Mit Gottvertrauen im Gepäck

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Bitter wirkt Annemarie nicht, wenn sie das erzählt. Auch habe sie keinerlei Groll verspürt, als dann die Jüngere, Margrith, die Sekundarschule habe besuchen dürfen. «Die Umstände liessen es bei ihr einfach zu.» Abends sei dann aber auch noch Zeit gewesen, «uf d’Gass z’gha», wie sie, zu ihrem Bruder Alfons schauend, erzählt. Sie sei oft mit Alfons unterwegs gewesen, im Ausgang in Bremgarten. Und wenn sie zu spät nach Hause kamen, liess der Onkel sie bei sich in die Kammer schlüpfen, damit es die Eltern nicht bemerkten. Manchmal sei sie auch mit einer Freundin am Samstag die fast dreissig Kilometer mit dem Fahrrad nach Zürich gefahren, um im Kleiderladen Feldpausch einzukaufen. 1960 heiratete Annemarie, zog nach Luzern und bekam vier Kinder. Später führte sie zusammen mit ihrem Mann ein Elektrogeschäft in Dottikon.

Ich frage: «Nach wem kommt denn Sr. Gaudentia?» Wie aus der Pistole geschossen, antworten alle: «Nach der Mutter.» Beide hätten gerne bestimmt, wo es langging, sagt Annemarie, die von sich selbst sagt, sie sei eher der Vater. «Die Mutter mochte es gar nicht, wenn man ihr widersprach. Und Margrith hatte schon immer ihren eigenen Kopf.» Deshalb war ihre Beziehung zur Mutter früher nicht unbedingt eng. «Wir sind uns aber später, als ich im Spital arbeitete, sehr nahegekommen», sagt Sr. Gaudentia. «Sie hat sich stark für meine Erlebnisse in Papua-Neuguinea interessiert. Einmal, als ich ihr erzählte, wie bescheiden, oft ärmlich, die Menschen dort leben, hat sie nachdenklich gesagt, das sei bei ihr früher gar nicht so anders gewesen.» Anna Sennrich hatte ihre Mutter früh verloren und wurde danach in verschiedenen Familien untergebracht. Nicht überall war man gut zu ihr.

Man könne die acht Geschwister leicht in zwei Gruppen einteilen, sagt José: in Vater-Kinder und in Mutter-Kinder. «Die Mutter-Kinder kamen besser mit dem Vater aus, die Vater-Kinder mit der Mutter.» Annemarie nickt.

Im Laufe dieses Gesprächs in Hertenstein entsteht das Bild einer Kindheit und Jugend, in der es in erster Linie darum ging, dass die Gemeinschaft, eben die Familie, über die Runden kam. Individuelle Bedürfnisse fanden nur dann Platz, wenn sie dieses Gefüge nicht störten. So war das Leben damals wohl in vielen Bauernfamilien. «Wir haben viel voneinander gelernt», sagt Sr. Gaudentia zum Schluss. Alfons fügt hinzu: «Aber wir mussten uns immer nach oben orientieren, um mit den anderen mithalten zu können.»

«Ich werde Krankenschwester»

Sr. Gaudentia erzählt: «Als ich 14- oder 15-jährig war, dachte ich immerfort darüber nach, was ich nach der Schule machen sollte. Das plagte mich, ich wusste einfach nicht, was aus mir werden sollte. Dann, im letzten Schuljahr, hatte ich eine Blinddarmentzündung und musste ins Spital. Da besuchte mich meine Handarbeitslehrerin, und als sie so bei mir am Bett sass, sagte sie plötzlich: ‹Du würdest eigentlich eine gute Krankenschwester abgeben.› Von da an war für mich absolut klar, dass ich Krankenschwester werden wollte. Ich arbeitete danach noch in einer Bäckerei im Nachbardorf, was mir durchaus zusagte. Ich backe heute noch gern. Und dort interessierte sich auch ein junger Mann für mich, der sympathisch war. Aber das alles war für mich zweitrangig. Ich wich keinen Augenblick von meinem Ziel ab: Ich will Krankenschwester werden.»

