aus dem Kommando »Runter!« wird in der letzten Millisekunde, bevor ich es ausspreche, ein im Ton ebenso wie inhaltlich wesentlich freundlicher aufgestelltes »Ach, ist ja auch egal«. Und gleich danach: »Schließlich hast Du bezahlt«. Denn tatsächlich hat die Rezeptionistin ein Stockwerk tiefer keine drei Minuten zuvor zehn Euro Aufpreis für den Hund kassiert. Den muss er auch erwohnen dürfen – abwohnen nicht unbedingt, aber erwohnen schon. Selbst in einem derart winzigen Zimmer mit kaum mehr an Ausstattung als diesen zwei Betten und einem Duschbad mit Toilette. Und mit unbegrenzt viel Leitungswasser aus dem Hahn, ganz ohne Blubberblasen.

Das Hotelzimmer verteidigen

Meistens ist es ein Vorteil, wenn das Hotelzimmer nicht direkt ans Treppenhaus oder den Fahrstuhl grenzt. Vor allem dann ist das sinnvoll, wenn diesseits der mit dunkelblauem Kunststoff in mäßigem Schick furnierten Spanplatte mit dem Plastikgriff, die hier als Zimmertür fungiert, nachts ein ausgewachsener Flat Coated Retriever auf dem Bett sitzt und erst tieftönig knurrt, dann sogar ein, zwei sonore Bell-Töne absondert, sobald irgendwer oder irgendetwas draußen auf dem Korridor vorbeischlurft, sich womöglich sogar räuspert, gar spricht oder, ganz fatal, unsere Plastiktür streift!

In diesem Etappenhotel jedenfalls wird der superfriedliche Hoover zum aufmerksamsten Wachhund der Welt, der jedem Hotelflurpassanten sofort und völlig zweifelsfrei signalisiert, dass dies hier für diese Nacht unser Zimmer ist. Dass er hier residiert und nicht gedenkt, eine Sekunde unaufmerksam zu sein oder in wohl verdienten Tiefschlaf zu verfallen. Denn er ist hier, um Herrchen und unser Hab und Gut – insbesondere die Tüte mit den abgepackten Reiseportionen seines Futters – zu bewachen. Und er ist hier, um sicherzustellen, dass wir unsere Weiterreise morgen früh mit sämtlichen Habseligkeiten einschließlich Plüsch-Tintenfisch der zweiten Generation und Stoffente antreten werden. Und natürlich mit meinen paar Sachen. Um den größten Hundsurlaub aller Zeiten anzutreten und ein Ziel anzusteuern, das noch toller sein muss als der beste Autobahnrastplatz in der Eifel. Obwohl ich wohlweislich um ein Zimmer an Ende des Korridors gebeten und auch eines der hintersten Quartiere zugeteilt bekommen hatte, gibt es offenbar noch weiter hinten an der Fluchttreppe Kammern. Jedenfalls ist auf dem Flur im Laufe der Nacht ganz schön was los. Mal sind es bloß Schritte, dann klingt es so, als zöge jemand eine ganze Flottille Rollkoffer hinter sich her und rempele nebenbei mit einem Rucksack immer wieder gegen die Wände.

Hoover springt vom Bett, baut sich direkt hinter der Zimmertür auf und lässt Geräusche erklingen, von denen ich bis dahin nicht wusste, dass er sie irgendwo in der Tiefe seiner Kehle erzeugen kann. Und dass er es will. Irgendwie bin ich gerührt, rolle mich aus dem Bett, schlurfe die zweieinhalb Schritte bis zu ihm, lobe und streichele ihn. Sofort wedelt er wie wild, will mich abschlabbern, um gleich darauf den Kopf schief zu halten, konzentriert zu horchen und noch mal zu knurren.

Später in der Nacht scheint jemand mit Hund ein- oder auszuchecken. Und das Exemplar wefft zwei-, dreimal im Flur. Wieder ist Hoover sofort hellwach und antwortet, halb in einem Tonfall, der nach »Hier ist Verstärkung, sag Bescheid, wenn Du Hilfe brauchst« klingt. Und zur anderen Hälfte schwingt mit: »Meine Tür. Mein Zimmer. Mein Herrchen. Meine Entensammlung. Weitergehen ist sicherer.« Ich muss schmunzeln. Und endlich ist nichts mehr. Wir schlafen für den Rest der Nacht tief und fest. Ich erhole mich von den Strapazen der Fahrt und all der Konzentration hinterm Steuer, Hoover erholt sich vom Kräfte zehrenden Schlafen auf der Rückbank während des langen Fahrttages. Bis von irgendwoher ein Hahn kräht, ich die Gardine aufziehe, draußen ein paar Pinien und Zypressen im Vordergrund und die Ausläufer der Pyrenäen im Hintergrund sehe. Ich öffne das Fenster, rieche den Süden. Und Hoover springt an der Fensterbank hoch, schaut ebenfalls und bläst die Nasenflügel richtig auf. Was er einatmet: Frühlingsluft, während zuhause gerade Schnee fällt.