Partyinsel Ibiza

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Irvings Scharade mit den New Yorker Verlegern lief währenddessen weiter. Der Fälscher baute darauf, dass der seit Jahren extrem zurückgezogen lebende Hughes sich auch jetzt nicht in der Öffentlichkeit zeigen würde, um den Betrug auffliegen zu lassen, und er ließ seine Frau Edith mit Perücke und falschem Pass in die Schweiz fliegen, um dort für die Überweisung des enorm hohen Vorschusses ein Konto einzurichten. Dennoch bestand ständig das Risiko, dass der Schwindel aufflog.

Szene aus Clifford Irvings The Hoax: „Der Warteraum am Flughafen von Ibiza. Dick [Susskind, Irvings Partner bei der ganzen Aktion] betrachtet den abgewetzten Aktenkoffer, den er sich zwischen die Füße geklemmt hat. Er enthält unseren kostbarsten Besitz: ein tausend Seiten starkes Manuskript, das mindestens eine halbe Million Dollar wert ist. Er späht unter den Tisch und fragt: ‚Wo ist unser Korb?’ Verblüfft sehe ich mich um – wahrscheinlich habe ich ihn am Zeitungsstand stehen lassen. Mit einem Schreckensschrei springt Dick auf. Er rennt zur Tür hinaus und kehrt kurz darauf mit dem geflochtenen Einkaufskorb zurück, ganz leichenblass. Seine braunen Augen sprühen Funken. ‚Du bist ja wohl komplett verrückt! Du hast da drin mindestens Zehntausend in bar, und noch dazu das Scheckbuch von H.R. Hughes für ein Konto bei der Credit Suisse in Zürich!’ Tatsächlich trage ich alles bei mir, was uns verraten könnte. Schließlich könnte ja jemand ins Studio einbrechen, während wir unterwegs sind.“

Aber irgendwann ließ Hughes die ganze Sache dann doch auffliegen, und Clifford, Edith und Dick kamen ins Gefängnis. Edith arbeitete anschließend weiterhin als Malerin auf Ibiza. Frederik van Pallandt ließ sich mit einem größeren Drogensyndikat ein und wurde unter mysteriösen Umständen auf den Philippinen erschossen. Elmyr de Hory wurde von der britischen Punk-Band The Stranglers in ihrem Song „No More Heroes“ verewigt. Der auf Ibiza lebende Historiker Martin Davies traf Clifford Irving einige Male: „Er war in seinen besten Zeiten ein ziemlich gut aussehender Mann, wenn auch aalglatt, und sehr groß! Sein Buch Fake gehört zu den besten, die je über die Insel geschrieben wurden. Nina van Pallandt bin ich auch ein paar Mal begegnet. Sie wirkte sehr distinguiert, ebenso wie Clifford, und man sah sofort, wieso sie sich verstanden. Sie war offenkundig sehr klug und intelligent.“

Der Regisseur Barbet Schroeder, dessen Mutter an der Westküste in Punta Galera lebt, zeigte 1969 in seinem bahnbrechenden Kultfilm More eine Seite der Insel, die allmählich immer stärker in den Vordergrund trat: zunehmende Drogenabhängigkeit und eine alles andere als glamouröse Szene, in der sich viele unangenehme Charaktere tummelten. „Ich erinnere mich vor allem daran“, berichtet Mimsy Farmer, die in More mitwirkte, „dass Ibiza ein Zufluchtsort für Alt-Nazis war. Franco war noch an der Regierung.“ Pink Floyd, die den Soundtrack zum Film schufen, kannten die Insel bereits. Syd Barrett war 1967 in Begleitung von Rick Wright zur Erholung nach Formentera geschickt worden, und während er dort Sitar spielen lernte und den Text zu „Wined And Dined“ schrieb, reiste Roger Waters nach Ibiza. Aubrey Powell, der viele Cover für Pink Floyd entwarf, besuchte Formentera ein Jahr später mit David Gilmour und kehrte dann ein weiteres Mal mit Barrett zurück. Dabei landeten sie jedes Mal auf Ibiza und reisten dann mit der Fähre weiter auf die kleine Nachbarinsel, wo sich inzwischen eine ähnliche Gemeinschaft aus Künstlern, Autoren und kosmischen Astronauten niedergelassen hatte wie auf Ibiza selbst.

