Ostfriesland verstehen

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2.
Ubbo, Hermine, Amke und Eske

Namensgebung

Die Geschäftsführerin der Kunsthalle Emden, Eske Nannen, zitiert aus einem Bericht des Handelsblattes über sie, sie kleide sich dezent, schminke sich kaum und trage wenig Schmuck. Ihr Kommentar dazu: „Richtig! Denn mich kleidet und schmückt schon ein außergewöhnlicher Vorname” (Nannen 2009, 5). Manche ostfriesischen Vornamen klingen allerdings seltsam. Sie haben eine sehr alte Tradition und am Namen „Otto Waalkes” lässt sich z.B. ablesen, dass ein Vorfahr mit Vornamen „Waalke” hieß. Heute scheinen friesisch-ostfriesische Namen eine Renaissance zu erleben.

Wie die Ostfriesen_innen heißen

Pupt und Koert,

Ulpt und Loert,

Jibbe, Jabbe,

Hibbe, Habbe,

Wieland, Focke

Geike, Ocke,

Koob und Sweert,

Jann und Gerd,

reimte einst ein unbekannter Dichter (zit. n. Raveling 1972, 101). „Pupt” würde heute sicherlich niemand sein Kind mehr nennen. Auch schien es lange Zeit aus der Mode zu sein, Kindern ostfriesische Vornamen zu geben. Schon 1960/62 war die Zahl der so benannten Mädchen gegenüber 1900/02 von 40% auf 11% gesunken. Bei den Jungen allerdings war der Anteil mit 25% gegenüber 27% fast gleich geblieben. Gegenwärtig scheinen ostfriesische Vornamen wieder modern zu werden. In der Ostfriesen-Zeitung fand ich 2012 u.a. folgende Namen von Neugeborenen und deren Geschwistern:

Mädchen:

Aljet Heike van Lengen, Amke Lotte Broers, Anneke Löffler, Eske Marie Renken, Etje Freese, Evke Oltmanns, Fenja Gerdes, Fenna Ammermann, Fenka Talea de Vries, Fentje Ütrecht, Freda Peters, Geske Frieda Tillmann, Greta Noormann, Henrike Sandersfeld, Hilka Anna Schulte, Imke Goesmann, Jana Marie Bohlen, Jantje Brunken, Jella Ammermann, Lena Thida-Hirske Ennen, Leni Ennen, Levke Schwers, Meena Alrun, Rieka van Ohlen, Rieke Abbas, Stina Lührs, Swantje Preik, Talea Johanne Wenke, Tabea Richter, Tida Boekhoff, Weeda Kempen.

Jungen:

Amke Nehls (auch Mädchenname), Enno Jarne Zantopp, Hajo Schumacher, Gerke Albert Otto, Hanno Ockenga, Heinke Sandersfeld, Hilko Cramer, Immo Manßen, Ihno Iben, Jan-Hinnerk Cramer, Jelte Folkert Brückmann, Jenke Habbe Sap, Jonte Stegemann, Joost Meeno Specker, Jonne Christians, Keno Sander Voss, Luke Eikhoff, Magnus Dirks, Jenske Roelfsema, Tamme Oltmanns, Tammo Ulfers, Teelke Noosten, Thade Lutz Nannen, Thede Krischer, Tjabbe Kempen, Tjard Warring, Tjark Meyer, Tedje Dirk Kempen, Tomke Mooy, Wiebtje Kempen.

Meinem Eindruck nach erhalten auch heute mehr Jungen als Mädchen einen ostfriesischen Vornamen. Dabei benennen selbst Eltern, die keinen ostfriesischen Vor- oder Nachnamen tragen, ihre Kinder ostfriesisch.

