Mit Gottvertrauen im Gepäck

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Die Totenrituale etwa sind sehr unterschiedlich. Sie erzählt vom Stamm der Kutubu, dessen Mitglieder an der Küste leben und die Leichname der Verstorbenen auf eine eigentliche Toteninsel bringen. «Die Papuas in unserer Region kannten dagegen nicht einmal den Einbaum, weil es dort keine Seen und grösseren Flüsse gibt. Wenn bei uns jemand starb, hängten sie ihn an einen Baum und betrauerten ihn, das hiess ‹mornen›. War es ein höher gestellter Mann, blieb er tagelang dort hängen, Frauen wurden schneller heruntergenommen. Dann begruben sie den Leichnam und bauten über dem Grab aus Buschmaterial eine kleine Hütte für seinen oder ihren Geist. Der muss sich ja auch irgendwo aufhalten können. Mit der Zeit waren diese Hüttchen aus Zement und bekamen ein Wellblechdach. Frauen, die in Trauer sind, malen sich ihr Gesicht weiss an und schmücken sich mit weissen Ketten. Später haben die Sippen sogar ihre Autos mit Lehm bestrichen, wenn jemand gestorben war. Ich erinnere mich, dass Sr. Lukas einmal mit dem Auto im Busch unterwegs war, als ein hoher Angehöriger einer in der Nähe lebenden Sippe tödlich verunglückte. Solche Ereignisse führen meist unweigerlich zu blutigen Auseinandersetzungen, und Sr. Lukas war in Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten. Da sagten Einheimische zu ihr: ‹Komm, wir malen dein Auto weiss an, dann glauben sie, du seist eine von ihnen.› Sie sind schlau, weisst du, denn es ist ein ständiger Kampf, um zu überleben. Das hat geklappt, Sr. Lukas kam sicher nach Hause.»

Sr. Martine erinnert sich an ihren ersten Besuch in Det. Das war 1972 anlässlich einer Kirchenweihe. «Es war eine mühevolle Reise, zumal ich vorher schon in Tansania zu Besuch war. Von dort flog man über Bombay nach Hongkong oder Manila, dann nach Port Moresby und anschliessend mit einem kleinen Flieger nach Mendi. Von dort aus gings auf holperigen Pisten nach Det. Die Schwestern wohnten in Buschhäusern aus Naturmaterial. Sie waren sehr schön gebaut. In Erinnerungen sind mir aber vor allem die Flöhe; das war fast ein Martyrium. Kaum war man dort, war man voller Flöhe. Ich musste mich zusammennehmen, dass ich nicht andauernd darüber sprach und jammerte, denn es hat mich derart gejuckt. Die Menschen waren freundlich, manchmal richtig anhänglich, und die Frauen arbeiteten schwer. Die Männer dagegen taten nicht viel. Das Leben dort war anstrengend und fordernd, auch für unsere Schwestern. Ich kann verstehen, dass einige von ihnen das nicht allzu lange aushielten und darum baten, zurückkehren zu dürfen. Als ich damals, nach meinem ersten Besuch, in Singapur ins Flugzeug zurück in die Schweiz stieg, dachte ich, dass es das letzte Mal sei, dass ich so etwas tue. Ich hatte genug. Und ging dann doch wieder zurück.»

Nicht nur die Einheimischen waren in den ersten Jahren in Det noch nahezu unberührt von äusseren Einflüssen, auch die Natur war es. Sr. Gaudentia erzählt, wie die Paradiesvögel während der Balz direkt hinter dem Schwesternhaus einen solchen Lärm veranstalteten, dass man unmöglich schlafen konnte. «Es war schön anzuschauen, wie sich das Männchen wie ein Pfau aufplusterte und sich den Weibchen präsentierte. Manchmal waren fünf oder sechs gleichzeitig auf einem Baum. Ich habe sogar einmal einen auf dem Arm gehabt. Heute sieht man sie kaum noch.»

Eines muss ich noch klären. Sr. Gaudentia spricht von Buschhäusern, Buschmännern, Buschspital … Ist das nicht abwertend? Sie schaut mich verständnislos an. «Abwertend? Weshalb? Die Menschen leben mitten im Busch. Wir lebten mitten im Busch. Sie sprechen selbst von Busch. Abgeleitet vom Englischen. Ein anderes, adäquates Wort kenne ich nicht. Es ist völlig wertneutral.» Wir werden es in diesem Sinne verwenden.