„Es ist schon seltsam“, sagt der Musikproduzent Youth, der 2014 unter anderem an der Produktion des Pink-Floyd-Albums The Endless River beteiligt war, „Pink Floyd sind trotz ihrer psychedelischen Musik eigentlich keine psychedelischen Leute, aber die Band ist wirklich stark mit Ibiza und Formentera verbunden. Die Alben aus den späten Sechzigern, Ummagumma und More, fingen die Atmosphäre, die damals auf den beiden Inseln herrschte, wirklich gut ein, und Pink Floyd waren sozusagen die Hausband dieser Ästhetik. Ich denke, sie machen noch immer die phantastischste psychedelische Musik, die je geschaffen wurde, mehr noch als Grateful Dead oder andere Bands aus den USA, die Pink Floyd immer vorwerfen, sie wären so kalt. Meiner Meinung nach ist ihre Musik einfach nur großartig, und sie scheinen instinktiv genau die entscheidenden Punkte zu erfassen. Sie müssen sich nicht selbst diesem Lifestyle verschrieben haben, um die Elemente aufzuspüren, für die ihn alle lieben.“

Ibiza-Referenzen gab es auch im Werk der deutschen Avantgarde-Band Can. Ihr Schlagzeuger Jaki Liebezeit war auf die Insel gekommen, nachdem er mit Chet Baker in Barcelona Jazz gespielt hatte, und er machte auf Ibiza eine schwere Krise durch. Schließlich versuchte er sogar, sich das Leben zu nehmen, in dem er sich von einer hohen Klippe der kleinen, vor der Ostküste gelegenen Insel Tagomago stürzte. Später veröffentlichten Can ein Album, das den Namen Tago Mago erhielt.

Wie sich der Alltag in den Hippie-Kommunen von Ibiza darstellte, beschreibt die britische Autorin Jenny Fabian, die dort zeitweise lebte, in ihrem Buch A Chemical Romance. Es war der Nachfolger ihres erfolgreichen Erstlings Groupie, das 1970 in Deutschland und den USA zum Bestseller geworden war. „Ich war auf der Suche nach einem neuen Umfeld, weil es mich ziemlich unter Druck setzte, dass ich überall nur als Autorin des Skandalbuchs Groupie betrachtet wurde“, berichtet sie. „Ruhm und Reichtum sind nicht unbedingt eine Garantie für Gesundheit und Glück. Das stets wiederkehrende, erschöpfende Muster, jeden Tag aufs Neue mit einem Drogenkater oder irgendeinem Rockmusiker aufzuwachen, manchmal auch mit beidem, verlor allmählich seinen Reiz. Mal ein Ausflug zum Friseur, irgendwelche banalen Interviews, lustlose Nachmittage, an denen man sich auf irgendwelchen Kissen herumfläzte und sich die neusten, formlosen Riffs irgendwelcher zugeknallter Musiker anhörte, abends dann vielleicht die Überlegung, zur Aufmunterung ein bisschen Acid einzuwerfen, und meistens endete man dann doch wieder im Speakeasy … das war immer dasselbe. Durch die verschnörkelten Winkel meines Hirns streifte schließlich der Gedanke, dass es doch mehr im Leben geben musste.“

Fabian merkte, dass viele ihrer Bekannten sich allmählich aus London verabschiedeten und der großen Stadt den Rücken kehrten. „Wenn Rockmusiker zu Geld kamen und Stars wurden, kauften sie sich Häuser auf dem Land. Als ich von einer ziemlich surrealen Buchpräsentation in Deutschland zurückkam, ganz erschöpft von Bratwurst und Krautsalat, hatten sich meine Mitbewohner nach Ibiza verkrümelt und testeten die Szene dort aus, genossen Sonne, Meer und das einfache Leben. Das Läuten von Ziegenglöckchen am Berg, ehemalige Schäferhütten bei Kerzenschein, eine Art paradiesische Existenz mit ähnlich tickenden Leuten und jede Menge Dope natürlich, um die Phantasie anzukurbeln. Hier konnte ich dem Stress durch Agenten und Verleger entgehen, und auch der Paranoia, die ich empfand, wenn ich auf eine Art gekleidet durch die Londoner Straßen gelaufen war, die in Großbuchstaben ‚VERHAFTET MICH‘ schrie.“