Die Entstehung der ostfriesischen Namen

Entstanden sind die ostfriesischen Namen aus friesischen und germanischen. (Im Folgenden beziehe ich mich auf das wunderbare Buch von Manno Peters Tammena.) Die friesischen und germanischen Namen waren mehrgliedrig und für den Alltagsgebrauch zu kompliziert. So wurde z.B. aus Hathubert (Had-bert) Habbe. Koseformen kamen hinzu, und aus Habbe wurde Habke. Die Endung „-je” bei den Mädchennamen ist ebenfalls eine solche Koseform. Darüber hinaus gab es immer wieder Modenamen und Modernisierungen alter Namen. Ab dem 17. Jahrhundert gewannen z.B. biblische und Heiligennamen an Bedeutung. So ist der in Ostfriesland häufig vorkommende Name „Johann” (mit den Abwandlungen Jan, Jann, Joke, Hans) kein friesisch-ostfriesischer Name, sondern geht auf den biblischen Namen Johannes zurück. Um 1600 hieß in einigen Gegenden sogar jeder Fünfte Johann o.ä. (ebd., 58ff.). Später kamen Romanisierungen durch das Anhängen von „-us” bei Jungen- und „-ine”/”-ina” bei Mädchennamen hinzu. Dabei wurde häufig falsch betont. Eine Jacob-ina wurde z.B. Jaco-bina gerufen. Hieraus entwickelten sich wieder eigenständige Endungen, neben „-ina” z.B. „-lina/e”, „-mina”, „-sina”, und „-tina”. Übernommen wurde zudem die französische Endung „-ette” (häufig auch in der Form von „-etta”). Schließlich verwandten die Ostfriesen_innen obendrein das hochdeutsche „-chen”, z.B.: Gretchen. Diese Moden wirken bis heute nach und immer wieder treten neue hinzu. Von den ostfriesischen Vornamen werden aktuell kurze bevorzugt. Die folgende Aufzählung enthält die Namen älterer Ostfriesen_innen, die ich zumeist Todesanzeigen entnommen habe. Aber es befinden sich auch Namen von Jubilaren_innen und einiger sehr lebendiger Schulfreundinnen darunter.

Frauen:

Aelsina Swyter, Amke Fecht, Alma Voskamp, Dine Eilers, Eikea Janssen, Folma de Vries, Foolke Schoon, Frauke Herlyn, Gerhardine Heyen, Gertjedine Paulsen, Geskea Frerichs, Gretchen Schweer, Harmina Spekker, Hermine Friedrichs, Hilkea Hayen, Hinrika Buss, Jannette Looden, Linchen Bents, Menna Memmen, Metta Habben, Seidine Groenhoff, Swantje Ubben, Tatje Wilhelmine Wilken, Theda Görtemaker, Tjaardine Trump, Trientje Ruiter, Trinette Severins, Wendeline Ebbenga, Wilhelmine Dirks, Wübkeline Meyer, Untjeline Oltmanns, Volma Henning.

Männer:

Bertus Röskens, Djürko Ulferts, Enne Harken, Enno Mensen, Focko Ockenga, Frerich Bruns Janssen, Follrich Duin, Geradus Jansen, Göke Harken, Habbe Janssen, Habbo Tammena, Hans Eilerts de Vries, Harm Foorden, Hinderk Kalkwarf, Hopko Bloem, Ibbo Ibben, Jaap Berghuis, Jacobus Timker, Jan-Enno Bents, Juriono Heinrich Bohlen, Klaas Jaspers, Magnus Heyen, Meindert Hirronymus, Menno Poelders, Nanno Abben, Okko Duin, Onno Reents, Remmer Ulfert Lüken, Ubbe Ubben, Wenno Kuhr, Wübbo Watermann, Ulpt van Wahden.