INTERMEZZO 1 Papua-Neuguinea

Die Insel Neuguinea ist nach Grönland die zweitgrösste Insel der Erde; Papua-Neuguinea wiederum ist nach Indonesien und Madagaskar der drittgrösste Inselstaat der Welt. Er gehört zum Kontinent Australien und ist Teil des pazifischen Grossraums Melanesien. Klimatisch sind die Unterschiede gross: An der Küste ist es stetig um die dreissig Grad Celsius warm, auch nachts. Im Hochland kann es nachts Frost geben. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, und es regnet oft.

In Europa war Neuguineas Existenz bis ins 16. Jahrhundert unbekannt. Auch danach gab es lange Zeit keine intensiven Kontakte zwischen den Inselbewohnerinnen und -bewohnern und dem Rest der Welt. Lediglich die Küstenregionen wurden regelmässig von Europäern heimgesucht. Der negative Beiklang dieses Verbs ist berechtigt.

Noch um 1960 lebten im Landesinneren Einheimische, die keine Berührung mit der Aussenwelt hatten. Dazu gehörten die Stämme der Region um Det im Südlichen Hochland. Bis 1969 die Baldegger Schwestern dort ankamen, hatten sie vereinzelte weisse Missionare gesehen, weisse Frauen noch nie.

Die Insel ist seit der Kolonialzeit zweigeteilt. Da diese Epoche bis heute Auswirkungen hat, lohnt sich ein kurzer Rückblick: Der Westen der Insel wurde 1828 von den Niederlanden besetzt und zusammen mit den indonesischen Inseln als Niederländisch-Indien bezeichnet. 1963 wurde dieser Teil von Indonesien annektiert. Seither gehört Westneuguinea zu Indonesien, wobei die Verhältnisse bis heute verworren sind. Laut verschiedenen Berichten wurden schätzungsweise mehr als 100 000 Einheimische ermordet und zahlreiche andere verschleppt. Unabhängigkeitsbestrebungen wurden blutig niedergeschlagen.

Der Osten der Insel geriet erst etwas später in den Fokus der europäischen Mächte. Ab den 1860er-Jahren versuchten das Deutsche Reich und Grossbritannien, dieses Gebiet für sich zu gewinnen. 1884 einigten sie sich auf eine Aufteilung: Der Norden wurde unter dem Namen «Kaiser-Wilhelms-Land» deutsches Schutzgebiet, der Süden wurde erst britisches Protektorat, vier Jahre später vom Vereinigten Königreich Grossbritannien und Irland annektiert und als «Britisch-Neuguinea» bezeichnet. Im Osten begann die Mission durch die katholische und die evangelische Kirche, im Süden wurde die anglikanische Kirche verbreitet. Als 1902 Australien unabhängig wurde, ging Britisch-Neuguinea an Australien über.

Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs besetzten australische Truppen das deutsche Gebiet; nach Kriegsende überliess der Völkerbund die einstige deutsche Kolonie Australien als Mandat. Im Dezember 1941 eroberten japanische Truppen den Nordteil der Insel, und Port Moresby im Süden wurde zeitweise zum Hauptquartier des amerikanischen Generals Douglas MacArthur. Es kam zu heftigen Kämpfen zu See, in der Luft, aber auch im Dschungel. Nach der japanischen Kapitulation nahmen die alliierten Truppen am 13. September 1945 den gesamten Ostteil der Insel Neuguinea ein. Danach wurde Papua-Neuguinea von Australien verwaltet.

Insbesondere in ländlichen Gebieten und im Regenwald wurde die australische Regierung nur am Rande wahrgenommen. Sr. Gaudentia erzählt, wie wenig Ansehen die australischen Regierungsbeamten genossen und auch, wie wenig Einfluss sie nehmen konnten. Es seien vor allem junge Leute, frisch nach Abschluss des Studiums, nach Papua-Neuguinea gekommen, die sich kaum mit den Gegebenheiten dort auskannten und auch nicht bereit waren, sich darauf einzulassen. «Sie waren nicht auf ihre Aufgaben vorbereitet, konnten sich mit den Einheimischen nicht verständigen, liessen sich nicht auf die fremde Kultur ein.» Die Australier versuchten zwar, eine staatliche Administration auf dieses Gebiet zu übertragen, doch scheiterte das auf dem Land schon weitgehend beim Erstellen eines Einwohnerregisters. Sr. Gaudentia erinnert sich: «Bereits das Auftreten dieser Beamten mit ihren Rucksäcken und dem autoritären Gehabe hat die Einheimischen mehr belustigt als eingeschüchtert. Sie haben sich vielleicht vordergründig gefügt, die Besucher aber schlichtweg nicht ernst genommen. Die Einheimischen haben uns manchmal in Theateraufführungen vorgespielt, wie eine solche Visitation durch einen Regierungsbeamten ablief. Dann haben sie sich Kissen unter die Shirts gestopft, um so richtig dick daherzukommen, und sind schwankend herumgelaufen, um zu zeigen, dass die Beamten zu viel getrunken haben. Sie schrien herum und zeigten unter Gelächter, wie sie selbst sich jeweils scheinbar folgsam in Reih und Glied aufstellten.» Andererseits, so betont Sr. Gaudentia, benahmen sich die australischen Beamten durchaus korrekt. Sie waren guten Willens, versuchten auch, die Sippenkämpfe zu stoppen und ein Rechtssystem einzuführen. Doch blieb vieles wirkungslos, weil sich das australische System und die Denkweise nicht einfach auf Papua-Neuguinea übertragen liessen.