Fabian widmete A Chemical Romance ihrer Insel-Affäre Neal Phillips, „dem berühmten Reisenden, Drogenkopf und Schreiber, der in Bombay auf der Straße an einer Überdosis starb“. Phillips hatte für das Untergrundmagazin Oz einen Artikel verfasst, der die Überschrift „Sexdroge frei verkäuflich auf Hippie-Ferieninsel“ trug. Während seines Aufenthalts auf Formentera hatte er die geheimnisumwitterten Eigenschaften von Yohimbin erforscht, einem Elixier aus der Rinde des Yohimbe-Baums, die in der afrikanischen Heilkunde schon lange zu medizinischen Zwecken eingesetzt wurde. Damals war Yohimbin in den Apotheken ohne weiteres erhältlich, und man ging davon aus, dass ein paar Tropfen täglich die Libido steigerten. „Ich habe wohl noch nie ein so starkes Gefühl von einer Frau vermittelt bekommen, und das, was da zwischen uns ist, besteht aus reiner Elektrizität, die alle Sicherungen unserer Systeme auf die Probe stellen wird. Yohimbin, dein Name lautet Ekstase. Lass es geschehen.“

Bemerkenswert, dass Phillips die Droge hier „Ekstase“ nennt, beziehungsweise, im Originaltext, „ecstasy“. Und noch ein kleines Detail am Rande: Schon 1903 waren in spanischen Zeitungen Anzeigen erschienen, die für Yohimbin warben.

Fabian reiste also ebenfalls nach Ibiza. „Nachdem meine Freunde Dr. Sam Hutt (der Musiker Hank Wangford) und Sarah Lee-Barber bereits vorgefahren waren, um eine passend abgelegene Einsiedelei ausfindig zu machen, packte ich Sonnenbrille, Bikini und Jesuslatschen ein und machte mich auf den Weg. Ich kam mit einem Nachtflug an, und Sam wartete auf dem winzigen Flughafen auf mich. Meine Erinnerung an die Fahrt zum Haus ist ziemlich vage. Weil es dunkel war, hätten wir überall unterwegs sein können. Die Schäferhütte auf dem Berg war von außen betrachtet ein dunkler Schatten und der Lehmboden im Inneren, die geweißten Lehmwände und die niedrigen Durchgänge ohne Türen, die in verschiedene Ecken führten, waren recht primitiv. Am nächsten Morgen blieb es in der Hütte zwar dämmrig, aber draußen brannte die Sonne auf eine Berglandschaft, die offensichtlich völlig unberührt und verlassen war, und man hörte die Glöckchen der Ziegen in der Ferne bimmeln. Ganz anders als das grüne, schöne Land, das ich zurückgelassen hatte, viel weniger üppig, sondern vielmehr trocken, wobei es allerdings mit einer kargen Art von Gras und viel niedrigem Buschwerk bewachsen war. Und so hell. Es war, als träte man in eine biblische Szenerie, es fehlten nur die Typen in den altertümlichen Gewändern; jetzt waren wir die Hauptfiguren der Geschichte. Eine neue, reinere Art der Zivilisation, mit einfacheren Werten, dachte ich damals. Leute, die von dem Raffen-und-schaffen-Karussell herunter gestiegen waren und gemeinsam das Ziel verfolgten, ein weniger korruptes Leben zu führen. Und die Einheimischen erschienen immer so freundlich, sie hießen uns in den Bars willkommen, lächelten wohlwollend und freuten sich über den Umsatz.

 

Sam und Sarah stellten mich einfach nur als ihre Freundin Jenny vor. Und wenn später doch herauskam, dass ich Groupie geschrieben hatte, dann hatte das hier schlicht nicht dieselbe Wucht, als wenn jemand davon erzählte, dass er gerade ein paar Monate in Nepal bei Nomaden gelebt hatte. Die Stars in dieser Szene waren Mädchen, die mit Kondomen voller weißem Pulver in ihren privatesten Körperöffnungen durch den Zoll gekommen waren, oder Jungs, die wegen Drogengeschichten im Knast gesessen hatten. Drogen waren für unsere Gruppe das absolut Wichtigste. Die Gefahr, die damit verbunden war, gab der Idylle den richtigen Kick. Neal mochte auf den ersten Blick wie ein Prophet aussehen, der gerade vom Berg gestiegen war, und so etwas Ähnliches war er ja gewissermaßen auch, aber er hatte auch schon im Ausland im Gefängnis gesessen, und zwar in Ländern, in denen so etwas Narben an Leib und Seele hinterlässt, die nie wieder verblassen. An einem solchen Ort sollte man natürlich nicht mal daran denken, einen Trip zu schmeißen, aber natürlich haben sie das trotzdem getan. In dieser Freak-Kommune zählte nur, was man nahm und wie man damit umging, und wenn man nur dauernd den Kopf schüttelte, weil der sich sowieso schon drehte, wenn die Tüten endlos im Kreis gereicht wurden, zählte man damit zu den weniger ernstzunehmenden Kiffern. Red Bart war einer von Neals Lieblingen, er flog gelegentlich in seinem Learjet ein, und er ging nie in die Luft ohne etwas Acid im Blut und ein paar Linien Koks aus seinem kleinen chinesischen Kästchen. Rockstars, die sich vom Burnout erholen wollten, so wie Syd Barrett, der dafür nach Ibiza gepilgert war, fand man zwar ganz nett, brachte ihnen aber keine besondere Hochachtung entgegen.“

