Die Normalität des Absurden

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Wahl zum FDJ-Sekretär

Es war vermutlich im Sommer 1950, als ich von den Mitgliedern der FDJ nach der Funktionsaufgabe meiner Vorgängerin Ellen Schwenke mit vielen Gegenstimmen, aber der Stimmenmehrheit der Anwesenden in freier Wahl zum FDJ-Sekretär der Zentralen Oberschulgruppe gewählt wurde. Ich wurde erst auf der Versammlung – zu meiner eigenen großen Überraschung – als Kandidat nominiert und war mit Sicherheit nicht der Wunschkandidat der SED. Die anderen Kandidaten hatten noch mehr Gegenstimmen als ich, sodass ich – quasi in Form einer Kampfabstimmung – völlig demokratisch in die Funktion des FDJ-Sekretärs gelangt war.

Als solcher gehörte es zu meinen Pflichten, auch am Abitur des Jahrgangs 1951, der nur elf Schüler umfasste, teilzunehmen und eine gesellschaftspolitische Beurteilung für jeden Abiturienten zu erstellen. Mein Deutsch- und Lateinlehrer, Hermann Harras, bot sich an, diese für mich, der die Schüler der zwölften Klasse kaum kannte, zu verfassen. Als damaliger Klassenlehrer des Abiturientenjahrgangs fertigte er die gesamten Einschätzungen persönlich an, ich brauchte sie nur noch zu unterschreiben. So konnte er gewährleisten, dass jeder Abgänger seiner Klasse eine gute gesellschaftspolitische Beurteilung erhielt und aus dieser Sicht keine Schwierigkeiten bei der Aufnahme des Studiums bekommen würde. Gerne war ich auf sein Angebot eingegangen, von dem niemand etwas erfahren durfte und erfuhr.

Von den Mitgliedern der FDJ-Kreisleitung in Ludwigslust wurde ich permanent bedrängt, Oberschüler für den Dienst in der bewaffneten Streitmacht der DDR zu gewinnen, die sich damals noch „Deutsche Volkspolizei“ nannte. Es gelang mir jedoch nicht, auch nur einen einzigen Schulkollegen für den Dienst in der „Volkspolizei“ zu werben. Um selbst aber in den Augen der Schulkameraden nicht unglaubhaft dazustehen, blieb mir der eigene Eintritt in die bewaffneten Kräfte der DDR nicht erspart. Ähnlich erging es damals auch anderen FDJ-Sekretären.

Mitglieder der SED gab es in der Dömitzer Oberschule damals nicht. Rudi Koszorek, der in der SED-Kreisleitung Ludwigslust tätig war, hatte mich mit Fritz Henning zum Anhören einer stundenlangen Radiosendung – der Debatte des Deutschen Bundestages – in seine Wohnung in die Dömitzer Walther-Rathenau-Straße eingeladen. Dr. Konrad Adenauer hielt eine lange eindrucksvolle Rede. Offenbar wollte Rudi Koszorek als „Weichensteller“ meine politischen Ansichten und den Grad meines „Klassenbewusstseins“ erkunden. Ich hörte mir die Sendung an und sagte – nichts.

Sicher war ich für die Genossen der SED eher eine arge Enttäuschung. Das geht auch daraus hervor, dass ich – obwohl frei gewählt – auf Drängen höherer Stellen möglicherweise sogar abgesetzt werden sollte, was mir erst jetzt aus einer Broschüre von Dr. Karl-Heinz Ebel (Schwerin) über die Nachkriegszeit in Dömitz bekannt wurde. Denn er als ein früherer, zu Unrecht abgelöster Vorgänger in meiner Funktion wurde von einem mir nicht bekannten Vertreter des damaligen Landesvorstands in der Zeit meiner Wahlperiode gebeten, die Geschäfte der FDJ-Oberschulgruppe doch wieder zu übernehmen, um deren Moral zu stärken und „die Karre aus dem Dreck zu ziehen“. Mir selbst sind damals allerdings keine Anzeichen irgendwelcher Unzufriedenheit des Kreis- oder Landesvorstands an meiner Leitung aufgefallen oder mitgeteilt worden. Im Gegenteil: Ich erhielt sogar die „Friedensmedaille der FDJ“, eine relativ hohe Auszeichnung, und eine Buchprämie vom Ludwigsluster Kreisvorsitzenden der FDJ. Die Kampagne gegen die „Junge Gemeinde“, deren Mitglieder als „Kugelkreuzler“ bezeichnet wurden, begann erst nach meinem Ausscheiden aus der Funktion des FDJ-Vorsitzenden der Zentralen Oberschulgruppe. Mit ihr hatte ich nichts zu tun.