1972 wurden erstmals Wahlen abgehalten, und die Bevölkerung stimmte über die Unabhängigkeit ab. Sr. Gaudentia erzählt von der kuriosen Situation, dass die Einheimischen sich gar nicht recht erklären konnten, was denn diese Unabhängigkeit sein sollte, da sie sich ja zuvor gar nicht vom australischen Staat abhängig gefühlt hatten. «Sie kannten nicht einmal ein Wort für Unabhängigkeit», erzählt sie. «Sie sagten statt ‹independent› ‹underpant›, also Unterhose.» Die Kirche habe damals zwar Programme entwickelt, um die Leute aufzuklären, doch stiessen diese auf wenig Interesse. In den ersten Wahlen seien denn auch oft Europäer ins Parlament gewählt worden, nicht etwa aus Hochachtung, sondern aus Gewohnheit: «Die sollten dort für uns reden. Und als die neu gewählten Beamten die Einheimischen aufforderten, den Tag der Unabhängigkeit zu feiern, haben sie zwar ein paar Schweine geschlachtet, doch sie wussten nicht wirklich, weshalb. Es ging ihnen danach ohnehin eher schlechter als besser.»

Im Dezember 1973 wurde Papua-Neuguinea autonom, das Nationalitätszeichen PNG ist seither die gebräuchliche Abkürzung des Landes. Ich werde sie in der Folge auch verwenden. Die Flagge erinnert an die beiden Kolonialmächte: Im oberen, roten Dreieck zeigt sie einen Paradiesvogel, zu Ehren des deutschen Ornithologen Otto Finsch, der als einer der ersten Erforscher der Insel gilt. Das untere Feld zeigt auf schwarzem Grund das Sternbild Kreuz des Südens, wie es auf der australischen Flagge abgebildet ist. Ein weiteres Überbleibsel der australischen Herrschaftszeit ist bis heute geblieben: Das offizielle Staatsoberhaupt ist Königin Elisabeth II. von England, die auch den Titel «Königin von Papua-Neuguinea» trägt. Vertreten wird sie vor Ort durch einen Generalgouverneur. Die Staatsform ist daher eine parlamentarische Monarchie, das Regierungssystem eine parlamentarische Demokratie. Laut dem von der Zeitschrift The Economist seit 2006 in der Regel jährlich errechneten Demokratieindex gilt PNG als «unvollständige Demokratie», vergleichbar etwa mit Mexiko, Singapur oder Tunesien. Allerdings zeigt der Trend in den letzten Jahren abwärts, und PNG liegt nur gerade zwei Plätze vor Albanien, das als Hybridregime eingestuft wird. Als unterste Stufe folgen dann die autoritären Regime. Besonders schlecht schneidet PNG im Bereich politische Teilhabe ab, schlecht bei der politischen Kultur, etwas besser bei den Bürgerrechten.

 

Das Nationalparlament mit 111 Mitgliedern befindet sich in der Hauptstadt Port Moresby und wird alle fünf Jahre neu gewählt. Parlamentswahlen führen bis heute vor allem in ländlichen Gebieten regelmässig zu schweren Unruhen oder gar Sippenkriegen, wenn etwa ein Stamm die Wahl eines Abgeordneten aus einem anderen Stamm nicht anerkennt. 1989 kam es auf der Insel Bougainville zu einem blutigen Bürgerkrieg, der erst 1997 beigelegt werden konnte. Seither gilt Bougainville als autonome Region. Ende 2019 wurde eine – allerdings nicht bindende – Abstimmung über die vollständige Unabhängigkeit von PNG durchgeführt: 97 Prozent der jenigen, die daran teilnahmen, sprachen sich dafür aus.