Tatsächlich hatten sich Ende der Siebzigerjahre viele dunkle Elemente in die Hippie-Gemeinschaft eingeschlichen. Die Zahl der Drogentoten war dramatisch angestiegen, und die Kommunen zerfielen. „Es gab immer jemanden, der für alles bezahlen musste“, meint Monica Gerlach. „Das Saubermachen blieb immer an einer Frau hängen. Flower Power ist ja sehr schön, aber letztlich geht es dabei darum, nichts zu tun.“ Erstmals wurde jetzt auch der Polizei bewusst, wie viel harte Drogen gehandelt wurden. Es kam immer häufiger zu Festnahmen.

Die erste, die wegen Opiatbesitzes in Spanien verhaftet wurde, war die französische Schauspielerin Michèle Breton. Sie hatte 1970 neben Mick Jagger und Anita Pallenberg in Performance mitgespielt, einem Film von Donald Cammell, der die Londoner Unterwelt der späten Sechziger porträtierte, und 1967 eine kleine Rolle in Godards Weekend gehabt. Ein Jahr nach dem Erscheinen von Performance lebte Breton auf Formentera, in einem Haus, „in dem völlige Unordnung herrschte“, wie die spanische Zeitung ABC berichtete, in der es weiter hieß: „Sie selbst befand sich in einem bedenklichen körperlichen und geistigen Zustand.“ Bei ihr wurde eine große Menge Heroin gefunden.

Nachdem die vielen Partys zunächst gar nicht oder ganz privat organisiert worden waren, kamen Ende der Sechziger die ersten Promoter auf die Insel; zudem wuchsen jene, die sich zuvor in diesem Bereich engagiert hatten, immer mehr in diesen Beruf hinein. Sie stellten zunehmend besondere, einmalige Veranstaltungen auf die Beine oder entwickelten Partys, die einmal in der Woche stattfanden und ein bestimmtes Motto hatten. Auf dem Hippie-Markt von Las Dalias, den es heute noch in fast unveränderter Form gibt, wurden Platten und Cassetten getauscht und viele Partys gefeiert. Die Namaste-Party, deren Name auf ein hinduistisches Grußwort zurückgeht, gibt es in Las Dalias heute noch; ins Leben gerufen wurde sie von den weit gereisten Anwohnern Merel, Alok und Jean-Michel. Sie hat unter den Hippie-Partys mit fernöstlichem Einschlag die längste Tradition. Auch kleine Nightclubs entwickelten sich. Das Toro Mar in Salines war ein illegaler Bau, in dem später auch die After-Partys des deutschen Techno-Fests Cocoon und der Ibiza Underground Resistance stattfanden; inzwischen wurde das Gebäude vom Pacha gekauft. Der Festival Club von Sant Josep begann als Stierkampf-Arena, in dem auch Flamenco-Shows stattfanden. Später diente er als Kulisse für einen deutschen Pornofilm, der den Titel Gefangene Frauen trug. Hier wurden auch illegale Raves veranstaltet, aber heute ist das Gebäude mit Graffiti beschmiert und wird als inoffizielle Müllkippe genutzt.

Eine der ersten Discotheken, die in den Siebzigern auf Ibiza öffnete, war das Glory’s im Hippodrom von Can Bufi an der Straße nach Sant Antoni. Ein weiterer kleiner Club, das Heaven (später in Angel’s, Penelope und kürzlich in Booom umbenannt), öffnete auf der anderen Seite des Hafens seine Türen, an der Marina Botafoch. „Der Typ, dem der Club gehörte, als er noch Angel hieß, ging wegen irgendwelcher unsauberen Geschäfte in den Knast“, erinnert sich Monica Gerlach. Schon seit 1963 gab es den Playboy Club in Sant Antoni, den Pepe Roselló führte, der beliebte Gründer des Superclubs Space. Der Playboy Club wurde später zum Idea, hielt sich dann aber nicht mehr lange.