Allerdings musste man damals 19 Jahre alt sein, um die Ausbildung zur Krankenpflegerin beginnen zu können. Deshalb ging sie, wie das damals häufig der Fall war, für ein Jahr ins Welschland, um Französisch zu lernen. Sie fand eine Anstellung in einem Kinderheim, etwas ausserhalb von Genf. Gut Französisch habe sie aber nicht gelernt, weil sie sich mit einem Mädchen aus Zürich angefreundet habe. «Es hat mir trotzdem sehr gut gefallen», sagt sie. Nach einem Jahr hätte sie eigentlich heimkehren sollen, damit ihre ältere Schwester ihr Welschlandjahr hätte antreten können. Weil diese nicht wollte, beschloss sie auf eigene Faust, noch ein Jahr anzuhängen. Annemarie war ihr dabei behilflich, eine neue Stelle zu suchen. Sie wurden schnell fündig: In einem Inserat in der Glückspost suchte eine «Madame» mit zwei erwachsenen Kindern eine junge Frau, die ihr im Haushalt helfen würde.

«Als ich am neuen Ort ankam, sagte sie mir kurz, was ich zu tun hatte, und verschwand dann. Ich war den lieben, langen Tag allein, wusch, bügelte Wäsche und putzte. Ich sah keine Menschenseele. Abends musste ich auch alleine zu Abend essen. Mir war sofort klar, dass ich das nicht wollte. Als die Madame mich nach meinem Heimatschein fragte, um mich anzumelden, gab ich ihr eine ausweichende Antwort. Bereits am nächsten Tag sah ich eine offene Stelle in einer Bäckerei in der Nähe des Bahnhofs Genf. Ich ging hin, die Bäckersfrau war einverstanden, und ich sagte, ich würde gleich morgen beginnen. Dann rief ich Annemarie an und fragte, wie ich mich verhalten solle. Sie riet mir, einen Zettel mit dem Hinweis, ich sei verreist und man solle mich nicht suchen, zu hinterlassen, wenn die Madame aus dem Haus sei. Genau so machte ich es, ich warf den Schlüssel in den Briefkasten und ging. Der neuen Madame in der Bäckerei erzählte ich, dass ich am alten Ort weggelaufen sei. Sie störte das nicht. Und von der ersten Madame hörte ich nichts mehr.»

Die Arbeit in der Bäckerei gefiel ihr, hier hatte sie Kontakt mit Menschen, und die «Herrschaft» war nett und grosszügig. Wenn jeweils am Sonntagnachmittag etwas übrig blieb, durfte sie es mitnehmen. «Ich habe das dann gut verpackt am Sonntagabend mit der Bahnpost heimgeschickt.» Diese Pakete aus Genf waren in Waltenschwil sehr willkommen – auch später, als sie schon im Spital arbeitete, seien vor allem auf der Nachtwache oft Lebensmittel übrig gewesen. «Ich machte, wenn immer möglich, Fresspäckli für José, der damals im Internat in Nuolen war.»

1958 war es dann so weit. Sie konnte mit der Lehre als Krankenpflegerin beginnen. Sie entschied sich für die Pflegerinnenschule in Sursee. Dort unterrichteten Baldegger Schwestern.

1961 bis 1969
Im Kloster
Krankenschwester oder Ordensschwester?

Die Ausbildung zur Krankenpflegerin in Sursee ging unaufgeregt vonstatten. Margrith war eine gute und verlässliche Schwesternschülerin, absolvierte Praktika in Aarau, Olten und Basel und kam an den Wochenenden, wann immer es möglich war, nach Hause, um auf dem Hof zu helfen; am liebsten tat sie das beim Vater, draussen auf dem Feld. Das lag ihr mehr als das Haushalten oder Stricken. Wenn sie zusammen mit Schwester Annemarie für die kleinen Geschwister Pullover, Strumpfhosen oder Socken stricken musste, bekam sie immer die einfachen Arbeiten zugeteilt. «Weil sie so wütend wurde, wenn sie wegen eines Fehlers etwas wieder auftrennen musste», erzählt Annemarie.

Margrith schloss die Lehre ab und arbeitete dann eine Weile im Spital Sursee, um Geld zu verdienen. «Damit ich den Eltern etwas abgeben konnte. Sie hatten ja auch immer gut für mich gesorgt.» Doch mit der Zeit schien ihr dieser Alltag etwas öde. «Ich war jetzt zwar Krankenschwester, aber ich dachte, dass ich mehr aus meinem Leben machen sollte.» Als sie solche Gedanken wälzte, waren Ordensschwestern der Missionsstation in Tansania in Sursee. Sie erzählten von ihrem Leben dort. «Da wusste ich: So etwas möchte ich machen.» Doch dafür müsste sie ins Kloster eintreten.