Amnesty International berichtet regelmässig über schwere Verletzungen der Menschenrechte, und beim Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag PNG 2017 ebenfalls recht weit hinten, auf Platz 137 von 180 Ländern, in der Nachbarschaft von Liberia, Paraguay und Russland. Immerhin zeichnet sich gemäss diesem Rating seit zwei Jahren eine geringfügige Besserung ab.

Die Mehrheit der Bevölkerung sind Papuas, die zu etwa neunzig Prozent im unwegsamen Hochland leben. Weil die einzelnen Stämme so isoliert lebten, entwickelten sich unzählige Sprachen: Nach dem letztmals 2002 aktualisierten «Sprachenalmanach» werden 839 verschiedene Sprachen und Dialekte gesprochen. Es gab ursprünglich auch ähnlich viele Religionen. PNG gehört damit zu den kulturell heterogensten Nationen der Welt.

Amtssprache ist Hiri Motu, das allerdings nur von einem verschwindend kleinen Teil der Bevölkerung beherrscht wird, sowie die Pidgin-Sprache Tok Pisin, auch «Pidgin-Englisch» genannt, und Englisch. Wer, wie die Baldegger Schwestern, ausserhalb der Ämter mit Einheimischen in Kontakt kommt, verständigt sich in der Regel in Pidgin-Englisch.

2018 lebten 8,6 Millionen Menschen in PNG, also etwa gleich viele wie in der Schweiz. Allerdings ist das Land flächenmässig elfmal grösser. Die mit Abstand grösste Stadt, die Hauptstadt Port Moresby, hat nicht einmal so viele Einwohner wie Zürich. Das Land ist fruchtbar, mehr als drei Viertel der Bewohner leben von der Landwirtschaft, allerdings mehr schlecht als recht. PNG zählt nach Ruanda, Bhutan, Nepal und Uganda zu den ländlichsten Staaten der Erde.

Daneben gibt es Arbeit im Bergbau und auf Plantagen, wo vor allem Kaffee, Kopra und Kakao angebaut und Palmöl gewonnen wird. Auch die Holzindustrie ist ein gewichtiger Faktor, allerdings existieren weite Flächen unerschlossenen Buschwalds. Dies weckt Begehrlichkeiten im In- und Ausland, weshalb es immer wieder zu illegalen Abholzungen kommt.

Der Bergbau ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes. Es gibt reiche Gold-, Kupfer- und Chromvorkommen sowie Erdöl und Erdgas. Obwohl das Wirtschaftswachstum mit fast neun Prozent äusserst hoch ist, stagniert der Wohlstand im Land seit den 1990er-Jahren. Konkret heisst das: Die Mehrheit der Bevölkerung ist arm, vierzig Prozent leben unter dem Existenzminimum, damit gehört PNG zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Die Weltbank hatte bereits 2012 von dem Paradox «Reichtum ohne Entwicklung» gesprochen. Beobachter rügen eben diese Weltbank, sie fördere mit ihrem Verhalten die Ausbeutung von Ressourcen durch internationale Investoren. Dies sei in einem Land, in dem die Verwaltung schlecht funktioniere und die Elite, mit der diese Investoren zusammenarbeiten, in erster Linie auf Selbstbereicherung aus ist, verheerend. Dabei laufe das Land Gefahr, zum Spielball anderer Mächte zu werden. Tatsächlich butterte China in den letzten Jahren Millionen Dollar in die Infrastruktur und erhofft sich, oder erwartet vielmehr, erleichterten Zugang zu den reichen, noch nicht erschlossenen Rohstoffvorkommen. 2014 lösten sich staatliche Einnahmen aus dem Bergbau in der Höhe von 3,3 Milliarden Kina, was über 800 Millionen Euro entspricht, in Luft auf. Laut Beobachtern geht etwa die Hälfte des jährlichen Haushalts dem Gemeinwohl verloren. Trotzdem fliessen immer noch Hunderte Millionen Franken Entwicklungsgelder aus Australien nach PNG.