„In den Clubs tauchte immer wieder ein Typ auf, der Ziggy hieß“, berichtet Tina Cutler, die Tochter des extravaganten britischen Politikers Sir Horace Cutler, die mit ihren Eltern als Kind viele Sommer auf Ibiza verbrachte. „Er war Tänzer im Pacha, und dann gab es auch noch Manel, der heute den Sunset Ashram betreibt, und an den erinnerte man sich schon allein wegen seiner schönen, blauen Augen. Dann waren da noch Teresa und ihr Mann, die den Graffiti-Laden hatten, beide sehr bekannte Party-Hippies, und meine Freundin Victoria, die heute noch den Elefante-Laden führt. Ihr Mann ist ein weltweit anerkannter Experte für Tetanus-Impfungen. Jede Menge bekannter Typen sind noch immer hier, aber viele sind inzwischen auch schon tot. Es kümmerte sich niemand darum, wie die Leute mit Nachnamen hießen, deswegen erinnere ich mich auch überhaupt nicht daran. Das hat keinen interessiert.“

Cutler lebt inzwischen dauerhaft auf Ibiza und hat mehrere erfolgreiche Unternehmen gegründet. Heute arbeitet sie als Vibrationsheilerin, nachdem sie eine langjährige Ausbildung abgeschlossen hat. Mit all dem Wissen und der Erfahrung der zurückliegenden Jahre, in denen sie tief in die Partyszene Ibizas eintauchte, ist Cutler heute noch fasziniert von der Insel, aber in ihre Begeisterung mischt sich oft auch leichte Bitterkeit – etwas, das bei vielen, die länger hier leben, zu beobachten ist, und was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Ich frage Cutler nach den schönen Hippiezeiten und danach, wie es war, als Kind zwischen all diesen Inseloriginalen zu leben. War es wirklich eine unschuldige Zeit, voller Flower Power und Sonnenschein? Wer waren die Hippies wirklich?

„Reichensöhnchen und -töchterchen“, erklärt sie. „Sie hingen in Ibiza ab, und sie arbeiteten nie und waren Hippies, weil sie sich das leisten konnten! Auf irgendeine Weise kamen sie immer an Geld, und irgendwie fügte sich immer wieder alles. Ibiza selbst ist das schwarze Schaf der Gesellschaft. Es ermutigt Menschen, die nirgendwo anders hinpassen. Aber die meisten Hippies stammten tatsächlich aus sehr wohlhabenden Familien.“


Ibizas Entwicklung zur Partyinsel war entscheidend geprägt von den Hippies, bei deren Feierlichkeiten oft auch fernöstliche Traditionen und Religionen eine Rolle spielten. Die ersten großen Nachtclubs waren zunächst Hippie-Veranstaltungsorte, bei denen zu Rockmusik getanzt wurde, während die Outdoor-Partys, die ihnen vorausgegangen waren, auf uralte Rituale zurückgingen wie das gemeinschaftliche Erleben des Sonnenauf- oder Sonnenuntergangs, Zusammenkünfte in herrlicher Natur, bei denen Trommeln, Gitarren und Sitars den Soundtrack zu den ersten Ambient- oder Chillout-Events lieferten.

Einige alte Gelehrte gingen davon aus, dass das ganze Mysterium des Universums in Klängen begründet liegt. „Allein in der Musik sehen wir Gott frei von allen Formen und Gedanken, in jeder anderen Kunst ist Götzenanbetung mit im Spiel“, erklärte der Sufi-Meister Hazrat Inayat Khan in The Mysticism Of Sound And Music. Allerdings wurde diese reinste und abstrakteste aller Künste von Musikern und später auch von DJs zweckentfremdet, als sie die eigene Person in den Mittelpunkt rückten und sich selbst als Mittler und Schamanen verstanden. In jüngster Zeit ist der Superstar-DJ, ebenso wie der Rockstar, genauso „wichtig“ geworden wie die Musik, die er spielt oder kanalisiert. Der dahinter verborgene Archetyp ist die Figur des Rattenfängers, der die Massen an einen Ort führt, von dem sie glauben, dass sie dorthin gehen wollen. Der Schlüssel dazu scheint maßgeblich im menschlichen Verlangen nach Verzückung, nach Trance zu liegen.