Nach meinem achtzehnten Geburtstag befand ich mich in der elften Klasse und nur noch ein halbes Jahr in der Dömitzer Oberschule. Man hat mich damals wohl bedrängt, zur „Polizei“ zu gehen. Ich kann mich aber beim besten Willen nicht daran erinnern, dass irgendjemand versuchte, mich für die SED zu werben. Nachdem Vater ebenfalls der Ansicht war, dass es gut wäre, wenn ich als Sohn eines Arbeiters zur „Volkspolizei“ ginge, habe ich mich schließlich dazu – ohne jede Begeisterung – entschlossen. Am Sonnabend, dem 5. Juli 1952, war mein letzter Schultag in der elften Klasse. Ich wurde in die zwölfte Klasse versetzt und ergriff laut Abschlusszeugnis den „Beruf eines Volkspolizisten“.

Die ersten Wochen bei der Volkspolizei

Zwei Tage später trug ich die damals noch dunkelblaue Uniform der Volkspolizei, kam nach Schwerin in die Dienststelle Stern-Buchholz. Schon nach wenigen Tagen sah ich innerhalb dieser Einheit einige DDR-Panzer vom Typ T-34 und schnell wurde mir klar, dass es sich gar nicht um eine Polizeiformation, sondern um eine neue, im Aufbau befindliche Armee handelte, die zudem offensichtlich schon seit einigen Jahren als „Hauptverwaltung für Ausbildung“ bestanden hatte.

Ich verpflichtete mich zunächst für drei Jahre, mein erster Dienstgrad war „VP-Anwärter“. Ich lernte zu schießen, zu marschieren, den Schrank in Ordnung zu halten, und erfüllte auch die sonstigen militärischen Übungen zur vollen Zufriedenheit meiner Vorgesetzten. Im Politunterricht erfuhren wir viel vom „Klassenfeind“, der jenseits der Demarkationslinie die Deutsche Demokratische Republik ständig bedroht. Diese Propaganda wiederholte sich in stets monotoner Weise, war allen hinreichend seit Jahren bekannt und wirkte bald ausgesprochen langweilig. Manche Kameraden schliefen beim Politunterricht regelmäßig ein. Zudem war der Intelligenzgrad mancher Politoffiziere damals erstaunlich niedrig, sodass man es als ehemaliger Oberschüler schwer hatte, diese stundenlange „Belehrung“ im Sinne einer typischen Schwarz-Weiß-Malerei bei voller Konzentration über sich ergehen zu lassen.

Als Verbündete der ruhmreichen Sowjetunion galten auch wir stets als die Sieger der Geschichte, während aus der Sicht der DDR der Westen in Form der Bundesrepublik nur die Politik der verbrecherischen Nazis fortführte und alle positiven Veränderungen im Osten Deutschlands, wie die Bodenreform, die demokratische Schulreform, die Enteignung der Kapitalisten usw., rückgängig machen wollte. Aber wir als die legitimen Vertreter der deutschen Arbeiterklasse würden dem Machtstreben unserer Klassenfeinde schon einen Riegel vorschieben und unsere Republik wirkungsvoll – gemeinsam mit der Sowjetunion – schützen und im Bedarfsfall mit der Waffe in der Hand verteidigen. Denn niemandem sollte es erlaubt werden, das Rad der Geschichte jemals zurückzudrehen. Dafür würden wir schon sorgen.

Ich war damals der Meinung, dass wir in der DDR eine Armee brauchten, und betrachtete die Republik als die einzige nur denkbare positive Nachkriegsalternative für unser geschundenes Land. Natürlich bemühte ich mich um gute militärische Leistungen. In meinem Inneren aber war ich, von unseren verantwortungsvollen, hochintelligenten Dömitzer Lehrern, wie Dr. Schimke und Hermann Harras, dazu erzogen, eher ein Pazifist. Das aber behielt ich geflissentlich für mich. Es war auch sicher besser so.