Sie ging also nicht aus religiösen Gründen ins Kloster? Sr. Gaudentia scheint diese Frage nicht im Geringsten zu irritieren. Sie lacht und sagt: «Ich glaube, ich bin nicht besonders fromm gewesen.» Aber sie habe schon als kleines Mädchen liebend gern in den Missionsheftchen geblättert und gelesen. «Ich habe dann etwas gespürt, das ich heute als Fernweh bezeichnen würde. Ich wusste einfach, dass ich einmal weit weg wollte. Sehr weit weg.» Schon während des Postulats, des Zeitraums, in dem man das Leben in der Ordensgemeinschaft kennenlernt, bevor man sich fest verpflichtet, bewarb sie sich schriftlich für die Mission. Den Geschwistern zu Hause, die bei der Eröffnung, dass sie in einen Orden eintreten werde, zuerst etwas erstaunt waren, sagte sie: «Ich werde keine Betschwester, auch wenn ich im Kloster bin. Ich gehe in die Mission.» Und als der kleine Bruder José nachfragte, wie denn das gehe, in ein Kloster einzutreten und doch keine Betschwester zu sein, antwortete sie: «Ich bete schon gern, aber indem ich etwas tue.»

Die Mutter habe zu ihrem Vorhaben nicht viel gesagt. «Der Vater aber war schon nachdenklich, doch sagte er, ich müsse selbst wissen, was für mich gut sei. Ich habe aber gemerkt, dass es ihn beschäftigte. Und als ich das erste Mal aus dem Kloster heimkam, stellte er mir einen schönen Blumenstrauss ins Zimmer.»

Sie bete schon gern, aber indem sie etwas tue, erklärte Sr. Gaudentia ihrem kleinen Bruder. Besser lässt sich eigentlich kaum für ein Kind übertragen, wozu Kardinal Kurt Koch fünfzig Jahre später in seiner Predigt zur Goldenen Profess in der Institutskirche aufforderte: «Wir sollen unseren Glauben mit dem Leben bezeugen.»

Profess, Hebamme und ein Schicksalsschlag

Sr. Martine Rosenberg war eine der Ordensschwestern, welche mit Sr. Gaudentia Goldene Profess feierte. Die beiden leben also seit über fünfzig Jahren in derselben Gemeinschaft, doch ihre Aufgaben sind grundverschieden. Das begann bereits beim Entscheid, Ordensfrau zu werden. Sr. Gaudentias hauptsächlicher Beweggrund war zweifellos der Wunsch, in die Mission zu gehen. Sr. Martine wurde Klosterfrau, weil sie sich mit grosser innerer Gewissheit dazu berufen fühlte. «Aus Liebe zu Gott und zu den Menschen.» Sie war in einem religiösen, aber auch sehr politischen Umfeld aufgewachsen. Ihr Vater war Generalsekretär der Konservativ-Christlichsozialen Volkspartei (KCV), die sich seit 1970 «Christlichdemokratische Volkspartei» (CVP) nennt. Und er war Bundesstadtredaktor bei der katholischen Luzerner Tageszeitung Vaterland. Sie hatte in Baldegg die Handelsschule besucht und arbeitete danach vier Jahre auf dem Generalsekretariat der KCV in Bern.

 

Sr. Martine wirkt sehr agil, geradezu jugendlich. Sie schaukelt auf ihrem Stuhl, und ihre Hände sind selten ruhig, wenn sie spricht. Sie rückt die fein gefasste Brille zurecht, schiebt sich eine Haarsträhne unter den Schleier oder spielt unbewusst mit dem kleinen Aufnahmegerät, das ich vor sie auf den Tisch gelegt habe, was mich etwas nervös macht. Das registriert sie sofort. Sie schaut mich mit ihren hellen, blauen Augen an, realisiert dann, weshalb ich unruhig geworden bin, und legt das Gerät mit einem entschuldigenden Lächeln hin. Sie habe lange hin und her überlegt, wie sie ihren Eltern am schonendsten beibringen könnte, dass sie ins Kloster eintreten wolle, erzählt sie mit einem fröhlichen Lachen. Schliesslich habe sie gesagt, sie wolle in die Mission. «Das klang für sie weniger verrückt, als wenn ich gesagt hätte, ich wolle ins Kloster.»