Gerhardine, Harmina, Janette und Gretchen tauchen ebenso auf wie Geradus und Jacobus. Bei einigen Männernamen ist zudem die oben bereits erwähnte Besonderheit der ostfriesischen Namensgebung zu entdecken: Frerich Bruns Janssen war aller Wahrscheinlichkeit nach der Sohn eines Brun und Hans Eilerts de Vries der Sohn eines Eilert. Familiennamen wurden in Ostfriesland erst unter Napoleon eingeführt; durchgesetzt haben sie sich letztlich 1874 mit der Einführung von Standesämtern. Bis dahin hieß der erstgeborene Sohn von „Brun Frerichs” „Frerich Bruns” und dessen Erstgeborener wieder „Brun Frerichs”. Wie die Beispiele zeigen, war diese Tradition noch Anfang des 20sten Jahrhunderts lebendig, nur dass jetzt der eigentliche ostfriesische Nachname nur noch als Zwischenname erscheint. Diese Tradition erklärt zudem, warum es in Ostfriesland so viele Menschen mit dem Nachnamen Janssen/Janßen gibt: Da sehr viele Männer um 1874 Johann/Jan oder ähnlich hießen, wurden deren Söhne bei den Standesämtern als „Sohn von Jan” („Jans Söhn”) eingetragen. In der Samtgemeinde Brookmerland heißt noch heute jede_r Siebzehnte Janssen oder Janßen (Tammena 2009, 109). Die Herkunft aus väterlichen Vornamen ist bei vielen ostfriesischen Nachnamen unverkennbar: Sanders, Christians, Oltmans, Gerdes, Ulferts, Frerichs, Friedrichs, Bunjes, Engelkes, Eilts, Lührs, Dirks, Bents, Reents, Waalkes usw.

3.
Filmemacher_innen, Nobelpreisträger und …

Bekannte Persönlichkeiten

„Die Sachsen, vornehmlich die Ostfriesen, hatten von jeher mehr Kultur als die südlicheren Deutschen” (Johann Wolfgang Goethe: Unterhaltungen mit dem Kanzler Fr. von Müller).

Sicherlich meinte Goethe neben den „schönen Künsten” auch den Deichbau und die Landgewinnung, schließlich war er nicht nur Dichter, sondern auch Naturwissenschaftler. Im Laufe der Geschichte hat Ostfriesland eine beachtliche Reihe namhafter Persönlichkeiten hervorgebracht[11]:

Ludolf Backhuysen

(auch: Backhuizen, Bakhuizen; *1631 Emden, †1708 Amsterdam), Maler des niederländischen Realismus

Backhuysen wuchs als Sohn eines Notars in Emden auf, ging 1650 als Handlungsgehilfe nach Amsterdam, nahm dort aber schon ein Jahr später Malunterricht. Bekannt ist er vor allem als Marinemaler und galt zeitweilig als der bedeutendste der Niederlande. Zu besichtigen sind seine Werke u.a. im Louvre (Paris), Rijksmuseum (Amsterdam) sowie in der Gemäldegalerie Dresden und natürlich in Emden: Ostfriesisches Landesmuseum, Johannes à Lasco-Bibliothek und Kunsthalle.

Karl Dall

(*1941 Emden), Komiker

Dalls Vater war Schulleiter und die Mutter Lehrerin. Er jedoch verließ in der 10. Klasse die Realschule und absolvierte eine Lehre als Schriftsetzer bei der Druckerei Rautenberg in Leer. In Leer lernte er Peter Ehlebrecht kennen. Dall, Ehlebrecht, Ingo Insterburg und Jürgen Barz gründeten 1967 die Gruppe „Insterburg & Co.”, eine in den 1970er Jahren legendäre Komiker-Band. In den 1980er Jahren wirkte Dall in verschiedenen Filmen als Schauspieler mit und trat in zahlreichen, teils eigenen Fernsehshows auf: Verstehen Sie Spaß? Dall As, Jux und Dallerei, Koffer Hoffer, Karl Dall Show und Retro Show. Seit Herbst 2012 steht er mit dem Ein-Mann-Stück „Der Opa” auf der Bühne. Daneben spielt er in der ZDF-Serie „Hafenkante” den Vater einer Polizistin. Dall wohnt in Hamburg. Bis vor wenigen Jahren noch hatte er einen Zweitwohnsitz in Ostfriesland: die Mühle in Möhlenwarf.

Ubbo Emmius

(*1547 Greetsiel, †1625 Groningen), Gründungsrektor der Universität Groningen (NL)

Emmius war der Sohn eines evangelisch-reformierten Pastors. Er studierte in Rostock und Genf Theologie und wurde zunächst Lehrer und später Rektor der Lateinschule Norden (heute: Ulrichsgymnasium). Wahrscheinlich aus religiösen Gründen wechselte er später nach Leer (heute: Ubbo-Emmius-Gymnasium). 1614 wurde er als Professor für Geschichte und griechische Literatur an die Universität Groningen (Niederlande) berufen. Bekannt sind vor allem seine sechzigbändige Geschichte Ostfrieslands und die von ihm gezeichnete Ostfrieslandkarte. Er gilt als Streiter für die „Friesische Freiheit”; u.a. sprach er dem Haus Cirksena das Recht auf Alleinherrschaft ab.