In Korea tobte ein schrecklicher Krieg und die dortige Volksarmee befand sich auf dem Rückzug, nachdem die USA in dieses Gemetzel eingegriffen und die Nordkoreaner aus dem fast vollständig eroberten Süden der Halbinsel wieder zurückgedrängt hatte. Auch die sogenannten chinesischen „Volksfreiwilligen“ konnten einen Sieg der bereits geschwächten Nordkoreaner nicht herbeiführen, sodass der Krieg am 27.7.1953 mit einem Waffenstillstand am 38. Breitengrad ungefähr dort endete, wo er begonnen hatte. Die Kommunisten hatten eine schwere Niederlage erlitten. Gott sei Dank blieb dem geteilten Nachkriegsdeutschland, vermutlich aufgrund der Erfahrungen aus Korea, ein ähnlich hartes Schicksal erspart.

Des Öfteren dachte ich an meine Mitschüler, die sich sicher mit gemischten Gefühlen nach ihren letzen Sommerferien jetzt auf ihr Abitur und ein Studium vorbereiteten. Gerne wäre ich dabei gewesen. Dass ich auch im Rahmen der Armee meinen einstigen Traumberuf, Arzt, ergreifen könnte, stand damals noch absolut in den Sternen. Allerdings wurde ich später kein Truppenarzt, da mich die NVA noch vor Beginn des Staatsexamens wegen eines „nicht klassenmäßigen Verhaltens“ am 7.3.1958 zwangsexmatrikulierte und aus ihren Reihen ausschloss. So konnte ich mein Studium als Zivilstudent erst nach einjähriger „Bewährung in der Produktion“ fortsetzen und 1959 in Greifswald beenden.

Immerhin wurde ich nach der Rückkehr aus Priemerwald (s. u.) innerhalb der Kasernierten Volkspolizei in Stern-Buchholz zum Sanitäter ausgebildet, worüber ich sehr froh war. Mein Lehrer und Ausbilder war damals der Internist Hauptmann Dr. H.-U. Krüger, den ich fünfzehn Jahre später als Bezirksdiabetologe von Schwerin wieder traf, während ich als Chefarzt einer Diabetesabteilung im Kreiskrankenhaus Prenzlau inzwischen die gleiche Funktion im Bezirk Neubrandenburg ausübte.

Priemerwald

Von der Dienststelle der Kasernierten Volkspolizei in Schwerin Stern-Buchholz wurden wir als VP-Anwärter nach Abschluss unserer militärischen Grundausbildung im Rahmen einer Nacht- und Nebelaktion in getarnten Lkw in die „Taiga“ (gängiger Armeeausdruck für ein dünn besiedeltes Waldgebiet im Norden der DDR) verlegt. Nach der Fahrt von einigen Stunden landeten wir irgendwo – ein Zielort war uns nicht mitgeteilt worden – in einem Kiefernwald, bauten unsere Zelte auf, in denen wir auf Stroh schliefen.

Nach einem schönen Ruhetag im Wald wurden wir in der nächsten Nacht barsch von einem Unteroffizier geweckt, brauchten nur einige hundert Meter zu marschieren und landeten an einer inoffiziellen Bahnstation namens „Priemerwald“. Dort erwartete uns schon ein langer Güterzug mit der Aufschrift an einem Waggon: „Eier für unsere deutschen Freunde.“ Offenbar kam er direkt aus der Sowjetunion. Wir entluden Waggons voller Munition, darunter zahlreiche mit kyrillischer Schrift versehene, 84 kg schwere Holzkisten mit je einer Artilleriegranate. Wir schleppten sie ca. 80 m weit in besenreine unterirdische Bunker, die scheinbar die Nazizeit unbeschädigt überstanden hatten.