Der Politikwissenschaftler Roland Seib, der sich seit Jahrzehnten intensiv mit dem pazifischen Raum beschäftigt, bezeichnet das Missmanagement bei den öffentlichen Finanzen, Diebstahl, Korruption und Klientelismus als die zentralen Charakteristiken des schwachen Staates. Die staatlichen Institutionen seien weitgehend in den Händen von Clanchefs und damit beherrscht von Partikularinteressen. Die Unterschlagung öffentlicher Gelder sei die Regel. So wurde vor einigen Jahren bekannt, dass im Südlichen Hochland die Einnahmen des Future Generations Fund, der von den Ölfördergesellschaften gespeist wird, geplündert und für Hotelübernachtungen, Automieten, das Chartern von Flugzeugen sowie Zahlungen an Politiker und Verwandte verwendet worden waren. Hinzu kommen massive Umweltschäden durch den Bergbau; so werden vielerorts die giftigen Rückstände des Abbaus ungeklärt in die Flüsse oder ins Meer geleitet. In der Goldmine Porgera etwa, die auf einem Hochplateau mitten im Regenwald liegt, werden täglich 22 000 Tonnen Rückstände in die umliegenden Flüsse gekippt. Sie wird vom grössten Goldbergbau-Unternehmen der Welt betrieben, der Barrick Gold Corporation mit Sitz in Toronto. Eine Umweltaufsicht der Minen existiert nicht.

Der Tourismus ist trotz abwechslungsreicher Landschaft und guten klimatischen Bedingungen schwach entwickelt, was mit der unsicheren Lage und der schlechten Infrastruktur zu tun hat. Das Auswärtige Amt der Schweiz, das EDA, leitet seine Einschätzung über PNG mit folgenden Hinweisen ein: «Bei Reisen nach Papua-Neuguinea ist der persönlichen Sicherheit grosse Aufmerksamkeit zu schenken. Viele Stammesgruppen lebten bis vor Kurzem isoliert und waren teilweise verfeindet. Ihr Zusammentreffen in einem modernen Staat ist mit sozialen und politischen Schwierigkeiten verbunden. Die Kriminalitätsrate ist sehr hoch.» Seit den Parlamentswahlen 2017 ist die politische und die soziale Lage zunehmend angespannt. Besondere Vorsicht gilt in den Hochlandprovinzen, also dort, wo die Baldegger Schwestern tätig sind.

Sr. Gaudentia verfasste 2010 im Auftrag des «Church Partnership Program» einen Bericht über die Zusammenarbeit der kirchlichen und staatlichen Institutionen im Bereich der Gesundheitsversorgung. Dieser enthält einen Katalog von Forderungen, welcher mit dem Aufruf endet: «We need good governance.» Wir brauchen eine gute Regierung.


Zweigeteiltes Papua-Neuguinea, indonesischer und unabhängiger Teil


Provinz Südliches Hochland (inklusive Provinz Hela)

1939 bis 1961
Kindheit, Jugend, Familie
Geschwistertreffen in Hertenstein

Hertenstein gehört zu Weggis und ragt als Halbinsel in den Vierwaldstättersee. Auf dem Schiff, das mich von Luzern in vierzig Minuten nach Hertenstein bringt, reisen an diesem Dienstagnachmittag im Mai 2018 vor allem asiatische Reisegruppen und ein paar Rentnerinnen und Rentner. Es ist sonnig und warm, doch über dem Pilatus türmen sich Quellwolken auf. Von der Schifflände in Hertenstein führt ein Wanderweg über grüne Wiesen zum Jugendstilgebäude, das als Höheres Töchterinstitut gebaut und 1916 von den Baldegger Schwestern übernommen wurde. Seit 1995 betreibt das Kloster dort das Bildungshaus Stella Matutina mit Hotelbetrieb.

Die Halbinsel ist paradiesisch schön, was einst auch dem bayrischen König Ludwig II. nicht entgangen war. Um 1870 plante er in dieser Gegend den Bau eines Lustschlosses in einem Park mit Pagoden, künstlichen Grotten und halb zerfallenen Tempeln. Die Pläne zerschlugen sich. Zum Glück, denkt man an die Touristenmassen, welche andere Anlagen wie Neuschwanstein oder Herrenchiemsee des als Märchenkönig verklärten Monarchen fluten. Auf dem gut viertelstündigen Spaziergang von der Schifflände zum Bildungshaus begegnen mir nur ein männlicher Pfau, der mich gehässig anzischt, dann eine quirlige Kinderschar auf Schulreise. Kuhglocken und das Zirpen von Grillen begleiten mich, und über mir kreisen zwei Milane.