Sie trat im November 1961 in Baldegg die Vorbereitung auf das Klosterleben an und traf dort unter anderen auf Sr. Gaudentia. Diese hatte einige Monate zuvor das Postulat begonnen.

Sr. Martine erinnert sich: «Wir waren eine grosse Gruppe von Neulingen, zwei Dutzend von Herkunft, Werdegang und Temperament sehr unterschiedliche junge Frauen. Sr. Gaudentia war darin ein ruhender Pol. Sie wirkte reifer als viele von uns, war immer sachlich, drängte sich nicht in den Vordergrund. Sie redete nicht viel, man hatte nie das Gefühl, sie habe Probleme oder tue sich schwer mit etwas. Sie machte auch nie fromme Sprüche. Gar nicht.»

Am 3. September 1963 legten Sr. Martine und Sr. Gaudentia zusammen mit weiteren 22 jungen Frauen die Profess ab. Damit verbunden ist das Ablegen der Gelübde Armut, Keuschheit und Gehorsam. Sie habe sich gut überlegt, ob sie dem nachkommen könne, sagt Sr. Gaudentia. «Halbe Sachen gibt es da nicht. Armut hat mich nie gestört, solange es für das Nötigste reichte. Nach dem Krieg hatten wir auf unserem Bauernbetrieb nicht viel. Die anderen Leute im Dorf auch nicht. Keuschheit? Da war mir mein Wunsch, in die Mission zu gehen, wichtiger. Kinder mag ich sehr gerne, aber es müssen nicht eigene sein. Am ehesten Mühe hatte ich mit dem Gehorsam. Ich war doch immerhin schon 22 Jahre alt, hatte selbstständig in einem Beruf gearbeitet, und jetzt musste ich mich einem anderen System unterordnen.»

Das Kloster pflegte jeweils mit seinen Schwestern eine Standort- und Berufsplanung zu machen, in der neben deren Begabungen und Wünschen auch die Bedürfnisse der Gemeinschaft ein wichtiger Faktor waren. Sr. Gaudentia entschied sich damals, in Absprache mit der Klosterleitung, sich für eine Zusatzausbildung als Hebamme anzumelden. Sr. Martine holte erst die Handelsmatura nach, danach schloss sie in Freiburg i. Ü. das Studium in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ab. Sie hätte zwar lieber Geschichte und Sprache studiert, erzählt sie. Doch war sie als Lehrerin für die Handelsschule in der klostereigenen Internatsschule Salve Regina in Bourguillon vorgesehen, die sie dann ab 1968 auch leitete. Ein Jahr später wählte man sie zur Assistentin der Vorsteherin der Baldegger Schwestern, im August 1981 wurde sie selbst Generaloberin, «Frau Mutter» genannt. In dieser Funktion hatte sie viel mit den Missionarinnen zu tun. So besuchte sie ihre Mitschwester Gaudentia achtmal in Papua-Neuguinea. Seit dem Ende ihrer Amtszeit 1999 betreut Sr. Martine das Missionssekretariat in Baldegg.

Es sei damals der Wunsch vieler Schwestern gewesen, in die Mission zu gehen, erzählt Sr. Martine. Sie hätte sich das auch für sich vorstellen können. «Doch war es für mich ganz klar nicht der Grund, weshalb ich Baldegger Schwester wurde. Ich dachte mir: Wenn sie mich schicken, gehe ich gerne, wenn nicht, ist es auch gut.» In den 1960er-Jahren konnten nicht alle Schwestern in die Mission gehen, die dies wollten. Die Vorsteherschaft des Klosters habe sich gut überlegt, wer sich eigne und wer eher nicht. Und manche brauchte man einfach auch unbedingt zu Hause. Sr. Gaudentia erhielt die Zusage aber schnell.

«Für sie war der Wunsch, Missionarin zu werden, ein starker Beweggrund für den Klostereintritt gewesen», erinnert sich Sr. Martine. «Nicht der einzige natürlich, sonst wäre sie gar nicht aufgenommen worden.» Sie sei von ihrem Naturell her auch ausgezeichnet für diese Aufgabe geeignet. «Sie ist beruflich äusserst tüchtig, besonnen und sachlich. Sie ist geistig sehr wach, ist wirklich intelligent, hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis, und sie ist begierig, immer wieder Neues zu lernen. Auch gelingt es ihr, komplizierte Dinge einfach zu erklären.» All das habe sich aber erst im Laufe der Zeit gezeigt, obwohl sie sich sehr nahe waren.