 

Nach einigen Wochen avancierte ich zum Schreiber der Kompanie, erhielt ein Extra-Einzelzelt und sogar als einziger aller Kameraden ein Feldbett, unter dem ich die begehrten Ausgangskarten und weitere wichtige Papiere verstaute. Während alle anderen Kameraden jede Nacht heraus mussten, um neue, gerade eingetroffene Munition einzubunkern, hatte ich nach wenigen Wochen gleichartiger Tätigkeit ein sehr schönes Leben und konnte jede Nacht in Ruhe schlafen. Ich musste allerdings ein Lagerfeuer vor meinem Zelt hüten und begrüßte – sicher von vielen ob meines bequemen Jobs beneidet – an jedem Morgen gegen 4.30 Uhr die heimkehrende, singende Truppe, die einen körperlich extrem schweren Nachteinsatz hinter sich hatte und nach einem provisorischen Frühstück bis zum frühen Nachmittag in ihren Zelten schlafen konnte.

Eines Morgens im August 1952 gab es ein besonderes Vorkommnis. Ein lauter Doppelknall erschütterte das gesamte Zeltlager, gefolgt von einem sehr lauten, herzzerreißenden Schmerzensschrei eines jungen Kameraden von ca. 20 Jahren, wie ich vorher noch nie einen gehört hatte. Was war geschehen? Der Soldat hatte einen Schabernack geplant und mich erschrecken wollen, indem er zwei Zwei-Zentimeter-Granaten – vermutlich Fundmunition aus dem Zweiten Weltkrieg – in das leicht glimmende Lagerfeuer warf. Sie krepierten sofort, kurz hintereinander und –eine zerfetzte mein Zelt, ohne mich zu beschädigen. Die zweite durchschlug unmittelbar danach die Bauchwand des Werfers, der sich sehr schwer verletzte, aber anfangs noch ansprechbar war. Er wurde sofort in eine chirurgische Klinik – vermutlich nach Güstrow – verlegt und starb dort zu unserem großen Bedauern einen Tag später. Ich war schwer schockiert, so etwas Schreckliches hatte ich noch nicht erlebt. Drei Tage später wurde der Soldat unter dem Lied „Ich hatt’ einen Kameraden“ auf dem Hagenower Friedhof beerdigt. Ich selbst trug ihn im Beisein seiner nächsten Angehörigen mit fünf weiteren Kameraden zu Grabe. Ein Offizier hielt eine kurze Trauerrede und betonte, dass der junge Kamerad an den Folgen explodierter Fundmunition verstorben sei, die anglo-amerikanische Tiefflieger, als Terrorflugzeuge bezeichnet, während des Zweiten Weltkrieges über dem Gebiet der jetzigen KVP-Dienststelle abgeworfen hätten.

Stern-Buchholz im Herbst 1952

Im September, nach sechs bis acht Wochen, kehrte unsere Truppe in die Stammdienststelle nach Stern-Buchholz zurück. Für meine angeblich guten Leistungen erhielt ich als Prämie das Buch eines italienischen Kommunisten mit einer Widmung meines Vorgesetzten, in der ich für meinen Einsatz gelobt wurde. Ich war froh, dass wir wieder einem geregelten Dienst nachgehen konnten, der derartige Gefahrensituationen nicht befürchten ließ.

Nichts Schlimmes ahnend, wurde ich am 7. Oktober 1952, dem dritten „Tag der Republik“, zu einem Hauptmann in ein Dienstgebäude gerufen, der mir im Beisein mehrerer mir nicht bekannter, bösartig dreinschauender Zivilisten barsch mitteilte, ich hätte an den RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) geschrieben und die Deutsche Demokratische Republik verraten. Als Beleg legte er mir einen von mir vor Wochen geschrieben Brief vor. Es waren einige dem Vorgesetzten verdächtig erscheinende Passagen rot unterstrichen, in denen ich meinem seit Kurzem in Berlin wohnenden Bruder ausführlich über den Todesfall des Kameraden berichtet und die Beerdigung in Hagenow samt Trauerrede des Offiziers geschildert hatte. Mein Bruder hatte kurz zuvor in Berlin-Weißensee eine Wohnung erhalten, was damals ein wahrer Glücksfall gewesen war. Ich hatte das verschlossene Kuvert in einen Güstrower Postkasten gesteckt.