Sr. Gaudentia erwartet mich und ihre Geschwister Annemarie, Alfons und José, die mit dem Auto anreisen, schon auf dem Weg zum etwas höher gelegenen Gebäude. Die Begrüssung unter den Geschwistern fällt herzlich, aber nur mit Händedruck aus. Dann organisiert Sr. Gaudentia in Windeseile Kaffee und Dessert, ihre Schwester Annemarie hat Linzertörtchen und Bretzeli mitgebracht, José nennt das eine «typische Meier’sche Versorgung mit Süssigkeiten». Dann erzählen sie von früher.

Von früher

Dass ihre fünf Jahre jüngere Schwester einmal Klosterfrau würde, hätte Annemarie Schmid-Meier nie gedacht. «Ich war eindeutig frommer», sagt die zierliche Frau. Margrith, wie Sr. Gaudentia vor dem Eintritt in den Orden hiess, sei auch nicht im Kirchenchor gewesen, wie das damals für Frauen im Dorf doch ziemlich üblich war. Die Angesprochene nickt und sagt dann: «Ich kann nicht gut singen, nur laut.» Der jüngere Bruder José fügt hinzu: «Dass Margrith eine Schwester wird, konnte ich mir schon vorstellen, eine Krankenschwester, aber doch nicht eine Ordensschwester!» Ich sitze mit den vier der insgesamt acht Geschwister in Hertenstein. Wir haben uns verabredet, weil ich wissen wollte, wie es dazu kam, dass die gar nicht so fromme Margrith zu Sr. Gaudentia wurde, wie sie als Kind war, wie die Familie sie prägte.

Margrith ist das vierte von acht Kindern, die auf einem Bauernhof im kleinen Freiämter Dorf Waltenschwil aufgewachsen sind: Der älteste, Albert, von den Geschwistern früher «Bärtu» genannt, ist 1933 geboren, es folgten Annemarie und dann Alfons, der mit acht Monaten an Kinderlähmung erkrankte, die nie vollständig ausheilte. 1939 kam Margrith zur Welt, drei Jahre später Hans, der 2012 gestorben ist. Dann kamen «die drei Kleinen», wie sie Annemarie und Sr. Gaudentia heute noch nennen: Josef, der heute «José» genannt wird, Ruedi und schliesslich, 1951, Lisbeth.

Waltenschwil hatte bis in die 1960er-Jahre rund 700 Einwohnerinnen und Einwohner und erlebte dann einen Wachstumsschub. Heute leben viermal mehr Menschen dort. Aus dem ehemaligen Bauerndorf ist ein immer noch ländlich geprägter Vorort von Wohlen geworden, und das Meier’sche Elternhaus, mitten im Dorf gelegen, ist vor rund zwanzig Jahren einem Restaurant gewichen. Über die Ortschaft hinaus bekannt ist die Kartbahn direkt an der Bahnlinie, ein kleiner Tierpark am Waldrand, der von Mythen umrankte Erdmannlistein und die Schokoladenfirma Dubler.

Der Bauernhof der Meiers war mit seinem Dutzend Kühe, einigen Schweinen und Hühnern ein mittelgrosser Betrieb, zumal recht viel Land dazugehörte. «Damals betrieben die meisten Landwirte in erster Linie Ackerbau, nicht Viehzucht», sagt José Meier. Auf dem Hof wohnten allerdings nicht nur Albert und Anna Meier-Sennrich mit ihren acht Kindern, sondern auch der Grossvater und ein lediger Onkel, der älteste Bruder des Vaters. Der Grossvater konnte sich lange nicht entscheiden, den Hof definitiv seinem Sohn Albert zu übergeben, der diesen faktisch schon bewirtschaftete, was die Beziehung zwischen ihnen nicht einfacher machte.

 

Meiers waren weitgehend Selbstversorger. Anfang Frühling und im November wurde jeweils ein Schwein geschlachtet, dann gab es eine Weile genügend Fleisch. Jeweils kurz vor Weihnachten kam ein Paket eines Onkels aus Bern, Margriths Götti. Er betrieb ein Import/Export-Geschäft mit Kolonialwaren. «Damals hatten wir die ersten Mandarinen», erinnert sich Alfons Meier. «Und Erdnüsse, die spanischen Nüssli», ergänzt Sr. Gaudentia. «Und Bananen», sagt José. Allerdings habe es nie für alle gereicht.

Der Hof sei immer voller Kinder gewesen, erzählen sie weiter. Da die Liegenschaft direkt neben der Schule lag, wurde sie quasi zum Pausenplatz des ganzen Dorfs. Sr. Gaudentia erzählt, dass sie sich jeweils in der Pause kurz den Eltern zeigen mussten, um zu beweisen, dass sie sich im Unterricht anständig benommen hatten und nicht zum Nachsitzen verdonnert wurden. «Nachhocke», sagt sie. Da sich also alle Dorfkinder auf dem Meier’schen Hof gut auskannten, waren sie auch in der Freizeit oft dort.