Das normale menschliche Bewusstsein ist sehr empfänglich für Stimulation und Beeinflussung, die oft über Klänge stattfindet (wozu durchaus auch das Geräusch der Stille zählt), und die, wenn sie mächtig genug ist, ganze Menschenmengen hypnotisieren kann. Diese grundsätzliche Transzendenz ist keineswegs neu; sie ist schon lange ein Mittel, das bei religiösen Zeremonien zum Einsatz kommt, eine Kombination aus Gebet und Musik, auf die wir uns in der Absicht einlassen, unsere Bewusstseinsschranken entweder zu erhöhen oder zu senken. Während der gesamten Menschheitsgeschichte haben Schamanen oder andere spirituelle Meister diese Zustände angeleitet, kontrolliert oder als Medium herbeigeführt. Dieses Verhältnis kann bei entsprechender Intuition des Publikums ein Vertrauen erzeugen, das einen meditativen Trancezustand ermöglicht, in dem sich der menschliche Verstand einer Transformation von Ideen öffnet. Die urzeitliche Überzeugung, dass es sich bei Musik um eine übernatürliche Sache handelt, die in der Lage ist, den menschlichen Geist auf andere Ebenen zu führen, lässt sich bis auf Pythagoras zurückverfolgen, der behauptete, das Musizieren mit Instrumenten sei eine verwässerte Version der bereits existierenden „Musik der Sphären“ – jenen Klängen, die durch die Bewegung der Planeten erzeugt wird. Die NASA versuchte bereits, diese Klänge aufzuzeichnen, die als Ursprung jeder Art von Ambient und Drone Music gehandelt werden, und Zoroastrier haben behauptet, sie hören zu können.

Das unwiderstehliche Bedürfnis, sich in Musik zu verlieren, um auf diesem Wege eine Befriedigung auf höherer Ebene zu erlangen, ist so alt wie die Menschheit, und dementsprechend wurde es von Kirche und Staat als Entfesselung animalischer Leidenschaften betrachtet, die ernste Auswirkungen auf die alltägliche Kontrolle des menschlichen Geistes haben konnte. In Griechenland entwickelte sich das Bacchanal, ein Tanzritual, in dem der Geist des Pan und der Dionysus-Kult zusammenkamen und in dem die Tänzer mittels manischer Bewegungen, die auf der tatsächlich nach Pan benannten Panik und Lust beruhten, eine orgiastische Befreiung erreichten. Kombiniert mit der apollonischen Tradition, weniger hemmungslos und von Gitarren begleitet, entwickelten sich daraus die Wurzeln des modernen Tanzes. Allerdings verboten die griechischen Christen den Tanz irgendwann und drängten ihn in den Untergrund, wo er als eine rebellische, heidnische Form des Feierns überlebte. Der Vatikan meldete sich ebenfalls zu Wort, als die katholische Kirche im Mittelalter musikalische Intervalle wie den Tritonus oder auch polyphone Klänge verbot, weil sie angeblich zu dissonant waren, um das Wesen Gottes vermitteln zu können. Die Gregorianischen Gesänge, die später eingeführt wurden, waren sorgfältig darauf ausgelegt, dass sie so wenig aufregend und stimulierend wie möglich ausfielen. Im 16. Jahrhundert wurde in Spanien die Sarabande, ein afrikanisches Tanzritual, das die Mauren ins Land gebracht hatten, vom Vatikan verboten, ebenso wie später der Walzer und der Tango. Hüftbewegungen waren einfach zu gefährlich. Bezüglich des Tangos fragte Papst Pius X.: „Wieso sollte man derart alberne und barbarische Verrenkungen von Schwarzen und Indianern übernehmen?“

„Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist, so spielt fort; stopft mich voll damit, ob vielleicht meine Liebe von Überfüllung krank werden, und so sterben mag“, bat Shakespeare in Was ihr wollt. Getrieben von diesem allermenschlichsten Bedürfnis, dem Wunsch, sich selbst zu verlieren, haben wir stets eine Möglichkeit gefunden, durch Musik wieder zur Trance zu finden. In Goa, das bei der Entwicklung der Partykultur des modernen Electronic Dance eine entscheidende Rolle spielte, wurden beliebte Hindu-Feste schon 1777 „als lärmende, barbarische Unterhaltung“ von der katholischen Kirche verboten. Im 20. Jahrhundert kehrte der Bordun (auch Drone genannt, eine Note oder ein Akkord, der während eines Musikstücks mitschwingt) sowie Trance erzeugende Wiederholungen zumindest in den provokanten Avantgarde-Rock zurück und fanden sich in der Musik von New Yorker Bands wie Velvet Underground oder Suicide, in den Arbeiten von Komponisten wie La Monte Young und Philip Glass oder in Stücken von Künstlern wie Sun Ra, Can oder Faust.