 

Rudolf Eucken

(*1846 Aurich, †1926 Jena), Literaturnobelpreisträger 1908

Eucken war der Sohn eines Postmeisters. Er studierte Philosophie, klassische Sprachen und Geschichte in Göttingen und Berlin. Zunächst wurde er Gymnasiallehrer in Husum, Berlin und Frankfurt a.M. 1871 erhielt er eine Professur für Philosophie und Pädagogik an der Universität Basel, 1874 wechselte er an die Universität Jena. Nachdem er den Literaturnobelpreis erhalten hatte, folgten Gastprofessuren in England, den USA und den Niederlanden. 1916 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Jena verliehen.

Johann Fabricius

(*8.1.1587 Resthafe, †1616/7 Dresden), entdeckte neben Galilei, Harriot und Scheiner die Sonnenflecken

Fabricius entstammt einer Pastorenfamilie. Er studierte in Helmstedt und Wittenberg (wahrscheinlich Philosophie) und in Leiden in den Niederlanden Medizin. Auch sein Vater hatte sich der Astronomie und Wetterkunde verschrieben und stand u.a. mit Johannes Keppler in Kontakt. Vermutlich brachte Fabricius aus Leiden ein Fernrohr mit und konnte damit die Sonnenflecken genauer beschreiben, die schon sein Vater meinte gesehen zu haben. Wahrscheinlich ist er nicht der Erstentdecker (man streitet sich um Tage), aber von ihm stammt die erste schriftliche Abhandlung zu diesem Thema.

Recha Freier, geb. Schweitzer

(*1892 Norden, †1984 Jerusalem), Gründerin der „Kinder- und Jugend-Alijah

Freier war die Tochter eines Lehrerehepaars. Ihre Mutter unterrichtete Französisch und Englisch, ihr Vater an einer jüdisch-orthodoxen Volksschule. Schon als Kleinkind musste sie erleben, dass sich in Norden „Hunde und Juden” nicht in öffentlichen Parks aufhalten durften. 1897 zog ihre Familie nach Niederschlesien. Nach dem Abitur in Breslau studierte sie dort und in München Pädagogik und Volkskunde und unterrichtete an höheren Schulen. 1919 heiratete sie den Rabbiner Moritz Freier, mit dem sie zunächst nach Sofia und anschließend nach Berlin ging, wo ihr Mann eine Stelle als Oberrabbiner antrat. Bereits 1932 organisierte sie Transporte für jüdische Jugendliche nach Palästina. 1933 gründete sie die „Kinder- und Jugend-Alijah”, die tausende jüdische Kinder nach Palästina schickte und ihnen so das Leben rettete. 1940[12] wurde sie wegen ihrer nicht immer ganz „korrekten” Methoden und wohl auch wegen Konflikten mit der Leiterin des Jerusalemer Büros aus der Organisation ausgeschlossen. Sie wurde denunziert und floh zunächst nach Zagreb, von wo aus sie weiteren 120 Kindern das Leben rettete. Über Istanbul und Syrien erreichte sie 1941 Palästina und gründete dort ein Kinderkibbuz sowie eine Stiftung zur Unterstützung von Komponisten_innen. Außerdem setzte sie ihr schriftstellerisches Werk fort. 1954 schlug niemand Geringeres als Albert Einstein sie für den Friedensnobelpreis vor.