1964, ein Jahr nach ihrer Profess, ereilte Sr. Gaudentia ein Schicksalsschlag, der ihre ganze Familie erschütterte: Ihr Vater nahm sich das Leben. Er war 54 Jahre alt und stand kurz vor einer Operation wegen eines Hirntumors, der wahrscheinlich eine Spätfolge der Hirnhautentzündung war. José Meier ist heute überzeugt, dass es die Angst vor den Folgen der schweren Operation war, welche den Vater zu diesem schrecklichen Schritt bewog. Annemarie Meier spricht von Existenzängsten, die auch mit der unklaren Situation auf dem Hof zu tun hatte. Sr. Gaudentia geht davon aus, dass mehreres mitspielte. Sie sagt: «Er war schon länger nicht mehr der fröhliche Mensch, der er früher sein konnte.»

In diese Zeit fielen aber auch schöne Erlebnisse mit der Familie. Als Sr. Gaudentia im Spital Sursee als Hebamme arbeitete, wurden dort gleich mehrere ihrer Nichten und Neffen geboren, was sie bis heute sichtlich freut. Stolz erzählt sie weiter, dass sie bei der Geburt der jüngsten Tochter ihres ältesten Bruders als Hebamme gerufen wurde. «Das Mädchen wurde dann auf den Namen Beatrice-Gaudentia getauft.»

Sie selbst hatte sich damals allerdings noch nicht ganz an ihren Klosternamen gewöhnt. Ordensfrauen erhalten als Novizinnen in der Regel einen neuen Namen, um zu unterstreichen, dass sie ein neues Leben beginnen. «Wir konnten ihn selbst wählen, das Kloster gab uns aber eine Liste geeigneter Namen, und zwei Schwestern durften nicht denselben Namen tragen.» Dies schränkte die Auswahl erheblich ein, lebten doch damals rund 1000 Ordensfrauen in Baldegg. Sr. Lukas Süess, die wie Sr. Gaudentia 1961 ins Kloster eintrat, entschied sich deshalb, wie andere auch, für einen männlichen Namen. «Immerhin ein Evangelist, dachte ich mir», erzählt die quirlige, kleine Frau später. Und: «Damals gab es eben noch nicht so neumodische Mädchennamen wie Noemi oder Mila.»

Der Name Gaudentia stand auf der Liste und habe ihr sofort gefallen, erzählt Sr. Gaudentia. Das lateinische Wort «gaudere» bedeutet «sich freuen». War ihr das damals bewusst? «Ich wusste, dass der Name mit Freude zu tun hat, und das schien mir sehr passend. Ich verstand ihn auch in gewisser Weise als einen Vorsatz für mein Leben. Als ich dann nach Papua-Neuguinea kam, befürchtete ich allerdings zuerst, er sei schwierig auszusprechen für die Menschen dort. Das war aber nicht der Fall. Und die meisten nannten mich sowieso Sister Gaudi.»

Sr. Gaudentia wusste also bereits früh, dass sich ihr Wunsch, in die Mission zu gehen, erfüllen würde. Allerdings war auch klar, dass sie sich noch gedulden musste. Das Kloster wartete jeweils fünf Jahre ab, bevor es frisch eingetretene Schwestern in die Mission sandte. Während dieser Zeitspanne sind Ordensfrauen nämlich noch nicht gänzlich ans Kloster gebunden. Sie haben fünf Jahre Bedenkzeit, bis sie sich für ewig verpflichten. Zudem war die Baldegger Mission damals im Umbruch. Das Kloster war in Zusammenarbeit mit Kapuzinern vor allem in Afrika, in Tansania, aktiv. Anfang der 1960er-Jahre wurde die Situation dort aus politischen und gesundheitlichen Gründen schwierig; die Malaria hatte sich stark verbreitet. Und so war das Kloster auf der Suche nach einem neuen Einsatzort.