Nur jeweils am Samstagabend suchten alle das Weite, denn dann war Waschtag. Annemarie erzählt, wie sie die Kleinen in der Küche badete und ihnen die Haare wusch. «Ruedi und Hans schrien bereits Zetermordio, bevor auch nur ein Tropfen Wasser in ihre Nähe kam.» Eine Nachbarin fragte einmal beunruhigt, was sie denn am Samstagabend Schreckliches treiben würden … «Das Wasser war nie unser Element», bestätigt Sr. Gaudentia. «Wir plumpsten höchstens mal in die Bünz und waren dann aber schnell wieder draussen.» So lernten die Geschwister Meier, wenn überhaupt, erst spät schwimmen.

Das Gespräch der vier Geschwister in Hertenstein zeugt von einer tiefen Vertrautheit und Verbundenheit untereinander. Aber auch davon, dass man es in der Familie nicht gewohnt ist, viele Worte zu verlieren. Schon gar nicht über Emotionen. Auch nostalgisch sind Meiers nicht veranlagt, was sich etwa darin zeigt, dass nur wenige Fotos die Zeit überdauert haben.

Eines zeigt die etwa zweijährige Margrith mit weisser Masche im Haar, in weissem Kleidchen und wollenen Strumpfhosen mit übereinandergeschlagenen Beinchen auf einem gemusterten Kissen sitzend. Es wurde wohl in einem Fotostudio aufgenommen. Margrith schaut eher missmutig drein, sie mochte es offensichtlich nicht, so herausgeputzt still zu sitzen. Fröhlicher sieht sie auf einem anderen Bild aus, auf dem sie, etwa fünfjährig, einen kleinen Buben, Hans oder ein Ferienkind, im Arm hält. Ein weiteres Bild zeigt sie als Neunjährige am Jugendfest in der Freiämter Festtagstracht. «Ich war ein relativ dickes Kleinkind und ein kräftiges Mädchen», erzählt sie vollkommen uneitel. Und sie sei sehr froh gewesen, habe Annemarie der Mutter im Haushalt geholfen, so habe sie dem Vater auf dem Feld zur Hand gehen können. «Das mochte ich sehr viel lieber.» Da durfte sie den Traktor steuern, während der Vater Gras oder Heu auf den Wagen lud. Sie durfte die Mähmaschine führen, half beim Garbenbinden und Kartoffelnauflesen, der mühsamsten Arbeit, wie sie sagt. Und sie konnte zuschauen, wie die Brüder stockende Motoren wieder zum Laufen brachten.

Die Kriegszeit verlief bei Meiers in geordneteren Bahnen als anderswo, da der Vater keinen Militärdienst leisten musste. Er hatte als Bub, beim Flobertschiessen mit anderen Knaben, versehentlich einen Beinschuss abbekommen. Die Kugel blieb im Knochen stecken und wurde erst bei der militärischen Tauglichkeitsprüfung wieder entdeckt. Deshalb erklärte man ihn als dienstuntauglich. So konnte er während des Zweiten Weltkriegs auf dem Hof bleiben und mit seiner Frau und den Kindern den Betrieb weiterführen. «Der Vater war allerdings nicht der geborene Bauer», sagt Annemarie. «Wohl auch deshalb, weil er sich vor Pferden fürchtete.» Sie lächelt. Er habe auch vor Kühen einen Heidenrespekt gehabt. Vater Meier war im Herzen eigentlich eher Automechaniker oder Motorenbauer als Landwirt. So waren die Meiers weitherum die erste Bauernfamilie, die einen Traktor hatte. «Einen Neuhaus-Autotraktor», erklärt Alfons. «Die ersten Traktoren waren eigentlich umgebaute Autos.» Dieses Interesse für Motoren, ja eigentlich war es eine Leidenschaft, übertrug sich auf die Kinder. Alfons und Hans bastelten als Jugendliche in ihrer Freizeit unentwegt an Motorrädern und Töffli herum. «An Vespas», wie Alfons präzisiert. «Fünf Vespas hatten wir.»