Hermine Heusler-Edenhuizen

(*1872 Pewsum, †1955 Berlin), erste examinierte Frauenärztin in Deutschland

Heusler-Edenhuizens Vater war Landarzt in Pewsum; ihre Mutter verstarb früh. Da Mädchen in Ostfriesland damals noch kein Abitur machen konnten, ging sie 1894 nach Berlin und besuchte die von der Frauenrechtlerin Helene Lange geleiteten „Gymnasialkurse für Frauen”. Sie studierte in Berlin, Zürich, Halle und Bonn. Als Frau musste sie bei jedem einzelnen Professor um die Genehmigung zur Teilnahme an den Vorlesungen bitten. Sie bestand ihr Staatsexamen mit „sehr gut” und die Doktorprüfung mit „summa cum laude” und war die erste Frau, die an der Universitätsklinik Bonn eine besoldete Assistentenstelle erhielt. 1909 ging sie wieder nach Berlin und betrieb dort eine Praxis. Sie war Gründungsvorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes.

Minnie Marx, geb. Miene Schönberg

(*1865 Dornum, †1929 New York City), Mutter und Managerin der Marx Brothers

Marx war die Tochter eines fahrenden Unterhaltungskünstlerpaares. 1879 emigrierte die Familie nach New York City / USA. 1885 heiratete sie Samuel Marx (Simon Marrix) und bekam sechs Kinder. Selbst nicht allzu erfolgreich im Showbusiness, förderte sie ihre Kinder und wurde deren Managerin. Die Familie zog zeitweilig z.B. nach Chicago, weil dort die angeseheneren Varietétheater zu finden waren. Marx produzierte nicht nur die Nummern ihrer Söhne, sondern auch die weiterer Künstler_innen und wurde die erste weibliche Produzentin Chicagos. Damit ihre Söhne nicht in den Krieg mussten, kaufte sie eine Farm im damals noch weitgehend unerschlossenen Bundesstaat Illonis. 1924 traten ihre Söhne das erste Mal am Broadway auf. 1929, ein halbes Jahr nach der Premiere des ersten Films der Söhne („The Coconuts”) starb sie an einem Schlaganfall.[13]

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt

(*1942 Leerhafe), Sportmediziner

Müller-Wohlfahrt wuchs in einer Pastorenfamilie in Leerhafe auf. Nach dem Abitur in Jever studierte er Medizin und wurde Assistenzarzt am Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin, wo er die Facharztprüfung für Orthopädie ablegte und promovierte. Zunächst betreute er die Fußballer von Hertha BSC und von 1977 bis 2008 (mit kurzer Unterbrechung) die des FC Bayern München. Seit 1995 ist er Mannschaftsarzt der Deutschen Nationalelf. 2008 eröffnete er in München eine große Praxis, veröffentlicht Ratgeber und vertreibt Nahrungsergänzungsmittel.

Henri Nannen

(*1913 Emden, †1996 Hannover), Begründer u.a. der Zeitschrift Stern und (zusammen mit seiner späteren Frau Eske) der Kunsthalle Emden

Nannens Vater war Polizeibeamter. Nannen machte zunächst eine Buchhändlerlehre und studierte anschließend Kunstgeschichte in München. Dort sammelte er erste journalistische Erfahrungen. Während des zweiten Weltkrieges war er Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie. 1946 gründete er die Tageszeitung „Neue Hannoversche Presse Neueste Nachrichten” und war anschließend Chefredakteur der „Hannoverschen Abendpost”. 1948 gründete er die Illustrierte „Stern”. Er verkaufte seine Anteile zwar bereits 1951, blieb aber bis 1980 Chefredakteur. 1983 schenkte er seine Kunstsammlung der Stadt Emden und baute mit Hilfe von Spenden die 1986 eröffnete Kunsthalle. 1986 erhielt er die Ehrenbürgerschaft der Stadt Emden.

Eske Nannen, geb. Nagel

(*1942 Emden), Geschäftsführerin der Kunsthalle Emden

Schon ihre Eltern, Besitzer einer Fabrik für Heringsfässer, waren mit der Familie Nannen freundschaftlich verbunden. Sie machte zunächst eine Lehre als Industriekauffrau im elterlichen Betrieb. Nach verschiedenen Stationen kehrte sie 1982 in ihre Geburtsstadt zurück und gründete 1983 als Vorstand des Kunstvereins „Ludolf-Backhuysen-Gesellschaft” eine Malschule, die sich zur größten Jugendkunstschule Niedersachsens entwickelte. Im gleichen Jahr entstand die „Stiftung Henry Nannen”; Eske Ebert engagierte sich beim Bau der Kunsthalle, heiratete 1990 Henry Nannen und ist bis heute Geschäftsführerin der Kunsthalle. Sie gilt als geniale Fundraiserin und wirkte entscheidend bei den Erweiterungsbauten mit.