Sr. Gaudentia erzählt: «Ich bin ursprünglich davon ausgegangen, dass wir nach Tansania geschickt werden, wo es bereits eine seit längerer Zeit bestehende Missionsstation gab. Dann fragte mich die Frau Mutter eines Tages, ob ich mir auch einen Einsatz in Papua-Neuguinea vorstellen könnte. Dort gebe es allerdings noch keine anderen Schwestern, man müsse die Station also neu aufbauen. Ich sagte sofort Ja, obwohl ich keine Ahnung hatte, wo Papua-Neuguinea liegt. Ich musste danach erst in einem Atlas in der Bibliothek nachschauen. Das war wirklich etwas total Neues, das hat mich noch mehr angezogen.» Die künftigen Missionarinnen wurden aber nicht einfach unvorbereitet losgeschickt. Sie nahmen drei Monate lang an einem Vorbereitungskurs teil, an dem sie von verschiedenen Missionaren und auch einem Ethnologen unterrichtet wurden. Dabei ging es neben der Katechese, also der Vermittlung der christlichen Botschaft, vor allem um Völkerkunde. «Das war sehr wertvoll, sehr hilfreich. Viele Ratschläge, die ich dort erhielt, begleiteten mich danach durchs ganze Leben.» Zum Beispiel? «Wir sollten nicht ankommen und sofort versuchen, etwas zu ändern. Sie rieten uns: ‹Studiert zuerst, und fragt, fragt so viel wie möglich. Und schaut zuerst, was vorhanden ist, und baut darauf auf. Oder auch in Bezug auf den Glauben: Man kann dem Menschen nicht einfach etwas wegnehmen und stattdessen etwas anderes geben.› Unsere Aufgabe war es ohnehin nicht, diese Menschen in irgendeiner Weise zu bekehren. Früher war die Einstellung verbreitet, die Einheimischen als minderwertig zu betrachten. Und man glaubte, man müsse sie zivilisieren. Das war bei uns nicht mehr so. Es ging allem voran darum, medizinisch zu helfen.»

Sr. Gaudentia verinnerlichte die Ratschläge. Es fiel ihr bestimmt nicht schwer, entsprachen sie doch ihrem Naturell. In all den Gesprächen über ihr Wirken und ihr Leben in Papua-Neuguinea kam es nicht ein einziges Mal vor, dass sie sich von oben herab oder despektierlich über die Menschen und ihre Traditionen und Rituale geäussert hätte. Und wenn sie von «wir» spricht, heisst das sehr häufig «wir Papuas». Zuweilen war es gar irritierend, wie neutral sie selbst dann blieb, wenn sie von Sippenkriegen oder Misshandlungen berichtete. Mir ist noch nie ein Mensch begegnet, der so vorurteilslos auf Fremdes zugeht. Typisch dafür ist vielleicht eine kurze Begebenheit am Rande, die sich bei einem Besuch bei ihr in Hertenstein ereignete. Sie wartete an der Schifflände auf mich, und mit mir stiegen noch vier weitere Passagiere aus: ein Mann mit drei Frauen, die einen schwarzen Ganzkörperschleier trugen. Die voll verschleierten Frauen, die nur gerade durch einen Schlitz im Tuch sehen konnten, hatten schon auf dem Schiff für Aufsehen gesorgt, denn es fiel einem schwer, sie nicht anzustarren. Auch Sr. Gaudentia stutzte kurz, als sie die drei Frauen erblickte. Dann sagte sie: «Wenn man nur wüsste, ob sie sich wohlfühlen so.»

Die Ausreise der neuen Missionarinnen, im Kloster «Aussendung» genannt, wurde auf das Jahr 1969 festgelegt. Und bis dann? Sr. Gaudentia arbeitete nach ihrer einjährigen Weiterbildung zur Hebamme ein Jahr auf der Geburtenabteilung im Spital, um sich praktisches Wissen anzueignen. Auch bat sie darum, Englischunterricht nehmen zu dürfen. Sie durfte. Sie wurde mit vier Mitschwestern für ein halbes Jahr nach England versetzt, um eine Sprachschule zu besuchen. Dort blieb sie noch einige Monate länger und arbeitete in einem Spital als Hebamme, um auch die Fachbegriffe in Englisch zu beherrschen. Dann kam sie heim und musste packen. «Das war nicht ganz einfach, denn wir hatten keine Ahnung, was uns erwartete. Die Unsicherheit betraf natürlich nicht die Kleidung, unsere graue Tracht mit dem Schleier war gesetzt, aber das medizinische Material. Der Kapuziner, der unsere Ansprechperson in Papua war, hatte nur gesagt, dass es dort noch gar nichts gebe.»

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