 

Die ersten echten Discos entstanden während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich. Die angeblich wirklich allererste „Discothèque“ im wahrsten Sinn des Wortes befand sich in Marseille in Gestalt einer Bibliothek für Schallplatten: Seeleute gaben ihre Platten dort ab, bevor sie auf große Fahrt gingen, um sie nach ihrer Rückkehr wieder gemeinsam mit anderen zu hören. Die Nationalsozialisten verabscheuten den liberalen musikalischen Freistil des Jazz, der dementsprechend im deutschen Radio verboten war. Auch Jazz Dance war verboten, und so wurde Jazz zum Soundtrack der Resistance, und die Musik von Duke Ellington und Louis Prima begleitete den Widerstand des Untergrunds. Überall in Paris wurde in geheimen, verräucherten Kellerräumen getanzt, und die Disco wurde zum Synonym für Täuschung und Verbrechen. Der Nightclub-Underground war geboren. 1941 öffnete La Discothèque in der Rue de la Huchette in Paris ihre Pforten für ein gemischtrassiges, homo- wie heterosexuelles Publikum und wurde damit zu einem frühen, europäischen Prototyp der amerikanischen Disco-Szene, wie sie sich in den 1970er-Jahren entwickelte.

1970 hatte der New Yorker David Mancuso in Manhattan die Loft Partys ins Leben gerufen. Es gab Acid-Punsch, etwas zu essen, gepflegte Unterhaltung und vielseitige Musik, und Mancuso verdiente sich dabei als DJ seine Miete. „Es war in vieler Hinsicht das Gegenteil der Disco-Szene“, berichtet Kris Needs, der 1989 beim Dance Music Report von Tommy Boy Records arbeitete. „In den frühen Disco-Zeiten schlenderten in den Clubs jede Menge reicher Leute herum, die nicht tanzten, aber im Loft sorgten Frankie Knuckles und Larry Levan dafür, dass es krachte – sie waren bei Mancuso in die Lehre gegangen und hatten beobachtet, wie er die Stimmung aufbaute. Er spielte zum Beispiel Barabas, die in New York sehr beliebt waren, eine harte, rhythmische Funk-Rock-Band. Es liefen Songs wie ‚I’m A Man‘ von Chicago wegen des Percussion-Teils, ‚Riders On The Storm‘ von den Doors oder ‚Love Is The Message‘ – die Elfminutenversion von Tom Moulton ist wahrscheinlich der Track der Siebziger, der ultimative Rausschmeißer. Das Loft gab es vor Moroder und vor den Maxi-Singles, und daher spielte Mancuso Alben. Das ging so, bis 1977 das Paradise Garage eröffnete. Damals war Frankie Knuckles gerade nach Chicago gegangen. Larry Levan hatte man Frankies Posten im Warehouse [wo der Begriff House Music geboren wurde] zuerst angeboten, aber er hatte abgelehnt und machte stattdessen das Paradise Garage in New York auf.

Das Paradise Garage war wie eine andere Welt. Es gab einen Laufsteg mit Lichtern auf beiden Seiten, es wurde Obst verteilt und es gab keinen Alkohol, dafür aber den unglaublichsten Vibe aller Zeiten. Es war ein sehr gemischtes Publikum, das nichts weiter wollte als tanzen, und das konnte man bis zehn Uhr morgens, denn Larry machte die ganze Nacht durch. Er spielte ‚The Magnificient Seven‘ von The Clash direkt nach ‚Love Is The Message‘, aber er wusste genau, was ging, und er achtete ganz genau auf Details. Er holte während seines Sets manchmal sogar eine Trittleiter, um die Spiegelkugel zu polieren. Das ging so lange, bis die New Yorker Stadtpolitik und Larrys Gesundheitsprobleme dazu führten, dass der Club geschlossen wurde. Dann gab es noch die Danceteria, die mit ihren verschiedenen Tanzflächen, die ein jeweils anderes Publikum bedienten, eine Vorreiterrolle dabei einnahm, die verschiedensten Dance-Stilrichtungen zusammen zu bringen. Hier gab es auch eine Video Lounge, das war damals etwas ganz Neues, und dort konnte man beispielsweise ‚Rock It‘ von Herbie Hancock hören.“ Die Danceteria hatte zudem eine ganze Reihe prominenter Mitarbeiter: Madonna war hier als Garderobiere tätig, LL Cool J als Fahrstuhlführer und Sade als Barkeeperin.