Ernst Pagels

(*1913 Lübeck, †2007 Leer), Staudenzüchter

Pagels führte seine Gärtnerei seit 1949 in Leer auf einem Grundstück eines Onkels. Er gilt neben seinem Lehrmeister Karl Förster als bedeutendster Staudenzüchter Deutschlands. 1986 erhielt er die Georg-Arends-Gedächnismedaille, die höchste Auszeichnung des deutschen Gartenbaus. Etwa 70 verschiedene von Pagels gezüchtete Stauden und Gräser sind gegenwärtig im Handel erhältlich. Zu besichtigen ist in Leer der von Pagels entworfene Inselgarten. Auf dem Gelände seiner früheren Gärtnerei betreibt der „Freundeskreis Ernst-Pagels-Garten” heute einen öffentlich zugänglichen „Bürgergarten”. Zu Pagels 100stem Geburtstag 2013 hat der niederländische Gartenarchitekt Piet Oudolf dort ein Staudenbeet gestaltet. Oudolf war mit Pagels befreundet. Nicht zuletzt durch ihn findet man Pagels-Züchtungen heute an prominenten Stellen, bspw. auf einer stillgelegten Hochbahn in New York City, und im Lurie-Park in Chicago gibt es große Flächen mit Salvia Nemorosa „Ostfriesland”. Wer es kleiner mag: Am Berliner Kurfürstendamm, Bushaltestelle „Olivaer Platz”, haben Gartenbau-Studierende ein Beet mit Pagels-Pflanzen gestaltet.

Wolfgang Petersen

(*1941 Emden), Filmemacher

Petersen ist der Sohn eines Marineoffiziers. Er lebte allerdings nur wenige Jahre während seiner Kindheit in Emden. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft in Berlin und Hamburg sowie an der Film- und Fernsehakademie Berlin wurde er u.a. durch mehrere Tatort-Folgen populär. Zu seinen bekanntesten Filmen gehören „Das Boot” und „Air Force One”. Er ist u.a. Träger des Deutschen Filmpreises, des Adolf-Grimme-Preises und des Bambi. Er wurde mehrfach für den Oskar nominiert und lebt in Los Angeles/USA.

Johann Christian Reil

(*1759 Rhaude, †1813 Halle/Saale), Mediziner

Reil war Sohn eines Rhauder Pastoren. Er gilt als Begründer der modernen Psychiatrie und Neurologie. Sein Studium absolvierte er in Göttingen und Halle. Anschließend arbeitete er einige Jahre als Arzt in Norden. 1787 berief ihn die Universität Halle auf eine Professur, 1793 wurde er in die Wissenschaftsakademie Leopoldina aufgenommen und 1809 in die Bayerische Akademie der Wissenschaften. Rufe auf Professuren der Universitäten Göttingen und Freiburg lehnte er ab, beteiligte sich aber am Aufbau der neuen Berliner Universität, nahm dort eine Professur an und wurde zum ersten Dekan der Charité gewählt. Dabei behielt er sich vor, weiterhin im Sommer als Badearzt in Halle arbeiten zu dürfen. Dort behandelte er u.a. Johann Wolfgang Goethe. Mit dem Vorspiel „Was wir bringen” widmete Goethe ihm einen Nachruf. (Da Goethe Ostfriesland nie bereist hat, dürfte seine Einschätzung der ostfriesischen Kultur nicht zuletzt auf Gesprächen mit Reil fußen.[14])