Die Überschrift meines Briefes lautete: „Liebe Berliner“, womit ich ausschließlich meinen Bruder und seine Frau Lilo gemeint hatte und kundtun wollte, dass sie jetzt als stolze Wohnungsbesitzer und Inhaber einer Zuzugsgenehmigung voll anerkannte Bürger der Hauptstadt seien. Dabei hatte ich mir überhaupt nichts Anstößiges gedacht. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte an den RIAS geschrieben und ein Waffenlager der KVP verraten. Obwohl der Brief nicht für den RIAS gedacht war und auch keine Angaben über den Ort oder die Waffeneinbunkerung enthielt, wurde mir aber gerade dieser „Geheimnisverrat“ immer und immer wieder unterstellt. Man erwartete während des mehrere Stunden dauernden Verhörs ein umfassendes Geständnis von mir, doch ich blieb fest bei meiner Meinung und wich kein Jota davon ab. Als ich auf die DDR-Verfassung hinwies, in der das Briefgeheimnis ihrer Bürger als ein Grundrecht fest verankert war, wurde ich nur verhöhnt. Ich fürchtete Schlimmes, doch es war schon erstaunlich und grenzte fast an ein Wunder, dass nichts folgte. Hatte ich die „Genossen“ – wir waren inzwischen Angehörige der Kasernierten Volkspolizei geworden und nannten uns „Genossen“ – etwa wirklich von meiner Unschuld überzeugt? Das war in der Zeit des reinen Stalinismus eher ungewöhnlich und ich konnte es mir bei der Schwere der gegen mich in bösartigem, rüdem Ton vorgebrachten Vorwürfe auch nicht vorstellen. Oder war es nur die Ruhe vor dem Sturm? Die befürchtete lange Haft in einem Arbeitslager in Sibirien, womit ich insgeheim schon gerechnet hatte, blieb mir erspart.

Später wurde der Vorfall nicht mehr erwähnt. Anscheinend hatte ich einen imaginären „Schutzengel“. Auch danach spielte erstaunlicherweise dieses „Ereignis“ in der langen Liste der gegen mich vorgebrachten Vorwürfe keine Rolle mehr. Dennoch war es für mich das Schlüsselerlebnis, welches mich von der DDR und ganz besonders von der SED merklich entfernte. Hatten meine Eltern nicht immer für einen Staat wie die Deutsche Demokratische Republik gekämpft? Wenn man so mit den Befürwortern des neuen Staates umspringt, wofür ich mich bis dahin immer gehalten hatte, wie sieht dann erst der Umgang mit echten oder vermeintlichen Gegnern aus? Das bis dahin von mir voll akzeptierte DDR-Regime wurde mir in meinem Innersten abrupt und zutiefst zuwider. Trotzdem trug ich eine Uniform, die mich in der Öffentlichkeit als einen typischen Repräsentanten dieses Systems auswies. Ich aber hatte mich für drei Jahre zum Dienst in den bewaffneten Kräften verpflichtet; eine Entlassung war unter den damaligen Bedingungen nicht möglich.

Ich offenbarte mich niemandem, denn ein Karriereknick wäre sicher – noch unter der Herrschaft Stalins – unausweichlich gewesen. Von diesem Zeitpunkt an stand für mich jedoch fest: Ein Eintritt in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kommt nie infrage. Und ich würde mich hüten, aus der katholischen Kirche, der ich noch immer pro forma angehörte, auszutreten. So galt ich in der kommunistischen Armee, welche die KVP letztlich geworden war, als ein parteiloser Katholik, eine eher seltene Konstellation, die nicht sehr gerne gesehen wurde. Gewünscht wurde zumindest von künftigen Offizieren eine bedingungslose SED-Mitgliedschaft, die Konfessionslosigkeit voraussetzte. Beides traf auf mich nicht zu. Gewisse Schwierigkeiten im persönlichen Fortkommen würde es sicher auch deshalb geben.