Es ist daher nicht verwunderlich, dass schliesslich niemand den Bauernhof übernahm. Alle Jungen waren sehr interessiert an Motoren. Und verspürten auch eine gewisse Abenteuerlust. Alfons wurde Baggerführer und fuhr riesige Baumaschinen. Hans, der zwar die landwirtschaftliche Schule besucht hatte, führte ein Carunternehmen in Wohlen, Ruedi Meier gründete 1970 in Arlesheim BL eine Transportfirma, später kamen Carreisen dazu. Und der Älteste, Albert, ging schon als 19-Jähriger als Maschinenschlosser für Montagearbeiten nach Südafrika. Danach besuchte er das Technikum, wurde Maschineningenieur und lebte mit seiner Familie eine Zeit lang in Brasilien, wo er in São Paulo eine Tochterfirma der BBC leitete. Als die älteste Tochter in die Schule kam, kehrten sie in die Schweiz zurück. Zwei der «Kleinen» schlugen in der Beziehung etwas aus der Art: José studierte und wurde Bezirkslehrer, Lisbeth wurde Modistin, führt aber heute mit ihrem Mann ein Karosserieunternehmen.

Auch Margrith kam diese Affinität für Motoren und Autos in ihrem späteren Leben als Sr. Gaudentia öfters zugute. Zum Beispiel beim Betrieb eines kleinen Elektrizitätswerks in der ersten Missionsstation: Wusste sie nicht mehr weiter, rief sie ihren Bruder Albert an, und dieser gab ihr einen Rat oder organisierte die fehlenden Teile. Oder ein Lastwagen gab im sumpfigen Gelände irgendwo weitab der Zivilisation im Busch von Papua-Neuguinea den Geist auf: Sie erinnert sich an einen australischen Regierungsbeamten, der seinen Wagen abbremste, als er die Schwester sah, die am Pistenrand versuchte, ihren streikenden Wagen zu reparieren. Er gab ihr einige Tipps. «Habe ich alles schon gemacht», antwortet Sr. Gaudentia. Worauf er achselzuckend wieder in seinen Wagen stieg und weiterfuhr. «Ich habe dann das Auto schon wieder zum Laufen gebracht.»

Ein traumatischer Einschnitt in der Familiengeschichte war die schwere Erkrankung des Vaters im Jahr 1948. Er war noch nicht vierzig Jahre alt, als bei ihm eine Hirnhautentzündung ausbrach. Man hatte ihn schon aufgegeben, da erinnerte sich ein Arzt in Wohlen, dass man in «Zürich unten» ein Medikament gegen Meningitis einsetzte, das erst seit Kurzem erlaubt war: Penicillin. Der Vater wurde damit behandelt und genas, doch ganz der Alte war er danach nicht mehr. «Früher hatte er ein fröhliches Naturell, danach war er stiller und grübelte mehr», sagt Sr. Gaudentia.

Die Krankheit des Vaters brachte es mit sich, dass die Kinder noch mehr im Betrieb eingespannt wurden. Der älteste Sohn, Albert, erst 15-jährig, musste die Schule unterbrechen und zusammen mit der Mutter die Verantwortung für den Hof übernehmen. Die 14-jährige Annemarie half noch mehr im Haushalt. Sr. Gaudentia, die damals neun Jahre alt war, fügt an: «Wir haben uns als Kinder oft selbst organisiert.»

José sagt in Richtung seiner beiden älteren Schwestern: «Heute tut es mir leid, dass ihr so viel für uns Kleinen arbeiten musstet.» Sr. Gaudentia sagt: «Vor allem Annemarie, ich weniger. Sie ersetzte euch manchmal richtiggehend die Mutter.» Dafür habe er ihr jeweils das Bett aufwärmen müssen, erzählt José. «Ich schlüpfte in ihr kaltes Bett, schlief ein und wärmte es auf. Später kam sie und trug mich in mein eigenes Bett.» Annemarie lacht und sagt nur: «Es sind ja alle gut herausgekommen.» Das Einzige, was sie bis heute bedauere, sie zuweilen auch plage, sei, dass sie die Bezirksschule nicht habe besuchen dürfen – obwohl der Lehrer dreimal die Eltern besucht habe, um sie zu überreden, die älteste Tochter in die höhere Schule zu schicken. «Das nützte nichts, ich wurde zu Hause im Haushalt gebraucht.» Sie arbeitete nach der Sekundarschule, wie ihr Bruder Alfons, von morgens um 5 bis 13 Uhr in der Strohfabrik in Wohlen, und danach ging sie der Mutter daheim beim Haushalt zur Hand. «Wenn ich waschen musste, war ich froh, wenn der Vater den Ofen bereits eingeheizt hatte.»