Ernst Reuter

(*1889 Appenrade, †1953 Berlin), Regierender Bürgermeister von Berlin 1948-1953

Reuter kam als Dreijähriger nach Leer; sein Vater übernahm die Leitung der Steuermannsklasse der Leeraner Seefahrtsschule. Nach dem Abitur am Ubbo-Emmius-Gymnasium studierte er Geschichte, Germanistik und Geographie in Marburg, München und Münster. In München kam er mit sozialdemokratischem Gedankengut in Kontakt und entschloss sich für eine berufliche Tätigkeit in der Arbeiterbewegung. Dies bedeutete gleichzeitig den Bruch mit dem konservativ-religiösen Leeraner Elternhaus. Nach vielen Stationen als Wanderredner der Arbeiterbewegung, russischer Kriegsgefangener, Volkskommissar der Wolgadeutschen und KPD-Funktionär wandte sich Reuter der USPD und nach deren Spaltung der SPD zu. Er wurde Stadtrat für Verkehr in Berlin und danach Oberbürgermeister von Magdeburg sowie Reichtagsabgeordneter. 1933 wurde Reuter mehrfach verhaftet. Er kam nur durch Intervention der Briten frei und emigrierte in die Türkei. 1946 erhielt Reuter die Genehmigung, wieder nach Deutschland einzureisen und wurde in Berlin erneut Stadtrat für Verkehr und Versorgungsbetriebe. In dieser unmittelbaren Nachkriegszeit engagierte er sich besonders für die Versorgung der Berliner_innen und dafür, dass die Westmächte die Stadt nicht aufgaben. 1948 löste sich der Berliner Magistrat in einer von der SED gelenkten außerordentlichen Stadtverordnetenversammlung auf. Anschließend wählte die Bevölkerung der Westsektoren eine neue Stadtverordnetenversammlung und Ernst Reuter wurde Oberbürgermeister.

Helma Sanders-Brahms

(*1940 Emden), Filmemacherin

Sanders-Brahms studierte an der Schauspielschule in Hannover und später Germanistik und Anglistik in Köln. Zunächst wurde sie Fernsehansagerin und Model. Im Anschluss an ein Praktikum in Italien, wo sie u.a. mit Pier Paolo Pasolini zusammenarbeitete, begann sie mit eigenen Filmproduktionen. Zu ihren Werken zählen u.a.: „Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt” (1969/70), „Shirins Hochzeit” (1975/76) und „Deutschland, bleiche Mutter” (1979/80). Ihr bislang letzter Film ist „Geliebte Clara” (2007/08). Sanders-Brahms ist Chevalier des französischen Ordre des Arts et des Lettres und Mitglied der Akademie der Künste, Berlin.

Wilhelmine Siefkes

(*1890 Leer, †1984 Leer), Schriftstellerin

Siefkes ist die „grande dame” der ostfriesischen Literatur. Sie entstammt einer Leeraner Bauernfamilie, wobei ihr Vater wegen eines Unfalls den Beruf schon früh aufgeben musste. Nach dem Abitur wurde sie zunächst Lehrerin in Jemgum und später in Leer. Hierdurch fand sie Zugang zur plattdeutschen Sprache und erlebte die materielle Not der Arbeiter_innen. Nach dem ersten Weltkrieg wandte sie sich sozialdemokratischen Ideen zu und engagierte sich in der sozialdemokratischen Partei und der Arbeiterwohlfahrt. 1933 wurde sie aus dem Schuldienst entlassen und erhielt Schreibverbot. Dennoch schrieb sie unter Pseudonym weiter. 1940 erhielt sie für ihr anonym eingereichtes plattdeutsches Manuskript „Kerlke” den Herman Fehrs-Preis. Das Manuskript durfte trotz des Schreibverbots veröffentlicht werden, da eine Nicht-Veröffentlichung Aufsehen erregt hätte. Sie lebte mit Louis Thelemann zusammen, einem Leeraner Gewerkschaftsführer, der 1944 in das KZ Neuengamme eingewiesen wurde. (Später war Thelemann Bürgermeister der Stadt Leer und Mitglied des Landtages.) Siefkes wurde aufgrund ihres Gesundheitszustandes vom Schuldienst beurlaubt. In den folgenden Jahrzehnten schrieb sie zahlreiche Werke und war in vielen Verbänden aktiv.