Umso mehr bemühte ich mich, meine militärischen Pflichten optimal zu erfüllen, politische Bekundungen aber möglichst zu vermeiden. Es gelang mir jedoch nicht, jegliche Kritik dauerhaft zu unterdrücken. Auch las ich öfter nicht nur die Tageszeitung der SED „Neues Deutschland“ und die „Junge Welt“ (FDJ), sondern auch die Zeitungen der Blockparteien, wie die „Neue Zeit“ (CDU) oder „Der Morgen“ (LDP), was besonders den Politoffizieren negativ auffiel, die im Lesen sogenannter kleinbürgerlicher Zeitungen eine bewusste Provokation vermuteten. Auch die von mir später gern gelesene Wochenzeitung „Sonntag“ war bei Politoffizieren keinesfalls beliebt. Ich blieb standhaft: Gelegentliche Aussprachen mit den Vorgesetzten mit dem Ziel meines SED-Eintritts und des damit verbundenen Austritts aus der katholischen Kirche veränderten meine Haltung nicht.

Ausbildung in Leipzig

Nach einer Ausbildung zum Sanitäter in Stern-Buchholz wurde ich zum Jahresbeginn 1953 in die neu gegründete KVP-Feldscherschule Leipzig versetzt, um dort zum Feldscher, einem militärmedizinischen Beruf, ausgebildet zu werden. In dieser Offiziersschule wurden uns von zivilen Fachkräften der Leipziger Universität die Grundlagen der Medizin vermittelt, außerdem erhielten wir, ¬allerdings in geringem Umfang, eine militärische Ausbildung.

Nach einer Zwischenprüfung im Sommer 1953 wurde ich, inzwischen Offiziersschüler im 3. Lehrjahr, zusammen mit drei anderen Genossen zu einer Sonderreifeprüfung an die ABF (Arbeiter- und Bauernfakultät) der Universität Leipzig delegiert. Schließlich hatten wir, bis auf einen Offiziersanwärter, die nicht unkomplizierte Prüfung bestanden und damit die Qualifikation für das Studium der Humanmedizin an der Karl-Marx¬-Universität Leipzig erworben.

Noch im September 1953 wurde ich in die KVP-Studentenkompanie in die Döllnitzer Straße versetzt, wo wir in einer vornehmen Villa optimal untergebracht waren und auf zahlreiche neue Genossen stießen, die bereits seit mehreren Jahren als Studenten in Uniform an der Leipziger Universität immatrikuliert waren. In dieser Zeit entstand eine echte Freundschaft zwischen Kay Blumenthal-Barby, Lothar Peter, Herwig Zichel und mir, die sich in den folgenden Jahrzehnten sehr bewährt hat. Das Studium bereitete mir große Freude. Ich traf aber auch auf Genossen, die mir aus nicht politischen Gründen das Leben zur Hölle machten. Wir legten in Leipzig 1955 das Physikum ab.


Heinz Schneider, Medizinstudent der KVP in Leipzig, Frühjahr 1955

Im Sommer 1955 wurde unsere Einheit in das ehemalige Luftwaffenlazarett nach Greifswald verlegt, wo eine große Militärmedizinische Sektion der KVP unter Leitung des ehemaligen Wehrmachts-Generalmajors Prof. Walther entstanden war. Aus allen medizinischen Fakultäten der DDR wurden Studenten in die KVP aufgenommen, womit sich die Zahl künftiger Militärärzte vervielfacht hatte. Daneben gab es aber immer noch einige Zivilstudenten an der Medizinischen Fakultät, mit denen wir die gleichen medizinischen Vorlesungen teilten.

Während wir in der Studentenkompanie in Leipzig nicht über einen Politoffizier verfügten, wurden wir in Greifswald von mehreren Politoffizieren „betreut“, die mir das Leben schwer machten, darunter die Stabsoffiziere Major Heese und Oberst Herold. Major Heese bemühte sich ohne Erfolg, mich zum Austritt aus der katholischen Kirche zu bewegen, während Oberst Herold versuchte, mich für die SED¬-Mitgliedschaft zu gewinnen. Als Arzt in der Armee würde ich eines Tages ebenfalls Stabsoffizier werden, das ginge aber nur, wenn ich ein Parteigenosse wäre. Ich zeigte mich unnachgiebig, weil ich mir ein Leben als Truppenarzt auch als katholischer Nichtgenosse vorstellen konnte, wobei ich nicht gegen die damals gültige DDR-Verfassung verstieß. Ob ich einst Stabsoffizier werden würde oder nicht, war mir völlig egal. Das stieß natürlich auf komplettes Unverständnis.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?