Ende der 1970er-Jahre waren die DJs im Mainstream angekommen, und in den Clubs, in denen vor allem die klassischen Disco-Singles liefen, entwickelte sich das Bedürfnis nach längeren Tracks. Der Produzent Tom Moulton erkannte das Problem, dass man alle drei Minuten die Beats neu anpassen musste, wenn man die Magie erhalten wollte, nach der sich die begeisterte Menge von Tänzern gerade im Sound verlor. Also bastelte er sich eine passende Cassettenseite von 45 Minuten Länge zusammen und schuf damit den allerersten Dance-Mix. Moulton entwickelte auch das 12-Inch-Format der Maxi-Single, und mit seinem Mix von Gloria Gaynors erstem Album Never Can Say Goodbye, auf dem er alle Tracks ansatzlos ineinander übergehen ließ, wurde er zum Pionier des durchgängigen Beats. Daraufhin begannen DJs zunehmend, zusätzliche Elemente in diese längeren Mixe hineinzuschneiden; dafür griffen sie vielfach auf Sounds zurück, die aus der Karibik oder Lateinamerika stammten.

In der Dancehall-Kultur auf Jamaika bedienten die DJs ihre Sound Systems zusammen mit „Selectors“, die auswählten, welche Platten gespielt wurden. Die Dancehall-Kultur kam aus den Ghettos von Kingston und konzentrierte sich auf Ska und Reggae, und in den 1950ern waren die Partys, die mit diesen mächtigen Anlagen bestritten wurden, beliebter als Konzerte mit Live-Musik. Mit riesigen Lautsprechern, den sogenannten „Houses Of Joy“, und verstärkten Bassfrequenzen zogen der Selector und der DJ die wachsende Zahl der Zuschauer in den Bann. Es entstanden Dubplates, Singles, die speziell für die Sound Systems produziert wurden, und schließlich wurden Plattenfirmen wie Studio One gegründet, auf die sich die Ursprünge des Dub zurückführen lassen.

Carl Cox, einer der bekanntesten Ibiza-DJs, begann seine Karriere gewissermaßen als Selector, wenn auch zunächst nur für seine Eltern. Er erinnert sich an seine Jugend in den 1970ern in Großbritannien: „Mein Vater zog los und kaufte Platten, und ich hörte sie mir dann an, ob sie mir gefielen oder nicht. Ich fand es toll, wenn meine Mum und mein Dad ihre Musik ihren Freunden vorspielten und irgendwann alle tanzten und Spaß an dem Sound hatten, und dann geriet ich eher durch Zufall mit hinein. Eines Abends hockte ich auf dem Treppengeländer und sah zu, wie mein Dad die Platten auflegte. Wir hatten damals einen Mono-Plattenspieler mit Zehnernadel für Singles, von daher konnte man zehn Platten auswählen, sie auf die Spindel stecken, und dann fiel eine nach der anderen auf den Plattenteller, bis die zehn Stück gelaufen waren und mein Dad die Spindel neu bestücken musste. Also sagte er zu mir: Wenn du sowieso nicht ins Bett gehst, dann kannst du genauso gut runterkommen und auflegen. Und das machte ich und dachte: Das ist wirklich richtig cool. Das war meine Einführung in den DJ-Job.“

Heute präsentiert Cox die enorm erfolgreiche Clubnacht Music Is Revolution (früher Carl Cox And Friends) und ist seit 13 Jahren Resident DJ im Space auf Ibiza. Bis dahin war es jedoch noch ein langer Weg: „In einem Versandhauskatalog meiner Mutter entdeckte ich später eine Anlage mit zwei Plattenspielern, einem Mixer, ein paar Lautsprechern und einer Lichtorgel für DJs, die richtig bunt und billig aussah. Alles zusammen für 587 Pfund, und ich überlegte, dass die ich mit 2 Pfund 27 Pence die Woche abzahlen könnte. Also bat ich meine Mutter, das Ganze für mich zu bestellen, und ich versprach, Zeitungen oder Milchflaschen auszutragen, damit sie das Geld auch jede Woche erhielt. Als ich die Anlage dann schließlich bekam, klang sie total scheiße. Die Plattenspieler taugten überhaupt nichts, und die Lichtorgel ging nach drei Wochen kaputt. Aber ich erlebte, wie es war, als DJ aktiv zu sein. Ich legte bei Privatpartys auf, bei Leuten zu Hause, bei Schulfeten und so, und dann bastelte ich mir mein eigenes Sound System zusammen. Auf dem College lernte ich Elektrotechnik, damit ich die technische Seite kapierte. Ich baute meine eigenen Equalizer, Verstärker und Lautsprecher, und so wurde aus meiner kleinen Anlage schnell eine große. Irgendwann war ich nicht nur dafür bekannt, dass ich ein DJ war, sondern auch dafür, dass ich ein super Sound System hatte.“

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