 

Klaus Störtebeker

(*um 1360, †vermutlich 1401), Pirat

Störtebeker soll zeitweilig in Marienhafe beheimatet gewesen sein. An ihn erinnert der dortige Störtebekertum, wo er sich aufgehalten haben soll. Die These ist mittlerweile umstritten. Belegt ist jedoch, dass die ostfriesischen Hafenstädte zur Verärgerung der Hanse den Seeräubern Unterschlupf gewährten.

Otto Waalkes

(*1948 Emden), Komiker

Waalkes ist der Sohn eines Malermeisters und wuchs im Emder Arbeiterviertel Transvaal auf. Nach dem Abitur studierte er kurzzeitig Kunstpädagogik an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg – einen Studienplatz in Freier Malerei hatte man ihm verwehrt. Um sein Studium zu finanzieren, trat er als Musiker in kleineren Clubs auf, wobei seine Witze besser angekommen sein sollen als seine Musik. 1972 erschien seine erste LP, die sich gleich 500.000-mal verkaufte. Seine erste Fernsehshow „Otto Show” brachte 1973 Einschaltquoten von bis zu 15%. Es folgten weitere, ebenso erfolgreiche Fernsehshows und LPs. Ab den 1980er Jahren wandte sich Waalkes verstärkt dem Film zu. „7 Zwerge – Männer allein im Wald” (2004) hatte allein in den ersten eineinhalb Jahren drei Millionen Besucher_innen. Sein bislang letzter Film „Otto’s Eleven” kam 2010 in die Kinos. Waalkes lebt in Hamburg. In Emden unterhält er das „Otto Huus”, wo Exponate aus der Anfangszeit seines Schaffens zu besichtigen sind und Fanartikel verkauft werden.

Alois Wobben

(* 1952 Rastdorf/Emsland), Erfinder und Unternehmer

Nach einer Lehre als Elektromaschinenbauer studierte Wobben Elektrotechnik an der Fachhochschule Osnabrück und später an der Technischen Universität Braunschweig, wo er auch einige Jahre als Assistent tätig war. Bereits 1975 entwickelte er mit seinem Studienfreund Meinhard Remmers die erste Windenergieanlage. 1984 gründete er in Aurich die Firma „Enercon”. Zunächst produzierte man in einer Garage. Heute arbeitet die Firma weltweit, hat ihren Stammsitz aber nach wie vor in Aurich. In Deutschland werden 60% der durch Windkraft erzeugten Energie mithilfe von Enercon-Anlagen gewonnen; weltweit sind es 7%.[15] Das Unternehmen befindet sich nach wie vor in Familienbesitz.

Die Auswahl der hier aufgeführten Personen ist sicherlich durch persönliche Wahrnehmung geprägt. Auch Massenmedien spielen eine große Rolle, „sortieren” sie doch, was wahrgenommen wird und was nicht. Zudem geraten die Leistungen vieler Menschen häufig in Vergessenheit, sobald sie beruflich nicht mehr aktiv sind. Nur ältere Leser_innen werden sich z.B. noch an Heiko Engelkes erinnern (*1933 in Norden, †2008 in Köln), ARD-Korrespondent und zweiter Chefredakteur der Tagesschau). Auch der Name Reinhold Robbe (*1954 in Bunde, Wehrbeauftragter des Bundestages 1995-2010) dürfte vielen schon entfallen sein. Backhuyzen, Emmius, Reil und Pagels werden auch in 200 Jahren noch Weltruhm haben. Ob die anderen dann aber noch jemand kennt? Andersherum betrachtet: Vor zweihundert Jahren wird es möglicherweise auch Ostfriesen_innen gegeben haben, die damals eine wesentliche Rolle spielten, an deren Namen sich heute aber niemand mehr erinnert. So stieß ich kürzlich zufällig auf Wenzel Anton Graf Kaunitz, der 41 Jahre Staatskanzler Österreichs und einer der wesentlichen Kriegstreiber während des siebenjährigen Krieges (1756-1763) war. Seine Mutter kam aus Ostfriesland. Damals kannte ihn ganz Europa. Manche behaupten sogar, der Krieg habe so lange gedauert, weil Kaunitz sich nach einem Sieg Österreichs die Übereignung der Besitztümer der mütterlichen Familie erhoffte.